Sächsischer
Verfassungsschutzbericht
2016
wehrhafte
Demokratie
zum Schutz der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung
Die Würdedes Menschen ist
unantastbar
Sächsischer
Verfassungsschutzbericht
2016
3
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
der Verfassungsschutz ist wichtiger Partner einer
wehrhaften Demokratie – weil Staat, Politik und
freiheitliche Gesellschaft sich nur gegen etwas
wehren können, das sie auch kennen. Aus gutem
Grund beobachtet das sächsische Landesamt für
Verfassungsschutz (LfV) diejenigen extremisti-
schen Gruppierungen, die unsere freiheitliche
demokratische Grundordnung in Frage stellen
und bekämpfen wollen. Seine Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter bilden unser verlässliches Früh-
warnsystem in Bezug auf alle Formen von Extre-
mismus.
Der vorliegende Bericht fasst die Ergebnisse zusammen, die das LfV im Jahr 2016 hinsichtlich der extre-
mistischen Gruppierungen und Entwicklungen zusammengetragen und ausgewertet hat. Enthalten sind
dabei sowohl regionale Lagebilder zum Rechts- und Linksextremismus als auch Beiträge zu den Phäno-
menbereichen Islamismus und Ausländerextremismus. Besonders hervorzuheben sind zwei Kapitel, die
sich phänomenübergreifend den Feindbildkonstruktionen von Extremisten sowie der Propaganda und
Agitation von Extremisten im Internet widmen.
Von großer Bedeutung ist und bleibt aber an erster Stelle weiterhin die Beobachtung des Rechtsext-
remismus. Ein juristischer Meilenstein war dahingehend das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im
Parteiverbotsverfahren gegen die
NPD
vom 17. Januar 2017. Obwohl das Gericht dem Verbotsantrag
des Bundesrates nicht entsprochen hat, wurde festgestellt: an der Verfassungsfeindlichkeit bestehe kein
Zweifel. Dieses Urteil passt damit zum nach wie vor wachsenden Bedeutungsverlust der Partei. Sie hat
seit dem Höchststand im Jahr 1998 70 % ihrer Anhängerschaft verloren. Die Aktivitäten einiger Kreis-
verbände kamen vollständig zum Erliegen.
Demgegenüber hat sich das Personenpotenzial der neonationalsozialistischen Szene nach den Verlusten
der Vorjahre allerdings vor dem Hintergrund der Asylthematik wieder deutlich erhöht. 2016 wurden da-
her die
IDeNtItäre BeweguNg DeutschlaND -
Regionalgruppe Sachsen sowie die
reIchsBürger uND selBstverwalter
zu Beobachtungsobjekten sowie der Vorjahresbeitrag zu den Aktivitäten von Rechtsextremisten in der
Asyldebatte fortgesetzt.
Da der Verfassungsschutz alle Phänomenbereiche gleichermaßen im Blick hat, blieb natürlich auch die
linksextremistische Szene im Fokus der Behörde. Und auch wenn die Anzahl linksextremistischer Strafta-
ten zuletzt gesunken ist, erreichte ihre Anhängerzahl im Jahr 2016 einen Höchststand, da sie durch eine
erfolgreiche Bündnispolitik vielfach Personen aus dem bürgerlichen Protestmilieu einbinden konnte.
Die Gewaltbereitschaft der Szene ist nach wie vor hoch. Durch anonym-verdeckte Aktionen kam es
Markus Ulbig
Sächsischer Staatsminister des Innern
4
häufig zu hohen Sachschäden. Anschlagsziele waren vor allem der politische Gegner sowie Institutionen
des demokratischen Rechtsstaates. Solche Anschläge sind Angriffe auf unsere Demokratie und unsere
Gesellschaft. Ihnen muss und wird mit der gebotenen Härte des Rechtsstaats entgegen getreten werden.
Die verübten Straftaten werden strafrechtlich konsequent verfolgt.
Das islamistische Personenpotenzial schließlich bewegte sich im Freistaat trotz eines Anstiegs wei-
terhin auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Der Verfassungsschutz richtet sein Augenmerk dabei
verstärkt auf islamische Gemeinden, Vereine und Gruppierungen, bei denen Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass sie von islamistischen Organisationen für deren Zwecke missbraucht werden. Es gilt
aber auch, die Migrationsströme verstärkt in den Blick zu nehmen. Rückkehrende Islamisten stellen
eine besondere Risikogruppe dar. Eine gute Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ist und bleibt
deshalb unerlässlich.
Insgesamt belegt der vorliegende Bericht: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres LfV leisten
für den Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung einen wertvollen Beitrag. Ihre
Expertise und ihre gesammelten Erkenntnisse sind ein entscheidender Baustein im Fundament unserer
Demokratie. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich!
Markus Ulbig
Sächsischer Staatsminister des Innern
5
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung – Extremistische Bestrebungen im Freistaat Sachsen
8
II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen
10
1. IM FOKUS: Hassobjekte – Feindbildkonstruktionen von Extremisten
10
2. Rechtsextremismus
31
2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen
31
2.2 Personenpotenzial
33
2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der
Asylthematik – Fortsetzung des Beitrages von 2015
37
2.4 Rechtsextremistische Parteien
51
2.4.1
NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs (NPD)
51
2.4.2
JuNge NatIoNalDemokrateN (JN)
68
2.4.3
DIe rechte
, Landesverband Sachsen
77
2.4.4
Der DrItte weg (III. weg)
82
2.5
NeoNatIoNalsozIalIsteN
88
2.6 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten
104
2.7 Verfahren wegen des Verdachts rechtsterroristischer Aktivitäten
108
2.8 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte
109
2.9 Rechtsextremistische Vertriebsszene
123
2.10 Relevante Publikationen
130
2.11
IDeNtItäre BeweguNg DeutschlaND
– Regionalgruppe Sachsen
132
2.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen
136
2.12.1 Landkreis Bautzen
136
2.12.2 Chemnitz (Stadt)
142
2.12.3 Dresden (Stadt)
147
2.12.4 Erzgebirgskreis
154
2.12.5 Landkreis Görlitz
159
2.12.6 Landkreis Leipzig
163
2.12.7 Leipzig (Stadt)
167
2.12.8 Landkreis Meißen
173
2.12.9 Landkreis Mittelsachsen
176
2.12.10 Landkreis Nordsachsen
181
2.12.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
184
2.12.12 Vogtlandkreis
188
2.12.13 Landkreis Zwickau
193
6
2.13 Politisch motivierte Kriminalität „rechts“ – Straftaten mit
rechtsextremistischem Hintergrund
197
2.14 Ausblick
201
3. Linksextremismus
205
3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen
205
3.2 Personenpotenzial
205
3.3
autoNome
209
3.3.1
autoNome
in Leipzig
224
3.3.2
autoNome
in Dresden
240
3.3.3
autoNome
außerhalb der Städte Leipzig und Dresden
250
3.4 Anarchistische Gruppierungen
257
3.5
revolutIoN (revo)
265
3.6
rote hIlfe e. v. (rh)
270
3.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen
275
3.8 Wege linksextremistischer Agitation
277
3.9 Politisch motivierte Kriminalität „links“ –
Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund
281
3.10 Ausblick
285
4. Islamismus
287
4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen
287
4.2 Personenpotenzial
288
4.3 Salafistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen
288
4.4 Jihadistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen
296
4.5 Ausblick
298
5. Ausländerextremismus
301
5.1 Zielsetzungen
301
5.2 Personenpotenzial
302
5.3
arBeIterParteI kurDIstaNs (Pkk)
303
5.4 Politisch motivierte Ausländerkriminalität – Straftaten mit
ausländerextremistischem Hintergrund
311
5.5 Ausblick
311
6.
ReichsbüRgeR und selbstveRwalteR
313
7. Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet
315
7
III. Spionage in Politik und Wirtschaft
323
1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten
323
2. Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden
324
2.1 Akteure und Aufklärungsschwerpunkte
324
2.1.1
Russische Föderation
324
2.1.2
Volksrepublik China
325
2.1.3
Arabische, nordafrikanische und weitere asiatische Staaten
326
2.1.4
Westliche Staaten
327
2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste
328
2.2.1
Beschaffung öffentlich zugänglicher Informationen
328
2.2.2
Beschaffung nicht öffentlich zugänglicher Informationen
328
2.2.3
Einflussnahme auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen
331
3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft
332
IV. Geheim- und Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben
335
1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz)
und Sabotageschutzüberprüfungen
335
1.1 Sicherheitsüberprüfungen
335
1.2 Sabotageschutzüberprüfungen
336
2. Materieller Geheimschutz
337
3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagens-
oder Ausschlussgründen
337
V. Verfassungsschutz Sachsen
339
1. Struktur
339
2. Gesetzliche Grundlagen
340
2.1 Verfassungsschutz als Frühwarnsystem
340
2.2 Kontrolle
343
3. Arbeitsweise
344
4. Öffentlichkeitsarbeit
345
VI. Anhang
348
Register
348
Glossar
362
Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachen
374
Abkürzungsverzeichnis
378
Gesetze
382
8
I.
Einführung – Extremistische
Bestrebungen im Freistaat Sachsen
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil im NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017
die drei unverzichtbaren Grundprinzipien eines freiheitlichen Verfassungsstaates abermals unmissver-
ständlich festgeschrieben.
Diese beinhalten neben dem Demokratieprinzip, der Rechtsstaatlichkeit mit der Bindung der öffent-
lichen Gewalt an das Recht und der Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte, vor allem
die Garantie der Menschenwürde und damit die Wahrung der personalen Individualität, Identität und
Integrität sowie der elementaren Rechtsgleichheit jedes Menschen.
1
Auch im Jahr 2016 haben Extremisten in Sachsen versucht, diese Grundprinzipien der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung zu bekämpfen.
Sie taten dies zum Teil, in dem sie Straftaten planten oder begingen. Beispiele für gewalttätigen Extre-
mismus sind die vielen Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte durch Rechtsextremisten, die Angriffe auf
staatliche Einrichtungen durch Linksextremisten oder der verhinderte Terroranschlag des islamistischen
Attentäters AL-BAKR.
Extremisten sehen sich dabei in einer Rolle als Vollstrecker eines angeblich existierenden übergeord-
neten Willens, sei es in Form einer „Bürgerwehr“, einer „Schariapolizei“ oder einer militanten „Antifa“,
die ihren Aktionen eine Scheinlegitimität verleihen soll. Dabei lehnen sie mit dem Gewaltmonopol des
Staates einen elementaren Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab.
Sächsische Extremisten versuchten auch im Jahr 2016, der Demokratie durch Verächtlichmachung ihrer
Institutionen oder Repräsentanten erheblich zu schaden und dadurch Zuspruch und Anhänger für ihre
Ideologien zu gewinnen. Dies geschah im Rahmen von Demonstrationen, Konzerten, Infoständen und
vor allem im Internet. Konsequenz wäre das Ende eines offenen demokratischen Prozesses.
Über das größte Personenpotential verfügt in Sachsen weiterhin der Rechtsextremismus, auch wenn
seine Anhängerzahlen im Jahr 2016 stagnierten. Linksextremisten und Islamisten konnten dagegen ihr
Personenpotential deutlich erhöhen, erreichten aber dennoch zusammen weniger als die Hälfte der
Mitgliederzahlen des Rechtsextremismus.
Mit den
reIchsBürgerN uND selBstverwalterN
wird seit Dezember 2016 eine sehr heterogene Bestrebung
bundesweit beobachtet. Ihr Gefahrenpotential reicht von schweren Straftaten, wie den tödlichen oder
lebensgefährlichen Schüssen auf Polizeibeamte in Bayern und Sachsen-Anhalt, bis zur Verängstigung
und Belästigung von Behördenmitarbeitern.
1 vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, Rdnr. 538 ff.
9
EINFÜHRUNG – ExTREMISTISCHE BESTREBUNGEN IM FREISTAAT SACHSEN
Im vorliegenden Verfassungsschutzbericht werden die aktuellen Entwicklungen extremistischer Bestre-
bungen – Rechts- und Linksextremismus, Islamismus, Ausländerextremismus und
reIchsBürger uND selBst-
verwalter
– im Freistaat Sachsen im Hinblick auf verfassungsfeindliche Zielsetzungen, Personenpotenzial,
Strukturen und Aktivitäten betrachtet. Darüber hinaus nehmen die Beiträge „IM FOKUS: Hassobjekte –
Feindbildkonstruktionen von Extremisten“ und „Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet“
eine phänomenübergreifende Perspektive ein. Zum einen werden die Funktionen von Feindbildern für
Extremisten beschrieben und aufgezeigt, wie diese sich durch politische und gesellschaftliche Entwick-
lungen verändern. Zum anderen werden die Strategien und Kanäle von Extremisten in den digitalen
Medien beleuchtet. Wie und auf welchen Plattformen kommunizieren, mobilisieren und vernetzen sie
sich? Diese Überblicksbeiträge heben die Gemeinsamkeiten in den Extremismusformen hervor, zeigen
aber auch die Differenziertheit und Spezifika auf.
Der sächsische Verfassungsschutz ist kein „geheimer Dienst“, sondern ein Informationsdienstleister
für die Öffentlichkeit. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen
und Tätigkeiten gehört zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes. Der Bericht stellt einen
wichtigen Präventionsbeitrag dar und soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extre-
mismus fördern.
10
II.
Aktuelle Entwicklungen
in den Extremismusbereichen
1. IM FOKUS: Hassobjekte –
Feindbildkonstruktionen von Extremisten
Einleitung
„Linkes Gezeter – neun Millimeter“
„Bullen sind Schweine“
„Das Blut der Ungläubigen ist halal für Euch“
Wie diese Zitate zeigen, gehörten auch im Jahr 2016 Beleidigungen, Herabwürdigungen und sogar
Gewaltaufrufe gegen die jeweiligen Gegner zum Instrumentarium aller extremistischen Bestrebungen,
die auch in Sachsen aktiv sind.
Die hierbei ersichtlichen Feindbilder speisen sich aus starken Vorurteilen gegenüber bestimmten Per-
sonen oder Gruppen, die gegenüber eigenen, als überlegen empfundenen Überzeugungen in Stellung
gebracht werden. Sie helfen, in einer als verwirrend empfundenen politischen und gesellschaftlichen
Wirklichkeit mit diffusen Gefühlen der Aggression und Bedrohung umzugehen und stiften Zusammen-
gehörigkeit, in dem Wir-Gefühle („wir gegen die“) angesprochen werden. Mehrdeutige oder differenzier-
te Sichtweisen stehen dem Bedürfnis nach einfachen Erklärungen für unübersichtliche Entwicklungen
entgegen. Verstärkend wirkt ein wachsendes Misstrauen gegenüber den Medien. In den „Echokammern“
des Internets wird vor allem die eigene Realität bestätigt. Davon abweichende Positionen können so
ausgeblendet werden. Das Bewusstsein und Handeln wird damit von einer Einteilung der Welt in richtig
und falsch, in Freunde und Feinde, bestimmt.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Anziehungskraft eines ausgeprägten Schwarz-weiß-Denkens für
extremistische Gruppierungen. Feindbilder werden gebraucht, um sich selbst nach innen zu stärken. Sie
bekräftigen die eigene Position, die als wahr oder einzig richtig angesehen wird. Sie werden genutzt, um
neue Mitglieder zu werben oder um nach außen Handlungsfähigkeit herzustellen.
Mit Feindbildern reagieren Extremisten auf politische oder gesellschaftliche Entwicklungen; diese kön-
nen sich wandeln, zuspitzen oder abschwächen. Mit deren Aufbau und Stabilisierung geht oft ein ab-
nehmendes Einfühlungsvermögen einher. Der Feind wird nicht mehr als Individuum oder gar als Mensch
verstanden, sondern als anonymer entmenschlichter Gegner. Vorstellungen von einer Schädigung bis
hin zur Vernichtung des Gegners finden in der Dehumanisierung des Feindes ihren Nährboden.
Die Merkmale von Feindbildern können sowohl für rechtsextremistische, wie auch für linksextremisti-
sche und islamistische Bestrebungen, Gültigkeit beanspruchen. Trotz aller Ähnlichkeiten gibt es jedoch
auch gravierende Unterschiede. Zunächst werden daher rechtsextremistische, linksextremistische und
islamistische Feindbildkonstruktionen näher beschrieben. Welche Feindbilder gibt es, wie werden diese
dargestellt und welche Funktion besitzen sie? Anschließend werden Veränderungen von Feindbildern in
11
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
den jeweiligen Extremismusbereichen geschildert, um Abhängigkeiten vom politischen Tagesgeschehen
oder von strategischen Überlegungen offenzulegen. Schlussendlich sollen grundlegende Gemeinsam-
keiten und Unterschiede benannt werden, die das Erscheinungsbild von Feindbildern bestimmen.
Feindbilder der verschiedenen Extremismusbereiche
Rechtsextremismus
Die Feindschaft von Rechtsextremisten richtet sich zum einen gegen verschiedenste Menschengruppen,
die sie ideologisch ablehnen oder als „minderwertig“ betrachten, und zum anderen gegen den demokra-
tischen Rechtsstaat, der die Grundrechte dieser Menschen gegen die Agitation und die gewalttätigen
Angriffe der Rechtsextremisten schützt. Im Folgenden sollen schlaglichtartig die Hauptkomplexe rechts-
extremistischer Feindbilder dargestellt werden.
❚
Das „System“ und die „Gesellschaft“
Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist für Rechtsextremisten seit jeher eine der Wurzeln für die
„Fehlentwicklung“ der modernen Gesellschaften. Zu dieser von Rechtsextremisten als „System“ diffamierten
Ordnung gehören nicht nur die Vertreter der demokratischen Parteien, der Verfassungsorgane oder der
Verwaltung, sondern auch die Angehörigen der Polizei- und Ordnungsbehörden sowie alle Vertreter des
demokratischen Rechtsstaates inklusive die gewählten Vertreter der demokratischen Institutionen.
Eine Strategie, die vor allem von Stefan HARTUNG, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge, an-
gewandt wurde, ist die gezielte Kampagne gegen die Bürgermeister kleinerer Ortschaften. In der ersten
Hälfte des Jahres 2016 wurden dazu Kundgebungen im Rahmen von kommunalen Gremiensitzungen
anberaumt und so versucht, Bürgermeistern die eigene politische Linie aufzuzwingen. Bürgermeister
wurden dazu auch als Person diffamiert. So hieß es etwa mit Bezug zum Bürgermeister von Grünhain-
Beierfeld (Erzgebirgskreis), Herrn Rudler, am 1. Februar 2016, man müsse das „Rudler rumreißen“.
2
Die neonationalsozialistische Szene im Raum Freital formulierte noch direkter und rief durch Aufschrif-
ten an Gebäuden dazu auf, dass man den Oberbürgermeister von Freital „töten“ müsse. Die Diffamie-
rung der Bundeskanzlerin als „Kriegskanzlerin“, an deren Händen Blut klebe und ähnliches, ist dabei
unter Rechtsextremisten längst die Regel.
Der Nationalfeiertag am 3. Oktober wurde in der neonationalsozialistischen Szene als „Tag der Lügen und
des Verrat am deutschen Volk“
3
verunglimpft. Selbstredend haben sich Rechtsextremisten an den Pöbeleien
gegenüber verschiedensten Amts- und Mandatsträgern am Tag der Deutschen Einheit beteiligt.
Insbesondere der militante Rechtsextremismus der
NeoNatIoNalsozIalIsteN
und der subkulturell geprägten
rechtsextremistischen Szene geht darüber hinaus. Hier wirft man dem „System“ nicht nur Verrat vor,
sondern sieht sich mit diesem – als zu bekämpfende feindliche Macht – im Kriegszustand.
2 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik –
Fortsetzung des Beitrages von 2015
3 Facebook-Profil
freIe aktIvIsteN DresDeN
(Stand: 28. September 2016, Schreibweise wie im Original)
12
In der Folge hat sich auch das Verhältnis zur Po-
lizei gewandelt. So gehört diese mittlerweile zum
rechtsextremistischen Feindbild „System“. Hier
zeigen sich Parallelen zum Linksextremismus.
Bereits im Jahr 2015 war eine starke Zunahme
der politisch motivierten Gewalt von Rechtsext-
remisten insbesondere auch gegen Polizeibeam-
te festzustellen.
4
In 2016 gab es einen leichten
Rückgang der Straftaten, die Fallzahlen liegen
jedoch noch weit über dem Niveau vorangegan-
gener Jahre.
5
Neben solchen direkten Konfrontationslinien
haben Rechtsextremisten der Bundesrepublik
Deutschland und damit der Geltung des Grund-
gesetzes auch allgemein immer wieder jede
Legitimität abgesprochen. Die „BRD“, die von
Rechtsextremisten immer wieder von „Deutsch-
land“ unterschieden wird, galt und gilt bei
Rechtsextremisten als „Verwaltungskonstrukt der
Siegermächte“.
6
„Deutschland ist nun mal nicht
die BRD“ wird dabei oft als Standardphrase ver-
wendet.
7
Rechtsextremisten bezeichnen die aktuelle Ge-
sellschaft mit Bezug zum „Dritten Reich“ als ver-
kommen und „degeneriert“.
Mit der Abbildung „70 Jahre Degeneration – Dan-
ke Amerika!“ lässt sich illustrieren, dass die Ab-
lehnung der Demokratie und des Grundgesetzes
von Rechtsextremisten nicht auf der Ablehnung
einiger Prinzipien beruht, sondern dass dahinter grundlegende weltanschauliche Differenzen stehen.
Die Voraussetzung jedweder Demokratie – die Wahrung der Menschenrechte, eine Offenheit für ver-
schiedene Orientierungen und Überzeugungen, der Verzicht auf die Vorgabe einer übergeordneten poli-
tischen Ideologie bei der Organisation des Gemeinwesens, etc. – wird von Rechtsextremisten zugunsten
einer die Rechte des Einzelnen verneinenden und auf kollektive Einheit ausgerichteten Weltanschauung
abgelehnt.
8
Auch die Ablehnung von Gleichstellungsmaßnahmen, die u. a. mit Bezug zu sexualpädagogischen
Maßnahmen an Schulen als „Degradierung der deutschen Kultur“ diffamiert werden, gehört zu diesem
4 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 287
5 siehe Abschnitt II.2.13 Politisch motivierte Kriminalität „rechts“
6 Facebook-Profil
NatIoNale froNt BautzeN
(Stand: 18. April 2016)
7 Facebook-Profil
NatIoNale froNt BautzeN
(Stand: 28. März 2016)
8 Am Rande wird auch deutlich, dass die Vereinigten Staaten von Amerika als Verkörperung dieser Ideale ebenfalls zu den
Feindbildern von Rechtsextremisten gehören.
Quelle: Facebook-Profil
NatIoNale froNt BautzeN
(Stand: 8. September 2016)
Quelle: Facebook-Profil einer rechtsextremistischen Person
(Stand 4. Oktober 2016), Gesicht wurde unkenntlich gemacht
13
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
Feindbild.
9
Angebote zur Förderung der Akzeptanz von sexueller Vielfalt werden von Rechtsextremisten
oft als „Rassenschande-Propaganda“ angesehen.
10
❚
Asylbewerber, nicht-deutsche Staatsangehörige und Muslime
Als ein zentrales Mittel der „Vernichtung“ der Deutschen haben Rechtsextremisten vor allem in den letz-
ten Jahren Flüchtlinge und Asylbewerber ausgemacht. So lautete die Gleichung der NPD-Jugendorgani-
sation
JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) sachseN
: „Asylflut = Volkstod!“.
11
Dies wurde noch durch die Aussage
auf einem Transparent beim Stadtfest in Pirna im Juni 2016 gesteigert: „Migration ist Völkermord“.
12
Bei der Diffamierung von Flüchtlingen und Asylbewerbern werden ganz unterschiedliche Feindbilder
miteinander verbunden. So hieß es etwa auf einem Transparent zur Demonstration der JN am 1. Mai:
„Grenzen dicht! Migranten sind die Armee des Kapitals“. Hierbei wurde die rassistisch motivierte
Ablehnung von Flüchtlingen und Zuwanderern mit einer möglichst anschlussfähigen Kapitalismuskritik
verbunden. Auf Plakaten zum Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern zeigte sich die Ableh-
nung des „Systems“. Die NPD formulierte: „Wir glauben an unsere Jugend – CDU / SPD / LINKE / GRÜNE
an Einwanderung“.
Dass es auch im parteigebundenen Rechtsextremismus nicht nur bei solchen abstrakten Gegenüber-
stellungen blieb, zeigte eine weitere Wahlkampfaktion: Die JN in Mecklenburg-Vorpommern verteilten
Knüppel mit beigefügten Zetteln an Bürger. Auf diesen wurde dazu aufgerufen, dass bei Bedrohung
durch „kriminelle Ausländer“ entweder die Polizei gerufen oder direkt zur „Notwehr“ gegriffen werden
solle. Deshalb sei das „Handwerkszeug“ – mehrere Knüppel – gleich mitgeliefert worden.
Da Extremismus die Ablehnung jeglicher Differenzierungen zugunsten klarer Feindbilder bedingt, wer-
den Flüchtlinge und Asylbewerber unterschiedslos für die islamistischen Terroranschläge verantwort-
lich gemacht. Plakative Aktionen, wie das Zeichnen symbolischer Leichenumrisse samt roter Flüssigkeit
auf den Boden öffentlicher Orte versehen mit Slogans wie „Migration tötet“, erzeugen oder verstärken
Angst und Ablehnung in der Bevölkerung.
9 Facebook-Profil Dresdner Selbstbestimmung (Stand: 15. April 2016)
10 Facebook-Profil Dresdner Selbstbestimmung (Stand: 7. März 2016)
11 Facebook-Profil
JN sachseN
(Stand: 4. Januar 2016)
12 Facebook-Profil
JN sachseN
(Stand: 19. Januar 2016)
Quelle: Facebook-Profil
JN sachseN
(Stand: 17. August 2016)
Quelle: Facebook-Profil
JN mIttelsachseN
(Stand: 18. August 2016)
14
Auch hier wird umgehend die Schuld bei politischen Gegnern und dem politischen System gesehen. Nach
dem Amoklauf von München am 22. Juli hieß es
„Die etablierten Zuwanderungsparteien tragen die mo-
ralische Mitschuld an den von Ausländern ermordeten Deutschen“.
13
Das Motto einer Veranstaltung der
Partei
Der DrItte weg
am 26. Juli in Plauen lautete: „Multikulti tötet – Ausländerterror stoppen!”
14
Der Bezug zum „Dritten Reich“ wird immer wieder hergestellt:
„Eine Division für München, eine Division in Schwarz!
15
Lange genug haben wir zugesehen wie unser Va-
terland verschmutzt wird mit dem Unrat der tag für Tag über unsere Grenzen einmarschiert. Wir kriegen
euch alle!“
16
Die vermittelten Botschaften gegen Muslime von parteigebundenen Rechtsextremismus werden eher
subtiler und hintergründiger formuliert, um Vorurteile auch bei nicht extremistischen Bürgern zu schü-
ren. Ähnlich wie bereits in der Zeit von 1933 bis 1945 gegen Juden und ihre religiösen Schächtungsvor-
schriften gehetzt wurde, nutzen Rechtsextremisten auch heute noch Themen wie den Tierschutz, um
gegen missliebige Minderheiten vorzugehen: „Tierschutz geht uns alle an“ oder „Stoppt den Verkauf von
Halal-Fleisch“.
17 18
❚
Juden
Vor allem in der neonationalsozialistischen Szene wird nach wie vor auch der hergebrachte Antisemitis-
mus mit seinem Hauptfeindbild, dem „wohlhabenden Juden“, bedient. Die Leugnung des Holocausts ist
und bleibt hier ein zentrales Element.
So hieß es etwa:
„In Palästina gibt‘s ein Land, Isra-
el wird es genannt! Für Mord und
Raub ist es bekannt, kleine Kin-
der werden dort verbrannt! Habt
ihr den wahren Feind erkannt, so
nehmt die Waffen in die Hand!
Die beste Lösung sei genannt....
vernichtet dieses Land!“
19
Zurückhaltender zeigt sich die
Negation bzw. Verharmlosung des
Holocausts im parteigebundenen
Rechtsextremismus. So titelten die
JN sachseN
am 8. September 2016 auf Facebook mit einem Bild vom Holocaust-Mahnmal in Berlin und
der Titelzeile „Staatsreligion?“.
13 Facebook-Profil
NPD sachseN
(Stand: 24. Juli 2016)
14
(Stand: 29. Juli 2016)
15 Soll metaphorisch für die Uniformierung der SS stehen
16 Facebook-Profil
ag saxoNIa
(Stand: 26. Juli 2016, Schreibweise wie im Original)
17 Halal-Fleisch wird durch Schächten erzeugt.
18 Facebook-Profil
NatIoNale froNt BautzeN
(Stand: 20. April 2016)
19 Facebook-Profil
ag saxoNIa
3.0 (Stand: 12. September 2016, Schreibweise wie im Original)
Quelle: Facebook-Profil
JN sachseN
(Stand: 8. September 2016)
15
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
Zudem wurde auf einer Veranstaltung der
JN sachseN
zum 1. Mai auch ein Transparent mit der Aufschrift
„Zinsknechtschaft brechen“ mitgeführt.
20
Dieses verweist auf die alte antisemitische Propagandaphrase
der jüdischen Herrschaft über die internationalen Finanzmärkte.
„Politiker, die ihr Volk in den Landtagen
und in Berlin verraten haben und das für Kapitalismus, Multikultur, USA und Israel“
, seien für die derzei-
tigen politischen Probleme Deutschlands verantwortlich. Dies bringt den antisemitischen Hintergrund
rechtsextremistischer Kritik auf den Punkt.
21
Seit einigen Jahren gibt es jedoch Rechtsextremisten, die dieses Feindbild nicht mehr teilen, sondern
sogar explizit ablehnen. Dies wird z. B. bei der
IDeNtItäreN BeweguNg
sichtbar. Sie bedient sich zwar nach
wie vor, teilweise sehr aggressiv, anderer Feindbilder, weist jedoch die üblichen antisemitischen Positi-
onen – vor dem Hintergrund der ihrer Meinung nach ausschließlich von muslimischen Einwanderern
ausgehenden Gefahr – ausdrücklich zurück. Dies gilt ebenfalls für die oft an antisemitische Positionen
angehängten Verschwörungstheorien.
22
❚
Politische Gegner
Der politische Gegner, d. h. insbesondere gegen den Rechtsextremismus aktiv vorgehende Personen, ist
für Rechtsextremisten, abgesehen von dem „System“, der Feind an sich. Deshalb werden in der Ausein-
andersetzung mit den politischen Gegnern massi-
ve Beleidigungen und höchste Gewaltbereitschaft
sichtbar. Allgemein bekannt sind die vor allem von
gewaltbereiten Rechtsextremisten verwendeten
Slogans: „Good night left side“ oder auch „Linkes
Gezeter – Neun Millimeter“. Die Auseinanderset-
zung beginnt bereits auf der ideologischen Ebene
und setzt sich bis hin zur tätlichen Konfrontation
fort. Im Februar 2016 verwendeten die
JN sachseN
ein Zitat von Ernst Jünger
23
: „Wo der Liberalismus
seine äußersten Grenzen erreicht, schließt er den
Mördern die Tür auf. Das ist Gesetz!“
24
Dies stand
im Bezug zu den Anschlägen in Bayern im Juli
2016. Im selben Zusammenhang wurde getitelt:
„Wer links wählt ist Mittäter“.
25
Die Diffamierung
von politisch links zu verortenden Parteien im
Bundestag als „Sozialfaschisten“ illustriert deut-
lich, dass die Ausfälle gegen die Antifa nur die
Spitze einer grundlegenden Feindschaft gegen
politisch Andersdenkende sind.
20 Facebook-Profil JN
sachseN
(Stand: 4. April 2016)
21 Facebook-Profil
JN sachseN
(Stand: 26. April 2016)
22 vgl. hierzu den Vlog – 32 „Jüdische Weltverschwörung“ des YouTube-Kanals Identitarian View vom 5. Januar 2015, in dem
der Vorsitzende der
IDeNtItäreN BeweguNg
Österreichs solche Verschwörungstheorien ablehnt.
23
Er war einer der Vordenker der „konservativen Revolution“ der Weimarer Zeit, auf den sich im Nationalsozialismus bezogen wurde.
24 Facebook-Profil
JN sachseN
(Stand: 21. Februar 2016) Dieses Zitat wurde als Plakat mit dem Symbol des „Hauses Montag“
aus Pirna verbreitet. siehe Abschnitt II.2.12.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
25 Facebook-Profil
JN sachseN
(Stand: 25. Juli 2016)
Quelle: Facebook-Profil
NatIoNale froNt BautzeN
(Stand: 3. Mai 2016)
16
Die Konfrontation zeigt sich vor allem bei der sog. Antifa. Sie war und ist der Hauptfeind vieler Rechts-
extremisten und wird als eine Art „linke Übermacht“ skizziert, die mit allen Mitteln bekämpft werden
müsse. So ist etwa von „Brandstiftern“ oder „widerliche(r)m Menschenschlag“ die Rede.
26
Zu diesem
Feindbild gehört bereits das allgemeine Engagement gegen Rechtsextremismus. So wurden Teilneh-
mer an gegen Rechtsextremismus gerichteten Demonstrationen während der Ereignisse in Bautzen als
„linke[r] Abschaum“ bezeichnet.
27
Es geht bei dem Kampf gegen den politischen Gegner nicht um das Erringen besserer Lösungen. Viel-
mehr strebt man mit diesen Feindbilder an, den Gegner endgültig zu besiegen.
Linksextremismus
❚
Ideologische Feinde
Das Selbstbild linksextremistischer Gruppen und Personen basiert auf einer fundamentalen Ablehnung
herrschender Zustände: Linksextremismus definiert sich zuallererst als
Anti-
• Faschismus,
• Rassismus,
• Kapitalismus,
• Nationalismus,
• Sexismus,
• Repression und
• Militarismus.
Damit entwickelt sich das Selbstbild insbesondere in Abgrenzung zum politischen Gegner und zu den
Feindbildern Rechtsextremismus, kapitalistische Wirtschaftsordnung, Patriarchat, Staat und Nation. So
erklärt die linksextremistische Gruppe PRISMA aus Leipzig ihr Selbstverständnis:
„Wir wollen eine radikale Linke, die aktiv gegen Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus insgesamt
kämpft, (…), die lieber Fehler macht und aus ihnen lernt, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu ver-
lieren. Wir wollen eine radikale Linke, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und globalen
Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates und allen Formen von Unterdrückung, Entrechtung
und Diskriminierung orientiert.“
28
Aus der Perspektive linksextremistischer Gruppen begründen „kapitalistische Produktions- und Eigen-
tumsverhältnisse“ die politischen Herrschaftsverhältnisse, die ihrerseits ursächlich für einen „rassisti-
schen Konsens der Mehrheitsgesellschaft“ seien. Das zu bekämpfende Zusammenspiel von „kapitalis-
tischer Gesellschaft“, „repressivem Staat“ und „rechtem Mob“ werde insbesondere durch die staatliche
Asylpolitik und das Erstarken der Partei Alternative für Deutschland (AfD) verdeutlicht, die einen Rassis-
mus der Mitte vertrete. Nirgendwo funktioniere dieses Zusammenspiel demnach besser als im Freistaat
Sachsen, in dem ein „rassistischer Normalzustand“ herrsche. Besonders Dresden gilt als Symbol und
Ausgangspunkt der Restauration eines „neuen deutschen Nationalismus“.
26 Facebook-Profil
NatIoNale froNt BautzeN
(Stand: 30. April 2016)
27 Facebook-Profil
NatIoNale froNt BautzeN
(Stand: 8. September 2016)
28 PRISMA: zit. aus: IL Zwischenstandspapier, prisma.blogsport.de/prisma (Stand: 30. September 2016)
17
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
Sachsen oder der Begriff „Kaltland“
29
stehen dem-
nach für die Bündelung all dessen, was beseitigt
werden müsse:
„Alltagsrassismus, gezielte (Neo-)Nazi Angriffe,
staatliche Repression, Forderungen nach immer
mehr Abschottung, rechter Rollback und 27 Jahre
CDU-Regierung… das ist Sachsen.“
30
Feindbilder entwickeln ihre Anziehungskraft
durch eine klare Freund-Feind-Setzung und die
Möglichkeit, Gewaltanwendung rechtfertigen zu
können. Der politische Gegner wird nicht als legitime Kraft im demokratischen Miteinander betrachtet,
sondern soll als (dämonisierter) Feind geschwächt und beseitigt werden. Im Gegensatz zu „Neonazis“
hätten nach Ansicht eines Kommentators auf Facebook „Linksradikale“ allerdings „ein Gewissen und
Moral“. In scharfer Abgrenzung zum „menschenverachtende(n) Niveau der Rechten“, denen es gleich-
gültig sei, wer Gewalt erfahre und in welcher Intensität, würde demnach genau differenziert, wann
und warum Gewaltanwendung legitim sei.
31
Die „strukturelle Gewalt“ des Staates und „der rassistische
Konsens der Gesellschaft“ zwängen nach der Logik linksextremistischen Denkens jedoch zu Widerstand
und Gegengewalt, um Missstände „ursächlich“ bekämpfen zu können:
„Dass Politiker_innen von CDU, SPD, Grüne und Linke den Nazis aus Gründen von Image bis hin zu
intensiver Sympathie immer noch sichere Rückzugsorte für Faschismus, Rassismus und Nationalismus
lassen, zeigt einmal mehr: Antifaschismus ist und bleibt Handarbeit.“
32
29 kaltland.blogsport.eu (Stand: 17. November 2016)
30
[DD]: Antifa Action! Einheitsfeierlichkeiten zum Desaster machen, https://linksunten.indymedia.org (Stand: 28. September 2016)
31 Black Corner: Hausbesuch in Leipzig – Ein Kommentar,
(Stand: 14. November 2016)
32 Der Handarbeitskurs an der Volkshochschule Sucksen: Sachsen läd ein zur Kommentierung winterlicher Nazischeisze,
https://linksunten.indymedia.org (Stand: 31. Januar 2016, Schreibweise wie im Original)
Transparent zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden,
Bildausschnitt, Quelle: 3oct.net/ (Stand: 29. September 2016)
Der Handarbeitskurs an der Volkshochschule Sucksen: Antifaschismus bleibt Handarbeit, Quelle: https://linksunten.indymedia.org
(Stand: 31. Januar 2016)
18
In den Aufrufen zur Störung der zentralen Ein-
heitsfeierlichkeiten am 3. Oktober 2016 in Dres-
den ging es folglich auch darum, die Feierlichkei-
ten zum „Desaster“ zu machen und „sächsische
Verhältnisse“ anzugreifen. Um mit dem Aufruf
möglichst viele Gruppen zu aktivieren, wurde auf
die große Bandbreite der vertretenen Feindbilder
hingewiesen:
„Fest steht es ist für alle was dabei, ob fieser säch-
sischer Bulle, vermeintliche Politprominenz, Nazi-
schläger*in, besorgter Bürger oder AfD-Mitglied.“
33
❚
Benennung und Vermittlung
von Feindbildern
Auffällig ist die oftmals abstrakte Benennung
von Feindbildern. Mit dem „repressiven (Über-
wachungs-)Staat“, einem „alltäglichen Rassis-
mus“ oder der „mörderischen Grenzpolitik“ Eu-
ropas werden häufig strukturelle Probleme einer
Gesellschaft thematisiert. Aus der Sicht von
Linksextremisten werden Menschen in unserer
Gesellschaft ungleich behandelt, ausgeschlossen
und unterdrückt. Vermeintlich „rechte“, „rassisti-
sche“ oder „repressive“ Strukturen werden jedoch
nicht nur als „unerträgliche Zustände“ abgelehnt,
sondern ihnen wird über das „Outing“ von Perso-
nen ein konkretes Gesicht gegeben. Die gezielte
Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen
bezieht sich aber vorrangig auf Funktionsträger
staatlicher und ökonomischer Institutionen und
auf mutmaßliche Angehörige rechtspopulisti-
scher oder rechtsextremistischer Gruppen. Eine
Herabsetzung von Menschen aufgrund ihrer
ethnischen Zugehörigkeit, sozialen Stellung oder
sexueller Präferenzen wird hingegen vehement
abgelehnt.
Sprachlich wird das Selbstbild zudem über die Betonung einer „widerständigen“ Lebenshaltung zwi-
schen Militanz, Revolution und Selbstorganisation markiert. Aus der selbst zugeschriebenen Opfer-
position heraus müsse man sich gegen Prozesse „staatlicher Repression“, „sozialer Verdrängung“ und
„Ausgrenzung“ verteidigen.
33 [DD]: Antifa Action! Einheitsfeierlichkeiten zum Desaster machen, https://linksunten.indymedia.org (Stand: 28. September 2016,
Schreibweise wie im Original)
Autonomer Zusammenschluss Dresden: [DD] Antifa Action!
Einheitsfeierlichkeiten zum Desaster machen!, Quelle: https://
linksunten.indymedia.org (Stand: 28. September 2016)
#Verpisst euch: (K)ein Ende der Gewaltdebatte – Für euch nur
Tränen und Pisse!, Quelle: https://linksunten.indymedia.org
(Stand: 24. November 2016)
19
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
Dafür brauche es „kollektive solidarische Strukturen“. So äußerten sich Leipziger
autoNome
im Kontext der
Errichtung eines Aktionscamps „Soziale Kampfbaustelle“ im August 2016:
„Wir sind überrascht wie sehr die Stadt und die Polizei Leute dämonisiert, die sich treffen, über ihre Proble-
me austauschen und sich unterstützen und den Stadtteil selbst gestalten wollen. Selbstorganisation von
Bewohner*innen des Viertels und Solidarität mit Betroffenen von Ausgrenzung, Verdrängung und Unter-
drückung wird kriminalisiert und öffentlich dazu aufgerufen, sich von diesem Prozess des Widerstandes
abzugrenzen.“
34
Nicht zuletzt in derartigen Auseinandersetzungen
zeigten sich aus der Perspektive linksextremisti-
scher Gruppen immer wieder „sächsische Verhält-
nisse“. Vehement wurde behauptet, dass es eine
systematische Verfolgung linker Positionen bei
gleichzeitiger Tolerierung oder sogar Beförderung
„rechtspopulistischer“ und „reaktionärer“ Bewe-
gungen gebe. So eile die Polizei in Sachsen herbei,
wenn „Linke ein leerstehendes Haus besetzen“,
während notorischer „Fachkräftemangel und sys-
tematische Überforderung“ herrschten, wenn der
„rechte Mob“ tobe.
35
Besonders in konfrontativen Situationen zeigte
sich eine ausgeprägte verbale Aggressivität, die
auf eine Dehumanisierung des Feindes zielte. Bei-
spielhaft dafür stand die Verwendung von Meta-
phern wie „Bullen“ oder „Schweine“ für Polizisten.
Der Polizist wird damit nicht mehr als Individuum
betrachtet, sondern als anonymer Teil einer feind-
lichen Staatsmacht, die bekämpft werden müsse.
Mit einem Aufruf reagierten Linksextremisten auf den Sprengstoffanschlag auf eine Dresdener Moschee
unmittelbar vor den Einheitsfeierlichkeiten zum 3. Oktober 2016 in Dresden und verschärften den Ton:
„So suhlen sich die Menschenjäger*innen der Bundeswehr und die Schweine auf der ‚Blaulichtmeile‘“. (…)
Lasst euch von der massiven Präsenz von Schweinen nicht beeindrucken, gemeinsam und entschlossen
können wir diesen erfolgreich entgegentreten.“
36
Diese Verunglimpfung ist insofern bemerkenswert, als das Jahr 2016 insgesamt von einer bündnispo-
litischen Ausrichtung der Szene geprägt war. Es wurde Wert auf vielfältige Kooperationen mit linken
und bürgerlichen Akteuren gelegt, um eigene Interessen und Themen breiter anschlussfähig zu machen
und den Repressionsdruck nicht weiter zu erhöhen. Daher wurde in Bekennerschreiben oder anderen
Wortmeldungen meist weniger konfrontativ und abwertend kommuniziert.
34 beobachter*in: Soziale Kampfbaustelle in Leipzig am 16.08., https://linksunten.indymedia.org
(Stand: 16. August 2016, Schreibweise wie im Original)
35 PRISMA: Social Center for all besetzt und geduldet – Jetzt Druck machen!, prisma.blogsport.de/ (Stand: 5. März 2016)
36 [DD]: Antifa Action! Einheitsfeierlichkeiten zum Desaster machen, https://linksunten.indymedia.org
(Stand: 28. September 2016)
Soziale Kampfbaustelle, (Mobi-) Material / Propaganda stuff,
Quelle: aufbauen.blogsport.eu/das-camp/mobi-material
(Stand: 25. November 2016)
20
❚
Aktionsformen
Selbsternannte „Feinde“ werden durch verschiedene Aktionsformen benannt und bekämpft. Sie werden
auf Demonstrationen möglichst in Hör- und Sichtweite attackiert und über „Outing“-Aktionen
37
in ih-
rem persönlichen Umfeld angegriffen.
Zum Zwecke der Schwächung und Zerstörung von Strukturen des politischen Gegners werden mit ho-
hem Aufwand Daten von Personen recherchiert, die als „Nazis“ oder Rechtspopulisten betrachtet wer-
den. Gewonnene Erkenntnisse werden anschließend online veröffentlicht oder mit Flyer-Aktionen und
Aufzügen im unmittelbaren Umfeld dieser Personen bekannt gemacht.
Beispielhaft dafür steht das umfangreiche „Outing“ von 14 Personen Anfang November 2016, die auf
dem Chemnitzer Sonnenberg für die Errichtung eines „Nazi-Kiezes“ verantwortlich gemacht wurden.
Im Internet
38
wurden Wohnadressen, Lebenswege, Arbeitgeber und Aktivitäten von Personen publiziert,
denen die Linksextremisten einen Bezug zur rechtsextremistischen Gruppierung
rechtes PleNum
nachsag-
ten.
39
Ziel war eine Schwächung des erklärten Feindes, denn aus ihrer Sicht
„müssen (Nazis) mit allen
Mitteln
“ und „
auf allen Ebenen
“ bekämpft werden.
Dies schließt auch klandestine Aktionen
40
ein, d. h. Aktivitäten gegen vermeintliche Gegner, die teils
hohe Sachschäden nach sich ziehen und in Bekennerschreiben als notwendige „Interventionen“, Schaf-
fung „antifaschistischer Schutzräume“ oder „Abwehr staatlicher Repression“ gerechtfertigt werden. So
wurden am 22. Juni 2016 in Leipzig sechs Fahrzeuge einer Immobilienfirma in Brand gesetzt. In einem
auf linksunten.indymedia veröffentlichten Bekennerschreiben wurde diese Aktion als Solidaritätsbekun-
dung für die von der Räumung des Berliner Szeneobjektes „Rigaer 94“ Betroffenen beschrieben:
„Doch manchmal, ja selten passiert es das wir uns Freiräume schaffen, in denen wir mal nicht dem
ganzen Scheiß, den ihr Gesellschaft nennt ausgeliefert sind. Und ihr verjagt uns aus diesen Räumen,
unseren Räumen, unserer Rigaer94. Und nun ist es Nacht und wir stehen auf der Straße…“.
41
Auch Fahrzeuge der Polizei gerieten im Zusammenhang mit der Räumung des Berliner Szeneobjektes
in den Fokus Leipziger Linksextremisten. So wurden am 16. Dezember 2016 die hinteren Reifen eines
Polizeifahrzeuges, das in unmittelbarer Nähe zum Polizeiposten in der Leipziger Wiedebachpassage ab-
gestellt worden war, in Brand gesetzt. Im Bekennerschreiben berief man sich auf „antifaschistische
Selbsthilfe“ und drohte:
„Euer Gewaltmonopol soll uns wehrlos machen, doch wir ermächtigen uns selbst
und schlagen zurück. Jedes einzelne Mal. Und diese Karre war nicht die letzte, die brennen wird.“
42
Islamismus
Im Bereich des Islamismus soll das Thema „Feindbilder“ anhand der zurzeit aktivsten und bekanntesten
islamistisch-jihadistischen Terrororganisation, dem sog.
IslamIscheN staat
(IS) skizziert werden. Wie die
Anschläge in Würzburg und Ansbach im Juli 2016 sowie der verhinderte Anschlag des am 10. Oktober 2016
in Leipzig festgenommenen Jaber AL-BAKR und der Anschlag in Berlin am 19. Dezember 2016 zeigten,
37 siehe Abschnitt II.3.3.1
autoNome
in Leipzig
38 siehe Abschnitt 7. Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet
39 siehe Abschnitt II.3.3.3
autoNome
außerhalb von Leipzig und Dresden
40 siehe Glossar
41 [LE] Rigaer94!, Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 24. Juni 2016, Schreibweise wie im Original)
42 [LE] Bullenkarre ausgebrannt – Free Thunfisch, Quelle: linksunten.indymedia.org (Stand: 16. Dezember 2016)
21
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
steht Deutschland im Fokus des internationalen Jihadismus und des IS. Im Gegensatz zu Rechts- und
Linksextremisten propagiert und verbreitet der IS seine Feindbilder hauptsächlich mittels digitaler
Medien.
Über offizielle IS-Medienstellen, wie z. B. dem international ausgerichteten al-Hayat Media Center,
dem Radiosender Al-Bayan oder der IS-nahen Nachrichtenagentur A’maq News Agency, werden
mehrsprachige Video- und Audiobotschaften, Fotoreihen und Texte sowie z. T. professionell gestaltete
Onlinemagazine erstellt. Diese werden durch Unterstützer und Sympathisanten vor allem über soziale
Netzwerke weiterverbreitet. Zwei bekannte Magazine des IS sind DABIQ und RUMIYAH. Sie werden in
verschiedenen Sprachen produziert und richten sich gezielt an eine weltweite Leserschaft außerhalb der
islamischen Welt.
43
In ihren Ausgaben thematisieren sie als „Sprachrohre des IS“ u. a. die erklärten Feinde
der Terrororganisation.
❚
Schiiten und Apostaten
Ein Kapitel der 13. Ausgabe des DABIQ (2016) widmete sich z. B. den Schiiten
44
. Der IS bezeichnete die
Schiiten in dieser, wie auch in anderen Ausgaben, als
Ra
-
fidah
– „Ablehner“. Diese abwertende Bezeich-
nung wurde bereits von sunnitischen Rechtsgelehrten im Mittelalter für die Schiiten verwendet und
beinhaltete den Vorwurf, dass diese u. a. die von den Sunniten als ehrwürdig erachteten Propheten-
gefährten ablehnen. Dies wird als Beleidigung und Entehrung des Islams aufgefasst. Der IS unterstellt
verschwörungstheoretisch, die
Ra
-
fidah
habe das Ziel, den wahren Islam aus der islamischen Gemein-
schaft
(Umma)
heraus zu zerstören. Dies erfolge zum einen durch die Verbreitung von schiitischen
„Irrlehren“, wie z. B. der Ablehnung der Prophetengefährten und des sunnitischen Kalifats zugunsten
der schiitischen Imame.
Zum anderen wirft der IS den Schiiten vor, sich im Verlauf ihrer gesamten Geschichte mit den Fein-
den des Islams – d. h. Christen, Juden und Heiden – verbündet zu haben, um gegen den Islam und
die Muslime zu kooperieren. Aufgrund die-
ser Vorwürfe erklärt der IS die Schiiten unter
Benutzung des
Takfir
(Exkommunizierung) zu
Murtaddiyin,
d. h. zu Glaubensabtrünnigen. Es
wird hierbei keine Unterscheidung zwischen den
schiitischen religiösen bzw. politischen Führern
und dem schiitischen „Volk“ gemacht. Für den IS
und seine Anhänger steht fest:
„Die Ra
-
fidah sind Muschrik Apostaten, welche
überall getötet werden sollen, wo sie angetroffen
werden. Dies, bis kein Ra
-
fid
mehr auf dem Ange-
sicht der Erde wandelt.“
45
43 siehe Abschnitt 7. Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet
44 Der gesamte Abschnitt basiert auf der englischen DABIQ-Ausgabe Nr. 13, S. 32 – 45, 2016.
45 DABIQ-Ausgabe Nr. 13, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt
Religiöses Ereignis von Schiiten; Quelle: DABIQ, 13. Ausgabe,
S. 45; 2016; Übersetzung: „Die religiösen Anlässe der Ra
-fidi
sind Festlichkeiten des Kufr und der Häresie.“
Hinweis: Gesichter wurden unkenntlich gemacht.
22
Neben den Schiiten gibt es auch Sunniten, die
vom IS als Feinde betrachtet und durch eine
Takfir
zu Apostaten und Ungläubigen erklärt werden. In
der 13. Ausgabe des DABIQ wird zur Ermordung
saudi-arabischer Imame aufgerufen, da diese
sich offiziell gegen das Jihad-Verständnis des IS
gestellt hätten und damit Glaubensabtrünnige
seien.
46
In der 14. Ausgabe des DABIQ zählte der IS unter
dem Titel
„Tötet die Imame des Kufr im Westen!“
verschiedene prominente Imame und muslimi-
sche Gelehrte in Europa, Australien und USA
auf. Nach dem Islam- und Schariaverständnis
des IS haben sich diese Personen aufgrund ih-
rer religiösen oder politischen Positionierungen
der Apostasie schuldig gemacht und seien daher
mit dem Tod zu bestrafen. U. a. wird auch der be-
kannte salafistische Prediger Pierre VOGEL aufge-
führt, ein Vorkämpfer der salafistischen Szene in
Deutschland.
47
Der IS beschränkt sich mit der Praxis des
Takfir
nicht nur auf Personen. In derselben DABIQ-Aus-
gabe wird auch die gesamte islamistische
mus-
lImBruDerschaft
48
mit ihren verschiedenen Zweigen
und Filialen als „Apostaten-Bruderschaft“ dif-
famiert. Die Begründungen hierfür wiederholen
sich: Abweichung vom wahren Islam durch die
Verbreitung von Irrlehren und Zusammenarbeit
mit den Feinden des Islam, d. h. dem „Westen“
und den Schiiten.
49
In den Augen des IS sind die-
se „abgefallenen“ sunnitischen Muslime und hier
besonders die Rechtsgelehrten noch verkomme-
ner und schuldiger als die „natürlichen Ungläu-
bigen“. So sei diesen „Apostaten“ der Koran und
die wahre Sunna bekannt, folglich müssten sich
über ihren Zustand des Unglaubens
(Kufr)
im Kla-
ren sein.
50
46 vgl. DABIQ, Ausgabe 13, S. 7, 2016
47 siehe Abschnitt II.4.3 Salafistische Bestrebungen in Deutschland und in Sachsen
48 siehe Abschnitt II.4.5 Islamismus – Ausblick
49 vgl. DABIQ, Ausgabe 13, S. 28 – 43, 2016
50 vgl. DABIQ, Ausgabe 13, S. 7, 2016
Quelle: DABIQ, 13. Ausgabe, S. 6; 2016;
Übersetzung:
„Tötet die Imame des Kufr“
Quelle: DABIQ, 14. Ausgabe, S.16; 2016;
Übersetzung: „Die Apostaten Bilal Philips und Pierre Vogel“
23
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
❚
„Der Westen“
Ein weiterer Feind, der in sämtlichen Ausgaben
von DABIQ propagiert wird, sind „der Westen“
oder auch die „Kreuzfahrer“. Mit der Bezeichnung
„Kreuzfahrer“ bzw. „Kreuzfahrerarmeen“ werden
zumeist Länder tituliert, die der IS mit Krieg ge-
gen Muslime in Verbindung bringt, wie z. B. Japan,
Neuseeland oder die Philippinen
51
. Unter dem Be-
griff „Westen“ versteht diese Terrororganisation
vor allem die Kultur und Länder Europas, Nord-
amerikas und Australiens. „Westen“ und „christ-
lich“ wird in den Magazinen dabei oft synonym
verwendet. In der 15. englischen Ausgabe des
DABIQ, die unter dem Titel
„BREAK THE CROSS“
,
d. h. „Zerbrecht das Kreuz“ erschien, wurden in
einem mehrseitigen Artikel unter der Überschrift,
die übersetzt
„Warum wir euch hassen & warum
wir euch bekämpfen“
lautete, theologische sowie politische Argumente aufgeführt, um den Hass und
den Kampf gegen die „heidnischen Christen“ zu legitimieren. Hauptvorwürfe waren u. a. die christliche
Lehre der Trinität (Dreifaltigkeit) und dadurch die Leugnung der Einheit Gottes sowie die Verbreitung
verschiedenster „dekadenter“ und „atheistischer“ Lehren, wie z. B. den Säkularismus, die dem Schariaver-
ständnis des IS widersprächen. Die militärischen Interventionen in muslimischen Ländern wurden nur
als sekundärer Grund aufgeführt. Es fällt auf, dass der Begriff „Christen“ nicht differenziert betrachtet
wird. Auch Atheisten werden zu den Christen gezählt.
52
Im Gegensatz zu den zu Apostaten erklärten Muslimen, haben die Christen, die als
Kuffar asliyyin
(in
etwa „ursprüngliche Ungläubige“) und „Volk des Buches“ bezeichnet werden, die Möglichkeit, durch
Konversion einen temporären Waffenstillstand zu erreichen. Alternativ könnten sie auch durch Unter-
werfung und Zahlung der Kopfsteuer
(Jizya)
dem Tod entgehen.
❚
Juden
Dieselben Optionen hätten auch die Juden als „Volk des Buches“. Dennoch werden sie als Erzfeinde des
Islams und der Muslime wahrgenommen. Gemäß der antisemitischen Sichtweise des IS haben Juden das
Ziel, den Islam und die Muslime zu zerstören. Zu diesem Zweck würden sie sich aller erdenklichen Mittel
bedienen. Eines dieser sei z. B. die gezielte Gründung der
Rafidah
, d. h. des schiitischen Islams.
53
Die erfolgte Aufzählung der Feindbilder des IS ist bei weitem nicht vollständig. Betrachtet man die offi-
ziellen IS-Medien, so lässt sich feststellen, dass eigentlich jeder Mensch, der nicht das Islamverständnis des
IS vollumfänglich unterstützt bzw. diesem akkurat folgt, als Feind gesehen wird. In der extremen schwarz-
weißen Sicht des IS gibt es nur den wahren Islam und den zu bekämpfenden Unglauben
(Kufr)
.
51 vgl. RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 26, 2016
52 vgl. DABIQ, Ausgabe 11, S. 30 – 33, 2016
53 vgl. DABIQ, Ausgabe 13, S. 33, 2016
Quelle: DABIQ, 15. Ausgabe, 2016; Titelseite; Übersetzung:
„
Zerbrich das Kreuz“
24
❚
Sprachliche Mittel und deren Zweck
Durch das Zitieren von Koransuren, Prophetenüberlieferungen und Meinungen bzw. Aussagen einschlä-
giger, mittelalterlicher und neuzeitlicher islamischer Gelehrter wird der eigene religiöse Wahrheitsan-
spruch auch in Bezug auf die Darstellung der Feinde legitimiert. Die Autoren bedienen sich darum
auch in den englischen Texten der bekannten arabischen, islamisch-religiösen Termini und Namen
(z. B.
Murrtad
54
, Kafir asli
55
; halal
56
, Dhimma
57
, Akhirah
58
)
. Dies soll die tiefe Frömmigkeit und Gelehrsam-
keit der Autoren bzw. des IS untermauern. Die Bezeichnungen der Feinde mit mittelalterlichen, religiös
und geschichtlich negativ behafteten Namen, wie z. B.
Rafidah, Crusader (Kreuzfahrer), Rumiyya
(Rom),
werden gezielt benutzt, um die aktuellen Konflikte in einem seit der Gründung des Islams bestehenden
Kampf zwischen Islam und den „Ungläubigen“ einzubetten und damit zu rechtfertigen. Die Verwendung
dieser Benennungen in Verbindung mit abwertenden Adjektiven, wie z. B.
filthy (dreckig)
oder
sly (hinter-
hältig),
drücken zusätzlich die tiefe Verachtung gegenüber den Gegnern aus. Bei der Leserschaft sollen
hierdurch negative Emotionen und Assoziationen geschürt werden. Gleichzeitig sollen es diese Rhetorik
und Propaganda dem IS ermöglichen, sich als Beschützer des Islams, der Prophetengefährten und der
Sunniten im Allgemeinen zu stilisieren und damit wieder neue Anhänger zu gewinnen.
Wandel von Feindbildkonstruktionen
Rechtsextremismus
Besonders in den letzten Jahren ist vor dem Hintergrund der zeitweise stark an Bedeutung gewinnen-
den Asylthematik ein signifikanter Wandel in der Feindbildausrichtung von Rechtsextremisten erfolgt.
Die Ankunft zahlreicher Asylbewerber vor allem seit Mitte 2015 hat Rechtsextremisten darin bestätigt,
dass ein „großer Austausch“, mithin eine „gezielte Vermischung der Deutschen“, durch ethnisch andere
Menschen vollzogen werden solle.
In der Vorstellungswelt von Rechtsextremisten wird aktuell von hintergründigen politischen Kräften
ein geheimer Vernichtungsfeldzug gegen die Deutschen als biologische Rasse geführt. Die aus Sicht
von Rechtsextremisten wünschenswerte rassisch reine Gesellschaft soll so nach und nach gezielt ab-
geschafft werden. Schlagwörter sind hier die rechtsextremistischen Verschwörungstheorien vom „Hoo-
ton“- oder „Kalergi“-Plan.
59
Durch diese Deutung der aktuellen Geschehnisse erfolgt die Anpassung nationalsozialistischer Vorstel-
lungen an die heutige Zeit. Rechtsextremisten befinden sich in einer behaupteten Verteidigungshaltung
gegen eine imaginierte existenzielle Bedrohung, aus der sie die Berechtigung für verbale Diffamierung,
aber auch physische Gewaltanwendung gegen ihre Feinde ableiten.
54 arab. für „Glaubensabtrünniger, Apostat“
55 arab. für „natürlicher Ungläubiger“ (d. h. Person die im Unglauben geboren wurden)
56 arab. für „erlaubt“/ „zulässig“ (im Kontakt des islamischen Rechts)
57 Institution des islamischen Rechts, die den juristischen Status nichtmuslimischer „Schutzbefohlener“ Nichtmuslime regelt,
die im Herrschaftsgebiet des Islam leben.
58 arab. für „Jenseits“
59 Bei beiden „Plänen“ handelt es sich um nach Politikern des 20. Jh. Benannte Verschwörungstheorien, wonach diese Politiker
einen konkreten Plan entwickelt hätten, wie man das deutsche Volk biologisch „schwächen” könne. Diese Pläne seien bereits
nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt worden bzw. würden immer noch, z. B. durch die aktuelle Asylthematik, umgesetzt.
25
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
Die rechtsextremistische Szene versucht, ihre
Feindbilder allgemein diskursfähig zu machen. Dies
lässt sich etwa in den Redebeiträgen von Rechts-
extremisten auf asylkritischen und -feindlichen
60
Veranstaltungen feststellen. So nahmen etwa in
den Ausführungen des Rechtsextremisten Simon
RICHTER asylkritische und -feindliche Überlegun-
gen zur Rolle jüdischer Bankiers und ihrer Ma-
chenschaften immer wieder breiten Raum ein.
61
Ein ähnlicher, durch vordergründige Finanzkritik
verbrämter Antisemitismus ist auch in den Antika-
pitalismuskampagnen der JN zu finden.
Dadurch erscheinen die althergebrachten Teile der
rechtsextremistischen Szene einerseits als sich re-
aktiv wandelnd. Andererseits bewahren sie, getarnt
hinter allgemeinpolitischen Diskursen, ihre alten
Feindbilder und versuchen, diese „durchzuschleu-
sen“, bis sich wieder eine bessere Gelegenheit für
deren offene Vermittlung ergibt.
Lediglich die Entwicklungsprozesse der
IDeNtItäreN BeweguNg
und anderer vor allem aus Richtung der
Islamkritik kommender rechtsextremistischer Gruppierungen scheinen einen echten Wandel der Feind-
bilder anzuzeigen. Dort wird Antisemitismus abgelehnt und auch als Abgrenzung zur traditionellen
rechtsextremistischen Szene eingesetzt. Allerdings wird dennoch keine Abkehr von einer grundsätzlich
menschenfeindlichen Grundhaltung vollzogen. Stattdessen wird auch in diesen Bereichen immer noch
davon ausgegangen, dass sich die Konflikte mit verschiedenen Gruppen von Menschen durch die Ver-
weigerung von deren Grundrechten regeln ließen. Das neue Ziel dieser feindseligen Haltung ist nicht
mehr „der Jude“, sondern „der Muslim“ (und nicht etwa nur „der Islamist“).
Im Neonationalsozialismus und in der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene ist der
Wandel der Feindbilder durch eine Schwerpunktverschiebung weg von der direkten Konfrontation mit
Asylbewerbern hin zur Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner feststellbar. Migranten wer-
den zwar vor dem Hintergrund der rassistischen Weltanschauung von Rechtsextremisten weiterhin als
Feindbild gesehen und attackiert, allerdings sehen selbst Rechtsextremisten in der Asylthematik ein
Mittel, um in erster Linie das Feindbild „System“ anzugreifen. Dazu wollen sie eine aktive Strategie der
„Raumnahme“
62
umsetzen.
Schließlich gibt es auch bei Rechtsextremisten den Versuch, Feindbilder des politischen Gegners im
eigenen Sinne umzudefinieren. So wird versucht, dem Vorwurf ein Anhänger des historischen Natio-
nalsozialismus zu sein, dadurch zu begegnen, dass man diesen als politische Diffamierung gegen alle
60 Zur Abgrenzung der Begriffe „asylkritisch“ und „asylfeindlich“ in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.2.3 Aktivitäten von
Rechtsextremisten in der Asyldebatte – Fortsetzung des Beitrags von 2015
61 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 118
62 siehe etwa die laufenden „Nazikiez“-Kampagnen; Abschnitt II.2.5
NeoNatIoNalsozIalIsteN
Quelle: Facebook-Profil
NatIoNale froNt BautzeN
(Stand: 16. Juni 2016)
26
Deutschen auslegt. So hieß es bei der
NPD sachseN
:
„Sie reden von Nazis und meinen uns Deutsche“.
63
Rechtsextremisten setzten vor dem Hintergrund der Asylthematik die Bemühungen um einen Schulter-
schluss mit nicht extremistischen Kreisen in der Gesellschaft weiter fort. Ihr Mittel ist die Postulierung
einer gemeinsamen Opferrolle von sämtlichen Kritikern der aktuellen Asyl- und Flüchtlingspolitik.
Linksextremismus
Feindbilder der linksextremistischen Szene sind stark von aktuellen politischen Entwicklungen und
strategischen Überlegungen geprägt. Dies lässt sich beispielhaft an der wachsenden Bedeutung der
Asylthematik seit 2015 erkennen, die nach Ansicht der linksextremistischen Szene sowohl einen „struk-
turellen Rassismus“ staatlicher Institutionen als auch einen „rassistischen Konsens“ der Bevölkerung
offengelegt hat.
So hätten „reaktionäre“ Zusammenhänge in dieser politischen Situation einen Aufschwung erfahren,
der das emanzipative Projekt einer vielfältigen und selbstbestimmten Gesellschaft massiv bedrohe.
Im Gleichklang damit haben sich auch Feindbilder der linksextremistischen Szene verändert und er-
weitert. Zu den Trägern eines reaktionären Aufschwunges gehören nach Ansicht linksextremistischer
Gruppen nicht nur „Neonazis, SchweigemärschlerInnen, GIDA-BefürworterInnen, Verschwörungs-
theoretikerInnen“, sondern auch Mitglieder bürgerlicher Parteien. Diese seien mitverantwortlich für
das europäische Grenzsicherungssystem oder für eine deutsche Austeritätspolitik, die südeuropä-
ische Staaten „ausbluten“ lasse.
In der Folge war es durchaus umstritten, wie die vorhandenen Kräfte eingesetzt werden sollten: Würde
man vor allem aktionistisch gegen rechtsextremistische Übergriffe kämpfen? Blockierte man eher
die Aufzüge der verschiedenen „GIDAs“ im Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft? Auch fragte
man sich, ob die „sächsischen Verhältnisse“ eines gesellschaftlichen Rechtsrucks im Zentrum stehen
sollten. Angesichts des ungünstigen Kräfteverhältnisses und wegen gemeinsamer Feindbilder hat sich
die taktisch-bündnispolitische Strategie der linksextremistischen Szene verstärkt.
63 vgl. Facebook
NPD sachseN
(Stand: 31. Juli 2016)
Komitee gegen Grenzen: [LE] Fight Dublin IV,
Quelle: https://linksunten.indymedia.org
(Stand: 24. November 2016)
[Leipzig] Social Center for all in der Platostraße besetzt ++
Jetzt Druck machen, Quelle: https://de.squat.net
(Stand: 5. März 2016)
27
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
Grundsätzlich wurde das Themenfeld Asylpolitik als geeignet betrachtet, um den Kampf gegen Rechts-
extremismus und Rassismus mit vielfältigen Aktionsfeldern und Gruppierungen zu verknüpfen. So sieht
sich die Initiative zur Gründung eines „Social Center for all“ in Leipzig als eine Bewegung, die Antirassis-
mus mit Gentrifizierungsprozessen verbinde und offen für die Beteiligung unterschiedlicher Akteure sei.
Unter Beteiligung von Linksextremisten kam es zur zeitweiligen Besetzung eines Objektes vom 5. bis
zum 7. März in Leipzig durch ein Bündnis verschiedener Gruppen. Aus Sicht der Besetzer sollten Asyl-
bewerber einerseits menschenwürdig untergebracht und andererseits dem staatlichen Asylsystem ent-
zogen werden. Menschen mit und ohne Papiere dürften demnach nicht länger getrennt werden und
„Frauen, Homosexuellen, Trans*menschen“ sowie Kindern sollte ein sicherer Ort der Entfaltung geboten
werden. „Solidarisches Miteinander“ begründete sich auch in diesem Fall in der Frontstellung gegenüber
staatlicher Asylpolitik und „Behördenwillkür“ sowie „rechten Brandstifter*innen“.
64
Bündnispolitisches Handeln von extremistischen und nicht extremistischen Gruppen ließ sich auch in
den Themenfeldern Umweltschutz und Anti-Kapitalismus feststellen. Bei den Aktionskampagnen „Ende
Gelände“ oder gegen die Freihandelsabkommen „CETA“ und „TTIP“ gab es zahlreiche Überschneidungen
mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in der Ablehnung des Zusammenhangs von Kapitalismus, Freihan-
del, Klimawandel und Kohle.
Im Jahr 2016 wurden jedoch auch Gewissheiten auf die Probe gestellt. So forderten u. a. die Ereignisse
in der Kölner Silvesternacht 2015/16 dazu heraus, feministische Positionen sowie das eigene Verhältnis
zum politischen Islam zu hinterfragen. Der eingeübte Schulterschluss mit Migranten kollidierte mit dem
Anspruch, gegen patriarchale Machtstrukturen zu kämpfen. Für viele Linksextremisten stellt sich die
Frage, wie man solidarisch mit Asylbewerbern überwiegend muslimischen Glaubens sein und dennoch
sexistische Übergriffe oder das Erstarken religiös befeuerter Konflikte problematisieren könne.
„Es ist bizarr, aber wenig verwunderlich, dass Pegida, AfD, Antifeminist*innen und allerlei Personen,
die sich noch nie für Frauen*rechte interessiert haben, nun plötzlich als Beschützer*innen von „deut-
schen, weißen Frauen“ auftreten. Die Körper der angegriffenen Frauen* werden instrumentalisiert,
um eine rassistische Stimmungsmache gegen Geflüchtete und insbesondere muslimische Migranten
zu betreiben.“
65
Das etablierte Feindbild des „weiße(n) Mehrheitssexismus“ wurde hier noch mit dem Verweis auf eine
rassistische Instrumentalisierung feministischer Kämpfe durch „reaktionäre“ Kräfte begründet. Doch
zeigte sich im Jahresverlauf, dass diese Betrachtungsweise der komplexen Problematik nicht gerecht
wurde.
So musste sich zum Beispiel das Plenum des Leipziger „Conne Island“ Anfang Oktober fragen, wie man
mit geflüchteten jungen Männern umgeht, die sich nicht an die gemeinsam verabredeten Regeln der
Feierkultur hielten und weibliche Besucher belästigt hätten.
66
Trotz der Angst vor Rassismusvorwür-
fen hielt man eine Diskussion innerhalb der Linken für unumgänglich und wollte die Deutungshoheit
nicht länger den Rechtspopulisten überlassen. Der Islam sei nach Auffassung der Redaktion von
„outside the box“
67
schließlich keine „Rasse“, sondern eine Religion und
„Religionen müssen kritisiert
64 Social Center for all! Leipzig: Die Häuser denen, die sie brauchen! socialcenter-leipzig.de/aufruf/deutsch
(Stand: 24. November 2016)
65 PRISMA: Gemeinsam kämpfen! Feministisch! Antirassistisch! Solidarisch!, prisma.blogsport.de (Stand: 16. Februar 2016)
66 Conne Island: Ein Schritt vor, zwei zurück,
(Stand: 7. Oktober 2016)
67
Redaktion outside the box: Was soll das? Gegen den Kurzschluss zwischen Islamkritik und Rassismus, outside-mag.de/papers/64
(Stand: Dezember 2015). „outside the box“ ist eine 2008 in Leipzig gegründete Zeitschrift, die vorzugsweise Artikel zur
feministischen Gesellschaftskritik veröffentlicht.
28
werden können, zumal dann, wenn es sich um eine derart wirkmächtige politische Kraft handelt“
. Die
Reaktionen auf das veröffentlichte Positionspapier des „Conne Island“ waren entsprechend gespalten
und reichten von Anerkennung bis hin zu dem Vorwurf, in dieser Situation auch auf die Hilfe der Poli-
zei zurückgegriffen zu haben. So äußerte sich ein anonymer Kommentator auf linksunten.indymedia:
„Wie kommt mensche auf die Idee die Bullen zu rufen? Erst verteidigt ihr das Viertel gegen Bullen und jetzt
ruft ihr die selber? Geht’s noch? Und dann auch noch für Flüchtlinge, da muss ich meinen Vorschreiber
recht geben, ihr seid Mitschuld an einer möglichen Abschiebung.“
68
Islamismus am Beispiel des
IslamIschen staates
Wie bereits aufgezeigt, erklärt der
IslamIsche staat
(IS) jeden Menschen zu einem „Ungläubigen“, der nicht
seinem Islamverständnis folgt. Je nach religiöser Einordnung, z. B. als
Murtadd
(Glaubensabtrünniger)
oder
Kafir asli
69
, bzw. dem politischen Verhältnis zum IS, hat dies schwerwiegende Folgen. Auf dem
Gebiet des IS reichen diese von Versklavung über die Zahlung von Kopfsteuer bis zu Hinrichtungen. Alle
„Ungläubigen“, d. h. nicht dem Islamverständnis des IS folgende Menschen, die sich im „Haus des Un-
glaubens“
(Dar al-kufr)
aufhalten würden (d. h. in keinem Bundverhältnis zum IS stehen), dürften, wenn
erforderlich, z. B. durch Terroranschläge, getötet werden. Dies gelte auch für die Frauen und Kinder der
„Ungläubigen“, wobei eine Versklavung hier – falls möglich – vorzuziehen sei.
70
Dieser aktuell propagierte und umgesetzte Umgang mit Feinden wurde bereits bei den Vorgänger-
organisationen des IS, wie z. B. der
al-QaIDa IN mesoPotamIeN (aQm)
durchgeführt. So kam es etwa
schon 2006 zu einem Konflikt zwischen der damaligen
al-QaIDa
Führung und der vom Jordanier Abu
Musab AZ-ZARQAWI geführten Filiale AQM. Diese fokussierte im Irak ihre Terroranschläge aber auch
Hinrichtungen gezielt auf die „nahen Feinde“, d. h. auf Schiiten und z. B. auch auf mit diesen verbündete
Sunniten. Ziel war die Entfesselung eines Religionskriegs. Die Mutterorganisation hingegen bevorzugte
und befürwortete Angriffe auf US-Ziele. Das grausame Vorgehen gegenüber Schiiten und sunnitischen
„Apostaten“ des AQM bzw. der Nachfolgeorganisationen, wie ISIS, war einer der vielen Gründe, warum
der
al-QaIDa
-Führer ZAWIHIRI im Februar 2014 öffentlich der – damals noch als ISIS bezeichneten –
Organisation unter Abu Bakr AL-BAGHDADI den Treueeid auf
al-QaIDa
aufkündigte.
71
Durch militärische Erfolge kam es in den Jahren 2014 bis 2016 zu einer raschen, territorialen Ausdeh-
nung des im Juni 2014 ausgerufenen
IslamIscheN staates
und damit auch zeitlich wie räumlich zu der
entsprechenden operativen Umsetzung ihrer Ideologie. Waren vor Gründung des Kalifats vor allem
Schiiten im Irak direkt von Terror und Gewalt erfasst, so waren nun auch kurdische Gruppierungen,
Jesiden, irakische Christen, sunnitische „Abtrünnige“ auch in Syrien und verstärkt auch der „Westen“
bzw. die „Kreuzfahrer“ betroffen. In den eroberten Gebieten wurde soweit möglich das Scharia-Ver-
ständnis des IS implementiert. Für gefangengenommene „Apostaten“ bedeutete dies die Todesstrafe,
für Frauen und Kinder von Jesiden z. B. die Versklavung. Im Gebiet außerhalb des Machtbereichs des
„Kalifats“ ist die Tötung von „Ungläubigen“ zumindest geduldet oder sogar explizit erlaubt.
68 Anonym: @ Liebe Leute, Kommentar zu: Conne Island: [LE] Ein Schritt vor, zwei zurück, https://linksunten.indymedia.org
(Stand: 11. Oktober 2016, Schreibweise wie im Original)
69 arab. für „natürlicher Ungläubige“ (d. h. Person die im Unglauben geboren wurden)
70 vgl. RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 35, 2016
71
(Stand: 28. November 2016)
29
HASSOBJEKTE - FEINDBILDKONSTRUKTIONEN VON ExTREMISTEN
In der ersten Ausgabe von RUMIYAH lautete eine
Überschrift
„Das Blut des Kafirs ist halal für dich,
darum vergieße es“.
Der IS macht zusammenfassend mit dem folgen-
den Zitat seine menschenverachtende Ideologie
deutlich:
„Muslime die sich gegenwärtig im Dar al-Kufr
aufhalten, müssen daran erinnert werden, dass
das Blut der Ungläubigen halal ist und ihre Tötung
eine Form der Verehrung Allahs (…). Die schließt
den Geschäftsmann ein, der in einem Taxi zur Ar-
beit fährt, junge Erwachsene (…) die sich im Park
sportlich betätigen sowie den alten Mann, der in einer Schlange steht um ein Sandwich zu kaufen.
Sogar das Blut des Kafir – Blumenhändlers auf der Straße darf halal vergossen werden (…). Alle Kuffar,
die nicht unter einem Dhimma-Vertrag stehen, sind legitime Ziele.”
72
Fazit und Ausblick
Insbesondere das Bild des vom IS willkürlich aus-
gewählten Blumenhändlers steht exemplarisch
für das Trennende und das Gemeinsame in den
Feindbildern von Extremisten. Zum einen zeigt
sich hier als verbindendes Element die absolute
Schrankenlosigkeit extremistischer Feindbilder.
Allen Extremismen sind letztlich Grundhaltungen
eigen, die sich im Zweifel gegen jeden richten, der
nicht in ihr Weltbild passt. Auch vor schweren
Gewaltstraftaten wird nicht zurückgeschreckt.
Dass der Blumenhändler Enver S¸ims¸ek durch den
NSU ermordet wurde, nur weil er einen Migrati-
onshintergrund hatte, und dass der IS nun seinerseits Blumenhändler als ernstzunehmende Feinde aus-
erkoren hat, macht das Absurde und Erschreckende extremistischer Feindbilder deutlich.
Allen extremistischen Phänomenbereichen ist eine zunehmende Ausdehnung der Feindbilder gemein-
sam. Während Rechts- und Linksextremisten sich zur Asylthematik positionieren mussten, richteten
sie den Blick auf immer größere Zusammenhänge. Ging es zunächst nur konkret um Migranten, zielen
Rechtsextremisten inzwischen wieder vor allem auf das „System“ als solches. Auch Linksextremisten
nutzen die Asylpolitik, um gegen den „repressiven“ Staat, einen „nationalistischen Konsens“ und „ras-
sistische“ Strukturen in der Gesellschaft zu polemisieren. Nicht nur der „Nazi“ wird als Feind betrachtet.
Vielmehr sei generell ein „Rechtsruck“ erfolgt. Daher müssten breitere Teile der Bevölkerung und des
politischen Systems bekämpft werden. Ganz ähnlich sieht sich auch der IS von übermächtigen Gegnern
in einem messianischen globalen Krieg konfrontiert.
72 vgl. RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 36, 2016
Quelle: RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 37, 2016;
Übersetzung: „…sogar das Blut des fröhlichen
Kreuzfahrer-Bürgers, der Blumen an Passanten verkauft“.
Hinweis: Gesicht unkenntlich gemacht.
Quelle: RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 34, 2016; Übersetzung:
„Das Blut des Kafirs ist halal für dich, darum vergieße es.“
30
Unterschiede gibt es vor allem im strategischen Vorgehen bei der Bekämpfung der jeweiligen Feinde.
Rechtsextremisten orientieren sich eher an der konkreten Konfrontation mit ihren Feinden. Dies gilt
unabhängig davon, ob es sich dabei um Asylbewerber oder politische Gegner handelt.
Linksextremisten richten ihr Vorgehen mit Blick auf die jeweiligen Machtverhältnisse aus. Sie verfolgen
daher oft eine doppelte Strategie: Einerseits wird bürgerliches Engagement gegen Rechtsextremismus
genutzt und man bringt sich in entsprechende Bündnisse ein. Andererseits wird mit Gewalt die direkte
Konfrontation mit einzelnen Rechtsextremisten und rechtsextremistischen Gruppierungen gesucht.
Der IS hingegen hat vor allem den Umfang der zu bekämpfenden Feinde vor dem Hintergrund seiner
territorialen Expansion ausgeweitet. Entsprechend seiner extremistischen Grundhaltung war die ent-
standene Verantwortlichkeit für zahlreiche Menschengruppen, die er zu seinen Feinden zählt, wiederum
kein Anlass, die Umsetzung der eigenen Ideologie der Realität anzupassen. Stattdessen wurden immer
grausamere Mittel zur Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung angewandt. Dies erfasste schließlich
auch Gruppen und Personen, die von ihrer Grundhaltung als Verbündete des IS betrachtet werden kön-
nen, wie z. B. andere aktive jihadistische Terrorgruppen.
Mit solchen Zielkonflikten sind jedoch auch Rechts- und Linksextremismus konfrontiert. Bei Linksext-
remisten kollidieren etwa – wie bereits dargestellt – eigene Ansichten und Wertvorstellungen mit je-
nen von Migranten. Rechtsextremisten hingegen gelingt es zwar, ihre Feindbilder auch in nicht extre-
mistische Diskurse einzubringen, sie schaffen es aber kaum, den im neonationalsozialistischen und im
subkulturell geprägten Spektrum vorhandenen Wunsch nach direkter Konfrontation in eine politisch
langfristige und erfolgversprechende Strategie umzumünzen.
Die weitere Entwicklung ist hier vom konkreten Ereignisverlauf abhängig. Weitere islamistische Anschlä-
ge in Deutschland dürften vor allem die muslimfeindlichen Agitationen und Aktivitäten von Rechtsex-
tremisten erhöhen. Ebenso sind zunehmende Konfrontationsspiralen zwischen Rechts- und Linksextre-
misten vor dem Hintergrund der asylbezogenen Aktivitäten beider Szenen zu erwarten. Dies dürfte mit
einer Verschärfung des Feindbildes des politischen Gegners einhergehen. Im Rechtsextremismus werden
vermutlich parteigebundene bzw. dogmatische Akteure vor allem das Feindbild „System“ weiterhin pfle-
gen und das politische Tagesgeschehen in diesem Sinne deuten. Im Linksextremismus werden dies vor
allem autonome und postautonome Gruppen aktiv vorantreiben. Dies wiederum wird der militanten
rechts- und linksextremistischen Szene als Rechtfertigung für konkrete Angriffe dienen.
Im Islamismus wird die Entwicklung des IS den weiteren Umgang mit den Feindbildern bestimmen. Bei
voranschreitendem militärischem Niedergang werden vermutlich wieder eher die „Kreuzfahrer“ und
der „Westen“ als Ziele in den Vordergrund treten, während das Verhältnis zu anderen Muslimen an Be-
deutung verlieren wird. Ähnlich wie der Antisemitismus im Rechtsextremismus werden allerdings auch
diese Feindbilder des IS mit dem Verlust an Aktualität nicht aufgegeben, sondern lediglich zurückgestellt
werden.
Diese aggressive menschenverachtende Grundhaltung aller Extremisten bringt letztlich eine bemer-
kenswerte Stabilität der Feindbilder unabhängig von der konkreten Ausrichtung mit sich. Sie variieren je
nach den konkreten Verhältnissen lediglich in Bezug auf ihre Ausgestaltung, Schwerpunktsetzung und
Umsetzungsstrategie. Es ist diese Grundhaltung, die dazu führt, dass Extremisten stets Feinde bekämp-
fen wollen.
31
RECHTSExTREMISMUS
2. Rechtsextremismus
2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen
Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Auch wenn es innerhalb
des Rechtsextremismus verschiedene ideologische Strömungen und Erscheinungsformen gibt, die nicht
selten sogar im Widerspruch zueinander stehen, stimmen Rechtsextremisten in folgenden Themenfel-
dern grundsätzlich überein:
❚
Rassisch definierte „Volksgemeinschaft“ als Souverän zu Lasten
der Freiheitsrechte des Einzelnen
Der Staat soll organisatorischer Ausdruck einer ethnisch-rassisch homogenen „Volksgemeinschaft“
sein. Der vermeintlich einheitliche Wille des Volkes soll dabei von staatlichen Führern verkörpert
und in reale Politik umgesetzt werden („Völkischer Kollektivismus“). In einem durch den homogenen
„Volkswillen“ legitimierten Staat würden damit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen de-
mokratischen Grundordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt durch Wahlen auszuüben,
oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition, fehlen.
❚
Fremdenfeindlichkeit, auch in Form von Rassismus und Antisemitismus
Nach der Vorstellung von Rechtsextremisten soll das deutsche Volk vor der Integration „rassisch
minderwertiger Ausländer“ und vor einer „Völkervermischung“ bewahrt werden. Es wird befürchtet,
dass die „Rasse“ des deutschen Volkes infolge einer „Durchmischung mit fremdem Blut“ untergehen
würde.
Die pauschale Ausgrenzung von Menschen, die nicht diesem völkischen „Ideal“ entsprechen, wider-
spricht dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, welcher in unserer Verfassung
garantiert ist. Die Würde des Menschen, die bedingungs- und voraussetzungslos jedem Menschen
eigen ist, wäre von der biologisch-genetisch definierten Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft
abhängig.
Antisemitismus ist ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Strömungen. Er tritt in unter-
schiedlichen Varianten religiöser, kultureller sowie rassistischer Ausprägung auf. Häufig werden
dabei antisemitische Stereotype, wie die Behauptung einer „jüdischen Weltverschwörung“ oder einer
angeblich jüdisch dominierten Weltwirtschaft, verbreitet. Diese Ausprägung des Antisemitismus
wird vor allem vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 stärker hervorgehoben.
Rechtsextremisten suchen dadurch Anschluss, insbesondere an israelkritische Positionen, im Rahmen
des Nahostkonfliktes.
In der jüngsten Vergangenheit haben sich Rechtsextremisten auch anderer ausgrenzender Argu-
mentationslinien bedient. So sprachen sie Muslimen auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit Rechte
ab, die in den Freiheits- und Gleichheitsversprechen der Verfassung verbürgt sind. Zur Tarnung ihrer
rassistischen Argumentationsweise wird diese nach außen hin als Ablehnung der fremden „Kultur“
und nicht etwa der konkreten Menschen dargestellt.
32
❚
Revisionismus und Holocaustleugnung
Unter rechtsextremistischem Geschichtsrevisionismus versteht man die Leugnung oder Verharm-
losung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Verantwortung für den Ausbruch
des Zweiten Weltkriegs. Auch wird versucht, den Holocaust und andere Verbrechen der National-
sozialisten, insbesondere durch eine Gleichsetzung mit Handlungen der Siegermächte des Zweiten
Weltkriegs, zu relativieren. Die Leugnung des an den europäischen Juden begangenen Völkermords
erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung.
Von extremistisch motiviertem Gebietsrevisionismus ist die Rede, wenn Rechtsextremisten die
Anerkennung der deutschen Gebietsverluste als Folge der Weltkriege ablehnen oder sogar weitere
Gebiete – entgegen den vertraglichen Verpflichtungen, die Deutschland seit 1918 beziehungs-
weise seit 1945 eingegangen ist – für Deutschland beanspruchen.
Revisionistische Positionen bilden ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen rechtsex-
tremistischen Strömungen.
❚
Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus
Durch ihre Äußerungen zeigen Rechtsextremisten häufig – zumindest mittelbar – eine wohlwollende
Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Vermeintlich positiv zu bewertende Handlungen der
historischen Nationalsozialisten werden überbetont oder beschönigt. Widerstandskämpfer gegen
das NS-Regime werden diffamiert. Auch glorifizieren Rechtsextremisten nationalsozialistische Funk-
tionsträger aus jener Zeit, z. B. Rudolf Heß, den ehemaligen Stellvertreter Adolf Hitlers. Darüber
hinaus lehnen sie sich zum Teil eng an Sprache und Programmatik dieser Zeit an.
❚
Verächtlichmachen von Verantwortungsträgern und Institutionen des demokratischen
Verfassungsstaates
Unter Rechtsextremisten kommt es vielfach zu einer Verunglimpfung des demokratischen Verfas-
sungsstaats und seiner Repräsentanten. Deutsche Politiker werden dabei als per se unfähige und
korrupte Handlanger ausländischer, insbesondere US-amerikanischer Interessen, diffamiert. Rechts-
extremisten streben auf diese Weise an, sich als alleinige Wahrer der Interessen des deutschen Volkes
darzustellen und den politischen Gegner als Verräter zu diskreditieren.
❚
Rechtsextremistischer Antiamerikanismus
In der antiliberalen und antipluralistischen Weltsicht der Rechtsextremisten verkörpern die USA in
besonderem Maße ein Feindbild. Der „amerikanische Schmelztiegel“, der viele Volksgruppen in einer
Nation umfasst, steht für Rechtsextremisten in offenem Widerspruch zum Konzept einer homo-
genen „rassisch“ definierten Volksgemeinschaft, die das Zusammenleben in einem Staat prägen soll.
33
RECHTSExTREMISMUS
2.2 Personenpotenzial
Das rechtsextremistische Personenpotential in Sachsen stagniert im Vergleich zum vergangenen Jahr
auf weiterhin hohem Niveau. So gehörten den Personenzusammenschlüssen auch im Jahr 2016 etwa
2.700 aktive Rechtsextremisten an.
Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen
2016: ca. 2.700
2015: ca. 2.700 (bundesweit 2015: 22.600)
73
Ursächlich hierfür sind Entwicklungen in den verschiedenen Spektren der rechtsextremistischen Szene:
Zum einen hat sich der Niedergang der
nationaldemokRatischen PaRtei deutschlands (nPd)
weiter fortge-
setzt. Hier kam es zum vollständigen Erliegen der Aktivitäten einiger Kreisverbände. So stellten teilweise
auch bisher aktive Mitglieder ihre politischen Tätigkeiten für die NPD ein. Die NPD-Führung vermochte
im Jahr 2016 keine politischen Akzente mehr zu setzen. Kaum aktive Strukturen und innerparteiliche
Differenzen bewirkten einen massiven Mitgliederrückgang. Das Mitgliederpotenzial wird gegen Ende
2016 auf ca. 420 Mitglieder geschätzt. Dies entspricht einem Verlust von fast einem Drittel der Mit-
glieder.
Eine ähnliche Entwicklung war auch bei den
Jungen nationaldemokRaten (Jn)
, der Jugendorganisation
der NPD, zu verzeichnen. Dort ging das Personenpotenzial von 110 im Jahr 2015 auf 85 Personen im
Berichtsjahr zurück. Obwohl die JN in den vergangenen Jahren wesentliche, vor allem aktionsorientierte
Teile der neonationalsozialistischen Szene aufnehmen konnten, hat sich daraus keine langfristige Dy-
namik entwickelt. Stattdessen sind Teile dieses Personenkreises mittlerweile wieder auf der Suche nach
neuen politisch-extremistischen Organisationsformen, welche ihrer neonationalsozialistischen Haltung
eher entsprechen und ihrem Bedürfnis nach politischer Aktivität entgegenkommen.
73 Die angegebenen Werte sind teilweise geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in
den Zahlenangaben erfassten Personen Einzelerkenntnisse vor. Die Gesamtzahl ergibt sich rechnerisch unter Abzug von hier
bekannten Doppelmitgliedschaften.
2800
2750
2700
2650
2600
2550
2500
2450
2400
2350
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2700
2670
2600
2500
2500
2500
2700 2700
34
Die Mitgliederzahl der
Partei
deR dRitte weg
erhöhte sich um 20 auf nunmehr 60 Mitglieder. Bislang
hatte die Partei pseudo-elitäre Anforderungen für eine Mitgliederaufnahme aufgestellt. Des Weiteren
sind im Umfeld der Partei zahlreiche „Fördermitglieder“ und sonstige Interessenten und Sympathisanten
aus dem parteiungebundenen Spektrum zu berücksichtigen.
Die Mitgliederzahl der
Partei
die Rechte
hingegen stagniert in Sachsen bei 30 Personen.
Nach den Verlusten der vergangenen zwei Jahre hat sich das Personenpotenzial in der
neonationalso-
zialistischen Szene
von 340 auf 520 Personen wieder deutlich erhöht.
Zu diesem deutlichen Anstieg führten das erwähnte Umfeld der Partei
Der DrItte weg
sowie eine wieder
deutlich zunehmende Eigendynamik der Szene: Zwar hatten sich die bestehenden neonationalsozialisti-
schen Strukturen in den vergangenen Jahren überwiegend aufgelöst, woraufhin die
NeoNatIoNalsozIalIsteN
in den subkulturell geprägten und parteigebundenen Rechtsextremismus abwanderten. Nachdem sich
jedoch im Berichtsjahr neue neonationalsozialistische Strukturen gebildet hatten, wurden bereits be-
kannte Rechtsextremisten oft wieder im Sinne dieser Ideologie aktiv.
Aufgrund von Radikalisierungsprozessen an der Grenze zwischen asylkritischen und asylfeindlichen
Protestbewegungen
74
sind einige Organisationen mit eindeutigen rechtsextremistischen Bezügen ent-
standen, die ebenfalls der neonationalsozialistischen Szene zuzurechnen sind.
Mit der abnehmenden Bedeutung der Asylthematik ging die Anzahl der
subkulturell geprägten Rechts-
extremisten
zurück. Zwar war hier ein Zuwachs von ehemals parteigebundenen Rechtsextremisten zu ver-
zeichnen. Der Rückgang der Anhänger ist jedoch insbesondere auf die sinkende Tendenz bei den politisch
motivierten Straftaten zurückzuführen. Weiterhin gab es auch keinen Aufschwung in anderen Bereichen
der subkulturell geprägten Szene, wie etwa der Vertriebs- und Konzertszene. Insgesamt stagnierte die
Anhängerzahl mit leicht abnehmender Tendenz bei 1.550 Personen (2015: 1.600 Personen).
Im Berichtsjahr wurde auch die
identitäRe bewegung
, die mit mehreren Ortsgruppen in Sachsen vertreten
ist, zu einem Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Sie ist sowohl hinsichtlich ihres Personen-
potenzials als auch in ihrer ideologischen Ausrichtung nicht den herkömmlichen rechtsextremistischen
Strukturen zuzuordnen. Sie ist Ausdruck von Wandlungsprozessen im Rechtsextremismus. Aufgrund der
Neuausrichtung von Feindbildern und der Modernisierung von Aktionsformen kristallisieren sich neue
dem Rechtsextremismus zuzuordnenden Gruppierungen heraus.
75
Das
gewaltorientierte rechtsextremistische Personenpotenzial
76
im Freistaat Sachsen wird für das
Jahr 2016 auf ca. 1.250 Personen beziffert (2015: 1.300 Personen). Es liegt im Vergleich zum Vorjahr
etwas niedriger, verbleibt aber weiterhin auf hohem Niveau.
Die Großstädte stellen weiterhin regionale Schwerpunkte des rechtsextremistischen Personenpotenzials
dar. Jedoch hat sich eine Ausdifferenzierung ergeben: Während das Personenpotenzial im Berichtsjahr
74 Zur Abgrenzung siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhangmit der Asylthematik
75 siehe Abschnitt II.2.11
IDeNtItäre BeweguNg
76 Hierzu zählen Tatverdächtige rechtsextremistischer Gewaltstraftaten und Personen, bei denen Anhaltspunkte für eine
Gewaltbereitschaft vorliegen.
35
RECHTSExTREMISMUS
im Großraum Leipzig gesunken ist, war vor allem in Chemnitz eine Zunahme zu verzeichnen. Dresden
hingegen verharrte auf hohem Niveau, strahlte dabei auch auf den Landkreis Sächsische Schweiz-Os-
terzgebirge aus und führte dort zu einem Anstieg des Personenpotenzials. Die Aktivitäten der Partei
Der
D
rItte weg
haben insbesondere im Vogtland zu einem Anstieg des dortigen Personenpotenzials geführt.
Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten
in absoluten Zahlen
Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten
im Verhältnis 1:10.000 Einwohnern
36
77 einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD (geschätzt)
78 einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD (geschätzt)
79 Diese Zahl umfasst lediglich die Mitglieder der Partei DER DRITTE WEG. Die Partei verfügt jedoch darüber hinaus über ein
großes Sympathisantenumfeld aus dem parteiungebundenen Rechtsextremismus.
Rechtsextremistische
Parteien
2016: ca. 565
2015: ca. 780
NatIoNalDemokratIsche
ParteI DeutschlaNDs
(NPD)
2016: ca. 420
2015: ca. 600
JuNge NatIoNalDemokrateN
(JN)
2016: 85
77
2015: 110
78
DIe rechte
(Landesverband
Sachsen)
2016:
ca.
30
2015:
ca. 30
Der DrItte weg,
„Stützpunkte Vogtland
und Mittelland“
2016: ca. 60
79
2015: ca. 40
neonationalsozialisten
2016: ca. 520
2015: ca. 340
Subkulturell
geprägte
Rechtsextremisten
2016: ca. 1550
2015: ca. 1600
Sonstige
rechtsextremistische
Gruppierungen
2016: 60
IDeNtItäre BeweguNg
(Ortsgruppen
in Sachsen)
2016: ca.
40
37
RECHTSExTREMISMUS
2.3
Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang
mit der Asylthematik – Fortsetzung des Beitrages von 2015
Zahlenmäßiger Überblick und allgemeine Lage
Nach dem die Asylbewerberzahlen – nach einer Hochphase im Herbst 2015 – wieder gesunken waren,
nahm die Bedeutung der Asylthematik auch für die rechtsextremistischen Akteure im Berichtsjahr
wieder ab. Sie passten daraufhin ihre Strategien entsprechend an:
Anmerkung zur Begriffsverwendung:
Zur Abgrenzung von extremistischen und nicht extremistischen Veranstaltungen und Aktivitäten
mit Asylbezug werden in diesem Bericht die folgenden Begriffe verwendet:
- Asylkritisch
bezeichnet eine nicht extremistische, asylbezogene Veranstaltung oder sonstige
Aktivität. Eine Veranstaltung bleibt auch dann asylkritisch, wenn Rechtsextremisten daran teil-
nehmen, aber weder die Organisation noch der Gesamtcharakter der Veranstaltung als rechts-
extremistisch einzuschätzen sind.
- Asylbezogene Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten
rechtsextremistischen Bezügen
In diesen Bericht fließen zur Asylthematik nur Veranstaltungen ein, bei denen es Bezüge zu
rechtsextremistischen Bestrebungen gibt. Hierbei werden auch asylkritische Veranstaltungen
statistisch erfasst, sofern diese erkennbare und relevante rechtsextremistische Bezüge aufwei-
sen. Dabei handelt es sich um solche Veranstaltungen, die zwar nicht von Rechtsextremisten
organisiert oder bestimmt wurden, auf denen Rechtsextremisten jedoch in relevantem Maße in
Erscheinung traten. Dies kann etwa durch einen rechtsextremistischen Redner oder auch eine
Mitwirkung von einzelnen Rechtsextremisten an der Durchführung der Veranstaltung geschehen
sein.
- Asylfeindlich
sind hingegen Veranstaltungen oder Aktivitäten mit Asylbezug, die direkt oder
indirekt, ausschließlich oder mit überwiegender Beteiligung von Rechtsextremisten durchgeführt
werden.
38
Entwicklung der asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten
rechtsextremistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2016
Die Anzahl der asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen
Bezügen ging im Laufe des Jahres 2016 kontinuierlich zurück. Wurden im Januar noch 17 Veranstaltun-
gen registriert, war es im Dezember lediglich eine. Selbst das Geschehen um die erfolgten oder verhin-
derten islamistischen Anschläge trug nicht zu einer Änderung bei.
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
Jan 16
Feb 16
Mrz 16
Apr 16
Mai 16
Jun 16
Jul 16
Aug 16
Sept 16
Okt 16
Nov 16
Dez 16
Anzahl der
Veranstaltungen
Asylfeindliche
Veranstaltungen
Asylkritische
Veranstaltungen
Asylbezogene Veranstaltungen mit
erkennbaren und relevanten
rechtsextremistischen Bezügen
39
RECHTSExTREMISMUS
Entwicklung der Teilnehmerzahlen bei asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren
und relevanten rechtsextremistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2016
Die Teilnehmerzahlen entwickelten sich im Wesentlichen analog zu den Veranstaltungszahlen. Eine
Ausnahme bildet der Oktober, in dem einmalig eine PEGIDA-Veranstaltung mit rechtsextremistischen
Bezügen stattfand, an der 5.000 Personen teilnahmen.
80
Entwicklung der Teilnehmerzahlen bei asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren
und relevanten rechtsextremistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2016
80 PEGIDA Dresden stellt derzeit kein Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder des Landesamtes
für Verfassungsschutz Sachsen dar, da in der Gesamtschau keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine
verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen.
7000
6000
5000
4000
3000
2000
1000
0
Jan 16
Feb 16
Mrz 16
Apr 16
Mai 16
Jun 16
Jul 16
Aug 16
Sept 16
Okt 16
Nov 16
Dez 16
Veranstaltungsteilnehmer
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
8000
7000
6000
5000
4000
3000
2000
1000
0
Bautzen
Chemnitz
Dresden
Erzgebirgskreis
Görlitz
Leipzig (Stadt)
Lkr. Leipzig
Meißen
Mittelsachsen
Nordsachsen
Sächs. Schweiz-Osterzgeb.
Vogtlandkreis
Zwickau
Anzahl der Veranstaltungen
Teilnehmer
40
Regionale Schwerpunkte der asylbezogenen Aktivitäten bildeten im Jahr 2016 insbesondere die Land-
kreise Bautzen, Zwickau, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie die Stadt Chemnitz. Vor allem die
Landkreise Zwickau, Chemnitz und Erzgebirgskreis verzeichneten hohe Teilnehmerzahlen aufgrund der
dort Anfang des Jahres durchgeführten sog. „Sternmärsche“
81
. Die wenigsten asylbezogenen Veranstal-
tungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen fanden im Landkreis Leipzig
statt.
Parallel zum Demonstrationsgeschehen hat sich auch das Straftatenaufkommen entwickelt. Den
784 fremdenfeindlichen Straftaten im Jahr 2015 stehen 692 Delikte im Jahr 2016 gegenüber. Trotz
der Abnahme der Fallzahlen liegen diese weit über dem Niveau der vergangenen Jahre (2011 bis 2013:
100 bis 150; 2014: 235 fremdenfeindliche Straftaten).
Asylbezogene Straftaten machen nach wie vor einen wesentlichen Teil der politisch motivierten Krimi-
nalität „rechts“ aus. So lassen sich rund 33 % aller Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund
einer fremdenfeindlichen Motivation zuordnen. Bei den Gewaltstraftaten ist der Anteil asylbezogener
Delikte noch höher und nahm im Jahr 2016 sogar noch zu. Er betrug ca. 68 % (2014: 60 %).
82
Rechtsextremistische Akteure und ihre Strategien zur Asylthematik
Aufgrund der Asylthematik sind in den letzten Jahren Personenkreise ins Blickfeld geraten, die bis da-
hin noch nicht mit politisch motivierten Straftaten oder extremistischen Bestrebungen in Erscheinung
getreten waren.
Vielmehr hat sich gezeigt, dass asylfeindliche, politisch motivierte Straftaten ein ganz eigener Weg
sind, auch ohne feste organisatorische Anbindung rechtsextremistische Aktivitäten zu entfalten.
83
Daher
kann die vorliegende Betrachtung der Strategien rechtsextremistischer Akteure nur einen Ausschnitt
des gesamten relevanten Personenpotenzials beleuchten. Ein großer Anteil reagierte eher impulsiv und
aus Anlass konkreter Ereignisse im Nahumfeld. Diese Personen wurden daher als Straftäter der subkul-
turell geprägten rechtsextremistischen Szene zugeordnet.
Des Weiteren haben sich Wandlungsprozesse im asylbezogenen Veranstaltungs- und Straftatengesche-
hen vollzogen.
So lassen sich beim Vergleich der Ereignisse im August 2015 in Heidenau und in Bautzen Mitte Septem-
ber 2016 deutliche Unterschiede hinsichtlich der konfliktauslösenden Ursachen und der Reaktion der
rechtsextremistischen Akteure erkennen: In Heidenau entzündeten sich die Ereignisse an der Frage der
Unterbringung der Asylbewerber an sich. Demgegenüber ging es in Bautzen um das konkrete Verhalten
von Asylbewerbern vor Ort sowie die gegenseitigen Reaktionen zwischen ihnen und der sie umgebenden
Gesellschaft.
In Heidenau nutzte mit der NPD ein parteigebundener rechtsextremistischer Akteur eine vorhandene
Stimmungslage erfolgreich für seine Veranstaltungen, während in Bautzen vor allem die wiedererstarkte
neonationalsozialistische Szene handelte. Diese trieb durch ihre Aktivitäten die Eskalation voran und
provozierte über Wochen viele kleine, aber konstante Konfliktlagen.
81 siehe Abschnitt II.2.4 NPD – Akteure und Strategien
82
Für eine genauere Analyse des Straftatenaufkommens im Jahr 2016 siehe Abschnitt II.2.13 Politisch motivierte Kriminalität „rechts“
83 siehe hierzu auch sueddeutsche.de/politik/fremdenfeindlichkeit-gewalt-gegen-fluechtlinge-alarmiert-bka (Stand: 23. Januar 2017)
41
RECHTSExTREMISMUS
Die Gewalt in Heidenau geschah demgegenüber eher ungerichtet und vor allem gegen Polizeikräfte.
In Bautzen hingegen wurde gezielt die Konfrontation mit Asylbewerbern und politischen Gegnern ge-
sucht. Die NPD trat in Heidenau als vorgeblicher Anwalt des „Volkszorns“ auf. Die
NeoNatIoNalsozIalIsteN
in Bautzen stellten direkt von der Straße konkrete Forderungen an die lokalen Verantwortungsträger.
Später fungierte der Kreisvorsitzende der NPD in Bautzen als Sprachrohr und Verhandlungspartner für
die lokalen Behörden.
Im Ergebnis wurde in Bautzen zum einen zielgerichteter vorgegangen und hinsichtlich der Gewalt-
anwendung strategischer agiert. Zum anderen ist mit der wiedererstarkten neonationalsozialistischen
Szene ein neuer sehr entschlossener Akteur auf dem Handlungsfeld erschienen, der auch in Zukunft bei
asylbezogenen Konflikten die ungerichteten, impulsiven Aktionen der subkulturell geprägten rechts-
extremistischen Szene zu lenken versuchen wird.
Darüber hinaus wirkte in Bautzen eine ganz eigene Gemengelage verschiedener Faktoren, z. B. Straftaten
bzw. aggressives Verhalten, sinkende Hemmschwelle durch starken Konsum von Alkohol oder Betäubungs-
mitteln und latente Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten. Diese Voraussetzungen sind auch in anderen
Regionen gegeben bzw. können dort sehr schnell entstehen und von der rechtsextremistischen Szene in
ihrem Sinne instrumentalisiert werden. Das erfolgreiche Ausnutzen solcher örtlichen Problemlagen könnte
der rechtsextremistischen Szene in Zukunft weiter Auftrieb und Motivation verschaffen.
Die
neonationalsozialistische Szene
griff die Asylthematik zwar aktiv auf, um ihre eigene politische
Agenda umzusetzen. Im Vordergrund standen für sie jedoch die Auseinandersetzung mit dem politischen
Gegner und die Propagierung ihrer demokratiefeindlichen Ansichten in breite Bevölkerungskreise hinein.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
haben daher kein Interesse an endlosen Demonstrationszyklen. Sie sind eher daran
interessiert, eine aufgeheizte Gesamtlage, wie in Bautzen, für die Stärkung ihres politischen Gewichts
und die Delegitimierung der demokratisch gewählten, lokalen Verantwortungsträger zu nutzen. Hauptziel
bleibt nach wie vor die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Andere
NeoNatIoNalsozIalIsteN
versuchten, ihre Agenda mit Gewalt umzusetzen. Grund dafür ist, dass die
Migrationsbewegungen der letzten Jahre als existenzielle Bedrohung des von ihnen rassistisch defi-
nierten biologischen Bestandes des deutschen Volkes angesehen werden. Dementsprechend halten sie
ein deutlich erhöhtes Ausmaß an Gewalt für legitim. Dies zeigte sich bei dem durch den Generalbun-
desanwalt im April 2016 eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer
terroristischen Vereinigung gegen die sog. „Gruppe Freital“
84
Der dort beschuldigte Personenkreis steht
symptomatisch für diesen Teil der neonationalsozialistischen Szene.
Die Bestrebungen des Bündnisses
weIsser raBe
und des Vereins
thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v.
85
im Jahr 2016 standen für das auf Kooperation und Vernetzung ausgerichtete Segment der neonati-
onalsozialistischen Szene. Dabei fand eine Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene, wie
auch mit nicht extremistischen Akteuren, statt. Diese wird auch ohne die Asylthematik in Zukunft zu
einem dynamischeren Agieren der neonationalsozialistischen wie auch der rechtsextremistischen Szene
führen. Um eine Zusammenarbeit mit Nichtextremisten zu erreichen, verzichteten diese Neonational-
sozialisten auf konfrontative Gewalthandlungen und waren um ideologische Weichzeichnung bemüht.
84 siehe Abschnitt II.2.5
NeoNatIoNalsozIalIsteN
sowie II.2.12.11 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen –
Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
85 kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen
42
So wurden rechtsextremistische Ideologiefragmente anschlussfähig gemacht und in nicht extremis-
tische Diskurse eingeführt. Der
weIsse raBe
etwa tarnte seine Agitation als Ringen um die „Souverä-
nität“ Deutschlands und das Hinwirken auf eine erfolgreiche „Vergangenheitsbewältigung“. Dahinter
verbargen sich jedoch althergebrachte rechtsextremistische Thesen von einem vermeintlich besetzten
Deutschland, das mittels „Schuldkult“ von einer antisemitisch konnotierten, von den USA aus gelenkten
Finanzindustrie „geknechtet“ werde. Auch an diesen ideologischen Positionen erkennt man, wie Rechts-
extremisten die Asylthematik für ihre eigentlichen Ziele instrumentalisieren.
Die
subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene
fiel im Jahr 2016 durch ein hohes Aufkommen
asylfeindlicher Gewaltstraftaten auf. Diese wurden im Wesentlichen spontan begangen.
86
Dass selbst bei eher politisch strategisch ausgerichteten Akteuren des parteigebundenen Rechtsextre-
mismus die Gewalt gegen Flüchtlinge und Asylbewerber kein Tabuthema ist, demonstrierten die
Jungen
n
ationaldemokRaten (Jn)
.
Sächsische Angehörige der JN beteiligten sich in Mecklenburg-Vorpommern
bei Wahlkampfaktionen, bei denen Knüppel zur Selbsthilfe gegen kriminelle Asylbewerber an Mitbürger
verteilt wurden.
87
Die JN betteten das Asylthema in eine antisemi-
tisch untersetzte Antikapitalismuskampagne ein
und skandierten zum 1. Mai den Ruf „Migranten
sind die Armee des Kapitals“.
88
Es zeigte sich, dass
die stark neonationalsozialistisch geprägten säch-
sischen JN, wie auch die neonationalsozialistische
Szene insgesamt, das Thema „Asyl“ für ihre ras-
sistische, antisemitische und demokratiefeind-
liche Ideologie instrumentalisierten. Auch eine
programmatische Äußerung der JN Mittelsachsen
weist in diese Richtung. Es wurden Forderungen,
wie die Erhaltung der „Einmaligkeit“ des deutschen
Volkes, die Abschaffung des „Zins-Kapitalismus“ als „Wurzel“ aller Probleme und die Förderung der
deutschen Familie gegen eine „multikulturelle Ideologie“, formuliert.
89
Besonders nach den islamistischen Anschlägen im Juli 2016
90
nutzten die JN die Asylthematik für eigene
Veranstaltungen und Propagandaaktionen. Jedoch fanden sie kaum Resonanz. Die Propagandaaktionen be-
standen hauptsächlich aus Zeichnungen von Leichenumrissen und dem Vergießen von roter Flüssigkeit an
verschiedenen Orten in Sachsen. Diese waren mit unterschiedlichen propagandistischen Slogans versehen,
die der Regierung und dem politischen Gegner eine Mitschuld an den Anschlägen zuschrieben.
86 siehe Abschnitt II.2.7 Verfahren wegen des Verdachts rechtsterroristischer Aktivitäten
87 siehe Abschnitt 1. IM FOKUS: Hassobjekte – Feindbildkonstruktionen von Extremisten
88 siehe Abschnitt II.2.4.2
JuNge NatIoNalDemokrateN
89
(Stand: 10. September 2016)
90 siehe Abschnitt II.4.4 Jihadismus
Quelle:
(Stand: 2. Oktober 2016)
43
RECHTSExTREMISMUS
Auch die
nationaldemokRatische PaRtei deutschlands (nPd)
beschränkte sich im Hinblick auf die Asyl-
thematik im Jahr 2016 zunächst auf ein – jedoch zunehmend kraftloseres – asylfeindliches Veranstal-
tungsgeschehen. Diesbezügliche Aktivitäten der NPD fanden nur noch in den Landkreisen Sächsische
Schweiz-Osterzgebirge, Meißen und Erzgebirgskreis sowie in der Stadt Dresden statt.
Anteil der NPD-Veranstaltungen an allen asylbezogenen Veranstaltungen
mit erkennbaren rechtsextremistischen Bezügen im Jahr 2016
Der Anteil der NPD-Veranstaltungen an allen asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und
relevanten rechtsextremistischen Bezügen nahm im Laufe des Jahres fortlaufend ab und lag im Durch-
schnitt bei rund 26 %. Seit Juli 2016 wurden keine NPD-Veranstaltungen zu diesem Themenfeld mehr
registriert.
Jedoch wurden Aktivitäten der Kampagne „Freigeist“
91
im Erzgebirgskreis weitergeführt. Die Verbindung
zur NPD wurde dabei bewusst nicht offengelegt, um die Zusammenarbeit mit anderen, auch nicht ex-
tremistischen, asylkritischen Initiativen weiter zu fördern. Hauptakteur hierbei war der Vorsitzende des
NPD-Kreisverbandes Erzgebirge Stefan HARTUNG.
Die bis April 2016 im Raum Zwickau-Chemnitz-Erzgebirge durchgeführten „Sternmärsche“ waren
eine weitere Bühne für die NPD. Sie fanden am 30. Januar in Zwickau, am 19. März in Chemnitz und
schließlich am 9. April in Aue (Erzgebirgskreis) mit teilweise bis zu 3.000 Teilnehmern statt. Dabei
wirkte eine Vielzahl an größtenteils nicht extremistischen Einzelinitiativen aus mehreren Regionen
Sachsens mit, wobei extremistische Kampagnen, wie „Freigeist“, oder extremistische Gruppierungen,
wie die
IDeNtItäre BeweguNg,
aktiv integriert wurden. So meldete Stefan HARTUNG, als Kopf von „Frei-
geist“ und NPD-Kreisverbandsvorsitzender im Erzgebirge, den letzten „Sternmarsch“ in Aue selbst an
und trat als Hauptorganisator auf. Damit kam eine Entwicklung zum Abschluss, die einen zunehmen-
den Einfluss von Rechtsextremisten auf die „Sternmärsche“ seit deren Beginn im Spätherbst 2015
91 Die Kampagne/Initiative „Freigeist“ ist ein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen; kein Beobachtungsobjekt hingegen ist der
gleichnamige Verein Freigeist e. V.
Veranstaltungen gesamt
NPD/JN-Veranstaltungen
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
Jan 16
Feb 16
Mrz 16
Apr 16
Mai 16
Jun 16
Jul 16
Aug 16
Sept 16
Okt 16
Nov 16
Dez 16
44
aufzeigt. Die „Sternmärsche“ waren damit auch Ausdruck einer zunehmenden Erosion der Abgren-
zung zwischen rechtsextremistischen und nicht extremistischen Initiativen zum Thema Asyl.
92
Beim letzten „Sternmarsch“ in Aue brach die Teilnehmerzahl schließlich deutlich ein (600 Personen), was
nicht zuletzt auch auf die im Vorfeld offensiv erfolgte Diskussion über die Anteile von Rechtsextremis-
ten zurückzuführen war.
Nach den „Sternmärschen“ kamen die asylbezogenen Versammlungen der NPD zum Erliegen. Dennoch
nutzte die Partei die Asylthematik im kommunalen Geschehen, um lokale Amtsträger unter Druck zu
setzen sowie Misstrauen und Neiddebatten gegenüber Asylbewerbern zu schüren.
Auf dem Höhepunkt der Asylthematik im Winter 2015/16 wurde die allgemeine Mobilisierungsbe-
reitschaft für asylbezogene Themen wiederholt genutzt, um die Tagung kommunaler Gremien sowie
Sprechstunden mit kommunalen Amtsträgern mittels asylfeindlicher Versammlungen zu beeinflussen.
Dies erfolgte in den Monaten Januar und Februar 2016 in Bad Schlema, in Grünhain-Beierfeld und in
Schwarzenberg (Erzgebirgskreis). Es beteiligten sich bis zu 200 Personen
93
.
Außerdem wurden die lokalen Amtsträger in
Facebook-Posts und Bannern persönlich ange-
gangen.
So wurden die Antworten des Bürgermeisters von
Bad Schlema in der Bürgerversammlung am 26.
Januar 2016 zum Thema Asyl durch HARTUNG
im Internet als Video verbreitet. Der Bürger-
meister erhielt in der Folgezeit eine Vielzahl von
„Hassmails“.
94
Nach dem Abklingen der Anti-Asyldemonstratio-
nen führte die NPD im weiteren Jahresverlauf vor
allem bei der Festlegung kommunaler Gebühren
immer wieder die Asylthematik als Vergleichs-
maßstab an. So wurden geplante Anhebungen
der Sätze für Kindertageseinrichtungen mit dem
Verweis auf die Aufwendungen für Asylbewerber verhindert. Dies geschah in der zweiten Jahreshälfte
etwa in Bad Schlema durch Stefan HARTUNG
95
, aber auch in Riesa durch Jürgen GANSEL
96
.
Die islamistischen Anschläge im Juli in Ansbach und Würzburg und der vereitelte Anschlag im Oktober
2016 nahm die NPD zum Anlass, ihre seit jeher vorgetragenen Forderungen, wie „Asylflut stoppen“,
zu erneuern und Verschwörungstheorien zu verbreiten. So wurde die Hilfe von Asylbewerbern bei der
Verhaftung des Terrorverdächtigen AL-BAKR vom Oktober 2016 als „staatliches Drehbuch“
97
zum Schutz
der Willkommenskultur diffamiert.
92 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 183
93 so etwa am 1. Februar 2016 in Grünhain-Beierfeld
94 siehe Abschnitt II.2.12.4 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – Erzgebirgskreis
95 vgl. Jürgen Freitag: NPD-Antrag im Rat – alle gegen den Bürgermeister, Freie Presse, 6. Oktober 2016
96
(Stand: 28. September 2016)
97
(Stand: 11. Oktober 2016)
Quelle:
(Stand: 20. Dezember 2016)
45
RECHTSExTREMISMUS
Die
Partei
deR dRitte weg
98
schlug gleichfalls ak-
tiv Kapital aus der Asylthematik. Die Expansion
der parteieigenen Strukturen im Raum „Mittel-
sachsen/Erzgebirge“, die bereits 2015 begonnen
hatte, wurde mittels der Asyldebatte vorange-
trieben. Dabei wurde nicht nur auf „Leitfäden“
99
mit rechtlichen Ratschlägen zur Verhinderung
von Asylbewerber-Aufnahmeeinrichtungen so-
wie Flugblattverteilaktionen oder regelmäßige
asylfeindliche Veranstaltungen gesetzt. Verstärkt
wurde darüber hinaus auch die Kooperation mit
bürgerlichen Initiativen außerhalb der Partei, so
etwa die Zusammenarbeit mit einer Veranstal-
tungsreihe „Regional statt Global“ im Vogtland
in der zweiten Jahreshälfte 2016. Mehrere Anhänger der Partei
Der DrItte weg
traten auch als Redner
bei anderen asylbezogenen Veranstaltungen auf, die von nicht extremistischen Initiativen organisiert
worden waren.
Eine neue Erscheinung bei der asylbezogenen Agitation der Partei war die Durchführung sog. „Nationaler
Streifen“ ab Oktober 2016, z. B. in Bau
tzen, Plauen oder Chemnitz. Dabei liefen mehrere Anhänger
einheitlich gekleidet durch diese Städte und posteten im Nachgang entsprechende Bilder auf ihrer
Homepage. Ihr erklärtes Ziel war es, die Bürger vor „kriminellen Ausländern“ zu schützen.
Durch derartige Aktionen wurde nicht nur Vorurteilen zur Kriminalität von Ausländern Vorschub ge-
leistet. Auch sollte den Sicherheitsbehörden so ein Versagen beim Schutz der Bevölkerung attestiert
werden.
Ein anderes Bild bot die
Partei
die Rechte
. Diese
trat unter eigenem Namen kaum zur Asylthema-
tik in Erscheinung. Entsprechende Veranstaltun-
gen, wie in den Jahren zuvor in Bautzen oder in
Westsachsen, waren zum Ende des Frühjahres
2016 nicht mehr festzustellen.
Die Bedeutung der Partei für die asylbezogene
Ereignislage war vor allem auf die vielfältigen
Aktivitäten ihres Mitgliedes Alexander KURTH
zurückzuführen. Er trat im Berichtsjahr nicht nur
bei asylfeindlichen Veranstaltungen der rechtsex-
tremistischen Szene auf, sondern ab Mitte 2016
auch unter dem Label „Wir lieben Sachsen / THÜGIDA“
100
, das für einen Großteil der asylbezogenen
Veranstaltungen mit erkennbaren rechtsextremistischen Bezügen in ganz Sachsen verantwortlich war.
98 Alternativschreibweise:
Der III. weg
99 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 21
100 Zur Kampagne „Wir lieben Sachsen/THÜGIDA“ bzw. zum Verein
thügIDa &
W
Ir lIeBeN sachseN e. v.;
siehe Abschnitt II.2.4.2
DIe rechte
sowie II.2.5
NeoNatIoNalsozIalIsteN
„Nationale Streife“ in Plauen am 13. Oktober 2016
Quelle:
(Stand: 27. Oktober 2016)
Quelle:
(Stand: 12. Juli 2016)
46
Die Resonanz auf diese Veranstaltungen war vor dem Hintergrund der nachlassenden Bedeutung der
Asylthematik zuletzt jedoch sehr gering.
Bei „Wir lieben Sachsen / THÜGIDA“ handelt sich um einen Ableger der rechtsextremistischen
thügIDa
-
Bewegung um David KÖCKERT (NPD-Stadtrat in Greiz, Thüringen). Sächsischer Hauptaktivist ist
Alexander KURTH, der bei „Wir lieben Sachsen / THÜGIDA“-Veranstaltungen zusammen mit David
KÖCKERT regelmäßig als Hauptredner auftrat.
Dieses Agieren hat durch das Zusammenwirken mit thüringischen und bayerischen Rechtsextremisten
an Bedeutung gewonnen. Zuletzt wurden auch Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern einge-
bunden. Im November 2016 konstituierte sich die Kampagne als Verein
thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v.
mit Sitz in Thüringen. Dieser Verein dürfte auch ohne den Hintergrund der Asylthematik in Zukunft eine
nicht zu unterschätzende Rolle bei der länderübergreifenden Vernetzung von Rechtsextremisten haben.
Weiterhin wird verdeutlicht, wie sehr das Agieren gegen die Asylthematik Personen verschiedenster
rechtsextremistischer Szenen untereinander ver-
netzte.
Die Partei
DIe rechte
beschränkte sich jedoch nicht
nur auf Demonstrationen gegen die Asylthema-
tik. Insbesondere die Exekutivmaßnahmen gegen
die „Bamberger Mischszene“, eine Gruppe von
Rechtsextremisten, die im Verdacht steht, sich
mit Pyrotechnik und ähnlichem ausgestattet und
u. a. Anschläge gegen Asylbewerbereinrichtungen
geplant zu haben, wiesen auch Bezüge zu Mit-
gliedern und Funktionären der Partei
DIe rechte
in
Bayern auf.
Die
identitäRe bewegung
(IB)
hatte mit der Kampagne „Der Große Austausch“
101
bereits im Jahr 2015 eine
Verschärfung ihrer asylkritischen Positionen hin zur offen formulierten Asyl- und Systemfeindschaft
vollzogen. Der Zuzug von Migranten wird als Bedrohung des deutschen Volkes angesehen. Da Amts-
träger und Behörden ebenfalls zu den „Förderern“ der Migrationsbewegungen nach Deutschland und
damit zu den „Austauschern“ der Bevölkerung gerechnet werden, richtete sich die Agitation auch gegen
das demokratische Regierungssystem.
Im Laufe des Jahres 2016 entwickelten sich die Aktionen der IB weiter. Man beschränkte sich nicht mehr
auf Propagandaaktionen, wie das Hissen von Plakaten, Transparenten und Fahnen für diverse YouTube-
Clips. So mauerte die IB-Ortsgruppe im Erzgebirge am 21. März die Eingangstür der Stadtverwaltung
von Grünhain-Beierfeld mit Gasbetonsteinen zu. Am 21. April wurden in Bad Schlema (Erzgebirgskreis)
tierische Exkremente vor den Türen des Rathauses hinterlassen und darin verschiedene Propaganda-
schilder mit Aufschriften, wie „Wer Multikulti sät, wird Scheiße ernten“, aufgestellt. Am 29. September
wurde schließlich die Zufahrt zu einer Asylbewerber-Aufnahmeeinrichtung mit einem Baumstamm blo-
ckiert. Zudem wurde mit Blaulichtleuchten und Plakaten eine vermeintliche Überlastung lokaler Ret-
tungskräfte wegen Einsätzen mit Bezug zu Asylbewerbern angeprangert.
101 siehe dazu Abschnitt II.2.11
IDeNtItäre BeweguNg
Quelle:
(Stand: 21. April 2016)
47
RECHTSExTREMISMUS
Bei einer Banneraktion am 21. Oktober 2016 am Bürgerhaus in Aue (Erzgebirgskreis) wurde die Leiterin
einer im Rahmen eines Bundesprogramms gegen Rechtsextremismus geförderten örtlichen Initiative
von Aktivisten der IB mittels eines Plakats namentlich diffamiert. Dies zeigt, dass der Aktionsradius der
IB nicht nur die Propagierung rechtsextremistischer Ideologie, sondern auch die Diffamierung des Enga-
gements gegen Rechtsextremismus bzw. für die Integration von Asylbewerbern umfasst.
Von Sachbeschädigungen abgesehen verzichtete die IB im Berichtsjahr bewusst auf Gewaltanwendun-
gen. Dennoch spielen Kampfsportübungen bei den Aktivitäten der IB eine wichtige Rolle. Auch hier rüs-
tete man sich für erwartete Auseinandersetzungen infolge der durch die Asylthematik hervorgerufenen
politischen und sozialen Umwälzungen.
Ihre eigentliche Bedeutung sieht die IB in ihrer Rolle als subversive Jugendbewegung. Als solche kann
sie zum einen Personen integrieren, die herkömmliche rechtsextremistische Strukturen ablehnen. Die
IB weist eine andere personelle Zusammensetzung als letztere auf und ist auch ideologisch anders
ausgerichtet. So teilt sie zwar rechtsextremistische Positionen, wie Demokratiefeindlichkeit und ein
rassistisches Menschenbild, distanziert sich jedoch klar von anderen Ideologieelementen – wie dem
Antisemitismus. Aus diesen Gründen eröffnen sich ihr im Gegensatz zu den bisherigen Akteuren viel
weiter gehende Kooperationsmöglichkeiten mit nicht extremistischen asylkritischen Initiativen.
Internet
Rechtsextremisten nutzten das Internet für asylfeindliche Kommentare und Äußerungen. So stellte
die Partei
Der DrItte weg
eine Karte aller zentralen und dezentralen Asylbewerberunterkünfte auf ihre
Homepage.
102
Das Internet war auch im Jahr 2016 ein bevorzugter Raum für den Ausdruck volksverhetzender, rassisti-
scher, allgemein fremdenfeindlicher und ähnlicher Kommentare durch Einzelpersonen. Diese fielen da-
bei mit gewaltverherrlichenden und rechtsextremistischen Äußerungen auf, die auch die Verharmlosung
des „Dritten Reiches“ und seiner Verbrechen umfassten.
So hieß es etwa:
„Also mir fallen da spontan noch leerstehende Asylheime ein ... Auschwitz, Dachau, Buchenwald,
Meiderneck, Belsen ...“ .
103
Oder:
„ne ne eine Kugel reicht für die oder Gaskammer???“
104
Häufig wurde auch mit Bildern gearbeitet. Ein sächsischer User postete ein Bild, auf dem ein deutscher
Soldat im Zweiten Weltkrieg zu sehen war, der mit der Pistole Menschen aus nächster Nähe erschoss.
Am oberen Bildrand stand dazu das Wort
„Asylantrag“
und darunter
„Abgelehnt!“.
105
102 siehe hierzu „Internetatlas 2016“ des LfV Sachsen, abrufbar unter
103
(Stand: 18. Februar 2016, Schreibweise wie im Original)
104 Facebook-Profil einer rechtsextremistischen Person (Stand: 5. Mai 2016, Schreibweise wie im Original)
105 Facebook-Profil einer rechtsextremistischen Person (Stand: 12. März 2016)
48
Neben der Einleitung von Strafverfahren wurde auch ein bundesweiter Einsatztag gegen Hasspostings
durchgeführt. Dabei durchsuchten Polizeibeamte am 13. Juli 2016 in 14 Bundesländern Wohnräume von
rund 60 Beschuldigten
106
. Darunter waren auch acht Personen aus Sachsen (sechs Personen aus Ost-
sachsen sowie je eine Person aus dem Vogtland und aus Chemnitz). Die konzertierte Aktion wurde vom
Bundeskriminalamt (BKA) koordiniert und richtete sich hauptsächlich gegen Einträge in der geheimen
Facebook-Gruppe Großdeutschland. Dort wurden zwischen Juli und November 2015 Einträge verbreitet,
bei denen der Verdacht von Straftaten nach § 86a (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger
Organisationen) und § 130 (Volksverhetzung) des Strafgesetzbuches (StGB) bestand.
Verhältnis von Rechtsextremisten zu den GIDA-Bewegungen
Grundsätzlich bieten sowohl Intention als auch Rhetorik von PEGIDA ideologische Anknüpfungspunkte
für Rechtsextremisten: So offenbaren ressentimentbeladene Redebeiträge oder Sprechchöre auf PEGI-
DA-Kundgebungen mitunter nicht nur fremden- und islamfeindliche Tendenzen. Sie zeigen bei einem
Teil der Sympathisanten auch eine grundlegende Politikverdrossenheit und ein Misstrauen bis hin zur
Feindschaft gegenüber etablierten Parteien und Politikern („Volksverräter“), Journalisten und Medien
(„Lügenpresse“) sowie gegenüber Flüchtlingen („Rapefugees“). Dementsprechend nehmen regelmäßig
Rechtsextremisten an PEGIDA-Veranstaltungen teil.
Die Verfassungsschutzbehörden analysieren daher sorgfältig, ob und inwieweit es hinsichtlich PEGIDA
Dresden wie auch hinsichtlich der sehr heterogenen und bundesweiten GIDA-Protestbewegung Steue-
rungs- oder Einflussnahmeversuche durch nationale und internationale Rechtsextremisten gibt.
PEGIDA Dresden stellt derzeit kein Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder
des Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen dar, da in der Gesamtschau noch keine hinreichenden
tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen.
Die GIDA-Bewegung in Sachsen konzentrierte sich im Jahr 2016 auf die drei großen Städte Dresden,
Leipzig und Chemnitz. Dabei war im Laufe des Jahres immer wieder eine Teilnahme von IB-Aktivisten an
den PEGIDA-Veranstaltungen festzustellen. So bot PEGIDA Dresden Martin SELLNER von der
IDeNtItäreN
B
eweguNg
Österreich
am 16. Oktober 2016 eine Bühne.
Auch beim Leipziger PEGIDA-Ableger LEGIDA kam es wiederholt zur offenen Kooperation mit bekannten
Rechtsextremisten:
Am 11. Januar 2016 traten der Frontmann Hannes OSTENDORF und der Gitarrist der als rechtsex-
tremistisch eingestuften Band
kategorIe c
im Rahmen der LEGIDA-Demonstration auf. Diese spiel-
ten zwei Lieder, darunter den Titel „Hooligans gegen Salafisten“, der von der Band anlässlich der
HoGeSa-Demonstration am 26. Oktober 2014 in Köln geschrieben worden war.
107
Seitens der LEGIDA-
Verantwortlichen erfolgte im Nachgang keinerlei Distanzierung vom Auftritt der rechtsextremisti-
schen Band
kategorIe c.
106
160713_Hatespeech.html
(Stand: 5. Januar 2017)
107 Die Band
kategorIe c
stammt aus Bremen und wurde Anfang des Jahres 2015 vom Bremer Landesamt für Verfassungs-
schutz als rechtsextremistisch eingestuft. Sie ist bundesweit aktiv und rekrutiert sich aus der Bremer Hooligan-Szene.
Das Titellied „Hooligans gegen Salafisten“ diffamiert den Islam und seine Anhänger in menschenverachtender Weise.
Siehe dazu den Verfassungsschutzbericht 2014 des LfV Bremen (S. 33f.).
49
RECHTSExTREMISMUS
Am 1. Februar 2016 äußerte sich der aus Berlin stammende und unter einem Pseudonym auftretende
Redner „Sebastiano Graziani“ im Rahmen seines Redebeitrages auf einer LEGIDA-Veranstaltung:
„Diese veraltete Staatsform braucht keiner mehr. Weg mit dem Drecks-Gangster-Pack“.
Auch die nach dem Wechsel an der LEGIDA-Führungsspitze im März 2016 in Erscheinung getretenen
Akteure und Redner zeigten sich heterogen, sie reichten von unbekannten Personen bis hin zu über-
regional aktiven
NeoNatIoNalsozIalIsteN
. So trat z. B. bei der LEGIDA-Veranstaltung am 4. April 2016 mit
Simon RICHTER ein ehemaliger NPD-Stadtrat und bekannter Neonationalsozialist aus Radeberg (Land-
kreis Bautzen) als Redner auf. RICHTER agierte in der Vergangenheit als organisatorisches Bindeglied
verschiedener asylfeindlicher Bürgerinitiativen in Ostsachsen und trat regelmäßig selbst als Redner bei
diversen asylbezogenen Veranstaltungen auf.
Im Anschluss an den üblichen „Spaziergang“ vereinigte sich der LEGIDA-Demonstrationszug mit der
parallel stattfindenden rechtsextremistischen Veranstaltung „Wir lieben Sachsen/THÜGIDA“. Es folgte
eine gemeinsame Abschlusskundgebung.
Im Nachgang kam es seitens LEGIDA zu keinerlei Distanzierung von dieser Zusammenarbeit mit Rechts-
extremisten. Aufgrund des Bekanntheitsgrades einzelner Akteure kann davon ausgegangen werden,
dass die Veranstalter die aktive und prominente Mitwirkung von Rechtsextremisten an den LEGIDA-
Aufzügen bewusst in Kauf nahmen.
Der dritte noch aktive sächsische PEGIDA-Ableger, PEGIDA Chemnitz-Erzgebirge, trat im Berichtsjahr
unter diesem Namen nicht mehr auf. PEGIDA Chemnitz und Westsachsen hatte seit Anfang 2016 asyl-
kritische Veranstaltungen in Chemnitz organisiert. Dabei kam es zur Teilnahme einzelner Rechtsextre-
misten, jedoch nicht zu deren Einbindung in prominenter Rolle bei der Durchführung der Veranstaltung.
Aus Anlass der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2016 in Dresden warb PEGIDA
Chemnitz und Westsachsen allerdings auch für eine Teilnahme an einer asylbezogenen Veranstaltung
mit erkennbaren rechtsextremistischen Bezügen in Dresden, bei der wiederum Hannes OSTENDORF
(von der rechtsextremistischen Band
kategorIe c)
auftrat.
Die Veranstaltungen der GIDA-Bewegungen wurden somit im Jahr 2016 wiederholt als Bühne und
Aktionsplattform von Rechtsextremisten genutzt. Eine dauerhafte und strukturelle Zusammenarbeit
zwischen GIDA-Gruppierungen und Rechtsextremisten erfolgte jedoch trotz vereinzelten punktuellen
Zusammenwirkens im Rahmen konkreter Veranstaltungen nicht.
Fazit und Ausblick
Die Asylthematik blieb trotz des Nachlassens der Einreisezahlen auch im Jahr 2016 ein bedeutendes
Aktionsfeld von Rechtsextremisten. Zum einen konnte sich die Szene auf diesem Feld zwecks gemein-
samer Aktionen einigen, zum anderen waren so weiterhin Anknüpfungspunkte zu nicht extremistischen
Initiativen und Gruppierungen gegeben.
Die Erosion der Abgrenzung zwischen rechtsextremistischen und nicht extremistischen Initiativen war
im Berichtsjahr in Einzelfällen weiterhin beobachtbar, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie noch
im Vorjahr. Dies lag auch am stark nachlassenden Veranstaltungsgeschehen. Allerdings führte die
Thematisierung der aktiven Beteiligung von Rechtsextremisten an entsprechenden Veranstaltungen
im Einzelfall auch zu verminderten Teilnehmerzahlen. Im weiteren Jahresverlauf waren Rechtsextre-
misten bei ihren asylbezogenen Aktivitäten zunehmend unter sich.
50
Dies hatte auch mit der Themenverschiebung der Aktivitäten des rechtsextremistischen, wie auch des
Rechtsextremisten gegenüber kooperationsbereiten Personenpotenzials, zu tun. Für viele vormals mit
der Asylthematik befasste Initiativen lag der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten bald auf Kritik an der aktu-
ellen Bundesregierung bzw. an dem deutschen Regierungssystem im Allgemeinen. Dies zeigte sich etwa
bei den „Merkel muss weg“-Demonstrationen in Berlin, an denen regelmäßig Rechtsextremisten aus
Sachsen teilnahmen. Insofern ist die Zusammenarbeit unter neuer Themensetzung fortgesetzt worden.
Hinzu kommt, dass diverse nicht extremistische Initiativen, die in der Vergangenheit mit Rechtsextre-
misten kooperierten, im Laufe der Zeit ihrerseits Teil von rechtsextremistischen Bestrebungen wurden.
Im Ergebnis hat sich die rechtsextremistische Szene infolge der Asylthematik in einigen Regionen neues
Personenpotenzial erschließen können.
Dieses Personenpotenzial wird auch in Zukunft aus Anlass asylbezogener Konflikte aktiv sein und dort
versuchen, über die Asylthematik die Legitimität der derzeitigen Amts- und Mandatsträger, wie auch
die freiheitliche demokratische Grundordnung, in Frage zu stellen. Jedoch ist diesbezüglich künftig nur
noch mit einer verhaltenen Resonanz zu rechnen.
Unabhängig davon besteht in konkreten Lagen vor Ort jedoch ein bleibendes Konfliktpotenzial, das bei
günstigen Voraussetzungen – wie im Herbst in Bautzen – sehr schnell Eskalationsspiralen mit breiter
Beteiligung auch nicht extremistischer Personen in Gang setzen kann. Hauptantriebsmoment hierfür
dürfte weniger die Ankunft und Unterbringung von Asylbewerbern an sich, sondern eher die konkrete
Gestaltung des Zusammenlebens, wie auch der Integration, sein.
Verschärft werden diese potenziellen Konfliktlagen durch die fortdauernde islamistische Bedrohungs-
lage. Erfolgte wie auch verhinderte Anschläge werden für die rechtsextremistische Szene immer wieder
Anlass sein, Misstrauen und Angst vor Muslimen sowie vor Migranten insgesamt zu schüren. Diese
Gefahrenlage wird von einzelnen Rechtsextremisten stets auf Neue als Rechtfertigung eigener Gewalt-
straftaten gegen Flüchtlinge, Asylbewerber und Deutsche mit Migrationshintergrund herangezogen
werden. Die nach wie vor anhaltenden hasserfüllten Äußerungen vor allem im Internet und in den
sozialen Medien legen hiervon Zeugnis ab.
Die Asylthematik wird damit im Jahr 2017 eines der wesentlichen Themenfelder der rechtsextremisti-
schen Szene bleiben. Vor dem Hintergrund des nachlassenden unmittelbaren Zuzugs wird der Schwer-
punkt der Aktivitäten jedoch weniger auf asylbezogenen Demonstrationen, sondern auf entsprechender
Internetpropaganda und dem lokal begrenzten Agieren örtlicher Gruppierungen bei konkreten Anlässen
vor Ort liegen. Hierbei wird die rechtsextremistische Szene versuchen, Eskalationsspiralen mit Asyl-
bewerbern und Flüchtlingen sowie mit dem politischen Gegner zu initiieren. Das Ziel ist, ihre eigene
politische Bedeutung zu steigern und sich als vermeintlicher Fürsprecher breiter Bevölkerungsschichten
darzustellen. Daneben ist vor dem Hintergrund der islamistischen Gefahrenlagen auch weiterhin mit
Radikalisierungsprozessen bis hin zu schweren Straftaten zu rechnen.
51
RECHTSExTREMISMUS
2.4 Rechtsextremistische Parteien
2.4.1
natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands
(NPD)
Extremismusbereich:
Rechtsextremismus
Gründung:
1964
Sitz:
Berlin
Mitglieder 2016 in Sachsen:
ca. 420
Mitglieder 2015 in Sachsen:
ca. 600
Mitglieder 2015 bundesweit:
ca. 5.200
Vorsitz Bund:
Frank FRANZ
Vorsitz Freistaat Sachsen:
Jens BAUR
Teil-, Nebenorganisationen:
JuNge NatIoNalDemokrateN
(JN)
rINg NatIoNaler fraueN
(RNF)
kommuNalPolItIsche vereINIguNg
(KPV)
Publikation:
DEUTSCHE STIMME
Kennzeichen:
Historie und Strukturentwicklung
Die 1964 gegründete NPD ist aus der ehemaligen Deutschen Reichspartei hervorgegangen. Die NPD-
Jugendorganisation
JuNge NatIoNalDemokrateN
(JN) wurde 1969 gegründet.
Nachdem Mitglieder der NPD aus den alten Bundesländern im Jahr 1989 noch vor dem Mauerfall erste
Kontakte in die DDR geknüpft und bei Leipziger Montagsdemonstrationen Flugblätter verteilt hatten,
gründeten Anhänger am 24. März 1990 in der Messestadt einen Vorläufer der sächsischen NPD unter
der Bezeichnung
mIttelDeutsche NatIoNalDemokrateN
(MND). Am 2. September 1990 gründeten die Mitglie-
der der MND den sächsischen Landesverband der NPD. In Erfurt (Thüringen) fand am 7. Oktober 1990
ein Vereinigungsparteitag statt, auf dem sich die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR neu gegründeten
NPD-Strukturen mit den Landesverbänden der alten Bundesländer zu einer Gesamtpartei zusammen-
schlossen.
Strukturentwicklung und Mitgliederzahlen der NPD im Freistaat Sachsen unterlagen seit der Gründung
erheblichen Schwankungen. Hatte die NPD anfangs noch über 400 Mitglieder, die in rund 16 Kreis-
verbänden (bei damals noch über 40 Landkreisen) organisiert waren, sank die Mitgliederzahl bis 1994
auf unter 100 Personen. Erst nach einer im Jahr 1995 erfolgten organisatorischen Straffung auf sie-
ben Kreisverbände und durch intensive Werbung im Rahmen von sog. „Freundeskreisveranstaltungen“
stieg die Anzahl der Mitglieder wieder an. Hierzu trug auch eine strategische Orientierung auf öffent-
liche Aktivitäten, wie z. B. Großdemonstrationen, bei. Den Zenit dieser Entwicklung überschritt der
sächsische NPD-Landesverband im Jahr 1998 mit ca. 1.400 Mitgliedern und 20 Kreisverbänden. Trotz
der Gründung zweier weiterer Kreisverbände im Jahr 1999 sank die Mitgliederzahl stark auf schließlich
ca. 1.000 Personen.
52
Erst nach dem Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag im Jahr 2004 erholte sich der Mitglieder-
bestand wieder etwas. Die Mitgliederzahl stagnierte jedoch danach und sank in den letzten Jahren
kontinuierlich. Nach dem verpassten Einzug in den Sächsischen Landtag im Jahr 2014 und Austrit-
ten im Rahmen einer hiermit verbundenen Parteikrise verfügte die NPD in Sachsen Ende 2014 nur
noch über 610 Mitglieder. Das gesteigerte Engagement der sächsischen NPD im Zusammenhang mit
Protesten gegen die Asylpolitik im Jahr 2015 führte nicht wie gehofft zu einer Trendwende. Die NPD-
Führung vermochte im Jahr 2016 keine politischen Akzente mehr zu setzen. Kaum aktive Strukturen
und innerparteiliche Differenzen bewirkten einen massiven Mitgliederrückgang. Das Mitgliederpo-
tenzial wird gegen Ende 2016 auf ca. 420 Mitglieder geschätzt. Davon dürften etwa 100 Personen
zum aktiven Kern zählen.
Seit dem Jahr 2008 verfügt die NPD – nach einer Reduzierung der Anzahl der Kreisverbände entspre-
chend der damaligen Kreisgebietsreform – über 13 Kreisverbände. Der andauernde Mitgliederschwund
führte im Jahr 2015 erstmals zu einer strukturellen Änderung. Der Kreisverband Leipzig schloss sich mit
dem Kreisverband Landkreis Leipzig zusammen. Ebenso fusionierten die Kreisverbände Chemnitz und
Mittelsachsen. Die NPD verfügt somit nur noch über elf Kreisverbände und vereinzelte Ortsgruppen.
Mitgliederzahl und Anzahl der Kreisverbände der NPD im Freistaat Sachsen
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
20 13 13 13 13 13 13 13 12 11
850 850
800 800
760
700
670
610
600
420
Mitglieder
Anzahl der
Kreisverbände
53
RECHTSExTREMISMUS
NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen
Einzelne Mitglieder der NPD sind im Freistaat Sachsen darüber hinaus in der NPD-Frauenorganisation
rINg NatIoNaler fraueN
(RNF) sowie in der
kommuNalPolItIscheN vereINIguNg
(KPV) organisiert. Der RNF war
im Freistaat Sachsen im Jahr 2016 eine weitgehend inaktive Struktur ohne politische Bedeutung. Die
Internetseite des Landesverbandes ist nicht mehr erreichbar und der letzte Eintrag im Facebook-Auftritt
dieser Struktur stammt aus dem Monat Juli 2016.
Die KPV ist eine bundesweit agierende Organisation mit der Aufgabe, kommunale Mandatsträger der
NPD zu schulen.
Aktivitäten des NPD-nahen
vereINs BIlDuNgswerk für heImat uND NatIoNale IDeNtItät
waren im Berichtsjahr
nicht feststellbar. Die Homepage des Vereins ist nicht mehr erreichbar.
Die
Deutsche stImme verlagsgesellschaft mBh
mit Sitz in Riesa (Landkreis Meißen) hat nach finanziellen Pro-
blemen in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verloren. Im Jahr 2015 übergaben die Betreiber
des Verlages den Warenversand an einen NPD-Funktionär in Thüringen. Auch der Buchversand wurde
ausgelagert. Übrig blieb letztendlich die Herausgabe des NPD-Organs DEUTSCHE STIMME.
Nach Angaben des Landesvorstandes steht die Halle nach Auslagerung des Versandes nun leer. Ein
kleiner Teil werde von einem neuen Medienprojekt mit der Bezeichnung „DS-TV“
108
genutzt. Nachdem
ein Antrag des Landesvorstandes auf Erhebung eines Sonderbeitrages zur Erhaltung des Standortes
auf dem Landesparteitag im März 2015 scheiterte, bat der Vorstand die Mitglieder um eine freiwillige
Abgabe, da das Objekt sonst verkauft werden müsse.
108 Unter dem Label „DS-TV“ produziert die NPD seit Frühjahr 2015 regelmäßig Reportagen und Propagandavideos und stellt
diese im Internet ein. Dazu wurde im Verlagsgebäude ein Aufnahmestudio eingerichtet.
54
Offenbar versuchen die Betreiber, die Finanzierung des Objektes mit Veranstaltungen abzusichern. Wäh-
rend eines „Sommerfestes“ am 22. August 2015 weihten die Rechtsextremisten einen Teil des Gebäude-
traktes als „Haus Wieland“ ein, welcher als Veranstaltungssaal mit Schlafplätzen als „nationales Begeg-
nungszentrum“ für Seminare, Schulungen und andere Veranstaltungen genutzt werden soll.
Ideologie/ Politische Zielsetzung
Am 17. Januar 2017 erging das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem vom Bundesrat bean-
tragten Verbot der NPD
109
. Im Ergebnis wurde die Partei nicht verboten. Das Gericht stellte fest, dass
sich die Partei zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen
bekenne und planvoll auf deren Erreichung hinarbeite. Es fehle jedoch an konkreten Anhaltspunkten von
Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen
ließen.
Das Bundesverfassungsgericht ließ jedoch keinen Zweifel an der Verfassungsfeindlichkeit der Partei. So
verletze der von ihr vertretene Volksbegriff die Menschenwürde, indem er den sich hieraus ergebenden
Achtungsanspruch der Person negiere und zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle führe,
die nicht der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ in ihrem Sinne angehörten. Das Politikkonzept der
NPD sei auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftli-
chen Gruppen (Ausländern, Migranten, religiösen und sonstigen Minderheiten) gerichtet.
Auch missachte die NPD das Demokratieprinzip. In einem durch die „Einheit von Volk und Staat“ gepräg-
ten Nationalstaat im Sinne der NPD sei für eine Beteiligung ethnischer Nichtdeutscher an der politi-
schen Willensbildung grundsätzlich kein Raum. Dieses Konzept widerspreche dem Anspruch auf gleich-
berechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung. Außerdem trete die NPD
für die Abschaffung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems und seine Ersetzung
durch einen am Prinzip der „Volksgemeinschaft“ orientierten Nationalstaat ein.
Die Partei weise schließlich auch eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf.
In diesem Urteil wurden die ideologischen Standpunkte der NPD vom Bundesverfassungsgericht aus-
führlich erörtert und als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet bewertet.
Nachfolgend werden einige Ideologiefragmente der Partei wiedergegeben:
Schaffung einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft
Die NPD strebt die Schaffung einer „
neuen Ordnung
“ in Form einer
„Volksgemeinschaft“
an.
„Die NPD bekennt sich zur Volksgemeinschaft und zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Volksge-
meinschaft ist die Voraussetzung für die Solidargemeinschaft und damit für den sozialen Staat, der auch
im Grundgesetz gefordert wird. Das nationale Selbstbestimmungsrecht wiederum ist die Voraussetzung
für einen demokratischen Staat.“
110
109 Bundesverfassungsgericht, Urt. vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13
110 Holger APFEL am 11. Juli 2008, Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 4/115, S. 9453
55
RECHTSExTREMISMUS
Diese Volksgemeinschaft sieht die Partei als „Schutz- und Solidargemeinschaft“. Nur in ihr gebe es
Sicherheit, Teilhabe und Zusammengehörigkeit:
„Entscheidend ist die glaubwürdige Positionierung der NPD als Schutzmacht der ‚kleinen Leute’. Dieser
potentiell nationalrevolutionären Mehrheit im Volk muß klar werden, dass die Volksgemeinschaft in der
Globalisierungsära die einzig denkbare Schutz- und Solidargemeinschaft ist; nur sie verbürgt durch
emotional unterfütterte Zusammengehörigkeitsgefühle soziale Teilhabe und Sicherheit.“
111
Die rassistisch definierte Volksgemeinschaft ist das Kernelement der Weltanschauung der NPD. Aus ihr
leitet sich ein völkisches Menschenbild in Gestalt des Vorrangs der Gemeinschaft gegenüber dem Indivi-
duum ab. Nur wenn ein Mensch nach diesem Verständnis Bestandteil der „Volksgemeinschaft“ ist, wird
ihm seine Freiheit garantiert. Dies allerdings nur insoweit, als er der Gemeinschaft nützt.
„Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit; diese endet dort, wo die Gemeinschaft
Schaden nimmt.“
112
„An allen Stellen, an denen Einzelinteressen mit Gemeinschaftsinteressen kollidieren, haben diese zu-
gunsten des Erhaltes der Gemeinschaft zurückzutreten.“
113
Hier zeigt sich eine Parallele zum Programm der NSDAP, wonach gemäß Punkt 10 die
„Tätigkeit des
einzelnen
[…]
nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen [darf], sondern […] im Rahmen des
Gesamten zum Nutzen aller erfolgen [müsse].“
114
Die NPD verwendet den Begriff „Volksgemeinschaft“ im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie.
Die historischen Nationalsozialisten definierten sie als
„die auf blutmäßiger Verbundenheit, auf ge-
meinsamem Schicksal und auf gemeinsamem politischem Glauben beruhende Lebensgemeinschaft
eines Volkes, der Klassen- und Standesgegensätze wesensfremd sind“
. Die NPD versteht diese Volks-
gemeinschaft als eine annähernd
„ethnisch homogene“
Gruppe von Menschen, die aufgrund
„gemein-
samer Sprache, Geschichte, Kultur, Schicksal, etc.“
115
entstehe.
„Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnisch-kulturelle Gemeinschaft des deut-
schen Volkes hineingeboren wurde. [...] Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden
können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen
verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen
und Völkern verantwortlich sind. [...] Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und
seelisch immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben. Sie mutieren durch die Verleihung
eines Passes ja nicht zu Deutschen.
116
Diese Ausführungen in den Argumentationshilfen zeigen dass die NPD den Begriff der Volksgemein-
schaft im Sinne der rassistischen und ausgrenzenden nationalsozialistischen Ideologie interpretiert.
111 Jürgen GANSEL, „Weckruf an die ‚kleinen Leute’ im Volk“,
(Stand: 3. Februar 2011)
112 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6
113 Wahlprogramm der NPD zur Bundestagswahl 2002, S. 77
114 Programm der NSDAP vom 13. April 1920, Schreibweise wie im Original
115
Beitrag „National-revolutionäre Gesundheitspolitik“ (Stand: 11. September 2003, Schreibweise wie im Original)
116 Broschüre WORTGEWANDT, Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 18 f., Schreibweise wie im Original
56
Deutlich ist ein Bezug auf das Programm der NSDAP zu erkennen, wo es im Punkt 4 hieß:
„Staatsbürger
kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist ...“
Rassistische fremdenfeindliche Ideologie
Nach Vorstellung der NPD bestimmt sich der Wert eines Menschen nach der Zugehörigkeit zu einer Ethnie
bzw. Rasse. Hieraus resultieren eine rassistisch gefärbte Fremdenfeindlichkeit und der übersteigerte Nati-
onalismus der Partei. Die Rechtsextremisten grenzen die in ihren Augen „Nicht-Deutschen“ nicht nur aus,
sondern sie diffamieren sie als minderwertige „Sozialschmarotzer“ und stellen sich selbst als Elite dar.
„Die Grundlagen unserer ethnischen Exklusivität, unseres geistig-kulturellen Erbes, aber auch unserer
wissenschaftlich-technischen und damit wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind in Gefahr […] Die
Leistungsgesellschaft braucht Leistungsträger. Leistungsträger finden sich aber vermehrt in den zentral-
europäischen Völkern, nicht bei den afrikanischen Hottentotten. Begabungen und Intelligenz sind nun
einmal ungleich verteilt – und das deutsche Volk ist eines der begabtesten Völker in der Welt. Für unsere
Begabungen haben wir uns auch nicht zu schämen! Im Gegenteil! Deshalb darf es keine Zuwanderung
von Dummen und Primitiven in unser Land geben […].“
117
„So geht deutsche Intelligenz zunehmend ins Ausland, während ausländische Dummheit mit sozial-
schmarotzerischen Neigungen ungebremst ins Land kommt. Die deutsche Volkssubstanz wird neben der
Auswanderung guter Köpfe durch den andauernden Geburtenboykott der vielen beruflich ‚Gestrandeten’
geschwächt.“
118
Der Fremde – und in den Augen der NPD Nicht-Deutsche – wird pauschal als kriminell, dumm und ange-
trieben von einer „schmarotzerischen“ Neigung dargestellt. Seine Aufnahme in die „Volksgemeinschaft“
gefährdete den Bestand der „deutschen Volkssub-
stanz“. Nach den Vorstellungen der Rechtsextre-
misten seien
„Nur ethnisch geschlossene Gesell-
schaftskörper mit geringem Ausländeranteil […]
solidar- und belastungsfähig […]“.
119
Die im Jahr 2015 einsetzende verstärkte Zu-
wanderung von Asylbewerbern deutet die NPD
in verschwörungstheoretischen Überlegungen
als Durchführung eines Planes zur Vernichtung
des Deutschen Volkes. Der NPD-Funktionär Arne
SCHIMMER bezeichnete diesen Vorgang in einer
Rede als
„schleichenden Staatsstreich“
. Durch
den
„massenhaften Asylmißbrauch“
habe sich
„ein Schlupfloch für illegale Zuwanderung größ-
ten Ausmaßes geöffnet“
. So werde
„am Ende die
117
(Stand: 8. Mai 2012)
118
Artikel „Der Globalisierungstod des Bürgertums“ (Stand: 2. Januar 2007)
119 Broschüre Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2006, S. 7
Quelle:
(Stand: 17. Oktober 2016)
57
RECHTSExTREMISMUS
Zusammensetzung des Staatsvolks geändert (…), ohne daß die Deutschen in einer Volksabstimmung
vorher darüber befragt worden seien.“
120
Ein NPD-Mitglied aus Schleswig-Holstein unterstellte Ausländern sogar sinngemäß, deren eigene Erb-
anlagen – mit Duldung der Politik – beim deutschen Volk aufbessern zu wollen:
„Erinnern wir uns, wie die ‚Hamburger Morgenpost’ dem Herrn Rechtsanwalt Rieger in großer
Aufmachung vorwarf, Arier züchten zu wollen. Das will man verhindern. Aber was geschieht zur Zeit?
Ein noch deutsches Volk wird von Negriden, Asiaten und Orientalen unterwandert und als Rohstoff
für eine Veränderung der eigenen Erbanlagen genutzt, Und das mit Duldung solcher politisch tätigen
Vertreter!“
121
Die damalige Vorsitzende der NPD-Frauenorganisation
rINg NatIoNaler fraueN
(RNF) sieht in der Rolle der
Frau eine Bewahrerin „des rassischen Erbes“:
„Die Frau sieht ihre Selbstverwirklichung darin, Schicksalsgefährtin des Mannes, Hüterin des Heimes,
der Sitte und der Kultur und Bewahrerin des rassischen Erbes zu sein. Das darf man heute ja da schon
wieder nicht sagen mit dem rassischen Erbe, weil ja Multi-Kulti heute propagiert wird, aber deswegen
ist es für uns ganz besonders wichtig, unser Blut rein zu halten.“
122
Den zentralen Aussagen des Grundgesetzes zu Menschenwürde und Gleichheitsrechten setzt die Partei
mit ihrem Verlangen nach „Reinhaltung der Rasse“ zum Schutze der „deutschen Volkssubstanz“ rassis-
tisch geprägte Forderungen entgegen, die wiederum eine Anlehnung an die Zeit des Nationalsozia-
lismus erkennen lassen.
120
(Stand: 17. August 2015, Schreibweise wie im Original)
121 Schleswig-Holstein-Stimme, Ausgabe Mai-Juni 2008, Seite 14, Schreibweise wie im Original
122 Videobeitrag auf der
Quelle:
(Stand: 28. Juli 2016)
58
Menschenwürde und Ausschluss von Grundrechten
Zwar bekennt sich die Partei in ihrem Parteiprogramm formal zur Menschenwürde und zur Gleichheit
vor dem Gesetz, allerdings konterkariert sie diese Aussage mit Forderungen zur unterschiedlichen Be-
handlung von Deutschen und Nichtdeutschen, indem sie die Wahrung der Menschenwürde nur auf die
eigene Ethnie beschränkt:
„Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft.“
123
„… das ‚Begrüßungsgeld‘ für Neugeborene, das ‚Müttergehalt‘ und das von der NPD geforderte Familien-
darlehen haben ausschließlich deutsche Familien zu fördern.“
124
„Der Staat hat jedem Deutschen zu ermöglichen, durch Arbeit seinen und den Lebensunterhalt seiner
Familie aus eigener Kraft bestreiten zu können.“
125
„Eigentum an deutschem Grund und Boden kann nur von Deutschen erworben werden.“
126
„Ausländer sind aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten
Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen.“
127
Diese Forderungen verdeutlichen, dass die NPD Menschen, welche nicht in ihrem Sinne Bestandteil der
rassistisch definierten Volksgemeinschaft sind, systematisch einen niedrigeren Rechtsstatus zuordnet
und ihnen Grundrechte verweigern will.
Wer nach der Definition der NPD nicht Bestandteil der Volksgemeinschaft ist, wird als „Fremdkörper“
betrachtet. Diese Menschen will die NPD ausgrenzen, benachteiligen und ausschließen. Sie sind in den
Augen der Rechtsextremisten minderwertig und sollen Deutschland verlassen. Vor diesem ideologischen
Hintergrund sind besonders die ausländer- und islamfeindlichen Kampagnen der NPD zu sehen.
Islamfeindlichkeit als Türöffner für Fremdenfeindlichkeit
Bereits im Jahr 2010 gab es strategische Überlegungen der NPD, wonach die sog. „Moslemfrage“
propagandistisch als Türöffner für die Vermittlung ihrer ausländerfeindlichen Positionen genutzt
werden solle:
„Die nationale Opposition ist also wahltaktisch gut beraten, die Ausländerfrage auf die Moslemfrage
zuzuspitzen (ohne sie freilich darauf zu beschränken) und die Moslems als Projektionsfläche für all das
anzubieten, was den Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört. Die populäre Moslemkritik kann so
zum Türöffner für die viel weitergehende Ausländerkritik der nationalen Opposition werden.“
128
Seit einigen Jahren – infolge der verstärkten Entwicklung des weltweiten islamistischen Terrors – baut
die NPD deshalb bewusst das Feindbild Islam auf, um ihre fremdenfeindlichen Argumentationen in das
sicherheitsempfindliche Bewusstsein der Bevölkerung zu tragen und Ängste zu schüren. Dabei setzt
die NPD Muslime und Islamisten gleich, wenn sie behauptet, dass die Islamisten das wahre Gesicht des
Islams zeigten.
123 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6
124 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 7
125 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 8
126 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 9
127 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 11
128
(Stand: 14. Oktober 2010)
59
RECHTSExTREMISMUS
„Islamisten sind dabei nicht etwa nur als besonders extreme Vertreter ihres Glaubens anzusehen, sondern
sie verkörpern den Islam vielmehr in seiner unverfälschten Form, mit der die Mehrzahl der in Deutschland
lebenden Muslime gänzlich oder zumindest in weiten Teilen konform geht.“
129
„Für die sächsische NPD steht außer Frage, daß Zuwanderungskritik heutzutage immer auch Islami-
sierungskritik sein muß, ist doch gerade die Zuwanderung aus islamischen Ländern besonders konflikt-
beladen. Muslime stellen nicht nur quantitativ die Hauptgruppe der Überfremder dar, sondern sie sind
aufgrund ihres – mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft unvereinbaren – religiösen und kulturellen
Hintergrundes auch die mit Abstand problematischsten.“
130
Streben nach Abschaffung der parlamentarischen Demokratie
Die NPD positioniert sich offen als Feind der parlamentarischen Demokratie. Sie will den Staat weder
reformieren, noch an seiner Gestaltung im Rahmen des parlamentarischen Prozesses mitwirken. Die
gegenwärtige demokratische Gesellschaft soll vielmehr abgeschafft werden. Deshalb greift die Partei
den Staat in diffamierender Art und Weise an und bringt so ihren Willen zur Überwindung der freiheit-
lichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck.
„Die NPD stellt die Systemfrage, sie will den sozialen, demokratischen und nationalen Volksstaat schaffen
und stellt dieses Ideal der etablierten ‚Demokratie-Karikatur’ namens BRD entgegen.“
131
129 ebd.
130
(Stand: 12. August 2013, Schreibweise wie im Original)
131 Broschüre „Heimat bewahren. Freiheit erkämpfen“, S. 15
Quelle:
(Stand: 9. Oktober 2016)
60
„In der Tat wollen wir das liberalkapitalistische System der BRD überwinden und die Fehler dieser repräsen-
tativen Demokratie beseitigen […].“
132
Der einstmals maßgebliche Parteiideologe Jürgen GANSEL verdeutlichte in einem Artikel, dass die Partei
kein Interesse an der Mitgestaltung des demokratischen Willensbildungsprozesses hat, sondern daran
arbeiten will, eine den „Parteienpluralismus erstickende Gegenmacht“ aufzubauen:
„Das alles ist systemimmanenter Volksbetrug! Hier hilft kein bloßer Politikerwechsel, weil durch den Aus-
tausch eines Volksbetrügers durch einen anderen nichts gewonnen ist, sondern nur ein radikaler, also an
die Wurzel des Übels gehender Politikwechsel. [...] So wie das System von unten nach oben fault, muss die
NPD von unten nach oben politische Gegenmacht aufbauen. In den Städten, Gemeinden und Landkreisen
haben wir uns als Stachel im Fleisch der Volksbetrüger und als Schutzmacht der ‚kleinen Leute’ unseres
Volkes festzusetzen – parlamentarisch wie außerparlamentarisch.“
133
Ablehnung des Mehrparteienprinzips – Parlamentarismus ist nur Mittel zum Zweck
Anstelle der repräsentativen Demokratie strebt die Partei einen Staat mit plebiszitärem Präsidialsystem
an, in dem es kein demokratisches Mehrparteiensystem mehr geben soll:
„Demokratie heißt Volksherrschaft, während Liberalismus die Herrschaft von Parteien und Interessen-
gruppen meint, deren Bühne und Exekutionsorgan volksabgehobene Parlamente sind. Im Liberalismus
reißen sich Parteien und Interessengruppen den Staat unter den Nagel und machen ihn zum Schacher-
und Kompromißobjekt. […] Wir wollen das gemeinwohlschädigende Parteienregime eindämmen und ein
neues Gemeinwesen mit einem volksgewählten Präsidenten und Volksabstimmungen in allen Lebens-
fragen der Nation schaffen. Ein solches plebiszitäres Präsidialsystem würde die deutsche Politik aus dem
Würgegriff der Blockparteien und der eigensüchtigen Interessengruppen befreien.“
134
Der so angestrebte Staat trägt autoritäre Züge und steht im Kontrast zum pluralistischen Weltbild des
Grundgesetzes. Auch im Parteiprogramm verdeutlichte die NPD ihre ablehnende Haltung zum Mehr-
parteiensystem:
„Zentrale Eckpunkte einer politischen Neuordnung sind: die Festschreibung einklagbarer sozialer Grund-
rechte und der Grundpflichten, die Direktwahl des mit mehr Machtbefugnissen ausgestatteten Präsiden-
ten der Deutschen durch das Volk und die Stärkung der Gesetzgebung durch Volksentscheide auf allen
Ebenen. Dadurch wird die gemeinwohlschädigende Dominanz der Parteien zurückgedrängt und das Volk
in seinen Rechten gestärkt.“
135
Historischer Nationalsozialismus als Ideal der NPD
In seinem Urteil zu dem vom Bundesrat beantragten Verbot der NPD führte das Bundesverfassungsge-
richt weiter aus:
Bei der NPD
„liegt eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus vor. Das Konzept der „Volks-
gemeinschaft“, die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokra-
tischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen
[…]
. Hinzu kommen das
132 damaliger NPD-Parteivorsitzender VOIGT in der DEUTSCHEN STIMME, April 2011, S. 16
133 Artikel „Die Systemkrise beginnt im kommunalen Unterbau“, Internetseite der NPD (Stand: 24. Februar 2010)
134 Broschüre WORTGEWANDT Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 51
135 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 8
61
RECHTSExTREMISMUS
Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut
und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbunden-
heit zumindest relevanter Teile
[…]
mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren
[…]
.
Ungeachtet struktureller Unterschiede zwischen
[der NPD]
und der NSDAP ergibt sich hieraus eine Bestäti-
gung der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch
[die NPD] […]“.
136
Die NPD empfahl ihren Funktionsträgern zwar, „sich mit dem Hinweis auf Gegenwartsaufgaben“ nicht
auf die Themenkomplexe Holocaust, Kriegsschuldfrage 1939 und Nationalsozialismus „festnageln“ zu
lassen. Jedoch zeigen die beschriebenen Parallelen zwischen der NPD und der NSDAP-Programmatik
sowie die positive Bezugnahme auf die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und
1945, dass sich die Partei am „Dritten Reich“ orientiert.
„Nur weil es etwas schon im Dritten Reich gab, muß es nicht automatisch schlecht sein. Wir sind keine
Partei, die etwas nur deshalb ablehnt, weil es das auch schon zwischen 1933 und 1945 gegeben hat,
z. B. echt fortschrittliche Gesetze auf dem Gebiet der Sozial- und Familienpolitik, des Tier- und des
Naturschutzes […]. Die Forderung‚ Gemeinnutz geht vor Eigennutz’ ist doch nicht falsch, nur weil sie von
Nationalsozialisten erhoben wurde.“
137
Die erwähnte „Forderung“ ist im Programm der NSDAP zu finden. Offensichtlich hat diese Partei für die
NPD nicht nur in Bezug auf ihre Ideologie, sondern auch in strategisch-taktischen Fragen eine Vorbild-
funktion. Dies untermauerte der damalige stellvertretende Bundesvorsitzende Karl RICHTER in einem
Thesenpapier zur künftigen Positionierung der NPD:
„Im Gegensatz zu uns war die NSDAP in Stil, Auftreten und Methoden eine ultramoderne Massenpartei,
die es damit konkurrenzlos erfolgreich in die Mitte des Volkes schaffte. Dort müssen wir auch hin!“
138
Nach dem Vorbild des historischen Nationalsozialismus strebt die NPD die Wiederherstellung des deut-
schen Reiches als
„Schutz- und Trutzbündnis des Deutschen Volkes“
139
an.
„Die Hauptaufgabe der deutschen Nationaldemokratie besteht deshalb in der Wiederherstellung der
vollen Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches.“
140
Das von der NPD angestrebte „Reich“ orientiert sich deutlich am „Dritten Reich“. Die Partei versucht dabei,
Geschehnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus zu verharmlosen bzw. zu rechtfertigen. So leugnet
sie die Schuld der Nationalsozialisten am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Angriff auf Polen habe
„auf jeden Fall der Abwehr einer deutlich angezeigten militärischen Bedrohung gegen das Reich“
141
gedient. Hinsichtlich des millionenfachen Massenmordes an den europäischen Juden spricht die NPD
in ihrem Zentralorgan verharmlosend von
„Fehlentwicklungen“
im „Dritten Reich“
142
.
136 Bundesverfassungsgericht, Urt. vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13
137 WORTGEWANDT Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 53
138 Thesenpapier „Raus aus dem Vergangenheitsghetto – Gegenwart gestalten“ von Karl RICHTER, Juni 2011
139
Meldung über den „Präsidiumsbeschluß zur V-Mann-Hysterie – Jetzt erst recht!“ (Stand: 17. Juli 2002)
140 Europawahlprogramm der NPD 2003, S. 6
141 DEUTSCHE STIMME, Artikel „Imperialistischer Raubzug oder nationaler Notwehrakt?“, August 2003, S. 20
142 DEUTSCHE STIMME, Artikel „Die BRD feiert die Niederlage Deutschlands“ von Jürgen GANSEL, Juli 2004, S. 4
62
Aktivitäten
Die Aktivitäten des sächsischen NPD-Landesverbandes erreichten im Jahr 2016 einen Tiefpunkt. Die
Partei musste durch das Ausscheiden der NPD aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einen
weiteren Verlust ihrer politischen Bedeutung hinnehmen, sah sich mit dem laufenden Verbotsverfahren
konfrontiert, verlor weiter an Mitgliedern und verfügte in Sachsen kaum noch über aktive Strukturen.
Im ersten Halbjahr 2016 waren noch Ansätze sichtbar, wie die Beteiligung des Landesverbandes am
Protestgeschehen im Freistaat Sachsen – allerdings in deutlich geringerem Ausmaß als im Vergleich zum
Vorjahr. Im zweiten Halbjahr kam auch dies zum Erliegen. Insgesamt wurden 24 Demonstrationen und
Kundgebungen bekannt, welche die Partei organisierte bzw. an welchen sie aktiv mitwirkte.
Die NPD-Strukturen – mit Ausnahme der Kreisverbände Dresden, Meißen und Sächsische Schweiz –
schienen in Agonie zu verfallen. Im Erzgebirgskreis agierte der Kreisvorsitzende zumeist außerhalb
seiner Partei.
Parteiinterne Konflikte zwischen dem Landesvorstand und den Kreisverbänden sowie Austritte von Mit-
gliedern drangen an die Öffentlichkeit und vermittelten das Bild einer desolaten Situation im sächsi-
schen Landesverband. Der ehemals aktive und mitgliederstarke Kreisverband Leipzig zerfiel nach diesen
Konflikten. Erst im November wurde ein neuer Vorstand gewählt. Auch der Kreisverband Bautzen musste
nach Austritt seines Vorsitzenden im November 2016 einen neuen Kreisvorstand wählen.
Nach Scheitern des Wiedereinzugs in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern verfügt die NPD nun
bundesweit nur noch über Mandatsträger auf kommunaler Ebene. Jedoch sinkt auch die kommunale
Präsenz der NPD durch die Austritte von Mandatsträgern.
Gegen Ende des Jahres und in Vorbereitung auf kommende Wahlen beschlossen Funktionsträger der
Partei ein verstärktes soziales Image zu verschaffen. Man wolle sich als
„Anwalt der kleinen Leute“
sowie
als
„Dienstleister in verschiedenen Bereichen der praktischen Lebensführung“
präsentieren. Parallel dazu
beabsichtige man aber auch, „Bürgerinitiativen“ zu unterstützen und die Vernetzung
„nonkonformer
patriotischer Kräfte“
143
zur NPD voranzutreiben.
Konflikte und Erosionen an der Basis
Am 19. März 2016 führte der sächsische NPD-Landesverband einen Landesparteitag durch. Auf dieser
Veranstaltung wählten die Delegierten Jens BAUR zum Landesvorsitzenden. Dieser Schritt war not-
wendig geworden, nachdem sein Vorgänger im Sommer 2015 zurücktreten und die Partei zunächst
kommissarisch von BAUR geführt werden musste.
Der neue Vorsitzende sah sich nach dem Parteitag Anfeindungen aus den eigenen Reihen ausgesetzt.
Der Kreisverband Leipzig erklärte nach dem Landesparteitag, dass das Ergebnis der Veranstaltung
„augenscheinlich ungültig“
sei. Der Landesvorstand habe vor der Veranstaltung über den Kreisverband
Leipzig
„unbegründet“
den organisatorischen Notstand verhängt,
„abdelegierte Mitglieder“
seien für
nicht stimmberechtigt erklärt worden und einen vorgeschlagenen Kandidaten habe man ignoriert.
144
Diese Vorwürfe wies der Landesvorstand zurück. Der Vorstand habe die Ordnungsmaßnahme gegen
die NPD-Struktur wegen finanzieller Probleme verhängt.
145
In einer umfangreichen Entgegnung verlaut-
barte der Leipziger Kreisvorstand:
143
(Stand: 18. November 2016)
144
(Stand: 23. März 2016, Schreibweise wie im Original)
145
(Stand: 24. März 2016)
63
RECHTSExTREMISMUS
„Da sämtliche Mitglieder des Kreisverbandes die Lügen, Intrigen und Märchen des Jens Baur mitbe-
kommen haben und die erfundenen Inhalte seiner Pressemitteilung das Fass zum überlaufen brachten,
schrieben am heutigen Tag ALLE aktiven Mitglieder Ihre Kündigung, was ein schmerzhafter Verlust im
zweistelligen Bereich bedeutet.“
146
Damit brach die politische Arbeit des ehemals mitgliederstarken und aktiven Kreisverbandes Leipzig
ein. Die sächsische NPD, welche zu diesem Zeitpunkt eigenen Angaben zufolge nur noch über rund
500 Mitglieder verfügt haben soll, musste weitere
Verluste hinnehmen. Ein erster Versuch, diese in-
aktive NPD-Struktur wieder zu beleben, scheiterte
im Oktober 2016 an wegen mangelhafter Beteili-
gung an der einberufenen Versammlung. Erst im
November 2016 präsentierte der Landesverband
eine fünfköpfige Führungsriege des Kreisverban-
des Leipzig.
Auch der im Jahr 2016 kaum aktive Kreisverband
Bautzen, der nach Austritten im Vorjahr nur noch
aus wenigen Mitgliedern bestanden hatte, musste
im November 2016 einen Vorstand wählen, denn
der ehemalige Vorsitzende des Kreisverbandes
stand für dieses Amt nicht mehr zur Verfügung
und verließ die Partei.
Öffentliche Veranstaltungen
Im Unterschied zum Jahr 2015 drosselte die sächsische NPD ihre Beteiligung am Demonstrations-
geschehen gegen die Politik der Bundesregierung insbesondere in der zweiten Jahreshälfte. Im
Wesentlichen fanden derartige Aktivitäten der NPD in den Landkreisen Sächsische Schweiz, Meißen und
Erzgebirge sowie in der Stadt Dresden statt.
Im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge agierten Vertreter der NPD besonders in Sebnitz. Bei
Demonstrationen des Demokratischen Aufbruchs Sächsische Schweiz (DASS)
147
traten sie als Redner
auf, verbreiteten dabei auch ihre fremdenfeindliche Programmatik und wirkten organisatorisch mit.
Nach dem Ausscheiden eines maßgeblichen Vertreters aus den Organisationsteams dieser Gruppe
waren jedoch seit Juni 2016 keine Aktivitäten mehr feststellbar.
Darüber hinaus war das öffentliche Engagement der NPD im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz-
gebirge stark rückläufig. Lediglich je eine Demonstration fand in Klingenberg und in Dippoldiswalde
statt. In Heidenau führten NPD- und JN-Aktivisten eine „Straßentheateraktion“ durch.
Der Kreisverband Dresden organisierte einige Demonstrationen und führte Infostände durch. Ein von
der Partei organisierter Aufzug im Februar 2016 in Dresden-Gorbitz mit ca. 120 Teilnehmern richtete
sich gegen die Asylpolitik.
146
(Stand: 23. März 2016, Schreibweise wie im Original)
147 kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen
Quelle:
(Stand: 20. Oktober 2016)
64
Als im Juni 2016 in Dresden die sog. „Bilderberg-Konferenz“
148
stattfand, organisierte die NPD eine
Kundgebung unter dem Motto „Volksherrschaft durchsetzen – ‚Bilderberg‘ – Macht brechen – Heimlich-
tuerei beenden!“ mit ca. 80 Teilnehmern.
Wie im Vorjahr organisierte die NPD auch im
Jahr 2016 anlässlich des Jahrestages des Volks-
aufstandes in Dresden am 17. Juni einen Aufzug.
An der Veranstaltung „Damals wie heute: Ein Volk
sprengt seine Ketten“ beteiligten sich jedoch le-
diglich etwa 35 Personen.
Auch im Landkreis Meißen war die Partei im ersten
Halbjahr 2016 vereinzelt noch am Demonstrati-
onsgeschehen beteiligt. Die vier Aufzüge in Zeit-
hain, Gröditz, Moritzburg und Riesa richteten sich
gegen die Asylpolitik. An der größten Demonstra-
tion im Januar 2016 in Zeithain beteiligten sich
rund 200 Personen.
Das Objekt des Verlages der NPD-Publikation DEUTSCHE STIMME in Riesa nutzten die Rechtsextremis-
ten für öffentliche und interne Veranstaltungen. Im Juni 2016 organisierte der Landesverband ein sog.
„Sommerfest“ mit Rede- und Musikbeiträgen. Der rechtsextremistische Liedermacher „FreilichFrei“ trat
auf. Etwa 150 Parteimitglieder- bzw. Anhänger besuchten die Veranstaltung.
Die Aktivitäten der NPD im Erzgebirgskreis prägte besonders der Kreisvorsitzende Stefan HARTUNG.
Allerdings war dabei erkennbar, dass ein Bezug zur Partei bewusst vermieden wurde. Unter dem Label
„Freigeist“
149
organisierten HARTUNG bzw. seine Anhänger Demonstrationen bzw. Kundgebungen in Bad
Schlema, Grünhain-Beierfeld, Schwarzenberg und Aue. Dabei versuchten die Organisatoren, hinsichtlich
der Asylthematik Druck auf Lokalpolitiker auszuüben. Nach der Kundgebung in Bad Schlema beteiligten
sich rund 30 Personen aus dieser „Freigeist“ – Versammlung an einer Bürgerfragestunde zum Thema
„Asyl“ im Rathaus. Die gleiche Aktion planten die Aktivisten in Grünhain-Beierfeld. Auf der Facebook-
148 Die NPD agitiert gegen die „Bilderberg-Konferenz“ im Kontext ihrer antisemitischen Weltverschwörungstheorien.
Die „Bilderberg-Konferenz“ ist eine Zusammenkunft von Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, bei der Gedanken
über politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen ausgetauscht werden.
149 Die Kampagne/Initiative „Freigeist“ ist ein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen;
kein Beobachtungsobjekt hingegen ist der gleichnamige Verein Freigeist e. V.
Quelle:
(Stand: 7. April 2016)
Quelle:
(Stand: 9. Juni 2016)
65
RECHTSExTREMISMUS
Seite des NPD-Landesverbandes Sachsen hieß es:
„Nach dem erfolgreichen und die Politiker entlar-
venden Auftakt in Bad Schlema setzen wir unse-
re Veranstaltungsreihe […] vor dem Rathaus in
Grünhain-Beierfeld fort. Dort werden wir […] zu-
erst eine kurze Kundgebung abhalten und danach
gemeinsam den Politikern auf die Finger schauen,
unbequeme Fragen stellen und auf die Umsetzung
unserer Interessen pochen.“
150
Der Bürgermeister ließ angesichts dieser Situation 25 Personen zur Versammlung zu, welche um den
Tagesordnungspunkt Asyl gekürzt wurde.
HARTUNG zeigte sich darüber hinaus in der Region bestrebt, verschiedene regionale „Bürgerinitiativen“
zusammenzuführen. Der von HARTUNG angemeldete Aufzug in Aue wurde z. B. als „Sternmarsch“
am 9. April verschiedener Gruppierungen deklariert
151
. Mit ca. 600 Teilnehmern war es die größte von
diesem NPD-Funktionär angemeldete Veranstaltung im Jahr 2016.
Strategische Neuausrichtung
Am 17. November 2016 trafen sich sächsische
NPD-Funktionäre zusammen mit dem Parteivor-
sitzenden Frank FRANZ in Riesa, um auf einer
Klausurtagung über die künftige strategische
Ausrichtung der NPD in Sachsen zu beraten.
Anknüpfend an die von FRANZ geforderte
„stärke[re] Betonung der sozialen Frage“ wolle die
NPD:
•
„Dienstleister in verschiedenen Bereichen der
praktischen Lebensführung“
sein;
•
„breiten Schichten des deutschen Volkes, insbesondere der vom sozialen Abstieg bedrohten
Mittelschicht, solidarisch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen“
;
•
„auch in puncto ‚innere Sicherheit‘ […] den Bürgern künftig verstärkt als
Ansprechpartner dienen“
;
•
„als Dienstleister für Bürgerinitiativen engagieren, etwa wenn es um die Vorbereitung
und Organisation von Demonstrationen und Kundgebungen geht“
;
die „angestrebte parteiübergreifende Vernetzung nonkonformer patriotischer Kräfte, […]
mit ihren Bildungs- und Schulungs-Angeboten vorantreiben“
;
• sich im Unterschied zur
„eher wirtschaftsliberal auftretenden AfD […]
sehr viel stärker als Anwalt des kleinen Mannes“
sehen.
150 Auszug aus
(Stand: 1. Februar 2016)
151 siehe Abschnitt 2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik –
Fortsetzung des Beitrages von 2015
Quelle:
(Stand: 11 April 2016)
Quelle:
(Stand: 18. November 2016)
66
Ein wesentlicher Bestandteil der künftigen Öffentlichkeitsarbeit solle unter dem Motto
„Deutsche helfen
Deutschen“
laufen. Der Charakter der NPD als
„regional und lokal verwurzelte sozi ale Heimatpartei
bzw. als Kümmererpartei im Sinne einer Strategie der kommunalen und sozialen Graswurzelarbeit“
müsse deutlicher betont werden. Auch die
„kommunalpolitische Arbeit sowohl in- als auch außerhalb
der Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte
[müsse]
stärker an Bedeutung gewinnen“
, da die kommunalen
Mandatsträger das „Pfund“ vor Ort seien, mit welchem die NPD
„wuchern kann“
. Diesen Personenkreis
wolle der Landesvorstand besser vernetzen und praxisorientiert schulen.
Die genannten strategischen Punkte umrahmten die Rechtsextremisten mit der Feststellung, dass es
„in einer BRD […], in der sich breite Bevölkerungsschichten zunehmend als Verlierer der Globalisierung
und der Masseneinwanderung fühlen“,
für
„eine dezidiert soziale und heimattreue politische Kraft,
die ihr Engagement nicht nur auf Theorie und Wahlprogramme beschränkt“,
auch künftig noch breiten
Raum geben werde.
Die ersten Ergebnisse dieser Tagung verdeutlichten, dass verstärkt auf ein soziales Image als Kümmerer,
Dienstleister und Anwalt des „kleinen Mannes“ gesetzt wird. Auf diese Weise soll der rechtsextremistische
Charakter der Partei verschleiert werden. Selbst die fremdenfeindliche Position zur Asylpolitik, welche diese
Organisation bisher als ihr Alleinstellungsmerkmal betrachtet hat, findet sich kaum in den strategischen
Aussagen wieder. Allerdings zeigen sich in zwei Leitanträgen, welche auf dem Parteitag im November 2016
verabschiedet wurden, wieder typisch fremdenfeindliche und pauschalisierende Positionen.
Der Leitantrag
„‘Nein zu Kinderehen – Nein zur
importierten Barbarei‘ fordert die Politik dazu auf,
den millionenfachen Zustrom von Asylanten aus
Nordafrika und dem Nahen Osten als die eigent-
liche Ursache für den Import von Familienstruktu-
ren zu erkennen, die dem deutschen Familienver-
ständnis völlig fremd sind.“
Im zweiten Leitantrag „Willkommenskultur für
unsere Kinder!“ fordert die Partei
„eine drastische
Kostensenkung bei jungen Scheinflüchtlingen, um
die Kostenspirale für deutsche Eltern zu stoppen.“
In diesem Zusammenhang verwies ein Partei-
funktionär auf
„die immensen Kosten für sog. ‚Un-
begleitete Minderjährige Asylsuchende‘ (‚UMA`s‘),
bei denen es sich häufig um ‚scheinminderjährige
Scheinsyrer‘ handele.“
152
Aus Sicht der NPD haben nicht extremistische Parteien, wie die AfD, Themenfelder und Positionen der
NPD übernommen und damit wesentlich mehr politische Bedeutung erlangt.
Nun versuchen die Rechtsextremisten, durch ein vordergründig sozial engagiertes Auftreten auf
kommunalpolitischer Ebene bei potenziellen Wählern zu punkten. Dies soll für den Wähler zum ent-
scheidenden Unterschied zu ebenfalls die Asylthematik akzentuierenden Wahlalternativen sein.
152
(Stand: 30. November 2016)
Quelle:
(Stand: 27. November 2016)
67
RECHTSExTREMISMUS
Etappenziel Bundestagswahl
Am 26. November 2016 versammelten sich die Delegierten zu einem Landesparteitag im Erzgebirge,
bei dem sie die Kandidaten für die Landesliste zur Bundestagswahl 2016 wählten. Die sieben Perso-
nen umfassende Liste führte der Landesvorsitzende Jens BAUR, gefolgt von seinem Stellvertreter Arne
SCHIMMER an. Die Delegierten verabschiedeten zudem noch die Leitanträge „Nein zu Kinderehen – Nein
zur importierten Barbarei“ sowie „Willkommenskultur für unsere Kinder!“.
Mit einer Beteiligung an der Bundestagswahl und dem damit verbundenen Wahlkampf – in dem sich
die Rechtsextremisten voraussichtlich als soziale Kraft präsentieren werden – erhofft sich die Partei
offenbar eine bessere Ausgangslage für die Landtagswahl 2019 in Sachsen.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Entwicklung des sächsischen NPD-Landesverbandes war im Jahr 2016 gekennzeichnet von inner-
parteilichen Auseinandersetzungen, Substanzverlusten und einem Rückzug aus dem öffentlichen po-
litischen Raum. Nur einzelne Strukturen waren noch in der Lage, eine Außenwirkung zu entfalten. Es
gelang der Partei nicht, aus dem Protestgeschehen im Freistaat Sachsen Nutzen zu ziehen. Nachdem
die NPD nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern auch im letzten Landesparlament ihren Frak-
tionsstatus einbüßte, verfügt sie nur noch über kommunale Mandatsträger, deren Zahl durch Austritte
immer geringer wird. In dieser Situation und in Vorbereitung auf kommende Wahlen versuchen die
Rechtsextremisten sich ein Profil als „sozial engagierter Dienstleister“ zu geben. Damit hoffen sie auf
Zuspruch aus dem bürgerlichen Spektrum. Zweifelhaft ist, ob die Rechtsextremisten mit diesem weich-
gezeichneten Profil ihre Substanzschwäche wieder ausgleichen können.
Die Akzeptanz der Partei im eigenen Lager dürfte sich damit nicht erhöhen, auch wenn es im Zuge
der versuchten „Neuausrichtung“ der Partei nicht zu Relativierungen oder einem Aufgeben der extre-
mistischen ideologischen Standpunkte der Partei kam. Die NPD hält vielmehr nach wie vor an ihrem
rechtsextremistischen Programm fest und strebt die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung an.
Quelle:
(Stand: 27. November 2016)
Quelle:
(Stand: 30 November 2016)
68
2.4.2
Junge natIonaldemokraten
(JN)
Extremismusbereich:
Rechtsextremismus
Gründung:
1969
Sitz:
Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern)
Mitglieder 2016 in Sachsen:
ca. 85
Mitglieder 2015 in Sachsen:
ca. 110
Mitglieder 2015 bundesweit:
ca. 350
Vorsitz Bund:
Sebastian RICHTER
Vorsitz Freistaat Sachsen:
Paul RZEHACZEK
Publikationen:
DER AKTIVIST
PLATZHIRSCH
Kennzeichen:
Historie und Strukturentwicklung
Die JN, die Jugendorganisation der
NatIoNalDemokratIscheN ParteI DeutschlaNDs (NPD),
verstehen sich laut
Satzung ihrer Mutterpartei als deren „integraler Bestandteil“. Sie bezeichnen sich selbst als „Kaderorga-
nisation einer nationalistischen Partei“. Die JN gliedern sich in den Bundesverband, in Landesverbände
und in einigen Bundesländern in regional und lokal agierende sog. Stützpunkte. Den „Stützpunkten“
gehören in der Regel fünf bis zwanzig Mitglieder an.
Erste Aktivitäten der JN im Freistaat Sachsen wurden im Jahr 1995 festgestellt. 1997 gründete sich
in Dresden der erste sächsische JN-„Stützpunkt“. Im darauffolgenden Jahr entstand neben weiteren
„Stützpunkten“ in Kamenz und Bischofswerda (jeweils Landkreis Bautzen) erstmals ein sächsischer
JN-Landesverband, welcher jedoch bereits 1999 nach Zerwürfnissen mit dem Bundesvorstand wieder
aufgelöst wurde. Die anschließenden Versuche, einen neuen Landesverband zu gründen, blieben
zunächst erfolglos. Die vereinzelten „Stützpunkte“ in den Regionen Zittau (Landkreis Görlitz) und Säch-
sische Schweiz waren kaum aktiv.
Ab 2004 waren abermals Bemühungen zu beobachten, JN-Strukturen aufzubauen. Im Mai 2005 wur-
de in Sachsen erneut ein JN-Landesverband gegründet. In den folgenden Jahren entstanden mehrere
„Stützpunkte“, deren Aktivitäten unterschiedlich stark ausgeprägt waren. Während von einigen über
einen längeren Zeitraum hinweg Aktivitäten ausgingen, waren andere „Stützpunkte“ kaum aktiv oder
wurden offenbar wieder aufgelöst.
Ende 2012 haben die JN in Sachsen erneut damit begonnen, ihre Strukturen auszubauen. In Dres-
den, Geithain (Landkreis Leipzig) und Werdau (Landkreis Zwickau) gründeten Rechtsextremisten neue
„Stützpunkte“. In der ersten Jahreshälfte 2013 kamen weitere in Limbach-Oberfrohna (Landkreis Zwi-
ckau) und in Mittelsachsen hinzu. Der „Stützpunkt Mittelsachsen“ rekrutierte ehemalige Mitglieder der
neonationalsozialistischen Gruppierung
NatIoNale sozIalIsteN DöBelN
, welche im Februar 2013 durch den
sächsischen Staatsminister des Innern verboten worden war.
69
RECHTSExTREMISMUS
Im Jahr 2014 bildeten sich JN-Strukturen in Ostsachsen und Borna (Landkreis Leipzig). Nachdem die
NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz
(NSC) im März 2014 verboten worden waren, wechselten auch hier einige
ehemalige Mitglieder unter das Dach der JN, um so auch unter den Schutz des Parteienprivilegs
153
zu
fallen. In der Folge war auch eine Annäherung der
freIeN kräfte DresDeN
an JN-Strukturen erkennbar. Mit
dem Eintritt des führenden Dresdner Neonationalsozialisten Maik MÜLLER und einiger seiner Anhänger
in die JN nahm die Überschneidung von JN mit der neonationalsozialistischen Szene im Freistaat Sach-
sen weiter zu. Im Jahr 2015 waren die JN mit 13 „Stützpunkten“ in fast allen sächsischen Landkreisen
und in den drei kreisfreien Städten vertreten. Ausnahmen bildeten lediglich der Erzgebirgskreis sowie
der Vogtlandkreis. Aufgrund ihrer mehrjährigen engen Verbindung zur rechtsextremistischen Szene in
Bayern hatten sich führende
NeoNatIoNalsozIalIsteN
im Vogtlandkreis bereits 2014 der Partei
Der DrItte weg
angeschlossen.
154
Das Jahr 2016 war für die JN im Freistaat Sachsen mit einem deutlichem Strukturrückgang verbunden.
Der JN-„Stützpunkt“ Leipzig löste sich aufgrund der Konflikte zwischen dem NPD-Landesverband und
dem NPD-Kreisverband Leipzig Stadt und Land im April 2016 auf.
155
Die „Stützpunkte“ Muldental, Zwi-
ckau, Limbach-Oberfrohna und Ostsachsen stellten im Laufe des Jahres 2016 ebenfalls ihre Aktivitäten
ein. Damit verfügen die JN lediglich in Nord- und Mittelsachsen sowie in Borna, Chemnitz, Dresden,
Geithain und im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge noch über aktive „Stützpunkte“.
„Stützpunkte“ der JN im Freistaat Sachsen
153 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden.
154 siehe Abschnitt II.2.4.4
Der DrItte weg
155 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen Leipzig (Stadt)
70
Nach der Wahl von Paul RZEHACZEK zum Landesvorsitzenden der JN Sachsen im Oktober 2012 hatte sich
die NPD-Jugendorganisation deutlich für neonationalsozialistische Strukturen geöffnet. Dadurch konnten
die JN seit 2013 einen erheblichen Mitgliederzuwachs von über 50 % verbuchen. So steigerte sich ihr
Mitgliederpotenzial in den Jahren 2014 und 2015 auf 110 Personen. Aufgrund des Rückganges an aktiven
Strukturen in einigen Regionen sank das Mitgliederpotenzial im Jahr 2016 auf ca. 85 Personen.
Mitglieder der JN im Freistaat Sachsen
Die Geschäftsstelle der JN Sachsen befindet sich weiterhin in der Markersdorfer Str. 40 in Chemnitz, wo
auch am 2. April 2016 ihr diesjähriger Landeskongress durchgeführt wurde. Personelle Veränderungen
im Vorstand erfolgten nicht.
Ideologie/ Politische Zielsetzung
Das Ziel der Jugendorganisation der NPD ist die
Errichtung einer „nationalistischen Volksgemein-
schaft“. Gemeint ist eine „rassisch“ definierte
Gesinnungsgemeinschaft basierend auf dem
Gedanken der „Volksgemeinschaft“ des National-
sozialismus. Die JN bekennen sich zum „deutsch-
europäischen Abstammungsprinzip“
156
. Die Zuge-
hörigkeit zu einem Volk ist demnach nicht vom
rechtlichen Status der Staatsbürgerschaft, son-
dern von der ethnisch-biologischen Abstammung
abhängig.
156 Aus „Unsere Grundsätze“, Internetseite der JN,
(Stand: 10. Juni 2014)
Quelle:
(Stand: 4. April 2016)
120
80
40
0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
90
70
50
50
50
50
70
110 110
85
71
RECHTSExTREMISMUS
Die zentrale Stellung des nationalsozialistischen Konzepts der „Volksgemeinschaft“ spiegelt auch fol-
gender Facebook-Eintrag bei den JN Mittelsachsen wider:
„Ein Volk ist eine organisch gewachsene Gemeinschaft gleichen BLUTES, gleicher GESCHICHTE, mit
gleichem LEBENSRAUM/BODEN und gleicher KULTUR.
Sollte eines dieser Merkmale zerstört werden, kann das Volk langfristig nicht mehr bestehen.
Momentan versuchen die BRD-Demokraten, unser Volk auf allen vier Ebenen, also alle vier Merkmale,
zu zersetzen.
•
BLUT: Zersetzung durch massenhafte Zuwanderung.
•
BODEN: Verkauf von Grundstücken an Nicht-Deutsche und der völkerrechtswidrige
Gebietsverlust nach den beiden Weltkriegen.
•
GESCHICHTE: Verfälschung deutscher Geschichte und damit einhergehenden Büßertum.
•
KULTUR: Entartung der deutschen Sprache. Amerikanisierung in allen Lebensbereichen.“
157
Dass die von den JN angestrebte Volksgemeinschaft auf einer ethnisch-biologisch homogenen Ordnung
basieren soll, zeigt auch ein Eintrag auf dem Facebook-Profil der JN Sachsen vom 11. Oktober 2016:
„Durch die Gleichmachung in der Welt werden keine Unterschiede, welche durch Naturgesetzmäßigkeiten
gegeben sind, akzeptiert. (…)
Geschlechtliche sowie ethnische Verfälschung von Tatsachen werden bereits im Kindesalter gelehrt und
somit als Selbstverständlichkeiten verkauft. (…)
Die genetische Herkunft wird in den Hintergrund gestellt und eine Staatsangehörigkeit symbolisiert die
Zugehörigkeit zu einem Land. (…)
Wir sind genau an dem Punkt zwischen Bewusstsein und Vernichtung. Im Krieg zwischen Willkür und
Recht, im Krieg zwischen Gold und Blut und Boden. Durch die massenhafte Einwanderung und Vermi-
schung des deutschen Volkes mit anderen Völkern wird der große Volksaustausch durchgeführt, Deutsch-
land ist vogelfrei für jeden. (…)
Der Begriff „Rasse“ wird mit Fremdenfeindlichkeit verknüpft und wird dadurch eindeutig verfälscht. Das
genetische Erbe eines jeden Volkes ist eine Rassentatsache, kein Rassentabu. Es entspricht einfach den
Gesetzen der Natur und der Schöpfung. Die Rückeroberung beginnt mit der Enttabuisierung von Begriffen
wie Rasse. Demzufolge ist der Rassenhumanismus, der die mentale und geistige Regeneration der Rassen
fordert, gekoppelt mit dem Ethnosozialismus, der die Blutsbrüderschaft der Völker Europas darstellt, das
Mittel zum Erfolg, um den bevorstehenden Volkstod abzuwenden.“
158
Dementsprechend argumentieren die JN bei ihren Aktionen im Freistaat Sachsen mit Slogans wie
„Migration ist Völkermord! Widerstand an jedem Ort!“
159
, „Überfremdung tötet“, „Islam tötet“ und
„Migration tötet“
160
. Die Bundesführung der JN brachte es bereits im Dezember 2015 in einem Artikel
auf ihrer Homepage auf einen Nenner:
„Das Bekenntnis zu den großen natürlichen Gemeinschaften Rasse, Volk und Familie sei Richtschnur für
unser politisches Handeln.“
161
157
(Stand: 25. Dezember 2014, Schreibweise wie im Original)
158
(Stand: 11. Oktober 2016)
159 Eilenburg, 19. April 2016 kurzzeitige „Besetzung“ eines Wohnblockes durch JN-Akteure
160 Döbeln, Anfang August 2016 Veröffentlichung der JN Mittelsachsen
161
(Stand: 3. Dezember 2015)
72
JN-Bundesverband
Beim JN-Bundeskongress am 13. Dezember 2014 in Thüringen wurde Sebastian RICHTER zum neuen
Bundesvorsitzenden gewählt. Der in Hoyerswerda (Sachsen) geborene und in Mecklenburg-Vorpom-
mern wohnhafte RICHTER war zuvor Beisitzer im JN-Bundesvorstand. In der Folge verlegten die JN ihre
Bundesgeschäftsstelle von Riesa (Sachsen) nach Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern). Neuer Bundes-
organisationsleiter wurde der sächsische JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK.
JN als „Kaderschmiede“
Der neue Vorsitzende wollte – das zeigten die Aktivitäten und Veröffentlichungen des neuen Bundes-
vorstandes – das Selbstverständnis der JN als „Kaderschmiede“ stärken und die ideologischen Positionen
festigen. Die JN betonten:
„Wissen, erkennen und begreifen heißt verstehen. Die Grundlagen des politischen Handelns stehen auf
dem Fundament der Erkenntnis zur Notwendigkeit einer Veränderung der allgegenwärtigen Zustände.
Jegliche Form unkontrollierten Aktivismus, deren Motivation und Methode nicht im Einklang mit unse-
rem großen Ziel stattfindet, ist verschwendeter Aktivismus. […] Das Ausstatten mit geistigem Rüstzeug
ist die Voraussetzung organisatorischen Handelns. Die JN-Schulungsabteilung ist seit Frühjahr 2011 der
Nationale Bildungskreis (NBK), der die geistige, vorpolitische Raumnahme in Form der Schaffung eines
allgemeinen nationalen Gedankens begleitet.“
162
Leitsatz der JN ist dabei der Slogan „Führen durch Vorbild“. Mit ihren erklärten Vorbildern – insbeson-
dere der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula HAVERBECK-WETZEL und dem bereits verstorbenen
ebenfalls verurteilten NS-Kriegsverbrecher Erich PRIEBKE – verdeutlichen die JN einmal mehr ihren
ideologischen Hintergrund.
Im Freistaat Sachsen veranstalteten die JN lediglich im ersten Halbjahr 2016 vereinzelte Schulungen zu
den Themen „IT-Sicherheit“, „Wirtschaft“ und „biologische Grundlagen“.
162
(Stand: 19. Juni 2015)
Quellen:
(Stand: 29. Mai 2016)
Quelle:
(abgerufen am: 11. Oktober 2016)
73
RECHTSExTREMISMUS
JN-Kampagnen und ausgewählte weitere Aktivitäten
Der Rückgang aktiver Strukturen hatte auch auf das Aktionsniveau der JN spürbare Auswirkungen.
Im Jahr 2015 organisierten die JN bzw. einzelne ihrer Mitglieder noch 20 Versammlungen im Freistaat
Sachsen. Im Jahr 2016 sank die Anzahl deutlich auf nur noch zwölf Versammlungen. Dabei wurden
einige dieser Demonstrationen oder Kundgebungen, wie bereits im Vorjahr, nicht mehr unter dem Label
JN, sondern unter Kampagnenbezeichnungen oder durch Einzelpersonen angemeldet.
163
Das zurückgegangene Aktionsniveau machte sich auch bei der Fortsetzung der bereits in den Vorjahren
begonnenen Kampagnen bemerkbar. Weder brachten sich die JN in gewohntem Umfang in die „Akti-
onswoche 13. Februar“ ein, noch erreichte die fortgesetzte Antikapitalismus-Kampagne oder die zweite
Ausgabe der Schülerzeitschrift PLATZHIRSCH und deren Verteilung größere mediale Aufmerksamkeit.
„Aktionswoche 13. Februar“
Die JN waren im Jahr 2015 für die Mehrzahl der Aktivitäten außerhalb Dresdens verantwortlich. Hierbei
bildeten die zeitgleich am 13. Februar 2015 überregional durchgeführten Mahnwachen den Schwer-
punkt. Die öffentlichkeitswirksame Berichterstattung zu den einzelnen Aktivitäten erfolgte parallel
durch das Dresdner „Aktionsbündnis gegen das Vergessen“ und die JN im Internet.
Im Jahr 2016 kam es durch die JN im Zusammenhang mit der „Aktionswoche 13. Februar“ lediglich zu
Plakatierungen und Flyerverteilungen in Leipzig, Borna und Eilenburg. Auch die Berichterstattung in den
Profilen der JN in den sozialen Medien war deutlich zurückhaltender als im Vorjahr.
Kampagne „vergissmeinnicht“ – „Trauermarsch“ am 6. März 2016 in Chemnitz
Dafür meldete der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK für den 6. März 2016 im Namen der JN Sach-
sen einen Aufzug in Chemnitz unter dem Motto „vergissmeinnicht“ an. Bis zum Verbot der
NatIoNaleN
s
ozIalIsteN chemNItz
(NSC) am 28. März 2014 wurde dieser alljährlich von der
INteresseNgemeINschaft (Ig)
c
hemNItz
164
organisiert. Im Jahr 2015 fand erstmals kein „Trauermarsch“ statt.
An der Versammlung der JN am 6. März 2016
beteiligten sich 130 überwiegend sächsische
Rechtsextremisten. Im sozialen Netzwerk Face-
book richteten die JN zudem eine eigene Kam-
pagnenseite ein. Dort veröffentlichten die
JuNgeN
N
atIoNalDemokrateN
Fotos von Aufkleber- und Pla-
kataktionen im Rahmen der Kampagne. Weiter-
hin posteten insbesondere die JN Sachsen, die JN
Mittelsachsen und die JN Borna auf ihren Face-
book-Profilen unterstützende Plakataktionen.
163 Die Demonstrationen „Merkel muss weg“ am 5. Februar 2016 in Delitzsch und am 13. März 2016 in Eilenburg unter dem
Motto: „Schluss mit dem Asylchaos! Eilenburg-Ost darf nicht zum Asylghetto verkommen!“ meldete der JN-Landesvor-
sitzende Paul RZEHACZEK als Einzelperson für Initiativen mit dem Namen „Unser Delitzsch“ bzw. „Unser Eilenburg“ an.
Weitere Anmeldungen erfolgten durch Einzelpersonen in Borna und Eilenburg.
164 Die
Ig chemNItz
war den NSC zuzuordnen und daher von der Verbotsverfügung gegen die NSC umfasst.
Quelle:
Chemnitz (Stand: 29. Februar 2016)
74
Antikapitalismus-Kampagne der JN wird fortgesetzt
Im Rahmen ihrer Antikapitalismus-Kampagne bedienen die JN ein weiteres Merkmal ihr „Volksgemein-
schaftskonzept“. Kapitalismus ist für sie ein wesentlicher Teil der angeblich drohenden „Amerikanisie-
rung in allen Lebensbereichen“. Dabei versuchen sie, antisemitische Stereotype zu transportieren.
Am 1. Mai 2016 setzten die JN ihre 2015 begonnene Kampagne mit Kundgebungen in Döbeln und
Grimma sowie einer Demonstration in Wurzen fort.
An der Infotisch-Kundgebung in Döbeln beteiligten sich 32 Personen. Als Redner kamen der JN-Landes-
vorsitzende Paul RZEHACZEK und das JN-Landesvorstandsmitglied Jan HÄNTZSCHEL zum Einsatz. Als
stellvertretender Versammlungsleiter fungierte zudem mit Stefan TRAUTMANN, ein weiteres Mitglied
des JN-Landesvorstandes.
Die Versammlungsteilnehmer begaben sich im Anschluss zur zweiten Infotisch-Kundgebung in Grimma.
Die Kundgebung auf dem Grimmaer Markt verlief ohne besondere Vorkommnisse.
Nach der Weiterreise nach Wurzen wurde die Versammlung dort mit dann 105 Teilnehmern eröffnet.
Als Redner traten neben Paul RZEHACZEK auch der Landesvorsitzende der NPD Sachsen Jens BAUR, der
stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Arne SCHIMMER, der stellvertretende NPD-Vorsitzende Ronny
ZASOWK aus Brandenburg sowie Jan HÄNTZSCHEL auf. Alle Redner hätten verdeutlicht,
„dass der Nati-
onalstaat immer noch der beste Schutz gegen eine totale Herrschaft des Kapitals“
sei.
165
Bereits im Vorfeld des 1. Mai 2016 war deutlich geworden, dass die Demonstration des
NatIoNaleN uND
sozIaleN aktIoNsBüNDNIsses 1. maI
in Plauen eine deutlich höhere Teilnehmerzahl als die NPD/JN in Wurzen
mobilisieren können würde. Das Mobilisierungspotential der rechtsextremistischen Szene wurde zudem
durch eine weitere Demonstration der rechtsextremistischen Partei
DIe rechte
in Erfurt (TH) gesplittet.
Die Teilnehmerzahl dürfte die Erwartungen der JN sowie ihrer Mutterpartei kaum erfüllt haben. Laut
Anmeldung hatten die JN mit etwa 200 Teilnehmern gerechnet. In der Vergangenheit hatten die JN mit
überregionalen Demonstrationen, wie z. B. am 4. Oktober 2014 in Döbeln, noch mehr als 200 Teilnehmer
anziehen können. Am 1. Mai 2016 gelang es den JN gemeinsam mit der NPD nicht, selbst viele ihrer
eigenen Mitglieder zur Teilnahme zu motivieren.
165
(Stand: 2. Mai 2015)
Quelle: https://twitter.com/UnserGeithain (Stand: 1. März 2016)
75
RECHTSExTREMISMUS
Zweite Ausgabe der Schülerzeitschrift PLATZHIRSCH – öffentliches Interesse gering
Mitte April kündigten die JN die zweite Ausgabe der Schülerzeitschrift PLATZHIRSCH und damit verbun-
den weitere Verteilaktionen an. Die Verteilung der Erstausgabe an sächsischen Schulen im Juli 2014 hatte
zu Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Chemnitz wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs
gemäß § 123 StGB geführt. Im Zuge der Ermittlungen wurden am 25. März 2015 die Landesgeschäftsstelle
der JN sowie mehrere Wohnungen durchsucht und zahlreiche Computer, Laptops, Mobiltelefone und
Speichermedien beschlagnahmt. Gegen den stellvertretenden Landesvorsitzenden Stefan TRAUTMANN
verhängte das Amtsgericht Döbeln eine Geldstrafe. Das Verfahren gegen den JN-Landesvorsitzenden
Paul RZEHACZEK stellte das Amtsgericht Döbeln mit Beschluss vom 29. Dezember 2016 mit der Ver-
hängung einer Geldstrafe in Höhe von 800
€
vorläufig ein.
Die Verteilung der zweiten Ausgabe der Schüler-
zeitschrift erfolgte vom 1. bis 3. Juni 2016 an und
in verschiedenen Bildungseinrichtungen in Sach-
sen. Betroffen waren Einrichtungen in Döbeln,
Roßwein, Chemnitz, Pirna, Heidenau, Dresden und
Leipzig. Aufgrund der Erfahrungen aus dem Jahr
2014 und der erfolgten Vorabinformation über die
Sächsische Bildungsagentur reagierten die Verant-
wortlichen umgehend und entfernten die ausge-
legten Ausgaben. Durch die JN wurden die Aktio-
nen erneut in den sozialen Medien dokumentiert.
Ein mit 2014 vergleichbares Medienecho konnten
die JN jedoch nicht erreichen.
Anti-Asyl-Agitation der JN
Die steigende Zuwanderung und die damit verbundene Unterbringung von Asylsuchenden in sächsi-
schen Gemeinden bildete in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2015 das vorherrschende Thema der JN.
Zentraler Inhalt des o. a. „Konzeptes der Volksgemeinschaft“ ist die „Blut und Boden“-Ideologie. Inner-
halb ihres Konzeptes wird die aktuelle Zuwanderung als „Zersetzung des rassisch definierten Volkskör-
pers“ diffamiert. Durch die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris sahen sich die JN in ihrer
grundsätzlichen Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung bestätigt.
Ihre Warnungen vor einer angeblich „anhaltenden Überfremdung“ verbanden die JN daher im Jahr 2016
mit einer zunehmenden Islamfeindlichkeit.
In unmittelbarer Nähe zum Heidenauer Stadtfest führten Mitglieder der JN und des NPD-KV Sächsische
Schweiz/Osterzgebirge am 28. Mai 2016 eine Versammlung in Form eines Straßentheaterstückes unter
dem Motto „Islamismus stoppen, Augen öffnen“ durch. Eigenen Angaben zufolge wollten sie mit dem
inszenierten terroristischen Anschlag „ein deutliches Zeichen gegen die anhaltende Überfremdung und
Islamisierung“ setzen.
Quelle:
(Stand: 15. April 2016)
76
Am Rande des Pirnaer Stadtfestes folgte am 18. Juni 2016 eine Banneraktion unter dem Motto „Migra-
tion ist Völkermord“. Im Anschluss bekannte sich der JN-„Stützpunkt“ Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
im Internet zu der Aktion.
166
Die Aktionen der NPD bzw. der JN im Umfeld der öffentlichen Veranstaltungen zeigten, dass Rechtsex-
tremisten nach wie vor an ihrer Wortergreifungsstrategie festhalten und öffentliche Veranstaltungen
in ihrem Sinne „zu besetzen“ versuchen. Die zunehmend in Parolen und in den Veröffentlichungen in
den sozialen Medien festzustellende Islamfeindlichkeit wurde nach dem Nachlassen der Bedeutung
der Asylthematik offenbar nunmehr genutzt, um im Sinne der rechtsextremistischen Ideologie gegen
Zuwanderung zu agitieren. Auf diesem Wege gegen Zuwanderung zu polemisieren, ist kein neues
Muster. Eine ähnliche Darbietung, wie am 28. Mai 2016, erfolgte durch die NPD-Jugendorganisation
bereits am 30. September 2014 in Leipzig.
167
Ausblick
Aufgrund der internen Konflikte der NPD bemühten sich die JN im Freistaat Sachsen zunächst, Kon-
tinuität und Handlungsfähigkeit zu wahren. Nach dem sehr schwachen Wahlergebnis bei den Land-
tagswahlen im September 2016 in Mecklenburg-Vorpommern – sächsische JN-Mitglieder hatten in
Mecklenburg-Vorpommern Wahlkampfhilfe geleistet – waren jedoch die Aktivitäten der JN Sachsen
schließlich stark zurückgegangen.
Es ist zu erwarten, dass sich die Stagnation der JN auch im Jahr 2017 fortsetzt. Derzeit fehlen der JN in
vielen Regionen geeignete Führungspersonen, die eigene Aktionen initiieren bzw. neue Interessenten an
die Jugendorganisation binden könnten, zumal es mit der Partei
Der DrItte weg
eine Organisation gibt,
die ebenfalls um neonationalsozialistische Mitglieder wirbt. Insofern ist eine personelle Stärkung wie
auch eine Zunahme der Aktivitäten nicht zu erwarten.
Mit zunehmender Inaktivität der JN besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich viele der Personen,
die sich in den vergangenen Jahren aus der neonationalsozialistischen Szene kommend den JN zuge-
wandt hatten, nun abermals um- und rückorientieren. In der Folge würde auch ein weiterer struktureller
Rückbau einsetzen und die Bedeutung der JN für die rechtsextremistische Szene weiter abnehmen.
Bis zu der am 17. Januar 2017 verkündeten Entscheidung im NPD-Verbotsverfahren agierte die
JN abwartend. Eine Reaktion, die neue Aktivitäten erwarten ließe, blieb durch die sächsischen JN
bisher aus.
166 siehe Abschnitt II.2.12.11 Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen –
Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge“
167 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2014, S.137
77
RECHTSExTREMISMUS
2.4.3
dIe rechte
, Landesverband Sachsen
Extremismusbereich:
Rechtsextremismus
Gründung:
26. Oktober 2013
Neugründung
1. August 2015
Sitz:
Leipzig
Mitglieder 2016 in Sachsen:
ca. 30
Mitglieder 2015 in Sachsen:
ca. 30
Mitglieder 2015 bundesweit:
650
Vorsitz Bund:
Christian WORCH
Vorsitz Freistaat Sachsen:
Alexander KURTH
168
/ Uli-Carsten BAYER
169
Teil-, Nebenorganisationen:
–
Publikation:
keine
Kennzeichen:
Historie und Strukturentwicklung
Am 26. Oktober 2013 wurde der sächsische Landesverband der Partei
DIe rechte
gegründet. Der etwa zehn
Personen umfassende Landesverband war in der Folgezeit allerdings weder in der Lage, handlungsfähige
Strukturen im Freistaat aufzubauen, noch wahrnehmbare Aktivitäten zu entfalten. Auf ihrem Facebook-
Profil verkündeten die Rechtsextremisten am 18. März 2014 aufgrund von
„Meinungsverschiedenheiten“
schließlich die offizielle Auflösung des Landesverbandes:
„Ohne Mitglieder besteht auch kein Landesver-
band.“
170
Die Internetseite des Verbandes und das Facebook-Profil wurden offline gestellt.
Am 20. November 2014 wurde jedoch auf einer Facebook-Seite die Reaktivierung des sächsischen Lan-
desverbandes bekanntgegeben. Sie stand in engem Zusammenhang mit der innerparteilichen Krise der
sächsischen NPD. Diese hatte mit dem Rücktritt des damaligen stellvertretenden NPD-Landesvorsit-
zenden Maik SCHEFFLER Ende Oktober 2014 und dem damit verbundenen Rückzug anderer sächsischer
NPD-Funktionäre und weiterer Mitglieder aus der Partei ihren deutlichen Ausdruck gefunden.
Die tatsächliche Neugründung des sächsischen Landesverbandes erfolgte erst am 1. August 2015 in
Hagenwerder (Landkreis Görlitz). Der ehemalige NPD-Funktionär Alexander KURTH wurde zum Landes-
vorsitzenden gewählt.
Unterhalb des Landesverbandes gründete die Partei im Jahr 2015 in der Region Bautzen den Kreisver-
band Ostsachsen. Im Jahr 2016 erfolgte die Gründung des Kreisverbandes Westsachsen.
Bislang konnte die Partei ein nur geringes Mitgliederpotenzial vornehmlich aus der subkulturell gepräg-
ten rechtsextremistischen Szene ansprechen. Vereinzelt fanden auch ehemalige NPD-Mitglieder dort
ihre neue politische Heimat. Ein zahlenmäßig relevanter Zulauf aus dem Spektrum der
NeoNatIoNalsozI-
alIsteN
konnte dagegen nicht festgestellt werden. Der etwa 30 Personen umfassende Mitgliederbestand
wurde 2016 nicht erweitert.
168 bis Dezember 2016
169 seit Dezember 2016
170
(Stand: 22. März 2014)
78
Ideologie/ Politische Zielsetzung
Das Parteiprogramm ist weitgehend von der rechtsextremistischen
DeutscheN volksuNIoN
(DVU), welche
im Jahr 2011 in der NPD aufgegangen war, übernommen worden. Äußerungen des sächsischen Lan-
desverbandes aus dem letzten Jahr lassen demgegenüber auf eine aggressive neonationalsozialistische
Orientierung schließen.
Antisemitismus
Insbesondere der ausgeprägte Antisemitismus
zeigt deutlich den Bezug der Partei
DIe rechte
(Landesverband Sachsen) zum Nationalsozialis-
mus. Im Vorgriff auf den Auftritt des für seine
israelfreundlichen Positionen bekannten Geert
WILDERS
171
postete die Partei in Facebook mit Ver-
weis auf den Redner den Slogan
„Wir wollen keine
Zionistenschweine“
172
. In einem Eintrag zu einem
Artikel über den Beschuss Israels durch eine IS-
nahe Gruppe kommentierte die Partei
„Ohne eine
grundlegende Lösung der Zionistenfrage wird es
keinen Frieden im Nahen Osten geben“
173
.
Der der Partei innewohnende Antisemitismus trat auch im Zusammenhang mit einer Bewertung der
asylkritischen GIDA-Bewegungen zutage. In dem Zusammenhang kommentierte sie Ende März 2015 wie
folgt
174
:
„Ein großes Problem der verschiedenen Gidas ist, daß man zwar einige Probleme richtig erkannt hat, es
sich aber bei diesen Problemen nur um Nebenkriegsschauplätze handelt.“
Dazu zähle auch die Tatsache, dass „
der Hauptfeind alle[r] freien Völker
“ nicht in Moscheen zu finden sei,
sondern „
andere Gebetshäuser
“ bevorzuge.
Abschaffung der Demokratie
Das Ziel der Partei ist nicht der Meinungsstreit innerhalb der Verfassungsordnung, sondern die Abschaf-
fung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Offen verkündeten die Rechtsextremisten über
das Internet, dass sie für den
„Sturz dieses Schandregimes, welches keinerlei Existenzberechtigung hat“
175
,
„auf der Straße“
stünden.
171 Bei Geert WILDERS handelt es sich um einen rechtsgerichteten, niederländischen Politiker und Vorsitzenden der “Partij
voor Vrijheid” (PVV).
172
(Stand: 13. April 2015)
173
(Stand: 5. Oktober 2015)
174
(Stand: 31. März 2015, Schreibweise wie im Original)
175
(Stand: 30. Januar 2015)
Quelle:
(Stand: 13. April 2015)
79
RECHTSExTREMISMUS
In einem Aufruf vom 17. September 2015 hieß es unter der Überschrift „Wacht auf“:
„Es ist längst überfällig das wir gemeinsam ein System entsorgen, welches die Interessen des eigenen
Volkes verrät und verkauft. Wir als die Partei DIE RECHTE sind nicht angetreten um ein paar Reformen zu
erzielen, denn dieses System ist nicht reformierbar. Wir sind angetreten, weil dieser menschenfeindliche
Staat entsorgt gehört.“
176
Demokratische Politiker werden in den Statements der Partei verunglimpft. Die Rechtsextremisten
schrecken dabei nicht davor zurück, deren Tod zu fordern. Als der Bundespräsident Joachim Gauck
in einer Rede Verständnis für Flüchtlinge forderte, veröffentlichte die Partei auf ihrer Facebook-Seite
folgenden Eintrag:
„Vom Bundesgauckler der Bunten Republik Deutschland sind wir ja bereits einiges gewohnt. […] Volks-
verrätern wie Gauck sollte man endlich die Medizin zuteil werden lassen, die sie verdient haben. Wir
erinnern in dieser Hinsicht an ein altes deutsches Freiheitslied: Es wird geschehen, es wird geschehen, die
Zeit ist nicht mehr fern, da werden all die hohen Herrn gehangen an die Laternen.“
177
In einem anderen Beitrag fordert ein Nutzer
„gauck und konsorten“
auf,
„offen für eine 9mm kugel zu
sein weil die wird kommen wegen landes-volks und hochverrat“.
Daraufhin wurde auf dem Facebook-
Profil
DIe rechte sachseN
entgegnet:
„Zu kurz und schmerzlos. Für Hochverräter gab es in alten Zeiten
immer den obligatorischen Strick um den Hals.“
178
Im Oktober 2015 forderte die Partei auf Facebook eine „Revolution nach 89er-Vorbild“ und die Einrich-
tung eines
„Volksgerichtshofes“
. Wieder wird hier die enge Anlehnung an die Zeit des „Dritten Reiches“
deutlich. Nach Vorstellungen der Rechtsextremisten soll dieser „Volksgerichtshof“ genauso verfahren
wie in jener Zeit:
„
Es wird Zeit, dass so schnell wie möglich eine Revolution nach 89er-Vorbild dieser Diktatur ein Ende
setzt, bevor die Deutschen als Minderheit im eigenen Land keine mehrheitsfähige, deutsche Regierung
überhaupt mehr wählen können. Ein neu eingerichteter Volksgerichtshof muss dann so schnell wie mög-
lich die gerechten Urteile über die Volks- und Landesverräter aus der Merkelschen Volkstodjunta verhän-
gen! Seht ihr schon die Stricke im Winde schwingen?“
179
Im Januar 2015 forderte der spätere sächsische Landesvorsitzende Alexander KURTH auf seinem
Facebook-Profil:
„Klärt Eure Freunde und Nachbarn über die Zustände auf und bringt sie mit zu den Montagsdemonstra-
tionen in Eurer Stadt. Ein Zitat sagt: ‚Die Revolution ist das Notwehrrecht eines Volkes, welches in seinen
Grundrechten eingeschränkt wird!‘ Machen wir gemeinsam von diesem Notwehrrecht gebrauch und
holen uns unser Land zurück!“
180
176
(Stand: 17. September 2015, Schreibweise wie im Original)
177
(Stand: 22. Juni 2015, Schreibweise wie im Original)
178
(Stand: 22. Juni 2015, Schreibweise wie im Original)
179
(Stand: 12. Oktober 2015)
180
(Stand: 13. Januar 2015, Schreibweise wie im Original)
80
Im Aufruf für eine Demonstration am 14. März 2015 in Bautzen forderte der sächsische Landesverband
der Partei
DIe rechte
:
„Jene kapitalistisch versifften Volksfeinde, die die Interessen des eigenen Volkes mit Füßen treten und als
willfähige Handlanger einiger Auserwählter agieren. Wenn uns Land und Volk noch eine Zukunft haben
soll, dann müssen wir endlich gemeinsam von den Knien zum Angriff übergehen. Kein lamentieren am
Stammtisch, kein Protest der alle paar Jahre auf dem Stimmzettel kundgetan wird und kein warten auf
faule Reformen bringen Veränderung. Der berechtigte Volkszorn muß auf die Straße getragen werden!
Kein Dialog und keine Kompromisse mit diesem System! Am 14.3.2015 gemeinsam für Familie, Volk und
Vaterland!“
181
Aktivitäten
Der sächsische Landesverband der Partei
DIe rechte
zeigte im Jahr 2016 im Freistaat Sachsen kaum
Aktivitäten. Die Partei selbst nahm im Unterschied zum Vorjahr nur in Einzelfällen am asylfeindlichen
Protestgeschehen im Freistaat Sachsen teil.
Eine von der Partei für den 5. März 2016 in Görlitz zunächst angemeldete Demonstration unter dem
Motto
„Gegen den Verrat an deutschen Interessen“
meldeten die Veranstalter aus
„organisatorischen
Gründen“
wieder ab.
Am 3. September 2016 etwa beteiligten sich Vertreter der Partei an einer von
freIeN kräfteN
organisierten
Demonstration in Löbau. Während der Landesvorsitzende Alexander KURTH für
DIe rechte
auftrat, sprach
der Vorsitzende des Kreisverbandes Ostsachsen der Partei als Vertreter der
freIeN kräfte mIttel/ostsachseN
.
Einzige strukturelle Entwicklung im Jahr 2016 war die Gründung des Kreisverbandes Westsachsen. In
Oelsnitz (Vogtlandkreis) fand am 2. April 2016 eine Informationsveranstaltung der Partei statt, an der
auch Vertreter der Partei
Der DrItte weg
teilnahmen. Im Verlauf der Veranstaltung gründeten anwesende
Parteimitglieder den Kreisverband Westsachsen. Zum Vorsitzenden wurde ein ehemaliger NPD-Stadt-
ratskandidat aus Chemnitz gewählt. Seither wurden vom Kreisverband keine eigenen öffentlichkeits-
wirksamen Veranstaltungen bekannt.
Der im Mai 2016 als „Vernetzungsbeauftragter“ in den Bundesvorstand der Partei gewählte Alexander
KURTH war für den Landesverband im Jahr 2016 kaum aktiv, sondern konzentrierte sich auf Aktivitäten
außerhalb der Partei. Regelmäßig trat er bei Kundgebungen und Demonstration außerhalb Sachsens
als Redner auf. Unter dem Label „Wir lieben Sachsen/THÜGIDA“ war er zusammen mit anderen Rechts-
extremisten bestrebt, existierende asylkritische Personenzusammenschlüsse regional zu unterstützen
und zu vernetzen. Er führte in Sachsen mehrfach eigene Kundgebungen durch.
Am 19. Oktober 2016 teilten die Rechtsextremisten mit, dass sie den Verein
thügIDa & wIr lIeBeN
s
achseN e. v.
mit Sitz in Greiz (TH) gegründet hätten. Vorsitzender wurde der Greizer NPD-Stadtrat
David KÖCKERT. Alexander KURTH sowie den rechtsextremistischen Liedermacher Frank RENNICKE
wählten die Gründungsmitglieder zu Stellvertretern.
181
(Stand: 13. März 2015, Schreibweise wie im Original)
81
RECHTSExTREMISMUS
Fazit und Ausblick
Der sächsische Landesverband der Partei
DIe rechte
besitzt innerhalb der rechtsextremistischen Szene
des Freistaates kaum Bedeutung. Den Rechtsex-
tremisten gelang weder eine maßgebliche Aus-
weitung ihrer Struktur, noch erlangte sie im
politischen Geschehen im Jahr 2016 eine prä-
gende Rolle. Geschuldet ist diese Entwicklung
dem Agieren der sächsischen Parteiführung. So
waren dem bisherigen Parteivorsitzenden of-
fensichtlich seine außerparteilichen Aktivitäten
wichtiger als die Parteiarbeit. In anderen Bun-
desländern, wie in Nordrhein-Westfalen, hat die
Partei innerhalb des rechtsextremistischen Spek-
trums eine deutlich wichtigere Rolle.
Eine wesentliche Änderung dieses Zustandes
zeichnet sich nicht ab. Es ist zu erwarten, dass
diese rechtsextremistische Organisation im Frei-
staat Sachsen auch in absehbarer Zeit nur eine
unbedeutende Rolle einnehmen wird.
Quelle:
(Stand: 13. Oktober 2016)
Quelle:
landsleute (Stand: 1. November 2016)
82
2.4.4
der drItte Weg (III. Weg)
Extremismusbereich:
Rechtsextremismus
Gründung:
September 2013
Sitz:
Weidenthal (Rheinland-Pfalz)
Mitglieder 2016 in Sachsen:
ca. 60
Mitglieder 2015 in Sachsen:
ca. 40
Mitglieder 2016 bundesweit:
ca. 300
Mitglieder 2015 bundesweit:
ca. 200
Vorsitz Bund:
Klaus ARMSTROFF
„Stützpunktleiter Vogtland“:
Rico DÖHLER
„Stützpunktleiter Mittelland/Erzgebirge“:
Maik ARNOLD
Teil-, Nebenorganisationen:
„Gebietsverband Mitte“
„Stützpunkt Vogtland“
„Stützpunkt Mittelsachsen/Erzgebirge“
„Stützpunkt Mittelland“
Publikation:
DER III. WEG (Rundbrief)
Kennzeichen:
Historie und Strukturentwicklung
Die Partei
Der DrItte weg
(III.
weg
) wurde am 28. September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg)
gegründet. Parteivorsitzender ist Klaus ARMSTROFF, ein in Rheinland-Pfalz aktiver Rechtsextremist und
langjähriger NPD-Funktionär. ARMSTROFF nahm an der Landtagswahl am 13. März 2016 in Rheinland-
Pfalz teil. Das Wahlergebnis von 0,1 Prozent wird von der Partei als Erfolg wahrgenommen. Der eigent-
liche Wahlantritt war entscheidend. Parteimitglieder aus Sachsen traten als Unterstützer des Wahl-
kampfes auf.
Gemäß ihrer Satzung verfolgt die Partei das Ziel, bundesweit „Gebietsverbände“ („Süd, West, Nord und
Mitte“) aufzubauen. Der erste „Gebietsverband Mitte“ wurde am 9. Januar 2016 in Berlin gegründet.
Die „Gebietsverbände Süd und West“ gründeten sich am 4. Juni 2016 bzw. am 19. November 2016.
Unterhalb der Gebietsverbände existieren sog. lokale Stützpunkte.
Die Partei befindet sich weiterhin im Stadium des Aufbaues, bislang wurden 21 (Ende 2015: 19) sog.
„Stützpunkte“ in Deutschland gegründet.
Im Freistaat Sachsen ist es der Kleinstpartei bereits gelungen, von den bundesweit gegründeten 21 „Stütz-
punkten“ drei zum Teil länderübergreifende „Stützpunkte“ mit sächsischen Mitgliedern zu etablieren.
In diese Strukturen konnten zahlreiche ehemals führende
NeoNatIoNalsozIalIsteN
integriert werden.
Im Januar 2014 bildete sich der bayerische Ableger der Partei
Der DrItte weg
unter dem „Stützpunktleiter“
Tony GENTSCH, einem Führungskader des verbotenen bayerischen Kameradschaftsnetzwerkes
freIes Netz
s
üD
(FNS). Innerhalb des FNS führte er die
freIeN NatIoNalIsteN hof
an, die unter seiner Führung in den
„Stützpunkt Hof/Saale“ der Partei
Der DrItte weg
überführt wurden.
83
RECHTSExTREMISMUS
Im April 2014 schlossen sich Mitglieder der neonationalsozialistischen
revolutIoNäreN NatIoNaleN JugeND
(RNJ) Vogtland der Partei an. Es wurde der bayerisch-sächsische „Stützpunkt Hochfranken/Vogtland“
182
der Partei gegründet. Diese länderübergreifende Struktur resultierte aus der langjährigen engen Ver-
netzung der neonationalsozialistischen Szene in Nordbayern und der RNJ im sächsischen Vogtland.
Dass sich
NeoNatIoNalsozIalIsteN
in der Form einer Partei organisiert haben, ist vor allem taktisch moti-
viert. Sowohl das FNS als auch Mitglieder der RNJ unterlagen in den vergangenen Jahren staatlichen
Exekutivmaßnahmen. Mitgliedsgruppierungen des FNS wurden im Juli 2013 im Rahmen eines vereins-
rechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Fortführung der im Jahr 2004 verbotenen
fräNkIscheN aktIoNsfroNt
durchsucht. Im Juli 2014 wurde das FNS als Dachorganisation vom Bayerischen
Innenminister verboten.
Unmittelbar nach dem Verbot des FNS verzog Tony GENTSCH vom Freistaat Bayern nach Plauen (Vogt-
landkreis).
Mit dem Zuzug dieser seit Jahren aktiven neonationalsozialistischen Führungsperson nach Sachsen
verlagerte sich der Schwerpunkt der Parteiaktivitäten des „Stützpunktes Hochfranken/Vogtland“ von
Bayern nach Sachsen. Im Februar 2015 wurde im Vogtlandkreis der „Stützpunkt Vogtland“ gegrün-
det. Zu dieser Zeit teilte sich der „Stützpunkt Hochfranken/Vogtland“ in die „Stützpunkte Hochfranken
und Vogtland“. Seit Oktober 2014 ist Rico DÖHLER Nachfolger von Tony GENTSCH in der Funktion des
„Stützpunktleiters“. Der „Stützpunkt Vogtland“ umfasst regional länderübergreifend die Grenzgebiete
von Bayern, Thüringen und Sachsen.
Im April 2015 wurde der länderübergreifende „Stützpunkt Mittelland“ gegründet, der die Städte Leipzig,
Halle, Merseburg und das Umland umfasst.
183
Einen weiteren „Stützpunkt „Mittelsachsen/Erzgebirge“ gründeten Rechtsextremisten am 5. Dezember
2015 in Chemnitz. Nach eigenen Angaben vereint dieser „Stützpunkt“ als Aktionsraum die Gebiete „Mit-
telsachsen und das Erzgebirge“ sowie die Regionen um die Städte Zwickau und Chemnitz.
184
Ideologie/ Politische Zielsetzung
Ideologisch orientiert sich die Partei dabei am Nationalsozialismus. Die Forderung nach „Schaffung
eines Deutschen Sozialismus“ legt eine Verbindung zur völkisch-nationalistischen Weltanschauung des
25-Punkte Programms der NSDAP nahe.
Beide Parteiprogramme eint eine biologische Sicht auf den Volksbegriff, der bei der NSDAP im Punkt
4 ihres Programmes Ausdruck fand. Dort hieß es, dass nur derjenige
„Volksgenosse“
sein kann, der
„deutschen Blutes“
ist. Entsprechend fordert die Partei
Der DrItte weg
in Punkt 7 ihres Programms
„die
Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes“
und in Punkt 4 die
„Beibehaltung der
nationalen Identität des deutschen Volkes“
, die es vor Überfremdung zu schützen gelte.
Vorgebliches Ziel der Partei ist die
„Schaffung eines Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem
Kapitalismus, wie gleichmacherischem Kommunismus“.
185
182 Der „Stützpunkt Hochfranken“ ist heute Teil des „Stützpunktes Oberfranken“.
183
(Stand: 10. April 2015)
184
(Stand: 17. Dezember 2015)
185
(Stand: 11. Juni 2014)
84
Auch in der Symbolik wird die beabsichtigte Nähe zum Nationalsozialismus deutlich. Schwert und
Hammer wurden bereits als Symbol in der Hitlerjugend, aber auch in der NSDAP genutzt. Es soll die
Verbundenheit der Soldaten und der Arbeiter im Kampf für den „Sozialismus“ nationalsozialistischer
Prägung verdeutlichen. Das Symbol des Zahnrads war unter den Nationalsozialisten Symbol der durch
die NSDAP-Organisation „Deutsche Arbeitsfront“. Es wird seit Jahren auch im Bereich der neonational-
sozialistischen Kameradschaften genutzt.
Die Partei bezeichnet sich selbst als „national“,
„revolutionär“ und „sozialistisch“. Sie nimmt da-
bei in ihren Äußerungen immer wieder Bezug auf
den Nationalsozialismus. So trugen die Demonst-
rationsteilnehmer der Partei
Der DrItte weg
am 1.
Mai 2016 in Plauen – einheitliche rote T-Shirts
mit der Aufschrift „Arbeiter der Stirn – der Faust
– gegen System und Kapital heraus“ (siehe Bild).
Dieser Bezug verweist auf die Zeit des historischen
Nationalsozialismus:
„Der Arbeiter der Stirn und
der Faust (…) gehören zusammen, und aus diesen
beiden muß sich ein neuer Mensch herauskristal-
lisieren – der Mensch des kommenden Deutschen
Reiches.“
186
186 In: Adolf Hitler spricht. Ein Lexikon des Nationalsozialismus, Berlin/New York 2000, S. 41 ff.
Parteiprogramm; Quelle:
(Stand: 27. April 2014)
Quelle:
(Stand: 6. Mai 2016)
85
RECHTSExTREMISMUS
Aktivitäten
Die Partei führte im Jahr 2016 eine Vielzahl von Veranstaltungen durch. Ziel war die Erhöhung des
Bekanntheitsgrades und so die Gewinnung neuer Mitglieder. In den letzten Monaten des Berichtsjahres
war ein rückläufiger Trend der Aktivitäten gegen die Asylpolitik bzw. gegen einzelne Asylunterkünfte
festzustellen. Ursache waren die bundesweit stark rückläufigen Asylbewerberzahlen. Über die durch-
geführten Aktionen wurde regelmäßig in den Online-Präsenzen der Partei berichtet.
Konzentrierten sich die Aktivitäten der Partei im Vorjahr noch auf die Länder Rheinland-Pfalz und Bay-
ern, baute die Partei im Berichtsjahr die Aktivitäten in Sachsen weiter aus.
Bei den folgenden überregionalen Aktivitäten der Partei
III. weg
waren sächsische Kader maßgeblich
an der Organisation und Durchführung beteiligt:
Die Partei gab auf ihrer Homepage bekannt, dass am 9. Januar 2016 in Berlin der „Gebietsverband
Mitte“ gegründet wurde. Dieser umfasst die Bun-
desländer Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt,
Brandenburg und Berlin. Mit der Etablierung
dieses „Gebietsverbandes“ wurde eine neue
Strukturebene geschaffen. Als „Gebietsleiter Mit-
te“ wurde Matthias FISCHER (Führungsperson
des „Stützpunktes Uckermark“), als sein Stell-
vertreter Tony GENTSCH (Führungsperson des
„Stützpunktes Vogtland“) gewählt.
Bei der Gründungsveranstaltung ging Tony GENTSCH in seiner Rede auf die für 2016 geplante 1. Mai-
Demonstration in Plauen (Vogtlandkreis) ein. Erstmals wollten sich alle acht „Stützpunkte“
187
, die dem
„Gebietsverband Mitte“ angehören, an der Mobilisierung beteiligen und geschlossen am 1. Mai unter
dem Motto „Kapitalismus zerschlagen – Für einen Deutschen Sozialismus“ in Plauen „ihre berechtigten
Forderungen auf die Straße tragen.“
188
Danach suchten die sächsischen Aktivisten der Partei
Der DrItte weg
verstärkt die länderübergreifende
Kooperation. Die Demonstration des
NatIoNaleN sozIaleN aktIoNsBüNDNIs 1. maI
in Plauen bot hierfür die
Gelegenheit.
Veranstalter der Demonstration war das sog.
NatIoNale uND sozIale aktIoNsBüNDNIs 1. maI
189
. Allerdings wur-
de die Veranstaltung von Protagonisten der Partei
Der DrItte weg
dominiert. Das zeigte sich u. a. darin,
dass die Veranstaltung vom Bundesparteivorsitzenden Klaus ARMSTROFF angemeldet worden war und
der Leiter des „Stützpunktes Vogtland“ Rico DÖHLER als Versammlungsleiter fungierte. Auch viele der
mitgeführten Fahnen verwiesen auf die Partei. Zudem übernahmen sächsische Parteimitglieder die
Organisation und Koordinierung der Demonstration.
190
Nach der Gründung des „Gebietsverbandes Mitte“ der Partei im Januar 2016 fand bei der parteiunge-
bundenen rechtsextremistischen Szene eine Vielzahl sog. „Parteivorstellungen“ statt, so in Crimmitschau,
Dresden, Weißwasser, Zwickau und Bautzen.
187 „Stützpunkte Vogtland, Mittelsachsen/Erzgebirge, Mittelland, Thüringer Wald/Ost, Berlin, Potdam/Mittelmark,
Uckermark, Mittelmark/Havel“
188
(Stand: 14. Januar 2016)
189 Dieses war bereits 2014 Organisator der 1. Mai-Demonstration in Plauen gewesen.
190 siehe Abschnitt II.2.12.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – Vogtlandkreis
Quelle:
(Stand: 14. Januar 2016)
86
Sächsische Mitglieder der Partei beteiligten sich
im Jahr 2016 außerdem bundesweit an weiteren
rechtsextremistischen Veranstaltungen, so an
der Demonstration am 13. Februar in Alzey und
Worms (Rheinland-Pfalz) unter dem Motto „Ein
Licht für Dresden“ oder am 15. Oktober in Fürth
(Bayern) unter dem Motto „Asylflut stoppen“.
Ebenfalls mit Asylbezug wurden ab Oktober 2016
in verschiedenen Städten Sachsens durch die Par-
tei sog. „Nationale Streifen“ durchgeführt.
191
Der „Dritte Gesamtparteitag“
192
der Partei fand
am 2. Oktober 2016 in Thüringen mit ca. 200 Teil-
nehmern statt. Der „Stützpunktleiter Vogtland“
Rico DÖHLER saß in seiner Funktion als Bundes-
vorstandsmitglied
193
im Gremium. Tony GENTSCH,
als stellvertretender Vorsitzender des „Gebiets-
verbandes Mitte“, berichtete u. a. über die 1. Mai-
Demonstration in Plauen.
Der rechtsextremistische Musiker Michael REGE-
NER (bekannt als „Lunikoff“ und Ex-Sänger der
verbotenen rechtsextremistischen Band
laNDser
)
194
stellte sein eigens für die Partei komponiertes Lied
mit dem Titel „D
er III. weg
marschiert“ vor.
Jedes Jahr finden aus Anlass des Volkstrauertages
Aktionen von Rechtsextremisten statt. Der Ver-
anstaltung in Wunsiedel (Bayern) – eine zentrale
jährliche Veranstaltung der Rechtsextremisten in
Bayern und in Sachsen – kommt dabei eine hohe
Bedeutung für die Parteimitglieder zu.
In Wunsiedel war früher Rudolf HEß begraben,
der von Rechtsextremisten in revisionistischer
Absicht als „Friedensflieger“ und angebliches
Mordopfer einer Verschwörung verehrt wird.
195
191 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik –
Fortsetzung des Beitrages von 2015
192 Eigenbezeichnung;
(Stand: 10. Oktober 2016)
193 Parteiunterlagen „Bundeswahlleiter“ (Stand: 26. November 2015)
194 siehe Abschnitt II.2.8 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte
195 Rudolf HEß spielt in der rechtsextremistischen Ideologie eine wichtige Rolle, da er von Rechtsextremisten mit seinem Flug
nach Großbritannien im Mai 1941 als „Kronzeuge“ für den angeblichen Friedenswillen Deutschlands unter Führung der
Nationalsozialisten bemüht wird. Sein durch Selbstmord herbeigeführter Tod im Kriegsverbrechergefängnis von Berlin-
Spandau 1987 wird von Rechtsextremisten angezweifelt. Stattdessen wird ein Mord durch verschiedene Kräfte,
z. B. die Alliierten, behauptet. HEß‘ Grab in Wunsiedel wurde 2011 aufgelöst.
Parteitag
III. weg
am 2.10.2016
Quelle:
(Stand: 10. Oktober 2016)
Parteitag
III. weg
am 2. Oktober 2016; Tony GENTSCH,
Michael REGENER, Matthias FISCHER (v. l. n. r.);
Quelle:
(Stand: 10. Oktober 2016)
87
RECHTSExTREMISMUS
Die Demonstration fand am 12. November 2016
in Wunsiedel (Bayern) statt. Der „Stützpunkt Vogt-
land“ spielte bei der Organisation eine wichtige
Rolle. Auf der parteieigenen Internetseite warb die
Partei frühzeitig mit nachfolgendem Flyer für die
Teilnahme an dieser Veranstaltung.
Anmelder und Versammlungsleiter der Demons-
tration unter dem Motto „Tot sind nur jene, die
vergessen werden!“ war Rico DÖHLER. Als sein Stellvertreter fungierte Tony GENTSCH. Wie schon im
Vorjahr nahmen ca. 240 Personen teil. Als Redner traten u. a. Rico DÖHLER, Matthias FISCHER
196
, Walter
STROHMEIER
197
, Thomas WULFF
198
und Klaus ARMSTROFF
199
auf. Sie verherrlichten mit ihren Auftritten
den langjährigen Stellvertreter von Adolf HITLER.
Die Partei
Der DrItte weg
versucht so bewusst geschichtsrevisionistische Anknüpfungspunkte zum
„Dritten Reich“ herzustellen.
200
Ausblick
Im Freistaat Sachsen gingen zum Jahresende
2016 bereits zahlreiche Aktivitäten der rechts-
extremistischen Szene auf die Partei
Der DrItte
w
eg
zurück. Die Aktivitäten dienten – neben dem
strukturellen Ausbau – der gesteigerten Medien-
präsenz und der Werbung für die Partei.
Es ist zu erwarten, dass sie auch weiterhin eine
Vielzahl öffentlicher Aktionen durchführen wird.
Die Aktivitäten der Partei konzentrieren sich auf
herkömmliche rechtsextremistische Themenbe-
reiche wie u. a. den „Volkstod stoppen!“, „Kampf
dem Kapitalismus!“, „Freiheit für alle Nationalis-
ten!“, „Antifabanden zerschlagen!“, „Deutschland ist größer als die BRD!“. Dabei wird die Kleinstpartei
auch weiterhin als Auffangbecken für
NeoNatIoNalsozIalIsteN
dienen.
Die Partei wird versuchen, ihren Strukturausbau auch im Jahr 2017 weiter voranzutreiben. Ziel der
durchgeführten „Parteivorstellungen“ ist der flächendeckende Aufbau neuer „Stützpunkte“ in Sachsen.
Die Mitgliederzahl in Sachsen könnte sich hierdurch weiter erhöhen.
Die ablehnende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Januar 2017 zum NPD-Verbot wird
die Partei
Der DrItte weg
bestärken, sich weiterhin als Partei zu organisieren. Eine regelmäßige Teilnahme an
Wahlen auf Bundes- und Landesebene wird deshalb im strategischen Interesse der Partei liegen.
196 „Gebietsverbandsleiter Mitte”
197 „Stützpunktleiter“ Ostbayern
198 langjähriger aktiver Rechtsextremist aus Hamburg
199 Parteivorsitzender
200 siehe Abschnitte Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – II.2.12.6 Landkreis Leipzig, II.2.12.9
Landkreis Mittelsachsen und II.2.12.12 Vogtlandkreis
Quelle:
(Stand: 2. November 2016)
Demonstration in Wunsiedel am 12. November 2016, Quelle:
LfV Sachsen, Gesichter unkenntlich gemacht
88
Es ist zu erwarten, dass insbesondere die Akteure der Partei im Vogtland weiterhin auch außerhalb
Sachsens eine große Rolle bei den kommenden Parteiaktionen spielen werden. Die Funktionäre Tony
GENTSCH und Rico DÖHLER sind auch überregional maßgebliche Kader beim weiteren Aufbau der Partei.
Rico DÖHLER ist auch Beisitzer im Bundesvorstand der Partei
201
.
Wahrscheinlich ist, dass die Bedeutung der Partei im Freistaat Sachsen weiter steigen wird. Dies dürfte
sie in Zukunft zu einem der bestimmenden Einflussgrößen der rechtsextremistischen Szene machen.
2.5
NeoNatioNalsozialisteN
Ideologie und Gewaltbereitschaft der Szene
Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des historischen Nationalsozialismus
und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Kern neonationalsozialistischer Über-
zeugungen ist der Wunsch nach der Wiedererrichtung des sog. „Dritten Reiches“ bzw. der Errichtung einer
vergleichbaren politischen Ordnung. Dabei beziehen sich
NeoNatIoNalsozIalIsteN
in unterschiedlicher Aus-
prägung auf bestimmte ideologische Elemente, wie einen übersteigerten Nationalismus, Antisemitismus,
Antipluralismus, Sozialdarwinismus und Rassismus, als Teil einer völkischen Ideologie, die einen ethnisch
homogenen Staat anstrebt und jeglichen Pluralismus als existenzbedrohend verachtet.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
unterscheiden sich vom Potenzial der subkulturell geprägten Rechtsextremisten durch
ihren Organisationsgrad, ihr strategisches Vorgehen sowie das Bestreben, ihre Ideologie kontinuierlich zu
verbreiten. Im Vordergrund stehen politische Aktivitäten sowie die Organisation von rechtsextremistischen
Veranstaltungen oder Propagandaaktionen, aber auch die interne ideologische Schulung der eigenen
Mitglieder.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
sind grundsätzlich gewaltbereit, wägen jedoch Art und Ausmaß der
Gewaltanwendung mit Blick auf ihre langfristigen Ziele (Bündnisse mit Nichtextremisten) ab.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
gehen in ihrer verschwörungstheoretischen Grundannahme von der Existenz eines
„großen Planes“ zur Ausrottung des deutschen Volkes aus. Diese Grundüberzeugung manifestiert sich
immer wieder in den sog. „Volkstod-Kampagnen“.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
definieren das deutsche Volk auf
rassistischer Grundlage als biologisch höherwertige „Rassegemeinschaft“, die es mit allen Mitteln zu
retten gelte. Dem deutschen Volk gehöre hiernach an, wer zur sog. „arischen Rasse“ zähle. Der Begriff
„Volkstod“, wie auch der oft verwendete Begriff der „Volksgemeinschaft“, ist mit einem biologistischen
Weltbild verbunden, das fremde Kulturen und damit auch Menschen mit Migrationshintergrund als
minderwertig darstellt und von der Teilhabe an demokratischen Rechten ausschließt.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
verfügen über ein elitäres Selbstverständnis. Dies leiten sie aus ihrem rassistischen
Selbstverständnis als „höherwertige“ Deutsche und den Bezug auf das „Dritte Reich“ ab, dessen poli-
tisch-militärischem Hierarchieverständnis („Führerprinzip“) sie sich anschließen. In diesem Zusammen-
hang grenzen sie sich auch von neurechten, nicht extremistischen Bewegungen ab. Dazu hieß es lapidar:
„Patriot ist der der zu feige ist, sich zum Nationalen Sozialismus zu bekennen.“
202
201 siehe dazu Satzung der Partei
Der DrItte weg
(Stand: 26. November 2015)
202
(Stand: 29. April 2016)
89
RECHTSExTREMISMUS
Dies und ihr rassistisches Weltbild erklären die hohe Bedeutung der Asylthematik für
NeoNatIoNal-
sozIalIsteN
. Die Aufnahme von vielen – von ihnen als rassisch minderwertig angesehenen – Menschen
in Deutschland bedeutet für sie ein „Angriff“ auf das von ihnen rassisch definierte deutsche Volk. Staat-
liche Institutionen, die dies verantworten, stellen für
NeoNatIoNalsozIalIsteN
damit ein Feindbild dar.
Insbesondere die Migrationsbewegungen bis Ende 2015 und die islamistischen Anschläge in Europa
und Deutschland im Jahr 2016 erzeugten unter
NeoNatIoNalsozIalIsteN
das Gefühl einer „existenziellen“
Bedrohung.
Szeneangehörige positionierten sich daher wiederholt in diffamierender Weise gegen Flüchtlinge und Asyl-
bewerber. Die Anwendung von Gewalt wurde dabei als legitim betrachtet. So hieß es nach den Anschlägen
in Bayern im Juli 2016 unter Verwendung eines Zitats von Kaiser Wilhelm II. zum Ausbruch des Ersten
Weltkrieges auf der der neonationalsozialistischen Szene in Dresden zuzurechnenden Seite
ag saxoNIa
:
„So muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Nun zu den Waffen!
Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterland!“
203
Aus Anlass des Amoklaufes in München am 22. Juli 2016 wurde auf derselben Facebook-Seite folgende
Drohung veröffentlicht:
„Eine Division für München, eine Division in Schwarz
204
! Lange genug haben wir zugesehen wie unser
Vaterland verschmutzt wird mit dem Unrat der tag für Tag über unsere Grenzen einmarschiert. Wir
kriegen euch alle!“
205
Anlässlich des Anschlags in Ansbach (Bayern) am 24. Juli kam auch der den
NeoNatIoNalsozIalIsteN
eigene
Hass gegen den politischen Gegner zum Ausdruck. Eine Fotocollage von Demonstranten mit der Auf-
schrift „Ansbach ist bunt“ wurde wie folgt kommentiert:
„Warum sind diese bunten Vögel nicht in die
Luft geflogen?“
Ihr Verhältnis zur Gewalt, zur Asylthematik und zum politischen Gegner machen des Weiteren folgende
Veröffentlichungen auf Facebook deutlich:
203 Facebook-Profil
ag saxoNIa
(Stand: 26. Juli 2016)
204 Metapher für die SS
205 Schreibweise wie im Original
Quelle:
(Stand: 30. September 2016)
90
Die ideologische Grundhaltung der
NeoNatIoNal-
sozIalIsteN
ist gewaltverherrlichend. Die von ihnen
verfolgten Ziele lassen sich aus ihrer Sicht in letz-
ter Konsequenz nur mit Gewalt umsetzen. Durch
ihre sozialdarwinistische Grundüberzeugung, den
Kampf um die Auslese der Besten, wird Gewalt
auch nicht als notwendiges Übel, sondern als in
sich gutes und der eigenen Überzeugung ent-
sprechendes Mittel angesehen. Der Ton ist stets
gewaltorientiert:
Lediglich strategische Überlegungen, vor allem angestrebte Bündnisse mit Nichtextremisten, lassen
NeoNatIoNalsozIalIsteN
zumindest vorübergehend zurückhaltender agieren.
Vor allem die in der neonationalsozialistischen Ideologie angelegte Verachtung für politische Gegner
macht diese für sie zu einem Ziel erster Wahl.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
sehen sich als eine „Elite“, die sich
derzeit im Status einer verfolgten Minderheit befinde und daraus „Notwehrrechte“ für sich ableiten
dürfe. Es besteht daher häufig eine starke Affinität zu Waffen und Sprengstoffen. Bei polizeilichen
Hausdurchsuchungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen
NeoNatIoNalsozIalIsteN,
z. B. in Dresden,
wurden immer wieder Waffen gefunden.
In zahlreichen Einträgen in den sozialen Medien wird auch „der Kampf“ als wesentlicher Bestandteil
des Wirkens der neonationalsozialistischen Szene glorifiziert. Entsprechend populär ist der Kampfsport
in der neonationalsozialistischen Szene.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
trainieren diesen Sport und beteiligen sich
sowohl als Zuschauer als auch als Sportler an Kampfsportturnieren.
„Die Geburt, mit der das Leben beginnt, und der Tod, der es endet, sind Kampf, wie auch das Leben, dass
zwischen ihnen liegt, nur ein einziges Ringen des Menschen mit sich und der Umwelt ist. Diesen Kampf
führt der Mensch nicht für sich alleine, sondern auch für seine Familie, seine Sippe und sein Volk, um diese
zu schützen und zu erhalten. Für den nordischen Mann wird der Kampf so zur Pflicht und zur Ehre.“
206
Vor diesem Hintergrund haben Schwäche und Behinderung in der angestrebten „Volksgemeinschaft“
keinen Platz. Vielmehr spielen die Förderung und Erhaltung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit eine
tragende Rolle für das Ideal des politischen Soldaten nach dem Vorbild der Waffen-SS.
NeoNatIoNalsozIalIsteN
vertreten überdies häufig revisionistische Ansichten und versuchen, durch eine
Umdeutung der Geschichte die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren oder gänzlich zu leugnen. So
glorifizieren sie mit dem alljährlichen „Heldengedenken“ verstorbene Nationalsozialisten. Auch im Krieg
getötete deutsche Soldaten werden ideologisch instrumentalisiert; der Zweite Weltkrieg wird dabei zum
Verteidigungskrieg umgedeutet. Es werden ferner „Trauermärsche“ organisiert. Dabei werden – unter
Ausblendung der Rolle Deutschlands – westliche Demokratien, vor allem die Vereinigten Staaten von
Amerika (USA), wegen der Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg verunglimpft. Herausra-
gende Anlässe hierfür sind der 13. Februar in Dresden und der 5. März in Chemnitz.
206 „Leben heißt auch kämpfen!“,
(Stand: 20. August 2012, Schreibweise wie im Original)
Quelle:
(Stand: 25. Januar 2016)
91
RECHTSExTREMISMUS
Allgemeine Entwicklung und Personenpotenzial
Die neonationalsozialistische Szene im Freistaat Sachsen befindet sich seit einigen Jahren im Umbruch:
Der Bedarf nach struktureller und strategischer Neuausrichtung – gepaart mit den sich im Zuge der
Asylthematik ergebenden neuen Möglichkeiten – führte im Jahr 2016 zu zwei sich gegenseitig verstär-
kenden Trends: Zum einen erfolgte eine „Rückbesinnung“ auf Kerninhalte der neonationalsozialistischen
Szene, zum anderen kam es zu einer sichtbaren Dynamik hinsichtlich neuer Netzwerke und Strukturen.
Bedingt durch Vereinsverbote wurden zahlreiche neonationalsozialistische Strukturen aufgelöst. Die
Verbote betrafen in Sachsen im Jahr 2013 die
NatIoNaleN sozIalIsteN DöBelN (NsD)
und im Jahr 2014 die
NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz (Nsc).
Damit war auch die Strategie der
NeoNatIoNalsozIalIsteN
gescheitert, sich möglichen Verbotsmaßnahmen
zu entziehen, indem man vorgab, lediglich eine „Kampagne“ organisiert zu haben
207
. Andere neonatio-
nalsozialistische Strukturen wurden vor dem Hintergrund dieser Verbote inaktiv oder gaben sich eine
andere strukturelle Anbindung. Bis 2014 waren etwa die
NatIoNaleN sozIalIsteN hoyerswerDa (Nshoy)
infolge
diverser Exekutivmaßnahmen faktisch nicht mehr existent. Die
freIeN kräfte DresDeN (fkD)
wandelten sich
dagegen im Jahr 2014 in den JN-„Stützpunkt“ Dresden um.
Diese Entwicklung konnte auch in anderen Regionen des Freistaates Sachsen festgestellt werden. Füh-
rungskräfte der neonationalsozialistischen Szene wechselten bis Ende 2014 zur NPD-Jugendorganisati-
on
JuNge NatIoNalDemokrateN (JN).
Hintergrund dieser „Wanderbewegung“ war die Suche nach rechtlichen
Schutzmöglichkeiten vor neuerlichen Vereinsverboten. Die durch das „Parteienprivileg“
208
besonders ge-
schützten Strukturen der JN erschienen daher als besonders attraktiv. Andere Teile der Szene strebten
diesen Schutz bei den Parteien
DIe rechte
und
Der DrItte weg
an.
Wieder andere der nun „freigesetzten“ ehemaligen Mitglieder neonationalsozialistischer Strukturen
verzichteten ganz auf eine neue organisatorische Anbindung und fielen zunächst in die subkulturell
geprägte rechtsextremistische Szene zurück. Dies führte dort im Jahr 2015 zu einem deutlichen Anstieg
des Personenpotenzials. Durch diesen Wechsel manifestierte sich auch die strategische Planlosigkeit, die
die neonationalsozialistische Szene seit 2014 prägte.
Dieser Zustand widersprach jedoch dem Bedürfnis, sich zumindest regional weiterhin als eigene Gruppe
erkennen zu geben. Daher wurden auf Veranstaltungen bald wieder T-Shirts mit regional zuordenbaren
Aufschriften, wie „Division Bautzen“, „Division Dresden“ oder ähnlichem, getragen.
Diese Situation erfuhr eine grundlegende Veränderung durch die im Herbst 2015 zunehmende Bedeu-
tung der Asylthematik. Diese setzte innerhalb der neonationalsozialistischen Szene im Wesentlichen
zwei Entwicklungen in Gang: Zunächst förderten die zahlreichen asylbezogenen Veranstaltungen neue
Kennverhältnisse unter Rechtsextremisten verschiedener Richtungen und förderten damit eine entspre-
chende Vernetzung. Außerdem änderte das rege Veranstaltungsgeschehen die Selbstwahrnehmung der
Szene. Diese war zuvor von dem Gefühl bestimmt gewesen, staatlichen Exekutivmaßnahmen ausgesetzt
und gesellschaftlich marginalisiert worden zu sein.
207 Eine erste Reaktion einiger neonationalsozialistischer Strukturen auf den sich nach dem Bekanntwerden des NSU gesteigerten
Repressionsdruck war die formelle Aufgabe von Strukturen zugunsten von Kampagnen. Dabei handelte es sich oft nur um
Umbenennungen, mit denen suggeriert werden sollte, dass diese beständigen Strukturen nur zeitlich begrenzt bestehen
würden. Die
NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz
traten so etwa als Kampagne „Raus in die Zukunft“ in Erscheinung.
208 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden.
92
Die Asylthematik vermittelte
NeoNatIoNalsozIalIsteN
den Eindruck, sie seien Teil einer Mehrheitsbewegung.
Die zahlreichen nicht extremistischen Veranstaltungen mit Asylbezug führten sie nicht zuletzt auch auf
ihr propagandistisches Wirken zurück. Außerdem nahmen sie die auf den Veranstaltungen ausgedrück-
ten Sorgen und Befürchtungen nicht extremistischer Bürger als Bestätigung für die Richtigkeit ihrer
ideologischen Überzeugungen. Gemäß ihrem Selbstverständnis als revolutionäre Elite stützte dieses
Veranstaltungsgeschehen
NeoNatIoNalsozIalIsteN
in ihrer Überzeugung, es sei jetzt an ihnen, hier die „rich-
tige“ Richtung vorzugeben.
So nahm die neonationalsozialistische Szene die Gelegenheit wahr, die Zusammenarbeit mit nicht
extremistischen Kreisen der Bevölkerung zu suchen, ihre eigene Ideologie zu verbreiten und sich als
Ansprechpartner für die Durchführung von asylbezogenen Veranstaltungen anzubieten.
NeoNatIoNal-
sozIalIsteN
traten daher besonders 2014 und 2015 immer wieder als Redner und Mitorganisatoren bei
asylkritischen Veranstaltungen auf.
Die Asylthematik erhöhte das Bedürfnis der Szene nach einer strategischen wie strukturellen Neuauf-
stellung nochmals. Der neonationalsozialistischen Ideologie entsprechend wurden die Migrationsbe-
wegungen der letzten Jahre als weiteres „Volkstod“-Szenario gesehen. Die Szene nahm sich als Bewah-
rer des rassistisch definierten biologischen Bestandes der deutschen Bevölkerung wahr und war zum
Handeln entschlossen. Dieser Effekt wurde gesteigert durch eine seit 2015 verstärkte Politisierung der
subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene in Richtung Neonationalsozialismus.
Im Ergebnis ergaben sich so zu Beginn des Jahres 2016 für die neonationalsozialistische Szene wieder viel-
fältige Handlungsmöglichkeiten. Diese trafen auf eine handlungsbereite Szene mit gesteigertem Selbstbe-
wusstsein und dem Wunsch, sich wieder neu aufzustellen. Das Jahr 2016 war daher auch ein Wendepunkt
nach einer längeren strategischen Planlosigkeit und strukturellen Zerfaserung der Szene.
In der Folge kam es im Jahr 2016 zu einem signifikanten Anstieg des Personenpotenzials. Das neonatio-
nalsozialistische Personenpotenzial steigerte sich auf 520 Anhänger (2015: 340). Dies entspricht einem
Anstieg um 52 %.
Anzahl der
neonatIonalsozIalIsten
im Freistaat Sachsen
1200
1000
800
600
400
200
0
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
550
720
910
950
970
1000 1000 980
860
340
520
93
RECHTSExTREMISMUS
Neonationalsozialistische Strukturen sowie sonstige rechtsextremistische Strukturen,
die neonationalsozialistisches Personenpotenzial binden
Bei diesen Anhängerzahlen ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass sich ein wesentlicher Teil der
Szene, vor allem die Führungspersonen, nach wie vor im parteigebundenen Bereich des Rechtsex-
tremismus, vor allem bei den JN und der Partei
Der DrItte weg
befindet. Insbesondere letztere besitzt
für sächsische
NeoNatIoNalsozIalIsteN
eine hohe Attraktivität. Dies führte im Berichtsjahr dazu, dass sich
im weiteren Umfeld dieser Partei eine nicht unerhebliche Personenanzahl bewegte, die ohne formalen
Mitgliederstatus faktisch der neonationalsozialistischen Szene zuzurechnen war.
Verstärkte Aktivitäten
Die oben angeführte „Rückbesinnung“ bedeutet, dass die neonationalsozialistische Szene in 2016 wieder
ihre ureigenen ideologischen Kernbestände bediente und in den Vordergrund stellte. Durch die rück-
läufige Bedeutung der Asylthematik wurden des Weiteren wieder mehr Kapazitäten für andere szene-
bezogene Aktivitäten frei. Dies wurde gleich zu Jahresbeginn am 11. Januar 2016 sichtbar, als es unter
Beteiligung von ca. 250 Personen zu schweren Ausschreitungen im Leipziger Stadtteil Connewitz kam
209
.
Darunter befanden sich zahlreiche
NeoNatIoNalsozIalIsteN,
die aus verschiedenen Regionen des Freistaates
Sachsen stammten und z. T. lange nicht mehr aktiv gewesen waren.
Trotz fehlender Kameradschaftsstrukturen konnte mittels Kommunikation in sozialen Netzwerken eine
starke Mobilisierung erreicht werden. Nicht die Asylthematik stand bei diesen Aktionen im Vordergrund,
sondern das Agieren gegen den politischen Gegner. Damit wurde deutlich, dass es trotz der vorherigen
Umbrüche nach wie vor ein sehr großes neonationalsozialistisches Personenpotenzial gab, das nunmehr
gemäß seinen Überzeugungen die Konfrontation suchte. Dieses Personenpotenzial benötigte nicht un-
209 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – Leipzig (Stadt)
94
bedingt im Hintergrund wirkende Kameradschaftsstrukturen. Über die sozialen Netzwerke und Instant-
Messaging-Dienste miteinander verbundene Protagonisten der Szene genügten, um einen hohen und
zeitnahen Mobilisierungseffekt zu erreichen. Außerdem richtete sich dieses Ereignis nicht mehr primär
auf die Asylthematik, sondern gänzlich gegen den politischen Gegner. Die Feindbestimmung insbeson-
dere unter
NeoNatIoNalsozIalIsteN
hatte sich somit schon zu Beginn des Jahres weiterentwickelt.
Auch bei den Veranstaltungen zum 13. Februar 2016
210
fokussierten sich
NeoNatIoNalsozIalIsteN
auf ihre
eigenen Themen. Dort stieg die Teilnehmerzahl an der Hauptveranstaltung am 12. Februar erstmals
seit 2009 wieder an (auf 650 Personen; 2015: 500 Personen). Dies ist der „Rückbesinnung“ der rechts-
extremistischen Szene, aber auch der Neubildung neonationalsozialistischer Strukturen in Dresden
geschuldet.
Dasselbe Zusammenspiel aus neuen Strukturen und verstärkter Dynamik hinsichtlich des Personen-
potenzials war zum 1. Mai in Plauen (Vogtlandkreis) erkennbar.
211
Anlässlich einer durch die Partei
Der
D
rItte weg
jährlich veranstalteten Demonstration trat ein „Schwarzer Block“ von etwa 200 Personen
der neonationalsozialistischen Szene aus Sachsen und anderen Bundesländern unter der Bezeichnung
aNtIkaPItalIstIsches kollektIv (akk)
in Erscheinung. Kennzeichnend für das Auftreten dieses „Schwarzen
Blockes“ waren die von der linksextremistischen autonomen Szene kopierte Vermummung sowie die
Suche nach Konfrontation mit dem politischen Gegner, aber auch mit Polizeikräften. Ebenso wie am
11. Januar in Leipzig zeigte sich auch hier, dass ein dreistelliges besonders gewaltbereites Personen-
potenzial durch lockere Vernetzung vor allem über soziale Netzwerke und Instant-Messaging-Dienste
sehr schnell mobilisierbar und koordinierbar ist.
Diese Entwicklung setzte sich im weiteren Jahres-
verlauf fort und konnte z. B. an den Ereignissen
in Chemnitz im Zusammenhang mit den Aktivitä-
ten des sog.
rechteN PleNums
und der Gruppierung
koPfsteINPflaster
212
beobachtet werden. Die hier ak-
tiven
NeoNatIoNalsozIalIsteN
versuchten, im Mai mit-
tels einer „Demoschulung“ ähnlich dem Agieren
des AKK am 1. Mai 2016 durch Einübung von kon-
frontativen Verhaltensweisen bei Demonstratio-
nen die Voraussetzungen für künftige „Schwarze
Blöcke“ von Rechtsextremisten zu schaffen.
Eine für den 25. Juni 2016 geplante „Kiezschulung“ fiel zwar aus. Das Thema dieser Schulung befand
sich jedoch längst in der praktischen Umsetzung. Dies bezeugten u. a. die zahlreich hinterlassenen
„Nazikiez“-Aufschriften sowohl in Chemnitz auch in anderen Teilen des Freistaates Sachsen.
Neben den direkten Konfrontationen mit dem politischen Gegner und den Polizeikräften stellten diese
„Raumnahmekampagnen“ von Rechtsextremisten eine der Hauptentwicklungen in der zweiten Jahres-
hälfte 2016 dar. Immer häufiger tauchten im Freistaat Sachsen entsprechende Schmierereien auf. Diese
kennzeichneten die betroffenen Gebiete als „Nazikiez“ oder „NS-Zone“. Dieses Agieren entspricht früheren
Bestrebungen nach der Schaffung sog. „National befreiter Zonen“.
210 siehe Abschnitt II.2.12.3 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – Dresden (Stadt)
211 siehe Abschnitt II.2.4.4
Der DrItte weg (III. weg)
sowie II.2.12.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer
Bestrebungen – Vogtlandkreis
212 siehe Abschnitt II.2.12.2 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – Chemnitz (Stadt)
Quelle: LfV Sachsen (Stand: 1. Mai 2016)
95
RECHTSExTREMISMUS
Mit diesen Propagandaaktionen kam nicht nur
eine neue Stufe in der Qualität der Auseinander-
setzung mit dem politischen Gegner zum Aus-
druck, sondern es zeigte sich auch ein deutlich
gesteigertes Selbstbewusstsein.
Vor dem Hintergrund, dass
NeoNatIoNalsozIalIsteN
nach wie vor bestrebt sind, strategische Koopera-
tionsmöglichkeiten mit anderen, auch nicht extre-
mistischen Kräften zu nutzen, ist der unverhohlene
Umgang mit NS-Bezügen bemerkenswert.
Ein solches, scheinbar widersprüchliches Vor-
gehen von Teilen der neonationalsozialistischen
Szene könnte Ausdruck von Differenzen dieser
Szene sein. Allerdings haben die Ereignisse in
Bautzen im September 2016
213
gezeigt, dass Ko-
operations- und Konfrontationswille dennoch
zusammengehen können. Vor dem Hintergrund
der wiedergefundenen Selbstsicherheit und Ent-
schlossenheit der Szene wird auch der Koopera-
tionswille neu definiert und mit selbstgesetzten
Bedingungen versehen.
Die Ereignisse in Bautzen waren jedoch auch noch
in anderer Hinsicht ein wichtiges Ereignis für die
neonationalsozialistische Szene im Freistaat Sach-
sen im Jahr 2016. Zunächst konnte die Szene hier
wieder asylbezogene Konfrontationen für ihre ei-
genen Aktivitäten nutzen. Anders als üblich gelang
es ihr hier jedoch, auch als „Taktgeber“ aufzutreten.
213 siehe Abschnitt II.2.12.1 Regionale Beschreibung– Landkreis Bautzen
Quelle: Facebook-Profil
rechtes PleNum
(Stand: 28. Mai 2016)
Quelle:
(Stand: 10. April 2016)
Quelle: Facebook-Profil „StreamBZ” (Stand: 7. September 2016)
96
Aus der neonationalsozialistischen Szene wurde vor allem über die den
freIeN kräfteN Im laNDkreIs BautzeN
zuzuordnende Facebook-Seite „StreamBZ“ lenkend in die Aktivitäten gegen Asylbewerber, den politischen
Gegner und gegen die lokalen Amts- und Mandatsträger eingegriffen.
Gleichzeitig versuchte sich die neonationalsozialistische Szene als Ansprechpartner für die lokalen
Amts- und Mandatsträger zu profilieren. So wurden am 16. September über Facebook „Demopausen“
verkündet, um
„Bautzens Politikern die Möglichkeit [zu] geben, Taten folgen zu lassen“
. Angehörige der
lokalen neonationalsozialistischen Szene, die lokale Gesprächsforen zur Asylthematik nutzten, machten
gleichzeitig aus ihrer Gesinnung als „nationale Sozialisten“ keinen Hehl.
Ergänzend war auch in Bautzen wieder eine Orientierung weg von der Asylthematik hin zur Auseinander-
setzung mit dem politischen Gegner zu beobachten. Waren etwa im September noch verschiedenste Rechts-
extremisten an lokalen asylbezogenen Aktivitäten beteiligt, so richtete sich eine am 7. Oktober durchgeführte
Versammlung in Bautzen vor allem gegen „Linksfaschismus“, mithin den politischen Gegner.
Der verstärkte Wunsch nach Wiedergewinnung der Eigenständigkeit der neonationalsozialistischen
Szene manifestierte sich schließlich auch aus Anlass der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Ein-
heit am 3. Oktober in Dresden
214
. Trotz diverser Veranstaltungsanmeldungen und Aktivitäten von asyl-
kritischen
215
Bewegungen wurde durch einen Angehörigen der Dresdner neonationalsozialistischen
Szene unter dem Motto: „Dresden macht sich gerade“ auch eine eigene Veranstaltung angemeldet.
Der Mobilisierungserfolg für diese Veranstaltung war mit 80 Teilnehmern jedoch vergleichsweise
schwach. Hinzu kam, dass sich an den anderen asylkritischen Veranstaltungen ebenfalls verschiedene
Rechtsextremisten als Mitorganisatoren, Redner und Ordner beteiligten. Angehörige der neonatio-
nalsozialistischen Szene nahmen daher auch bei diesen und anderen Veranstaltungen teil und doku-
mentierten damit, dass die Asylthematik als Ausgangspunkt für die Bekämpfung des demokratischen
„Systems“ von Rechtsextremisten und insbesondere von
NeoNatIoNalsozIalIsteN
nach wie vor intensiv
genutzt wird.
Dies war auch bei den übrigen Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene in 2016 immer wieder
zu beobachten. So wurde das Asylthema zur Agitation insbesondere gegen die Demokratie und gegen
Asylbewerber sowie deren Unterstützer genutzt. Dies galt insbesondere nach den durchgeführten bzw.
vereitelten islamistischen Anschlägen in der zweiten Jahreshälfte.
216
Dabei trat immer wieder eine hohe
Gewaltbereitschaft zutage. Insbesondere die sog. „Gruppe Freital“ steht im Verdacht, diese Bereitschaft
auch in die Tat umgesetzt zu haben.
217
Neben den beiden bisher dargestellten Hauptlinien (Asylthematik und Kampf gegen den politischen
Gegner) war die neonationalsozialistische Szene in Sachsen verstärkt um ideologische Festigung und
Stärkung des inneren Zusammenhalts bemüht. So waren im Jahr 2016 zunehmende Aktivitäten hin-
214
siehe Abschnitt II.2.12.3 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – Dresden (Stadt)
215 Zur Abgrenzung der Begriffe „asylfeindlich“ und „asylkritisch“ in diesem Bericht: siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten
und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik – Fortsetzung des Beitrages von 2015
216 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik –
Fortsetzung des Beitrages von 2015“
217 siehe Abschnitt II.2.7 Verfahren wegen des Verdachts rechtsterroristischer Aktivitäten
97
RECHTSExTREMISMUS
sichtlich Veranstaltungen, wie „Zeitzeugenvorträge“
218
, „Heldengedenken“
219
oder auch Sonnenwendfeiern,
feststellbar. Auch dies sind Indikatoren für die erhöhte Aktionsbereitschaft der neonationalsozialisti-
schen Szene im Freistaat Sachsen.
Diese ist darüber hinaus bundesweit sehr gut vernetzt. Dies wurde im Berichtsjahr durch die Teilnahme
an bundesweiten Veranstaltungen, wie dem „Tag der Deutschen Zukunft“ am 8. Juni in Dortmund, doku-
mentiert. Die engen Verbindungen, z. B. zur neonationalsozialistischen Szene in Dortmund (NW), zeigten
sich auch in den zahlreichen Aktivitäten zugunsten des nordrhein-westfälischen Rechtsextremisten und
Mitglieds des Bundesvorstandes der Partei
DIe rechte
, Christoph DREWER. Hier führten
NeoNatIoNalsozIalIsteN
in Sachsen, so in Chemnitz, unter dem Motto „Freiheit für Buddel“ eigene Propagandaaktionen durch.
Neue Netzwerke
Hinter der bisher dargestellten Ereignisdynamik steht als wesentlicher Motor die Bildung neuer neo-
nationalsozialistischer Netzwerke und Strukturen in verschiedenen Regionen des Freistaates Sachsen.
Wesentlicher Antrieb war die fortgesetzte Netzwerkbildung vor dem Hintergrund der Asylthematik. Im
Berichtsjahr entstand jedoch zusätzlich eine sich wechselseitig beeinflussende Beziehung aus Veranstal-
tungsdynamik und Netzwerkbildung.
Bereits im Jahr 2015 haben sich mit den
freIeN kräfteN hoyerswerDa,
der
freIeN kameraDschaft DresDeN
bzw.
den
freIeN aktIvIsteN DresDeN
wieder Reaktivierungen und Neubildungen neonationalsozialistischer Struk-
turen vollzogen.
220
Dieser Trend setzte sich im Jahr 2016 noch einmal fort, differenzierte sich dabei aber
aus. So gingen die Aktivitäten nicht nur von festen Strukturen aus, sondern auch von strukturähnlichen
Bekanntschaftsnetzwerken, die durch die sozialen Netzwerke und Instant-Messaging-Dienste gestützt
wurden. Die sozialen Medien verfestigten meistens lose bestehende Szenebekanntschaften und verlie-
hen diesen Mobilisierungsfähigkeit und Schlagkraft.
In diese Kategorie gehört etwa die Mobilisierung zum 11. Januar 2016, aber auch das
antikaPitalistische
k
ollektiv (akk)
.
Das AKK besteht als bundesweites Phänomen etwa seit dem Jahr 2015 und hat seine
Schwerpunkte bisher im Berliner und im süddeutschen Raum. In Sachsen haben einzelne
NeoNatI-
oNalsozIalIsteN
bei den Aktivitäten des AKK zum 1. Mai in Plauen teilgenommen. Eigene Strukturen
existieren in Sachsen derzeit nicht.
Beim AKK handelt es sich trotz eines eigenen La-
bels nicht um eine feste Organisation, sondern um
den Versuch, Angehörige verschiedener rechtsex-
tremistischer Organisationen zusammenzuführen
und für entsprechende Veranstaltungen in einem
Aktionspotenzial zu konzentrieren. Entsprechend
gibt es auch keine strenge Unterteilung in Mitglie-
218 „Zeitzeugenvorträge“ bestehen im Wesentlichen aus einer Veranstaltung mit einem ehemaligen Angehörigen der
Wehrmacht oder damaliger nationalsozialistischer Organisationen, wie der SS und der SA. In der neonationalsozialistischen
Szene werden regelmäßig Veranstaltungen mit solchen „Zeitzeugen“ durchgeführt. Bei den „Zeitzeugen“ handelt es
sich meist um Personen, die ihre Erinnerungen entsprechend der rechtsextremistischen Sicht auf das sog. Dritte Reich
darstellen. Daher haben diese Veranstaltungen einen propagandistischen Wert, sind aber auch wichtig für die ideologische
Selbstvergewisserung der Szene.
219
Zur Bedeutung von „Heldengedenk“-Aktionen siehe den Unterabschnitt Ideologie, Strategien und Gewaltbereitschaft der Szene.
220 Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 117 und 127
Quelle:
(Stand: 19. Dezember 2016)
98
der und Nichtmitglieder. Es handelt sich um ein bestimmtes Personenpotenzial, das sich auf den Veranstal-
tungen unter der Bezeichnung AKK trifft und gemeinsam handelt.
Das AKK kann dabei mit seinem von der linksextremistischen Szene übernommenen Habitus auf das
schon vor ein paar Jahren beobachtete Phänomen der
autoNomeN NatIoNalIsteN
zurückgreifen.
Die Dynamik des AKK im Jahr 2016 kam vor allem durch zwei Motivlagen zustande: Zunächst bediente das
AKK ein in der neonationalsozialistischen Szene sehr ausgeprägtes Bedürfnis nach aktiver Konfrontation.
Die auf dem 1. Mai in Plauen mitgeführten Transparente verkündeten selbstbewusst: „Wir sind die Revolte“.
In diesem Sinne suchte der geschlossen vermummte „Schwarze Block“ des AKK offensiv die Konfrontation
mit Teilnehmern der Gegendemonstrationen, aber auch mit den eingesetzten Polizeibeamten.
Ein weiteres wichtiges Element ist die bewusste antikapitalistische Orientierung des AKK. Diese geht
auf die Bestrebungen des linken Flügels der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ (NSDAP)
unter den Brüdern STRASSER von der Gründung der NSDAP bis zum „Röhm-Putsch“ 1934 zurück. Das
Antikapitalismusverständnis des AKK umfasst dementsprechend vor allem eine starke antisemitische
Zielrichtung, die althergebrachte Chiffren bedient, wie die angebliche Herrschaft einer jüdisch dominier-
ten, die Welt geheim lenkenden Finanzoligarchie (der „Ostküste“). Die verfügbaren programmatischen
Äußerungen sprachen im Sommer 2016 darüber hinaus vom Ziel eines „völkischen Sozialismus“
221
. Zur
aktuellen politischen Ordnung hieß es:
„Dieses System ist nicht reformierbar“.
Außerdem fanden sich
antiimperialistische und antiamerikanische Elemente.
Unter dieser antikapitalistischen Grundorientierung lassen sich aktuell sehr viele Erscheinungsformen
der rechtsextremistischen Szene zusammenführen, da z. B. auch die JN oder die Partei
Der DrItte weg
„Antikapitalismuskampagnen“ durchführten. Im Ergebnis sind weite Teile der rechtsextremistischen Sze-
ne an die entsprechenden Schlagwörter und Parolen gewöhnt und können, wie zum 1. Mai 2016, zu
einer gemeinsamen Veranstaltung mobilisiert werden.
Dass die Vernetzung verschiedener Teile der rechtsextremistischen Szene im Zweifel nicht einmal eines
gemeinsamen Labels, wie des AKK, bedarf, veranschaulichten die asylbezogenen Ereignisse in Bautzen
ab September 2016. Dort kooperierten
NeoNatIoNalsozIalIsteN
unterschiedlicher Herkunft miteinander. Dabei
traten sie weniger als feste Gruppen, sondern vor allem mit Internetauftritten in den sozialen Medien in
Erscheinung. Insbesondere den
freIeN kräfteN Im laNDkreIs BautzeN
, die den „StreamBZ“-Präsenzen zuzuord-
nen sind, gelang es dadurch, szeneintern die rechtsextremistischen Aktivitäten anzuleiten. Mit dieser Ver-
netzung präsentierte sich die neonationalsozialistische Szene im Landkreis Bautzen als aktionswilliges und
-fähiges Personenpotenzial, ohne dass hierzu eine feste Organisationsstruktur erforderlich gewesen wäre.
Etwas anders gelagert waren demgegenüber die Aktivitäten des sog.
Rechten Plenums
bzw. der sog.
balaclava
222
-küche
, die vor allem in der ersten Jahreshälfte 2016 mit Aktivitäten in Sachsen auffie-
len. Hier ging es weniger um neue Arten der Vernetzung, sondern um überregionale Kennverhältnis-
se, die schließlich zur Bildung einer regionalen Gruppierung führten. Schwerpunkt dieser Aktivitäten
war der Chemnitzer Raum. Beim
rechteN PleNum
bzw. bei der
Balaclava-küche
handelt es sich um einen
221 vgl. hier und im Folgenden:
(Stand:11. Juli 2016)
222 Eine Balaclava ist eine aus dem Krimkrieg stammende Sturmhaube, die von den Angehörigen der
Balaclava-küche
in ihren Videos getragen werden.
99
RECHTSExTREMISMUS
neonationalsozialistischen Personenkreis, der zu großen Teilen in beiden Gruppierungen aktiv ist. Der
Schwerpunkt dieser Gruppierungen lag in der Vergangenheit vor allem in Niedersachsen. Besonders die
Balaclava-küche
war durch das von ihr medial mit YouTube-Videos vermarktete „Nipster“
223
-Phänomen
in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit.
Anfang 2016 wurde bekannt, dass dieser Personenkreis einen Teil seiner Aktivitäten nach Chemnitz
verlagert hatte und dort mit lokalem Personenpotenzial zusammenarbeitete. Die Aktivitäten, die dort
unter dem Label
rechtes PleNum
verfolgt wurden, zielten, ähnlich wie beim AKK, auf eine Stärkung der
szeneeigenen Militanz. Nachdem eine für den 25. Juni 2016 angesetzte „Kiezschulung“ ausgefallen war,
wurden in Sachsen keine Aktivitäten unter dem Label
rechtes PleNum
oder
Balaclava-küche
mehr be-
kannt. Gleichwohl blieben die beteiligten Personen bei ihren eigenen Gruppierungen weiterhin in der
rechtsextremistischen Szene aktiv. Die sächsischen Teile dieses Personenpotenzials ließen sich fortan im
Wesentlichen der Gruppierung
koPfsteINPflaster
224
zuordnen.
Bei der Gruppierung
koPfsteinPflasteR
handelt es
sich um einen vor allem im Chemnitzer Stadtteil
Sonnenberg beheimateten Personenzusammen-
schluss, der zunächst zum Jahresbeginn 2016 im
Internet und dann insbesondere mit den bereits
erwähnten „Nazikiez“-Aufschriften in Erscheinung
trat. Mit seinen bundesweiten Bezügen belegt
auch dieser Personenzusammenschluss die gute
Vernetzung sächsischer
NeoNatIoNalsozIalIsteN
. Auch
die Äußerungen von
koPfsteINPflaster
sind beispiel-
haft und zeigen ein elitäres Selbstverständnis als
223 „Nipster“ ist ein Kunstwort aus „Nazi“ und „Hipster“. Im Wesentlichen verbirgt sich dahinter der Versuch von Rechts-
extremisten, Phänomene von bisher eher in politisch links zu verortenden Jugendkulturen, wie „Straight Edge“
(Kultur einer kritischen Grundhaltung gegenüber Drogen und wahllosem Geschlechtsverkehr unter Jugendlichen), oder
den Veganismus auch im Rechtsextremismus zu verankern, um so auch für diese Jugendkulturen anschlussfähig zu sein.
224 siehe Abschnitt II.2.12.2 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – Chemnitz (Stadt)
Quelle:
(Stand: 9. Mai 2016)
Quelle:
(Stand: 17. April 2016)
100
neonationalsozialistische Bewegung. Darüber hinaus hatten sie den Kampf gegen den politischen
Gegner und die Vertreibung von Flüchtlingen und Asylbewerbern zum Ziel.
Anfang November 2016 wurden auf einem linksextremistischen Internetportal mehrere Personen
öffentlich als „Rechtsextremisten“ „geoutet“, die angeblich dem
rechteN PleNum
angehörten. Im zeitlichen
Zusammenhang dazu kam es zu mehreren Sachbeschädigungen, die Ausdruck der Auseinandersetzung
zwischen den politischen Gegnern waren.
Eine weitere Kategorie in Bezug auf Vernetzungs-
bestrebungen und Strukturbildungen ergab sich
für die neonationalsozialistische Szene durch die
Rückkehr von ehemaligen Führungspersonen,
die einst in den Bereich des parteigebundenen
Rechtsextremismus gewechselt waren. Hier ist
insbesondere die zunächst als lockere Veranstal-
tungsreihe und ab November 2016 von einem
länderübergreifenden Verein getragene Kampagne
„Wir lieben Sachsen/THÜGIDA“
225
anzuführen.
Zum ersten Mal wurde die Bezeichnung „Wir lie-
ben Sachsen/THÜGIDA“ bei der Anmeldung einer
schließlich in einem Aufzug der Partei
DIe rechte
aufgegangenen Veranstaltung am 12. Dezember
2015 in Leipzig verwandt. Später tauchte das La-
bel erst wieder bei einer weiteren Veranstaltung
in Leipzig am 4. April 2016 auf. Seitdem wurden
zahlreiche Veranstaltungen in verschiedenen
Regionen Sachsens durchgeführt. Zentraler An-
laufpunkt dieser Demonstrationen war ein „Info-
mobil“, das bei allen Veranstaltungen als Bühne
genutzt wurde und durch zahlreiche Ortschaften
in Sachsen „tourte“.
Hauptakteur aus Sachsen war der zuvor schon in der Partei
DIe rechte
aktive Alexander KURTH aus
Leipzig. KURTH selbst entstammt der neonationalsozialistischen Szene Leipzigs und führte, zusam-
men mit David KÖCKERT, dem NPD-Stadtrat von Greiz (Thüringen), bei seinen Veranstaltungen ver-
schiedenste Akteure der rechtsextremistischen Szene zusammen. Hierbei sind besonders die Veran-
staltungen am 7. Oktober 2016 in Bautzen und am 8. Oktober 2016 in Dresden hervorzuheben. Dabei
war u. a. der Berliner Patrick KILLAT, bekannt als Sänger der rechtsextremistischen Band
a3stus
, oder
der für die rechtsextremistische Bürgerinitiative
ausläNDerstoPP (BIa)
im Münchener Stadtrat aktive
Karl RICHTER beteiligt.
225 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik –
Fortsetzung des Beitrages von 2015
Quelle:
(Stand: 14. Dezember 2016)
Quelle:
(Stand: 13. Oktober 2016)
101
RECHTSExTREMISMUS
Der am 18. November 2016 gegründete Verein
thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v.
226
mit Sitz in
Greiz (Thüringen) kann daher als überregionaler,
neonationalsozialistischer Personenzusammen-
schluss gesehen werden, der das Potenzial hat,
NeoNatIoNalsozIalIsteN
aus Parteistrukturen wieder
für szeneeigene Aktivitäten zu gewinnen. Die
aufgetretenen Akteure verdeutlichen, dass un-
ter diesem Label die Vernetzung zwischen den
verschiedensten Bereichen der rechtsextremisti-
schen Szene weiterhin vorangetrieben wird.
Ebenfalls in diese Kategorie fällt
deR weisse Rabe.
Auch hier sollen rechtsextremistische Akteure un-
terschiedlichster Herkunft thematisch zusammengeführt werden. Ähnlich wie beim AKK wollen die
Akteure keineswegs die vorhandenen Strukturen auflösen oder ersetzen. Stattdessen streben sie mit
„Stammtischen“, also regelmäßigen formlosen Treffen, eine Basis für gemeinsame Zielsetzungen und
gemeinsames Handeln an. Anders als beim AKK zielen die Aktivitäten des
weIsseN raBeN
jedoch nicht auf
Straßenmilitanz, sondern auf die Schaffung politischer Handlungsmacht durch die Verbindung mög-
lichst vieler verschiedener politischer Akteure. So kommentierte die Facebook-Seite des
weIsseN raBeN
einen der ersten Stammtische in Leipzig mit den Worten:
„So konnten wir auch am gestrigen Abend Gäste aus verschiedenen politischen Organisationen begrüßen.
AfD, Friedensaktivisten, Die Rechte, Linke, NPD, SPD, verschiedene Bürgerinitiativen, Freie Aktivisten und
viele weitere Aufgewachte. Aufgewachte die sich darüber einig sind, daß das Gegeneinander zu einem
Miteinander werden muß. Zu einem Miteinander im Kampf gegen die BRD-Unrechtsdiktatur. (…)“
227
In diesem Sinne wird die freiheitliche demokratische Grundordnung vom
weIsseN raBeN
als abzuschaf-
fendes „System“ dargestellt, dem „Widerstand“ entgegenzusetzen sei. Ergänzend wird unter Anleihen
bei den
reIchsBürgerN uND selBstverwalterN
228
die Auffassung vertreten, die Bundesrepublik Deutschland
sei kein souveräner Staat. Dazu werden auch antisemitische Stereotype, wie die angebliche Herrschaft
eines „Kartells“ aus der Wallstreet, verwendet.
An Veranstaltungen des
weIsseN raBeN
in Dresden und Leipzig nahmen wiederholt auch Protagonisten
der rechtsextremistischen Parteien
DIe rechte
und
Der DrItte weg
teil. An einer der Veranstaltungen betei-
ligte sich auch der bereits erwähnte Münchener Rechtsextremist Karl RICHTER.
Hauptakteur des
weIsseN raBeN
ist der Leipziger Silvio RÖSLER. Dieser hatte etwa bis zum Jahreswechsel
ähnliche Bestrebungen bei der
offeNsIve für DeutschlaND
verfolgt, widmete sich aber etwa seit Dezember
2015 verstärkt dem
weIsseN raBeN
.
Im Jahr 2016 kam es nur vereinzelt zu eigenen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, so eine
Banneraktion aus Anlass einer internationalen Konferenz in Dresden am 18. Mai 2016. Ansonsten blieb
es bei internen Veranstaltungen, z. B. den erwähnten Stammtischveranstaltungen oder Teilnahmen an
den Veranstaltungen anderer Organisationen.
226 kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen
227
(Stand: 15.3.2016, Schreibweise wie im Original)
228 siehe Abschnitt 6.
reIchsBürger uND selBstverwalter
Quelle:
(Stand: 14. Dezember 2016)
102
Vom Organisationstyp ähnlich wie
thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v.,
allerdings mit anderen Nuancen,
stellt sich die Gruppierung
wiR füR leiPzig
229
dar. Hinter dieser Gruppierung, die erstmalig bei einer
Veranstaltung am 4. April 2016 in Leipzig auftrat, steht der ehemalige NPD-Kreisverbandsvorsitzende
Enrico BÖHM. Er hatte sich im April 2016 nach bereits länger anhaltenden Konflikten mit dem NPD-
Landesvorstand überworfen. In der Folge traten aktive Mitglieder dieser NPD-Struktur im Großraum
Leipzig aus der Partei aus, und BÖHM reorganisierte sie in
wIr für leIPzIg
. Seither ist die Gruppierung
nicht mit größeren Veranstaltungen in Erscheinung getreten, hat aber immer wieder kleinere Aktionen,
wie z. B. „Heldengedenken“, durchgeführt. Sie kann insofern als Modell dafür gelten, wie sich im partei-
gebundenen Rechtsextremismus engagierende Personen mit neonationalsozialistischer Ausrichtung bei
auftretenden internen Differenzen sehr zügig wieder in eigenen neonationalsozialistischen Strukturen
sammeln.
Diesen Weg beschritt auch die im Jahr 2016 erstmals öffentlich in Erscheinung getretene Gruppierung
freIe kräfte mItte/ostsachseN (fkmo).
Sie existierte als Internetpräsenz schon länger, machte jedoch erst-
malig mit einer Veranstaltung unter dem Motto „Nation statt Integration“ am 3. September 2016 in
Löbau (Landkreis Görlitz) im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam. Bei dem hinter dieser Gruppierung
stehenden Personenpotenzial handelt es sich um
NeoNatIoNalsozIalIsteN
, die bisher in anderen rechts-
extremistischen Strukturen aktiv waren.
Neben den Entwicklungen zur stärkeren Vernetzung und Strukturierung der neonationalsozialistischen
Szene gibt es jedoch auch gegenläufige Tendenzen. So hat sich die einstmals im westsächsischen
Bereich zu einer gewissen Bedeutung gelangte
weIsse wölfe terrorcrew (wwt)
schon vor ihrem Verbot
am 16. März 2016 durch den Verlust neonationalsozialistischer Führungskader in Sachsen zur subkul-
turell geprägten Gruppierung entwickelt. Gleichfalls ist die bis zum Jahresende 2015 aktiv gewesene
Gruppierung
legIoN 84
aus Limbach-Oberfrohna 2016 nicht mehr mit eigenen Veranstaltungen in
Erscheinung getreten.
229 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen – Leipzig (Stadt)
Quelle: facebook.com/WirfuerLpz (Stand: 16. Dezember 2016)
103
RECHTSExTREMISMUS
gefangenenhIlfe (gh)
Nach dem Verbot der „Hilfsorganisation für nationale und politische Gefangene und deren Angehörige
e.V.“ (HNG) im Jahr 2011 trat ab dem Folgejahr die
gefaNgeNeNhIlfe (gh)
als Organisation für die Betreu-
ung inhaftierter Rechtsextremisten in Erscheinung. Die GH ist ein in Schweden eingetragener Verein,
dessen Hauptanliegen unter dem Motto „Gemeinschaft statt Isolation“ die finanzielle Unterstützung
der Inhaftierten und ihrer Familien ist. Postfach und Bankverbindung der Organisation sind ebenfalls in
Schweden angesiedelt, um staatlichen Maßnahmen in Deutschland zu entgehen.
Erklärtes Ziel des Vereins ist neben der finanziellen Unterstützung Inhaftierter und ihrer Familien, die
von der Organisation als „Opfer staatlicher Willkür“ bezeichnet werden, die „Wiedereingliederung der
ehemaligen Häftlinge in unsere Gemeinschaft“.
Die GH veranstaltet deutschlandweit Informa-
tionsveranstaltungen und ist mit Informations-
ständen bei szeneinternen (Groß-)Veranstal-
tungen präsent, um die Organisation und die
verschiedenen Möglichkeiten der Betreuung bzw.
Unterstützung Inhaftierter vorzustellen und den
Aufbau regionaler Strukturen zu fördern. Darüber
hinaus vermittelt die GH Rechtsanwälte und un-
terstützt die inhaftierten Straftäter durch Besu-
che und Briefkontakte.
Die GH nutzt – anders als vormals die HNG – das
Internet intensiv als Kommunikations- und In-
formationsplattform. Auf ihrer Internetseite und
ihrem Facebook-Profil veröffentlicht die Orga-
nisation regelmäßig Berichte über Solidaritäts-
aktionen für inhaftierte Rechtsextremisten und
informiert über die verschiedenen Möglichkeiten
der Gefangenenbetreuung.
Unterstützt wird die GH von rechtsextremistischen
Liedermachern und Vertrieben. Aus dem Freistaat
Sachsen gehört insbesondere der Chemnitzer Lie-
dermacher „Barny“ zu den Unterstützern, der im
Rahmen seiner Auftritte für die Organisation wirbt.
Ausblick
Das Jahr 2016 zeigte eine zunehmend von Selbstbewusstsein und Entschlossenheit geprägte neonati-
onalsozialistische Szene, die sich durch eine hohe Reaktionsfähigkeit und Gewaltbereitschaft auszeich-
nete. Dies wurde ergänzt durch die Bildung neuer eigener Strukturen.
Gleichzeitig versuchte die neonationalsozialistische Szene, sich als Ansprechpartner auf Augenhöhe für
die lokale Amts- und Mandatsträger zu profilieren. Jedes Entgegenkommen wurde von ihr als großer
Erfolg gewertet.
Quelle:
(Stand: 3. Februar 2016)
104
Aktuelle Erfolge von
NeoNatIoNalsozIalIsteN
sind mit der Asylthematik verknüpft. Will die neonationalsozia-
listische Szene auch über dieses Agitationsfeld hinaus weitere Wirkung entfalten, muss sie neue Themen
finden, die in der Gesellschaft anschlussfähig sind. Sie müsste auch das vorhandene Mobilisierungspo-
tenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene stärker in ihre eigenen Veranstaltungen
einbinden. Dazu bräuchte es flächendeckend eines weiteren Ausbaus der Strukturen sowie eines zug-
kräftigen Führungspersonals. Beides ist bisher nur in Ansätzen erkennbar, so dass sich die derzeitige
Dynamik im Jahr 2017 vermutlich nicht bruchlos fortsetzen wird.
Dennoch ist mit zunehmenden Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene in allen Regionen zu
rechnen. Die Szene will derzeit aktiv Räume besetzen und den politischen Gegner bekämpfen. Dies wird
auch im Jahr 2017 zu Gewalt- und Konfrontationsbereitschaft führen.
2.6 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten
Die Szene der subkulturell geprägten Rechtsextremisten umfasst Personen, die überwiegend nicht einer
festen Struktur zuzuordnen sind. Sie verfügen über ein von Fremdenhass und Rassismus geprägtes
Weltbild, entfalten aber keine selbständigen politischen Aktivitäten, wie etwa Demonstrationen. Der
Großteil der subkulturell geprägten Rechtsextremisten zeichnet sich durch eine erhöhte Gewaltbereit-
schaft aus und ist für einen erheblichen Teil der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten ver-
antwortlich. Die Gewalttaten werden in der Regel impulsiv und in Reaktion auf konkrete Ereignisse
begangen. Beispiele für solche Situationen sind das Aufeinandertreffen mit politischen Gegnern oder
Personen, die dem Feindbild der rechtsextremistischen Szene entsprechen.
Das Personenpotenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene stagnierte im Jahr 2016
bei ca. 1.550 Personen (2015: ca. 1.600).