„Zweiter Bericht des Beauftragten der Sächsischen Staatsregierung für das
Jüdische Leben“
Aus dem Bericht, welcher den Mitgliedern der Staatsregierung in der Kabinettssitzung am 7.
Juli 2020 vorgestellt wurde:
I.
Beauftragter der Sächsischen Staatsregierung für Jüdisches Leben – eine
Bestandsaufnahme
Vielen Bürgern des Freistaates ist bisher wenig oder nichts über jüdisches Leben in Sachsen
bekannt, Antisemitismus tritt auch im Freistaat Sachsen öfter zu Tage. Daraus ergibt sich
Handlungsbedarf für den Freistaat Sachsen und die Zivilgesellschaft. Mit der Berufung des
Beauftragten der Sächsischen Staatsregierung für das Jüdische Leben ist ein wichtiger Schritt
vollzogen worden, der sowohl von den jüdischen Gemeinden in Sachsen, den gemeindlich
nicht gebundenen jüdischen Bürgern Sachsens als auch der Vielzahl von Menschen im
Freistaat, die sich dem Thema jüdisches Leben widmen, einstimmig begrüßt wurde. Die seit
der Berufung des Beauftragten gemachten Erfahrungen zeigen, dass die jüdischen
Gemeinden es schätzen, den Beauftragten an ihrer Seite zu wissen. Auch seitens der Vereine,
Initiativen und Einzelpersonen, die sich im Freistaat seit vielen Jahren mit dem Thema
Judentum befassen und engagiert gegen Antisemitismus aktiv sind, gibt es Erwartungen und
Zuspruch hinsichtlich der Einrichtung der Stelle des Beauftragten für das Jüdische Leben.
Durch die ehrenamtliche und damit explizit nicht weisungsgebundene Struktur der
Beauftragung entsteht ein Zuwachs an Transparenz und Effizienz sowie die Möglichkeit des
unbürokratischen Dialogs mit allen Partnern.
Die Unterstützung der meist ehrenamtlichen Arbeit in diesem Bereich sowie die Beratung und
Begleitung der Tätigkeit der jüdischen Gemeinden im Freistaat Sachsen ist eine der
Hauptaufgaben und -anliegen des Beauftragten für das Jüdische Leben. Ebenso wird sich
aktiv dafür eingesetzt, dass die Anliegen der jüdischen Gemeinden in Sachsen einerseits und
staatliche Handlungsoptionen sowie politische Diskurse des Parlaments andererseits
miteinander in Bezug gebracht werden.
Um die genannten Ziele zu erreichen hat der Beauftragte strukturell-thematische und
haushaltsrelevante Anregungen in die Koalitionsverhandlungen der 7. Wahlperiode des
Sächsischen Landtages eingebracht. Hier sind beispielhaft die Einrichtung einer
niedrigschwelligen Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, die Einrichtung
psychosozialer Beratungsstellen für Betroffene von Antisemitismus und eine stärkere
Förderung deutsch-israelischer Schülerbegegnungen zu nennen.
Der Beauftragte nimmt am regelmäßigen Austausch zwischen den Beauftragten der einzelnen
Bundesländer und dem Beauftragten des Bundes teil und ist aktiv in die Arbeit der Bund-
Länder-Kommission eingebunden. Er hält den Kontakt zum Ministerpräsidenten, den
Staatsministern sowie zur Generalstaatsanwaltschaft.
1. Der Expertenrat
Der im April 2019 vom Staatsminister für Kultus berufene Expertenrat berät den Beauftragten
hinsichtlich seiner Arbeit und ist in diesem Verständnis als Fachgremium beratend für das
Sächsische Staatsministerium für Kultus tätig. Dem Expertenrat steht Olaf Glöckner, Historiker
mit Schwerpunkt jüdische Geschichte, vor. Vertreten sind im Expertenrat zudem die Kirchen,
der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, das Landeskriminalamt Sachsen, die
Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und ein Vertreter der Zivilgesellschaft. Der
Expertenrat trifft sich regelmäßig um aktuelle Situationen angemessen in die Diskussion
einzubringen.
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2. Aktuelle Situation jüdischen Lebens in Sachsen
Jüdisches Leben in seiner Vielfalt ist ein genuiner Teil unserer sächsischen Gesellschaft. Dies
wird nicht nur in dem 1994 geschlossenen und seitdem kontinuierlich fortgeschriebenen
Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Sachsen und dem Landesverband Sachsen der
Jüdischen Gemeinden deutlich, sondern auch an dessen Fortentwicklung. So wurde
beispielsweise 2019 geregelt, dass das Fach „Jüdische Religion“ als ordentliches Lehrfach in
den Stundenplan sächsischer Schulen aufgenommen und seitdem an Grundschulen in
Dresden, Leipzig und Chemnitz angeboten wird.
Gegenwärtig zählen die jüdischen Gemeinden in Sachsen 2.424 Mitglieder, davon leben in
Chemnitz 558, in Dresden 719 und in Leipzig 1.199. Als Landesrabbiner fungiert Zsolt Balla,
der ebenso in der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig als Rabbiner tätig ist. Die
Jüdische Gemeinde zu Dresden hat mit Herrn Akiva Weingarten im Jahr 2019 einen jungen
Rabbiner angestellt. In Dresden existiert zudem eine Einrichtung von Chabad Lubawitsch, die
einen eigenen Rabbiner, Shenor Havlin, beschäftigt. Die jüdischen Gemeinden im Freistaat
Sachsen werden durch Vorstände geleitet, die diese Funktion im Wahlamt ehrenamtlich
bekleiden. Die Vorstände delegieren Mitglieder in den Landesvorstand der jüdischen
Gemeinden Sachsens, der wiederum Vertreter in die Versammlung des Zentralrates der Juden
in Deutschland entsendet. Neben den in den Gemeinden aktiven und registrierten Mitgliedern
leben weitere jüdische Bürger im Freistaat Sachsen, die sich keiner der Gemeinden zugehörig
fühlen.
Der Altersdurchschnitt der Gemeinden ist durch den Anteil der aus den Gebieten der
ehemaligen Sowjetunion eingewanderten Menschen als überdurchschnittlich hoch zu
bezeichnen. Immer wieder wird daher der Wunsch geäußert, nach dem Vorbild konfessioneller
Träger, in der Altenhilfe tätig zu werden. Gespräche zur Einrichtung eines betreuten Wohnens
für hochbetagte assistenzbedürftige Gemeindeglieder werden zur Zeit von der Jüdischen
Gemeinde zu Dresden geführt und von dem Beauftragten für das Jüdische Leben
konzeptionell und strukturell begleitet.
In den Gemeinden ist auch eine zunehmende Zahl junger Menschen beheimatet. Die Kinder-
und Jugendarbeit der jüdischen Gemeinden steht nach Absprache mit dem Landesrabbiner
und dem Landesvorstand im besonderen Fokus von Kooperationsangeboten des
Beauftragten mit dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden.
Die Synagoge in Görlitz verfügt über keine eigene Gemeinde. Sie wird von einem Förderverein
unterstützt, der sich aus jüdischen und nichtjüdischen Engagierten zusammensetzt.
3. Netzwerk „Jüdisches Leben in Sachsen“
Die mit der Benennung des Beauftragten verbundenen Ziele können nur gemeinsam, durch
vorausschauendes und verantwortliches Handeln des Staates und das Zusammenwirken der
Zivilgesellschaft, erreicht werden. Besonders zu würdigen sind die vielen Initiativen, Vereinen
und Privatpersonen, die sich zum Teil seit Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich und in hoher
Qualität um die Vermittlung von breit aufgestelltem Wissen über das Judentum in Sachsen
bemühen und eine Vielzahl von Veranstaltungen, Projekten und Schulungen gegen
Antisemitismus koordinieren und durchführen.
Um diese Arbeit seitens des Beauftragten noch stärker als bisher sowohl strukturell als auch
thematisch mit- und untereinander zu koordinieren und aus der gemeinsamen Arbeit
strategische Ideen für den gesamten Freistaat, in den Kommunen, Landkreisen und
Gemeinden zu generieren, werden seit Oktober 2019 Netzwerktreffen zum Thema „Jüdisches
Leben in Sachsen“ von der Geschäftsstelle des Beauftragten organisiert. Diese
Netzwerktreffen bieten das große Potential, die Akteure untereinander in Kontakt zu bringen
und den Austausch über Ideen, Vorhaben und perspektivische Schwerpunktsetzung zu
fördern.
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Neben einigen großen Akteuren im Freistaat gibt es in vielen Regionen Sachsens kleinere
Vereine
und
allein
wirkende
Privatpersonen,
die
große
Mengen
an
Wissen
zusammengetragen haben, von welchem alle profitieren können und sollen. Die Unterstützung
ehrenamtlicher Arbeit zur Verbreitung grundlegender Informationen über das Judentum in
Sachsen und differenzierte Strategien gegen Antisemitismus durch die Etablierung stabiler
und tragfähiger Netzwerke ist ein wichtiges Anliegen des Beauftragten.
4. Antisemitismus im Freistaat
Es ist ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft, dass Juden im Freistaat ihre
Religionszugehörigkeit aus Angst vor antisemitischen Übergriffen verstecken. Antisemitische
Straftaten kommen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten vor, die meisten in Dresden
und Leipzig. Größtenteils handelt es sich um Schmierereien und das Rufen von Parolen im
öffentlichen Raum sowie um judenfeindliche Einträge und Kommentare im Internet.
Die gezielte Bekämpfung jeglicher Ausprägung von Antisemitismus ist eine zentrale
Herausforderung für unseren Staat und die Gesellschaft. Seiner Ausbreitung ist entschlossen
durch Verfolgung antisemitischer Vorfälle wie auch präventiv entgegenzuwirken.
Antisemitismus-Prävention sollte zum einen auf der Bildungsebene in allen Stufen der
schulischen und außerschulischen Bildung stattfinden. Im Rahmen der Beschäftigung mit der
spezifischen Regionalgeschichte in der Umgebung des Bildungsortes vor, während und nach
der NS-Zeit bietet sich dies besonders an. Klassenfahrten zu Gedenkstätten und
Zeitzeugengespräche sind – solange letztere noch stattfinden können – eine beeindruckende
Erfahrung für Schüler und ein geeignetes Medium, die grausamen Geschehen der Geschichte
zu veranschaulichen und die entsprechenden Lehren aus dem „Nie wieder!“ zu ziehen. Zum
anderen ist die Auseinandersetzung mit dem gegenwärtig erlebbaren Judentum und jüdischer
Gegenwartskultur als fester Bestandteil unserer Gesellschaft zu fördern. Dazu bieten sich
geführte Besuche in Synagogen und gleichzeitig Gespräche mit jüdischen Bürgern an. Aus
den Erfahrungen des ersten Jahres als Beauftragter erscheint es als wichtig, die in diesem
Zusammenhang erfolgende Wissensvermittlung in die vertraute Umgebung der Lernenden
und somit lebenswirklichkeitsnah einzubetten und zu strukturieren.
Wie dem Beauftragten von unterschiedlichen Seiten berichtet wird, sind antisemitische
Haltungen und daraus resultierende Vorfälle sehr oft aus religiös- geschichtlicher Unkenntnis
und diffusen Vorurteilen – oft im Verbund mit Verschwörungsmythen – erwachsen. Aus diesem
Grund müssen hierzu verstärkt Möglichkeiten angeboten werden, die ein lebendiges und
differenziertes Bild des jüdischen Lebens in der Vergangenheit und Gegenwart ermöglichen.
Es hat sich – auch in meiner früheren Tätigkeit in der evangelischen Jugendarbeit – bewährt,
Begegnungen zu ermöglichen und dadurch Vorurteile gegenüber „den anderen“ auf ebenso
einfache wie effektive Weise abzubauen. In der Begegnung muss sich mit dem Gegenüber
auseinandergesetzt werden, es wird das Gemeinsame auch im Trennenden erfahren und
Barrieren werden abgebaut. Ein großes Potential bieten Schülerfahrten und -austausche nach
Israel, wo jüdische Kultur hautnah erlebt werden kann. Diese Fahrten gilt es vermehrt
anzubieten und zu unterstützen. Vor allem Schülern aus Ober-, Förder-, und Berufsschulen
sollten solche Reisen nach Israel in größerem Maße als bisher ermöglicht werden, da sie in
der Zielgruppe der durch Bildungs- und Begegnungsfahrten nach Israel erreichten Personen
momentan erheblich unterrepräsentiert sind. Ein Ziel meiner Tätigkeit ist es daher, Fahrten für
diese Schüler künftig zu fördern und zu unterstützen.
Ob verbale oder körperliche Angriffe, ob im öffentlichen Raum oder im Internet –
antisemitische Übergriffe und Straftaten sind auch in Sachsen kontinuierlich zu verzeichnen.
Der Anschlag in Halle in Sachsen-Anhalt (09.10.2019) hat hinsichtlich seiner Härte und
Brutalität überrascht. Antisemitismus – selbst in der Mitte der Gesellschaft – ist kein neues
Phänomen, er tritt in den letzten Jahren nur deutlicher hervor. Die Hemmschwelle zu
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judenfeindlichen Äußerungen, verbalen und körperlichen Angriffen nimmt kontinuierlich ab,
gleichzeitig wird antisemitisches Gedankengut immer offener vertreten. Der Antisemitismus
der heutigen Zeit ist in allen Generationen verbreitet und stellt – beinahe 75 Jahre nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges – eine Gefahr für die grundlegenden Werte unserer Demokratie
dar.
Das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen hat folgende Zahlen antisemitischer Straftaten erfasst:
85 im Jahr 2016, 103 im Jahr 2017, 136 im Jahr 2018 und 144 im Jahr 2019 (basierend auf
dem statistischen Jahresabschluss). Als Tathintergrund werden hauptsächlich rechtsextreme
Einstellungsmuster verzeichnet.
Neben Aufklärungsarbeit und Dialog sind Haltung und Courage im Alltag wichtig. Dazu ist eine
wache und engagierte Zivilgesellschaft notwendig. Menschen, die sich trauen für eine
tolerante und demokratische Gesellschaft einzustehen und Solidarität zeigen, müssen
unterstützt und gefördert werden. Antisemitismus darf in Sachsen und Deutschland kein Raum
gegeben werden.
5. Kooperationen
Die in der Konzeption für die Arbeit des Beauftragten niedergeschriebenen Ziele lassen sich
staatlicherseits nur ressortübergreifend und in Form strategischer oder projektbezogener
Kooperationen erreichen.
6. Vorhaben
Auf Spurensuche zu jüdischem Leben in Sachsen – Jugendliche für das Thema begeistern
Kinder und Jugendliche wissen einerseits oft nicht, wer oder was sich mit der jüdischen
Geschichte Sachsens verbindet. Andererseits ist eine beachtliche Anzahl antisemitischer
Vorfälle in Sachsen im Verlauf der letzten Jahre zu verzeichnen. Mit dem vom Beauftragten
initiierten Projekt „Spurensuche“ soll beiden Phänomenen begegnet und im präventiven Sinne
Wissen über den wertvollen und unverzichtbaren Beitrag jüdischer Sachsen für die Prosperität
des Freistaates vermittelt werden. Ein Pilotprojekt wurde bereits realisiert. Der dabei
produzierte Kurzfilm „Jüdisches Sachsen – eine Spurensuche“ wird im Laufe diesen Jahres
Schulen im gesamten Freistaat als Motivationsgrundlage zur Verfügung gestellt.
Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Sachsen etablieren
Um eine einheitliche zivilgesellschaftliche Erfassung und Dokumentation antisemitischer
Vorfälle zu gewährleisten, soll in Sachsen – unterstützt vom Bundesverband RIAS e.V. und
eingebunden in dessen Arbeit – ein regionales Melde- und Unterstützernetzwerk etabliert
werden. Dieses Netzwerk soll neben einer niedrigschwelligen Meldestelle eine Opferberatung
für Betroffene von antisemitischen Übergriffen, die auf diese Arbeit spezialisiert ist, beinhalten.
Netzwerk „Jüdisches Leben in Sachsen“ stärken und ausbauen
In Sachsen gibt es eine Vielzahl von Vereinen, Initiativen, Verlagen und Einzelpersonen, die
sich dem Thema jüdisches Leben im Freistaat widmen. Um diese Arbeit noch besser
miteinander abzustimmen, Synergien durch gemeinsame strategische und projektbezogene
Zusammenarbeit zu nutzen und den fachlichen Austausch in Sachsen zu befördern, hat der
Beauftragte bereits zwei Netzwerktreffen „Jüdisches Leben in Sachsen“ durchgeführt. Das
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Interesse an diesen Netzwerktreffen war groß – mehr als 50 Teilnehmer nutzten die
Gelegenheit des fachlichen Austausches und der strategischen Diskussion mit dem
Beauftragten und dem Leiter des Expertenrates.
Museum für jüdische Geschichte und Kultur in Sachsen errichten
Ausgehend von der Initiative eines Arbeitskreises, dem neben Vertretern der Jüdischen
Gemeinde zu Dresden auch Historiker und Museumsfachleute angehören, setzt sich der
Beauftragte für die Errichtung eines jüdischen Museums für den Freistaat Sachsen, die
mitteldeutsche Region und die Grenzregionen zu Polen und der Tschechischen Republik ein.
II.
Anregungen an die Staatsregierung
1. Sichtbarkeit jüdisches Leben im Freistaat
Um die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in Sachsen zu erhöhen, bedarf es zunächst der
Garantie, dass sich jüdisches Leben ungefährdet in der Öffentlichkeit präsentieren kann. Die
besondere Herausforderung liegt hierbei in der Anforderung, geeignete Maßnahmen zu
finden, die Sicherheit jüdischen Lebens zu gewährleisten und gleichzeitig die Orte jüdischen
Lebens in Sachsen – Synagogen, Treffpunkte, Kulturorte – dabei zu unterstützen, dass ihre
Angebote möglichst niedrigschwellig und gegenüber der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft
begegnungsoffen bleiben.
Zur Sichtbarkeit jüdischen Lebens und jüdischer Kultur tragen auch die in den Großstädten
regelmäßig durchgeführten Tage der jüdischen Kultur nicht unwesentlich bei. Diese
Möglichkeit der Begegnung mit jüdischem Leben und jüdischer Kultur sollte aus Sicht des
Beauftragten stärker unterstützt werden.
Aus diesem Grund schlägt der Beauftragte der Staatsregierung vor, zu prüfen, inwieweit
eine langfristig angelegte und institutionell verankerte Grundförderung für die Tage der
jüdischen Kultur realisierbar ist.
Weitere Projekte und Vorhaben insbesondere der jüdischen Gemeinden, ihrer Förderer und
Unterstützer, wie die Schaffung einer Einrichtung für betreutes Wohnen betagter jüdischer
Bürger (getragenen von der Zentralen Wohlfahrtsstelle) oder die Realisierung eines Museums
zu jüdischer Geschichte und Kultur in Sachsen als Bildungs-, Begegnungs- und
Erinnerungsort, werden vom Beauftragten ausdrücklich begrüßt.
Bis heute gibt es in Sachsen nach Einschätzung von Fachleuten ungezählte Gebäude, deren
jüdische Vergangenheit nach wie vor im Dunkeln liegt. Dies systematisch aufzuarbeiten und
ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückzuholen ist, besonders angesichts der Beteiligung
des Freistaates am Themenjahr „1700 Jahre Juden in Deutschland“, ein wichtiges Anliegen.
Der Beauftrage schlägt der Staatsregierung daher vor, den Reichtum jüdischer Kultur
und Architektur in Sachsen durch die Einrichtung einer zentralen Fach- und
Dokumentationsstelle dem Vergessen zu entreißen.
Diese Fach- und Dokumentationsstelle, an die alle Landeseinrichtungen ihre vor 1945
erbauten Liegenschaften melden, soll die Gebäude mit jüdischen Vorbesitzern erfassen und
deren Geschichte dokumentieren. Ein Expertengremium aus Historikern und ausgewiesenen
Experten für jüdische Geschichte sollte diese dann bewerten und einordnen sowie Vorschläge
für ein Wieder-Sichtbarmachen dieser architektonischen Landmarken jüdischen Lebens in
Sachsen erarbeiten.
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2. Sicherheit
Die Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Sachsen betonen immer wieder, dass sie sich als
offene und der Gesellschaft zugewandte Gemeinden verstehen und diese Offenheit nach
Möglichkeit und im Zusammenspiel mit sicherheitsrelevanten Prämissen fortführen möchten.
Fraglos gibt es nach dem Anschlag in Halle auch in Sachsen eine neue Bewertung der
Sicherheitsstandards für die jüdischen Gemeinden und Kulturzentren. Es liegt allerdings nicht
allein an der Umsetzung neuer Sicherheitsstandards, sondern vielmehr an uns allen, mit
erfolgreichem und couragiertem Vorgehen gegen jeden Antisemitismus, diesem den
Nährboden zu entziehen und jüdisches Leben im Freistaat auch zukünftig in großer
Selbstverständlichkeit zu ermöglichen und zu fördern.
Jüdisches Leben in Sachsen muss sich in Sicherheit entfalten können. Der Beauftragte nimmt
dankend zur Kenntnis, dass nicht nur die jüdischen Gemeinden und ihre Einrichtungen in der
Staatsregierung kompetente Ansprechpartner finden, wenn es um die Erarbeitung,
Umsetzung und Finanzierung von jeweils angepassten Sicherheitskonzepten geht.
Da die Erarbeitung, Umsetzung und Finanzierung der Sicherheitskonzepte für jüdisches
Leben in Sachsen oft mehrere Ressorts betrifft, schlägt der Beauftragte eine
interministerielle Arbeitsgruppe mit dem Staatsministerium des Innern und dem
Staatsministerium für Kultus vor, die sich diesem Thema widmet, um das Verfahren für
den Freistaat als auch für die jüdischen Einrichtungen transparenter, effizienter und
unbürokratischer zu gestalten.
Möglichst hohe Sicherheit bei maximaler Offenheit in die Mehrheitsgesellschaft hinein kann
aus der Sicht des Beauftragten nur durch eine noch stärkere Kooperation der jüdischen
Einrichtungen mit den Behörden des Freistaates erreicht werden.
Es sollten daher aus Sicht des Beauftragten noch mehr besonders geschulte
Vertrauenspersonen bei den Polizeibehörden, der Staatsanwaltschaft und dem
Landesverfassungsschutz benannt werden, an die sich die Leiter jüdischer
Einrichtungen bei Fragen, Problemen oder in Gefahrensituationen wenden können.
Diese Vertrauenspersonen müssen mit den Besonderheiten jüdischen Lebens, insbesondere
mit den jüdischen Fest- und Feiertagen vertraut sein, um angemessen reagieren und somit
die Sicherheit jüdischer Menschen und Einrichtungen maximal gewährleisten zu können.
3. Bildung
Jüdisches Leben im Freistaat wird jungen Menschen in erster Linie neben dem direkten
Kontakt mit jüdischen Sachsen durch Bildungsinstitutionen vermittelt. Dies sollte gestärkt
werden. Gerade vor dem Hintergrund der jüdischen Minorität in Sachsen kommt dabei dem
Bildungssystem eine besondere Rolle zu. Das Wissen der sächsischen Kinder und
Jugendlichen über das Judentum und jüdische Geschichte ist ausbaufähig. Hier muss nicht
nur der schulische Bildungssektor insgesamt ansetzen, es gilt auch, Unterrichtsmaterialien
kritisch dahingehend zu untersuchen, ob sie den Themenbereich jüdisches Leben in Sachsen
mit der Regionalgeschichte der Vertreibung und des Holocaust, der Neugründung der
jüdischen Gemeinden nach 1945 und der gegenwärtigen Situation jüdischer Sachsen
angemessen abbilden.
Die Behandlung des Judentums in der Schule sollte und darf nicht auf den Holocaust reduziert
werden, sondern muss unbedingt das gegenwärtig im Freistaat erlebbare jüdische Leben im
Kontext anderer Religionen und Kulturen einschließen. Dazu benötigt es gute und zeitgemäße
pädagogische Formate, die ebenso erforderlich sind, um die Gefahren des Antisemitismus
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adäquat zu adressieren. Dies setzt notwendiger Weise voraus, dass Lehrpersonen Wissen
über diese Themenbereiche besitzen.
Es erscheint darüber hinaus notwendig, dass die Lehrenden intensiver dazu geschult und
somit sensibilisiert werden, antisemitische Vorfälle zu erkennen und angemessen auf
antisemitische Äußerungen und Handlungen im Schulalltag reagieren zu können.
Ein wichtiger Beitrag zur besseren Platzierung des Themas jüdisches Leben in Sachsen und
Bekämpfung von jeglichem Antisemitismus ist das seit Oktober 2019 zugängliche Online-
Portal „Schulische Qualitätsentwicklung“ vom Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB), in
dem Angebote von Vereinen, Initiativen und Privatpersonen unter anderem zum Judentum
und gegen Antisemitismus von Schulen eingesehen werden können. Durch den Hinweis auf
das Portal bei dem ersten Netzwerktreffen „Jüdisches Leben in Sachsen“ kann nun eine
Vielzahl von Angeboten abgerufen und in Anspruch genommen werden.
Der Beauftragte empfiehlt der Staatsregierung, durch eine stärkere Lehrplan- und
Schulartbezogene Qualifizierung der Angebote aus dem Bereich außerschulischer
Bildungsträger diese strukturell so aufzubereiten, dass sie für die pädagogische
Weiterbildung nach den Kriterien der Lehrerfortbildung passgenau nutzbar sind.
Neben den Schulen sind es auch die Kindertageseinrichtungen im Freistaat, die erstes Wissen
über jüdisches Leben in Sachsen vermitteln können. Frühzeitige Kontakte zu jüdischen
Einrichtungen, die Begegnung mit jüdischen Sachsen und der altersgerecht vorbereitete und
begleitete Besuch von Stätten der Erinnerung sind Elemente, die den Dialog mit jüdischem
Leben ebenso in Gang setzen helfen. Außerdem eignen sie sich als präventive
Erstmaßnahmen gegen antisemitische Vorurteile und Klischees.
Der Beauftragte schlägt der Staatsregierung daher vor, Bildungsinhalte und -konzepte
schulischer Bildung durch eine damit beauftragte Arbeitsgruppe/Kommission unter
Einbeziehung von Vertretern jüdischen Lebens in Sachsen und weiterer Experten
programmatisch aufeinander abzustimmen und die Lernorte formales und informelles
Lernen
bezüglich
jüdischen
Lebens
und
jüdischer
Kultur-,
Geistes-
und
Regionalgeschichte noch wirksamer miteinander zu verzahnen.
Von hoher Wichtigkeit ist es, nicht nur die jüngsten Generationen, sondern auch deren Eltern
und Großeltern zu sensibilisieren. Vor allem die Eltern- und Großelterngenerationen sind
schon auf Grund eingeschränkter oder auch fehlender Förderung für diese Zielgruppe nur
schwer über projektgeförderte Bildungsangebote zu erreichen, dabei ist diese Generation
jedoch zum großen Teil an der Meinungsbildung ihrer Kinder und Enkel beteiligt.
Es ist wünschenswert, dass die angesprochenen Themen altersgerecht in allen
Bildungsbereichen von der Grundschule bis zur Ausbildung in Berufsschule oder Universität
sowie der kulturellen und politischen Kinder-, Jugend-, und Erwachsenenbildung behandelt
werden. Gleichzeitig müssen die Lehrenden umfassender und zielgerichteter als bisher
geschult und sensibilisiert werden. Es wird von Betroffenen immer wieder erwähnt, dass auch
bei Lehrkräften und Sozialpädagogen wenig bis keine Kenntnisse zum jüdischen Leben in
Sachsen vorliegen.
Die Beratung und Förderung durch das Staatsministerium für Kultus mit max. 500 € für
Programm- und Fahrtkosten bei Lernortfahrten in Sachsen wird vom Beauftragten und der
Expertenkommission als wichtige Unterstützung der schulischen Kinder- und Jugendbildung
begrüßt.
Der Beauftragte schlägt der Landesregierung vor, dieses Programm auch auf Lernorte
auszuweiten, die im Zusammenhang mit jüdischem Leben stehen.
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Im Bereich der Vermittlung jüdischer Geschichte, Kultur und Bildung
für Erwachsene
spielt seit
über 10 Jahren auch „Medaon“, ein „Online-Magazin für jüdisches Leben in Forschung und
Bildung“, das von HATiKVA – Bildungs- und Begegnungsstätte für Jüdische Geschichte und
Kultur Sachsen e. V. in Dresden herausgegeben wird und halbjährlich erscheint, eine eminent
wichtige Rolle, da es das einzige Medium ist, in dem kontinuierlich und in hoher Qualität über
jüdisches Leben in Sachsen berichtet wird. Das nicht-kommerzielle Magazin erreicht einen
Leserkreis weit über Sachsen hinaus und wird seit seiner Gründung komplett ehrenamtlich
erstellt. In den vergangenen Jahren ist das sachsen- und deutschlandweit von Juden wie
Nichtjuden sehr geschätzte Projekt durch die notwendige Professionalisierung des online
verfügbaren Angebots allerdings an die Grenzen seiner Kapazität und Belastbarkeit
gekommen.
Der Beauftragte bittet die Staatsregierung zu prüfen, ob eine durch den Freistaat
getragene Basisfinanzierung für „Medaon – das Online-Magazin für jüdisches Leben in
Forschung und Bildung“ möglich ist, die ein kontinuierliches halbjährliches Erscheinen
auch in Zukunft sichert und damit die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in Sachsen
innerhalb wie außerhalb des Freistaates gewährleisten hilft.
4. Kultur
Träger jüdischer Kultur im Freistaat sind neben den Kultusgemeinden, dem jüdischen Kultur-
und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus in Leipzig und jüdischen Kunst- und
Kulturschaffenden im Freistaat Sachsen vor allem der von Oberkantor Werner Sander 1962
gegründete Leipziger Synagogalchor, der seit den 1970er Jahren aktive Synagogenchor
Dresden und die 2007 gegründete Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden.
Damit diese Ensembles ihr seit vielen Jahren erfolgreiches Wirken auch zukünftig
unabhängig von der jeweils vorhandenen Förderkulisse in gleichbleibend hoher
Qualität fortsetzen können, regt der Beauftrage an, sie aus Mitteln des Freistaates
Sachsen mit einem institutionell verankerten finanziellen Sockelbetrag zu unterstützen.
5. Bekämpfung Antisemitismus
Der
Beauftragte
begrüßt
ausdrücklich
die
konsequente
Förderung
von
Schulungsmaßnahmen, Fortbildungen, Seminaren und Publikationen durch den Freistaat
Sachsen. Die Bekämpfung des Antisemitismus ist eine Angelegenheit, die uns alle angeht.
Das im Koalitionsvertrag niedergelegte Bekenntnis der Koalitionspartner zur Einrichtung einer
niedrigschwelligen Meldestelle für antisemitische Vorfälle und einer psychosozialen
Beratungsstelle Betroffener durch Fachkräftestärkt durch ein kontinuierliches Angebot für
Prävention und Intervention die meist projektbezogene Unterstützung von Maßnahmen gegen
jeden Antisemitismus.
Diesem Phänomen entschlossen entgegenzuwirken und um ein besseres Bild über
antisemitische Vorfälle zeichnen und bewerten zu können, ist es notwendig, dass die Arbeit
des LKA von einer Meldestelle ergänzt wird, die auch niederschwellige und somit nicht
strafrechtsrelevante Taten abbildet.
Die Unterstützung von im Bereich Antisemitismusprävention und -bekämpfung tätigen
Projektträgern ist eine wichtige und richtige Entscheidung der Sächsischen Staatsregierung.
Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass es neben der Tätigkeit dieser Projektträger
auch einer stärkeren Unterstützung von Institutionen der Zivilgesellschaft als bisher bedarf.
Die Maxime muss dabei lauten, dass es gilt, gewachsene zivilgesellschaftliche Strukturen vor
Ort durch die beratende und unterstützende Tätigkeit von Projektträgern beim Kampf gegen
Antisemitismus zu stärken, nicht durch diese ersetzen zu wollen.
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Der Beauftragte empfiehlt der Sächsischen Staatsregierung daher, Projektförderungen
im Bereich Antisemitismusbekämpfung und -prävention noch stärker als bisher an die
Einbeziehung langjährig erfahrener zivilgesellschaftlicher Akteure zu binden.
Ein
Einfallstor
für
antisemitische
Propaganda
ist
die
BDS-Bewegung
(Boykott,
Desinvestitionen und Sanktionen). Diese auch in Sachsen aktive transnationale politische
Kampagne hat zum Ziel, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren.
BDS-Vertreter bestreiten offen das Existenzrecht Israels. Die Antisemitismusforschung ordnet
die Ziele von BDS als antizionistisch bis antisemitisch ein. Der Deutsche Bundestag verurteilte
im Mai 2019 Boykottaufrufe gegen Israel und bewertete BDS als antisemitisch.
Der Beauftragte schlägt der Staatsregierung vor, eine Initiative zur Verurteilung von
BDS zu starten.
6. Kooperationen mit Israel
Dem Lernort Israel kommt als Ort konkret erlebbarer jüdischer Mehrheitsgesellschaft und
einem unmittelbaren Erfahrungsort jüdisch geprägter Tradition eine besondere Rolle zu, wenn
es um das erfahrungsgeleitete Kennenlernen jüdischen Lebens geht. Dass dies von der die
Staatsregierung tragenden Koalition durch das gemeinsame Bekenntnis im Koalitionsvertrag
unterstrichen wird, zeigt eine neue und willkommene Qualität im Umgang mit jüdischem Leben
in Sachsen und darüber hinaus.
Die von der Staatsregierung initiierten Austauschprogramme junger Wissenschaftler und
Multiplikatoren, die bisherigen Partnerschaften sächsischer Kommunen mit Städten in Israel
und die beständig durchgeführten Konsultationen sächsischer Ministerien, Behörden und
Einrichtungen mit israelischen Repräsentanten werden ausdrücklich als wichtige Bausteine in
diesem Zusammenhang begrüßt.
Darüber hinaus regt der Beauftragte an, zu prüfen, ob sich ein Informations- und
Koordinierungsbüro des Freistaates in Israel nach dem Vorbild der Vertretungen des
Freistaates realisieren lässt, um den sächsisch-israelischen Wissens-, Kultur- und
Wirtschaftsaustausch noch stärker als bisher unterstützen zu können.
7. Anerkennung von Aktivitäten, die das jüdische Leben in Sachsen stärken
Viele Akteure in Sachsen tragen dazu bei, jüdisches Leben im Kontext der nichtjüdischen
Mehrheitsgesellschaft zu stärken. Diese Aufgabe wird in der Regel ehrenamtlich
übernommen. Dennoch ist sie aus Sicht des Beauftragten ein unerlässlicher Bestandteil des
gesellschaftlichen Lebens. Sie stärkt den Zusammenhalt, unterstützt die Arbeit der jüdischen
Gemeinden und Einrichtungen und schafft wichtige und verlässliche Anknüpfungspunkte in
diesem Bereich für den Freistaat Sachsen. Es ist wünschenswert, dass diese Aktivitäten – sei
es im Bereich des Kinder- und Jugendaustauschs, der kulturellen Verständigung, der
Wissenschaft oder der Wirtschaft – durch ein Format staatlicher Anerkennung eine sichtbarere
Wertschätzung erfahren.
Der Beauftragte schlägt der Staatsregierung daher vor, zu prüfen, ob und in welchen
Kategorien zukünftig Ehrungen für herausragende Aktivitäten zu Gunsten jüdischen
Lebens in Sachsen vorgenommen werden können.