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Lebenslagen von lsbtiq*
Personen in Sachsen
Ergebnisse und Handlungsbedarfe
Bild: Iliya Mitskavets I AdobeStock

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Vorwort
Der hier vorliegenden Studie zu Lebenslagen von lsbtiq* Personen in Sachsen zufolge fühlt sich
gerade mal ein Viertel der Befragten im öffentlichen Raum sicher; fast die Hälfte hat in den letzten fünf
Jahren Beleidigungen, Bedrohungen oder Übergriffe erfahren. Dass viele der Befragten zudem
mangelnde Chancengerechtigkeit bei Ämtern und Behörden beklagen und der Politik attestieren, zu
wenig für die Lebenssituation lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher sowie
nicht-binärer und queerer Menschen in Sachsen zu tun, spricht eine ebenso deutliche Sprache – und
formuliert zugleich einen Auftrag.
Diesen Auftrag nehmen wir als Staatsregierung selbstverständlich ernst. Deshalb wollten wir gern
mehr darüber in Erfahrung bringen, wie lsbtiq* Personen ihre Beziehungsmodelle, ihre geschlechtliche
Identität und schlicht ihre vielfältigen Lebensentwürfe leben können, welche
Diskriminierungserfahrungen sie machen und welche Folgen diese für sie haben. Die hier
gesammelten Ergebnisse werden uns helfen, konkrete und zielgenaue Maßnahmen umzusetzen,
etwa wenn wir ab Herbst den Landesaktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen
fortschreiben.
Bei der Arbeit mit größeren Datensätzen – an der vorliegenden Studie haben zwischen November
2021 und Januar 2022 knapp 1.500 Menschen in Sachsen teilgenommen – kann der Fokus nicht
immer auf Einzelschicksalen liegen. Es geht ja in erster Linie um ein aussagekräftiges Gesamtbild,
damit die konkreten Bedarfe von Menschen mit vielfältigen Lebensentwürfen eruiert werden können.
Doch auch wenn zu diesem Zweck biographische Erfahrungen anonymisiert, gebündelt und in
Diagramme übersetzt werden, macht die vorliegende Studie auch die individuelle Tragweite von
Diskriminierung greifbar. Dass sich ein Großteil der Befragten positiv über die eigene
Lebenszufriedenheit äußert und Fortschritte beim Thema Chancengleichheit im Freistaat Sachsen
feststellt, ist ein ermutigendes Signal. Allerdings wird an vielen Stellen auch deutlich, dass wir noch ein
ganzes Stück von einer wirklich diskriminierungsfreien Umgebung für alle Menschen entfernt sind.
Eine befragte Person wird in der Studie mit den Worten zitiert, sie hoffe, dass „solche Fragebögen
[irgendwann] nicht mehr nötig [sind], weil wir nicht mehr als eine ‚gesonderte Lebensform' betrachtet
werden". Ich danke allen Menschen, die daran mitwirken, uns diesem Tag näherzubringen – indem sie
selbst gegen Diskriminierung vorgehen, sich für Vielfalt einsetzen, und ihre Erfahrungen mit uns teilen.
Katja Meier
Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung
© Bild: Marlén Mieth

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Lesehinweis und Hinweis auf Hilfsangebote:
Der Studienbericht enthält an einigen Stellen Wiedergaben
von Erfahrungsberichten, die manche Lesenden beunruhigen oder möglicherweise retraumatisieren könnten
(bspw. Berichte übergriffigen oder sexualisierenden Verhaltens). Darauf wird zu Kapitel- / Abschnittsbeginn
jeweils durch einen Lesehinweis aufmerksam gemacht.
Sollten Sie auch Sorgen, selbstverletzende Gedanken oder Suizidgedanken haben, nutzen Sie kostenlose
und anonyme Gesprächs- und Hilfsangebote, wie beispielsweise die Telefonseelsorge, telefonisch, per Mail
oder per Chat.
Hinweis zur Verwendung geschlechtergerechter Schreibweise
In diesem Text werden alle berichteten sexuellen Orientierungen, geschlechtlichen Identitäten und
Geschlechter durch die Verwendung des Gendersternchens / Asterisk „*“ angesprochen. Dieses verweist auf
die Vielfalt vorhandener Identitäten, und inkludiert (nicht nur) den dritten Personenstand ausdrücklich.
Weitere Schreibweisen, welche die Antwortenden in ihren offenen Schilderungen selbst gewählt haben,
werden in den Zitaten wiedergegeben.
Zum Schutz der Anonymität aller Fokusgruppenteilnehmenden sowie der interviewten Expert*innen wird für
alle Personen gleichermaßen eine inklusive Schreibweise mit den Pronomen „er*sie“ bzw.
„sein*ihr“ verwendet.
Hinweis zu Begriffserklärungen
Auf Seite 11 finden Lesende kurze Erklärungen zu Begriffen, die im Bericht verwendet werden und nicht
sämtlichen Personen bekannt sein könnten.
Für Personen, die durch Barrieren beeinträchtigt werden und/oder einen offiziellen Behindertengrad, eine
nicht anerkannte Behinderung oder Beeinträchtigung haben, wird aus Gründen der Lesbarkeit die
Begrifflichkeit „Personen mit Behinderung / Beeinträchtigung“ verwendet.
Hinweise zur Zitatwiedergabe und Anonymität der Befragten
Zum Schutz der Anonymität der Antwortenden wurden an einigen Stellen Ortsangaben aus Zitaten entfernt.
Zitate wurden zudem orthografisch korrigiert.

 
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Zusammenfassung der Kernergebnisse
Diese Zusammenfassung soll eiligen Lesenden die wichtigsten Studienergebnisse in Kürze vorstellen.
Alternativ können sie auch die in den einzelnen Kapiteln als Lesehilfe angedachten farbigen Textboxen
durchsehen – in ihnen sind jeweils zentrale Aussagen eines Handlungsfelds in grüner (positiver Befund,
allgemeine Feststellung) oder gelber Textfarbe (kritischer Befund, bedeutender Unterschied) hervorgehoben.
Die Zusammenfassung unterscheidet zunächst die Ergebnisse zur Vielfalt queerer Lebenslagen in Sachsen
und den positiven Erfahrungen vieler im Freistaat, von anschließend identifizierten Problemlagen und
Handlungsbedarfen. Alle Ergebnisse und wiedergegebenen Handlungsbedarfe beruhen auf den Aussagen
der lsbtiq* Befragten, ihrer Angehörigen sowie interviewter Expert*innen.
Die Vielfalt sächsischer lsbtiq* Lebenslagen und positiver Erfahrungen zusammengefasst
An dieser Studie haben 1.490 lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere
(lsbtiq*) Personen in Sachsen teilgenommen. Damit verfügt diese sächsische Befragung im Vergleich mit
Studien anderer Bundesländer unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen über die zahlenstärkste
Datenbasis. Wie andere selbstrekrutierende Studien auch, kann sie jedoch keine statistisch repräsentativen
Zahlen liefern. Auf Basis der umfangreichen Daten vermag sie, die Vielfalt von lsbtiq* Lebensentwürfen zu
beschreiben sowie Problemlagen zu identifizieren.
Zusätzlich wurden knapp zwei Dutzend Expert*innenmeinungen mithilfe qualitativer Interviews eingeholt und
vertiefende Fokusgruppendiskussionen mit Angehörigen von lsbtiq* Personen sowie transgeschlechtlichen
und nicht-binären Sächs*innen geführt.
Die Ergebnisse zeigen:
Unter den knapp 1.500 Befragten sind verschiedene sexuelle Orientierungen breit verteilt: 328
Teilnehmende sind schwul, ein gutes weiteres Fünftel ist mit 278 Antwortenden bisexuell. Mit 225
Antwortenden ist knapp jede sechste befragte Person lesbisch. Weitere 190 Antwortende bezeichnen
sich als pansexuell (14 %), beinahe genauso viele (13 % bzw. 176 Personen) als queer. 64 Personen
(5 %) möchten sich hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung nicht festlegen. Mit 45 Antwortenden (3 %)
sind zudem Personen des asexuellen Spektrums vertreten. Und schließlich geben elf
(transgeschlechtliche) Personen an, heterosexuell zu sein. Insgesamt betrachtet fällt auf, dass sich
lediglich eine Minderheit von 43 % der Befragungsteilnehmenden zu nur einem Geschlecht hingezogen
fühlt und dass die Bandbreite sexueller Orientierungen unter weiblich sozialisierten Personen besonders
hoch ist.
Auch die geschlechtlichen Identitäten der Teilnehmenden sind divers: Als nicht-binär / non-binary / enby
bezeichnen sich 203 Befragte. Von ihnen sind 79 % mit weiblich zugewiesenem Geburtsgeschlecht;
seltener identifizieren sich unter den Befragten folglich männlich sozialisierte Personen als nicht-binär.
142 Antwortende sind transgeschlechtlich – auch hier überwiegen mit 71 % Befragte, denen bei Geburt
das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde. 66 Personen nennen weitere Geschlechtsidentitäten, z.B.
agender.
In der Studie können ebenfalls die Erfahrungen von vier intergeschlechtlichen Teilnehmenden genauer
betrachtet werden – auch hier zeigt sich, dass sie neben ihrem Geschlecht unterschiedliche
geschlechtliche Identitäten und sexuelle Orientierungen haben, darunter bezeichnen sich zwei Personen
als nicht-binär und drei als pansexuell.
Die (überwiegend jungen) Befragten zeigen eine große Vielfalt an Lebensmodellen im Freistaat auf. So
sind 38 % in einer Beziehung, 6 % polyamourös in mehreren Beziehungen, 2 % in eingetragenen
Lebenspartnerschaften und 7 % in einer gleichgeschlechtlichen Ehe. Jede*r Achte trägt bereits
Verantwortung für Kinder. An der Studie haben Eltern von zusammengenommen 267 Kindern
teilgenommen). Weitere 25 % der überwiegend jungen Befragten wünschen sich zukünftig Kinder, 34 %
wünschen das nicht. Hierbei sind die Verantwortungskonstellationen vielfältig: Am häufigsten stammen
Kinder aus vorherigen heterosexuellen Beziehungen, gefolgt von Kindern, die mit einer befreundeten
Person oder einem anderen Paar gezeugt wurden, in Co-Elternschaften aufwachsen, und,
vergleichsweise seltener, adoptiert oder als Pflegekind in die Familie aufgenommen wurden.
Ebenso vielfältig wie in den Städten sind sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten im
ländlichen Raum Sachsens verteilt – sie sind nur weniger sichtbar (siehe unten).

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An der Befragung haben außerdem über 175 lsbtiq* Sächs*innen mit Beeinträchtigung, Behinderung oder
chronischer Erkrankung, 68 mit Migrations- und acht mit Fluchthintergrund sowie 41 mit einem religiösen
Umfeld teilgenommen und von positiven Erfahrungen, wie auch von besonderen Diskriminierungsrisiken,
berichtet.
Und schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität und
Geschlecht drei unterschiedliche Merkmale einer jeden Person sind – und 390 bzw. knapp ein Drittel der
Befragten mit mehr als einem dieser Merkmale von der Hetero- und Zweigeschlechtlichkeitsnorm
abweichen: Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Sachsen zeichnet sich auch dadurch aus, dass viele
lsbtiq* Personen lesbisch, schwul, bi-, a-, pansexuell oder queer sind –
und
zugleich trans- oder
intergeschlechtlich oder nicht-binär sind bzw. sich keinem oder weiteren Geschlechtern zuordnen.
Fragt man nun die über 1.500 Teilnehmenden nach ihrer Lebenszufriedenheit und ihren Erfahrungen in
Sachsen, dann zeigen sich in vielen Bereichen im Gesamtdurchschnitt eher positive Ergebnisse:
So sind zwei Drittel aller Befragten zufrieden mit ihrem Leben. Besonders häufig zufrieden sind bisexuelle
(75 %), schwule (74 %) sowie cismännliche (75 %) und cisweibliche (73 %) Antwortende.
Außerdem fallen die Antworten auf eine der Kernfragen dieser Studie mehrheitlich positiv aus: Können
lsbtiq* Personen in Sachsen ihr Leben selbstbestimmt gestalten? Oder anders gefragt: Können sie als
lesbische / schwule / bisexuelle / queere und/oder trans- / intergeschlechtliche oder nicht-binäre Person
aktuell in Sachsen so leben, wie sie möchten – können sie ihren Lebensentwurf umsetzen? Das bejahen
insgesamt 62 % der Befragten. Insbesondere cisweibliche Antwortende sehen sich in ihrer
Lebensgestaltung frei (74 % sagen dies).
Grundsätzlich sehen mehr als drei Viertel (78 %) der befragten lsbtiq* Personen für sich die gleichen
Chancen wie für andere Sächs*innen, sich politisch zu beteiligen und am gesellschaftlichen Diskurs
mitzuwirken. Konkret sieht sich allerdings nur jede*r Siebte bzw. 13 % in der sächsischen Politik
repräsentiert.
In vielen öffentlichen Bereichen haben lsbtiq* Personen in Sachsen in den vergangenen fünf Jahren
mehrheitlich positive Erfahrungen gemacht: Für 84 % überwiegen die positiven Erlebnisse im Bereich
der (Fach-)Hochschule, Universität oder Berufsschule. 83 % geben dies für den Freizeit-, Sport- und
Ehrenamtsbereich an. In der Arbeitswelt machen immerhin drei Viertel der Befragten in der Regel
positive Erfahrungen, in ihrer Familie 80 %.
Auch die Antworten der befragten Angehörigen von lsbtiq* Sächs*innen zeigt, dass Coming-outs in der
Mehrheit der Familien positiv aufgenommen werden.
Problemlagen und grundlegende Handlungsbedarfe zusammengefasst
Die zahlreichen in Kapitel 10 dargestellten Handlungsbedarfe aus Sicht der Befragten und Expert*innen
lassen sich hier nur im Groben zusammenfassen: einmal nach Mechanismen, die alle lsbtiq* Personen in
Sachsen in unterschiedlichen öffentlichen Lebensbereichen oder -lagen betreffen; und zweitens entlang
grundlegender Erfordernisse je nach betrachteter sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität.
Zunächst zu den Herausforderungen in verschiedenen öffentlichen Lebensbereichen und Lebenslagen, wie
sie die Befragten und Expert*innen geschildert haben:
Die Studie fragt im Kern nach den Möglichkeiten, die lsbtiq* Personen für sich sehen, grundlegende
Bedürfnisse im Leben mit der gleichen Chance realisieren zu können wie andere Sächs*innen. Der
Bereich, in dem die Befragten die mit Abstand geringste solcher Chancen sehen, ist ihre Möglichkeit auf
eine Familiengründung mit Kindern. 72 % sehen sich hier deutlich im Nachteil. Unter allen
transgeschlechtlichen Antwortenden sind dies sogar 86 %. Hier wird vor allem die (bundes)rechtliche
Lage, aber zum Beispiel auch der Umgang mit lsbtiq* Personen in sächsischen Kinderwunschzentren
und die fehlende Offenheit in Kitas und Schulen von Befragten wie in Expert*innen-Interviews kritisiert.
In einem zweiten Bereich sieht ebenfalls eine Mehrheit der Teilnehmenden keine gleichen Chancen:
Dass ihre Lebenssituation bei Ämtern und Behörden gleichberechtigt berücksichtigt wird, verneinen
65 % der Antwortenden. Unter transgeschlechtlichen (80 %) und nicht-binären Antwortenden (sogar
88 %) nimmt eine noch deutlichere Mehrheit keine Chancengerechtigkeit bei Behördenvorgängen wahr.
Über viele Lebensbereiche hinweg fällt insbesondere ein Muster auf: Ob als Schüler*in gegenüber einer
Lehrkraft, als arbeitssuchende Person gegenüber Sachbearbeiter*innen im Jobcenter, oder als
Patient*in gegenüber behandelnden Ärzt*innen – in vielen wichtigen Lebenslagen stehen lsbtiq*

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Personen, wie auch andere Sächs*innen, in Abhängigkeitsverhältnissen zu Fachkräften. Was ihre
Situation aber von der anderer Sächs*innen unterscheidet, ist der Umstand, dass viele der Fachkräfte
mangels Kompetenzvermittlung in der Aus- und Fortbildung ihrer Verantwortung für die von ihnen
abhängigen lsbtiq* Personen oft nicht gerecht werden (können). Die Chance, die eigene sexuelle
Orientierung und geschlechtliche Identität (ohne Übergriffe und Diskriminierung) leben zu können, hängt
für viele vom Zufall ab, auf eine geschulte Lehrkraft, Behördenmitarbeiter*in oder Therapeut*in zu
treffen. In allen genannten Bereichen sehen interviewte Expert*innen wie Befragte einen systematischen
Kompetenzmangel im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und regen die
flächendeckende Verankerung entsprechender Kompetenzen in beruflichen und akademischen
Ausbildungs- und Lehrplänen dringend an.
Der Bereich, in dem die meisten Befragten überwiegend negative Erfahrungen machen und sowohl
lsbtiq* Personen als auch Expert*innen aus den jeweiligen Feldern einen großen Handlungsbedarf in
Sachsen benennen, ist das Polizei- und Justizwesen des Freistaats. Nur eine Minderheit von 26 % der
Befragten fühlt sich im öffentlichen Raum sicher, beinahe jede*r Zweite hat seit 2017 Übergriffe erfahren
und davon haben nur 7 % überhaupt mindestens einen Vorfall bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft
gemeldet. Unter lsbtiq* Befragten mit Migrations- oder Fluchthintergrund ist die Anzeigequote besonders
gering. Die berichteten Hinderungsgründe zeigen auf, wo Maßnahmen ansetzen können: ein sichtbares
Bekenntnis der Landespolizei, lsbtiq* Personen zu schützen und gegen politisch motivierte Kriminalität
vorzugehen, verbunden mit mehr Kompetenzen dezidierter Ansprechpersonen und zunehmender
Sensibilisierung der Polizeikräfte in der Breite.
Nur 2 % der Antwortenden sehen Behörden wie bspw. Jugend- oder Schulämter als Anlaufstellen bei
Fragen oder Problemen. Mehrheitlich nutzen sie ihr privates Umfeld, 40 % auch die Beratung von lsbtiq*
Anlaufstellen. Jede*r Zwölfte (8 %) allerdings hat keinerlei unterstützende Strukturen, wenn es zu
Schwierigkeiten kommt.
Außerdem zeigen sich unterschiedliche Grunderfordernisse je nach betrachteter Gruppe:
Im ländlichen Raum Sachsens sind besonders viele lsbtiq* Personen nicht geoutet (rund 40 % nicht oder
nur teilweise). Gründe, die für viele lsbtiq* Personen in ganz Sachsen gegen ein Coming-out sprechen,
sind sowohl die Angst vor negativen Reaktionen als auch der gesellschaftliche Druck, sich immer wieder
für die eigene sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität erklären und rechtfertigen zu müssen.
Durch die gesamte Studie hindurch zeigen sich größere Handlungsbedarfe für nicht-cisgeschlechtliche
Personen: Sie berichten in allen Bereichen häufiger von Diskriminierung als cisgeschlechtliche lsbq*
Personen, sind seltener mit ihrem Leben in Sachsen zufrieden und können ihren Lebensentwurf seltener
selbstbestimmt gestalten.
Hierbei hat sich für diejenigen Personen, die eine medizinische oder rechtliche Transition anstreben, im
Vergleich zu denjenigen, deren Transition bereits abgeschlossen ist, gezeigt: Das Erleichtern der
Transitionsphase ist eine der wichtigsten Stellschrauben für eine hohe Lebenszufriedenheit. Diesen
bislang sehr hochschwelligen und ressourcenintensiven Prozess zu erleichtern, sowohl rechtlich (inkl.
der Bereitstellung ausreichender Informationen), als auch durch den Ausbau adäquater medizinischer
Versorgungsstrukturen in Sachsen, ist dringend anzuraten. Dabei zeigt sich der Bedarf,
Transitionsmaßnahmen auch anderen nicht-cisgeschlechtlichen Personen wie beispielweise nicht-
binären Menschen entsprechend zu ermöglichen.
Als grundlegender Bedarf für nicht-binäre Sächs*innen ist festzuhalten, dass sie gesellschaftlich und
politisch anerkannt werden und dass ihr rechtlicher Personenstatus geklärt werden müsste.
Die befragten intergeschlechtlichen Personen sind seltener mit ihrem Leben in Sachsen zufrieden und
haben spezifische Herausforderungen. Diese sind bedingt durch: erstens ihre Unsichtbarkeit in der
sächsischen Gesellschaft; zweitens durch eine weitgehende Pathologisierung gerade auch in der
Medizin / dem Gesundheitswesen. Beide Ursachen führen dazu, dass eine positive Identität als
intergeschlechtliche Person in Sachsen erschwert wird. Handlungsbedarf wird hier vor allem in der
Fortbildung medizinischen Personals und in der Schaffung von Beratungsstellen gesehen.
Ebenfalls deutlich stärker pathologisiert und insgesamt häufiger fremdbestimmt erleben sich lsbtiq*
Sächs*innen mit Beeinträchtigung, Behinderung oder chronischer Erkrankung. Hier bedarf es einer
Sensibilisierung von Ärzt*innen und Therapeut*innen mit dem Ziel, Menschen unabhängig von diesen
Faktoren eine eigenständige Sexualität und Geschlechtsidentität zuzuerkennen.

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Weibliche oder weiblich gelesene lsbtiq* Sächs*innen erfahren im Freistaat ebenfalls mehr und andere
Diskriminierungsmuster. Hier zeigen sich Handlungsbedarfe für Chancengleichheit und gleiche
Anerkennung zum Beispiel in der Arbeitswelt sowie einen besseren Schutz vor verschiedensten
Ausprägungen von Sexismus und sexualisierter Gewalt.
Für Angehörige von lsbtiq* Personen, insbesondere ihre Herkunftsfamilien (v.a. Eltern), zeigt sich ein
hoher Informations- und Beratungsbedarf. So verspürten 51 % der teilnehmenden Angehörigen nach
dem Coming-out ihres Familienmitglieds Informationsbedarf. 27 % hätten sich eine Beratung in der
Schule, 17 % in Familienberatungsstellen gewünscht.
„Von der Politik wünsche ich mir die Anpassung der rechtlichen Möglichkeiten an die Lebensrealitäten.“
Dieses Zitat einer befragten Person fasst die in dieser Studie skizzierten Bedarfe im Grundsatz gut
zusammen. Lsbtiq* Sächs*innen leben eine Vielfalt geschlechtlicher Identitäten, Partnerschafts- und
Familienmodelle, die in vielen Teilen durch die aktuelle Gesetzeslage, die Gesetzesausführung und im
täglichen Umgang mit lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, trans- und intergeschlechtlichen sowie
nicht-binären Bürger*innen des Freistaats nicht oder nur schlecht abgebildet werden.

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Inhalt
Vorwort der Ministerin....................................................................................................... 2
Zusammenfassung der Kernergebnisse ......................................................................... 4
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................... 10
Begriffsverzeichnis ......................................................................................................... 11
1.
Einleitung ............................................................................................................ 14
2.
Forschungsstand und Forschungsfragen ........................................................ 15
2.1.
Empirischer Forschungsstand .......................................................................................................... 15
2.2.
Forschungsleitende Fragen dieser Studie ........................................................................................ 18
3.
Methodik der Studie ............................................................................................ 20
3.1.
Aufbau der Studie und Entwicklung der Erhebungsinstrumente ...................................................... 20
3.2.
Online-Befragung von lsbtiq* Personen und Angehörigen ............................................................... 21
3.2.1.
Erhebung der Daten .......................................................................................................................... 21
3.2.2.
Rücklauf und Stichprobencharakteristika.......................................................................................... 22
3.2.3.
Vorgehen in der Datenauswertung ................................................................................................... 27
3.3.
Qualitative Expert*innen-Interviews .................................................................................................. 29
3.4.
Vertiefende Fokusgruppendiskussionen ........................................................................................... 30
4.
Vielfalt und Sichtbarkeit sexueller Orientierungen, geschlechtlicher
Identitäten und Geschlechter sowie Coming-out-Prozesse ........................................ 32
4.1.
Vielfalt berichteter sexueller Orientierungen und Coming-out von lesbischen, schwulen, bi- und
pansexuellen sowie queeren Personen ........................................................................................................... 33
4.2.
Berichtete geschlechtliche Identitäten und Coming-out von transgeschlechtlichen, nicht-binären
und anders-geschlechtlichen Personen ........................................................................................................... 35
4.3.
Intersektionale Betrachtung sexueller Orientierung plus geschlechtlicher Identität ......................... 36
4.4.
Intergeschlechtliche Personen in Sachsen ....................................................................................... 38
4.5.
Hinderungsgründe gegen Coming-outs ............................................................................................ 40
5.
Vielfalt und spezifische Herausforderungen von lsbtiq* Personen in
unterschiedlichen Lebenslagen ..................................................................................... 44
5.1.
Beziehungsformen, Kinderwunsch, Familiengründung und Verantwortungsmodelle ...................... 45
5.2.
Lsbtiq* Personen mit Flucht- oder Migrationshintergrund ................................................................. 52
5.3.
Lsbtiq* Personen und Religion in Sachsen ....................................................................................... 54
5.4.
Lsbtiq* Personen im ländlichen Raum .............................................................................................. 56
5.5.
Lsbtiq* Personen mit Behinderung / Beeinträchtigung oder chronischer Erkrankung ...................... 58
5.6.
Weibliche oder weiblich gelesene lsbtiq* Personen und „Femininität“ ............................................. 60
5.7.
Sächs*innen vor, während und nach der Transition ......................................................................... 63
5.8.
Finanzielle Lage und armutsgefährdete lsbtiq* Personen in Sachsen ............................................. 66
5.9.
Mehrfachdiskriminierungsrisiken im Zusammenhang betrachtet ..................................................... 70
6.
Lebenszufriedenheit, Zugangschancen und Partizipation von lsbtiq*
Personen in Sachsen ...................................................................................................... 73
6.1.
Lebenszufriedenheit von lsbtiq* Personen in Sachsen ..................................................................... 73
6.2.
Selbstbestimmte Lebensplanung, wahrgenommene Chancengerechtigkeit von lsbtiq* Personen
und identifizierte Zugangshürden ..................................................................................................................... 74

9
6.3.
Politische und gesellschaftliche Repräsentation und Partizipation von lsbtiq* Personen in Sachsen
84
7.
Erfahrungen von lsbtiq* Personen in verschiedenen Lebensbereichen ....... 87
7.1.
Erfahrungen in der Familie ................................................................................................................ 88
7.2.
Erfahrungen in der Kindertagesbetreuung ........................................................................................ 89
7.3.
Erfahrungen in der Schule ................................................................................................................ 91
7.4.
Erfahrungen in der Berufs-, Hochschule und Universität .................................................................. 95
7.5.
Erfahrungen in der Arbeitswelt .......................................................................................................... 98
7.6.
Erfahrungen im Gesundheitswesen ................................................................................................ 100
7.7.
Erfahrungen in der Pflege und Vorstellungen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter ................ 106
7.8.
Übergriffe auf lsbtiq* Personen in Sachsen und Erfahrungen mit Polizei und Justiz ..................... 109
7.9.
Erfahrungen mit Ämtern und Behörden .......................................................................................... 116
7.10
Erfahrungen im Freizeitbereich, Kultur, Sport und Ehrenamt ......................................................... 119
8.
Erfahrungen der Angehörigen von lsbtiq* Personen in Sachsen ................. 123
8.1.
Informationsbedarfe und Umgang mit dem Coming-out ................................................................. 124
8.2.
Eigene Diskriminierungserfahrungen als Angehörige ..................................................................... 127
8.3.
Wahrgenommene Chancengerechtigkeit und Handlungsbedarfe aus Sicht von Angehörigen ...... 129
9.
Kernergebnisse der Analyse von Angebots- und Beratungsstrukturen für
lsbtiq* Personen in Sachsen ........................................................................................ 131
10.
Handlungsbedarfe aus Sicht von lsbtiq* Personen und Expert*innen ........ 134
10.1.
Handlungsbedarfe im Bereich Repräsentation, Partizipation, rechtliche Gleichstellung, ländlicher
Raum sowie Strukturentwicklung der lsbtiq* Selbstvertretungsorganisationen ............................................. 136
10.2.
Handlungsbedarfe im Bereich Familie und Jugendhilfe ................................................................. 141
10.3.
Handlungsbedarfe im Bereich der Kindertagesbetreuung .............................................................. 146
10.4.
Handlungsbedarfe im Bereich Schule ............................................................................................. 150
10.5.
Handlungsbedarfe im Bereich Berufs-, Hochschule und Universität .............................................. 155
10.6.
Handlungsbedarfe im Bereich Arbeitswelt ...................................................................................... 157
10.7.
Handlungsbedarfe im Gesundheitswesen ...................................................................................... 158
10.8.
Handlungsbedarfe im Bereich Pflege und Alter .............................................................................. 164
10.9.
Handlungsbedarfe im Bereich Sicherheit, Polizei und Justiz.......................................................... 167
10.10.
Handlungsbedarfe im Bereich Ämter und Behörden ...................................................................... 174
10.11.
Handlungsbedarfe im Bereich Flucht und Asyl ............................................................................... 176
10.12.
Handlungsbedarfe im Bereich Freizeit, Sport und Ehrenamt ......................................................... 179
Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 181

 
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Verwendete Werbemotive der Studie zur Teilnehmendenrekrutierung ...................................... 22
Abbildung 2: Teilnehmendenzahlen vergleichbarer Studien bundesweit ........................................................ 23
Abbildung 3: Anzahl der Teilnehmenden je Landkreis / kreisfreier Stadt ........................................................ 25
Abbildung 4: Teilnahmewege der Befragten .................................................................................................... 26
Abbildung 5: Bekanntheit unterschiedlicher Begrifflichkeiten in der Stichprobe .............................................. 27
Abbildung 6: Auszug aus dem Kodiersystem der offenen Antworten zu Schulerfahrungen ............................ 28
Abbildung 7: Übersicht über die Verteilung der geführten Expert*innen-Interviews ........................................ 29
Abbildung 8: Anteil nicht-geouteter lsbtiq* Befragter je Wohnortgröße ............................................................ 32
Abbildung 9: Sexuelle Orientierungen der Befragten ....................................................................................... 33
Abbildung 10: Verteilung der sexuellen Orientierungen je Geburtsgeschlecht ................................................ 34
Abbildung 11: Geschlechtliche Identitäten der Befragten ................................................................................ 35
Abbildung 12: Sexuelle Orientierung der Befragten je Geschlechtsidentität ................................................... 37
Abbildung 13: Vielfalt von lsbtiq* Lebenslagen in Sachsen ............................................................................. 45
Abbildung 14: Beziehungsformen von lsbtiq* Personen je Altersgruppe ......................................................... 46
Abbildung 15: Gewünschte Beziehungsformen ............................................................................................... 47
Abbildung 16: Lsbtiq* Personen mit Kind(ern) oder Kinderwunsch ................................................................. 48
Abbildung 17: Gewünschte Wege zur Familiengründung ................................................................................ 48
Abbildung 18: Finanzielle Situation der befragten lsbtiq* Personen ................................................................ 67
Abbildung 19: Anteil der Befragten, die weniger Mittel zur Verfügung haben, als sie benötigen .................... 67
Abbildung 20: Berichtete Chancen auf finanzielle Teilhabe von lsbtiq* Personen in Sachsen ........................ 68
Abbildung 21: Selbstbestimmtheit des Lebensentwurfs je geschlechtlicher Identität ...................................... 74
Abbildung 22: Selbstbestimmtheit des Lebensentwurf je sexueller Orientierung ............................................ 75
Abbildung 23: Zur Umsetzung des eigenen Lebensentwurfs förderliche und hinderliche Faktoren ................ 76
Abbildung 24: Chancengerechtigkeit in zentralen Lebensbereichen ............................................................... 83
Abbildung 25: Sichtbarkeit von lsbtiq* Personen in der sächsischen Öffentlichkeit ......................................... 84
Abbildung 26: Verfügbarkeit von Anlaufstellen für lsbtiq* Sächs*innen bei Schwierigkeiten ........................... 85
Abbildung 27: Vergleichende Übersicht positiver und negativer Erfahrungen in Lebensbereichen ................ 87
Abbildung 28: Negative Erfahrungen in der Familie ......................................................................................... 88
Abbildung 29: Negative Erfahrungen in der Schule ......................................................................................... 93
Abbildung 30: Negative Erfahrungen in der Berufs- oder Hochschule ............................................................ 96
Abbildung 31: Negative Erfahrungen im Gesundheitswesen ......................................................................... 102
Abbildung 32: Vorstellung zu betreuten Wohnformen im Alter ...................................................................... 108
Abbildung 33: (Un-)Sicherheitsgefühl von lsbtiq* Personen im öffentlichen Raum Sachsens ...................... 110
Abbildung 34: Bundesweiter Vergleich der Anzeigequoten von lsbtiq* Opfern ............................................. 112
Abbildung 35: Hinderungsgründe gegen die Kontaktaufnahme mit Polizei und Justiz .................................. 113
Abbildung 36: Gegenüberstellung genutzter und gewünschter Informationsquellen durch Angehörige ....... 125
Abbildung 37: Erste Reaktionen der befragten Angehörigen auf das Coming-out ihres Familienmitglieds .. 126
Abbildung 38: Gegenwärtige Wahrnehmung des Coming-outs durch Angehörige ....................................... 127
Abbildung 39: Von Angehörigen erlebte Diskriminierungserfahrungen je Lebensbereich seit 2017 ............. 128
Abbildung 40: Durch Angehörige von lsbtiq* Personen erfahrene Diskriminierungsformen .......................... 129
Abbildung 41: Wahrgenommene Chancengerechtigkeit nach Lebensbereichen seitens der Angehörigen von
lsbtiq* Personen ............................................................................................................................................. 130
Abbildung 42: Kartierung von Angebotsträgern für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Sachsen .......... 132
Abbildung 43: Handlungsauftrag an die sächsische Staatsregierung ............................................................ 134
Abbildung 44: Grundsätze für die politische Diskussion und zur Fortschreibung des Landesaktionsplans
Vielfalt ............................................................................................................................................................. 135
Abbildung 45: Genannte Handlungsbedarfe im Bereiche Repräsentation, Partizipation, rechtliche
Gleichstellung, ländlicher Raum sowie Strukturentwicklung der lsbtiq* Selbstvertretungsorganisationen .... 137
Abbildung 46: Genannte Handlungsbedarfe im Bereiche Familie, Kinder und Jugendhilfe .......................... 142
Abbildung 47: Genannte Handlungsbedarfe im Bereich der Kindertagesbetreuung ..................................... 147
Abbildung 48: Genannte Handlungsbedarfe im Bereich Schule .................................................................... 150
Abbildung 49: Genannte Handlungsbedarfe im Berufs- und Hochschulwesen ............................................. 156
Abbildung 50: Genannte Handlungsbedarfe in der Arbeitswelt ..................................................................... 157
Abbildung 51: Genannte Handlungsbedarfe im Gesundheitswesen ............................................................. 159
Abbildung 52: Genannte Handlungsbedarfe in der Pflege und Wohnen im Alter .......................................... 164
Abbildung 53: Genannte Handlungsbedarfe in den Bereichen Sicherheit, Polizei und Justiz ....................... 167
Abbildung 54: Genannte Handlungsbedarfe im Bereich Ämter und Behörden .............................................. 174
Abbildung 55: Genannte Handlungsbedarfe im Bereich Flucht, Asyl ............................................................ 177
Abbildung 56: Genannte Handlungsbedarfe in Sport, Freizeit und Kultur ..................................................... 179

 
11
Begriffsverzeichnis
Ableismus
: Ableismus, auch Behindertenfeindlichkeit, bezeichnet die Abwertung und Diskriminierung
von Menschen, die als behindert oder beeinträchtigt bezeichnet werden. Dabei werden Personen auf
ihre Beeinträchtigung reduziert. Dem zugrunde liegt eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, die auf
Normen der Mehrheitsgesellschaft wie Autonomie, Leistungsfähigkeit oder Schönheitsidealen basiert
(siehe Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V. 2022).
Agender
: Menschen, die sich als agender bezeichnen, fühlen sich keinem Geschlecht zugehörig oder
empfinden sich als geschlechtsneutral (siehe Bundeszentrale für politische Bildung 2022).
Bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht
: Unmittelbar nach der Geburt jedes Menschen wird das
Geschlecht festgelegt. Dies erfolgt anhand körperlicher Merkmale in der Regel als männlich oder
weiblich (siehe Güldenring / van Trotsenburg / Flütsch 2019).
BIPoc
: BIPoC ist eine abgekürzte politische Selbstbezeichnung und steht für Black (Schwarz),
Indigenous (Indigen) und People of Color (siehe Migrationsrat Berlin e.V. 2020).
Cisgeschlechtlich (cismännlich, cisweiblich)
: Cisgeschlechtliche Menschen sind Menschen, die sich
mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Cismännliche Menschen sind somit
Menschen, denen ein männliches Geschlecht bei ihrer Geburt zugewiesen wurde und die sich als
männlich oder als Mann empfinden. Cisweibliche Menschen sind somit Menschen, denen ein weibliches
Geschlecht bei ihrer Geburt zugewiesen wurde und die sich als weiblich oder als Frau empfinden (siehe
Lesben- und Schwulenverband e.V. 2022).
Co-Eltern
: Co-Eltern sind Menschen, die sich gemeinsam mit anderen Menschen für eine
Familiengründung mit Kindern entschieden haben. Hierbei sind nicht alle Co-Eltern zwangsläufig durch
eine Liebesbeziehung verbunden (siehe Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. 2020).
Coming-out, inneres
: Das innere Coming-out ist der Prozess, bei dem lsbtiq* Personen sich ihrer
sexuellen Orientierung und/oder ihrer geschlechtlichen Identität bewusstwerden und sich selbst
diesbezüglich akzeptieren (siehe Lesben- und Schwulenverband e.V. 2022).
Coming-out, äußeres
: Das äußere Coming-out ist der Prozess, bei dem lsbtiq* Personen ihre sexuelle
Orientierung und/oder ihre geschlechtliche Identität ausleben und diese an ihre Mitmenschen
kommunizieren. Dieser Prozess findet immer wieder statt, sobald sich die lsbtiq* Person weiteren
Personen gegenüber outet (siehe ebd.).
Community
: Community ist eine Gemeinschaft von Menschen und steht stellvertretend für eine Gruppe
von Menschen in vergleichbaren oder ähnlichen Lebenswelten und Lebenssituationen (siehe Amadeu
Antonio Stiftung 2020).
Deadname / Deadnaming
: Der Deadname ist der abgelegte und nicht mehr verwendete Name einer
transgeschlechtlichen oder nicht-binären Person. Das Deadnaming ist die Bekanntmachung oder
Verwendung des abgelegten Namens einer transgeschlechtlichen oder nicht-binären Person (siehe
Freie Universität Berlin 2021).
Dgti-Ergänzungsausweis
: Vor einer offiziellen Namens- und/oder Personenstandsänderung stimmen
Ausweispapier transgeschlechtlicher Personen nicht mit ihrer geschlechtlichen Identität überein. Daher
stellt die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) den dgti-
Ergänzungsausweis aus. Er ist ein standardisiertes und in vielen Behörden akzeptiertes zusätzliches
Ausweispapier, das alle selbstgewählten personenbezogenen Daten (Name; Geschlecht) umfasst und
ebenso ein aktuelles Passfoto beinhaltet, damit sich transgeschlechtliche Personen ergänzend zu ihren
amtlichen Papieren ausweisen können (siehe Deutsche Gesellschaft für Transidentität und
Intersexualität e.V. 2021).
Dysphorie
: Dysphorie bezeichnet die mit Unwohlsein, Irritation bis hin zu Unerträglichkeit verbundene
Selbstwahrnehmung einer Person, die ihre Geschlechtsidentität als unpassend zu ihrem Körper
empfindet (siehe Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. 2020).
FLINTA*
: FLINTA* ist eine Abkürzung und steht für: Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre,
transgeschlechtliche und agender-Personen.

12
Genderfluid
: Bei genderfluiden Menschen kann sich die Geschlechtsidentität mehrmals im Leben
verändern oder situationsabhängig sein. Zudem kann genderfluid eine eigene Geschlechtsidentität sein
(siehe Lesben- und Schwulenverband e.V. 2022).
Geschlechtsperformance / Genderperformance
: Geschlechterperformance bedeutet, dass die (meist
unbewusste) Darstellung der eigenen geschlechtsabhängigen Identität eine soziale Rolle ist. Diese Rolle
wird von der jeweiligen Gesellschaft bestätigt und akzeptiert. Die Bedeutung von Geschlecht bzw.
Gender und die akzeptierten Darstellungen der eigenen Geschlechtsidentität sind dabei abhängig von
der jeweiligen kulturellen Norm (siehe Butler 1990).
Heteronormativität:
Heteronormativität bezeichnet die Annahme, dass sich alle Menschen zwangsläufig
entweder als männlich oder als weiblich empfinden. Innerhalb dieser angenommenen
Zweigeschlechtlichkeit stehen die Geschlechter in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, in dem
Männlichkeit über Weiblichkeit steht, und das Begehren sich auf das jeweilige Gegengeschlecht richtet.
Heteronormativität bezeichnet das Durchsetzen dieser Norm und das Sanktionieren von Abweichungen
(siehe Lesben- und Schwulenverband e.V. 2022, Universität Köln 2022).
Intersektionalität
: Intersektionalität beschreibt die Überschneidung, das Zusammenwirken und die
Gleichzeitigkeit von mindestens zwei Diskriminierungsmerkmalen (siehe Antidiskriminierungsbüro
Sachsen e.V. 2022).
Klassismus
: Klassismus steht für die Diskriminierung und Abwertung von Menschen aufgrund ihres
wirtschaftlichen und sozialen Status sowie aufgrund ihres (angenommenen) Bildungsniveaus, sowie
auch die Zuschreibung bzw. das Absprechen bestimmter Werte und Fähigkeiten (siehe
Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V. 2022).
Lsbtiq* Personen
: Lsbtiq* Personen sind Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell,
transgeschlechtlich, intergeschlechtlich und/oder queer empfinden.
Mehrfachdiskriminierung
: Mehrfachdiskriminierung bezeichnet Diskriminierungen und
Benachteiligungen, die auf mehreren Diskriminierungsmerkmalen basieren (siehe
Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2021a).
Mehrheitsgesellschaft
, sogenannte: Die Mehrheitsgesellschaft ist der Teil der Bevölkerung, der
aufgrund seines hohen Einflusses bestimmt, was kulturell, sozial und politisch in einer Gesellschaft als
wünschenswert gilt. Es geht dabei nicht um zahlenmäßige Mehrheit, sondern um die Macht, Normen
festzulegen (siehe Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V. 2022).
Misgendern
: Misgendern ist die Ansprache oder Bezeichnung eines Menschen mit dem falschen
Pronomen, dem falschen Namen oder falsch gegenderten Begriffen. Misgendern stellt laut
Bundesfamilienministerium eine Form von Diskriminierung und Gewalt dar (siehe Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2022).
Nicht-binär / non-binary
: Als nicht-binär bezeichnen sich Menschen, die sich als weder (eindeutig)
männlich noch (eindeutig) weiblich verstehen. Hierdurch stellen sie die Annahme, dass es nur zwei
Geschlechter gäbe, in Frage. Viele, aber nicht alle, verstehen sich als trans* Personen. Der Wunsch
bzw. Bedarf nach Körperveränderungen kann bestehen oder auch nicht (siehe Bundeszentrale für
politische Bildung 2022).
Passing
: Passing bezeichnet das „Durchgehen“, also von anderen wahrgenommen werden in dem
Geschlecht, mit dem sich eine transgeschlechtliche Person identifiziert. Um das Passing zu verbessern,
können bestimmte körperliche Merkmale und Verhaltensweisen sowie auch Kleidung etc. bewusst an
eine gesellschaftliche Geschlechternorm angepasst werden. Passing kann aber auch unabsichtlich
geschehen. Der Begriff „heteropassing“ bezieht sich hingegen auf die sexuelle Orientierung: Es geht
darum, heterosexuell wahrgenommen zu werden bzw. werden zu wollen (siehe Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2022).
Polyamourös
: Polyamourös ist eine Lebensweise, in der Menschen abgesprochen und in einem
jeweiligen Einverständnis gleichzeitig mit mehreren Menschen verbindliche Liebes- und/oder sexuelle
Beziehungen eingehen (siehe Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. 2020).
PreP
: PreP (Prä-Expositions-Prophylaxe) ist ein Medikament zur Vorbeugung einer HIV-Infektion (siehe
Deutsche Aidshilfe e.V. 2022a).

13
Regenbogenfamilie
: Regenbogenfamilien sind Familien mit Kindern, in denen mindestens ein Elternteil
lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich, intergeschlechtlich oder queer ist (siehe
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2022).
Safe(r) Space:
Safer Space (dt. sicherer Ort) ist ein in Communities verwendeter Begriff für
Schutzräume, die diskriminierungssensibel bezüglich bestimmter Gruppierungen sind. Das Wort
„safer“ bezieht sich darauf, dass kein Raum 100% safe (sicher) sein kann, dass jedoch angestrebt wird,
dass der Raum für die Zielgruppe safer (sicherer) ist als sonstige Räume.
STI
: STI (Sexuell übertragbare Infektionen) sind Infektionen, mit denen sich Menschen überwiegend beim
Geschlechtsverkehr anstecken. Sexuell übertragbare Infektionen werden durch Bakterien, Viren oder
Parasiten ausgelöst (siehe Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2022).
Transition; medizinische, soziale und juristische
: Transition bezeichnet den Prozess des Übergangs
von einem Geschlecht in ein anderes. Medizinische Transition: dem Zweck der Annäherung an das
Identitätsgeschlecht dienende Hormontherapie und/oder körperliche Eingriffe. Soziale Transition: In
diesem Prozess erarbeitet sich die betreffende Person die Anerkennung ihres Identitätsgeschlechts im
Alltag, dazu gehört oft vielfaches Coming Out als transgeschlechtliche/ nicht-binäre etc. Person im
sozialen Umfeld. Juristische Transition: Betrifft rechtliche Änderungen zur Anerkennung des
Identitätsgeschlechts, derzeit die Vornamens- und/oder Personenstandsänderung im Rahmen des TSG
(siehe Bundeszentrale für politische Bildung 2022).
TSG, Transsexuellengesetz
: Das Transsexuellengesetz (TSG) regelt die (amtliche) Änderung des
Geschlechts sowie des Vornamens für transgeschlechtliche Personen. Diese müssen dem zuständigen
Gericht zwei Gutachten von Sachverständigen vorlegen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte
verschiedene Bestandteile des Transsexuellengesetzes in der Vergangenheit für verfassungswidrig, da
sie mit den Rechten des Grundgesetzes auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit
nicht vereinbar seien (siehe Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2021b).
Weiblich sozialisiert, männlich sozialisiert
: Sozialisation bezeichnet den Prozess, in dem ein
Individuum in die Normen und Regeln, in die Bewertungs- und Wahrnehmungssysteme einer
Gesellschaft eingeführt wird. Dieser Prozess beginnt in frühester Kindheit (siehe Scherr 2018). Da
Jungen/Männern und Mädchen/Frauen gesellschaftlich unterschiedliche Verhaltensweisen und
Fähigkeiten zugewiesen werden, werden Menschen entsprechend dem bei ihrer Geburt zugewiesenen
Geschlecht unterschiedlich sozialisiert.

 
14
1. Einleitung
Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa
und Gleichstellung hat eine bundeslandweite wissenschaftliche Befragung
beauftragt. Ihr Ziel ist es, eine Datengrundlage über die Lebenslagen von
lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgeschlechtlichen,
intergeschlechtlichen und queeren (lsbtiq*) Personen im Freistaat Sachsen
zu generieren.
Konkret liefert die vorliegende Studie
eine verlässliche empirische Grundlage für die im weiteren Verlauf der Legislaturperiode geplante
Fortschreibung des Landesaktionsplans zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen
(Landesaktionsplan Vielfalt).
Dabei versteht sich die Studie als Ist-Erhebung, die einen Sachstand zu den Erfahrungen der lsbtiq*
Zielgruppen, ihrer Angehörigen und der im Freistaat tätigen Fachkräfte in möglichst vielen
Lebensbereichen liefert und dabei intersektionale Perspektiven so weit wie möglich einschließt.
Dazu wurden die vorhandenen partizipativen Strukturen (Beirat zur Umsetzung des Landesaktionsplanes
zur Förderung der Akzeptanz von Lebensentwürfen, organisierte lsbtiq* Fachvertretungen) in die
Studiendurchführung einbezogen.
Bei dieser Studie handelt es sich um eine Befragung von lsbtiq* Personen, ihrer Angehörigen sowie von
Expert*innen verschiedener öffentlicher Bereiche. Ihrer Natur nach liefert die Befragung damit Ergebnisse,
die auf den Erfahrungen und Erlebnissen der Teilnehmenden basieren. Diese sind individuell unterschiedlich
und geben subjektive Einschätzungen wieder – beispielsweise, wie Diskriminierungsformen wahrgenommen
werden, von denen einige gesetzlich definiert sind, während andere gesellschaftlich subtiler wirken. Einzeln
betrachtet erlauben sie, die persönlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen für lsbtiq* Personen in
Sachsen besser verstehen zu können; hierzu wird in vielen Textpassagen auf die Aussagen der Befragten in
Form von Zitaten zurückgegriffen. In ihrer Summe wiederum zeichnen die Berichte ein belastbares Bild
häufig gemachter Erfahrungen von lsbtiq* Sächs*innen und zeigen damit Tendenzen und Handlungsbedarfe
für Akzeptanz und Gleichstellung in Politik und Gesellschaft auf.
Damit reiht sich diese Studie zu Lebenslagen von lsbtiq* Personen in Sachsen in vergleichbare Befragungen
anderer Bundesländer ein. Dies erlaubt an einigen Stellen einen Vergleich der Ergebnisse (siehe folgendes
Kapitel). Was die sächsische Lebenslagenstudie aber von Studien anderer Länder unterscheidet, ist die
Tiefe, mit der sie unterschiedliche Lebenssituationen und Familienkonstellationen betrachten kann. Dies
verdankt sie insbesondere der hohen Teilnehmendenzahl sowie der Bereitschaft der Befragten, ihre
Lebenslagen, Erfahrungen und Wünsche ausführlich zu schildern.
Der Aufbau dieses Berichts sowie die wichtigsten Forschungsfragen werden im folgenden Kapitel erläutert.

 
15
2. Forschungsstand und Forschungsfragen
Diese Studie versteht sich als praxisnahe, angewandte Forschungsarbeit. Sie möchte die Lebenslagen von
lsbtiq* Personen innerhalb Sachsens aus dem Datenmaterial heraus beschreiben, und nicht etwa
theoretische Grundlagen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt als solche erläutern. Entsprechend wird auf
den theoretischen Bezug zu Arbeiten beispielsweise der Gender-Forschung verzichtet. In diesem Kapitel
wird der Fokus folglich auf den empirischen Forschungsstand in anderen Bundesländern sowie auf Studien
für Sachsen gelegt. Diese werden kurz zusammengefasst, bevor die forschungsleitenden Fragestellungen
dieser Erhebung vorgestellt werden.
2.1. Empirischer Forschungsstand
Durch die bisherige Forschung konnten in der Vergangenheit bereits zahlreiche Erkenntnisse hinsichtlich der
Lebenslagen von lsbtiq* Personen in Deutschland hervorgebracht werden. Grundsätzlich ist zu beobachten,
dass signifikante Unterschiede zwischen lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgeschlechtlichen,
intergeschlechtlichen und queeren Personen bestehen. Das hier vorliegende Kapitel gibt einen Überblick
über die empirischen Erkenntnisse zu Diskriminierungserfahrungen, dem Coming-out sowie den
Beziehungsformen und Familienmodellen von lsbtiq* Personen.
Diskriminierungserfahrungen
Hinsichtlich der Diskriminierung von lsbtiq* Personen ist zu bilanzieren, dass diese auch gegenwärtig zu der
Lebensrealität Vieler gehört. Im Durchschnitt der Europäischen Union geben 47 % der lsbtiq* Befragten an,
in den letzten zwölf Monaten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer geschlechtlichen Identität
Diskriminierung erlebt zu haben
1
. Ein ähnlicher Wert kann für die Diskriminierungserfahrungen von lsbtiq*
Personen in Deutschland festgehalten werden: In unterschiedlichen Studien bestätigt circa die Hälfte der
Befragten, in den letzten fünf Jahren aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen
Identität Diskriminierung erfahren zu haben. Dieser Anteil liegt in Brandenburg (2017)
2
bei 48 %, während er
sich in Schleswig-Holstein (2019)
3
auf 51 %, in Mecklenburg-Vorpommern (2019)
4
auf 52 % und in Baden-
Württemberg (2014)
5
auf 54 % der Befragten beläuft.
Weiterhin ist grundsätzlich festzustellen, dass die Diskriminierungserfahrungen innerhalb der „Gruppe“ der
lsbtiq* Personen ungleich verteilt sind: Insbesondere trans- und intergeschlechtliche Personen berichten
vermehrt von persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung, sodass sich dieser Anteil in Baden-
Württemberg (2014)
6
auf 65 % und in Brandenburg (2017)
7
auf 77 % der befragten trans- und
intergeschlechtlichen Personen beläuft. Hingegen berichten zum Beispiel in Brandenburg (2017)
8
ungefähr
30 % der bisexuellen, knapp 40 % der schwulen sowie mehr als 50 % der lesbischen Personen von
persönlich erlebter Diskriminierung.
Ebenso ist zu bemerken, dass in verschiedenen Lebensbereichen Diskriminierungserfahrungen
unterschiedlich stark verbreitet sind. Bundeslandübergreifend erweisen sich der öffentliche Raum (Plätze,
Parks), der Freizeitbereich sowie die Familie als jene Kontexte, in denen Diskriminierung am häufigsten
erfahren wird. Ebenfalls am Arbeits- oder Ausbildungsplatz sowie in der Schule wird lsbtiq* Personen mit
negativen Reaktionen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer geschlechtlichen Identität
begegnet. Vergleichsweise selten bestätigen die Befragten, dass sie Diskriminierung in polizeilichen oder
justiziellen Einrichtungen, in Hochschulen sowie im Bereich der Dienstleistungen und der Religionsausübung
erlebt haben.
Hierbei stellen sich die in den Studien berichteten Formen der Diskriminierung als vielfältig dar: Insgesamt
äußert sich Diskriminierung am häufigsten in der Imitation, der Bloßstellung und dem Verhöhnen von lsbtiq*
1
Vgl. FRA - Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (2013): LGBT-Erhebung in der EU, S. 16.
2
Vgl. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Brandenburg (2018): Queeres
Brandenburg, S. 12.
3
Vgl. Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein (2019): Studie
„Echte Vielfalt“, S. 20.
4
Vgl. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern (2020): Sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, S. 11.
5
Vgl. Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg (2014):
Onlinebefragung zur Lebenssituation von LSBTIQ-Menschen in Baden-Württemberg, S. 20.
6
Vgl. ebd., S. 21.
7
Vgl. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Brandenburg (2018): Queeres
Brandenburg, S. 12.
8
Vgl. ebd., S. 12.

16
Personen. Ebenso erfahren lsbtiq* Personen vielfach Beleidigungen sowie kritische und provozierende
Blicke. Darüber hinaus sind lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und
queere Personen ebenfalls sehr schwerwiegenden Diskriminierungsformen – als Opfer von Gewalt und
Straftaten – ausgesetzt: Dies trifft im Durchschnitt auf rund jede sechste lsbtiq* Person in Deutschland zu.
9
Jedoch stellt sich der Anteil der befragten lsbtiq* Personen, die Opfer von Gewalt und Straftaten wurden und
zugleich eine Anzeige bei der Polizei erstattet haben, als gering dar: In Schleswig-Holstein (2019),
Mecklenburg-Vorpommern (2019) und Rheinland-Pfalz (2013) beläuft sich die Anzeigequote unter
Betroffenen auf ungefähr 25 %, während sie in Baden-Württemberg (2014) und Brandenburg (2017) etwas
mehr als 30 % beträgt.
10
Daher kann eine hohe Dunkelziffer von Gewalt und Straftaten gegen lesbische,
schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie queere Personen in den offiziellen
Kriminalstatistiken angenommen werden. Die geringe Anzeigequote lässt sich, so die Zusammenfassung
der Studienlage, vor allem auf fehlendes Vertrauen in die Institutionen der Polizei zurückführen: Unter lsbtiq*
Personen ist die Befürchtung verbreitet, dass sie in einem solchen Fall von der Polizei nicht ernst
genommen werden oder weitere Diskriminierung durch die Polizei erfahren.
Zu diesem Ergebnis kommt ebenfalls eine sachsenspezifische Befragung von lsbtiq* Personen aus dem
Jahr 2019
11
: So liegt die dort ermittelte Anzeigequote unter allen Betroffenen bei lediglich 11 %. Die Quote
ist damit um ein Vielfaches niedriger als in den oben genannten Bundesländern. Als die beiden häufigsten
Hinderungsgründe gegen eine Anzeige nennen die Befragten die Sorge davor, von der Polizei nicht ernst
genommen zu werden, sowie die Einschätzung, dass ihr erlebter Vorfall in einer rechtlichen Grauzone wäre
und von den Strafverfolgungsbehörden nicht als vorurteilsmotivierte Gewalt gegen die sexuelle Orientierung
oder geschlechtliche Identität erfasst werden würde.
12
Eine weitere sachsenspezifische Studie hat im Jahr 2020 Diskriminierungserfahrungen von lsbtiq*
Geflüchteten in Sachsen erhoben.
13
An ihr haben 73 geflüchtete lsbtiq* Personen teilgenommen, von denen
knapp 70 % Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen im Freistaat angeben. Diese werden am häufigsten in
der Öffentlichkeit sowie den Unterbringungseinrichtungen gemacht, gefolgt vom privaten Umfeld und
sächsischen Behörden.
14
Coming-out-Klima
Die vorhandenen heteronormativen Strukturen innerhalb der Gesellschaft begünstigen die Diskriminierung
von lsbtiq* Personen. Sie erschweren erstens das selbstverständliche Zeigen und Leben der sexuellen
Orientierung und der geschlechtlichen Identität von lsbtiq* Personen und erfordern zweitens ebenso ein
Coming-out. Verschiedene Studien beziffern den Anteil der vollständig Geouteten auf ungefähr 70 % der
befragten lsbtiq* Personen. In Mecklenburg-Vorpommern (2019)
15
und Schleswig-Holstein (2019)
16
leben
jeweils 72 % der Befragten und in Baden-Württemberg (2014)
17
67% der Befragten diesbezüglich offen.
Etwa die Hälfte der Befragten in Brandenburg (2017)
18
berichtet, dass sie beim Zeitpunkt ihres äußeren
Coming-outs jünger als 20 Jahre alt waren. In Schleswig-Holstein (2019)
19
teilen zwei Drittel der Befragten
mit, dass ihr äußeres Coming-out im Alter von 20 Jahren oder jünger erfolgt ist. Jedoch lassen sich
Unterschiede hinsichtlich der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität feststellen. Personen
werden sich über ihre eigene Geschlechtsidentität in der Regel deutlich früher bewusst als über ihre sexuelle
Orientierung. So geben beispielsweise 46 % der befragten trans- und intergeschlechtlichen Personen in
9
Vgl. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern (2020): Sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, S. 25.
10
Vgl. ebd., S. 25.
11
Vgl. Ohlendorf, Vera / Wunderlich, Martin (2019): Gewalterfahrungen von LSBTTIQ* in Sachsen, S. 27.
12
Vgl. ebd., S. 33.
13
Gerede e.V. (2020): Veröffentlichung der Ergebnisse der explorativen Datenerhebung „Gewalt- und
Diskriminierungserfahrungen von LSBTI* Geflüchteten in Sachsen“.
14
Vgl. ebd., S. 16.
15
Vgl. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern (2020): Sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, S. 9.
16
Vgl. Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein (2019):
Studie „Echte Vielfalt“, S. 17.
17
Vgl. Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg (2014):
Onlinebefragung zur Lebenssituation von LSBTIQ-Menschen in Baden-Württemberg, S. 19.
18
Vgl. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Brandenburg (2018): Queeres
Brandenburg, S. 9.
19
Vgl. Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein (2019):
Studie „Echte Vielfalt“, S. 18.

17
Mecklenburg-Vorpommern (2019)
20
an, dass sie ihr inneres Coming-out – das Bewusstwerden über ihre
geschlechtliche Identität – bis zum 12. Lebensjahr erfahren haben.
Hierbei ist jedoch zu beobachten, dass
sich transgeschlechtliche Personen – trotz des vergleichsweise frühen inneren Coming-outs – oftmals später
als cisgeschlechtliche lesbische, schwule oder bisexuelle Personen ihren Mitmenschen anvertrauen, also ein
späteres äußeres Coming-out haben.
Da sich das offene Zeigen der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität in einer
heteronormativen Gesellschaft als nachteilig erweisen kann, sind ebenso die Gründe gegen ein äußeres
Coming-out zu betrachten. Lsbtiq* Personen, die ihre sexuelle Orientierung und/oder ihre geschlechtliche
Identität nicht offen zeigen, begründen dies oftmals mit der Angst vor negativen Reaktionen ihnen oder ihren
Angehörigen gegenüber. Auch die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes ist als ein Hinderungsgrund für ein
äußeres Coming-out zu nennen.
21
Beziehungsformen und Familienmodelle
Die Beziehungsformen und Familienmodelle von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgeschlechtlichen,
intergeschlechtlichen und queeren Personen lassen sich auf Basis des Forschungsstands als besonders
vielfältig beschreiben. Vorhandene Beziehungsformen umfassen unter anderem gleichgeschlechtliche
Partnerschaften, gleichgeschlechtliche Ehen, eingetragene Lebenspartnerschaften,
verschiedengeschlechtliche Partnerschaften sowie verschiedengeschlechtliche Ehen. Auch gehören offene
sowie polyamouröse Beziehungen zu Beziehungsformen von lsbtiq* Personen.
Hinsichtlich der Familienmodelle kommunizieren lsbtiq* Personen nicht selten einen Kinderwunsch: 39 % der
Befragten in Mecklenburg-Vorpommern (2019)
22
und 47 % der Befragten in Schleswig-Holstein (2019)
23
wünschen sich demzufolge Kinder. Darüber hinaus teilen 20 % der Befragten in Mecklenburg-Vorpommern
(2019)
24
mit, dass sie bereits Kinder haben. Insgesamt stammen die Kinder mehrheitlich aus vorherigen
heterosexuellen Beziehungen der Eltern, wobei einige Kinderauch in der aktuellen Partnerschaft durch eine
Samenspende oder gemeinsam mit anderen Paaren gezeugt werden.
Erfahrungen von Angehörigen von lsbtiq* Personen (Herkunftsfamilien)
Bei der Betrachtung der Familie von lsbtiq* Personen ist nicht nur die eigene Kernfamilie, sondern auch die
Herkunftsfamilie zu berücksichtigen. Hierbei sind sowohl die Erfahrungen als auch die Reaktionen der
Herkunftsfamilie erforscht. Nicht nur lsbtiq* Personen, sondern auch ihre Angehörigen erfahren
Diskriminierung in Deutschland: Aus vergleichbaren Studien in Mecklenburg-Vorpommern (2019),
Schleswig-Holstein (2019) und Baden-Württemberg (2014) geht hervor, dass jeweils rund ein Drittel der
Angehörigen von lsbtiq* Personen bereits negative Reaktionen und Diskriminierung aufgrund der sexuellen
Orientierung und der geschlechtlichen Identität ihres Familienmitglieds erlebt hat.
Die Formen der Diskriminierung der Angehörigen von lsbtiq* Personen umfassen Verhöhnung, Beleidigung,
Kontaktvermeidung, Ausschluss aus sozialen Gruppen sowie mangelnde Anerkennung. Am häufigsten
werden Angehörige im Freizeitbereich, in der Öffentlichkeit, innerhalb der Familie sowie in der Schule
diskriminiert und mit negativen Reaktionen konfrontiert.
Hinsichtlich der Reaktionen auf das Coming-out innerhalb der Familie ist grundsätzlich hervorzuheben, dass
die Reaktionen von entfernten Verwandten (Onkel* und Tanten*, Cousins* und Cousinen*, Schwiegereltern,
Nichten* und Neffen* sowie Großeltern) positiver als die der engen Verwandten ausfallen. Hierbei können
unter engen Verwandten sowohl eigene Kinder, eigene Eltern oder eigene Geschwister verstanden werden.
In Schleswig-Holstein (2019)
25
bestätigen 67 % der engen und 82 % der entfernten Verwandten, dass sie
das Coming-out ihres Angehörigen neutral zur Kenntnis genommen haben. Weitere Unterschiede
hinsichtlich des Verwandtschaftsgrads lassen sich anhand einer Studie in Mecklenburg-Vorpommern
(2019)
26
feststellen: Enge Verwandte haben ein höheres Informationsbedürfnis (65 % zu 38 % der entfernten
Verwandten), sie behalten das Coming-out häufiger für sich (30 % zu 18 %), sie denken im Kontext des
20
Vgl. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern (2020): Sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, S. 8f.
21
Vgl. ebd., S. 9.
22
Vgl. ebd., S. 20.
23
Vgl. Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein (2019):
Studie „Echte Vielfalt“, S. 27.
24
Vgl. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern (2020): Sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, S. 20.
25
Vgl. Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein (2019):
Studie „Echte Vielfalt“, S. 47f.
26
Vgl. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern (2020): Sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, S. 29f.

 
18
Coming-outs häufiger über eigene Fehler nach (23 % zu 3 %), fühlen sich häufiger hilflos (19 % zu 3 %)
sowie ignorieren das Coming-out ihres Familienmitglieds zunächst häufiger (16 % zu 8 %).
Bemerkenswert ist, dass das Coming-out nach einer Weile sowohl von engen als auch von entfernten
Verwandten überwiegend positiv gesehen wird. Unabhängig vom Verwandtschaftsgrad stimmen in
Schleswig-Holstein (2019)
27
und Mecklenburg-Vorpommern (2019)
28
mitunter mehr als drei Viertel der
Befragten zu, dass jeder Mensch so leben sollte, wie er es für richtig hält und, dass das Coming-out ein
guter Schritt für die Person gewesen sei. Auch ist einer Mehrheit das Coming-out ihres Familienmitglieds
nicht mehr peinlich. Als erwähnenswert stellt sich hierbei dar, dass ungefähr 50 % der engen Verwandten
dem Coming-out einen großen Einfluss auf ihr Leben oder das der Familie zuschreiben. Auch geben mehr
als ein Fünftel von ihnen an, dass sich ihr Bild des Familienmitglieds durch das Coming-out stark verändert
habe.
Meinungsbild in Sachsen
Abschließend ist in dieser Zusammenfassung der Datenlage auf die Einstellungen der sächsischen
Bevölkerung hinzuweisen. Diese wird im „Sachsen-Monitor“ mithilfe der Aussage „eine sexuelle Beziehung
zwischen zwei Personen desselben Geschlechts ist unnatürlich“ gemessen. Dieser lsbtiq*-feindlichen
Aussage stimmt fast jede*r dritte repräsentativ befragte Bürger*in Sachsens zu (32 %).
29
Zudem stimmen
43 % der befragten Sächs*innen der demokratiefeindlichen Aussage zu, „in einer Demokratie kommt es auf
die Rechte der Mehrheit an. In Deutschland wird zu viel Rücksicht auf die Rechte von Minderheiten
genommen.“
30
2.2. Forschungsleitende Fragen dieser Studie
Im Fokus dieser Studie stehen die Lebenslagen von lesbischen, schwulen, bi-, pan- und asexuellen, trans-
und intergeschlechtlichen, nicht-binären sowie queeren Personen in Sachsen. Um ihre Lebensrealitäten
aufzuzeigen, können thematisch vier grobe Blöcke gebildet werden, an denen sich diese Studie orientiert:
Der erste Bereich von Forschungsfragen beschäftigt sich mit der Vielfalt und Sichtbarkeit verschiedener
sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten in Sachsen.
Wie sieht die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Sachsen konkret aus? Welche Geschlechter,
Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen werden berichtet? Die Antworten darauf finden
sich in Kapitel 4.
Welche Erfahrungen machen lsbtiq* Personen in Sachsen mit ihrem inneren und äußeren Coming-out -
wie selbstverständlich können sie leben und was hindert sie daran, sich zu outen? Dies wird in Kapitel
4.5 beantwortet.
Was kennzeichnet die Lebenslagen unterschiedlicher Personenkreise, beispielsweise lsbtiq* Personen
mit Flucht- oder Migrationshintergrund, mit Behinderung/Beeinträchtigung, bei Armutsgefährdung, in
religiösen Umfeldern oder im ländlichen Raum? Ihre Erfahrungen in Sachsen zeigt Kapitel 5 genauer
auf.
Wie übernehmen lsbtiq* Sächs*innen Verantwortung füreinander und für andere – welche Beziehungs-
und Familienmodelle werden von den Befragten gelebt? Die vielfältigen Verantwortungsmodelle werden
in Kapitel 5.1 gezeigt.
Und wie erleben ihre Familienangehörigen das Coming-out – welche Informationsbedarfe haben sie und
wie gehen sie damit um? Die Perspektiven der Angehörigen werden in Kapitel 8 geschildert.
27
Vgl. Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein (2019):
Studie „Echte Vielfalt“, S. 48f.
28
Vgl. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern (2020): Sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, S. 29f.
29
Vgl. dimap (2018): Sachsen-Monitor 2018, S. 34.
30
Vgl. ebd., S. 36.

19
Das zweite Bündel von Forschungsfragen fragt nach der Lebenszufriedenheit, der politischen und
gesellschaftlichen Teilhabe und der Chancengerechtigkeit für lsbtiq* Sächs*innen.
Wie schätzen lsbtiq* Personen in Sachsen ihre eigene Lebenssituation und Lebensqualität ein? Wie
zufrieden oder unzufrieden sie sind, beantwortet Kapitel 6.1.
Sehen sie gleiche Chancen wie andere Sächs*innen auch, ihren Lebensentwurf selbstbestimmt
umzusetzen und gleichermaßen Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen und Leistungen zu
erhalten? Die Möglichkeiten und Hindernisse, die sie hierzu berichten, werden in Kapitel 6.2 ausführlich
dargestellt.
Wie nehmen sie ihren Zugang zu und die Repräsentation in Medien, Öffentlichkeit, Politik und eigener
Interessenvertretung wahr? Antworten darauf gibt Kapitel 6.3.
Der dritte Schwerpunkt von Forschungsfragen liegt auf den Erfahrungen von lsbtiq* Personen in Sachsen,
die sie in wichtigen Lebensbereichen wie der Schule, der Arbeitswelt, dem Gesundheitswesen und der
Sicherheit in der Öffentlichkeit machen.
Welche positiven und negativen Erfahrungen werden aus den wichtigen Lebensbereichen berichtet?
Welche Unterstützungssysteme greifen für lsbtiq* Personen in Sachsen? Mit diesen Fragen beschäftigt
sich Kapitel 7.
Welche Erfahrungen mit Gewalt, politisch motivierter Kriminalität und dem Polizei- und Justizwesen
berichten lsbtiq* Sächs*innen? Fühlen sie sich sicher, bringen sie Vorfälle zur Anzeige? Diesen
Themenkomplex beantwortet Kapitel 7.8.
Die abschließende Forschungsfrage nimmt Handlungsbedarfe zur Gleichstellung von lsbtiq* Personen in
Sachsen in den Blick.
Welche Bedarfe zeigen sich aus Sicht von Expert*innen, lsbtiq* Personen und ihren Angehörigen für
Sachsen in Bezug auf die Lebenslagen von lsbtiq* Personen? Welche Maßnahmen sehen sie als
notwendig an? Hierauf gibt Kapitel 10 konkrete Antworten.

 
20
3. Methodik der Studie
In diesem Kapitel soll die Datengrundlage der vorliegenden Studie
transparent beschrieben werden. So können Leser*innen die Ergebnisse
besser einordnen. Die Darstellung umfasst zunächst den Aufbau der Studie
mit ihren vier Erhebungselementen. Für jedes dieser Elemente werden
danach das Vorgehen bei der Datenerhebung, die Qualität des Rücklaufs /
der Antworten sowie das Vorgehen in der Datenauswertung näher
beschrieben. Die Methodik der Strukturanalyse wird aus Gründen der
Lesbarkeit des Berichts im Anhang erläutert.
3.1. Aufbau der Studie und Entwicklung der
Erhebungsinstrumente
Die Studie umfasst konzeptionell zunächst vier Teiluntersuchungen. Durch einen solch kombinierten
Methodenmix können unterschiedliche Zugänge geschaffen und differenzierte Inhalte erhoben werden.
Denn: Lebenslagen und Bedarfe – egal welcher Zielgruppen – empirisch zu erfassen, ist eine
Herausforderung, in der stets zwischen einem gewissen Überblick über Kernmerkmale der Zielgruppen
einerseits und Vertiefung spezifischer Lebenslagen und Handlungsfelder andererseits abgewogen werden
muss. Konkret haben die vier nachstehenden Erhebungsmethoden jeweils folgende Ziele verfolgt:
Die weitgehend standardisierte Online-Befragung in der Grundgesamtheit der lsbtiq* Personen in
Sachsen sowie ihrer Angehörigen:
Die Online-Befragung ist dasjenige Studienelement, das den besten Überblick über die Kernmerkmale
und vorhandenen Lebenslagen von lsbtiq* Personen und ihren Familienangehörigen im Freistaat gibt.
Ihr Weg: Möglichst vielen lsbtiq* Personen eine Befragungsteilnahme zu ermöglichen und damit
möglichst breit Erfahrungen zu erheben. Dabei wurde neben standardisierten Fragen auch Raum für
offene Antworten gegeben, um ein plastischeres Verständnis der vielen hunderten Erfahrungen zu
erlangen.
Die qualitativen Expert*innen-Interviews mit Fachkräften und Fachstellen in Sachsen: Diese Interviews
haben gezielt Bedarfe von Fachkräften im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in
einzelnen Lebens- und Handlungsbereichen erfasst.
Viele Interviews wurden in Bereichen in Landeszuständigkeit geführt, wie im Schul- und
Hochschulwesen, in der Polizei und im Justizvollzug. Damit bieten die Expert*innen-Interviews eine
fachliche Einschätzung zu den in der Fortschreibung des Landesaktionsplans anzugehenden Bedarfen.
Fokusgruppendiskussionen: In zwei Fokusgruppen konnten zum einen die Themen
Transgeschlechtlichkeit und Nicht-Binarität, sowie zum anderen Erfahrungen von Familienangehörigen
von lsbtiq* Personen vertiefend beleuchtet werden.
Die weitgehend standardisierte Online-Erhebung zur Strukturanalyse der Anlaufstellen und
Interessensvertretungen für lsbtiq* Personen in Sachsen: Sie soll vorrangig die Struktur von lsbtiq*
Angeboten im Freistaat kartieren und Merkmale von Beratungs- und Unterstützungsangeboten
aufzeigen.
Die Stärken dieser Methoden wurden in der Auswertung und Berichtslegung zusammengelegt, um ein
umfassendes Bild der Lebenslagen und Bedarfe von lsbtiq* Personen in Sachsen zu zeichnen. Ihre
Limitationen werden in den einzelnen Erhebungskapiteln ebenso beschrieben.

 
21
Allen Erhebungselementen ist gemein, dass
ihre Instrumente mit dem Beirat zur Umsetzung des Landesaktionsplans Vielfalt Sachsen abgestimmt
wurden: So haben Vertreter*innen aus lsbtiq* Fachstellen, des Landtags sowie des
Gleichstellungsministeriums (SMJusDEG) und der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten ihre
Hinweise zu den Entwürfen des Online-Fragebogens, der Strukturanalyse, der Interview- sowie
Fokusgruppenleitfäden in einer Beiratssitzung am 4.10.2021 einbringen können;
sie sowohl Organisationen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft, als auch lsbtiq* Netzwerke und
gezielt spezifische lsbtiq* Teilgruppen mit Mehrfachdiskriminierungsrisiko adressiert haben. So wurde,
um nur einen beispielhaften Auszug zu geben, der Befragungs-Link zur Online-Erhebung an eine
Bandbreite von über 150 Organisationen, von sächsischen Wirtschaftskammern, den Landeskirchen,
über den Landessportbund bis hin zur Vertretung migrantischer Vereine Sachsen verteilt.
Auf diese Weise wurde versucht, in der Sample-Bildung auch nicht-organisierte, community-ferne und
schwer erreichbare lsbtiq* Perspektiven zu inkludieren. Dass dies gelungen ist, zeigt Kapitel 3.2.2
3.2. Online-Befragung von lsbtiq* Personen und
Angehörigen
Als Kernstück der Studie wurde eine Online-Befragung von lsbtiq* Personen in Sachsen sowie ihren
Angehörigen durchgeführt. Um ihre Aussagekraft beurteilen zu können, wird im Folgenden beschrieben, wie
die Daten erhoben und ausgewertet wurden. Dabei wird insbesondere auf die soziodemografischen
Merkmale der Teilnehmenden eingegangen.
3.2.1. Erhebung der Daten
Die Befragung richtete sich an Personen, die
in Sachsen wohnhaft und
aus Datenschutzgründen zum Befragungszeitpunkt mindestens 16 Jahre alt waren sowie
entweder selbst lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich, intergeschlechtlich und/oder queer
(Zielgruppe 1) sind und/oder
einen lsbtiq* Angehörigen haben (Zielgruppe 2). Als An- und Zugehörige wurden alle
Verwandtschaftsgrade von Herkunftsfamilien, familiärer Verantwortungskonstellationen und engster
Freund*innenkreise von lsbtiq* Personen in Sachsen definiert. Methodik und Rücklauf in dieser
Zielgruppe werden näher in Kapitel 8 beschrieben.
Der Fragebogen stützte sich im Bereich der Diskriminierungserfahrungen auf validierte Frageformulierungen
von Referenzbefragungen aus fünf Bundesländern und wurde in Absprache mit der Auftraggeberin und dem
Beirat zum Landesaktionsplan Vielfalt konkret an die spezifische Lage im Bundesland Sachsen angepasst.
Die Fragen zur Vielfalt der Lebenslagen wurden hier erstmalig erhoben.
Die Befragung wurde bewusst als Online-Erhebung durchgeführt, da sie
als effizienteste Methode viele in Sachsen lebende lsbtiq* Personen erreichen konnte, indem sie eine
selbstrekrutierende Weiterleitung des Befragungslinks ermöglichte,
in Sachsen auch eine Teilnahme fernab der größeren Städte ermöglichte, von der rund 400 Antwortende
letztlich Gebrauch gemacht haben, und
eine anonyme Beantwortung der Fragen möglich gemacht hat, so dass auch nicht-geoutete Personen
teilnehmen konnten.
Es ist als Stärke des gewählten methodischen Ansatzes zu werten, dass insgesamt 360 teilweise oder
gar nicht geoutete lsbtiq* Personen an dieser Studie anonym teilgenommen haben.
Der Online-Fragebogen konnte zudem in deutscher und englischer Sprache sowie barriereärmer in
Einfacher Sprache umgesetzt werden. Von 2042 Befragten, die den Fragebogen begonnen haben,
haben 25 (1,2 %) in englischer Sprache teilgenommen, weitere sieben Befragte (0,3 %) wählten die
Option Deutsch in Einfacher Sprache.

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22
Die Einladung zur Befragung baute auf einem selbstrekrutierenden Schneeballprinzip auf, da es für die
Grundgesamtheit aller lsbtiq* Personen in Sachsen keine Adressdaten gibt. Dieses Schneeballverfahren ist
in anderen Bundesändern erprobt. Die Einladung zur Befragung wurde
an die Landesarbeitsgemeinschaft Queeres Netzwerk Sachsen und organisierte lsbtiq* Vereine,
an eine Bandbreite großer freier Träger der Sozial-, Alten- und Jugendhilfe, an wirtschaftliche und
kirchliche Interessenvertretungen, Sportbünde sowie zivilgesellschaftliche Netzwerke adressiert. Allen
insgesamt 150 Multiplikator*innen wurde die Distribution durch die Bereitstellung einladender
Fotomotive, die verschiedene Zielgruppen visualisieren (siehe unten) und unterstützender Presse-
/Werbetexte erleichtert.
Um unabhängig von Multiplikator*innen lsbtiq* Personen direkt anzusprechen, wurden zudem bezahlte
Werbemittel (paid media) eingesetzt. Hier ist die Wahl auf Suchmaschinenwerbung gefallen, um einen
Medienbruch zum online-Fragebogen zu vermeiden (direkte Weiterleitung zum Fragebogen bei Klick auf
die Suchanzeige). Die Kampagne lief über einen Zeitraum von ungefähr einem Monat für ein Budget von
rund 1.700 €.
31
Die Feldlaufzeit der Online-Befragung betrug acht Wochen, vom 23. November 2021 bis 18. Januar 2022. In
dieser Zeit wurde der Befragungslink dreimal an den Multiplikator*innenkreis gesendet.
Abbildung 1: Verwendete Werbemotive der Studie zur Teilnehmendenrekrutierung
3.2.2. Rücklauf und Stichprobencharakteristika
Rund 2.000 Personen haben mindestens die zweite Seite der Befragung aufgerufen. Davon haben 93
Personen die erste Filterfrage nach ihrem Wohnort nicht beantwortet. Weitere 62 Personen haben
geantwortet, dass sie nicht in Sachsen wohnen. Da sie damit nicht zur Zielgruppe der Befragung gehören,
31
Es wurden rund 30 verschiedene lsbtiq*-spezifische Keywords verwendet, bei deren Suche 15.001
Internetnutzer*innen aus Sachsen Werbung zur Studie eingeblendet bekamen. Auf den Fragebogenlink geklickt haben
davon 395, was einer durchschnittlichen Conversion Rate von 2,6 % entspricht. Diese liegt zwischen dem üblichen vom
Suchmaschinenanbieter genannten Niveau von 2 – 3 %. Über die Qualität der auf diese Weise generierten Antworten
lässt sich wenig sagen, da aus Gründen der Anonymität der weitere Fragebogenverlauf dieser User nicht getrackt wurde.
Lediglich eine Frage zum Schluss der Beantwortung lässt einige Hinweise zu (siehe folgendes Teilkapitel).

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23
wurden sie lediglich nach ihren Hinweisen für Handlungsbedarfe von lsbtiq* Personen in Sachsen gefragt
und dann aus dem Fragebogen ausgeleitet. Weitere 137 Personen gaben an, dass sie weder selbst zur
Gruppe der lsbtiq* Personen gehören, noch Angehörige von ihnen – auch diese nicht zur Grundgesamtheit
zählenden Teilnehmenden wurden daher nach einer offenen Frage zu Handlungsbedarfen aus dem weiteren
Fragebogenverlauf ausgeleitet.
Insgesamt 1.490 Personen haben angegeben, selbst lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich,
intergeschlechtlich und/oder queer und in Sachsen wohnhaft zu sein.
Darunter sind 913 Personen, die selbst lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich, intergeschlechtlich
und/oder queer sind, und darüber hinaus auch lsbtiq* Angehörige haben. 856 (95 %) von ihnen haben im
weiteren Fragebogenverlauf über ihre eigenen Erfahrungen berichtet, während 44 (5 %) von ihnen die
Fragen zu ihren lsbtiq* Angehörigen beantwortet haben
32
. Des Weiteren haben 577 Personen
teilgenommen, die auch selbst zum Kreis von lsbtiq* Personen in Sachsen gehören und die keine lsbtiq*
Angehörigen haben.
184 Personen haben angegeben, selbst nicht lsbtiq* zu sein, sondern ausschließlich ein oder mehrere
lsbtiq* Angehörige zu haben. Aufgrund von Ausstiegen aus dem Fragebogen haben letztlich 179 Personen
Angaben zu ihrem*r lsbtiq* Angehörigen gemacht. Diese werden in Kapitel 8 geschildert.
Im Vergleich mit Studien anderer Bundesländer und deren Bevölkerungszahl zeigt sich: Die sächsische
Befragung verfügt über die zahlenstärkste Datenbasis. Gleichwohl können die Werte nicht eins zu eins auf
die Gesamtheit aller lsbtiq* Personen in Sachsen übertragen werden. Sie zeigen in ihrem Umfang aber
verlässliche Tendenzen sowie vielfältige Lebenslagen auf.
Lediglich die Online-Befragung von lsbtiq* Personen in Baden-Württemberg 2014 hat mehr Teilnehmende
rekrutieren können – in einem Bundesland mit rund zweieinhalb Mal größerer Bevölkerung als Sachsen. Die
drei jüngeren Studien (2017-2019) in bevölkerungsärmeren ost- und norddeutschen Bundesländern
fundierten auf deutlich weniger lsbtiq* Befragten.
Abbildung 2: Teilnehmendenzahlen vergleichbarer Studien bundesweit
Quelle: eigene Zusammenstellung auf Basis von: Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-
Vorpommern (2020): Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, S. 25. Die Primärquellen sind
zudem im Literaturverzeichnis aufgeführt.
Neben der Zahlenstärke der vorliegenden Studie ist auch die Verteilung auf einzelne sexuelle
Orientierungen und geschlechtliche Identitäten am besten dazu geeignet, verlässliche Aussagen über
einzelne lsbtiq* Teilgruppen für Sachsen treffen zu können.
Welche Merkmale kennzeichnen die Stichprobe, auf der die Daten über sächsische lsbtiq* Lebenslagen im
Folgenden beruhen?
32
Die verbleibenden 13 Befragten haben die Frage nicht beantwortet.

24
Betrachtet man nun die antwortenden lsbtiq* Personen der vorliegenden sächsischen Befragung, so ist die
Stichprobe durch einen jungen Altersdurchschnitt und einen hohen Anteil großstädtischer Teilnehmender
geprägt.
Der Altersdurchschnitt beläuft sich auf 29 Jahre. Zum Vergleich: Das Durchschnittsalter der sächsischen
Gesamtbevölkerung liegt bei 46,9 Jahren
33
. Innerhalb der befragten lsbtiq* Gruppen fällt auf, dass
Befragte, die sich als schwul bezeichnen, mit 34 Jahren das höchste Durchschnittsalter haben, gefolgt
von lesbischen Antwortenden mit 31 Jahren. Dagegen bezeichnen sich vergleichsweise mehr jüngere
Befragte als queer oder bisexuell (Altersdurchschnitt von 27 Jahren) oder pansexuell (26 Jahre). Die
jüngste Befragtengruppe in dieser Stichprobe bilden asexuelle Personen mit durchschnittlich 24
Lebensjahren.
Ebenso fällt ein gewisser Altersunterschied zwischen Befragten verschiedener geschlechtlicher
Identitäten auf: Cismännliche Antwortende sind im Durchschnitt 34 Jahre alt. Damit sind sie
durchschnittlich älter als cisweibliche, als trans- sowie als anders-geschlechtliche Antwortende (jeweils
28 Jahre im Durchschnitt). Die jüngste Gruppe der Stichprobe bilden nicht-binäre Personen mit
durchschnittlich 25 Jahren.
Für die Interpretation der Studienergebnisse bedeuten diese Altersunterschiede, dass die Antworten
nicht-binärer Personen durchschnittlich eher Perspektiven jüngerer Personen wiedergeben als
insbesondere Antworten cisgeschlechtlicher Befragter. Ebenso werden Antworten schwuler Befragter
eher Lebenslagen und Erfahrungen durchschnittlich mittdreißiger statt mittzwanziger Personen
widerspiegeln. Aufgrund geringer Fallzahlen in den Teilgruppen je Alter je Geschlechtsidentität und
Analysekategorie kann nur an einigen Stellen der Analyse eine statistische Drittvariablenkontrolle
erfolgen.
Die Stichprobe kennzeichnet zweitens ein Überhang großstädtischer Befragter: Fast 1.000 lsbtiq*
Antwortende bzw. 70 % der Stichprobe geben an, in einer sächsischen Großstadt zu leben. Nur 3 %
wohnen in einem städtischen Vorort. Knapp jede fünfte antwortenden lsbtiq* Person wohnt in einer
Mittel- oder Kleinstadt, knapp jede zehnte in einem Dorf. Damit sind großstädtische Räume in der
Befragung deutlich überrepräsentiert – zum Vergleich: 34,5 % der Gesamtbevölkerung Sachsen lebte im
Jahr 2020 in einer Großstadt mit über 100.000 Einwohner*innen.
34
Als Ursache dürften zwei Aspekte in Frage kommen: erstens der Rekrutierungsweg. Die Befragung wird
lsbtiq* Personen in den Großstädten vermutlich leichter erreicht haben, da der Befragungs-Link
maßgeblich von den in den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz ansässigen lsbtiq* Vereinen in
ihren Netzwerken distribuiert wurde. Zweitens gibt es auch inhaltliche Hinweise darauf, dass ein Teil von
lsbtiq* Personen bewusst in Großstädte zieht, so auch in Sachsen (siehe Kapitel 6.2).
Dabei sind die Wohnortgrößen-Verteilungen zwischen den befragten lsbtiq* Gruppen ausgeglichener als
bei der Altersvariable: So weicht keine der Gruppen um mehr als fünf Prozentpunkte vom
Stichprobendurchschnitt ab.
Geografisch zeigen sich folgende Schwerpunkte in den Wohnorten der Teilnehmenden:
33
Vgl. Statistik Sachsen (2022):
https://www.statistik.sachsen.de/html/bevoelkerungsstand-einwohner.html
34
Vgl. Statistik Sachsen (2022): Bevölkerung nach Gemeindegrößenklassen und Geschlecht.

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25
Abbildung 3: Anzahl der Teilnehmenden je Landkreis / kreisfreier Stadt
Fragewortlaut: „In welchem Gebiet / Landkreis in Sachsen wohnen Sie?“ N = 1.434
Eine grundlegende Herausforderung sozialwissenschaftlicher Befragungen zeigt sich auch in dieser
Studie: Die Stichprobe zeichnet sich durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Personen mit
hohem Bildungsabschluss aus. 69 % der Antwortenden verfügen über ein Abitur / die Hochschulreife.
Die Fachhochschulreife haben weitere 92 Teilnehmende (8 %). Zum Vergleich: 28% der
Gesamtbevölkerung in Sachsen ab 15 Jahren verfügte im Jahr 2019 über einen
Fachhochschulabschluss oder die Hochschulreife.
35
Der hohe Anteil von Personen mit diesen
Abschlüssen in der Stichprobe wird auch auf das vergleichsweise junge Durchschnittsalter der
Teilnehmenden zurückzuführen sein. Über einen Realschulabschluss bzw. die mittlere Reife verfügen
140 Antwortende (13 %). Dagegen haben nur 15 Teilnehmende (1 %) einen Volks- oder
Hauptschulabschluss, nur eine Person hat keinen Schulabschluss. Damit sind insbesondere
Perspektiven schulisch wenig gebildeter lsbtiq* Sächs*innen in der Studie kaum vertreten. Die
Einkommensverteilung der Befragten wird Kapitel 5.8 aufschlüsseln.
Migrantische Perspektiven sind in dieser Studie unterrepräsentiert: Von ihrem Migrationshintergrund
berichten 68 Antwortende am Ende des Fragebogens (6,4 %). In der sächsischen Gesamtbevölkerung
betrug dieser Anteil im Jahr 2020 9,3 %.
36
35
Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2020): Bildungsstand der Bevölkerung: Ergebnisse des Mikrozensus 2019, S.
42f.
36
Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2022): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Bevölkerung mit
Migrationshintergrund: Ergebnisse des Mikrozensus 2020, S. 36.

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26
An der Befragung haben zudem wenige Personen mit Fluchthintergrund teilgenommen: Acht Personen
geben dies an (0,8 % aller lsbtiq* Befragten). Ihre Antworten zeigen dennoch deutliche
Handlungsbedarfe auf und werden in Kapitel 5.2 beschrieben. In der sächsischen Gesamtbevölkerung
betrug der Anteil der Schutzsuchenden im Jahr 2020 1,5 %.
37
Die Befragung hat außerdem lsbtiq* Personen erreicht, die aufgrund einer chronischen Krankheit (116
Antwortende bzw. 10,7 %), einer Behinderung oder Beeinträchtigung (59 Antwortende bzw. 5,4 %)
und/oder ihres Alters (9 Antwortende bzw. 0,8 %) gesundheitlichen Unterstützungsbedarf haben. Unter
letzteren sind allerdings keine Personen über 55 Lebensjahren. 84 % aller Teilnehmenden geben keinen
gesundheitlichen Unterstützungsbedarf an.
Zur Beurteilung der Stichprobe sind abschließend drei weitere Strukturmerkmale interessant:
Über welche Rekrutierungswege die Teilnehmenden nach eigenen Angaben auf die Befragung
aufmerksam wurden: Hier zeigt sich, dass Hinweise in den sozialen Medien 41 % der Antwortenden zur
Studienteilnahme bewogen haben. Für eine Online-Befragung hoch sind auch die Teilnahmen aufgrund
von Berichten in klassischen Medien (12 %) sowie persönlicher Hinweise zwischen lsbtiq* Personen
(23 %). Weitere Personen aus dem Umfeld der Teilnehmenden (9 %), lsbtiq* Newsletter (ebenfalls 9 %),
sowie Rundmails oder Hinweise der eigenen Hochschule (3 %) und Suchmaschineneinblendungen
(2 %) sind ebenfalls unter den diversen Rekrutierungswegen zu finden
Abbildung 4: Teilnahmewege der Befragten
Fragewortlaut: „Wie wurden Sie auf diese Befragung aufmerksam?“ N = 1.065
Wie „community-nah“ die Teilnehmenden sind. Das heißt, wie viele von ihnen in den lsbtiq* Vereinen und
Organisationen, die den Befragungs-Link maßgeblich gestreut haben, Mitglied oder Angebotsnutzer*in
sind: Mit 23 % (bzw. 247 Antwortenden) ist jede vierte bis fünfte teilnehmende Person Mitglied oder
Nutzer*in eines Angebots in einem Verein, einer Gruppe oder eines Zusammenschlusses, der sich für
Belange von lsbtiq* Personen in Sachsen einsetzt. Unter transgeschlechtlichen und nicht-binären
Teilnehmenden liegt dieser Anteil mit 35 % bzw. 34 % höher – aber rund zwei Drittel der Antwortenden
sind Nicht-Mitglied / keine Angebotsnutzer*innen. Weitere 606 lsbtiq* Teilnehmende (57 %) kennen
einen oder mehrere solcher Organisationen, sind selbst aber kein Mitglied und nutzen ebenso wenig
dortige Angebote. 182 Antwortende (17 %) kennen keinen entsprechenden Verein / Zusammenschluss.
Weitere 3 % sind sich nicht sicher.
Damit ist es gelungen, über die 23 % Mitglieder / Angebotsnutzer*innen von lsbtiq* Vereinen hinaus in
weiten Teilen auch nicht-organisierte lsbtiq* Personen in Sachsen mit der Befragung zu erreichen.
37
Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2021): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Schutzsuchende: Ergebnisse des
Ausländerzentralregisters, S. 30.

 
27
Und schließlich, mit welchen im Fragebogen verwendeten Begrifflichkeit die Teilnehmenden vertraut sind:
Hier ist ein sehr hohes Kenntnisniveau insbesondere für die Begriffe „trans*(geschlechtlich“), „asexuell“
und „queer“ zu sehen – mit über 96 % kennen fast alle Teilnehmenden diese Bedeutungen. Ebenfalls ist
nur rund jede*r Zehnte im Umgang mit den Begriffen „nicht-binär“, „polyamourös“ oder „pansexuell“
unsicher. Vergleichsweise unbekannter ist die Verwendung des Begriffs „inter*(geschlechtlich)“ – gut
jede*r Fünfte ist sich bei diesem Wort unsicher (15 %) oder kennt dieses nicht (3 %).
Begriff
Kenne ich
Bin mir nicht sicher
Kenne ich nicht
trans*(geschlechtlich)
99 %
1 %
0 %
asexuell
97 %
2 %
1 %
queer
96 %
3 %
1 %
nicht-binär
89 %
7 %
4 %
polyamourös
89 %
4 %
6 %
pansexuell
87 %
9 %
5 %
cisgeschlechtlich
86 %
6 %
8 %
inter*(geschlechtlich)
82 %
15 %
3 %
Abbildung 5: Bekanntheit unterschiedlicher Begrifflichkeiten in der Stichprobe
Fragewortlaut: „Menschen verwenden unterschiedliche Begriffe, wie wir in diesem Fragebogen auch. Nicht alle Begriffe
sind jeder Person bekannt. Können Sie uns sagen, welche dieser Begriffe Ihnen bekannt sind und Sie sich etwas
darunter vorstellen können oder mit welchen Begriffen Sie nichts anfangen können?“ N = 1.317 – 1.331
Dabei hängt die Bekanntheit der Begriffe zu einem Teil vom Alter der Befragten (über 40-Jährige kennen die
Begriffe seltener), von ihrer Nähe zu lsbtiq* Vereinen und ihrem Bildungsgrad ab. Zudem fällt auf, dass
cismännliche Antwortende viele der Begriffe seltener kennen (inklusive des Begriffs „cisgeschlechtlich“, den
71 % unter ihnen kennen). Die Antwortqualität im Fragebogen dürfte dadurch kaum beeinträchtigt sein. Es
wurde im allgemeinen Teil des Fragebogens bewusst auf die Verwendung ggf. weniger bekannter Begriffe
verzichtet. So wurde der Begriff „cisgeschlechtlich“ in keiner weiteren Frage verwendet. Des Weiteren sind
die Begriffe in der Regel für das Antwortverhalten derjenigen, die sie nicht kennen, irrelevant, wie am
Beispiel des am wenigsten bekannten Begriffs „inter*“ deutlich wird – für nicht-intergeschlechtliche Personen
ist dieser im Verlauf des Fragebogens nicht relevant.
3.2.3. Vorgehen in der Datenauswertung
Der Datensatz wurde nach Ende der Erhebungsphase aus der Online-Befragungssoftware exportiert.
Zunächst wurde die Datenqualität eingehend geprüft: Ein halbes Dutzend Antwortende mit offensichtlich
manipulierenden Angaben (lsbtiq* feindliche Äußerungen in den offenen Antworten, mehrfach ausreißende
geschlossene Antwortkombinationen) wurden aus dem Datensatz entfernt.
Zur Auswertung der quantitativen Daten wurde die bewährte Statistik-Software IBM SPSS genutzt. Alle
Fragen wurden deskriptiv sowie bivariat entlang der wichtigsten unabhängigen Variablen und
Merkmalsgruppen ausgewertet. In einigen Bereichen konnte eine darüberhinausgehende Analyse unter
Drittvariablenkontrolle detaillierte Zusammenhänge prüfen. Aufgrund von Restriktionen im Datenmaterial
(bestimmte Subgruppen-Fallzahlen) und dem zeitlichen Projektkontext konnte eine vertiefende multivariate
Analyse
38
nicht vorgenommen werden.
Vorgehen in der qualitativen Auswertung
Die systematische Analyse der offenen Fragen erfolgte anhand der Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse
nach Philipp Mayring
39
. Hierbei bildeten die Antworten auf die offenen Fragen des Fragebogens das
Datenmaterial. Jede offene Frage wurde zunächst als einzelne konkrete Forschungsfrage betrachtet und
analysiert – in einem späteren Schritt wurden auch Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen der
einzelnen Fragen analysiert. Qualitativ ausgewertet wurde der Teil der offenen Fragen, welcher inhaltlich
mehr als das Nennen einer offenen Kategorie betraf, wo also in Textform Erlebnisse, Situationen oder
Wünsche geschildert wurden.
Als konkrete Form der Inhaltsanalyse wurde die Strukturierende Inhaltsanalyse gewählt. Dabei wird zu jeder
Forschungsfrage, also zu jeder offenen Frage aus dem Fragebogen, ein Kodierleitfaden induktiv (aus dem
Material selbst heraus) erstellt. Zur Erstellung der Kodierleitfäden wurden im ersten Schritt die Antworten auf
38
Eine multivariate Analyse ist ein statistisches Verfahren, in dem mehr als zwei Variablen zusammen in Beziehung
gesetzt werden. Beispielsweise kann das Einkommen einer Person nicht nur von ihrem Alter bzw. Berufsjahren
abhängen, sondern auch von ihrem Ausbildungsniveau und der Arbeitsmarktsituation an ihrem Wohnort.
39
Mayring, Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken.

28
die jeweilige offene Frage offen kodiert und in Kategorien (= Cluster) eingeordnet. Das bedeutet, dass eine
erste Ordnung des Datenmaterials erfolgt, um in diesem Prozess der offenen Sichtung das Datenmaterial
sukzessive in Kategorien und Kodierungen zu unterteilen. Dabei wird mit fortschreitender Kategorienbildung
nicht jede einzelne offene Angabe kodiert, sondern nur Ankerbeispiele neuer Kategorien/Cluster. Mehrere
Kategorien können unter einer Dimension zusammengefasst werden.
Die Kategorien entstehen hier durch die von den Befragten selbst eingebrachten Themenbereiche,
Erfahrungen und Wünsche. Die Wahl dieses Vorgehens hat den Zweck, neue Themen und Inhalte zu
identifizieren, also aus dem Material selbst relevante Aspekte zu generieren, welche von den Forscher*innen
nicht im Vorhinein antizipiert, theoretisch hergeleitet oder in den standardisierten Teilen des Fragebogens
gezielt abgefragt werden konnten. Hierdurch erschließen die offenen Angaben die individuellen Lebenslagen
der Befragten in einer Weise, die diesen erlaubt, genau das zu thematisieren, was in ihrem persönlichen
Leben besonders bedeutsam, schwerwiegend und/oder erwähnenswert ist.
Abbildung 6: Auszug aus dem Kodiersystem der offenen Antworten zu Schulerfahrungen
Dimension
Ausprä-
gungen
(Kategorie)
Definierende
Komponenten
(Kodierungen)
Ankerbeispiele
Diskriminierung
durch
Mitschüler*innen
Allgemeine
negative
Äußerungen
(Abwertungen)
Mobbing
Beleidigungen
Dagegen sein
Allgemeine
abwertende
Kommentare
Auf Person gerichtete
verbale Angriffe
angenommene lsbtiq*
Zugehörigkeit
Mitschüler äußern sich mehrheitlich gegen
Homosexualität und Andersdenkende im
Allgemeinen
Abwertende Kommentare von Schülern
gegenüber Schwulen ist leider noch
normal
Mobbing/verbale Angriffe auf
homosexuellen Klassenkameraden
Mobbing (systematische verbale und
nonverbale Angriffe und Ausgrenzungen)
Ich wurde gemobbt in der schule wegen
meiner Sexualität. ich wurde stigmatisiert
als schwuler, ohne mich selbst schon so
weit zu sehen, dass ich klar wusste wer
ich bin.
Unsichtbarkeit
Nicht-
Thematisierung
Nicht geoutet sein
Nicht-Thematisierung
führt zu massiver
Unsicherheit,
psychischen
Konsequenzen
Unsichtbarkeit
führt zur
Unmöglichkeit,
Sichtbarkeit zu
erschaffen
Sich nicht outen
können
Ich war in meiner Schulzeit noch bei
niemanden geoutet. Alle, inklusive mir,
wussten dass ich anders bin irgendwie
und es war für mich eine sehr
anstrengende, unangenehme und
unsichere Zeit, weil ich alles hinterfragt
habe. An dieser Stelle hätte ich gern
Unterstützung wie die Schulsozialarbeit
gewünscht.
Ich fühlte mich ausgeschlossen und
konnte nicht über meine Gefühle
sprechen. Ich musste eine Klasse
wiederholen, da ich über 6 Monate in der
Psychiatrie war. Ich war völlig
orientierungslos und überfordert in dieser
Zeit. Ich hatte sehr große Angst, keiner hat
mich verstanden.
Man kam einfach nicht vor.
Bspw. keine Aufklärung zu nicht-
heterosexuellen Orientierungen. Daher
keine Modelle und nur das Gefühl, dass
irgendwas mit mir nicht "stimmt".
Während meiner Schulzeit war es
unmöglich, sich zu outen. Da gab es
niemanden, der offen schwul oder lesbisch
aufgetreten ist.

 
29
Alle so festgestellten Kategorien werden anhand des kodierten Materials ausformuliert und in den jeweiligen
Berichtskapiteln ausgeführt.
Damit ist je Themenbereich eine systematische Abdeckung der qualitativen Angaben gewährleistet. Zur
besseren Nachvollziehbarkeit werden die Kategorien jeweils mit ein bis zwei Ankerzitaten veranschaulicht.
3.3. Qualitative Expert*innen-Interviews
In einer Reihe von 16 Expert*innen-Interviews sollten die Einschätzungen von Fachkräften zum Umgang mit
sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität in ihrem Tätigkeitsfeld eingeholt werden. Insbesondere
ihre Bewertung des Ist-Stands sowie die aus ihrer Sicht angeratenen Handlungsbedarfe waren
Schwerpunkte dieser Interviews. Diese konnten sich beispielsweise auf Kategorien wie Aus- und
Weiterbildung, Wissen – Einstellungen – Verhalten, Umsetzung und Weiterentwicklung gesetzlicher
Regelungen sowie Empfehlungen für die Praxis oder den spezifischen Umgang mit einzelnen Zielgruppen
(bspw. Bedarfe trans- oder intergeschlechtlicher Personen) beziehen.
Auswahl der Interview-Personen
Um hier verlässliche Einschätzungen zu erhalten, ist die Auswahl der Expertise-Personen entscheidend. Bei
der Auswahl der Expert*innen und Fachkräfte wurde darauf geachtet, dass diese für ihren jeweiligen
beruflichen bzw. fachlichen Bereich in mindestens zweierlei Hinsicht auskunftsfähig sind:
Erstens sollen sie aufgrund ihrer Position, beispielsweise in einem Landesverband, in einem
überregionalen Arbeitskreis, einer beruflichen Selbstvertretungsorganisation, in einem überregionalen
Träger oder in einer leitenden Funktion in großen Dienststellen einen guten Überblick über ihr
Fachgebiet und vor allem die dort tätigen Fachkräfte bzw. Kolleg*innen sowie Ratsuchenden bzw.
Zielgruppen haben.
Zweitens sollen sie selbst Erfahrung als Fachkraft haben oder aktuell in der Praxis tätig sein.
Die interviewte Person kann drittens, muss aber nicht, Expert*in im Umgang mit sexueller oder
geschlechtlicher Vielfalt in ihrem Sektor sein.
Bei der Auswahl der Organisationen und Interviewpersonen innerhalb der Bereiche und entlang der
genannten Auswahlkriterien wurde, bei Vorliegen mehrerer vergleichbarer Interview-Kandidat*innen, eine
zufällige Ziehung vorgenommen oder, wie bei Expert*innen-Interviews üblich, auf die Empfehlung weiterer
Expert*innen zurückgegriffen.
Insgesamt wurden im Zeitraum November 2021 bis Februar 2022 folgende sechzehn Expert*innen-
Interviews realisiert:
Handlungsbereich
Anzahl Interviews je Fachgebiet
Justiz
1 Interview Strafverfolgung
1 Interview Strafvollzug
Polizei
1 Interview Polizeidienst
Pflege und Alter
1 Interview großer Pflegeträger
kommunale Ämter
1 Interview Stadtverwaltung
Kinder, Jugend, Familie
2 Interviews Kita- Fachberater*innen großer
Träger
1 Interview Kinderwunschberatung
1 Interview Schulsozialarbeit
Schule
1 Interview Lehrer*innenvertretung
1 Interview Schüler*innenvertretung
1 Interview Fachstelle lsbtiq* Schulprojekte
Gesundheit
1 Interview praktizierende*r Ärzt*in
Flucht
1 Interview Fachberatung für Geflüchtete
Lsbtiq* Fachverbände
2 Doppel-Interviews
Abbildung 7: Übersicht über die Verteilung der geführten Expert*innen-Interviews

 
30
Eine genauere Beschreibung des qualitativen Stichprobenplans über die in Kapitel 10 näher beschriebenen
Merkmale hinaus kann aus Gründen der Anonymität der zu Interviewenden nicht vorgenommen werden.
Durchführung und Auswertung der Interviews
Die Interviews wurden als halbstrukturierte Leitfaden-gestützte Interviews mit Expert*innen und Fachkräften
aus den genannten Bereichen durchgeführt. Die gewählte Methode hat den Vorteil, mithilfe von thematisch
leicht variierenden, aber weitgehend anhand der Forschungsfragen strukturierten Interviewleitfäden auf die
Spezifika des jeweiligen Expert*innen-Umfelds bzw. Tätigkeitsbereichs individuell einzugehen.
Die identifizierten Expert*innen wurden individuell kontaktiert. Bei 20 Kontaktaufnahmen gab es lediglich vier
Ablehnungen oder ausbleibende Antworten. Die sechzehn geführten Interviews hatten eine Länge von 45
bis 120 Minuten. Sie wurden durch das qualifizierte Forschungsteam selbst telefonisch und auf Wunsch der
zu Interviewenden auch digital durchgeführt. Ein Interview wurde aus Termingründen schriftlich
durchgeführt.
Alle interviewten Personen nahmen freiwillig an den Interviews teil und wurden dazu nicht, beispielsweise
von ihren Dienstvorgesetzten oder übergeordneten Behörden, verpflichtet. Allen Interviewten wurde
Anonymität zugesichert, sofern diese als Expertenpersonen nicht selbst darauf verzichten wollten. Die
Interviews werden aus Gründen der Vertraulichkeit gegenüber den Interviewpartner*innen nicht auf Band
mitgeschnitten und nicht wörtlich transkribiert, sondern in handschriftlichen Notizen während der
Interviewzeit festgehalten.
Diese Mitschriften bilden die Grundlage für eine vergleichende, hermeneutische Auswertung durch jeweils
mindestens zwei qualifizierte Teammitglieder, eine*r davon stets der*die Interviewer*in. Bei der Auswertung
wurden die Antworten auf die Leitfragen zunächst getrennt je Handlungs- / Berufsfeld analysiert (siehe
Kapitel 10.1 bis 10.12 für die Ergebnisse), bevor in einem zweiten Schritt übergreifende Muster
herausgearbeitet wurden (siehe Kapitel 10). In einem abschließenden Schritt wurden die Ergebnisse dieser
Fach- und Expert*innen-Interviews mit den Ergebnissen der Online-Befragung von lsbtiq* Personen und
ihren Angehörigen sowie den Ergebnissen der Fokusgruppendiskussionen verglichen.
3.4. Vertiefende Fokusgruppendiskussionen
In drei Fokusgruppendiskussionen sollten Lebenslagen und Bedarfe spezifischer Teilzielgruppen vertiefend
erhoben und analysiert werden: erstens von transgeschlechtlichen und nicht-binären Personen in Sachsen;
zweitens von Angehörigen von lsbtiq* Personen in Sachsen; und drittens von intergeschlechtlichen
Personen in Sachsen.
Zur Rekrutierung der Teilnehmenden wurden ab Oktober 2021 Aufrufe über die vier größten lsbtiq* Vereine
Sachsens gestartet. Ein zweiter finaler Reminder erfolgte am 17.01.2022 mit der Nennung der konkreten
Termine für die Fokusgruppendiskussionen. Aufgrund dieses Rekrutierungsweges waren alle
Teilnehmenden der Diskussionsrunden Angebotsnutzer*innen der Vereine, so dass community-ferne
Perspektiven in diesem Teil der Studie nicht eingeholt werden konnten. Regional unterschiedliche Eindrücke
konnten dadurch erhoben werden, dass die Fokusgruppendiskussionen – auch pandemiebedingt – online
über ein Videokonferenz-Tool durchgeführt wurden. Sie wurden von jeweils zwei unterschiedlichen
Moderator*innen-Teams geleitet und durch drei Forscher*innen hermeneutisch ausgewertet.
Merkmale der Fokusgruppen
Fokusgruppe 1: transgeschlechtliche und/oder nicht-binäre Personen in Sachsen. An dieser
Diskussionsrunde am 29.01.2022 nahmen sechs Teilnehmende aus drei unterschiedlichen
Alterskohorten teil; darunter drei Teilnehmende, die weitgehend in der DDR sozialisiert wurden. Die
Teilnehmenden waren regional über zwei Großstädte und eine mittelgroße Stadt verteilt, wobei zwei
Personen Erfahrungen aus dem ländlichen Raum berichteten, eine aus einem kirchlich geprägten
Umfeld. Teilgenommen haben zwei transweibliche Personen bzw. transgeschlechtliche Frauen, zwei
transmännliche Personen und (mindestens) zwei nicht-binäre Personen, wobei die Abgrenzung
zwischen diesen Kategorien nicht immer eindeutig war. Damit zeichnet sich die Gruppe insgesamt durch
eine hohe Vielfalt an Lebenslagen aus. Die Diskussionsdauer betrug 135 Minuten.

31
Fokusgruppe 2: Angehörige von lsbtiq* Personen in Sachsen. Zu dieser Gruppe eingeladen waren
Angehörige aller lsbtiq* Teilgruppen und Verwandtschafts- sowie Zugehörigkeitsgrade. Tatsächlich
teilgenommen haben zwei Personen, die jeweils Eltern von transgeschlechtlichen Kindern in Sachsen
sind. Ihre Erfahrungen konnten in der Diskussionsrunde entsprechend sehr ausführlich vertieft werden.
Damit sind die Erfahrungen für Eltern von transgeschlechtlichen Kindern hier angemessen erhoben.
Über andere Familienbeziehungen zu weiteren lsbtiq* Teilgruppen können die Fokusgruppen hingegen
keine Auskunft geben.
Die beiden teilnehmenden Familien wohnen an unterschiedlichen Orten Sachsens. In einem Fall hat ein
Vater über seine transgeschlechtliche Tochter Auskunft gegeben, die sich (nach eigenen Worten „erst
spät“) in der Gymnasialzeit outete. Im anderen Fall berichtet eine teilnehmende Mutter von ihrer
transgeschlechtlichen Tochter, mit der sie Erfahrungen von der Kindertagesbetreuung bis zur Schule in
die Gruppendiskussion einbringen konnte. Die Diskussionsrunde dauerte 75 Minuten.
Eine dritte, ursprünglich geplante Fokusgruppe mit intergeschlechtlichen Personen in Sachsen ist nicht
zustande gekommen. Trotz mehrfacher Aufrufe haben sich nicht ausreichend Teilnehmende gemeldet.
Hier war die Ansprache gegebenenfalls nicht ausreichend bedarfsgerecht. Zukünftig sollten
Forscher*innen auf noch gezieltere Ansprachen und gegebenenfalls andere Rekrutierungswege als
lsbtiq* Vereine zurückgreifen, da sich intergeschlechtliche Personen, so die Hinweise aus Expert*innen-
Interviews, oftmals nicht durch diese angesprochen fühlen (Forschungsdesiderat). Nach einem
letztmaligen Aufruf über die Mitglieder des Beirats zum LAP Vielfalt hat sich eine teilnahmebereite
intergeschlechtliche Person im Erhebungszeitraum gemeldet. Mit dieser wurden dann Mitte Februar statt
einer Fokusgruppe methodisch ein Einzelinterview mit einem Umfang von 60 Minuten geführt.

 
32
4. Vielfalt und Sichtbarkeit sexueller
Orientierungen, geschlechtlicher
Identitäten und Geschlechter sowie
Coming-out-Prozesse
Können Menschen in Sachsen ihre sexuelle Orientierung und ihre geschlechtliche Identität selbstbestimmt
und offen leben? Und welche sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten sind das?
Zunächst einmal antwortet eine Mehrheit aller lsbtiq* Befragten, dass ihren Mitmenschen ihre sexuelle
Orientierung und/oder geschlechtliche Identität bekannt seien – sei es, weil sie sie offen leben oder sie mit
ihren Mitmenschen darüber gesprochen haben: Knapp die Hälfte (48 %) der Antwortenden sagt, dass ein
Großteil ihres Umfelds davon weiß.
Vollständig geoutet lebt nach eigenen Angaben allerdings nur knapp jede vierte antwortende Person (24 %).
Demgegenüber steht ein weiteres knappes Viertel (24 %) von lsbtiq* Personen, die nur in einem engen Kreis
ihnen nahestehender Menschen offen leben (können). Vollständig ungeoutet leben 4 % der Antwortenden;
darunter 2 %, in deren Umfeld bereits Vermutungen über ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche
Identität angestellt wurden.
Zusammengenommen können also gut 28 % einen Teil ihrer Persönlichkeit vor anderen nicht offen zeigen.
40
Dies ist außerhalb der Großstädte besonders häufig der Fall: In Mittel- oder Kleinstädten sind 41 %
(weitgehend) ungeoutet, in städtischen Vororten 38 % und in Dörfern 37 %. Dagegen leben deutlich weniger
lsbtiq* Personen (23 %) in sächsischen Großstädten ungeoutet. Coming-out-Prozesse scheinen damit in
ländlicheren Räumen weiterhin schwerer.
Abbildung 8: Anteil nicht-geouteter lsbtiq* Befragter je Wohnortgröße
Fragewortlaut: „Ist Ihren Mitmenschen in der Regel Ihre sexuelle Orientierung bzw. Ihr(e) Geschlecht(liche Identität)
bekannt, weil Sie es ihnen gesagt haben oder diese offen leben?“ Abgebildete Antworten: Summe aus „Nein“, „Nein,
aber Menschen in meinem Umkreis haben bereits Vermutungen zu meiner sexuellen Orientierung bzw. Geschlecht(liche
Identität) geäußert“ und „Nein, nur einem (kleinen) Teil der mir nahestehenden Menschen ist das bekannt. Ich habe nur
mit diesen Menschen darüber gesprochen“. N = 1.268.
Außerdem zeigen die Befragungsdaten, dass Informationen und Unterstützung rund um das Coming-out in
vielen Lebensabschnitten, insbesondere aber erwartungsgemäß in jüngeren Lebensjahren, wichtig sind: So
40
Es ist als Stärke des gewählten methodischen Ansatzes der Online-Befragung zu sehen, dass insgesamt 360
teilweise oder gar nicht geoutete lsbtiq* Personen an dieser Studie anonym teilnehmen konnten und durch ihre
Teilnahme auch dem Forschungsteam und dem auftraggebenden Ministerium ihr Vertrauen entgegengebracht haben.
23%
38%
41%
37%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Großstadt
städtischer Vorort
Mittel- oder Kleinstadt
Dorf
Außerhalb der sächsischen Großstädte sind viele nicht geoutet
Anteil nicht-geouteter lsbtiq* Befragter

image
 
33
sind mit 38 % die meisten Personen in der Altersgruppe der 16- bis 17-Jährigen (noch) nicht geoutet. Unter
den 18- bis 27-Jährigen sind es 29 %. Unterhalb des Durchschnitts liegen die 28- bis 39-Jährigen (24 %
ungeoutet) sowie die 40- bis 55-Jährigen (23 % ungeoutet). In der Kohorte der über 55-Jährigen wiederum
sind vergleichsweise viele Befragte nicht geoutet – 34 % können oder wollen ihren Mitmenschen gegenüber
nicht offen leben. Coming-out-Beratungen und -hilfen sollten sich also auch an lsbtiq* Personen in höherem
Alter richten.
Die Gründe, die viele dieser Befragten von einem Coming-out abhalten, werden in Kapitel 4.5 detailliert
beleuchtet.
4.1. Vielfalt berichteter sexueller Orientierungen und
Coming-out von lesbischen, schwulen, bi- und
pansexuellen sowie queeren Personen
Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen ein differenziertes Bild der sexuellen Orientierungen im Freistaat
Sachsen auf: Von den über 1.300 lsbtiq* Antwortenden bezeichnet sich jede*r vierte Befragte (328
Personen, entspricht 25 % der Stichprobe) als schwul. Ein gutes weiteres Fünftel (278 Personen bzw. 21 %)
identifiziert sich als bisexuell. Mit 17 % bzw. 225 Antwortenden ist knapp jede sechste befragte Person
lesbisch. Weitere 190 Antwortende bezeichnen sich als pansexuell (14 %), beinahe genauso viele (13 %
bzw. 176 Personen) als queer. 64 Personen (5 %) möchten ihre sexuelle Orientierung nicht festlegen. Mit 45
Antwortenden (3 %) sind zudem Personen des asexuellen Spektrums vertreten. Und schließlich geben 11
(transgeschlechtliche) Personen (gerundet 1 %) an, heterosexuell zu sein.
Abbildung 9: Sexuelle Orientierungen der Befragten
Fragewortlaut: „Welche der folgenden Beschreibungen beschreibt am ehesten Ihre sexuelle Orientierung?“ N = 1.323.
Nicht abgebildet: „weiß nicht“.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Verteilungen aufgrund der selbstrekrutierenden Stichprobe nicht
repräsentativ für die Grundgesamtheit aller lsbtiq* Personen in Sachsen sein können. Sie geben allerdings
Hinweise auf die Vielfalt sexueller Orientierungen, so zum Beispiel auf die Bandbreite an nicht-
heterosexuellen und nicht-homosexuellen Orientierungen vor allem unter weiblich sozialisierten Personen
(siehe unten).
Insgesamt betrachtet fällt auf, dass sich lediglich ein Anteil von 43 % der Befragungsteilnehmenden zu nur
einem Geschlecht hingezogen fühlt.

34
Dagegen legen die weiteren genannten Selbstbezeichnungen als queer, pan- und bisexuell nahe, dass sich
48 % aller lsbtiq* Antwortenden sexuell bzw. romantisch nicht auf das eigene Geschlecht und wahrscheinlich
auf mindestens zwei Geschlechter beziehen.
Die Bandbreite sexueller Orientierungen ist unter weiblich sozialisierten Personen besonders hoch.
Unter allen nicht-heterosexuellen, weiblich sozialisierten Personen machen lesbische Personen gerade
einmal 27 % aus. Dieser vergleichsweise geringere Anteil lesbischer Personen lässt sich durch das folgende
interessante Muster erklären: Betrachtet man die Gruppe bisexueller, sowie die Gruppe pansexueller und
schließlich die Gruppe queerer Antwortender, so zeigt sich, dass diese jeweils zu einem sehr großen Teil
weiblich sozialisiert sind: Von 271 bisexuellen Personen wurde 195 als Geburtsgeschlecht
„weiblich“ zugewiesen (entspricht 72 % aller bisexuellen Personen), von 178 pansexuellen Personen 144
(81 %) und von 167 queeren Personen 141 (84 %). In der Analyse ist zu prüfen, ob sich die Erfahrungen
lesbischer mit denen queerer, pan- und bisexueller Personen mit weiblich zugewiesenem Geburtsgeschlecht
ähnlicher sind als die zwischen weiblichen* und männlichen* pansexuellen / queeren / bisexuellen Personen.
Sexuelle Orientierung je
Geburtsgeschlecht
Anzahl Befragter
anteilig
weiblich sozialisiert bisexuell
195
14,7 %
männlich sozialisiert bisexuell
76
5,7 %
weiblich sozialisiert pansexuell
144
10,9 %
männlich sozialisiert pansexuell
32
2,4 %
weiblich sozialisiert queer
141
10,7 %
männlich sozialisiert queer
25
1,9 %
Abbildung 10: Verteilung der sexuellen Orientierungen je Geburtsgeschlecht
Coming-out der sexuellen Orientierung
Beim Coming-out-Prozess zeigen sich einige Unterschiede zwischen lesbischen, schwulen, bi- und
pansexuellen sowie queeren Befragten: Zunächst unterscheidet sich das durchschnittliche Alter sowohl des
inneren, als auch des äußeren Coming-outs zwischen den Gruppen: Schwule Befragte berichten, dass sie
sich durchschnittlich
41
mit 14 Jahren ihrer eigenen sexuellen Orientierung
42
bewusst geworden sind. Mit 17
Jahren haben sie sich durchschnittlich das erste Mal gegenüber anderen geoutet. Bei lesbischen Befragten
liegen mit 15 Jahren das innere sowie mit 18 Jahren das äußere Coming-out durchschnittlich um ein Jahr
später. Bisexuelle Antwortende geben durchschnittlich an, ihr inneres Coming-out mit 15 Jahren und ihr
äußeres Coming-out mit 17 Jahren gehabt zu haben. Bei pansexuellen sowie queeren Antwortenden liegt
der Durchschnitt je um ein Jahr jünger. Hierbei fallen keine Unterschiede zwischen weiblich und männlich
sozialisierten bi-, pansexuellen und queeren Personen auf.
Zweitens ist der Anteil derer, die offen leben, unterschiedlich: 84 % der lesbischen Befragten sind nach
eigenen Angaben geoutet. Bei schwulen Befragten trifft dies auf 81 % zu. Dagegen sind nur 62 % der
bisexuellen Personen geoutet – unter männlich sozialisierten bisexuellen Personen sind es sogar nur 58 %.
Für diese Gruppe scheint es die häufigsten Herausforderungen zu geben, ihre sexuelle Orientierung sichtbar
zu leben. Mit etwas Abstand trifft dies auch auf pansexuelle Befragte (69 % geoutet) und queere Befragte
(76 % geoutet) zu.
Die am wenigsten sichtbare Gruppe bilden asexuelle Befragte: Hier leben nur 43 % (das sind 19 der 44
Antwortenden) offen.
Asexualität scheint damit die noch am weitesten tabuisierte sexuelle Orientierung zu sein. Die Hälfte der
nicht geouteten asexuellen Antworten sieht ihre Asexualität nach eigenen Angaben als Privatsache an.
41
Hier gemessen am Median, der als Maß robuster gegen statistische Ausreißer ist als das arithmetische Mittel.
42
An dieser Stelle war der Fragebogen nicht eindeutig formuliert: „Wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal mit Ihren
Mitmenschen über Ihre sexuelle Orientierung bzw. Ihr(e) Geschlecht(liche Identität) gesprochen haben bzw. diese zum
ersten Mal bekannt wurde?“ Methodisch lässt diese Formulierung in den Ergebnissen nicht unterscheiden, ob Befragte
ihre Antwort (Alter beim ersten Coming Out) hier auf ihre geschlechtliche Identität (und/)oder ihre sexuelle Orientierung
beziehen.

image
 
35
4.2. Berichtete geschlechtliche Identitäten und Coming-
out von transgeschlechtlichen, nicht-binären und
anders-geschlechtlichen Personen
Die vorliegende Befragung hat eine große Zahl an Personen im Freistaat Sachsen erreicht, die sich weder
(ausschließlich) dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen und/oder deren bei der Geburt
zugewiesenes Geschlecht von ihrer aktuellen geschlechtlichen Identität abweicht. Zunächst ein Überblick:
Als nicht-binär / non-binary / enby bezeichnen sich 203 Befragte. Von ihnen sind 79 % mit weiblich
zugewiesenem Geburtsgeschlecht; seltener identifizieren sich also männlich sozialisierte Personen als nicht-
binär.
Weitere 103 antwortende Personen identifizieren sich als „trans*“. Auch von ihnen ist eine deutliche Mehrheit
zunächst nach der Geburt weiblich sozialisiert worden – 78 % geben als zugewiesenes Geburtsgeschlecht
weiblich an, 22 % männlich. Zur Gruppe transgeschlechtlicher Personen hinzu kommen 21 Personen, die
sich als männlich identifizieren, aber ein weibliches Geburtsgeschlecht angeben; sowie 18 Personen, die
sich als weiblich identifizieren, aber ein männliches Geburtsgeschlecht angeben. Diese Personen wurden für
die weitere Analyse statistisch als transgeschlechtlich behandelt, um ihre Erfahrungen von den als
cisgeschlechtlich sozialisierten Personen unterscheiden zu können. Die Gruppe transgeschlechtlicher
Personen umfasst im Folgenden folglich 142 Antwortende.
34 Antwortende ordnen sich keiner Geschlechtsidentität zu, 17 Antwortende einer anderen als den
abgefragten (inkl. nicht-binären) Geschlechtsidentitäten. Weitere 15 Antwortende identifizieren sich als
divers. Die drei Personengruppen wurden zu quantifizierenden Analysezwecken zu einer Gruppe „anders-
geschlechtliche Personen“ zusammengefasst.
Zwei Antwortende identifizieren sich als intergeschlechtlich. Auf das Merkmal Geschlecht, insbesondere bei
intergeschlechtlichen Personen, geht Kapitel 4.4 genauer ein.
Abbildung 11: Geschlechtliche Identitäten der Befragten
Fragewortlaut: „Welche der folgenden Beschreibungen trifft für Ihr(e) Geschlecht(sidentität) am ehesten zu?“ In
Kombination mit: „Welches Geschlecht wurde Ihnen bei der Geburt zugeordnet?“ N = 1.303

 
36
Die antwortenden transgeschlechtlichen Personen berichten zu einem großen Teil, dass sie ihre Identität
offen in Sachsen leben.
Im Vergleich zu cisgeschlechtlichen lsbq* Personen bilden sie sogar die Gruppe, in der die meisten
Befragten geoutet sind: Mit 77 % der transgeschlechtlichen Antwortenden leben etwas mehr von ihnen offen,
als es cisweibliche lbq* Personen (71 % geoutet) und cismännliche sbq* Personen (75 %) tun. Nicht-binäre
(69 % geoutet) und anders-geschlechtliche Befragte (65 % geoutet) bilden hingegen die Gruppe, in der am
wenigsten Personen offen leben (können).
Wie bereits in anderen Studien (siehe Forschungsstand), zeigt sich auch für transgeschlechtliche Personen
in Sachsen, dass ihr Coming-out-Prozess anders und durchschnittlich deutlich früher im Leben stattfindet,
als es bei Coming-out-Prozessen der sexuellen Orientierungen der Fall ist: Mit durchschnittlich 13 Jahren
wird ihnen ihre geschlechtliche Identität bewusst (inneres Coming-out), mit durchschnittlich 15 Jahren outen
sie sich gegenüber ihren Mitmenschen – zumindest wenn sie das überhaupt können. Denn die Zahlen
spiegeln explizit nur das Durchschnittsalter derjenigen wider, die geoutet sind. Auch bedeutet
„durchschnittlich“, dass rund die Hälfte der transgeschlechtlichen Befragten sich mit über 15 Jahren outet,
ein guter Teil davon in ihren zwanziger Lebensjahren, während andere erst mit Mitte 35 bis 50 oder 70
Jahren offen leben.
Ähnlich ist dies bei nicht-binären Antwortenden mit 14 (inneres) und 15 Jahren (äußeres) Coming-out.
Demgegenüber outen sich sbq* cismännliche Personen mit 17 und lbq* cisweibliche Personen mit
durchschnittlich 18 Jahren gegenüber ihren Mitmenschen um zwei bis drei Lebensjahre später.
Dies kann auch Konsequenzen für staatliches Handeln haben, wenn mit dem früheren Coming-out nicht nur,
aber besonders die Themen der Transgeschlechtlichkeit und Nicht-Binarität stärker in eine schulische
Lebensphase fallen und in jüngeren Schuljahrgangsstufen (Unter- und Mittelstufe) sichtbar werden.
Informationsangebote haben sich (entsprechend sprachlich niedrigschwelliger) an diese Altersgruppe und
ihre Eltern zu richten.
4.3. Intersektionale Betrachtung sexueller Orientierung
plus geschlechtlicher Identität
Auch wenn sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität in den vorangegangenen Abschnitten separat
betrachtet wurden, so sind sie zwei Merkmale einer jeden Person
43
. Selbstverständlich auch bei den
Teilnehmenden dieser Befragung:
79 % der cismännlichen Antwortenden bezeichnen ihre sexuelle Orientierung als schwul, 15 % als bisexuell,
jeweils 2 % als queer oder pansexuell, 1 % als asexuell und ein weiteres Prozent möchte sich nicht
festlegen.
43
Auf das dritte Merkmal, das biologische Geschlecht, wird im folgenden Unterkapitel insbesondere bezüglich
Intergeschlechtlichkeit genauer eingegangen.

image
37
Abbildung 12: Sexuelle Orientierung der Befragten je Geschlechtsidentität
N = 1.278
Unter allen cisweiblichen Antwortenden sind 36 % lesbisch, 31 % bi- und 17 % pansexuell, 8 % queer, 2 %
asexuell und 6 % möchten ihre sexuelle Orientierung nicht festlegen.
Unter allen transgeschlechtlichen Antwortenden sind 22 % bi- und 18 % pansexuell, 21 % queer, je 10 %
schwul oder lesbisch, 6 % heterosexuell, 5 % asexuell und 7 % möchten ihre sexuelle Orientierung nicht
festlegen. Demgegenüber bezeichnet eine relative Mehrheit aller nicht-binären Antwortenden ihre sexuelle
Orientierung als queer (37 %), 25 % als pan- und 21 % als bisexuell, 10 % als lesbisch, ebenso 10 % als
asexuell, nur 2 % als schwul und weitere 4 % möchten sich nicht festlegen. Diese Verteilungen sind bei
anders-geschlechtlichen Personen ähnlich. Von den zwei teilnehmenden intergeschlechtlichen Personen
bezeichnet eine Person die eigene sexuelle Orientierung als queer, die andere als asexuell.
Knapp jede*r dritte Teilnehmende hat ein erhöhtes Risiko für Mehrfachdiskriminierung aufgrund der
sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität: Sowohl von der cisgeschlechtlichen als auch der
heterosexuellen Norm weichen 390 der 1.280 Antwortenden ab. Darüber hinaus haben weiblich (gelesene)
Personen ein zusätzliches sexistisches Diskriminierungsrisiko (siehe Kapitel 5.6).
Im Rahmen einer weitgehend standardisierten Befragung ist es abhängig von den Fallzahlen jedoch
schwierig, intersektionale Analysen durchzuführen, die die beiden Merkmale sexuelle Orientierung und
geschlechtliche Identität je befragter Person gleichzeitig betrachtet. Dort, wo es die Fallzahlen der
spezifischen Teilgruppen zulassen, wird eine solche Differenzierung vorgenommen – an allen anderen
Stellen werden sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität getrennt analysiert werden, wissend, dass
dies einen Teil der Lebensrealitäten nicht gut abdecken kann. Intersektionale Erfahrungen und
Mehrfachdiskriminierung werden in den qualitativen Studienelementen (offene Antworten der Online-
Befragung, Fokusgruppendiskussionen, Expert*innen-Interviews) eingehender betrachtet. Kapitel 5 befasst
sich zudem mit weiteren Personenmerkmalen wie lsbtiq* Personen mit Migrationserfahrungen, lsbtiq*
Personen und Religion sowie lsbtiq* Personen mit Beeinträchtigungen.

 
38
4.4. Intergeschlechtliche Personen in Sachsen
Neben einem vertiefenden Interview mit einer intergeschlechtlichen Person konnten mit dem Online-
Fragebogen lediglich drei weitere intergeschlechtliche Personen erreicht werden. Dieses Kapitel stützt sich
also auf die berichteten Lebenssituationen, Erfahrungen und Wünsche dieser vier Personen. Es ist damit
nicht repräsentativ für die Lebenslagen intergeschlechtlicher Sächs*innen. Jedoch kann es auch anhand von
vier Erfahrungsberichten auf Problemlagen intergeschlechtlicher Personen in Sachsen hinweisen.
Dass sich intergeschlechtliche Personen oftmals nicht als Teil von „LSBTIQ*“ sehen und sich nicht
angesprochen fühlen, wie die interviewte Person berichtet, bildet sich auch in dieser geringen Anzahl
erreichter Personen ab. Weitere intergeschlechtliche Personen wären vermutlich durch eine expliziter (auch)
auf diese Gruppe gerichtete Studie zu erreichen. Die drei im Fragebogen Antwortenden geben weitere
lsbtiq* Zugehörigkeiten (siehe unten) an und fühlen sich eventuell dementsprechend auch mehr vom
„lsbtiq*“ Begriff angesprochen als andere intergeschlechtliche Personen. Auch der* Interviewte sagt: „Mein
selbst gewähltes Umfeld ist explizit queer. Bei vielen Inter* sieht das anders aus.“
Von den drei im Fragebogen Antwortenden gibt eine*r neben dem Geschlecht inter* die Geschlechtsidentität
nicht-binär an. Zwei Antwortende sind pansexuell, die nicht-binäre Person beschreibt ihre sexuelle
Orientierung als „polysexuell/queer/pan/bi“. Eine*r der pansexuellen Befragten schreibt: „Ich bin Inter*, werde
meist eher männlich gelesen - früher wurde ich aber lange eher als weiblich gelesen - darum bin ich im
Grunde auch transitioniert.“ Zwei Personen wurde bei der Geburt das Geschlecht weiblich zugewiesen, die
dritte Person ließ die Frage offen. Die interviewte Person gibt an, bei Geburt einen weiblichen
Personenstand zugewiesen bekommen zu haben, den die Person nun auf divers hat ändern lassen. Er*
bezeichnet sich als „inter*trans Mann“.
Eine*r der drei intergeschlechtlichen Befragten gibt einen Migrationshintergrund an. Diese und eine weitere
Person geben einen besonderen Unterstützungsbedarf aufgrund einer Beeinträchtigung an.
Bewusstwerden der Intergeschlechtlichkeit und äußeres Coming-out
Überwiegend geoutet sind alle drei im Fragebogen Befragten, es bleibt jedoch unklar, ob sich dies auf
Geschlecht, Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung bezieht. Berichtete Herausforderungen des*
Interviewten im Zusammenhang mit einem offenen Umgang mit der Intergeschlechtlichkeit überschneiden
sich weitgehend mit den Berichten von lsbtq* Personen: „Für engere (oft queere) Freundschaften ist es
schon wichtig, mich komplett zu kennen, wie ich bin. Auch dass ich keine Sachen aus meiner Vergangenheit
verschweigen muss. (…) In Arbeitskontexten ist es unterschiedlich gewesen, bei Einzelnen (…) bin ich
schon etwas offener, aber grundsätzlich fühle ich mich nicht sicher genug. Es ist anstrengend, eine
komische Rolle, dass andere verunsichert davon sind. Oder halt das Gegenteil, dass sie ganz viel wissen
wollen, ich als zweiten Job dann Aufklärung leisten muss, daher vermeide ich das tendenziell gerade
eher.“ Besonders die Aspekte, sich nicht sicher zu fühlen, dass andere verunsichert sind, sowie viele Fragen
gestellt zu bekommen und Aufklärungsarbeit (Kategorie „Auskunftspflicht“) leisten zu müssen, finden sich in
vielen Berichten anderer lsbtq* Personen wieder. Jedoch hat sich auch gezeigt, dass sich diese Aspekte
verstärken, je weniger eine Geschlechtsidentität, ein Geschlecht oder eine sexuelle Orientierung im
Allgemeinwissen angekommen sind (siehe Kapitel 4.5).
Dabei berichtet der* Interviewte, dass keinerlei Vorbilder intergeschlechtlicher Menschen in Sachsen
öffentlich sichtbar sind. Das erste Mal, dass er* von dem Begriff gehört und damit eine Identität verknüpfen
konnte, ist in dem argentinischen Film „XXY“ sowie der öffentlichen Debatte um die südafrikanische
Leichtathletin Caster Semenya gewesen.
Möglichkeit, im eigenen Geschlecht zu leben
Auf die Frage, ob sie die gleichen Chancen wie andere Sächs*innen auch hätten, in ihrem Geschlecht zu
leben, geben die drei im Fragebogen Befragten an, eher nicht zustimmen zu können. Eine Person berichtet
zu generellen Lebenschancen: „Weil es für mich viel Kraft und Energie gekostet hat, zu mir als Inter* stehen
zu können. Diese Energie war für andere Dinge nicht da - weil viele Behörden immer noch davon ausgehen,
dass es nur zwei Geschlechter gibt.“ Zwar gibt es offizielle Angaben zum Prozentsatz, wie viele Menschen
intergeschlechtlich sind, der folgende Bericht gibt aber Hinweise auf eine nicht feststellbare Zahl nicht
statistisch erfasster intergeschlechtlicher Personen. Der* Interviewte berichtet, im Alter von 16 oder 17
Jahren von der eigenen Intergeschlechtlichkeit erfahren zu haben: „Leider wie so oft ist nicht direkt der inter
Begriff gefallen. Es ist aufgefallen, dass/weil ich nicht so in die Pubertät gekommen bin. Dann habe ich
Hormone verschrieben bekommen. Meine Eltern haben das auch dann mit erfahren. Es hat noch 2-3 Jahre
gedauert, bis ein vollständiges Bild da war (…). Die Medizin vermeidet ja auch gerne den inter Begriff,
spricht eher von einzelnen Syndromen…“

39
„…Einige Inter*, auch mit ähnlichem Körper wie meinem, würden sich nicht so bezeichnen. […] Weil Inter*
als Begriff noch sehr unbekannt ist. […] Viele in der Medizin wollen Zweigeschlechtlichkeit aufrechterhalten.
Eine positive Identität als Inter* wird dadurch schwierig.“
Der* Interviewte machte im Gesundheitsbereich auch die Erfahrung, zunächst unpassende Hormone
verschrieben bekommen zu haben. „Als ich das erste Mal Hormone bekam, hätte man durch vertiefende
Gespräche merken können, dass andere Hormone (die ich jetzt bekomme) für mich passender gewesen
wären. Nur weil der Körper aus medizinischer Sicht näher an einem weiblichen Körper gewesen ist, sollten
nicht automatisch weibliche Hormone (verschrieben werden).“ Der* Interviewte betont, dass auch über die
Möglichkeit, medizinisch „nichts zu tun“ aufgeklärt werden muss. Auch sollten Ärzt*innen nach der
Geschlechtsidentität der intergeschlechtlichen Person fragen, statt wie in seinem* Fall eine eher weibliche
Identität anzunehmen.
Lebenszufriedenheit und gleiche Chancen in Sachsen
Zwei der Befragten sind mit ihrer Lebenssituation eher unzufrieden und können auch nicht so leben, wie sie
möchten. Entsprechend haben diese auch bei der Abfrage von 18 Bereichen (ob sie sich hier repräsentiert
sehen, oder ob sie die gleichen Chancen sehen) überwiegend eher nicht bzw. überhaupt nicht zustimmen
können. Eine Person ist insgesamt eher zufrieden mit der eigenen Lebenssituation, kann eher so leben, wie
er*sie möchte, und gibt in den 18 abgefragten Bereichen auch zehn Mal an, gleiche Chancen im Leben zu
sehen. Auffällig in diesem Antwortmuster ist, dass
alle drei Antwortenden mindestens eher gleiche Chancen sehen, eine Wohnung zu finden und den
Bildungsweg ihrer Wahl zu gehen;
dass andererseits alle drei sich nicht in Büchern für Kita und Schule repräsentiert sehen, genauso wenig,
wie sie sich in der Politik in Sachsen abgebildet sehen. Auch sehen sie ihre Lebenssituation, ihr
Lebensmodell (eher) nicht in der Öffentlichkeit und der Gesellschaft in Sachsen abgebildet. Ebenfalls
keine*r der drei sieht gleiche Chancen wie andere Menschen in Sachsen, angemessene Informationen
über ihre Möglichkeiten und rechtliche Situation zu erhalten.
Der* Interviewte berichtet: „Wenn ich ehrlich zu mir bin, dann muss ich sagen, dass (die
Lebensgestaltung) nicht komplett frei ist. Ein Arbeitskollege zieht mit seiner Partnerin aufs Land, das
wäre auch schön landschaftlich, aber das kann ich nicht machen. Oder manche Arbeitsbereiche, da
kann ich nicht arbeiten.“ Wohnorte und Arbeitsmöglichkeiten sind faktisch eingeschränkt. Zwei der im
Fragebogen Befragten berichten außerdem, dass sie ihren Lebensentwurf nicht so umsetzen können,
wie sie möchten. Eine Person führt dies auf Diskriminierung und rechtsradikale Denkmuster zurück, die
auch durch die AfD im Sächsischen Landtag verbreitet würden. „Die Gefahr, hier Gewalt zu erfahren, ist
meines Erachtens weit höher als in anderen Bundesländern.“ In einem weiteren Fall ist die
Beschränkung der Wahl des Wohnorts ebenso ein benanntes Hindernis: „Ich würde gerne eher in der
Natur als in der Stadt wohnen, (…) aber da habe ich eher negative Erfahrungen als queere Person
gemacht - darum wohne ich weiter in der Stadt.“
Die dritte Person gibt an, ihren Lebensentwurf eher umsetzen zu können, unter anderem weil „Familie
und Freunde (…) mich sehr gut (unterstützen). Auf die Meinung anderer, hinsichtlich meiner sexuellen
Orientierung, gebe ich nicht viel.“ Der* Interviewte benennt positiv, „sich in [Stadt] schon ein gutes
Umfeld aufgebaut zu haben. Das tut gut“, ergänzt aber auch Einschränkungen. „In den letzten Jahren
war nicht immer alles einfach. Das hat auch nicht nur mit Inter-Sein zu tun. Auch mit Queerness und
Sicherheit. Vielleicht können andere Inter* das besser ausblenden, aber mir macht der Rechtsruck
Angst.“
Erfahrungen mit Übergriffen, mit Polizei und Justiz
Beide intergeschlechtlichen Personen, die im Fragebogen angeben, eher unzufrieden zu sein, haben in den
vergangenen fünf Jahren auch Übergriffe erlebt, aber sich diesbezüglich nicht an die Polizei oder die Justiz
gewandt. Bei den genannten Hinderungsgründen ist bemerkenswert, dass diese allesamt mit dem
antizipierten Verhalten der Polizei und Justiz zusammenhängen: Während beide Personen den Vorfall/die
Vorfälle als strafrechtlich relevant anerkennen, geben beide gleichermaßen die folgenden Hindernisse an:
erstens, von Polizei und Justiz weitere Diskriminierung zu befürchten;
zweitens, keine geeignete Ansprechperson gekannt t zu haben;
drittens die Befürchtung, mit ihrem Fall nicht ernst genommen zu werden, sowie
viertens, dass mit wenig Kompetenz bezüglich sexueller Orientierung, Intergeschlechtlichkeit und
geschlechtlicher Identität gerechnet wurde.

 
40
In diesem Zusammenhang befürchteten sie einen hohen Aufwand mit wenig Nutzen. Die dritte Person hat
keine Übergriffe erlebt.
Erfahrungen in verschiedenen Lebensbereichen
Alle drei im Fragebogen Antwortenden haben überwiegend positive Erfahrungen im Freund*innenkreis
gemacht. Entsprechend werden diese als eindrücklichste Erfahrungen geschildert. Zwei haben überwiegend
positive, einmal eher positive Erfahrungen in der Familie, und auch im Freizeitbereich geben alle
überwiegend positive Erfahrungen an.
Demgegenüber waren die Erfahrungen in der Öffentlichkeit für alle drei eher negativ. In den anderen
abgefragten Bereichen gab es ein gemischtes Bild oder es gab keinen Kontakt. Bei Ämtern sowie im
Gesundheitsbereich waren die Erfahrungen für zwei intergeschlechtliche Befragte überwiegend negativ.
Sie geben an, dass ihr Geschlecht bzw. ihre Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung von
medizinischem Personal als Störung bezeichnet wurde, dass das medizinische Personal verunsichert war,
und dass sie nicht in ihrem Geschlecht angesprochen wurden.
Gefragt nach den eigenen Erfahrungen mit Ämtern und Behörden berichtet die interviewte Person davon,
dass sie sich bei der Personenstandsänderung nicht respektvoll behandelt gefühlt habe. Obwohl der Eintrag
nun auch offiziell „divers“ lautet, werde die Person mit einer männlichen Anrede adressiert.
Handlungsbedarfe
Eine intergeschlechtliche Person wünscht sich „mehr Akzeptanz und Aufklärung. Mehr Unterstützung von
Vereinen, die sich für uns einsetzen.“ Entsprechend geben alle drei im Fragebogen Antwortenden an, wenig
Zugang zu spezifischen Informationen zu haben. Auch der* Interviewte berichtet, dass er* zwar „auch zu
queeren Vereinen gegangen“, und dass „auch wenn das Thema dort noch nicht so präsent war“ es sich gut
anfühlte, dass hier „Leute mit Geschlechtlichkeit lockerer umgehen.“ Jedoch, auch bei diesen Vereinen gab
es „nicht viel Wissen zu inter.“ Während schon berichtet wurde, dass der medizinische Bereich wenig
Aufklärung böte und nicht auf Intergeschlechtlichkeit eingestellt sei, sieht auch eine weitere befragte Person
besonderen Bedarf hinsichtlich Veränderungen „im medizinischen Bereich - vor allem für Menschen, die wie
ich Inter* sind.“ Alle drei im Fragebogen Antwortenden finden, dass die sächsische Politik zu wenig für
intergeschlechtliche Personen tut.
4.5. Hinderungsgründe gegen Coming-outs
Was spricht dagegen, die eigene sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität in Sachsen ganz
selbstverständlich zu leben – wenn sie nicht heterosexuell oder cisgeschlechtlich ausfällt? Als
Hinderungsgründe gegen ein Coming-out wählten die nicht-geouteten Befragten zu jeweils ca. einem Drittel
eine der folgenden drei vorgegebenen Antwortoptionen:
36 % von ihnen sagen, dass ihre sexuelle Orientierung bzw. ihre geschlechtliche Identität ihre
Privatsache sei und sie diese nicht öffentlich leben möchten.
Beinahe ebenso viele (31 %) nicht-geoutete Befragte befürchten negative Reaktionen ihnen gegenüber,
beispielsweise den Verlust des Arbeitsplatzes.
Und weitere 34 % der Antwortenden befürchten, dass ihnen nahestehende Menschen aufgrund ihrer
sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität negative Reaktionen erfahren würden – und outen
sich deswegen nicht.
Hierbei ist allerdings anzumerken, dass nur eine der drei Antwortoptionen wählbar war, und die
Prozentwerte bei möglicher Mehrfachauswahl vermutlich wesentlich höher liegen würden. Dies legen die
offenen Antworten vieler Befragter nahe, in denen vielfach mehrere dieser Gründe ebenso wie Kritik an der
eingeschränkten Auswahlmöglichkeit genannt wurden. In der qualitativen Analyse der offenen Antworten
zeigt sich, inwieweit allen drei Angaben auch ähnliche Mechanismen zugrunde liegen. Es wird sichtbar, dass
es vielfach als kleineres Übel in Kauf genommen wird, nicht geoutet zu sein, im Verhältnis zu den
Konsequenzen des wiederholten sich-outen-Müssens. Zugleich wird deutlich, wie viel Unzufriedenheit dies
auslöst, und wie komplex sich die (stets) allgegenwärtige Entscheidung für oder gegen das Coming-out
darstellt.

41
Zu Beginn der Analyse wurden alle 84 offenen Antworten als Analyseeinheit kodiert und kategorisiert. Die
gefundenen Strukturen wurden danach systematisch verschriftlicht und interpretiert. Als die vier
feststellbaren Dimensionen der Begründungen, warum die Befragten (überwiegend) nicht geoutet sind,
ergaben sich
a) die
Vermeidung von Reaktionen
,
b) Begründungen rund um die Dimension
Relevanz
,
c) Aussagen, die zur Dimension „
Privatsphäre“
zugeordnet wurden, und
d)
eigene Unsicherheiten
.
Insgesamt zeigt sich, dass die zweite, dritte und vierte Dimension jeweils unterschiedlich stark mit der ersten
Dimension zusammenhängen. Außerdem wird im Folgenden unterschieden, ob sich die Antworten auf
Coming-outs bezüglich der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität beziehen. Hieraus
ergeben sich sehr unterschiedliche Erfahrungen, die Differenzierung ist jedoch nicht in allen Fällen eindeutig
möglich.
a) Vermeidung von Reaktionen
Viele lsbtiq* Befragte geben an, sich nicht zu outen, um bestimmte Reaktionen zu vermeiden. Dabei sind
zwei Ausprägungen feststellbar: Die Befragten haben die Reaktionen, die sie bei (weiteren) Coming-outs
befürchten, entweder bereits erlebt oder befürchten diese aus anderen Gründen. Die im Folgenden
abgebildeten Zitate stellen jeweils Ankerbeispiele dar, also typische Aussagen, die die Antwortstrukturen
verdeutlichen. Folgende Beispiele illustrieren hier die Ausprägung, Befürchtetes bereits erlebt zu haben:
„Familienangehörige haben sich bereits allgemein negativ geäußert, weshalb ich es ihnen nicht erzählen
will“, beschreibt eine asexuelle, nicht binäre Person; eine andere begründet: „Weil ich bereits stark
deswegen gemobbt wurde.“
Die weitere Kodierung der Antworten ergab, dass folgende Reaktionen erlebt und/oder befürchtet werden:
a.a) Es kostet viel Energie; sich nicht immer wieder erklären und rechtfertigen wollen, darunter auch:
keine unangemessen intimen Fragen beantworten oder in Frage gestellt werden wollen
Dafür stehen die folgenden Zitate beispielhaft: „Es ist anstrengend sich zu erklären und rechtfertigen und
dann nicht ernst genommen zu werden“, oder: „Ich habe einfach nicht die Energie, es jedem zu erklären und
teils böswillige/invasive Fragen immer wieder beantworten zu müssen. Ich möchte die Existenz meiner
Identität nicht jedes Mal verteidigen müssen“ sowie „Ich möchte nicht dauernd Menschen erklären, was
meine Geschlechtsidentität bedeutet und darüber diskutieren (pansexuell, nicht-binär, Geburtsgeschlecht
w).“
Der Umstand, sich immer wieder neu offenbaren zu müssen, lässt sich dadurch erklären, dass sowohl
Heterosexualität, als auch die eindeutig erkennbare Zugehörigkeit zu der Kategorie Mann oder Frau als
gegeben angenommen werden - sofern es keine Hinweise (z.B. durch Benennung) auf eine andere sexuelle
Orientierung, geschlechtliche Identität, oder ein anderes Geschlecht gibt.
Dementsprechend kann jede erwähnte Abweichung von Heterosexualität oder Zweigeschlechtlichkeit bereits
als eine Thematisierung von Sexualität oder geschlechtlicher Identität aufgefasst werden.
Anhand des folgenden Zitats wird ein im Material wiederkehrendes Muster deutlich: Je unbekannter eine
Geschlechtsidentität oder – hier: sexuelle Orientierung – ist, desto gravierender ist das Phänomen, sich
erklären zu müssen. Die Aufklärungsarbeit muss bei fehlendem gesellschaftlichem Wissen nicht nur selbst
geleistet werden, es besteht auch viel stärker die Gefahr, dass die Identität bzw. Orientierung als solche in
Frage gestellt wird. Eine Person aus dem asexuellen Spektrum schildert: „Aufgrund der Unbekanntheit
meiner Orientierung als 'Sache' im Allgemeinen könnte es zu Fragen kommen, die ich nicht beantworten
kann oder will. Da dies bereits vorkam, weiß ich, dass daher Aussagen fallen, die meine Orientierung in
Frage stellen. Das sorgt nur für Verwirrung und Resignation.“
Das fortwährende sich-erklären-Müssen stellt nicht nur eine emotionale Belastung dar, sondern erschwert
den Alltag stark, wie die Befunde in den folgenden Kapiteln zeigen. Als eindrückliches Beispiel ist
diesbezüglich der Zugang zu medizinischer Behandlung zu nennen. Die Aufklärungsarbeit muss dann
entsprechend seltener als persönliche zeitliche und emotionale Ressource eingebracht werden.

42
Dabei ist der Zusammenhang mit der situativen Angreifbarkeit (über sich selbst zu sprechen) und
gleichzeitig ggf. vom Gegenüber in unterschiedlicher Weise abhängig zu sein (z.B. von Ärzt*in, Lehrkraft,
Arbeitgeber*in, Polizist*in, aber auch von Eltern, Freund*innen u.v.a.) zu sehen.
Das Ausmaß und die Folgen dieses Phänomens werden unter der Analysekategorie
Auskunftspflicht
in
späteren Kapiteln tiefergehend untersucht. Vorab ist hier anzuführen, dass dieses Problem grundsätzlich
durch mehr Sichtbarkeit und gesellschaftliche Aufklärung verringert werden kann.
a.b) Offene Ablehnungen und Angriffe fürchten wie: Beleidigungen, Körperverletzung, Ausschluss aus
einer Gruppe, Benachteiligungen am Arbeitsplatz
Ein weiterer bedeutender Hinderungsgrund für das Coming-out zur Vermeidung von Reaktionen ist die
Erfahrung von und/oder Befürchtung vor explizit formulierter Ablehnung oder körperlichen Angriffen: „Ich
befürchte negative Reaktionen mir gegenüber in der Öffentlichkeit, beispielsweise Beleidigungen oder
Körperverletzung“, schreibt eine nicht-binäre asexuelle Person beispielhaft.
a.c) nicht ernst genommen werden, nicht verstanden werden
Die Befürchtung und Erfahrung, nicht ernst genommen zu werden, ist ein weiterer Hinderungsgrund. Eine
bisexuelle weibliche Person gibt an, sexualisiert und nicht ernst genommen zu werden: „Ich bin bisexuell und
habe das Gefühl, dass wenn ich es erzähle, ich von Männern sexualisiert werde. (‚Sie ist bi, bestimmt will sie
nen Dreier‘) oder dass Leute es nicht glauben“. Eine andere bisexuelle Person beschreibt die Problemlage,
dass sie dazu gedrängt wird, sich zwischen nur zwei sexuellen Orientierungen entscheiden zu müssen,
„dass von mir verlangt wird, mich auf homo/hetero zu beschränken / entscheiden“.
Ähnliches zeigt sich auch bei transgeschlechtlichen und nicht-binären Personen, die davon berichten, sich
zwischen den zwei Identitäten Mann oder Frau entscheiden zu sollen: „Ich befürchte, dass andere
Menschen nicht nachvollziehen können, dass man transident sein kann, ohne eine Transition anzustreben.
Ich werde als heterosexuelle cis-Frau gelesen und habe wenig Lust auf die Frage: Bist du dir sicher, dass du
trans bist??? Du siehst gar nicht so aus und du fühlst dich doch zu Männern hingezogen... Yes. I am trans
enough.“
a.d) Die geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung ist (weitgehend) unsichtbar
Auch das Phänomen der Unsichtbarkeit kann ein Hinderungsgrund für ein Coming-out sein.
Dementsprechend kommuniziert eine bisexuelle Person folgendes: „Es ist anstrengend, als bisexueller
Mensch immer wieder ein Outing durchmachen zu müssen, da die sexuelle Orientierung nicht von außen
lesbar ist anhand des/der Partner*in.“
Eine transmännliche Person berichtet einen deutlichen Unterschied zwischen dem Umstand, als lesbische
Person geoutet gewesen zu sein, und als trans* Mann heute nicht (überall) geoutet zu sein. Dabei spielt
auch eine Rolle, dass er*sie als lesbische Person erkennbar war, als transgeschlechtlicher Mann dies heute
aber nicht ist. Eine sehr ähnliche Erfahrung über die verschiedenen Coming-outs (erst als lesbisch, dann als
transmännlich), berichtet ein Teilnehmer der Fokusgruppendiskussion. Es ist erkennbar, dass der Befragte
als lesbisch gelesene Person andere Erfahrungen gemacht hat als er heute als trans* Mann erlebt oder
befürchtet: „Ich befürchte zum einen negative Reaktionen mir gegenüber, sowohl inner- als auch außerhalb
des Arbeitsumfeldes bzw. Fokus von Interesse auf andere Dinge als meine beruflichen Fähigkeiten und
gesellschaftlichen Einstellungen. Und meine Identität als Transmann ist für mich extrem privat und ich
möchte sie nicht (permanent und ständig) öffentlich bekannt geben. […] Als ich noch als Lesbe gelebt habe,
also ab ca. 19 […], war ich als solche schon rein vom Äußeren her sehr erkennbar und sichtbar.“ Eine
Befürchtung ist, dass die Identität als trans* Mann die sonstige Wahrnehmung als Person beeinflussen
könnte, indem stets die Schablone „transgeschlechtlich“ vordergründig ist.
Auch die Befürchtungen, misgendert zu werden, sowie, sich zu schämen oder beschämt zu werden, werden
aufgeführt. Eine Person spricht von Angst – trotz der Erwartung positiver Reaktionen ihres Umfeldes. All dies
zeigt die Komplexität und Diversität der Hindernisse, welchen sich Personen bei der sich immer
wiederkehrenden Entscheidung, sich vor anderen zu outen, konfrontiert sehen.
b) Relevanz
Wie aufgezeigt, unterscheiden sich die Erlebnisse u.a. je nach sexueller Orientierung. Unter der Dimension
der Relevanz mit den Ausprägungen „es ist nicht relevant“ oder „es wäre relevant, wenn…“ findet sich vor

43
allem die Struktur, dass bi- oder pansexuelle Personen, welche derzeit in einer heterosexuell gelesenen
Beziehung leben, ebendies als einen Grund für das (weitgehend) ausbleibende Coming-out angeben: „Es
hat derzeit wenig Relevanz für mich, da ich in einer Heterobeziehung lebe. Wenn sich das ändern sollte,
würde ich mich auch mehr Menschen gegenüber outen.“
Zweitens wird die Relevanz auch mit der Vermeidung von Reaktionen in Zusammenhang gebracht: „Finde
es nicht relevant / Möchte negative Reaktionen vermeiden.“ Wäre es tatsächlich – auch gesellschaftlich –
nicht relevant, würde es keine negativen Reaktionen hervorrufen. Vermutlich bezieht sich die Aussage „nicht
relevant“ hier daher auf das persönliche Empfinden von Relevanz. Diese mögliche Diskrepanz zwischen
dem eigenen Relevanzempfinden und Reaktionen des Umfelds steht auch im Zusammenhang mit dem
Wunsch sehr vieler Befragter, dass die sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität keine Rolle
spielen und das „Normalste der Welt“ sein sollten (siehe auch Kapitel 10.1).
c) Privatsphäre / Es ist privat
Der als „
Privatsphäre“
benannten Dimension konnten unterschiedliche Ausprägung zugeordnet werden:
Unter den Begründungen finden sich die Komponenten: „nicht das Bedürfnis haben“, „nicht verpflichtet
sein“ und „es ist kein wesentliches Merkmal“, zum Beispiel: „Ich habe nicht das Bedürfnis, diese
Informationen mit allen zu teilen und finde, dass sie auch nicht jeden etwas angeht.“ Oder: „Nicht jeder fragt
nach und ich sehe mich nicht verpflichtet, meine Orientierung anderen auf die Nase zu binden.“ Eine andere
Person begründet: „Ich definiere mich nicht über meine sexuelle Orientierung.“
Weiterhin wird die Dimension Privatsphäre gekoppelt an die Angst vor Reaktionen: „Es ist privat, aber ich
habe auch Angst vor möglichen Reaktionen, falls ich mal von ‚meinem Freund‘ sprechen/erzählen
würde.“ Wie auch schon bei den Aussagen bisexueller Personen wird antizipiert, dass das Coming-out dann
relevanter wird, wenn die befragte Person sichtbar in einer nicht-heterosexuellen Beziehung lebt.
Dabei steht die Lebenswirklichkeit vieler lsbtiq* Menschen, welche ihre geschlechtliche Identität und sexuelle
Orientierung als (überwiegend) privat betrachten, in starkem Kontrast zur Lebenswirklichkeit heterosexuell
lebender cisgeschlechtlicher Menschen. Als Grundannahme muss Heterosexualität und
Cisgeschlechtlichkeit nicht angesprochen werden und beinhaltet daher keine private Dimension. Das
Geschlecht ist stets öffentlich bekannt und sogar Grund unterschiedlicher Anreden. Auf eine heterosexuelle
Beziehung kann jederzeit ohne Weiteres hingewiesen werden: Das Sprechen von einem*einer Ehepartner*in
oder dem*der Freund*in, ist nicht nur gänzlich alltagstauglich, sondern wird auch in formellen Kontexten
bedenkenlos akzeptiert. Das Private beginnt erst mit der Abweichung von der Heteronormativität.
d) eigene Unsicherheiten / Findungsprozess
Bei als Grund für ausbleibende Coming-outs angeführten eigenen Unsicherheiten konnten folgende
Dimensionen festgestellt werden: „(noch) nicht bereit sein oder sich noch nicht sicher sein“, „nicht wissen,
wie das geschehen soll oder nach Worten suchen“, „nicht so viel Raum einnehmen wollen“ und „keinen
Raum haben“. Das zeigen die folgenden Beispiele: „eigene Unsicherheit, ob es wirklich so ist“, oder „Ich
fühle mich noch etwas unwohl beim Finden von Worten.“ Eine andere Person formuliert: „Ich weiß nicht, wie
ich es ansprechen soll, hab das Gefühl, für mich gibt‘s keinen Platz.“ Hier kann vor allem das Erwähnen des
noch-auf-der-Suche-Seins nicht offen geteilt werden.
Auch diese Zitate zeigen, dass das Erwähnen der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität
nicht selbstverständlich ist, sobald sie von der erwarteten Heteronorm abweichen. Erst daraus entsteht die
sich wiederholende Notwendigkeit des Coming-outs.

 
44
5. Vielfalt und spezifische
Herausforderungen von lsbtiq* Personen
in unterschiedlichen Lebenslagen
Lsbtiq* Lebenslagen in Sachsen sind vielfältig – diese Grundthese der Studie gilt es in den folgenden
Kapiteln zu analysieren. Ausgehend von verschiedenen Beziehungsformen, Familien- und
Verantwortungskonstellationen soll untersucht werden, wie queeres Leben in Sachsen aussieht.
Was prägt die Lebenssituationen von lsbtiq* Personen im Freistaat?
Und wie unterschiedlich sind ihre Erfahrungen und Herausforderungen, je nachdem, in welcher
Lebenslage sie sich befinden?
Diesen Fragen geht dieses Kapitel nach. Es beginnt mit einer Überblicksschilderung, welche Lebenslagen
von den hier – meist jungen – Befragten als aktuell für sie prägend angegeben wurden. Anschließend wird in
den Unterkapiteln auf spezifische Lebenslagen und Bedarfe eingegangen, wie beispielsweise die
Herausforderungen für Regenbogenfamilien, für lsbtiq* Personen mit Behinderung, Beeinträchtigung oder
chronischer Erkrankung oder lsbtiq* Personen mit Flucht- und Migrationshintergrund.
Auf Basis der jungen Stichprobe überrascht es wenig, dass die meisten Befragten (720) ihre Lebenslage als
junge Person in Ausbildung, Studium oder frisch im Beruf beschreiben.
Von dieser jungen Gruppe abgesehen, ergeben die weiteren abgefragten Lebenslagen ein vielfältiges Bild
von lsbtiq* Personen in Sachsen – und führen vor Augen, dass bei der Diskussion um Bedarfe von lsbtiq*
Personen oftmals pauschal von einer Gruppe oder Gruppen mit ähnlichen Interessen, Bedarfen und
Ressourcen ausgegangen wird, obwohl diese sehr unterschiedlich sind.
So leben 194 Antwortende in einem mittleren Lebensabschnitt in einem festen sozialen Verbund oder mit
Freund*innen, ohne Kinder. Mit 92 Antwortenden leben beinahe genauso viele Befragte in diesem Alter
alleinstehend, wie als Familie mit Kindern (93 Befragte, darunter 71 mit Kindern über sechs Jahren und 22
mit Kindern unter 6 Jahren). 76 Antwortende befinden sich einen Schritt davor, nämlich kurz vor oder in der
Familienplanungsphase. Andere (35 Befragte) sind in einer familiären Umbruchsphase, beispielsweise in
einer Trennungssituation. Sehr schlecht nur kann diese Studie die Lebenslage und Bedarfe von lsbtiq*
Personen im Senior*innenalter abbilden – hier haben lediglich zehn Befragte dies als ihren aktuellen
Lebensabschnitt gekennzeichnet. Für 41 Antwortende prägt auch ihr religiöses Umfeld ihre aktuelle
Lebenssituation. Und 96 Antwortende befinden sich aktuell kurz vor oder in ihrer Transitionsphase. Bei 27
Befragten liegt diese (schon länger) hinter ihnen.

 
45
Abbildung 13: Vielfalt von lsbtiq* Lebenslagen in Sachsen
Fragewortlaut: „Wenn Sie Ihre aktuelle Lebenslage beschreiben würden, welche der folgenden Lebenslagen treffen dann
am ehesten auf die jetzige Phase Ihres Lebens zu?“ N = 1.242 Mehrfachnennungen möglich.
Außerdem (grafisch nicht abgebildet) geben zwei Befragte als Lebenslage an, sich in einem laufenden
Asylverfahren zu befinden oder keinen dauerhaften Aufenthaltstitel in Sachsen zu haben. Ebenso sagen
zwei Befragte, dass sie kurz vor dem Eintritt in oder bereits in einer Pflegesituation sind. 14 Befragte
wiederum sagen, dass ihre aktuelle Lebenslage durch die Pflege von Angehörigen geprägt ist. Elf
Antwortende schreiben, in einem Umfeld mit weiteren Personen ähnlichen Migrationshintergrunds
eingebunden zu sein.
Wie zufrieden, wie selbstbestimmt und mit welchen spezifischen Herausforderungen konfrontiert diese
unterschiedlichen Personen(kreise) jeweils sind, werden die folgenden Unterkapitel aufzeigen.
5.1. Beziehungsformen, Kinderwunsch,
Familiengründung und Verantwortungsmodelle
In der folgenden Betrachtung von Beziehungsformen, Familien- und Verantwortungskonstellationen sind die
prozentualen Verteilungen weniger vordergründig – denn dabei muss stets der vergleichsweise junge
Altersdurchschnitt der Befragungsteilnehmenden berücksichtigt werden. Daher überrascht es wenig, dass
eine relative Mehrheit (44 %) der Antwortenden zurzeit ohne Partner*in als Single lebt. Ein gutes Drittel
(38 %) lebt in einer Beziehung, 6 % bzw. 72 Personen leben aktuell in mehreren Beziehungen, also
polyamourös. Dies sind beinahe genauso viele wie in einer gleichgeschlechtlichen Ehe Verheiratete (7 %
bzw. 95 Personen). Hierbei spielt das Lebensalter eine große Rolle (siehe Abbildung). Noch 2 % der
Antwortenden leben in einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, ebenso viele in einer
heterosexuellen Ehe. Ein Prozent lebt getrennt / geschieden, vier Personen sind verwitwet / hinterblieben.
720
76
93
92
194
10
35
96
27
41
Es können gut ein Dutzend abgefragte Lebenslagen unterschieden
werden
ein junger Mensch, noch in Ausbildung bzw. Studium oder jung im Beruf
kurz vor oder in der Familienplanungsphase
eine Familie mit Kindern U/Ü6
in mittlerem Lebensalter alleine lebend
in einem mittleren Lebensalter in einem festen sozialen Verbund ohne Kinder
im (aktiven) Ruhestand / dritten Lebensabschnitt nach dem Beruf
in einer familiären Umbruchsphase (z.B. Trennung)
kurz vor oder in der geschlechtlichen Transition
habe meine geschl. Transition (schon länger) hinter mir
in eine religiöse Glaubensgemeinschaft bzw. rel. soz. Umfeld eingebunden

46
Dieses Kapitel soll primär zeigen, wie vielfältig Beziehungs-, Verantwortungs- und Familienkonstellationen
von lsbtiq* Personen in Sachsen sind, und wie unterschiedlich gut oder schlecht sie durch bestehende
rechtliche Regelungen und gesellschaftliche Akzeptanz abgesichert sind.
Die folgende Abbildung schlüsselt die Beziehungsformen nach Altersgruppen auf und zeigt damit
bedeutende Unterschiede in den Lebensphasen auf: Während 70 % der 16- bis 17-Jährigen und gut jede*r
zweite 18- bis 27-Jährige Single ist, ist nur jede*r zehnte über 55-Jährige alleinstehend. Da allerdings nur
wenige über 70-Jährige an der Studie teilgenommen haben, sind an dieser Stelle keine Aussagen über
alleinstehende lsbtiq* Personen in hohem Alter möglich.
Es fällt auf, dass polyamourös lebende lsbtiq* Befragte häufig in mittleren Lebensabschnitten sind – so ist
mehr als jede zehnte antwortende Person zwischen 28 und 39 Jahren in Beziehungen mit mehreren
Personen.
Und: Je älter die Befragten sind, desto eher sind sie verheiratet – knapp ein Drittel (29 %) der über 55-
Jährigen ist gleichgeschlechtlich, weitere 16 % über 55 Jahren heterosexuell verheiratet.
Abbildung 14: Beziehungsformen von lsbtiq* Personen je Altersgruppe
Fragewortlaut: „In welcher Beziehungsform leben Sie derzeit?“ N = 1.253.
Abgebildet sind nur solche Beziehungsformen mit mehr als 25 Antwortenden.
Die Unterschiede der Beziehungsmodelle je nach sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität fallen
mit wenigen Ausnahmen moderat aus: So variiert der Single-Anteil nur geringfügig, mit Ausnahme
asexueller Personen (62 % sind alleinstehend). Polyamourös leben je ca. doppelt so viele queere und
pansexuelle Befragte wie im Durchschnitt. In einer offiziell gleichgeschlechtlichen Ehe oder
Lebenspartnerschaft finden sich aktuell fast ausschließlich lesbische und schwule Befragte.
70%
29%
0%
0%
0%
53%
40%
5%
12%
0%
31%
41%
11%
12%
3%
25%
35%
3%
20%
5%
10%
10%
7%
29%
16%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Single
in einer Beziehung
in mehreren
Beziehungen
gleichgeschl.
verheiratet
heterosexuell
verheiratet
Junge lsbtiq* Personen oft Single, in mittleren Lebensabschnitten
oft in einer Beziehung, je älter desto eher verheiratet
16-17 Jährige
18-27 Jährige
28-39 Jährige
40-55 Jährige
über 55 Jährige

47
Gewünschte Beziehungsformen für die weitere Lebensplanung
Aufgrund des jungen Altersdurchschnitts ist es besonders interessant, die weitere Lebensplanung der
Befragten zu betrachten, also welche ideale Beziehungsvorstellung sie für ihre weitere Zukunft haben. Die
Lebensplanungen fallen hierbei sehr divers aus: So möchten 3 % ohne Beziehung leben. Demgegenüber
plant ca. jede*r Siebte (14 %), mit mehreren Personen in einer polyamourösen Beziehungskonstellation zu
leben; unter nicht-binären Befragten ist es sogar jede*r Dritte.
Bei insgesamt über zwei Drittel der Antwortenden herrscht die Vorstellung einer Beziehung vor – diese fällt
für 37 % ohne Ehe, für 29 % mit einer (offiziell) gleichgeschlechtlichen Ehe oder eingetragenen
Partnerschaft und für 3 % mit einer offiziell heterosexuellen Ehe allerdings durchaus unterschiedlich aus.
Dabei ist der Wunsch nach einer gleichgeschlechtlichen
44
Ehe unter lesbischen Befragten mit 52 % leicht
höher als unter schwulen Befragten (46 %).
Abbildung 15: Gewünschte Beziehungsformen
Fragewortlaut: „Und welche Beziehungsform wünschen Sie sich für Ihre weitere Lebensplanung?“ N = 1.198
Kinderwunsch
Die Frage nach dem eigenen Kinderwunsch spielt hinsichtlich der Gestaltung der Lebensplanung eine sehr
wichtige Rolle für viele Menschen: Möchte ich Kinder oder nicht? So auch bei lesbischen, schwulen,
bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen und queeren Sächs*innen. In der jungen Stichprobe sind die
Vorstellungen hierzu womöglich noch nicht abgeschlossen – 28 % der Antwortenden wissen noch nicht, ob
sie sich Kinder wünschen oder nicht. Die weiteren Antworten zeigen aber bereits eine große Vielfalt an
Kinder- und Familienwünschen sowie -Konstellationen auf:
Rund jede*r Achte (12 % bzw. 158 Antwortende) hat ein Kind oder mehrere Kinder (siehe übernächster
Abschnitt). Für ein Drittel der Antwortenden ist klar, dass sie keine Kinder wünschen. Dagegen wünscht sich
ein Viertel (332 Personen) der noch kinderlosen Befragten explizit Kinder.
44
Das Frageinstrumentarium war in Bezug auf die gewünschten Beziehungsformen lückenhaft: So wurde nur nach
heterosexuellen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Ehen gefragt, was queere Partnerschaften / Ehen bzw.
solche zwischen ein oder zwei nicht-cisgeschlechtlichen oder intersexuellen Personen fälschlicherweise ausschließt.
37%
29%
3%
14%
3%
14%
Lebensplanungen sind sehr divers
eine Beziehung
verheiratet oder verpartnert in einer gleichgeschl. Ehe
verheiratet in einer heterosexuellen Ehe
mehrere Beziehungen / polyamourös zu leben
ohne Beziehung alleine zu leben
weiß nicht

48
Abbildung 16: Lsbtiq* Personen mit Kind(ern) oder Kinderwunsch
Fragewortlaut: „Haben Sie Kinder bzw. tragen Sie Verantwortung für ein Kind/Kinder? Dabei spielt es keine Rolle, ob das
Kind / die Kinder minderjährig sind oder bereits volljährig) N = 1.325
Wie stellen sich junge lsbtiq* Personen in Sachsen ihre Familiengründung mit Kindern vor? Jede*r der über
300 Befragten, die noch keine Kinder haben, sich aber in ihrem Leben Kinder wünschen, wurden danach
gefragt, welchen Weg oder welche Wege sie gehen möchten. Die Antworten zeigen eine sehr große Vielfalt
auf – und unterschiedliche Chancen, diesen zu realisieren:
Darunter sind aktuell rechtlich (nicht für alle gleichermaßen diskriminierungsfrei) geregelte Verfahren wie die
Adoption (144 kinderlose Befragte mit diesem Wunsch), die Möglichkeit von Pflegekindern (58 Befragte)
oder anonyme Samenspende (84 Befragte).
Es werden aber auch viele Lösungen gewünscht, die aktuell noch weitgehend nicht gesetzgeberisch
abgesichert sind: So möchten 78 kinderlose Befragte zusammen mit einer befreundeten Person oder einem
anderen Paar Kinder zeugen. Für 31 Befragte ist eine Co-Elternschaft außerhalb ihrer Beziehung ihr
gewünschtes Familienmodell.
Einige Befragte sehen hier bewusst auch Kombinationen verschiedener Wege und Verfahren.
Abbildung 17: Gewünschte Wege zur Familiengründung
Fragewortlaut: „Und haben Sie bereits eine oder mehrere Vorstellungen davon, wie Sie Ihre Familie gründen / führen
möchten?“ N = 326. Mehrfachantworten möglich
34%
28%
25%
12%
Eine Minderheit von 34 % möchte sicher keine Kinder
nein, ich möchte keine Kinder
nein, ich weiß noch nicht, ob ich mir Kinder wünsche
nein, aber ich wünsche mir Kinder
ja, ich/wir haben Kinder
144
58
84
78
31
Familiengründungswünsche sind vielfältig
ich/wir möchte(n) ein Kind/er adoptieren
ich/wir möchte(n) ein Kind/er in Pflege nehmen
ich/wir möchte(n) ein Kind/er in unserer Partnerschaft durch anonyme Samenspende zeugen
ich/wir möchte(n) ein Kind/er in unserer Partnerschaft mit einer befreundeten Person / einem
anderen Paar zeugen
ich möchte Co-Elternteil außerhalb (m)einer Partnerschaft werden

49
Im Fragebogen hatten die Teilnehmenden mit Kinderwunsch die Möglichkeit, ihren Wunsch von einer
Familien-/Verantwortungskonstellation in ihren eigenen Worten zu schildern. Hierbei zeigt sich zunächst eine
hohe Flexibilität: Verschiedene Möglichkeiten werden abgewogen und es scheint ein hoher
Informationsstand vorhanden zu sein.
Kinder mit dem*der aktuellen Partner*in zu zeugen, so dass beide Partner*innen die leiblichen Eltern
sind, wird von einigen Befragten als Wunschoption angegeben. Diese Möglichkeit besteht für
verschiedene Beziehungskonstellationen jenseits von heterosexuellen cisgeschlechtlichen
Partnerschaften, so für bisexuelle Personen in einer heterosexuellen Beziehung: „Nachdem mein
Partner und ich beide bisexuell sind, aber in einer heteropassing Beziehung sind, werden wir
wahrscheinlich die Möglichkeit haben, ohne medizinische Eingriffe oder Einwirken Dritter eine Familie zu
gründen“. Die Option besteht außerdem für viele nicht-binäre oder transgeschlechtliche Personen, von
denen einige berichten, mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen bis nach der Realisierung ihres
Kinderwunsches warten zu wollen.
Auch Co-Elternschaften mit anderen Paaren und je einem leiblichen Elternteil werden gewünscht, wie
dieses Beispiel stellvertretend zeigt: „Ich wünsche mir sehr ein Kind, sodass ich mir das Zeugen des
Kindes mit meiner Partnerin durch eine Kinderwunschklinik vorstellen kann und auch mit einem Co-
Elternteil, der in einer schwulen Beziehung lebt.“ Diesen Wunsch äußern sowohl gebährfähige lsbtiq*
Personen, als auch nicht-gebährfähige.
Gebärfähige Personen äußern oft einen Kinderwunsch ohne Gebärwunsch. Sie wünschen sich zum
Beispiel dezidiert, dass ein*e Partner*in Kinder gebärt, oder sind offen für Adoptiv- oder Pflegekinder.
„Ich möchte Kinder, sie selbst aber nicht austragen. Wenn meine Partnerin später das möchte, wird sie
es austragen. Wenn es nicht der Fall ist, möchte ich gerne ein Kind oder auch zwei adoptieren“.
Lsbtiq* Personen, die nicht gebärfähig sind und auch in keiner Beziehungskonstellation mit einer
gebärfähigen Person leben, wünschen sich häufig entweder eine Adoption; dabei spielt auch der
Gedanke eine Rolle, „Kinder (zu) unterstützen, die bereits auf der Welt sind“. Oder sie hoffen, sich, ihren
Kinderwunsch zum Beispiel mit einem anderen Paar, Einzelpersonen oder durch eine in Deutschland
rechtlich aktuell nicht mögliche Leihmutterschaft zu erfüllen. Hier sehen sie teils große Hürden, wie
folgendes beispielhafte Zitat zeigt: „In einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft von zwei Cis-Männern
ist es in Deutschland sehr schwierig, biologische Kinder und gleichzeitig das Sorgerecht für beide Cis-
Männer zu bekommen. Zusätzlich sind Methoden wie Leihmutterschaft in Deutschland verboten“.
Rechtliche Bedenken und Hindernisse treten in den offenen Antworten als zentrales Thema hervor. So vor
allem im Zusammenhang mit der Gesetzeslage zur Stiefkindadoption.
Folgender Bericht zeigt, wie lebensbestimmend die hierdurch entstehenden Hindernisse sein können: „Mein
Wunsch […] ist, dass ein Kind, welches ich mit meiner Frau plane und bekomme unter der Voraussetzung
des Einverständnisses des Erzeugers AUTOMATISCH und ab der Geburt, ohne Prüfung und weitere
Voraussetzungen, unser beider Kind ist. Nicht zu wissen, ob und wann dieses Gesetz kommt, hindert die
Lebensplanung ungemein und erzeugt starke Zukunftsängste, da momentan die Absicherung für das Kind
und die Co-Mama fehlt. Die Aussicht auf eine Adoptionspflicht eines leiblichen Kindes hindert sogar z.B.
psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen aus Angst, schlechtere Adoptionschancen zu haben“.
Außerdem gibt es im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Adoption wesentliche rechtliche Hürden.
Diese finden sich zum Beispiel beim Wunsch, alleinstehend zu adoptieren „Ich würde gerne als
alleinstehende Frau ein Kind adoptieren und es großziehen, bin mir aber bewusst, dass das sehr schwierig
ist und dass ich, wenn überhaupt, erst sehr spät in meinem Leben ein Kind adoptieren kann“. Für einige
lsbtiq* Personen kommt eine Adoption aufgrund ihres Alters nicht mehr in Frage: „Mittlerweile sind mein
Partner und ich zu alt, um Kinder zu adoptieren oder aufzunehmen. Vor zwanzig Jahren hätte ich gern
Kinder adoptiert oder gezeugt, aber da war die Gesetzeslage noch nicht so weit“.
Dennoch wird der Adoptionsweg von vielen als noch eher realisierbar gesehen als zum Beispiel
Leihmutterschaft oder Eizellenspende, da Adoption, wenn auch erschwert, legal möglich und gesellschaftlich
zumindest relativ akzeptiert ist.

50
Lsbtiq* Familien- und Verantwortungskonstellationen mit Kindern in Sachsen
Diese zuvor geschilderten Vorstellungen (meist junger) noch kinderloser lsbtiq* Personen in Sachsen
weichen teilweise deutlich von den durch lsbtiq* Eltern in Sachsen tatsächlich berichteten Wegen ab.
Da hohe gesetzliche Hürden lsbtiq* Personen gegenwärtig an einer barriere- und ressourcenarmen
Umsetzung ihres Kinderwunsches hindern (siehe Befund zur Chancengerechtigkeit in der Familiengründung,
Kapitel 6.2), sind die 158 Befragten mit Kindern unterschiedliche Wege gegangen, um eine Familie mit
Kindern zu gründen:
So haben nur 14 Befragte ein Kind oder mehrere Kinder adoptiert, darunter acht schwule, cismännliche
Befragte.
Lediglich drei (allesamt lesbische, cisweibliche) Befragte haben (ein) Pflegekind(er).
Den Weg einer anonymen Samenspende haben zehn (cisweibliche) Befragte realisieren können
Eine aktuell rechtlich wenig abgesicherte und daher auf viel Vertrauen basierende Lösung haben 22
Befragte gewählt, indem sie eines oder mehrere Kinder zusammen mit einer befreundeten Person oder
einem anderen Paar gezeugt haben. Zum Beispiel: „Ein sehr guter Freund ist der Samenspender. Wir
sind rechtlich die Eltern und ziehen die Kinder zu zweit groß. Mit dem Thema wird offen im Familien- und
Freundeskreis umgegangen. Der Samenspender hat eher die Rolle eines Onkels“. Auch „mit einem
Bekannten“, oder Verwandten („meine Frau hat unser Kind über eine Samenspende meines Bruders
bekommen“) wurden in je einem Fall Kinder gezeugt.
Dass für die Erfüllung eines Kinderwunsches in lsbtiq* Beziehungen insgesamt vielfältigere Hindernisse
überwunden werden müssen, als in heterosexuellen cisgeschlechtlichen Beziehungen, wird auch
dadurch deutlich, dass mit 86 Antwortenden ein Großteil der lsbtiq* Eltern in dieser Stichprobe Kindern
aus einer vorherigen heterosexuellen Beziehung hat.
45
Zum Beispiel: „Ich bin die leibliche Mutter des
Kindes aus vorheriger heterosexueller Beziehung. Der Vater und ich kümmern uns gleichberechtigt um
das Kind und unsere jeweils neuen Partnerinnen kümmern sich ebenfalls um unser Kind“.
Aus einer vorherigen gleichgeschlechtlichen Beziehung stammen lediglich das Kind oder die Kinder von
zehn Befragten.
Weitere 16 Befragte sind Co-Elternteil außerhalb ihrer aktuellen Partnerschaft.
Weitere zehn Personen haben unter „Sonstige“ angegeben, Kinder in der bestehenden Partnerschaft
gezeugt zu haben und die leiblichen Eltern zu sein. Weitere Bezugspersonen können neben den hier
rechtlichen und biologischen Eltern hinzukommen: „Meine Familie besteht aus 3 Erwachsenen und 3
Kindern. Mein Partner und ich sind die rechtlichen Eltern, meine beste Freundin ist Teil der Familie/Co-
Mutter für unser jüngstes Kind. Mein*e andere Partner*in hat keine Kinderverantwortung. Mehrere enge
Freund*innen / Wahlfamilie haben engeren Kontakt zu den Kindern.“
Weitere Angaben unter „Sonstige“ sind: „Elternteil mit trans* Person“, „Eizellspende“; „Mein Partner hat
zwei Kinder geboren“, „Kinder mit Partnern der bisexuellen polyamourösen Beziehung“, „3 Patenkinder,
1 mit Verantwortung“; „Stiefkind" und eine Person berichtet, „kurz vor meiner Transition habe ich mit
einem heterosexuellen Paar, das gemeinsam keine Kinder mehr haben konnte, ein Kind gezeugt und
geboren. […] Meine Tochter wächst wie geplant in jener Familie auf.“
Verantwortungskonstellationen
In der Summe haben 158 lsbtiq* Eltern von 267 Kindern in dieser Befragung teilgenommen. Am häufigsten
sind Ein- und Zweikindfamilien (42 % bzw. 37 % der Befragten mit Kindern).
45
Dies sind mehrheitlich lsbtiq* Eltern, die älter als 55 Jahre sind.

51
Die Verantwortungskonstellationen in den Familien sind ebenso vielfältig:
Neben der gesellschaftlich und medial als „klassisches“ Familienbild vermittelten Zweielternfamilie
46
(60 % der befragten lsbtiq* Eltern),
sind alleinerziehende (11 %) und
Familien mit drei und mit vier Elternteilen / Bezugspersonen (jeweils 13 %) vertreten.
Von mehr als vier Elternteilen / Bezugspersonen berichten fünf Befragte (bzw. 4 %).
47
Die offenen Antworten zur Beschreibung der Familienverantwortungskonstellationen zeigen die Vielfalt und
Komplexität auf, in denen lsbtiq* Personen in Sachsen leben. Viele Konstellationen mit mehr als zwei Eltern
werden berichtet. „Ich lebe mit dem Vater meiner Kinder und seiner Schwester als drei Eltern zusammen. Mit
dem Vater führe ich nach wie vor eine Liebesbeziehung. Meine weitere Liebesbeziehung zu einer Frau findet
außerhalb der Kernfamilie statt. Dennoch ist auch sie eine wichtige ‚Tante‘ für die Kinder“.
Zum Teil werden Modelle mit Co-Elternschaft ohne Partnerschaft berichtet, in denen weitere Partner*innen
hinzu kommen: „Zwei Eltern im Rahmen einer Co-Elternschaft und deren jeweilige Partner:innen, die als
Onkel- bzw. Tanten zur Regenbogenfamilie gehören.“ Mitunter kommen Partner*innen später als Eltern
hinzu: „2 Eltern und 2 später dazu gekommene Co-Eltern“. Außerdem haben frühere Partner*innen, auch
aus zuvor polyamourösen Beziehungen, Mitverantwortung oder Kontakt zu den Kindern.
Auch Zweierbeziehungen mit Kindern werden berichtet: „Ganz normale Familie, zwei Mamas und dazu Opas
und Omas, Tanten, Neffen, Nichten“. In einem anderen Fall ist der Elternteil alleinerziehend.
Außerdem werden Mitbewohner*innen mitunter zu engen Bezugspersonen des Kindes: „Ich habe unser Kind
geboren, meine Partnerin hat es adoptiert - dafür mussten wir leider heiraten (Abstammungsrecht à la 2018).
Wir leben als Frauenpaar mit unserem Kind in einer WG mit einer weiteren (heterosexuellen) Frau, die de
facto die dritte wichtige erwachsene Bezugsperson für unser Kind ist, wobei auch weiterhin Kontakt zum Co-
Vater besteht, sowie ein geregelter Unterhaltsbeitrag durch diesen stattfindet“.
Hier zeigt sich, dass lsbtiq* Lebensrealitäten auf gesetzliche Regelungslücken stoßen, von denen einige
politisch erkannt und in den kommenden Jahren vor allem auf Bundesebene geschlossen werden sollen.
Für viele bestehende lsbtiq* Familien und für jene, die sich aktuell in der Planungsphase befinden, bedeutet
dies in der Zwischenzeit allerdings weiterhin eine bedeutsame rechtliche Unsicherheit und ein erhöhtes
Diskriminierungspotential.
Der Bedarf, diverse Familien nicht nur rechtlich zu schützen, sondern sie auch in einer familien- und
kinderfreundlichen Umgebung bspw. in Kitas und Schulen in Sachsen aufwachsen zu lassen, wird auch
nach einer bundesgesetzlichen Neuregelung des Abstammungsgesetzes in der Umsetzung eine
Herausforderung in der Landespolitik bleiben.
Die Antwortenden übernehmen nicht nur für Kinder Verantwortung, sondern ebenso für weitere ihnen
nahestehende Menschen:
So sind 46 Befragte pflegende Angehörige, wodurch je nach Pflegesituation die eigene Lebenslage
deutlich geprägt werden kann.
47 Befragte tragen dauerhaft Verantwortung für nicht-pflegebedürftige enge Verwandte.
52 Befragte tragen dauerhaft fürsorgliche Verantwortung für ihre*n Partner*in(nen), und 84 für enge
Freund*innen.
Auch hier wird zu beobachten sein, inwieweit gesetzliche Neuregelungen dazu führen werden, dass diese
sächsischen lsbtiq* Lebensentwürfe auf gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.
46
Die Frageformulierung „zwei Elternteile / Bezugspersonen“ impliziert nicht in jedem Fall eine Zweielternfamilie im
klassischen Sinn, da hier auch zwei getrennt oder unabhängig voneinander lebende Bezugspersonen gemeint sein
können.
47
Familienkonstellationen mit mehr als zwei Elternteilen werden leicht häufiger von der Generation der heute 28- bis 39-
Jährigen berichtet. In dieser Altersgruppe ist der Anteil der Zwei-Elternfamilien bei 50 %, während er in der Gruppe der
40- bis 55-Jährigen und der über 55-Jährigen bei 70 % liegt.

 
52
5.2. Lsbtiq* Personen mit Flucht- oder
Migrationshintergrund
Lsbtiq* Vielfalt im Freistaat zeigt sich auch in den Biografien von Sächs*innen mit Migrations- oder
Fluchthintergrund. Als einfache Definition des komplexen Konstrukts Migrationshintergrund wurde hierbei im
Fragebogen die folgende Formulierung genutzt: „Haben Sie einen Flucht- oder Migrationshintergrund? Sind
also Sie selbst oder Ihre Eltern aus einem anderen Land nach Deutschland eingewandert?“ Aus welchem
Land / Ländern die Antwortenden oder ihre Eltern(teile) eingewandert sind, kann in der Analyse nicht
differenziert werden, mit Ausnahme einiger offener Antworten der Befragten.
Von ihrem Migrationshintergrund berichten 68 Antwortende am Ende des Fragebogens (6,4 %).
Die berichteten geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen sind in dieser „Gruppe“ sehr
vielfältig: Unter den Antwortenden mit Migrationshintergrund sind 10 cismännliche und 25 cisweibliche
Personen, 15 nicht-binäre, 8 transgeschlechtliche, eine intergeschlechtliche, und sechs mit anderer
Geschlechtsidentität. Zehn Teilnehmende mit Migrationshintergrund sind schwul, 13 lesbisch, 14 bisexuell,
je 11 queer sowie pansexuell, drei asexuell und drei möchten ihre sexuelle Orientierung nicht festlegen.
An der Befragung haben wenige Personen mit Fluchthintergrund teilgenommen: Sieben Personen geben
dies am Ende des Fragebogens an (0,8 % aller lsbtiq* Befragten). Von diesen acht Antwortenden sind nur 3
cisgeschlechtlich, je eine geflüchtete Person ist transgeschlechtlich und nicht-binär, und zwei ordnen sich
anderen Geschlechtern zu. Die berichteten sexuellen Orientierungen sind ebenso heterogen: Je zwei
Befragte mit Fluchterfahrungen sind schwul bzw. lesbisch, zwei sind pansexuell und eine bisexuell.
48
Auf die
spezifischen Bedarfslagen geflüchteter lsbtiq* Personen in Sachsen wird Kapitel 10.11 genauer eingehen.
Die Erfahrungen, die lsbtiq* mit Migrationshintergrund machen, sind sehr unterschiedlich. So berichtet rund
die Hälfte von ihnen über eine hohe Lebenszufriedenheit – die andere Hälfte ist eher oder sehr unzufrieden.
Das sind anteilig mehr Unzufriedene im Vergleich zu lsbtiq* Personen ohne Migrationshintergrund (ein Drittel
unzufrieden). Auch sagt fast jede*r Zweite, dass er*sie den eigenen Lebensentwurf nicht umsetzen, also in
Sachsen nicht so leben kann, wie er*sie das möchte. Zum Beispiel: „Ich werde oft anders behandelt, da ich
nicht nur queer bin, sondern auch eine geflüchtete Person of Color bin.“
Vor allem die Chancen, die eigene Geschlechtsidentität zu leben, werden von mehr als jede*r zweiten
befragten Person mit Migrationshintergrund als gering bewertet. Beispielsweise verdeutlicht ein Bericht, dass
die sexuelle Orientierung stärker angezweifelt wird: „Da ich keine Deutsche bin, gehen die Menschen davon
aus, dass ich heterosexuell bin, und wundern sich, wenn sie das Gegenteil erfahren. Glauben teilweise nicht,
dass ich lesbisch bin.“
Nur knapp ein Drittel der antwortenden lsbtiq* mit Migrationshintergrund fühlt sich aktuell im öffentlichen
Raum in Sachsen sehr oder eher sicher. Damit unterscheiden sie sich allerdings nicht vom Durchschnitt aller
befragten lsbtiq* Personen – die Unsicherheit in Sachsen ist für viele Teilnehmende hoch (siehe Kapitel 7.8).
Die antwortenden lsbtiq* Personen mit Migrationshintergrund zeigen in der Summe auch keine höhere
Wahrscheinlichkeit, Opfer von Beleidigungen, Übergriffen, psychischer oder sexueller Gewalt zu werden –
hier liegen sie im hohen Durchschnitt aller Befragten gleichauf bei je rund 50 %. Jede zweite Antwortende
Person hat in den vergangenen fünf Jahren mindestens einen solchen Übergriff erlebt.
Was lsbtiq* Befragte mit Migrationshintergrund allerdings von lsbtiq* Befragten ohne Migrationshintergrund
unterscheidet, ist die nochmals unterdurchschnittlich geringe Meldequote bei einem Vorfall: Von 34
Antwortenden, die von einem Übergriff in den vergangenen fünf Jahren berichten, haben sich nur zwei an
die Polizei oder Justiz gewandt oder eine*n Anwält*in aufgesucht.
Damit bleibt der überwiegende Teil von Vorfällen in dieser Gruppe undokumentiert. Zur Verbesserung des
Anzeigeverhaltens scheint es gezielterer Anstrengungen zu bedürfen, um lsbtiq* mit Migrationshintergrund
zu erreichen.
Ein Sensibilisierungsbedarf bei Polizei und Justiz zeigt sich auch aufgrund der Daten, die befragte lsbtiq* mit
Migrationshintergrund zu ihren positiven und negativen Erfahrungen in verschiedenen staatlichen und
privaten Lebensbereichen angegeben haben.
48
Wie die im (deutschen und englischen) Fragebogen verwendeten Begrifflichkeiten gegebenenfalls kulturell
unterschiedlich verstanden werden, muss an dieser Stelle offenbleiben.

53
So haben anteilig die meisten von ihnen negative Erfahrungen bei der Polizei und Justiz gemacht (knapp
jede*r Zweite überwiegend negative, jede*r Vierte eher negative Erfahrungen), zum Beispiel: „I cannot
begin to explain the failings of the police and judiciary. As a result of their incompetence, lack of care and
duty, my life in saxony is ruined. I was a victim of extremist hate crimes and now I have to leave [Stadt]
traumatized“.
49
Die Person gibt an, dass die Anzeige bei der Polizei gar nicht erst aufgenommen wurde.
Eine andere Person berichtet: „Aufgrund meiner vermuteten Herkunft werde ich häufiger im Kontext von
Bahnhöfen kontrolliert.“ Nur je rund jede*r Achte macht eher positive oder überwiegend positive
Erfahrungen.
Ebenfalls macht mehr als die Hälfte der befragten lsbtiq* mit Migrationshintergrund negative Erfahrungen
in der Öffentlichkeit (Parks, Straßen, Plätze, ÖPNV). Darunter fallen sehr bedrohliche Situationen: „Ich
wurde mehrfach beleidigt, angepöbelt, mir wurde gesagt, dass ich mich aus Deutschland verpissen soll,
mich haben Nazis auf dem Nachhauseweg verfolgt.“ Hier erfolgte keine Anzeige und es zeigt sich, dass
es sich um mehrere Vorfälle handelt. „Ich wurde auch viel gefragt, wo ich denn eigentlich her komme -
obwohl ich in Deutschland geboren bin“, so der Bericht einer*s Antwortenden. Und der Bericht einer
weiblichen Person weist auf die im Kapitel 5.6 thematisierte Spezifik verstärkter Sexualisierung im
Zusammenhang mit bestimmten (angenommenen) Herkünften hin: „Ich bin Ausländer aus Mexiko, das
wird übersexualisiert, vor allem wenn ich mit meinen Freunden unterwegs bin.“
Mehrheitlich positive Erfahrungen machen die Befragten im Gesundheitswesen, der Schule, der
Arbeitswelt, in ihren Familien und Freund*innenkreisen (zum Beispiel: „general inclusion among close
friends and certain LGBT friendly spaces“
50
), in ihrer Freizeit, bei Dienstleistungen wie
Restaurantbesuchen oder Supermärkten.
Eine knappe Mehrheit berichtet auch im Kontakt mit Ämtern und Behörden von positivem Umgang.
Allerdings geben zehn von 36 befragten lsbtiq* Personen mit Migrationshintergrund hier sehr negative
Erfahrungen an. Dies betrifft beispielhaft auch weiße Menschen westeuropäischer Herkunft. Das
folgende Zitat berichtet diskriminierende Erfahrungen in verschiedenen Bereichen: „Ich bin auch
Ausländerin, aber weiß und aus Frankreich. Ich werde manchmal deswegen ausgelacht, nicht ernst
genommen, für dumm gehalten oder klar beleidigt, auch bei Beamten oder in Schulpraktika.“
Außerdem haben 16 von 49 Antwortenden in der Arbeitswelt in den vergangenen fünf Jahren in Sachsen
überwiegend negative Erfahrungen gemacht.
Dass sie bei negativen Erfahrungen und Schwierigkeiten eine behördliche Anlaufstelle hätten, an die sie
sich wenden könnten, das sagt nur eine von 57 antwortenden lsbtiq* Personen mit Migrationshintergrund
in Sachsen.
16 % haben gar keine Anlaufstelle, weder im privaten, noch im öffentlichen Bereich, während 37 % Hilfe in
lsbtiq* Vereinen kennen
51
. Auch berichtete rassistische Denkweisen oder das Fehlen spezifischer
Unterstützungsstrukturen innerhalb von lsbtiq* Communities tragen vermutlich stark dazu bei, hier keine
Unterstützung zu finden. Es wird von „Rassismus in der schwulen Community“ berichtet, bzw. „systematic
racism and abuse I’ve experienced in the community, and the lack of structures of support and solidarity“
52
.
Spezifische Vereine oder Angebote könnten hier eine Lücke schließen, auch, um rassistisch geprägten
Denkmustern entgegenzuwirken.
49
Deutsche Übersetzung: „Ich weiß nicht, wo ich mit der Aufzählung der Fehler von Polizei und Justiz beginnen soll. Als
Ergebnis ihrer Inkompetenz, ihrem Mangel and Fürsorge und fehlendem Einsatz, ist mein Leben in Sachsen ruiniert. Ich
war Opfer extremistischer Hassverbrechen und muss die Stadt nun traumatisiert verlassen.“
50
Deutsche Übersetzung: „allgemeine Einbeziehung unter engen Freund*innen und in bestimmten lsbtiq*-freundlichen
Räumen“
51
Die Vermutung liegt nahe, dass der Anteil in der Grundgesamtheit aller lsbtiq* Personen geringer ausfallen dürfte,
dass also in dieser Stichprobe die Bekanntheit von lsbtiq* Vereinen überproportional hoch ist, da viele Befragte den
Befragungs-Link von diesen Vereinen oder ihrem Umfeld erhalten haben. Der Anteil derjenigen, die keine Anlaufstelle
haben, dürfte entsprechend unter allen lsbtiq* Personen mit Migrationshintergrund in Sachsen höher liegen.
52
Deutsche Übersetzung: „systematischer Rassismus und Beschimpfungen / Misshandlungen, die ich in der Community
erfahren habe, und Mangel an Unterstützungsstrukturen und Solidarität“.

 
54
Gefragt danach, ob sie die gleichen Chancen wie andere Sächs*innen hätten, fallen die Einschätzungen
überdurchschnittlich vieler lsbtiq* Befragte mit Migrationshintergrund in einigen Lebensbereichen schlechter
aus:
Dies trifft vor allem auf die Chance zu, einen Job zu bekommen oder Karriere zu machen – hier sehen
40 % keine gleichen Chancen (Durchschnitt aller lsbtiq* Befragter: 26 %). Entsprechend sieht auch
etwas mehr als ein Drittel unter ihnen schlechtere Chancen, Vermögen aufzubauen.
Auch die Chancen, eine Wohnung zu mieten, werden von 13 der 56 Befragten mit Migrationshintergrund
als schlechter bewertet.
Die Chance auf politische Beteiligung wird von rund jeder dritten befragten Person in dieser Gruppe als
nachteiliger bewertet.
Und knapp die Hälfte von ihnen sieht keine Chancengerechtigkeit, wenn es um den Zugang zu
Informationen rund um die eigenen Möglichkeiten und ihre rechtliche Situation geht.
Vergleichbar mit der Unsichtbarkeit nicht geouteter Personen wird auch hier betont, dass Diskriminierung nur
ausbleibt, wenn der eigene Migrationshintergrund nicht sichtbar ist – dies zeigt in besonderem Maße einen
dringenden Handlungsbedarf auf:
Menschen sollten nicht gezwungen sein, Diskriminierungen durch Unsichtbarkeit und Angepasstheit an eine
Vielzahl von Normen (also die Annäherung an einen gesellschaftlich konstruierten Idealtypus) zu vermeiden.
Zum einen ist Unsichtbarkeit oft gar nicht möglich. Zum anderen ist diese Anpassungsleistung, wenn
überhaupt, nur durch gravierende Einschränkungen der individuellen Freiheiten erbringbar. Denn Berichte, in
denen betont wird, dass nur durch geringere Abweichungen von einem gesellschaftlichen Idealtypus auch
weniger Diskriminierung erlebt wird, finden sich zu verschiedensten Fragen im Datenmaterial,
beispielsweise: „Nein, ich habe keine Mehrfachdiskriminierungen erlebt. Ich bin hoch gebildet und weder arm
noch sieht oder hört man mir meinen Migrationshintergrund an. Alles keine Faktoren, die 'sichtbar' sind und
Diskriminierungen begünstigen könnten.“
5.3. Lsbtiq* Personen und Religion in Sachsen
Für 41 Antwortende prägt auch ihr religiöses Umfeld ihre aktuelle Lebenssituation. Ihre Erfahrungen werden
in diesem Teilkapitel dargestellt. Es soll Einblicke in ihre Lebenswelt geben, ohne dass diese aufgrund der
Fallzahlen, wie in anderen Kapiteln auch, in einem statistischen Sinne repräsentativ für lsbtiq* Sächs*innen
sein können.
Die religiöse Ausrichtung der Teilnehmenden wurde im Fragebogen aus Zeitgründen nicht genauer erfragt.
Daher kann nicht spezifiziert werden, welchem kirchlichen oder religiösen Umfeld diese 41 Befragten
angehören. Von ihnen berichten zwei Personen von einem Migrations- sowie zwei weitere Personen von
einem Fluchthintergrund, 32 Personen nicht. Drei haben eine Behinderung / Beeinträchtigung und vier eine
chronische Erkrankung. Lsbtiq* Befragte mit religiösem Umfeld sind quer durch alle Alterskategorien und
Wohnortgrößen zu finden. Auffällig ist lediglich, dass neben der Mehrheit von 27 Antwortenden aus Dresden
und Leipzig ebenso sechs Befragte aus dem Landkreis Bautzen stammen.
Unter lsbtiq* Sächs*innen mit religiösem Umfeld sind viele Geschlechtsidentitäten und Geschlechter zu
finden: So sind in der teilnehmenden Stichprobe 15 Antwortende cisweiblich, 14 cismännlich, sechs nicht-
binär, zwei anders-geschlechtlich, eine trans- sowie eine intergeschlechtlich. Ebenso vielfältig sind ihre
sexuellen Orientierungen: Zehn identifizieren sich als schwul, acht als pansexuell, sieben als bisexuell,
sechs als lesbisch, fünf als queer, drei als asexuell und zwei möchten oder können sich nicht festlegen.
Betrachtet man ihre berichteten Lebenssituationen,
fällt zunächst auf, dass 16 von 40 Antwortenden nicht oder nur gegenüber engsten Vertrauten geoutet
sind. Das entspricht einer Quote von 40 % - gegenüber nur 27 % unter allen lsbtiq* Personen ohne
religiöses Umfeld. Der häufigste angegebene Grund sind befürchtete Nachteile durch ein Coming-out.
Dabei sind lsbtiq* Personen in religiösen Umfeldern generell nicht unzufriedener mit ihrem Leben als
andere lsbtiq* Personen in Sachsen.

55
Auch sagt eine Mehrheit unter ihnen, sie könne ihren Lebensentwurf frei umsetzen: Acht bejahen dies
vollständig, 20 eher. Dagegen verneinen dies ebenfalls acht Antwortende eher, fünf können als lsbtiq*
Person in Sachsen aktuell überhaupt nicht so leben, wie sie möchten.
Jede*r Dritte (12 von 37) hat eher oder überwiegend negative Erfahrungen in der eigenen Familie in den
vergangenen fünf Jahren gemacht. Das sind prozentual mehr als unter lsbtiq* Befragten ohne religiöses
Umfeld (mit 20 % jede*r Fünfte). In diesem Zusammenhang wurden Hinweise auf familiären Druck bis
hin zu Drohungen mit Konversionstherapien (in zwei Fällen) in den offenen Angaben geschildert. Eine
Person berichtet beispielhaft: „Meine Familie hat mich wie eine Schande gesehen und wollte, dass ich
zur Konversionstherapie gehe.“
In zwei Bereichen haben lsbtiq* Personen mit religiösem Umfeld negativere Erfahrungen gemacht als
andere lsbtiq* Personen in Sachsen: in der Schule und der Kindertagesbetreuung.
So stehen zehn Antwortende mit positiven Schulerfahrungen neun mit negativen gegenüber. Dass
kirchliche Schulträger sowohl ein positives Umfeld für lsbtiq* Schüler*innen bieten, wie auch negativ
prägenkönnen, zeigt ein Erfahrungsbericht aus der Fokusgruppe transgeschlechtlicher und nicht-binärer
Teilnehmender: „Mit 14/15 war ich auf einer katholischen Schule, inkl. religiösem Umfeld seit meiner
Kindergartenzeit. Ich hatte große Angst vor dem Coming-out in der Schule, war aber positiv überrascht
von einigen Lehrkräften, die mir sogar Beratungen angeboten haben. Von offizieller Seite kam aber
teilweise auch ‚beten, damit es weggeht‘.“ Hinsichtlich des Bereichs der Kindertagesbetreuung haben
drei lsbtiq* Befragte mit religiösem Umfeld in den vergangenen fünf Jahren überwiegend negative
Erfahrungen gemacht, zwei überwiegend positive Erfahrungen.
Wie andere lsbtiq* Befragte auch, empfinden lsbtiq* Personen in religiösen Umfeldern ihre Chancen auf
eine Familiengründung als schlechter als die Chancen anderer Sächs*innen. Auffällig hoch ist hierbei
jedoch der Anteil derjenigen, die gar keine Chancengleichheit auf Familiengründung mit Kindern sehen
(13 von 29 Antwortenden).
In den offenen Antworten zeigt sich ein gemischtes Bild bezüglich der Ablehnung und Akzeptanz in
religiösen Umfeldern. Zum anderen wird das Infragestellen der Vereinbarkeit von Religion und lsbtiq*-
Zugehörigkeit thematisiert. Insgesamt können aufgrund der geringen Datenmenge nur beispielhafte
Aussagen getroffen werden:
Für gläubige (christliche) lsbtiq* Personen kann es schwierig sein, ein akzeptierendes Umfeld innerhalb ihrer
Glaubensgemeinschaft zu finden. „Ich bin gläubig und habe bisher nur negative Erfahrung in Gemeinden
gemacht. Am Ende war meine Homosexualität immer ein ‚Problem‘.“ In einigen Fällen wurde der Versuch,
dort Akzeptanz zu finden, (zunächst) aufgegeben: „Auf der Suche nach einer passenden Gemeinde bin ich
leider immer wieder auf trans*- und homophobe Gemeinden getroffen. Meine Suche nach einer Gemeinde
hatte keinen Erfolg und ich habe es nicht mehr weiter versucht.“ In einem anderen berichteten Fall erfolgte
deshalb der Austritt aus der Kirche.
Die Diskriminierung einer Glaubensrichtung (jenseits von evangelisch/katholischer Konfession) kann aber
auch stärker als die erlebte Diskriminierung wegen (hier) der eigenen sexuellen Orientierung sein. „Ich bin
jüdischen Glaubens und kommuniziere dies ebenfalls offen. In diesem Kontext erlebe ich erheblich sehr viel
öfter Vorurteile, Ablehnung/Hass, Beleidigungen, Diskriminierungen etc., als wegen meiner Sexualität“. Auch
in anderen Kapiteln zum Thema Mehrfachdiskriminierung fällt auf, dass ein Aspekt oder Merkmal das andere
in diesem Sinne überwiegen kann. Das bezüglich Diskriminierung schwerwiegendere Merkmal rückt in den
Vordergrund, andere rücken in den Hintergrund, tragen aber zur Gesamtsituation der diskriminierten Person
bei. Im obigen Beispiel ist nicht die Vereinbarkeit von sexueller Orientierung und Religion die vordergründige
Frage, sondern die Ablehnung des Jüdischen als solches.
Gleichzeitig zeigt sich auch hier, wie in anderen Bereichen, dass Mehrfachdiskriminierung so aussehen
kann: Die Kombination verschiedener Aspekte oder Zuordnungen kann dazu führen, dass mindestens einer
dieser Aspekte nicht bzw. weniger ernst genommen wird. „Ich war religiös und queer. Das muss man schon
erstmal rechtfertigen oder man wird nicht so ernst genommen“. Von generellem Unverständnis gegenüber
der Vereinbarkeit ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität mit ihrem Glauben
berichten ebenso einige Befragte: „Es gibt immer wieder die Situation, dass Menschen Klischees und
Vorurteile über Homosexuelle reproduzieren und diese unreflektiert übertragen. Gleiches gilt in Bezug auf
meine Religiosität. Gerade die Vereinbarkeit von Religion und Homosexualität wird oft hinterfragt.“

 
56
Auch Benachteiligungen aufgrund des geltenden Kirchenrechts, in einem christlich-religiösen Umfeld nicht
eingestellt zu werden, werden mit erheblichen Folgen berichtet: „Ich habe meinen angestrebten Beruf im
Bereich der ev.-luth. Landeskirche nicht ergreifen können und damit massive finanzielle Nachteile und eine
berufliche Umorientierung (2. Studium) in Kauf nehmen müssen“. Eine andere Person berichtet von dem
Phänomen, in ihrer Freikirche zwar anwesend sein, aber aufgrund „sexueller Unreinheit“ nicht als Akteurin
oder Teil des Teams mitmachen zu dürfen.
Die Überraschung über die Akzeptanz in einem kirchlichen Umfeld verdeutlicht, dass sie dort eher nicht als
selbstverständlich wahrgenommen wird: „Viele sind positiv überrascht, dass in meiner [Frei-]Kirche queere
Menschen genauso willkommen und wertgeschätzt sind wie alle anderen auch.“ Die Berichte sprechen
jedoch ebenfalls von der mitunter vorhandenen Überzeugung, der Glaube selbst inkludiere die Ablehnung
von lsbtiq* Lebensweisen: „Ich bin bisexuell und christlich. Über andere Christen kommt es oft zu
Diskriminierungen, weil sie der Meinung sind, dass Gott gegen Homosexualität sei.“ Die Auffassung, dass
beispielsweise Homosexuelle in der Kirche eben nicht diskriminiert werden dürfen, kann aber ebenso
vorhanden sein: „In meiner evangelischen Kirche in einem sächsischen Dorf wurde ich während meiner
Jugend vom Kirchenvorstand diskriminiert, weil ich homosexuell bin. Dem Pfarrer war das sehr unangenehm
und (er) hat sich bei mir entschuldigt.“
In einem anderen Bericht waren die Erfahrungen in der Kirchengemeinde gravierend: „Es ging um
psychische Gewalt durch Homophobie in einer Kirchgemeinde. Hat mich damals schwer krankgemacht, und
auch wenn ich vieles hinter mir lassen konnte, beschäftigt mich das Thema manchmal noch. Die
Mechanismen der psychischen Gewalt sind subtil, und den ‚Tätern‘ ist vermutlich nicht bewusst, welchen
Schaden sie anrichten können. […] Einzig gegen die Empfehlung von ‚Konversionstherapien‘ kann man
heute vorgehen, früher gab es so ein Gesetz noch nicht.“
Darüber hinaus berichten auch nicht-religiöse Befragte von Erlebnissen mit der christlichen Kirche oder
Gläubigen: „Auf einer christlichen Hochzeit kamen mehrere Gäste zu mir und meinem Partner, um uns zu
versichern, dass alle ok damit seien, obwohl sie sehr konservativ seien. Das war irgendwie
unangenehm.“ Der oftmals kommunizierte Aspekt unangemessener Thematisierung und Intimität zeigt sich
auch hier. In einem anderen Fall wird die Bibel zur Legitimierung der eigenen Ablehnung herangezogen: „Ein
christliches Familienmitglied versuchte mir anhand der Bibel zu erklären, wieso transgeschlechtliche
Menschen krank sind und weswegen zwei Männer kein Kind großziehen könnten. Ich selbst bin nicht
gläubig.“
5.4. Lsbtiq* Personen im ländlichen Raum
Den ländlichen Raum im Kontext dieser Studie genauer zu definieren, ist nicht einfach. Teilnehmende
wurden über Landkreiszugehörigkeit hinaus nicht direkt danach gefragt, ob sie im „ländlichen Raum“ leben.
Sie wurden allerdings nach ihrer Wohnortgröße gefragt: in Großstädten und Vororten wohnend oder in
Mittel- und Kleinstädten oder Dörfern lebend. Die Lebenslagen letzterer außerhalb der sächsischen
Großstädte und Vororte sollen im Folgenden genauer betrachtet werden. Aufgrund kleiner Fallzahlen kann
nur selten zwischen einzelnen Landkreisen unterschieden werden – in Verbindung mit dem Hinweis, dass
die Befragung nicht repräsentativ für alle lsbtiq* Personen in den sächsischen Landkreisen und damit auch
nicht per se für den ländlichen Raum Sachsens ist. Dennoch geben die Schilderungen dieser rund 380
Personen legitime Einblicke in die Erfahrungen und Lebenslagen, die lsbtiq* Sächs*innen außerhalb der
Großstädte haben.
129 antwortende lsbtiq* Personen leben in Dörfern, darunter 33 schwule, 24 lesbische, 24 bisexuelle, 16
pansexuelle, zehn queere, vier asexuelle und sechs Personen, die sich nicht festlegen können oder wollen.
Ebenso sind darunter je 40 cisweibliche und cismännliche und ein fast ebenso großer Anteil nicht-
cisgeschlechtlicher Antwortender: 14 transgeschlechtliche, 13 nicht-binäre und zehn anders-geschlechtliche
Personen.
Weitere 253 Antwortende wohnen in Mittel- oder Kleinstädten, darunter 49 schwule, 31 lesbische, 55
bisexuelle, 36 pansexuelle, 24 queere, elf asexuelle, vier heterosexuelle und 21 Personen, die ihre sexuelle
Orientierung nicht festlegen können oder wollen. Ebenso leben 89 cisweibliche, 65 cismännliche, 35 nicht-
binäre, 30 transgeschlechtliche und elf anders-geschlechtliche Antwortende in Klein- oder Mittelstädten.
Dabei unterscheiden sich die sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten der befragten lsbtiq*
Teilgruppen in ländlichen Räumen nicht von denen in Großstädten oder Vororten (Abweichungen liegen
statistisch unter fünf Prozentpunkten Differenz zum Durchschnitt).

57
Die Vielfalt von lsbtiq* Identitäten ist in ländlichen Räumen genauso gegeben wie in sächsischen
Großstädten – sie ist nur weniger sichtbar.
Denn wie Kapitel 4 gezeigt hat, liegt die Quote nicht offen lebender lsbtiq* Personen hier deutlich höher als
in den Großstädten: 41 % der in Mittel- und Kleinstädten lebenden Befragten sind nicht oder nur in einem
engsten Kreis geoutet, in Dörfern sind es 37 %. Zum Vergleich: In den sächsischen Großstädten sind nur
23 % nicht oder lediglich in kleinstem Kreis geoutet.
Darüber hinaus zeigen sich interessante Antwortmuster zu den Kernfragen dieser Studie:
Können lsbtiq* Personen im ländlichen Raum Sachsens ihren Lebensentwurf frei umsetzen? Können sie
so leben, wie sie möchten? Das bejahen vor allem Befragte aus Mittel- und Kleinstädten. Eine Mehrheit
von 58 % kann hier frei leben, so ihre eigene Einschätzung. In Dörfern sind es nur 47 % der
Antwortenden. Zum Vergleich: In Großstädten sind es mit 65 % knapp zwei Drittel, die so leben können,
wie sie möchten.
Dass sie ihren Lebensentwurf nicht frei leben können, sagen 43 % der in sächsischen Dörfern lebenden
und 35 % der in Mittel- und Kleinstädten lebenden Befragten.
Sind lsbtiq* Sächs*innen im ländlichen Raum zufrieden mit ihrem Leben? Eine Mehrheit von ihnen ist es.
60 % der in Dörfern lebenden Befragten ist allgemein zufrieden.
In Mittel- und Kleinstädten sind knapp zwei Drittel (65 %) mit ihrem Leben zufrieden. Damit liegt die
Lebenszufriedenheit dort auf gleichem Niveau wie in den Großstädten (66 %).
Der einzige Landkreis, in der eine Mehrheit der antwortenden lsbtiq* Personen mit ihrem Leben
unzufrieden ist, ist die sächsische Schweiz-Ostererzgebirge. Im Landkreis Meißen sind 45 %
unzufrieden, der Durchschnitt aller Landkreise liegt bei 34 % Unzufriedenen.
Fühlen sich lsbtiq* Personen im ländlichen Raum Sachsens sicher? Nein, nur wenige.
In der Summe fühlen sich nur 27 % (das sind 54 von 198 Befragten) in Mittel- und Kleinstädten und nur
knapp jede*r Vierte (24 %) in Dörfern im öffentlichen Raum sehr oder eher sicher. In sächsischen
Großstädten sind dies allerdings auch nur 26 %, sodass hier ein generelles Sicherheitsproblem im
Freistaat zu konstatieren ist.
Weitere je 39 % fühlen sich kontextabhängig (un)sicher („teils teils“), mehr als jede*r Dritte (Mittel- und
Kleinstädte: 34 %, Dörfer: 36 %) fühlen sich eher oder sehr unsicher.
Darüber hinaus fällt auf, dass sich die Strukturschwäche des ländlichen Raums auch in mangelnden
Unterstützungsstrukturen für lsbtiq* Personen Sachsens niederschlägt.
So können sich deutlich weniger Befragte aus Mittel- und Kleinstädten (27 %) und Dörfern (32 %) bei
Schwierigkeiten oder Beratungsbedarfen an Anlaufstellen für lsbtiq* Personen wenden, als
großstädtische Befragte (44 %). Viele nutzen bei Problemen auch familiäre und freundschaftliche Hilfe.
Der Anteil derjenigen, die weder private noch öffentliche (Behörden und Ämter) oder community-
Anlaufstellen aufsuchen können, also ohne ein Unterstützungssystem sind, liegt im ländlichen Raum mit
13 % (jede*r Siebte) doppelt so hoch wie in den Großstädten (6 %).
In den offenen Antworten sowie in der Fokusgruppendiskussion tritt ebenso die fehlende Beratungsstruktur,
sowie generell fehlende Angebote für lsbtiq* Personen als ein zentrales Thema im ländlichen Raum hervor:
„Offenes Leben ist auf dem Land nur schwer möglich, insbesondere da queere Angebote wie Clubs,
Beratungsstellen oder anonyme Möglichkeiten für STI-Tests fehlen oder unbekannt sind.“
Neben Beratungsangeboten mangelt es auch an adäquater medizinischer Versorgung, insbesondere für
transgeschlechtliche Personen in Sachsen: „Medizinische Angebote fehlen im ländlichen Raum, man muss
in die Großstadt, um behandelt zu werden.“ Dieser Umstand nimmt je nach Ort und Bedarf mitunter
umfangreiche zeitliche und finanzielle Ressourcen in Anspruch: „Ich musste aus dem ländlichen Raum in die
Großstadt, musste zur Uniklinik in Halle, kam in Leipzig überhaupt nicht klar, in Halle hatte ich
Unterstützung. Aber es war ein kompletter Arbeitstag, wenn ich da für eine Stunde hin musste, man muss
unheimliche Ressourcen aufbringen, um sich Hilfe zu suchen.“

 
58
Das zweite relevante Thema ist im Zusammenhang mit mangelnder Sichtbarkeit auch die fehlende private
Unterstützung durch andere lsbtiq* Personen. Ebendiese wird von Befragten, die in Leipzig oder Dresden
wohnen, überdeutlich als positiv und auch notwendig hervorgehoben (siehe Kapitel 6.2): „Ich lebe jetzt in
einer Großstadt, aber bin sehr ländlich aufgewachsen, wo queer sein und lgbtq+ Themen kaum eine Rolle
spiel(t)en und ich wenig Zugang zu Informationen oder Menschen mit ähnlichen Erfahrungen hatte“. Dieser
Informationsmangel wird auch bezüglich Schulen thematisiert: „Ich komme ursprünglich aus dem Landkreis
SOE, und gerade als junger Mensch hat man beispielsweise im schulischen Umfeld gar nicht die
Möglichkeit, sich auszuleben oder zumindest aufgeklärt zu werden.“
Höhere Gefahrenexposition und mangelnde Beratungs- und Unterstützungsstrukturen im ländlichen Raum
können besonders nachteilig ineinandergreifen.
Das veranschaulicht folgender Bericht einer Fokusgruppenteilnehmerin: „Mit Hass, gerade im ländlichen
Raum, ist man fast jede Woche konfrontiert. Nicht täglich, aber wöchentlich. Es verursacht Ohnmacht, dass
mensch nicht wirklich Unterstützung bekommt. Wir haben zwar eine Unterstützungsstruktur, aber die ist
punktuell, nicht ausreichend. Menschen müssen aus ländlichen Regionen erstmal da hinkommen, wenn sie
genau diese Ohnmachtsgefühle haben.“
5.5. Lsbtiq* Personen mit Behinderung /
Beeinträchtigung oder chronischer Erkrankung
Die Befragung hat zahlreiche lsbtiq* Personen erreicht, die aufgrund einer chronischen Krankheit (116
Antwortende bzw. 10,7 %) und/oder einer Behinderung oder Beeinträchtigung (59 Antwortende bzw. 5,4 %)
gesundheitlichen Unterstützungsbedarf haben. 84 % aller Teilnehmenden geben dagegen keinen
besonderen Unterstützungsbedarf an.
Der Altersdurchschnitt der Antwortenden mit Behinderung / Beeinträchtigung oder chronischer Erkrankung
weicht nicht vom generellen, jungen Altersdurchschnitt der Gesamtstichprobe ab: Vielmehr zeigen die
Ergebnisse, dass sich lsbtiq* Personen mit Behinderung / Beeinträchtigung ebenso wie lsbtiq* Personen mit
chronischen Erkrankungen vielfach in jungen Lebenslagen befinden.
Sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten sind unter Befragten mit Behinderung oder
Beeinträchtigung vielfältig verteilt: So sind nur rund die Hälfte der Antwortenden cisgeschlechtlich (16
cismännlich, 13 cisweiblich). 15 Antwortende mit Behinderung oder Beeinträchtigung sind nicht-binär, 9
transgeschlechtlich und 4 anders-geschlechtlich. Sehr ähnliche Verteilungen finden sich für Personen mit
chronischen Krankheiten. Unter Antwortenden mit Behinderung / Beeinträchtigung sind 12 schwul, 9
lesbisch, 12 bi-, 8 pan-, 3 asexuell und 9 queer, 2 möchten ihre sexuelle Orientierung nicht festlegen. Auch
dies ähnelt der Verteilung bei Befragten mit chronischen Erkrankungen.
Hinsichtlich ihrer Lebenszufriedenheit und ihrer Erfahrungen zeigen sich teils deutliche Unterschiede
zwischen Antwortenden mit und Antwortenden ohne Behinderung / Beeinträchtigungen bzw. chronischen
Erkrankungen.
Die größten Unterschiede liegen in dem deutlich häufigeren Erfahren von Angriffen, die lsbtiq* mit
Behinderung / Beeinträchtigung und mit chronischen Erkrankungen angeben: So berichtet nur rund je ein
Drittel von ihnen, in den vergangenen fünf Jahren keine Beleidigungen, Übergriffe, körperliche oder sexuelle
Gewalt oder eine andere Straftat erlebt zu haben.
Damit liegt die Opferquote unter ihnen deutlich über der von lsbtiq* ohne Behinderung, Beeinträchtigung
oder chronischer Erkrankung (50 % in den vergangenen 5 Jahren betroffen). Ein Großteil hat die Erlebnisse
allerdings nicht bei der Polizei oder der Justiz angezeigt.
Knapp jede zweite antwortende lsbtiq* Person mit Behinderung / Beeinträchtigung oder chronischer
Erkrankung fühlt sich im öffentlichen Raum Sachsens allgemein unsicher oder sehr unsicher. Damit liegt ihr
Sicherheitsgefühl deutlich unter dem Durchschnitt aller lsbtiq* Befragter (30 % unsicher).
Außerdem sind die Erfahrungen eines Großteils mit der Polizei und der Justiz negativ.

59
Große Unterschiede bestehen ebenfalls in Bezug auf die Erfahrungen, die lsbtiq* Personen mit
gegenüber Personen ohne Behinderung / Beeinträchtigung bei Ämtern und Behörden machen: Hier
überwiegen bei zwei Dritteln die negativen Erfahrungen.
Ebenso mehrheitlich negative Erfahrungen machen sie in den Bereichen Gesundheit, Schule und
Öffentlichkeit. So wird unter anderem der Zugang zu Leistungen der Krankenkassen sowie die Chance
auf eine adäquate ärztliche Versorgung von rund der Hälfte der lsbtiq* Befragten mit Behinderung /
Beeinträchtigung als schlechter bewertet als der anderer Sächs*innen: „Die Kombination mit chronisch
krank mit erhöhtem Hilfebedarf schafft oft Situationen, in denen ich mich entscheiden muss, ob ich mich
gerade um meine Gesundheit ODER meine Identität kümmere. Das ist sehr frustrierend“. Eine Frau
berichtet Erfahrungen im Bereich Gesundheit und in der Öffentlichkeit, wobei hinsichtlich der Reaktionen
der jeweiligen Gegenüber die Faktoren körperliche Behinderung, psychische Diagnosen und Frau-Sein
zusammenwirken: „Ich werde ständig auf meine Behinderung reduziert. Ärzte schauen immer zuerst auf
meine psychischen Diagnosen und gehen schon von vornherein davon aus, dass ich nichts Körperliches
haben kann. Was meinen Rollstuhl angeht, werden die Leute schnell übergriffig und greifen ohne mein
Einverständnis danach, weil sie ‚helfen wollen‘, auch wenn ich sage, dass ich allein zurechtkomme. Als
Frau bin ich oft von Alltagssexismus und Catcalling betroffen und fühle mich dadurch recht unsicher
manchmal.“
Eine weitere Person berichtet von der auch in den Kapiteln 5.7 und 7.6 thematisierten Problematik, dass
es aufgrund der Rechtslage und der Strukturen im Gesundheitssystem zu einem Dilemma werden kann,
sich um eine Transition und eine psychische Krankheit gleichzeitig bemühen zu müssen: „Ich bin
psychisch krank und habe deswegen einen erschwerten Zugang zu psychologischer Betreuung, wenn
es um Rücksichtnahme auf meine Trans*Identität geht“.
Besonders häufige Ungleichheit sehen diese Befragten (über 80 %) in der Chance, eine Familie mit
Kindern zu gründen.
In der Arbeitswelt machen gleichwohl 41 % negative Erfahrungen. Deutliche 63 % der Befragten mit
Behinderung / Beeinträchtigung sehen für sich als beeinträchtigte lsbtiq* Person nicht die gleichen
Chancen, eine Stelle zu erhalten oder Karriere zu machen.
53
Unter chronisch Erkrankten ist es knapp
jede zweite Person. Für rund jede*n Zweite*n stehen die Chancen, Vermögen aufzubauen, nach eigener
Einschätzung schlechter als für andere Menschen.
Die empfundene Chancenungleichheit beginnt bereits für rund ein Drittel von ihnen bereits in einer
früheren Lebensphase, nämlich in wahrgenommenen ungleichen Chancen, den Bildungsweg ihrer Wahl
zu gehen.
Außerdem sieht ein Drittel schlechtere Chancen auf dem Wohnungsmarkt, verglichen mit den Chancen
anderer Sächs*innen, eine Wohnung zu mieten.
Die Chance, dass ihre Lebenssituation bei Behörden berücksichtigt wird, schätzen sogar 80 % aller
lsbtiq* Befragten mit Behinderung / Beeinträchtigung oder chronischer Erkrankung als geringer ein.
Eine öffentliche Stelle oder Behörde, wie Jugendämter oder Schulämter, an die sie sich bei Problemen
wenden können, geben nur 2 respektive 3 von 55 respektive 107 Antwortenden mit Behinderung /
Beeinträchtigung respektive chronischer Erkrankung an. Auch hier sind die Unterstützungsstrukturen
fast ausschließlich im privaten Umfeld (84 % respektive 94 %) oder bei lsbtiq* Vereinen (51 % respektive
47 %) verortet. Für jede zweite antwortende lsbtiq* Person mit Behinderung / Beeinträchtigung oder
chronischer Erkrankung sind Community-Strukturen somit eine wichtige Anlaufstelle bei Problemen.
Aus den offenen Antworten ergibt sich als weitere Kategorie die Erfahrung, dass entweder die
Behinderung und/oder die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht ernst genommen
werden: „Ich bin geistig behindert, Autismus. Dass ich anders bin, weiß ich selbst. Man übersieht aber
gern mal oder nimmt es schlicht nicht ernst, dass es so ist. Bei meiner Sexualität ist es genau
dasselbe.“ Die Beobachtung, dass eine Behinderung nicht ernst genommen wird, ist insbesondere bei
jungen Betroffenen zu verzeichnen und kann unter anderem zu sozialen Benachteiligungen und
Stigmatisierungen führen: „Ja, wenn ein junger Mensch behindert ist, was nicht in das Bild von Krankheit
passt, dann wird dieser nie als krank akzeptiert. Man wird ausgegrenzt“, beispielsweise in der
Nachbarschaft, wenn man nicht erwerbsfähig ist.
53
Hier gilt wie für zahlreiche andere intersektionale Befunde auch: Welcher Anteil der Diskriminierungserfahrung auf die
sexuelle Orientierung / geschlechtliche Identität oder auf die Behinderung /Beeinträchtigung zurückgeht, kann
methodisch nicht trennscharf bestimmt werden.

 
60
Noch spezifischer wird dabei der Zusammenhang berichtet, dass aufgrund der Behinderung /
Beeinträchtigung / chronischen Erkrankung den betreffenden Befragten die Fähigkeit abgesprochen
wird, ihre eigene sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität eindeutig einzuschätzen bzw. zu
empfinden.
Dies berichten mehrere Personen: „Menschen denken aufgrund meiner Behinderungen, dass ich nicht
wissen kann, dass ich non-binary bin.“ Oder: „Als Mensch mit psychischer Erkrankung werde ich
grundlegend oft nicht ernst genommen, wenn ich über meine geschlechtliche Identität rede.“
Auffällige Unterschiede zu lsbtiq* ohne Behinderung / Beeinträchtigung und ohne chronische Erkrankung
bestehen zudem in der Chance, nach den eigenen Vorstellungen zu leben.
Dass sie ihren Lebensentwurf umsetzen können, sagt nur eine knappe Minderheit der Antwortenden. Jede*r
Fünfte verneint gänzlich, nach eigenen Vorstellungen als lesbische, schwule, bi- oder pansexuelle, queere,
trans- oder intergeschlechtliche Person mit einer Beeinträchtigung oder einer chronischen Erkrankung in
Sachsen leben zu können.
Dementsprechend vermag es nicht zu überraschen, dass die Lebenszufriedenheit der Befragten geringer ist:
Insbesondere unter chronisch Erkrankten ist eine Mehrheit von 55 % unzufrieden, darunter 11 % sehr
unzufrieden. Dies ist ein doppelt so hoher Anteil wie unter nicht chronisch erkrankten lsbtiq* Befragten.
Verschiedene gesellschaftlich diskriminierte Faktoren können sich hier zu häufigerer Diskriminierung
aufsummieren, zum Beispiel: „Ja, ich bin gehörlos und habe oft deswegen zusätzlich Diskriminierung
erlebt.“ Ebenfalls kann beispielsweise eine Behinderung als diskriminiertes Merkmal in den Vordergrund vor
die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität rücken: „Ich werde eher aufgrund meines Autismus
anders behandelt“. Eine chronische Krankheit kann vorab ein explizit genanntes Ausschlusskriterium
darstellen: „Ich gehe mit meiner HIV-Infektion offen um. In der schwulen Szene findet man unter anderem
auf Dating-Portalen öfter die Aussage, dass sich ‚nur Gesunde‘ melden sollen.“
5.6. Weibliche oder weiblich gelesene lsbtiq* Personen
und „Femininität“
Hinweis: In diesem Kapitel werden Sexismus, Sexualisierung und Übergriffe thematisiert.
In diesem Kapitel geht es um die spezifischen Erfahrungen
von lsbtiq* Befragten, die damit zusammenhängen, dass sie von anderen Menschen weiblich gelesen
und eingeordnet werden.
Außerdem geht es um Situationen, in denen die betreffenden Befragten entweder als zu feminin oder als
nicht feminin genug bewertet werden.
Zudem thematisiert dieses Kapitel berichtete Erfahrungen von Befragten, die in dem Moment stattfinden,
wo sie nicht männlich oder weiblich zugeordnet werden können; zum Beispiel von einem Gegenüber,
welches dieses aber erwartet oder verlangt.
Dabei ist anzumerken, dass diese Thematiken nicht explizit abgefragt wurden.
54
Die Relevanz des
Themenbereichs zeigt sich insbesondere daran, dass eine hohe Anzahl von Befragten dies selbst bei den
offenen Fragen eingebracht hat.
Anhand ihrer Erfahrungsberichte zeigen sich die zwei folgenden (nicht stets trennscharfen) Dimensionen:
erstens, dass das Verhalten der jeweiligen Gegenüber (bewusst oder unbewusst)
Geschlechterhierarchien und Machtverhältnisse reproduziert oder festschreibt, durch:
Unterschätzung, nicht ernst nehmen
Sexualisierung, übergriffiges Verhalten.
Diese Kategorien treten oft in Kombination auf.
54
Hinweis für Lesende: Daher kann in diesem Kapitel nicht auf statistische Verteilungen (Prozentangaben)
zurückgegriffen werden.

61
Zweitens zeigt sich, dass das Verhalten als einem weiblich wahrgenommenen Gegenüber für
angemessen betrachtet wird. Auf Basis dieser angenommenen Legitimität werden Normabweichungen
kommentiert und sanktioniert (beispielsweise durch Kommentare, Anfeindungen und körperliche
Übergriffe). Eine Normabweichung bedeutet, dass eine Person entsprechend der Vorstellungen des
jeweiligen Gegenübers entweder nicht feminin genug (wenn sie* dies normativ sein sollte) oder aber zu
feminin (wenn es ihr* nicht zusteht) ist. Das Gegenüber versucht, dagegen vorzugehen oder zumindest
seine Ablehnung zu äußern.
Außerdem ist bemerkenswert, dass Diskriminierungserfahrungen mit mehreren vom Gegenüber
wahrgenommenen Merkmalen zeitgleich in Zusammenhang gebracht werden, wie zum Beispiel das Alter
und die Körpergröße.
Unterschätzung
Zunächst wird der Umstand erlebt, als weibliche oder weiblich gelesene lsbtiq* Person unterschätzt und
nicht ernst genommen zu werden. Dass dies neben dem privaten Umfeld auch in öffentlich-staatlichen
Kontexten passiert und erhebliche Folgen haben kann, zeigen Berichte Betroffener beispielsweise aus dem
Schulalltag. Eine befragte Person schildert, wie sie sich von Lehrkräften aufgrund ihres Erscheinungsbilds
übergangen oder nicht ernst genommen gefühlt habe. In ihrem Fall kommt hinzu, dass die eigene
Unsicherheit und das Unwohlsein im weiblich zugeschriebenen Körper durch ablehnende Reaktionen in der
Schule verstärkt und festgeschrieben wurden.
Weitere Berichte von Unterschätzung beziehen sich auf die Arbeitswelt: „Im Berufsleben wird einem weniger
zugetraut, in vielen Bereichen werden Frauen/lesbische bzw. bisexuelle Frauen weniger gebucht oder
eingestellt." Weitere Faktoren können zur Unterschätzung beitragen: „Als weiblicher, kleiner (1,60 m) und
junger Mensch wird man oft nicht ernst genommen, z.B. im Job oder bei Arztbesuchen (junge Menschen
können ja noch nicht so krank sein).“
Sexualisierung / sexualisierte Übergriffe
Die meisten Berichte zu Diskriminierungserfahrungen als weiblich gelesene Personen lassen sich dieser
Kategorie zuordnen. Darunter ist die hier als Mehrfachdiskriminierung häufig genannte Erfahrung bisexueller
und lesbischer Personen sowie lesbisch gelesener Paare, ungefragt übergriffige sexuelle Angebote von
cisgeschlechtlichen Männern zu erhalten. Dabei wird zusätzlich mehrfach berichtet, dass eine ablehnende
Reaktion der Betroffenen nicht akzeptiert wird: Hierauf folgen mitunter weiteres verbales Insistieren und
sogar körperliche Übergriffe wie beispielsweise ungewolltes Berühren: „Männer haben nie locker gelassen
beim Anmachen, oder mich ohne mein Einverständnis berührt mit der Meinung, sie könnten mich
heterosexuell machen.“ Und: „Wenn ich meine Freundin küsse in der Öffentlichkeit, werden wir oft von
Personen dumm angemacht oder uns wird hinterher gepfiffen oder wir werden angestarrt. In schlimmen
Fällen kommt man uns zu nahe oder es wird gefragt, ob derjenige mitmachen darf.“
Dies wird in folgendem Bericht als universelle Erfahrung empfunden: „Eine Sache, die leider jede Frau
erfährt, ist Sexismus und sexuelle Belästigung (auf der Straße). Wenn man dann dem Mann sagt, dass man
nicht interessiert ist, weil man in einer Beziehung ist und erwähnt, dass dies mit einer Frau ist, dann kommen
durchaus so Sprüche wie ‚ich kann die Lesbe aus dir rausficken‘“.
Während hier eindeutige Zurückweisungen erfolgen und eine Kontaktaufnahme ausdrücklich abgelehnt wird,
werden Reaktionen berichtet, die darauf schließen lassen, dass das Gegenüber in diesen Fällen davon
ausgeht, durch aufdringliches Verhalten bei den betreffenden Personen mehr Interesse an ihm (oder
allgemein an Männern) zu wecken.
In den obigen Beispielen wird zudem deutlich: Es wird angenommen, dass die sexuelle Orientierung einer
fremden, weiblich gelesenen Person nicht richtig sein und korrigiert werden könne. Das impliziert ebenfalls,
dass ihre sexuelle Orientierung nicht akzeptiert wird.
Dies weist auf ein strukturelles Problem von gesellschaftlich weiterhin stark vorhandenen Machtstrukturen
und Geschlechterhierarchien hin. Dies wird auch dadurch klar, dass die berichteten Situationen bezüglich
der Geschlechterverhältnisse hier nicht umgedreht werden können: Es gibt im gesamten Datensatz keinerlei
Berichte von schwulen oder bisexuellen Männern*, dass eine Frau* davon ausgegangen wäre, sie
heterosexuell „machen“ zu können, oder sich nach einer Zurückweisung aufgedrängt hätte.
Weiterhin ist auch die spezifische Situation von bisexuellen weiblichen bzw. weiblich gelesenen Personen zu
beachten: „Als junge bisexuelle Frau wurde ich überdurchschnittlich häufig online sexualisiert und erhielt

62
übergriffige Nachrichten (Frage nach Dreiern, Beschuldigungen, Das Ist Eine Phase-Kommentare)“. Es wird
deutlich, dass zum einen Bisexualität noch weniger ernst genommen wird, zum anderen es eine Erwartung
gibt, dass die Person aufgeschlossen gegenüber Sex mit einem Mann* und einer Frau* gleichzeitig wäre.
Letztere Vorstellung kann ebenso von Frauen* ausgehen: „Als bisexuelle Frau wird man oft sexualisiert. Von
Männern, die sich erhoffen, ihren Traum von einem Dreier zu erfüllen und von Frauen, die ihren Partnern
einen Dreier ‚schenken‘ wollen“.
Im Datenmaterial wird viel häufiger von Frauen* als von (cisgeschlechtlichen) Männern berichtet, dass ihre
Bisexualität nicht ernst genommen wird. Die Bisexualität wird ausschließlich bei Frauen und/oder weiblich
gelesenen Personen sexualisiert.
In diesem Zusammenhang erleben sich Menschen auch als benachteiligt - trotz des Bewusstseins ihrer
spezifischen Privilegien: „Ich bin weiß, körperlich unversehrt und habe einen Hochschulabschluss. Als Frau
werde ich immer wieder verbal und körperlich belästigt, bin strukturell schwächer als Männer abgesichert,
heftigeren Rollenklischees ausgeliefert und so weiter“.
Wenn mehrere Aspekte zusammentreffen, auf Basis derer Diskriminierungen erlebt werden, kommt es auch
vor, dass ein Merkmal stärker angegriffen wird: Als Frau* sexualisiert zu werden wird in den obigen
Beispielen mit der eigenen sexuellen Orientierung assoziiert , im folgenden Beispiel hingegen als durch
Körpermerkmale und angenommene Herkunft und stereotypen Zuschreibungen verstärkt erlebt: „The fact I
am a woman and a Brazilian with a big butt led to people verbally harass me more often than the fact I am
bisexual“.
55
Abweichung von der femininen Norm
Unter der zweiten Dimension findet sich eine weitere gesellschaftliche „Korrektur“. Es geht darum,
geschlechtsspezifisch zugeschriebene Erwartungen zu erfüllen. Von weiblich zugewiesenen Personen wird
ein spezifisches – allgemein als feminin bezeichnetes Verhaltensspektrum – erwartet, welches von einer
Befragten auch als „feminine Geschlechtsperformance“ benannt wird, die das Verhalten sowie den Habitus
(Kleidung, Frisur, und anderes) betrifft: „Personen in meinem Umfeld versuchen mir alle möglichen Sachen
aufzudrängen, damit ich femininer aussehe (Rasur, Enthaarung, Hormone)“.
Wenn Erwartungen an Weiblichkeit nicht erfüllt werden, erfolgen gesellschaftliche Sanktionen.
Dies zeigen Berichte in unterschiedlicher Ausprägung: „Da ich eher burschikoser aussehe, werde ich oft für
einen Mann gehalten. Die Leute reagieren dann oft sehr unfreundlich auf mich bzw. erhalte nicht die gleiche
Behandlung als Kunde.“ Demgegenüber berichtet eine andere Person: „Auf Grund meines nicht-femininen
Auftretens und Aussehens werde ich oft von heterosexuellen Cis-Männern provoziert, als Lesbe gelesen und
dann doch wieder angebaggert und es kommt mir manchmal vor, als nehmen sie sich vor, ‚die harte
Nuss‘ jetzt mal knacken zu wollen, statt mich einfach in Ruhe zu lassen“. Dieser Bericht knüpft an die obigen
an: Zum einen erfährt die Person eine lesbische Zuweisung aufgrund ihres Habitus, zum anderen erfolgen
trotzdem (odergerade deshalb) unerwünschte Avancen durch Männer.
Dass das Aussehen und Geschlecht einer Person determiniert, welche Verhaltensweisen, Interessen,
Fähigkeiten und sexuellen Orientierungen von ihr erwartet oder gesellschaftlich akzeptiert werden, zeigen
folgende Beispiele plastisch: „‘Ich lebe mit einer Frau zusammen.‘ -> ‚Aber du siehst doch gar nicht lesbisch
aus!‘ […] ‚Am Wochenende habe ich *handwerkliche Tätigkeit* gemacht.‘ -> ‚Naja, du hast ja keinen Mann,
da musst du das halt selber machen.‘ ‚Meine Frau hat am Wochenende zu Hause für *Weihnachten/
Ostern/Geburtstag* dekoriert.‘ -> ‚Echt? Das macht die? Sie sieht gar nicht danach aus.“ (Meine Frau hat
einfach nur einen Kurzhaarschnitt).“ Dabei berichten mehrere Befragte, dass vor allem die Frisur häufig als
Anlass für diskriminierendes Verhalten genommen wird.
Auch schwule cis- und transmännliche Personen werden Ziel von Geschlechterklischees und von darauf
basierenden Anfeindungen. Eine schwule Person beschreibt: „Manchmal sind einige Leute überrascht,
welche gesellschaftlich eher hetero-männlichen Handlungen wie handwerkliches Geschick ich doch sehr
wohl auch umsetzen kann.“ Dabei wird Schwulsein mit Klischees gleichgesetzt, die auch weiblich gelesene
Personen treffen: „Dann (sind sie) wiederum weniger überrascht, dass ich sehr gut kochen kann oder
Wäsche waschen, putzen kann etc. (gesellschaftlich eher weibliche ‚Talente‘)“.
55
Deutsche Übersetzung: „Als Frau und Brasilianerin mit einem großen Hintern wurde ich weit häufiger beschimpft als
aufgrund der Tatsache, dass ich bisexuell bin.“

 
63
Eine Vermischung von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung erfolgt auch beim Unverständnis
darüber, „dass man trans* und schwul sein kann“.
Im Datenmaterial wird wiederkehrend sichtbar, dass die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als
voneinander abhängig betrachtet werden. Zusätzlich wird beides mit einem spezifischen Habitus (Kleidung,
Verhalten) in Verbindung gebracht.
Dies zeigen ebenso die Beispiele, in denen Personen als „zu feminin“ gesehen werden, um lesbisch sein „zu
können“, beziehungsweise um in einer gleichgeschlechtlichen / gleichgeschlechtlich gelesenen Beziehung
zu sein: „Als Cis-Frau mit recht femininer Geschlechtsperformance erlebe ich nicht selten, dass es scheinbar
überrascht, dass ich in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebe, oft wird meine Beziehung
sexualisiert“.
Hinter diesen Berichten lässt sich folglich unter anderem die Annahme vermuten, dass eine Person sich als
Mann* identifiziert, weil er Frauen* begehrt. Hingegen wird es durch die gesellschaftliche Sozialisation und
den damit verbundenen heteronormativen Denkmustern als Widerspruch erlebt, dass eine bei Geburt
weiblich zugewiesene Person männlich ist, obwohl sie selbst Männer* begehrt. Männlich gelesene Personen
werden wiederum stark für „zu feminines“ Auftreten sanktioniert: „Für mich persönlich wäre es zum Beispiel
sehr wichtig, dass ich ohne krasse negative Reaktionen als Cis Mann auch feminine Kleidung in der
Öffentlichkeit tragen darf“.
Insgesamt zeigt sich, dass hinsichtlich sexueller Orientierungen wiederkehrend der Versuch erfolgt, sie in
heteronormative Muster einzuordnen.
Während einige Personen eben dafür sanktioniert werden, als „Frau“ nicht „feminin“ genug zu sein, werden
andere Personen als zu feminin gesehen, um sich beispielsweise mit Frauen* in einer romantischen oder
sexuellen Beziehung zu befinden.
5.7. Sächs*innen vor, während und nach der Transition
Dieses Teilkapitel widmet sich jener Phase im Leben transgeschlechtlicher und nicht-binärer Sächs*innen, in
der sie kurz vor oder in einer rechtlichen, sozialen und/oder medizinischen Transition sind. Denn in dieser
Lebensphase sind Menschen in einer spezifischen Lage, die sich auch von der Zeit unterscheidet, in der die
Transition abgeschlossen ist und viele Lebensjahre darauf gefolgt sind.
An dieser Stelle muss betont werden, dass nicht alle transgeschlechtlichen bzw. nicht-cisgeschlechtlichen
Personen medizinische und/oder rechtliche Transitionsmaßnahmen anstreben. Einige nehmen keinerlei
medizinische oder rechtliche Maßnahmen in Anspruch. Andere setzten ausgewählte Transitionsschritte um.
96 Befragte beschreiben ihre aktuelle Lebenslage damit, „kurz vor oder in der Transition“ zu sein. Sie
werden hier als Gruppe statistisch betrachtet, auch wenn sie individuell sehr unterschiedliche
Transitionserfahrungen machen / gemacht haben werden. Von ihnen geben zwei Drittel als
Geschlechtsidentität transgeschlechtlich / trans* an, weitere 34 Personen nicht-binär.
Dies zeigt bereits, dass Transition bei weitem nicht nur für Menschen relevant ist, die von einer der offiziellen
Kategorien „Frau“ oder „Mann“ eindeutig in die jeweils andere transitionieren wollen bzw. sich dezidiert als
der jeweils anderen Kategorie entsprechend empfinden (binäre Transgeschlechtlichkeit).
Schaut man in die offene Frage zur Beschreibung der eigenen Geschlechtsidentität, finden sich hier neben
nicht-binären diverse weitere Beschreibungen, darunter genderfluid und agender.
Weitere 27 Antwortende sagen, dass sie ihre Transition schon länger abgeschlossen haben und können hier
als Vergleichsgruppe dienen.
Viele der Herausforderungen im Zusammenhang mit Transitionen, wie zum Beispiel hochschwellige bis
fehlende Zugänge zu entsprechenden Maßnahmen, werden bereits in anderen Kapiteln (Gesundheit,
finanzielle Lage Lebenschancen) thematisiert. An dieser Stelle werden hingegen in Ergänzung zu den
Ergebnissen aus den geschlossenen Antworten beispielhaft Berichte aus der Fokusgruppe mit
transgeschlechtlichen und nicht-binären Personen wiedergegeben, welche sich mit den Befunden aus dem
Datenmaterial der Online-Umfrage decken und auch hierfür beispielhaft stehen.

64
Zunächst einmal zeigen sich große Unterschiede in der allgemeinen Lebenszufriedenheit:
Transgeschlechtliche Befragte vor oder in einer Transitionsphase sind besonders häufig mit ihrer
Lebenssituation unzufrieden. Eine Mehrheit von 61 % unter ihnen ist unzufrieden, nur 39 % sind
zufrieden. Dagegen sind 70 % derjenigen, die ihre Transition schon (länger) hinter sich liegen haben,
zufrieden. Die Transitionsphase zu erleichtern, scheint damit eine der wichtigsten Stellschrauben für
erfüllende Lebensentwürfe zu sein.
Die emotionalen Herausforderungen vieler werden auch dadurch deutlich, dass nicht einmal jede dritte
(nur 29 von 94) sich vor oder in der Transition befindliche Person sagt, in ihrem Geschlecht leben zu
können. Eine Teilnehmerin der Fokusgruppe spricht von der „schwierigen Phase der Transition, in der
man äußerlich immer auffällt“. Hier sei der „Rückhalt in der Familie ganz wichtig“ und andere ergänzen,
dass dieser Rückhalt auch durch Freund*innen, durch das nähere soziale Umfeld bzw. die Community
gegeben sein kann.
Probleme mit Ämtern und Behörden: Dass ihre Lebenssituation von Behörden genauso berücksichtigt
wird wie die Lebenssituation anderer Sächs*innen, sagen lediglich vier von 86 Befragten kurz vor oder
während ihrer Transition. 95 % von ihnen verneinen dies. Die Chance auf angemessene
Berücksichtigung der eigenen Lage scheint sich nach der Transition in Teilen zu bessern: So sagen
immerhin sieben von 25 Befragten (28 %) mit abgeschlossener Transition, dass Ämter ihre Lage
berücksichtigen. 72 % von ihnen sagen dies auch nach der Transition nicht.
In dieser Lebensphase spielen medizinische Leistungen eine wichtige Rolle. Allerdings sagen mehr als
zwei Drittel der Befragten vor oder während ihrer Transition, dass sie nicht die gleichen Chancen auf
eine adäquate ärztliche Versorgung in Sachsen haben, verglichen mit anderen Sächs*innen. Nur jede
fünfte Person (21 %) unter ihnen nimmt gleiche Chancen im Zugang zu Krankenkassenleistungen wahr.
Ein*e Fokusgruppenteilnehmer*in beschreibt in einem positiven Fall, wie hilfreich es war, einen guten
Zugang zu den entsprechenden Gesundheitsleistungen inklusive kompetenter ärztlich-/therapeutischer
Beratung gehabt zu haben: „Ich bin relativ schnell auf (einen bestimmten Arzt) gekommen, das war
unheimlich stabilisierend, die Aussage von diesem Mann, er sieht das auch so wie ich. Das war eine
wichtige Sache und hat mir den nötigen Mut gegeben. Ich musste relativ schnell kein Coming-out mehr
machen, hatte alle Dokumente umgeschrieben, mich als Frau beworben, Leute haben es vermieden es
anzusprechen, obwohl sie es vielleicht gemerkt haben. (…) (Der Arzt) war eine sehr große Hilfe, er hat
sehr klar und sehr schnell Entscheidungen getroffen. Ich war an der Stelle schon relativ durch (mit der
Transition), bin nicht von Psycholog*innen ewig genervt worden.“
Eine andere Person schildert in der Fokusgruppendiskussion, dass es „unheimlich viel Aufwand ist,
einen Therapieplatz zu finden, plus dann auch noch den Anspruch erfüllt zu haben, so angesprochen zu
werden, wie man noch nicht wahrgenommen wird. Einige Therapeut*innen, die den Anspruch haben, mit
Trans* zu arbeiten, machen es jedoch auf unglaublich pathologisierende Weise“.
Ein*e weitere*r Fokusgruppenteilnehmende*r berichtet, als nicht-binäre Person unsicher gewesen zu
sein, ob die nicht-binäre Geschlechtsidentität erwähnt werden darf: „Ich wusste, ich bin irgendwie nicht-
binär aber irgendwie auch männlich. Als ich bei (demselben Arzt) saß, um die Hormone zu bekommen,
wusste ich nicht: Kann ich sagen, dass ich nicht binär bin, oder muss ich mich total männlich geben.
Kann ich sagen, ich bin hier, weil ich nicht weiblich bin, ich weiß sicher, dass ich Testosteron haben
möchte.“ Bisher können Menschen vor allem dann Maßnahmen umsetzen, wenn sie sich dafür als
transmännlich oder -weiblich ausgeben bzw. sich zu dem entsprechenden Zeitpunkt so verstanden
haben. Eine nicht-binäre Person, die einige Transitionsmaßnahmen umgesetzt hat und andere nicht,
berichtet in der Fokusgruppendiskussion: „Mein uneindeutiger Körper, der ist genauso, wie er sein soll,
das ist mein nicht-binäres Körperding.“
Wie finanziell belastend die Transitionsphase ist, zeigen gleich mehrere Daten, insbesondere die
Schilderungen im folgenden Kapitel. An dieser Stelle ist zunächst festzuhalten, dass nur 22 von 74
antwortenden Personen (30 %), die sich kurz vor oder in ihrer Transition befinden, gleiche Chancen auf
einen Arbeitsplatz und eine Karriere sehen. Das kontrastiert deutlich mit der Einschätzung derjenigen,
die ihre Transition bereits länger abgeschlossen haben: Hier sehen immerhin gut zwei Drittel (17 von 25
Antwortenden) eine Chancengleichheit bezüglich Beruf und Karriere. 55 % der Befragten vor der
Transition sehen ebenfalls keine gleichen Chancen, Vermögen aufzubauen.

65
Arbeitsmarkt- und Karrierechancen werden oftmals früh im Leben geprägt, sodass es besonders
benachteiligend sein kann, wenn junge Menschen in ihrer Transitionsphase durch hochschwellige und
(maßgeblich gesetzlich bedingte) sehr lange Transitionsprozesse zurückgeworfen werden.
Die wahrgenommene Chance, eine Familie mit Kindern zu gründen, verbessert sich für
transgeschlechtliche Personen auch nach ihrer Transition hingegen kaum. So sehen nur 7 von 62
Antwortenden, die sich vor oder in ihrer Transition befinden, gleichberechtigte Chancen auf eine
Familiengründung. Nach der Transition sind dies prozentual genau so wenige (2 von 15, je 11 % -
12 %).
Ebenfalls eine wichtige Rolle spielen zu diesem Zeitpunkt adäquate Informationen unter anderem zur
rechtlichen Lage. Dass sie gleichen Zugang zu passenden Informationen für ihre Lebenssituation haben,
wie sie andere Sächs*innen haben, sagen nur 40 % derjenigen, die sich kurz vor oder in ihrer Transition
befinden. Ein*e Fokusgruppenteilnehmer*in berichtet, wie wichtig es war, die eigenen Rechte zu kennen
und auch die Fähigkeit zu haben, sich durchzusetzen: „Sehr geholfen hat der Ergänzungsausweis: Bin
als erstes mit Rezept in der Hand zur Humanmedizin für den Genetik-Check, hab immer irgendwo den
Ergänzungsausweis hingelegt. Man muss seine Rechte kennen und die auch vertreten, also Ausweis
und persönliches Auftreten. Damit habe Dinge geschafft, die gingen gar nicht, z.B. hatte vor der
offiziellen Änderung schon alles umgeschrieben (…) (es) hängt viel davon ab, wie man es persönlich auf
die Reihe kriegt, sich dahinterklemmt“.
Es wurde bereits erwähnt, dass die Unterstützung durch Freund*innen und Familie gerade in der Zeit vor
oder während der (sich oft Jahre hinziehenden) Umsetzung der benötigten Transitionsschritte bedeutsam ist.
Ein*e Fokusgruppenteilnehmer*in weist darauf hin, dass auch die Schule, gerade dann, wenn die Familie
kein Unterstützungsumfeld bietet, „ein sicherer Ort“ sein kann.
Oft bestehen insbesondere in der Transitionsphase Abhängigkeiten von Personen, deren Berufsordnung
oder Dienstrichtlinien ihnen einen hohen individuellen Ermessensspielraum lassen, um für
transgeschlechtliche Personen lebensbestimmende Entscheidungen zu treffen: zum Beispiel, indem sie den
dgti-Ergänzungsausweis anerkennen, oder nicht. Spezifischere Regelungen könnten diese individuellen
Abhängigkeiten, sowie die Notwendigkeit, sich als Ratsuchende durchsetzen und viel Kraft und Zeit zu
investieren zu müssen, erheblich reduzieren.
Aus diesen Gründen hängt das Niveau der empfundenen Lebensqualität in dieser Phase in einem hohen
Maße von den individuell verfügbaren Ressourcen ab. Hierbei sind insbesondere die vorzulegenden
Gutachten und die geforderten Therapien zu beachten: Trotz der rechtlichen Verpflichtung sind
Gutachter*innen, Therapeut*innen und auch Ärzt*innen schwer verfügbar. Viele Berichte schildern sehr
lange Wartezeiten, die zur Folge haben, dass die Betroffenen die Stagnation des Prozesses akzeptieren
müssen. Dies ist eine bedeutsame Ursache für die Schwierigkeiten, Unsicherheiten und Unzufriedenheiten
vor oder während der Transitionsphase: „Dieses verdammte TSG! Man hat keinen Spielraum, eigene
Gutachter vorzuschlagen, (…) selbst nach OP wurde (…) (ich) konsequent bis zum letzten Brief in der
falschen Ansprache angesprochen. Es gibt gesetzlich keinen Grund, dass man das so regeln muss, das
gehört einfach weg, es ist extrem erniedrigend. Selbst in Leipzig ist es unheimlich aufwändig, überhaupt auf
eine Liste zu kommen, wo man dann ein Jahr auf ein Erstgespräch warten muss. Bei Gynäkolog*innen sieht
es ähnlich aus. Es gibt Listen, aber viele lassen sich da auch wieder runternehmen, weil es ihnen zu viel
wird. Ich habe Glück gehabt, dass ich da noch früh dran war, es gab eine Ärztin, die sehr unterstützend war.“
In der Fokusgruppendiskussion wird deutlich, dass der (abgeschlossene) individuelle Transitionsprozess
aufgrund der zahlreichen bestandenen Herausforderungen von einigen rückblickend als eine
Persönlichkeitsstärkung wahrgenommen wird: „Warum ich mich hier einklinken wollte: Es wird ja so getan,
als ob Leute, die trans* sind, immer irgendwie Probleme haben. Ich sehe das ganz anders: Ich lebe normal,
ich bin durch mit der Transition. […] Was die persönliche Stärke angeht, habe ich sehr profitiert.“ Jedoch
müssen so die Auswirkungen sowohl eines gesellschaftlichen Problems wie auch mangelnder rechtlicher
Regelungen individuell kompensiert werden.
Diesem Umstand kann auf Landesebene vor allem durch das Sicherstellen der Verfügbarkeit kompetenter
Ärzt*innen und Therapeut*innen, sowie kurzfristiger durch Änderungen in der Ausführung der bestehenden
Gesetze entgegengewirkt werden, wie im Kapitel 10.7 zu Handlungsbedarfen konkretisiert wird.

 
66
5.8. Finanzielle Lage und armutsgefährdete lsbtiq*
Personen in Sachsen
Ob eine Person ihren eigenen Lebensentwurf selbstbestimmt umsetzen kann, wird zu einem Teil auch durch
ihre materielle Lage bedingt. Daher soll in diesem Unterkapitel ein Blick auf
die Einkommenssituation,
das subjektive Empfinden der eigenen materiellen Lage
die Chancen, einen Job zu finden, Karriere zu machen und Vermögen aufzubauen,
sowie besondere finanzielle und ökonomische Lebenslagen prägende Herausforderungen der befragten
lsbtiq* Personen geworfen werden.
Einkommenssituation
Einkommen ist maßgeblich altersabhängig. Daher wird im Folgenden nach Altersstufen differenziert.
Vergleicht
56
man den Betrag, den die befragten lsbtiq* Personen monatlich nach Abzug aller Steuern in
ihrem Haushalt zur Verfügung haben, mit dem monatlichen Nettohaushaltseinkommen der sächsischen
Bevölkerung, so wird deutlich, dass die lsbtiq* Teilnehmenden in den jüngeren Altersklassen deutlich
weniger Geld zur Verfügung haben als ihre Altersgenoss*innen.
In der Altersgruppe unter 25 Jahren verfügen 27 % der befragten lsbtiq* Personen über weniger als 500
Euro monatliches Netto-Haushaltseinkommen. Im unter 25- jährigen Bevölkerungsdurchschnitt Sachsens
sind es hingegen nur rund 8 %.
57
In der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen haben sachsenweit weniger als ein Drittel (30 %) ein
monatliches Nettohaushaltseinkommen von unter 1.500 €. In der lsbtiq* Stichprobe ist es mit 49 % fast
jede*r Zweite. Auch in der Gruppe der 35- bis 44-Jährigen sind diese Einkommensunterschiede, aber bereits
deutlich kleiner (5 Prozentpunkte Unterschied) vorhanden.
Ältere lsbtiq* Befragte zwischen 45 und 54 Jahren sowie 55 Jahren und 64 Jahren haben durchschnittlich
ein höheres monatliches Haushaltsnettoeinkommen zur Verfügung als der sächsische
Bevölkerungsdurchschnitt in diesem mittleren Lebensalter.
Junge lsbtiq* Personen gilt es daher im Folgenden besonders zu betrachten. Sie stellen entsprechend auch
den höchsten Anteil derjenigen, die ihre eigene finanzielle Lage als nicht ausreichend empfinden.
Subjektives Empfinden der eigenen materiellen Lage
Das Haushaltsnettoeinkommen ist nur eine statistische Größe, um die ökonomische Lage von Personen zu
messen. Eine weitere Variable, die hier betrachtet werden soll, ist die Frage, wie die Teilnehmenden
subjektiv ihren eigenen Lebensstandard einschätzen.
Eine Mehrheit von 62 % aller lsbtiq* Befragten in Sachsen befindet, sie habe materiell alles, was sie
brauche.
Mit 22 % sagt gut jede*r Fünfte bis Vierte, er*sie habe über den eigenen Bedarf hinaus mehr zur Verfügung.
Demgegenüber stehen 16 % der Antwortenden, sie sagen, sie hätten weniger zur Verfügung als sie
brauchten.
Und tatsächlich zeigt sich hier der eingangs vermutete Zusammenhang, dass Personen, die ihren
Lebensstandard als gering einschätzen, seltener ihren Lebensentwurf als lsbtiq* Person in Sachsen frei
umsetzen können: Während 70 % derjenigen, die über mehr verfügen, als sie brauchen, und 60 %
derjenigen, die alles haben, was sie brauchen, ihren Lebensentwurf nach eigener Einschätzung frei
umsetzen können, ist dazu nur eine Minderheit von 45 % der lsbtiq* Befragten im Stand, die sagen, sie
hätten weniger, als sie brauchten.
56
Zur besseren Vergleichbarkeit wurden in diesem Kapitel Alterskategorien analog zur sächsischen Einkommensstatistik
gebildet. Die Einkommensstatistik Sachsens je Altersstufe basiert auf dem Alter des*r Hauptverdienenden, während im
Fragebogen der Studie das Alter der teilnehmenden Person zugrunde liegt, die nicht Hauptverdienende*r im eigenen
Haushalt sein muss.
57
Eigene Berechnung auf Basis von Statistik Sachsen (2022): Private Haushalte nach Altersgruppe des
Haupteinkommensbeziehers und monatlichem Haushaltsnettoeinkommen.

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67
Abbildung 18: Finanzielle Situation der befragten lsbtiq* Personen
Fragewortlaut: „Wie beurteilen Sie Ihren Lebensstandard?“ Und: „Können Sie als Lesbe / Schwuler / Bisexuelle*r / trans-
/ intergeschlechtliche oder queere Person aktuell in Sachsen so leben, wie Sie möchten? Können Sie Ihren
Lebensentwurf umsetzen?“ N = 1.065.
Dies ist sehr relevant, da sich darüber hinaus zeigt, dass nicht alle lsbtiq* Teilgruppen ihren Lebensstandard
als gleichermaßen gut beschreiben und somit ihre Chancen, ihren Lebensentwurf umzusetzen,
unterschiedlich bewerten: Auch unter Berücksichtigung des Alterseffekts zeigen sich Unterschiede entlang
der geschlechtlichen Identität der Befragten. So sind in dieser Gruppe, die ihren Lebensstandard als niedrig
beurteilen, doppelt so viele nicht-binäre Antwortende zu finden (24 %), wie cismännliche (11 %) und
cisweibliche (13 %). Unter allen trans- sowie anders-geschlechtlichen Antwortenden sagt sogar jede vierte
bis dritte (28 %, respektive 29 %) Person, sie habe weniger, als sie benötige.
Abbildung 19: Anteil der Befragten, die weniger Mittel zur Verfügung haben, als sie benötigen
Fragewortlaut: „Wie beurteilen Sie Ihren Lebensstandard?“ N = 1.034.
Wer sind darüber hinaus lsbtiq* Personen, die ihren Lebensstandard als unterhalb ihres Bedarfs
einschätzen?
Einen hohen Anteil zeigen lsbtiq* Sächs*innen mit Behinderung / Beeinträchtigung: 41 % von ihnen (24
von 58 Befragten) berichten, sie hätten weniger, als sie bräuchten. Hinzu kommt ein Drittel der lsbtiq*
Personen mit chronischer Erkrankung.

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68
Neben nicht-cisgeschlechtlichen Personen als solchen stechen auch diejenigen Befragten, die ihre
Lebenslage als kurz vor oder in der Transition beschreiben, als die Gruppe hervor, die finanziell am
häufigsten weniger hat, als sie braucht (Anteil von 29 % gegenüber dem Durchschnitt von 16 %).
Auch antwortende lsbtiq* Personen in Asylverfahren (2 von 2) und mit Fluchtgeschichte (3 von 7) und
in religiösen Glaubensgemeinschaften (24 %) geben häufiger einen niedrigen Lebensstandard an.
Alle anderen abgefragten Lebenslagen, von Ausbildung/Studium/Berufseinstieg über Familiengründung bis
ins höhere Alter, zeichnen sich nicht durch einen größeren Anteil an Personen mit niedrigem
Lebensstandard aus (weniger als fünf Prozentpunkte über/unter dem Durchschnitt).
Am häufigsten abgesichert sind lsbtiq* Befragte in Ehen sowie eingetragenen Lebenspartnerschaften – hier
sind lediglich 2,5 % der Antwortenden bzw. 0 % mit niedrigem Lebensstandard zu finden, laut
Selbstauskunft.
Berufs- und Karrierechancen sowie Vermögensaufbau
Haben lsbtiq* Personen in Sachsen die gleichen Chancen wie andere Sächs*innen auch, eine Arbeitsstelle
zu finden, Karriere zu machen sowie Vermögen aufzubauen? Diese Fragen beantwortet jeweils rund eine
Dreiviertel-Mehrheit der befragten lsbtiq* Personen mit ja. Darunter ist ein Viertel, welches stark zustimmt,
dieselben Chancen auf Beruf und Karriere zu haben sowie 38 %, die dies ebenfalls stark im Bereich des
Vermögensaufbaus sehen.
Abbildung 20: Berichtete Chancen auf finanzielle Teilhabe von lsbtiq* Personen in Sachsen
Fragewortlaut: „Haben Sie als Lesbe, Schwuler, Bisexuelle*r, trans-, intergeschlechtliche oder queere Person den
Eindruck, dass Sie gleiche Chancen wie andere Menschen in Sachsen haben, …“ N = 1.035, 934.
Keine gleichen Chancen auf eine Arbeitsstelle und Karriere für sich als lsbtiq* Person sehen 27 % der
Antwortenden.
Dieser Durchschnittswert verdeckt allerdings, wie ungleich die Chancen von nicht-cisgeschlechtlichen
Personen wahrgenommen werden: Mehr als jede zweite transgeschlechtliche Person (57 %) sieht keine
gleichen Chancen darauf, eine Arbeitsstelle zu finden und Karriere zu machen. Bei nicht-binären
Antwortenden ist es fast jede*r Zweite (47 %) (zum Vergleich: cismännlich: 20 %, cisweiblich: 16 %).
Dasselbe Muster zeigt sich in der Chancenwahrnehmung, Vermögen aufzubauen. Auch hier sagt knapp jede
zweite transgeschlechtliche (49 %) und nicht-binäre (48 %) Person, die eigenen Chancen stünden
schlechter als die anderer Sächs*innen. Dies ist ein deutlich höherer Anteil als insbesondere unter
cismännlichen sbq* Befragten (9 % von ihnen sehen keine gleichen Chancen). Knapp jede Fünfte (17 %)
cisweibliche lbq* Befragte sieht für sich ebenso ungleiche Mittel, Vermögen aufzubauen. Dazu berichtet eine
Befragte:

69
„Als lesbisches Paar empfinde ich die wirtschaftliche Lage als prekärer als in heterosexuellen Beziehungen
(gender pay gap x2).“
Für einen Teil der Befragten beginnen die Chancennachteile bereits mit Benachteiligungen in der
schulischen und berufsbildenden Phase: So sagen 27 % der transgeschlechtlichen Befragten, dass sie nicht
den Bildungsweg ihrer Wahl gehen konnten. Auch die offenen Antworten, welche im Kapitel 7.3 berichtet
werden, zeigen, wie Lebenswege und -chancen durch Schulwechsel und -abbrüche mangels schulischer
und schulsozialarbeiterischer Unterstützungssysteme früh beeinträchtigt werden können.
Unter einer mehrdimensionalen Perspektive zeigt sich, dass lsbtiq* Personen, die weniger haben, als sie
brauchen, von in dieser Studie aufgezeigten Nachteilen besonders betroffen sind.
So berichten sie auch häufiger von Diskriminierung bei Ämtern und Behörden: 57 % von ihnen haben im
Behördenkontakt in den vergangenen fünf Jahren überwiegend oder eher negative als positive Erfahrungen
gemacht – unter lsbtiq* Befragten mit hohem Lebensstandard haben dagegen nur 28 % negative
Behördenerfahrungen erlebt. Bei finanziell abgesichert lebenden lsbtiq* Personen können vielfältige
Abhängigkeiten im Behördenkontakt wegfallen, wie folgender Bericht einer befragten Person zeigt: „Ich
denke, meine positiven Erfahrungen sind eher darauf zurückzuführen, dass meine sozioökonomische
Situation gut ist. Geld zu haben, ist ein großer Faktor dafür, sich unabhängig zu fühlen. Mein Leben muss
keiner Berater:in oder Betreuer:in oder sonst jemandem gefallen“, beispielsweise beim Jobcenter, Agentur
für Arbeit, Sozialamt, Wohnungsamt, Jugendamt, der Krankenkasse etc.
Nachteile einkommensschwächerer lsbtiq* Personen zeigen sich auch in konkreten Kontexten,
beispielsweise im Kontakt mit der Polizei und der Justiz: Hierbei berichten 87 % derjenigen mit niedrigem
Lebensstandard von weitgehend negativen Erfahrungen (gegenüber immerhin auch 50 % derjenigen mit
hohem Lebensstandard). Eine Erklärung dieser Unterschiede kann an dieser Stelle nicht erfolgen.
Auf eine weitere Dimension der finanziellen Lage und der Gefahrenexposition weist das folgende Zitat einer
befragten Person hin: „Armut zwingt mich zur Teilnahme am ÖPNV. Dort kommt es vermehrt zu
Beleidigungen und Diffamierung.“ Hier führen mangelnde finanzielle Ressourcen mitunter zu einer stärkeren
Gefahrenexposition.
Mit welchen konkreten finanziellen Herausforderungen lsbtiq* Personen in Sachsen konfrontiert sind, zeigt
der folgende Abschnitt auf.
Besondere finanzielle und ökonomische Herausforderungen
Sowohl in Fokusgruppendiskussionen als auch in offenen Antworten des Online-Fragebogens berichten in
Sachsen lebende lsbtiq* Personen von besonderen finanziellen Herausforderungen, die Personen der
sogenannten Mehrheitsgesellschaft in der Regel nicht oder nicht in diesem Maße erleben. Dazu zählen
insbesondere:
Kosten für Reproduktionsmaßnahmen und Familiengründung (siehe Kapitel 10.2)
Kosten für Transition, Personenstandsänderungen und Urkundenänderungen:
Hier berichtet in der Fokusgruppe von Angehörigen beispielhaft das Elternteil eines
transgeschlechtlichen Kindes, dass die Familie bislang rund 2.000 Euro für den Transitions- und
Personenstandsänderungsprozess ausgegeben hat. Auch eine andere an der Fokusgruppendiskussion
teilnehmende Familie bekräftigt, dass der Prozess zu kostenintensiv für viele Personen sei und aktuell
zwei statt bspw. ein oder gar kein Gutachten bezahlt werden müssen. Eine befragte Person schreibt:
„Hoffe, dass der Weg von Frau zu Mann oder andersherum einfacher wird. Mehr Psychologen zu
Verfügung stehen. Es nicht schweineteuer ist.“
Bei Personen, denen diese finanziellen Ressourcen oder derartige familiären Unterstützungssysteme
fehlen, kann der Transitionsprozess aufgehalten werden.
Finanziell nicht mehr als das Nötige (oder weniger) zu haben, kann gerade bei der medizinischen und
rechtlichen Transition (größtenteils aufgrund der gesetzlichen Regelungen) zu erheblichen Barrieren
führen: „Ich komme aus armutsähnlichen Verhältnissen und mir ist daher bis heute oft der Zugang zu
‚dem Transweg‘ verwehrt. Ich habe gerade genug Geld, um Miete und Uni zu stemmen und kann
deshalb oft nicht so schnell vorankommen, wie reichere trans Personen. Auch hatte ich lange kein Geld
für einen Binder, der nicht gefährdend für meinen Körper ist, oder die 10 € für Testosteron.“

 
70
Aus der gesetzlich für Transitionen vorgeschriebenen Psychotherapie resultierende Nachteile und Risiko
eines Ausschlusses von der Verbeamtung:
Viele Befragte möchten keine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen, sind dazu aber
auf Basis des Transsexuellengesetzes gesetzlich verpflichtet, wenn eine Transition und/oder
Personenstandsänderung für sie notwendig wird. Gleichzeitig kann eine Therapie dazu führen, dass
Amtsärzt*innen im Rahmen ihres Ermessungsspielraums die (dauerhafte) Diensttauglichkeit angehender
Beamt*innen nicht bescheinigen. Dadurch tragen nicht-cisgeschlechtliche Personen das Risiko, dass
ihnen eine Verbeamtung beispielsweise als Polizei- (siehe auch Kapitel 10.6) oder Lehrkraft strukturell
verwehrt wird.
Antizipierte Einschränkung der Berufs-/Jobwahl:
Neben dieser durch benachteiligende Gesetzeslagen systematisch eingeschränkten Berufswahl nehmen
auch soziale Rollen und Rollenbilder in der Arbeitswelt eine faktisch einschränkende Rolle für viele
lsbtiq* Personen ein. So berichtet eine interviewte intergeschlechtliche Person stellvertretend für viele
lsbtiq* Personen, dass für sie zahlreiche männlich dominierte Berufsfelder aus Angst vor (auch bereits
erlebten) Repressalien nicht in Frage kommen.
In anderen Bereichen ist die Benachteiligung subtiler mit Klassismus (der Diskriminierung aufgrund der
sozialen Herkunft) verknüpft. So berichtet eine befragte Person, „neben der geschlechtlichen Repräsentation
oft aufgrund von Klassismus/Kleidung/ gelerntem Verhalten aus Arbeiter*innenkontext das Gefühl zu haben,
in förmlichen Situationen herauszufallen, nicht so ernst genommen zu werden, mir kleiner und
unwissentlicher als andere vorzukommen, für bestimmte (repräsentative, kommunikative) Tätigkeiten zum
Beispiel beruflich weniger in Betracht gezogen zu werden.“ Auch weitere Befragte berichten: „Ich bin vom
Klassismus in der akademischen Landschaft oft betroffen/mir wurden oft die Zugänge verweigert“, was zu
lebenslangen finanziellen Nachteilen führen kann.
Mit der sozialen Herkunft steht oftmals ebenfalls in Zusammenhang, finanziell unzureichend oder prekär
abgesichert zu sein: „Ich komme aus einer bildungsfernen, finanziell schwachen Familie. Das hat mir immer
Steine in den Weg gelegt, speziell im Bereich Bildung. Und trotz überdurchschnittlicher Leistungen in Abitur
und Bachelorstudium habe ich immer das Gefühl, anders/schlechter behandelt zu werden.“ Unter
Rollenbildern ist ebenso zu verstehen, dass aufgrund der angenommenen sozialen Herkunft auf (negative)
Charaktermerkmale geschlossen wird. Sobald diese Bilder einmal vorhanden sind, ist es schwer, diesen
unabhängig des tatsächlichen Verhaltens zu entkommen: „Ich glaube, dass Leute, besonders
Autoritätspersonen, mir ansehen, dass ich nicht viel Geld habe und auch aus prekären Verhältnissen komme
und haben Vorurteile, dass ich ‚nur auf Krawall‘ aus bin wie eine ‚Kampflesbe‘ oder sowas, auf jeden Fall
antiautoritär und dass ich diszipliniert werden muss“.
5.9. Mehrfachdiskriminierungsrisiken im
Zusammenhang betrachtet
In diesem abschließenden Teilkapitel werden Schlussfolgerungen zu Mehrfachdiskriminierungsrisiken aus
den berichteten Erfahrungen gezogen. Dabei werden weitere Beispiele von geschilderten
Mehrfachdiskriminierungen betrachtet, bei denen
zum einen mehr als zwei Merkmale bzw. Zuordnungen benannt werden, und
zum anderen Merkmale und Diskriminierungsebenen hinzukommen, die in den vorigen Kapiteln noch
nicht berücksichtigt wurden.
Viele Befragte berichten, für mehrere der im Kapitel 5 diskutierten Lebenslagen, Eigenschaften und
Zuordnungen diskriminiert zu werden. Es ließ sich in allen Unterkapiteln bereits feststellen, dass mehrere
dieser Faktoren
ineinandergreifen,
in der Regel summativ zu häufigeren Diskriminierungserfahrungen führen
Chancenungleichheiten verstärken
und dabei auch spezifische Diskriminierungsbilder entstehen.
Eine Person fasst dies folgendermaßen zusammen: „Als mehrfachdiskriminierte Person gibt es täglich
Situationen, in denen (in meinem Fall) struktureller Rassismus, Ableismus, Klassismus und

71
Queerfeindlichkeit intersektional wirken. […] Sobald ich meine Wohnung / einen safer space verlasse, ist mir
einfach zu jeder Zeit bewusst, welche Intersektionen ich mit mir herumtrage.“
Im Folgenden werden Beispiele für spezifische Diskriminierungsbilder aufgezeigt:
In einem Bericht wird neben der sexuellen Orientierung ebenso benannt, als weibliche Person und
Hochbegabte auch im Zusammenhang mit der sozialen Herkunft Gewalt zu erfahren und ausgegrenzt zu
werden. Es ergibt sich ein komplexes Bild: „Ich wurde meine ganze Kindheit und Jugend wegen meines
niedrigen Sozialstatus gemobbt, missbraucht und ausgegrenzt. Ich habe Gewalt erfahren, weil ich zusätzlich
eine weiblich gelesene Person bin. Ich wurde auch für meine Hochbegabung ausgegrenzt, die für die
Gesellschaft nicht zu meinem Status in ihr gepasst hat. Meine Orientierung machte mich zusätzlich zur
Außenseiter*in, weil ich sie nie versteckt habe.“
Ebenso ist beobachtbar, dass sich ein Behindertengrad und eine zusätzlich angenommene Herkunft
aufsummieren können, sodass sie zu häufigeren und stärkeren Diskriminierungserfahrungen führen: „Ich
habe einen Behindertengrad und daher im Berufsleben Nachteile verspüren müssen. Mein Name ist
nichtdeutscher Herkunft, was immer wieder zu Übergriffen und Diskriminierung führt“.
Erlebte Reaktionen auf eine Hörbeeinträchtigung der Eltern einerseits und die soziale Herkunft andererseits
werden im Folgenden berichtet: „Erster Gymnasiast in einer Arbeiter:innenfamilie; CODA - Kind von
schwerhörigen Eltern. Neben meiner Queerness habe ich in diesen beiden ‚Bereichen‘ Diskriminierung
erfahren. Typische Erlebnisse vor allem zu Beginn des Studiums: Es fehlte die nötige Sprache und Bildung
(Hochkultur, Literatur, etc.) um soziale Codes zu erfüllen und Teil einer Gruppe zu sein. Als CODA wurde ich
oft für meine Eltern ausgelacht, ihre Diskriminierung hat sich in vielen Situationen auf mich übertragen.“
Eine weitere Befragte beschreibt, dass verschiedene Merkmale jeweils mit ihrer Homosexualität in
Zusammenhang gebracht wurden. Hierbei bei wurde jedes ihrer Merkmale vonseiten des jeweiligen
Gegenübers genutzt, um ihr die Homosexualität abzusprechen, ihre sexuelle Orientierung zu pathologisieren
und zu verteilen. Sie berichtet, dass das Merkmal „Übergewicht“ die Reaktion „‚Dich will nur kein
Mann‘“ hervorrief; dass das Merkmal „Opfer häuslicher Gewalt“ zur Reaktion „‚Du musst nur mal in die
Psychiatrie, dann treiben die dir das aus‘“ führte; dass der Aspekt „einkommensschwache Familie“ sie mit
der Reaktion „‚Du bist so egoistisch. Wir brauchen Enkelkinder, die uns bald versorgen‘“ konfrontierte, sowie
der Umstand „mit dem Internet aufgewachsen“ dazu führt, dass sie hören musste: „‚das haben die dir
eingeredet.‘“
Hierbei zeigt sich, dass neben den in dieser Studie bereits thematisierten Faktoren auch Körpernormen und
Schönheitsideale ein besonderes Diskriminierungsrisiko für lsbtiq* Personen darstellen.
Ein Befragter bringt Körpernormen ebenfalls mit mehreren weiteren Faktoren in Zusammenhang, und
benennt eine der diesbezüglichen Folgen: „Ich bin ein dicker, schwuler Mann und stamme aus einer
klassischen Arbeiterfamilie, die im ländlichen Raum sozialisiert ist. Das sind nicht die besten
Voraussetzungen für ein Coming-out.“ Benannt wird hier die Ungleichheit bezüglich der Chance, die sexuelle
Orientierung in einem von bestimmten Lebenslagen geprägten Umfeld offen leben zu können. Dass sich
diskriminierte Kategorien, Zuordnungen und Umstände aufsummieren können, macht der folgende Bericht
deutlich: „Gesundheitlich bin ich herausgefordert. Körperlich entspreche ich nicht der Norm. Wirtschaftlich
bin ich abgehängt. Das sind alles schwerwiegendere Probleme in meinem Leben als meine Sexualität. Diese
machen […] es natürlich nicht einfacher in Kombination.“
Auch im Gesundheitsbereich kann die hier erfolgende Bewertung, Körpernormen nicht zu entsprechen, zu
Benachteiligungen führen: „Mein als zu hoch angesehenes Körpergewicht hatte, neben dem Fakt, dass ich
in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebe, Auswirkungen im medizinischen Bereich. Hier kam es zu
Nicht- oder Falschbehandlungen, bzw. wurden Beschwerden auf das Gewicht reduziert, auch wenn andere
Ursachen vorlagen.“
Spezifische Merkmale gehen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit bestimmten Annahmen einher,
sodass sich hier Strukturen feststellen lassen: Die Annahmen bedienen häufig weitverbreitete Klischees.
Aufgrund dieser Annahmen wird spezifisch auf Menschen reagiert. Die Reaktionen lassen einen
Rückschluss auf die individuelle Einstellung des Gegenübers zu. Dasselbe Merkmal erzeugt mitunter
unterschiedliche Reaktionen, wie das abschließend geschilderte Beispiel aufzeigt: „In meiner Uni falle ich
auf, dadurch, dass ich trans* bin und anders aussehe, und meine Klamotten wilder aussehen. Ich merke,
dass ich schlechter benotet werde für gleiche oder sogar bessere Leistungen. Als ein Prof aus [einer

72
anderen Großstadt hierhin] umzog, gab der mir signifikant bessere Noten, bei gleichbleibendem
Engagement: Er hatte weniger Unsympathien mir gegenüber.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bestimme (sichtbare, bekannte oder zugeschriebene)
Eigenschaften von lsbtiq* Personen in vielfältiger und komplexer Weise im sozialen Umfeld zu spezifischen,
hier nachteiligen, Annahmen führen. Diese Annahmen sind spezifisch und strukturell: Sie sind nicht zufällig.
Das zeigen die vielen ähnlichen Erfahrungsberichte der Befragten (sowie das Ausbleiben solcher Berichte
bei Personen bzw. Teilgruppen ohne entsprechende Eigenschaften).

 
73
6. Lebenszufriedenheit, Zugangschancen
und Partizipation von lsbtiq* Personen in
Sachsen
Dieses Kapitel bildet den Kern der Studie. Denn es geht hier um die Antworten auf die Frage, ob lsbtiq*
Personen in Sachsen ihr Leben selbstbestimmt gestalten können. Konkret werden die folgenden Ergebnisse
zeigen, ob
lsbtiq* Personen in Sachsen zufrieden mit ihrem Leben im Freistaat sind;
sie für sich die gleichen Chancen im Zugang zu öffentlichen Leistungen und für ihre Lebensplanung
sehen, wie sie anderen Sächs*innen offenstehen; und
sie sich politisch und gesellschaftlich repräsentiert sehen und öffentliche wie zivilgesellschaftliche
Unterstützungsangebote nutzen können.
6.1. Lebenszufriedenheit von lsbtiq* Personen in
Sachsen
Lsbtiq* Personen in Sachsen sind allgemein mit ihrem Leben zufrieden. Zwei Drittel der Befragten sagen das
für sich.
Gute jede*r Zweite (54 %) ist eher zufrieden, 12 % sind sehr zufrieden mit ihrem Leben. Ihnen gegenüber
stehen 29 % der Antwortenden, die eher unzufrieden und 5 % (61 Befragte), die sehr unzufrieden sind.
Dabei ist festzustellen, dass die Lebenszufriedenheit unter lsbtiq* Personen in Sachsen von einigen
konkreten Faktoren abhängt:
Die Daten zeigen, dass überdurchschnittlich viele nicht-binäre, trans- sowie divers-geschlechtliche Personen
unzufrieden sind.
Während 25 % der cismännlichen und 27 % der cisweiblichen Antwortenden eher oder sehr unzufrieden
sind, berichten dies 35 % der anders-geschlechtlichen, 39 % der transgeschlechtlichen und mit 46 % knapp
jede*r zweite nicht-binäre Befragte. Besonders unzufrieden sind transgeschlechtliche und nicht-binäre
Befragte vor oder in einer Transitionsphase (61 % unzufrieden). Dagegen sind 70 % derjenigen, die ihre
Transition schon (länger) hinter sich liegen haben, zufrieden.
Das Erleichtern der Transitionsphase scheint damit eine der wichtigsten Stellschrauben für eine hohe
Lebenszufriedenheit (siehe auch Kapitel 5.7).
Was die Zufriedenheit unterteilt nach sexueller Orientierung betrifft, so sind die größten Unterschiede
zwischen queeren Befragten (eine Mehrheit von 53 % sind unzufrieden) und asexuellen (49 % unzufrieden)
gegenüber bisexuellen (25 % unzufrieden) und schwulen Antwortenden (26 % unzufrieden) zu finden.
Am unzufriedensten zeigt sich die Altersgruppe der 28- bis 39-Jährigen. Überraschend gleich verteilt ist die
Zufriedenheit von sächsischen lsbtiq* Personen in der Großstadt, den Mittel- und Kleinstädten sowie den
Dörfern. Leicht höher (7 Prozentpunkte Differenz) fällt die Lebenszufriedenheit für geoutete gegenüber nicht
offen lebenden lsbtiq* Befragten aus.
Betrachtet man die im vorherigen Kapitel dargestellten Lebenslagen, zeigen sich nur wenig Unterschiede in
der Lebenszufriedenheit je Lebensabschnitt bzw. -lage. Lediglich alleinstehende Personen mittleren Alters
schätzen ihre Zufriedenheit niedriger ein (53 % gegenüber dem Durchschnitt von 66 %). Kinderlose
Personen im gleichen Lebensalter, aber mit festem sozialen Verbund / Freundschaften sind dagegen
häufiger zufrieden (73 % unter ihnen). Pflegende Angehörige sind eine weitere (in der Befragung kleine)
Gruppe, die häufiger mit ihrer Lebenssituation unzufrieden ist (8 von 13 Antwortenden unzufrieden).

 
74
6.2. Selbstbestimmte Lebensplanung, wahrgenommene
Chancengerechtigkeit von lsbtiq* Personen und
identifizierte Zugangshürden
Eine der zentralen Fragen dieser Studie lautet: Können lsbtiq* Personen in Sachsen ihr Leben
selbstbestimmt leben? Oder anders gefragt: Können sie als lesbische / schwule / bisexuelle / queere
und/oder / trans- / intergeschlechtliche Person aktuell in Sachsen so leben, wie sie möchten – können sie
ihren Lebensentwurf umsetzen? Die Frage wurde in dieser Form allen Teilnehmenden der Online-
Befragung, sowie in den Fokusgruppen gestellt. Aus den Antworten ergibt sich folgendes Bild:
In der Summe sagt eine Mehrheit der Befragten, dass sie ihren Lebensentwurf umsetzen können: Knapp
jede*r Fünfte (18 %) bejaht dies eindeutig. Weitere 44 % sagen, dass sie eher so leben können, wie sie
möchten.
Dass sie hingegen ihren Lebensentwurf in Sachsen aktuell gar nicht umsetzen können, berichten 8 %,
weitere 25 % der Befragten können ihn eher nicht umsetzen. Die restlichen 5 % wissen es nicht bzw. können
die Frage nicht beantworten.
Die Chancen, die eigene Lebensplanung umzusetzen, fallen allerdings nicht für jede Personengruppe gleich
aus. Differenziert zunächst nach geschlechtlichen Identitäten, zeigt sich, dass fast drei Viertel aller befragten
cisweiblichen Personen ihren Lebensentwurf umsetzen können (23 % voll, 51 % eher ja), von cismännlichen
Befragten sind es zwei Drittel (21 % und 47 %). Dagegen sagt dies nur etwas mehr als jede dritte anders-
geschlechtliche Person (20 % voll, 18 % eher ja). Auch unter nicht-binären Befragten gibt eine Mehrheit an,
ihren Lebensentwurf aktuell in Sachsen nicht frei umsetzen zu können. Unter transgeschlechtlichen
Antwortenden halten sich jene, die ihre Lebensplanung umsetzen können (9 % voll, 38 % eher ja) mit
solchen die Waage, die es nicht können (16 % nicht, 29 % eher nein).
Abbildung 21: Selbstbestimmtheit des Lebensentwurfs je geschlechtlicher Identität
Fragewortlaut: „Können Sie als Lesbe / Schwuler / Bisexuelle*r / trans- / intergeschlechtliche oder queere Person aktuell
in Sachsen so leben, wie Sie möchten? Können Sie Ihren Lebensentwurf umsetzen?“ N = 1.146.
7%
4%
16%
13%
16%
22%
18%
29%
39%
40%
47%
51%
38%
33%
18%
21%
23%
9%
10%
20%
3%
4%
9%
4%
6%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
cismännlich
cisweiblich
transgeschlechtlich
nicht-binär
anders-geschlechtlich
Nicht-cisgeschlechtliche Personen berichten, ihr Leben seltener
selbstbestimmt gestalten zu können
nein
eher nein
eher ja
ja
weiß nicht

image
75
Auch stehen die Chancen auf eine selbstbestimmte Lebensplanung für lesbische Befragte
(zusammengenommen können 72 % voll oder eher so leben, wie sie möchten), bisexuelle (69 %) und
schwule Befragten (67 %) höher als für queere (47 %), asexuelle (51 %) oder pansexuelle (55 %) Befragte,
von denen nach eigenen Angaben nur rund jede zweite Person so leben kann, wie sie möchte.
Von welchen Faktoren es abhängt, ob man zur einen (selbstbestimmten) oder zur anderen (weniger
selbstbestimmten) Hälfte gehört, zeigen viele der offenen Antworten, Fokusgruppen- und Interview-
Aussagen (siehe Abbildung 23). Vorweg in einer Aussage zusammengefasst:
Es wird in den Antworten deutlich, dass die Chancen für lsbtiq* Personen, das eigene Leben in Sachsen gut
gestalten zu können, von vielen Zufällen und dem individuellen Einsatz von Fachkräften aus Bereichen wie
der Gerichtsbarkeit, Mediziner*innen und Therapeut*innen, Lehrkräften und Behörden sowie der
Unterstützung aus der Herkunftsfamilie abhängig sind.
.
Abbildung 22: Selbstbestimmtheit des Lebensentwurf je sexueller Orientierung
Fragewortlaut: „Können Sie als Lesbe / Schwuler / Bisexuelle*r / trans- / intergeschlechtliche oder queere Person aktuell
in Sachsen so leben, wie Sie möchten? Können Sie Ihren Lebensentwurf umsetzen?“ N = 1.158.
Altersunterschiede sind mit einer Ausnahme kaum festzustellen: Nur unter den 16- bis 17-jährigen lsbtiq*
Befragten gibt es keine Mehrheit, die ihr Leben so gestalten könnte, wie sie wollte.
Die Abhängigkeit von anderen Personen und fremdbestimmenden Systemen ist in der Altersgruppe
zwischen 16 und 17 Jahren für lsbtiq* Jugendliche erwartungsgemäß am höchsten.
Ebenso findet sich bei lsbtiq* Befragten in Dörfern keine Mehrheit mit selbstbestimmter Lebensgestaltung –
hier sagen nur 47 %, dass sie dort so leben können, wie sie möchten. Dies weicht deutlich vom Durchschnitt
(62 %) ab und weist daraufhin, dass Chancen für ein selbstbestimmtes Leben auf dem Land geringer sind.
Dies liegt auch daran, dass geoutete Befragte eine bessere Lebensgestaltung angeben, verglichen mit nicht
geouteten Personen und letztere häufiger in Dörfern leben.
In den offenen Fragen der Online-Erhebung wurde dezidiert nach den Gründen gefragt, die dazu führen,
dass lsbtiq* Personen in Sachsen ihre Lebensplanung selbstbestimmt gestalten können und den Gründen,
die sie daran hindern. Zu dieser Frage umfasst die Datengrundlage 471 offene Antworten. Diese Aussagen
konnten in sieben Dimensionen systematisiert werden, denen jeweils mehrere Kategorien und sie näher
definierende Kodierungen zugeordnet werden konnten.

76
Vorab lässt sich sagen, dass zu den positiven Bedingungen vor allem von Akzeptanz geprägte Umfelder
zählen, auf die lsbtiq* Befragte entweder treffen, die sie gezielt aufsuchen oder sich selbst erschaffen.
Zweitens werden Wege gefunden, Einschränkungen in Kauf zu nehmen, sich eigene Nischen zu schaffen
und individuelle Lösungen zu erarbeiten, Resilienzen aufzubauen und den Fokus auf das Positive zu richten.
Diese Tendenzen werden unter den folgenden sieben Dimensionen in vergleichbaren negativen und
positiven Ausprägungen verdeutlicht:
Dimension
Zur Umsetzung des eigenen
Lebensentwurfs förderliche Faktoren
Für die Umsetzung des eigenen
Lebensentwurfs hinderliche Faktoren
a)
Akzeptanz in bestimmtem Umfeld
Ablehnung in bestimmtem Umfeld
b)
Leben in der Großstadt
Ländlicher Raum, kleinere Städte, Hindernisse
auch in Großstädten
c)
Existenz von lsbtiq* Strukturen und
Vernetzungsmöglichkeiten
Fehlende Unterstützungsstrukturen
d)
(Bereitschaft zur) Beschränkung auf
selektive Räume und Umfelder
Fehlende Safe Spaces
e)
Unsichtbarkeit durch geringere
Normabweichung bzw. relative
Angepasstheit, Passing
Unsichtbarkeit und Anpassungsdruck; sich
nicht anpassen können
f)
Privilegien(bewusstsein) und
vergleichende Perspektiven
Wenig privilegiert / besonders benachteiligt
sein; hinderliche Gesetzeslage,
Hochschwelligkeit, mangelnde
Umsetzung/Umsetzbarkeit vorhandener
Gesetze
g)
Eigene Haltung und erworbene Resilienz
Hoher Mehraufwand, besondere Ressourcen
nötig
Abbildung 23: Zur Umsetzung des eigenen Lebensentwurfs förderliche und hinderliche Faktoren
Zunächst können (a) diese akzeptierenden Umfelder bewusst aufgesucht oder zufällig gefunden werden.
So kann ein Umfeld wie die Kita, die Arztpraxis oder die Schule durch die Offenheit bestimmter Personen,
von denen Abhängigkeit besteht, positiv geprägt sein: Den eigenen Lebensentwurf umsetzen zu können,
liegt „an einzelnen positiv eingestellten Individuen (wie z.B. Kitaerzieher*innen, Kinderärzt*innen“, oder an
einem „sehr aufgeklärte[n] Umfeld in vielen Bereichen, z.B. Schule)“.
Auch die Herkunftsfamilie ist ein Umfeld, das von Zufällen abhängig ist und eine zentrale Unterstützung sein
kann: „Das liegt vor allem am starken Rückhalt meiner Familie und Freunde, die sich nie daran störten, dass
ich für Männer eher untypische Interessen entwickelte und mich nie in eine Schublade zu zwängen
versuchten“. Die Aussage, sich ein passendes Umfeld selbst geschaffen zu haben, ist im Datenmaterial
stets präsent: „(Es liegt daran,) dass ich mir mein Umfeld selbst geschaffen habe und wenig Kontakt zu
Menschen haben muss, die diskriminierende Ansichten vertreten.“
Dementsprechend werden in verschiedenen Lebensbereichen häufig explizit lsbtiq* geprägte oder inklusive
Umfelder gesucht und geschaffen: „Da ich mich hauptsächlich in Umfeldern bewege, die selber queer sind
oder LGBTQ+ positiv sind (Uni, Freund*innen, Arbeitsplatz).“ Ein lsbtiq* freundlicher Arbeitsplatz kann durch
ein lsbtiq* offenes Umfeld, durch eine*n lsbtiq* Arbeitgeber*in oder durch Selbstständigkeit geschaffen oder
gefunden werden: „Ich arbeite im kulturellen Sektor. Dort ist die Akzeptanz hoch“, oder: „ich bin derzeit
selbstständig und kann selbst die Räume diskriminierungssensibel mitgestalten, in denen ich arbeite. Das
genieße ich als großes Privileg.“
Sehr dominant und vielschichtig ist im Datenmaterial die Aussage, dass der Lebensentwurf aufgrund des
Wohnens in einer der sächsischen Großstädte (Dimension b) mit vielen Möglichkeiten umgesetzt werden
kann. Die Befragten berichten, dort auf größere Offenheit zu stoßen und sich sicherer fühlen. Hierbei werden
Nachteile in anderen Regionen Sachsens mitunter antizipiert, aber auch aus eigener Erfahrung berichtet:
„Gerade in der Großstadt Leipzig gibt es mehr Diversität, gerade im Zentrum, und ich muss nicht ganz so
viel Angst davor haben, offen zu zeigen, dass ich queer oder trans bin, ohne in Gefahr zu geraten, was in
Dörfern und kleineren Orten in Sachsen eher der Fall war.“
Des Weiteren gibt es in den genannten Großstädten Strukturen und Umfelder, die andernorts in Sachsen
nicht bzw. weniger leicht zu finden sind. Dazu gehört zum einen, dass andere lsbtiq* Personen auch durch
die vorhandenen spezifischen Räume sichtbar und auffindbar sind und somit die Möglichkeit besteht, sich

77
ein lsbtiq* Netzwerk an Kontakten sowie (Schutz-)räume, zu schaffen, was von vielen Antwortenden als
„queere Bubble" oder „Blase“ bezeichnet wird.
Die Verfügbarkeit von Vereinen, Veranstaltungen, Safer Spaces und anderen lsbtiq*-spezifischen
Strukturen (Dimension c) trägt weiterhin zur Möglichkeit bei, eigene Lebensentwürfe umsetzen zu können:
„Es gibt viele ‚safe spaces‘, in denen ich offen meine Orientierung und Gender Identity zeigen und leben
kann“, oder: „Ich bin […] sehr vertraut mit Unterstützungsstrukturen wie der RosaLinde, damals dem
Frauenbuchladen, dem Frauen/Lesbenreferat des StuRa, dem Frauenkulturzentrum, später auch der
Gleichstellungbeauftragten der Stadt Leipzig und später auch dem TIAM e.V. und ich habe sie bei
aufkommenden Problemen als Lesbe und später als Transmann regelmäßig genutzt“.
Als Grund, den Lebensentwurf umsetzen zu können, wird dementsprechend auch explizit genannt, dass
Aktivitäten und Kontakte auf ein „queeres“ Umfeld und lsbtiq*-offene Orte beschränkt werden (Dimension d).
„[Ich] […] suche meist gezielt Bars, Cafes, Restaurants und Clubs auf, von denen ich weiß, dass mein
Lebensentwurf hier als nicht problematisch angesehen wird.“ So lässt sich schlussfolgern, dass die
selbstbestimmte Umsetzung des Lebensentwurfs mit der Bereitschaft zur Einschränkung und dem Leben in
einer der Großstädte verknüpft ist. Falls jedoch der Lebensentwurf das Wohnen im ländlichen Raum oder
kleineren Städten vorsieht, scheint dies die Umsetzung zu erschweren.
Eine weitere vielschichtige Dimension e), die hier als förderlicher Grund betrachtet wird, wurde unter den
Begriffen
Unsichtbarkeit und Angepasstheit
gefasst.
Verschiedene Umstände führen dazu, dass Personen nicht als lsbtiq* Personen erkannt werden, und
dadurch die Gefahr von Diskriminierung geringer ist (Passing)
Befragte geben entsprechend an, dass sie selbst und/oder ihre Beziehung heterosexuell gelesen werden.
Dies lässt darauf schließen, dass Menschen auch heute überwiegend automatisch heterosexuell und
cisgeschlechtlich gelesen werden, wenn es keinen offensichtlichen Grund gibt, der etwas anderes
annehmen lässt: „Da ich in einer, nach außen wirkend, heterosexuellen Partnerschaft bin. Keiner hinterfragt
meine [Bi-]Sexualität, da ich als Frau einen Mann als Partner habe", oder: „eindeutig daran, dass ich mich
optisch stark in das heteronormative Weltbild eingliedere.“
Auch Personen, die nach einer Transition cisgeschlechtlich gelesen werden, betonen dies mitunter als
Faktor, der das Umsetzen des Lebensentwurfs erleichtert: „Als Transmann habe ich ein sehr gutes Passing
und niemand, der mich neu kennenlernt, kommt darauf, dass ich trans bin, was mir in Fragen ‚Coming-out
oder nicht‘ die Entscheidungsmacht überlässt.“ Auch für transgeschlechtliche Personen ohne medizinische
und rechtliche Transition, die entsprechend ihrem zugewiesenen Geburtsgeschlecht gelesen werden, kann
dies in einigen Zusammenhängen ein eher positiver Faktor sein: „Als Transgender-Mann (ohne Transition)
werde ich im Arbeitsumfeld/bei Behörden als Frau wahrgenommen. (Mit Freund unterwegs werden wir als
heterosexuelles Paar wahrgenommen.)“. Dass diese Umstände als Begründungen für die vergleichsweise
erfolgreiche Umsetzung des Lebensentwurfs angeführt werden, lässt darauf schließen, dass dies anders
wäre, wenn sie nicht heteronormativ eingeordnet werden würden.
Zudem wird Sichtbarkeit auch aktiv durch die Anpassung eigener Verhaltensweisen vermieden, und
ebendies hier als beitragender Faktor genannt: „Wir sind vorsichtig in unseren Kontakten, wo wir wie zu
erkennen sind […]. Man lernt in bestimmen Situationen und Orten kein Händchen zu halten, generell nichts
mit Regenbogen zu tragen […]. Man lernt, immer wenn es geht, bei neuen Kontakten erstmal
geschlechtsneutral vom Partner zu reden, bis man das Risiko einschätzen kann.“ Andere Begründungen
sind:
der Umstand, weitgehend nicht geoutet zu sein und dies in Kauf zu nehmen;
nicht anhand der/einer Beziehung sichtbar zu sein;
in einigen Aspekten der Heteronorm zu entsprechen: „Wenn man als asexuelle Person Single bleibt oder
in einer heteroromantischen Beziehung lebt, kann man sich queerfeindlicher Diskriminierung entziehen“,
oder: „Als bisexuelle Frau wird man oft als heterosexuell ‚gelesen‘. In einer heteronormativen Welt ist
das vermutlich ein Privileg.“
Auch bezüglich der geschlechtlichen Identität wird dies berichtet: „Weil ich einfach oft die jeweiligen
geschlechtlichen Beschreibungen in offiziellen Dokumenten hinnehme oder nicht drüber spreche.“ Eine
geringere Normabweichung bzw. eine vergleichsweise starke Angepasstheit an gesellschaftliche
Konventionen wirkt hingegen weniger einschränkend, wie beispielsweise ein „relativ konservativer
Lebensentwurf, abseits von der sexuellen Orientierung und gleichgeschlechtlicher Ehe“.

78
Überaus präsent bezüglich der Häufigkeit und Komplexität sind im Datenmaterial auch Begründungen,
welche unter der Dimension f)
Privilegien(bewusstsein) und vergleichende Perspektiven
zusammengefasst
wurden. Hierbei fällt das Hervorheben individueller Privilegien, der Fokus auf Positives, der Vergleich mit
Menschen, die potenziell stärkere Diskriminierungen erfahren, der Vergleich mit Orten oder Ländern, in
denen die Bedingungen schlechter sind, die Wahrnehmung einer generell steigenden Akzeptanz, sowie die
Betonung einiger Gesetzeslagen auf.
Als Privilegien werden u.a.
die eindeutige Geschlechtszugehörigkeit (cisgeschlechtlich oder männlich),
finanzielle Sicherheit,
weiß sein,
Gesundheit und körperliche Verfassung,
hohe Bildung und Zugehörigkeit zu einem akademischen Milieu,
sowie die geringer ausfallende Diskriminierung hinsichtlich sexueller Orientierungen (verglichen mit
geschlechtlichen Identitäten) genannt.
Aber auch die Abwesenheit eines Kinderwunschs wird als Privileg betrachtet, da hierdurch die gravierenden
Probleme bezüglich des Abstammungsgesetzes und Adoptionsrechts ausbleiben.
Auch gleichstellende Gesetze sowie die Hoffnung auf weitere Gesetzesanpassungen werden positiv
erwähnt.
„Wir haben das Recht zu heiraten, wir haben so mäßig die finanziellen Mittel, dass ich schwanger werde,
und die Hoffnung, dass die Politik irgendwann mal das Abstammungsrecht anpasst.“ Vielfältige Privilegien
und Ressourcen, aber auch die empfundene Notwendigkeit ebendieser, zeigt folgender Bericht auf: „Ich
kann meinen Lebensentwurf nur deswegen umsetzen, weil ich immens privilegiert, selbstbewusst und stur
bin. Also: Ich bin weiß, habe einen deutschen Pass, einen Master-Abschluss, einen relativ gut bezahlten
Job, einen solidarischen Freund*innenkreis, eine unterstützende Herkunftsfamilie und immens viel Bildung
zu queeren Themen. Trotzdem würde ich es mit meiner postmigrantischen Regenbogenfamilien-WG in
Sachsen nirgendwo außer in […] aushalten.“
Dass einige Einschränkungen zum Alltag dazu gehören und ein gewisses Maß an Unsicherheit bleibt,
veranschaulicht folgendes Zitat: „Wir sind seit 32 Jahren ein Paar, Familie, Freunde und Kollegen wissen
das. Wir reden allerdings nicht ungefragt mit jedem darüber. In der Öffentlichkeit bewegen wir uns ganz
normal ... nicht aus Angst vor möglichen Reaktionen, sondern weil wir das für uns so wollen. Wir sind sehr
glücklich, dass wir hier in Deutschland so unbeschwert leben können und möchten unser Glück nicht
überstrapazieren. :-)“.
Einzelne Beispiele zeigen, dass Befragte auch im ländlichen Raum zufrieden leben können: „Ich bin noch
nie diskriminiert worden, […] selbst beim Umzug aufs Land, was als schwules Paar in Sachsen durchaus
Schwierigkeiten mit sich bringen kann, wurden wir von den neuen Nachbarn offen empfangen und
angenommen.“ Dies entspricht auch der vielberichteten Tendenz einer steigenden Offenheit für
verschiedene sexuelle Orientierungen, insbesondere für lesbische und schwule Personen. Dies wird
eindeutig differenziert von einer derzeit geringeren Offenheit für nicht-cisgeschlechtliche Identitäten.
Abschließend bilden charakterliche Ressourcen, hier gefasst als
Eigene Haltung und erworbene Resilienz
(g) eine wichtige Dimension, die zur gelungenen Umsetzung des Lebensentwurfs beiträgt. Diese Dimension
umfasst:
die Fähigkeit, umzusetzen, was man möchte: „Weil ich es einfach mache“, „(Es liegt) an mir“, „Ob ich
meine Ziele umsetzen oder nicht, ist doch unabhängig von anderen.“
eine starke, durchsetzungsfähige Persönlichkeit: „Das liegt hauptsächlich an meiner Person. Da ich eine
Charakterstarke bin und gelernt habe, mich durchzusetzen, aber auch, mich nicht über andere zu
definieren, kann ich meine Lebensentwürfe in Sachsen leben.“
den Umstand, weitgehend out zu sein und damit selbstbewusst aufzutreten: „Ich gehe offen mit meiner
sexuellen Orientierung um, habe dadurch noch nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ich stehe zu mir und
habe den Eindruck, dass andere mich akzeptieren, weil ich selbstbewusst und offen bin und kein
Geheimnis aus sexuellen Präferenzen mache.“

79
die erworbene Gewohnheit und Widerstandsfähigkeit: „Einfach so leben und über den Dingen stehen, die
Akzeptanz ist nicht immer da.“
und, dass die jetzige Haltung im Verlauf des Lebens selbstständig angeeignet wurde: „viele Jahre der
Selbstfindung und Kampf um Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit. Ich habe inzwischen ein hohes
Niveau an Selbstverständlichkeit für meine Lebensweise entwickelt und kann diese weitestgehend offen
ausleben.“
Die Problematik dieser Abhängigkeit von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen ist offensichtlich: Nicht alle
Menschen verfügen über diese notwendigen Ressourcen und eine angeeignete Resilienz. Insbesondere
wird hier ein strukturelles, gesellschaftliches Problem individualisiert (siehe unten).
Hinderliche Faktoren bei der Umsetzung des eigenen Lebensentwurfs
Diese Komplexität der Faktoren und auch die Abhängigkeit von Privilegien und Zufällen lässt es
nachvollziehbar erscheinen, dass Lebensentwürfe häufig nicht so wie gewünscht umgesetzt werden können.
Dies berichten 322 Befragte. Äquivalent zu den Umständen und Begründungen zur Umsetzung des
Lebensentwurfs werden hier die in der obigen Tabelle genannten Negativausprägungen mit den jeweils
positiven in Zusammenhang gebracht und vergleichend analysiert.
Auf die Situation in einzelnen Bereichen wie der Arbeitswelt, dem Gesundheitsbereich, dem ländlichen
Raum, Schule und Kita wird in späteren Kapiteln noch ausführlicher eingegangen. In diesem Kapitel
hingegen, wird ein Gesamtbild und das Zusammenspiel vielfältiger Faktoren dargestellt.
Zunächst zeigt sich unter a)
Nichtakzeptanz in einem bestimmten Umfeld
, dass gegebene Umstände oder
Zufälle so negativ ausgeprägt sein können, dass sie die Befragten massiv in ihrem Leben beeinträchtigen.
Hier sind vor allem die Herkunftsfamilie, Hürden in der Arbeitswelt und das nähere soziale Umfeld zu
nennen. Auch der Bereich Gesundheit, zum Beispiel die Abhängigkeit von verfügbaren Praxen, kann hier
genannt werden, und wird hinsichtlich der r Komplexität unter f) sowie im Kapitel 7.6 näher betrachtet.
Die Herkunftsfamilie kann, gerade in einem jungen Alter durch ein Abhängigkeitsverhältnis, ein bedeutsamer
Problembereich sein: „Ich gehe noch zur Schule und lebe bei meinen konservativen Eltern“; „Eltern sind
gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen“, „Ich werde in der Familie nicht akzeptiert.“ Eine unterstützende
und akzeptierende Familie kann hingegen eine starke soziale Ressource sein, die auch den Umgang mit
anderen Herausforderungen erleichtert. Auch von „beruflichen Einschränkungen, Unterstellung von Quoten
bei Erfolg“ wird berichtet, oder der Problematik, als transgeschlechtliche Person vor oder ohne rechtliche
Transition den Geburtsnamen offenbaren zu müssen.
Das folgende Zitat gibt einen Einblick auf die Auswirkungen, welche ein zufällig wenig lsbtiq*-freundliches
Umfeld haben kann.
„Mein soziales Umfeld besteht aus Menschen, welche in einer klassischen bürgerlichen Kleinfamilie leben.
(…) Das Gefühl, es nicht geschafft zu haben, das Gefühl, nicht dazu zu gehören und allein zu sein, erzeugt
immer wieder depressive Episoden. Das belastet mich sehr. Ich gehöre nicht zu dieser Gesellschaft, da sie
etwas anderes abbildet, als Norm definiert, als was ich lebe. Damit entwertet sie mich und ich arbeite immer
wieder daran, mit dieser Entwertung umzugehen. Doch das Problem wird in mir gesucht, als Individuum.
Nicht aber in der Gesellschaft an sich, sodass ich entsprechende Ohnmacht erlebe. Denn so sehr ich mich
auch anstrenge, so sehr ich auch an mir arbeite, so wenig werde ich anerkannt für die Person, die ich bin.“
Es bestehen in verschiedener Hinsicht Abhängigkeiten von entscheidungsbefugten Personen, die die das
Leben der Befragten direkt betreffen:
„Das meiste, was wir dürfen oder nicht dürfen, wird von Menschen bestimmt, die mit dem Thema überhaupt
nicht in Berührung gekommen sind und sich nicht in unsere Lage versetzen können“.
Des Weiteren kann das direkte (sowie auch das generelle) Umfeld jene Menschen umfassen, die von einer
menschenfeindlichen Gesinnung und rechtsradikalen Einstellungsmustern geprägt sind: „Ich werde auf der
Straße angegriffen, die Polizei macht es noch schlimmer, und zu meinem Lebensentwurf gehört dazu, nicht
in Angst leben [zu wollen] - Sachsen hat ein Problem mit Rechten und Rechtsradikalen, und die ‚Mitte‘ ist
auch braun.“
In Bezug auf Dimension b), die Offenheit des Wohnorts, wird deutlich, dass besonders im ländlichen Raum,
aber auch in kleineren Städten und Großstädten negative Faktoren berichtet werden: Geringe Offenheit führt
zu Unsicherheiten und Angst. Es wird von einer empfundenen räumlichen Beschränkung auf die drei

80
sächsischen Großstädte sowie von begrenzten Vernetzungsmöglichkeiten und Angeboten berichtet.
Negative Erfahrungen im ländlichen Raum oder in Kleinstädten können dazu führen, die eigene sexuelle
Orientierung, Partnerschaft oder geschlechtliche Identität zu verstecken oder diese Räume gänzlich zu
meiden: „Ich habe eine Zeit lang in einer sächsischen Kleinstadt gewohnt und meinen Lebensentwurf offen
gelebt. Nach einiger Zeit hatte ich mit diversen Schwierigkeiten zu kämpfen, ich wurde beleidigt, mein
Fenster beschädigt und [ich wurde] bedroht. Nun bin ich sehr viel vorsichtiger und würde bspw. mit meiner
Freundin nicht händchenhaltend durch die Straße laufen.“ Oder: „Außerhalb von Leipzig würde ich mich
nicht trauen, meine Homosexualität gegenüber fremden Personen in Sachsen offenzulegen (z.B. Hand in
Hand mit einem Partner laufen). Man wird beschimpft und/oder verprügelt. Ich habe leider selbst schon
solche Erfahrungen machen müssen“.
Eine besondere räumliche Beschränktheit empfinden diejenigen, die gerne im ländlichen Raum Sachsens
leben würden, dies aber nicht als realistische Option sehen.
„Ich würde gerne eher in der Natur als in der Stadt wohnen – wo ich aktuell wohne – aber da habe ich eher
negative Erfahrungen als queere Person gemacht – darum wohne ich weiter in der Stadt“. Oder: „Die
Vorstellung eine Zukunft in Sachsen außerhalb der Stadt Leipzig aufzubauen im ländlichen Raum, steht
aufgrund der dort lebenden Menschen und der hohen Intoleranz außer Frage“. Die potenziellen
Auswirkungen einer fehlenden Möglichkeit eines Umzugs in ein urbaneres Umfeld zeigt folgende Antwort:
„Wenn man jünger ist, ist man an ein Umfeld gefesselt, wenn das wie bei mir ein kleines Dorf mit
homophober Einstellung ist, ist das sehr schlecht“. An einigen Orten mangelt es an medizinischer
Versorgung: „In meiner Heimat ist alles schwieriger zu bekommen, wie Arzttermine, Hormone, und eigentlich
auch die OP, außer man bezahlt selbst dafür - wie ich es zu machen plane.“
Einschränkungen und fehlende Angebote werden jedoch auch in Großstädten berichtet: „Keine Angebote,
Lesben in meinem Alter kennen zu lernen... kaum Kulturangebote vorhanden, um in meiner Umgebung
Gleichgesinnte zu treffen. Große Angst vor Gewalt auf der Straße als alleinstehende Personen im
Nachtleben in der Großstadt. Angst den Arbeitsplatz zu verlieren.“
Im Vergleich mit der positiven Ausprägung der Dimension e) werden
Unsichtbarkeit und Anpassungsdruck
hier als Hinderungsgründe thematisiert. Die Notwendigkeit von Anpassung und Herstellung von
Unsichtbarkeit, um Diskriminierung zu vermeiden, schränkt die Berichtenden in ihrem Lebensentwurf ein:
„[Ich muss mein] öffentliches Auftreten anpassen, damit es kein falscher Personenkreis mitbekommt“. Und:
„Diskriminierung auf der Straße, eingeschränkte Bewegungsfreiheit aus Sorge um die persönliche, seelische
und körperliche Unversehrtheit“.
Entsprechend wird berichtet, dass ein binäres Passing die Umsetzung des Lebensentwurfs erleichtert: „Ich
kann meinen Lebensentwurf mittlerweile umsetzen, da ich als Frau wahrgenommen werde. Wird man aber
als Trans* Person wahrgenommen, so trifft man sehr oft auf Ablehnung und Anfeindungen.“ In einigen Fällen
ist die Sichtbarkeit durch eine starke Abweichung von einem binären und heteronormativen
Erscheinungsbilde unvermeidbar: Als Hinderungsgrund wird entsprechend „Gewalt auf der Straße. (Ich bin
sichtbar trans*)“ genannt.
Dass es zur Umsetzung des Lebensentwurfs strukturell eine Voraussetzung ist, nicht als lsbtiq* Person
erkennbar zu sein, dass Sichtbarkeit zumindest potenziell und an vielen Orten jederzeit Gefahren birgt,
zeigen daher sowohl die positiven als auch negativen Berichte.
„Öffentliche Beleidigungen und Demütigungen sind immer an der Tagesordnung, sobald man sich nicht
versteckt (zum Beispiel beim Hände halten oder Küssen).“ Der Wunsch nach Veränderung ist stark, sich
verstecken müssen wird hierbei wiederkehrend als wesentliches Hindernis benannt: „Ich würde gern meine
Zuneigung zu meinem Partner auch öffentlich zeigen können, ohne Angst vor Konsequenzen
(Beschimpfungen, Drohungen etc.).“ Die Unsichtbarkeit von lsbtiq* Personen erschwert außerdem die
Möglichkeiten, sich zu vernetzen und Kontakte zu lsbtiq* Personen zu knüpfen: „Die sichtbare Community ist
zu klein, da viele ihre Identität_en nicht offen leben/zeigen. Das macht es schwierig, Gleichgesinnte zu
finden“. Dass eine permanente Angst vor potenzieller Bedrohung die Umsetzung des Lebensentwurfs
erschwert, erscheint selbsterklärend: „Die ständige Angst vor körperlicher und verbaler Gewalt schränkt
meine Lebensqualität sehr ein.“
Fortwährendes Abwägen zwischen ‚sich verstecken müssen‘ oder ‚sich zeigen können‘ ist für die Befragten
eine mühsame Herausforderung: „Es ist immer ein Versteckspiel. Wenn ich meine geschlechtliche Identität,
meine Sexualität oder meine gewünschten Beziehungsformen irgendwo äußere, kann niemand damit was
anfangen. Immer ist mein Leben erklärungsbedürftig, das aller anderen aber nie. Das ist sehr anstrengend“.
Und: „Ohne Anerkennung der Probleme speziell von Transmännern, Sichtbarkeit unserer Existenz und

81
spezieller Angebote für uns, gibt es auch keine Umsetzung meines Lebensentwurfes. Meistens bin ich damit
beschäftigt, aufzuklären und zu korrigieren."
Auch ist die Möglichkeit, über die Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit selbst entscheiden zu können, nicht in
allen Fällen gegeben. Dieser Umstand kann als bedrohlich erlebt werden: „Wenn die eigene Identität nicht
mit dem Pass übereinstimmt, kann das auch gefährlich werden. Wenn ich Glück habe, werde ich auf Arbeit
‚nur‘ nicht ernst genommen und konstant misgendert, wenn ich mich oute; und wenn ich Pech habe, werde
ich zusammengeschlagen.“
Es zeigt sich, dass lsbtiq* Personen für die alltäglichen Anforderungen eine hohe Resilienz benötigen, sowie
die Fähigkeit, mit Bedrohungen umzugehen oder diese zu meiden. Sie müssen sich besondere Ressourcen
erarbeiten. In den positiven Antworten unter Dimension g) (Resilienz) meldeten sich die Befragten zu Wort,
denen dies gut gelingt. Dabei wird ein strukturelles Problem hier individualisiert. Wie hoch dieser (auch
emotionale) Mehraufwand sein kann, zeigt folgendes Beispiel: „Ich muss mich ständig erklären, jeder Schritt
in die Öffentlichkeit (Beratungen, Behörden, Pflegebedürftigkeit) ist mit misgendert werden und
Transfeindlichkeit verknüpft. Entweder wissen Menschen nicht, dass ‚sowas wie ich‘ existiert oder sie sind
offen feindlich. Beides ist SEHR anstrengend.“
Um dem gesellschaftlich entgegenzuwirken, wird als eine wesentliche Ursache eine fehlende Vertrautheit
mit lsbtiq* Lebensweisen identifiziert. Als möglicher Lösungsweg wird auf die Notwendigkeit von Aufklärung
und Schulungen hingewiesen: „[…] Behörden, Schulen und Umfeld sollten geschult und weitergebildet
werden, damit Mensch es nicht ständig selbst machen muss oder als Referenz herhalten muss. Außerdem
fehlt die klare Haltung aller Institutionen gegen Queerfeindlichkeit, um sich sicher zu fühlen.“
Als weiterer Hinderungsgrund zur Umsetzung des eigenen Lebensentwurfs werden einschränkende
Gesetzeslagen und die oft mangelhafte Umsetzung vorhandener Gesetze identifiziert. Dies betrifft
insbesondere spezifische Gruppen innerhalb von lsbtiq* Identitäten, deren Situation und Anliegen entweder
gesetzlich nicht oder auf benachteiligende Weise geregelt sind. Während auf die Herausforderungen
bezüglich Personenstands- und Namensänderungen, sowie hinsichtlich medizinischer Transition in anderen
Kapiteln eingegangen wird, werden hier besonders diejenigen Menschen erwähnt, die keinen Zugang zu
diesen Regelungen haben. Hierzu äußern sich vor allem Menschen, die sich im nicht-binären Spektrum
bewegen. Von „fehlende(n) Gesetze(n) bezüglich nicht-binären Personen, fehlende(r) soziale(r) Akzeptanz
und eingebackene binäre Strukturen“ wird berichtet und so darauf hingewiesen, dass Nichtbinarität
gesetzlich nicht abgebildet wird. Es gibt keine Möglichkeit, auf der Basis von Nichtbinarität den Namen zu
ändern und es gibt keinen offiziellen Personenstand beziehungsweise Geschlechtseintrag.
Auch eine Inanspruchnahme einzelner medizinischer (Transitions-)maßnahmen ist nicht vorgesehen:
„‘Geschlechtsangleichende‘ OPs sind für mich keine Option, da ich nichtbinär bin und deswegen zum
Beispiel keine Hormontherapie, aber eine Brustverkleinerung in Anspruch nehmen möchte. Ein Name, aus
dem nicht klar erkennbar ist, ob die Person männlich oder weiblich ist, ist auch nicht möglich durch das
deutsche Gesetz. Außerdem ist durch das (noch) bestehende Transsexuellengesetz und die damit
verbundenen Hürden bei Ämtern etc. ein Outing vor offiziellen Stellen keine Option. Ich würde auch gerne
den Geschlechtseintrag divers nutzen, das geht momentan (…) aber nur für intergeschlechtliche
Personen.“ Durch diese fehlenden Gesetze und Regelungen ist Deadnaming und Misgendern nicht
vermeidbar, ebenso wie das Offenbaren des amtlichen Vornamens in offiziellen Kontexten.
Ein anderer Aspekt sind Mehrfachdiskriminierungen, welche im Kapitel 5 ausführlicher untersucht werden.
Hier ist zu erwähnen, dass im Zusammenhang mit der für lsbtiq* Personen ohnehin herausfordernden
Thematik, eine Familie mit Kindern zu gründen, weitere Aspekte erschwerend hinzukommen können: „Es ist
sehr schwer bisher, Kinder zu bekommen, besonders wenn man wie ich eine Behinderung hat und dann
auch noch zum Beispiel ein Kind adoptieren möchte. Jeder Antrag ist ein Kampf…“. Das Adoptions- und
Abstammungsrecht ist in diesem Kontext ein vielthematisierter Hinderungsgrund, den eigenen Lebensplan
zu realisieren. Vielfach thematisiert wird die Notwendigkeit der Adoption des eigenen Kindes, ein Prozess,
den heterosexuelle Paare generell nicht durchlaufen müssen: „Ich möchte mein Kind nicht adoptieren
müssen & dem Amt meine Wohnung zeigen müssen, um eine Erziehungsberechtigung zu bekommen,
obwohl Männer einfach eingetragen werden können ohne biologischen Nachweis ihrer Vaterschaft.“
Auch im weiteren Verlauf des Familienlebens werden diesbezüglich vielfältige äußere Beeinträchtigungen
antizipiert: „Ich kann meinen groben Lebensentwurf trotzdem umsetzen, aber ich bzw. mein Kind und meine
engen Bezugspersonen werden von Behörden, in der Schule, Kita etc. immer wieder Diskriminierung
erfahren und das würde ich mir natürlich nicht wünschen und ich würde mir wünschen, dass das keine
‚obligatorische‘ Konsequenz meines Lebensentwurfes ist.“ Dementsprechend wurde bei den positiven
Antworten erwähnt, dass es ein Vorteil sei, keinen Kinderwunsch zu haben. Andere genannte Hindernisse

82
sind „Gesetze, die es Schwulen sehr schwer machen, Kinder zu haben“, und dass „bisher keine Möglichkeit
(besteht), mehrere Eltern gesetzlich eintragen zu lassen.“
Zusammenfassend ist zu schlussfolgern, dass die Möglichkeit, den eigenen Lebensentwurf als lsbtiq*
Person umsetzen zu können, von vielfältigen Faktoren abhängt. Einige können aktiv geändert werden,
erfordern jedoch Geduld und Durchsetzungsvermögen. In anderen Bereichen ist es hingegen von Zufällen
abhängig. Wie umfangreich diese Faktoren sein können, verdeutlicht folgender Bericht: „Ich bin finanziell
unabhängig, lebe mit meinen Partner*innen zusammen, habe ein komplett queeres Arbeitsumfeld und
schloss 2018 meine rechtliche Transition ab. Kontakte zu Menschen, die mir nicht guttun, habe ich vor
einigen Jahren abgebrochen. Teilweise liegt das an meinen Privilegien (weiß, männlich, deutsch), teilweise
an Glück (die richtigen Leute zur richtigen Zeit getroffen) und teilweise an sehr viel Kampfgeist in der
Vergangenheit.“
Entsprechend der Komplexität dieser Faktoren sind die Erfahrungsberichte geprägt von sehr individuellen
Lösungen, Nischen, Schutzräumen, hoher Selektivität der Kontakte und fortwährender Abwägung über das
Teilen von Informationen, die oftmals von cisgeschlechtlichen heterosexuell lebenden Menschen in Sachsen
selbstverständlich mitgeteilt und offen gelebt werden.
Wahrgenommene Chancengerechtigkeit
Alle Teilnehmenden der Online-Erhebung wurden in wichtigen Bereichen der Lebensgestaltung gefragt, ob
sie als lesbische, schwule, bisexuelle, trans- oder intergeschlechtliche oder queere Person den Eindruck
haben, die gleichen Chancen wie andere Menschen in Sachsen zu haben. Die Antworten (siehe Abbildung
24) zeigen zusammengefasst Folgendes:
Es gibt zwei Lebensbereiche, in denen eine Mehrheit aller lsbtiq* Befragten keine Chancengerechtigkeit
gegeben sieht: Das ist erstens im Bereich der Familiengründung mit Kindern der Fall. Im Durchschnitt sehen
72 % aller Antwortenden hier nicht die gleichen Chancen. Ebenfalls eine deutliche Mehrheit sieht ungleiche
Chancen, dass Ämter und Behörden ihre Lebenssituation berücksichtigen.
Die Antworten zeigen zudem, dass die Chancen nicht für alle zur heterogenen Gruppe der lsbtiq* Personen
zählenden Menschen gleich sind, sondern insbesondere für nicht-cisgeschlechtliche Befragte höhere
Hürden bestehen.
So bestehen beispielsweise hohe Diskrepanzen in der Chancenwahrnehmung, eine Arbeitsstelle zu
finden und Karriere zu machen, sowie Vermögen aufzubauen.
Ebenso sticht der Gesundheitsbereich als besonders ungleich hervor: Eine kompetente ärztliche
Versorgung oder Zugang zu Krankenkassenleistungen zu erhalten, sieht eine knappe Mehrheit der
befragten nicht-binären und transgeschlechtlichen Personen als nicht gegeben an.
Zudem ist die Chance auf eine Mietwohnung für dreimal mehr transgeschlechtliche Antwortende geringer
als für cismännliche Befragte.
Auch sehen deutlich mehr nicht-cisgeschlechtliche Befragte ungleiche Chancen, Informationen zu ihren
Möglichkeiten und ihrer rechtlichen Situation zu erhalten. Wie hochschwellig
Personenstandsänderungen und Transitionen aktuell in Sachsen sind, wird auch durch Aussagen in den
Fokusgruppen deutlich (siehe Kapitel 5.7).
Und schließlich sehen nicht-binäre (83 %) und anders-geschlechtliche (80 %) Personen häufiger keine
gleichen Chancen, ihre Geschlechtsidentität zu leben, als transgeschlechtliche Personen (50 %)
gegenüber cisgeschlechtlichen Sächs*innen

83
Abbildung 24: Chancengerechtigkeit in zentralen Lebensbereichen
Fragewortlaut: „Haben Sie als Lesbe, Schwuler, Bisexuelle*r, trans-, intergeschlechtliche oder queere Person den
Eindruck, dass Sie gleiche Chancen wie andere Menschen in Sachsen haben, …“ N = 1.009 – 1.156. Abgebildet sind die
summierten Werte für „stimme überhaupt nicht zu“ und „stimme eher nicht zu“.
Die Antworten zeigen zudem, dass die Chancen auch je nach sexueller Orientierung (in der Grafik nicht
abgebildet) in einigen Bereichen für viele besonders deutlich von den Chancen heterosexueller Sächs*innen
abweichen.
So sieht knapp jede dritte lesbische und bisexuelle befragte Person, dass sie schlechtere Chancen im
Zugang zu Krankenkassenleistungen hat. Rund jede fünfte lesbische und jede vierte bisexuelle Person
sieht die Chance auf eine adäquate gesundheitliche Versorgung in Sachsen als schlechter an. Unter
asexuellen Antwortenden sind es 45 %, unter queeren 50 %, wobei die Unterschiede in den beiden
letztgenannten Gruppen zu einem Teil auf nicht-cisgeschlechtliche Befragte zurückgehen.
Auch schätzt jede vierte bis fünfte schwule, lesbische oder bisexuelle antwortende Person ihre
Arbeitsmarkt- und Karrierechancen schlechter ein. Die Chance, entsprechend Vermögen aufzubauen,
wird vor allem von lesbischen und bisexuellen (je 19 %) Befragten als schwierig eingeschätzt.
Die Chance, sich politisch zu beteiligen und am gesellschaftlichen Diskurs mitzuwirken, wird vor allem
von lesbischen Befragten (28 %) für sich als vergleichsweise geringer angesehen.
6%
18%
17%
28%
10%
9%
20%
11%
19%
24%
19%
79%
49%
9%
11%
20%
33%
11%
17%
16%
15%
23%
31%
18%
64%
59%
27%
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29%
38%
31%
49%
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63%
50%
50%
86%
80%
19%
23%
29%
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47%
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58%
63%
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78%
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23%
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38%
41%
45%
43%
49%
80%
56%
79%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
den Bildungsweg ihrer Wahl zu gehen
ihren Freizeitinteressen nachzugehen
sich politisch aktiv zu beteiligen oder die
Meinungsfindung der Gesellschaft zu beeinflussen
ihr Beziehungsmodell zu leben
eine Wohnung zu mieten
Vermögen aufzubauen
eine Arbeitsstelle zu finden bzw. eine Karriere zu
machen
eine kompetente ärztliche Versorgung zu erhalten
im Zugang zu Leistungen der Krankenkassen
angemessene Informationen über ihre Möglichkeiten und
rechtliche Situation zu erhalten
in ihrem Geschlecht zu leben / ihre geschlechtliche
Identität zu leben
eine Familie mit Kindern zu gründen
dass ihre Lebenssituation bei Ämtern und Behörden
berücksichtigt wird
Mehrheit sieht keine Chancengerechtigkeit bei der Familiengründung und
bei der Behandlung bei Behörden
anders-geschlechtlich
nicht-binär
transgeschlechtlich
cisweiblich
cismännlich

image
 
84
6.3. Politische und gesellschaftliche Repräsentation
und Partizipation von lsbtiq* Personen in Sachsen
Mehr als drei Viertel (78 %) der befragten lsbtiq* Personen sehen die gleichen Chancen, sich politisch zu
beteiligen und am gesellschaftlichen Diskurs mitzuwirken, wie andere Sächs*innen auch.
Dies hat das vorangegangene Kapitel 6.2 gezeigt. In diesem Teilkapitel soll nun geklärt werden,
wie gut sich lsbtiq* Personen in Sachsen in Politik, Verwaltungshandeln und Medien abgebildet sehen;
ob und welche Anlaufstellen sie bei Problemen kennen
und wie stark sie Angebote von lsbtiq* Vereinen (ggf. auch als Mitglied) nutzen.
Sichtbarkeit in Politik und Medien
Auffällig ist, dass zwar über drei Viertel der Befragten gute Chancen sehen, sich aktiv politisch in die
Gesellschaft einzubringen. Dass ihre Lebenssituation, ihr Lebensmodell in Öffentlichkeit und Gesellschaft in
Sachsen abgebildet sind, sagt aber nur eine kleine Minderheit.
Konkret sieht sich nur jede*r Siebte (13 %) in der sächsischen Politik repräsentiert.
Unter den 82 %, die ihr Lebensmodell in der sächsischen Politik nicht abgebildet sehen, sind queere sowie
nicht-binäre Befragte prozentual am häufigsten vertreten (89 % bzw. 88 % sehen sich nicht abgebildet).
Beispielhaft berichtet eine ungeoutete Person, dass die Unsichtbarkeit in Politik und Verwaltung sie konkret
beeinflusst, dass „wenig, zu wenig queeres Leben auf politischer und gesellschaftlicher Ebene stattfindet.
Sichtbarkeit in Ämtern, Behörden, Ministerien, im Landtag, im politischen Agieren, in Kultur, Kunst würde es
mir erleichtern, mich sicher zu fühlen und selbst sichtbar zu werden ohne Angst vor Ausschluss,
Diskriminierung, Entwürdigung“.
In sächsischen Medien finden nur 17 % ihre Lebensrealität abgebildet, 78 % sehen dort Personen wie sich
nicht (restliche 4 % „weiß nicht“). Auch hier sind nicht-cisgeschlechtliche Befragte häufiger von
Unsichtbarkeit betroffen. In Vorgängen und dem Handeln sächsischer Behörden sehen 18 % ihr
Lebensmodell abgebildet, 71 % nicht. Auch hier zeigen sich Unterschiede entlang der geschlechtlichen
Identität: 81 % der transgeschlechtlichen, 83 % der nicht-binären und 87 % der anders-geschlechtlichen
Antwortenden finden sich im Verwaltungshandeln nicht abgebildet.
Abbildung 25: Sichtbarkeit von lsbtiq* Personen in der sächsischen Öffentlichkeit
Fragewortlaut: „Und sehen Sie Ihre Lebenssituation, Ihr Lebensmodell in der Öffentlichkeit und der Gesellschaft in
Sachsen abgebildet? Sind Personen wie Sie und Ihre Angehörigen sichtbar…“ N = 974 - 1.166
Mangelnde Sichtbarkeit von lsbtiq* Lebensmodellen beginnt bereits in Kinder- und Schulbüchern, im
Kindergarten / Hort sowie im Schulunterricht. Das ist das Ergebnis, sieht man sich die Einschätzungen der

image
85
rund 1.000 Antwortenden an. Jeweils lediglich 7 % sehen hier ihr Lebensmodell abgebildet. 83 % respektive
84 % finden sich dort nicht wieder.
Unterstützungsstrukturen
Neben der politischen und medialen Repräsentation ist es ebenso wichtig, welche Anlaufstellen es für lsbtiq*
Personen im Freistaat gibt. Dies wurde in einem separaten Teil der Studie, der Strukturanalyse von
Beratungsstellen, genauer untersucht (siehe Kapitel 9 sowie Anhang). Hier wurde zunächst gefragt, ob und
welche Anlaufstellen die Befragten zur Verfügung haben: Wo finden lsbtiq* Personen in Sachsen
Unterstützung?
Nur 2 % der Antwortenden sehen Behörden wie bspw. Jugendämter oder Schulämter als Anlaufstellen bei
Fragen oder Problemen. Jede*r Zwölfte (8 %) hat keinerlei unterstützende Strukturen.
Unter denjenigen, die gar keine Anlaufstellen haben, die ihnen bei Schwierigkeiten und Sorgen weiterhelfen,
sind etwas häufiger cismännliche (jeder Zehnte), asexuelle (11 %) sowie Befragte, die ihre sexuelle
Orientierung nicht festlegen möchten/können (13 %). Auch wird dies von doppelt so vielen 40- bis 55-
Jährigen angegeben, wie von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Zudem sagen 16 % (11 von 68)
Antwortenden mit Migrationshintergrund, dass sie bei Schwierigkeiten keine Anlaufstelle in Sachsen hätten.
Abbildung 26: Verfügbarkeit von Anlaufstellen für lsbtiq* Sächs*innen bei Schwierigkeiten
Fragewortlaut: „Wenn Sie als schwule, lesbische, bisexuelle, transgeschlechtliche, intergeschlechtliche oder queere
Person Schwierigkeiten, Sorgen usw. haben, gibt es dann für Sie Menschen / Anlaufstellen, die sich Ihrer annehmen,
Ihnen weiterhelfen, Sie informieren?“, Mehrfachnennungen möglich. N = 1.006.
Dagegen können sich 93 % aller Befragten an Personen in ihrem privaten Umfeld wenden. Vereine, die sich
für die Belange von lsbtiq* Personen einsetzen, werden von 40 % der Antwortenden als Anlauf- und
Informationsstelle bei Problemen genannt. Diese werden besonders häufig von transgeschlechtlichen
Befragten benannt (64 % bzw. von 72 transgeschlechtlichen Antwortenden; dabei sind 41 von ihnen Mitglied
in einem Verein oder nutzen dessen Angebote – siehe weiter unten). Am seltensten werden Anlaufstellen in
lsbtiq* Vereinen von Befragten mit anderen Geschlechtsidentität (20 %) genannt.
Vergleichsweise selten nennen 16- bis 17-jährige Jugendliche lsbtiq* Vereine als Anlaufstelle bei Problemen
(27 % bzw. 20 von 73 Antwortenden in dieser Altersgruppe). Auch Befragte, die in Mittel- oder Kleinstädten
leben, sehen Vereine seltener als Anlaufstellen (27 %).
Für viele (51 %) lsbtiq* Befragte mit Behinderung / Beeinträchtigung sind queere Vereine
überdurchschnittlich häufig eine wichtige Unterstützungsstruktur.
Kenntnis und Angebotsnutzung von lsbtiq* Vereinen
Möglichkeiten, sich aktiv politisch oder gesellschaftlich zu engagieren oder sich mit Gleichgesinnten zu
treffen, bieten viele der in Sachsen tätigen lsbtiq* Vereine. Eine deutliche Mehrheit der Befragten kennt

86
mindestens einen solchen Verein oder Zusammenschluss: 57 % der Antwortenden ist ein Verein bekannt,
ohne dass sie dort Mitglied wären oder Angebote nutzen würden. Ein weiteres knappes Viertel (23 % bzw.
247 Antwortende) sind Vereinsmitglied oder nehmen Angebote dort in Anspruch. In diesen Zahlen spiegeln
sich vermutlich auch die Rekrutierungswege der Studienteilnehmenden wider. Das Ergebnis zur
Vereinsmitgliedschaft und Bekanntheit ist nicht analog auf alle lsbtiq* Personen in Sachsen übertragbar und
dürfte insgesamt niedriger liegen. Das zeigt sich mitunter darin, dass die Unkenntnis von Vereinen unter
Befragten in Dörfern mit 34 % am höchsten ist, in Großstädten, in denen die meisten Vereine ihren Sitz
haben, mit 12 % am niedrigsten. Aber auch knapp ein Drittel der antwortenden 16- bis 17-Jährigen kennt
keinen lsbtiq* Verein.
Die Chancen, unterstützende Strukturen außerhalb des eigenen privaten Umfelds nutzen zu können, sind für
lsbtiq* Personen außerhalb der Großstädte und für Jugendliche geringer.

image
 
87
7. Erfahrungen von lsbtiq* Personen in
verschiedenen Lebensbereichen
In diesem Kapitel sollen die Erfahrungen von lsbtiq* Personen in Sachsen in verschiedenen Lebens- und
Politikfeldern beschrieben werden. Das Kapitel zeigt, ob die Befragten in den vergangenen fünf Jahren
überwiegend positive oder überwiegend negative Erfahrungen im jeweiligen Bereich gemacht haben. Die
offenen Antworten helfen dabei, sowohl die berichteten Diskriminierungserlebnisse, als auch die positiv
förderlichen Mechanismen zu verstehen.
Zunächst ein Überblick:
Insgesamt sagen die meisten lsbtiq* Befragten (63 %), dass sie negative Erfahrungen mit der Polizei und
der Justiz gemacht haben. Eine Mehrheit der Befragten (51 %) hat zudem vorwiegend negative Erlebnisse in
der Öffentlichkeit, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Parks und auf öffentlichen Plätzen,
gemacht.
Betrachtet man den Anteil negativer Erfahrungen, folgt der Schulbereich auf dem dritten Rang mit 42 % der
Antwortenden, bei denen schlechte Erfahrungen überwiegen. Mehr als jede*r Dritte (39 %) gibt zudem
überwiegend negative Behördenerfahrungen an.
Abbildung 27: Vergleichende Übersicht positiver und negativer Erfahrungen in Lebensbereichen
Fragewortlaut: „Haben Sie in den letzten 5 Jahren (seit 2017) aufgrund Ihrer sexuellen Orientierung bzw.
geschlechtlichen Identität oder Intergeschlechtlichkeit positive oder negative Reaktionen (wie z.B. Benachteiligungen,
Ablehnungen, Beleidigungen oder Übergriffe) in folgenden Lebensumfeldern in Sachsen erfahren? Wenn Sie sich in
einigen der Lebensumfelder gar nicht aufhalten, z.B. keinen Kontakt zu einer Schule oder einem Pflegeheim in den
vergangenen 5 Jahren hatten, dann kreuzen Sie bitte "habe ich keinen Kontakt zu" an - vielen Dank!“ N = 1.128,
dargestellt sind die Antworten derjenigen, die Kontakt zum jeweiligen Bereich hatten
58
.
Von den positiven Anteilen ausgehend, ist mit dem Freund*innenkreis ein nicht-öffentlicher Bereich
hauptsächlich von guten Erfahrungen geprägt. 98 % der Befragten haben sich ein solches positives
freundschaftliches Umfeld geschaffen.
Mit den Berufs- und Hochschulen folgt ein Bereich, der in Landesverantwortung steht, und aus dem
mehrheitlich (von 84 % der Antwortenden) positive Erfahrungen berichtet werden.
58
Die Fallzahlen für die Bereiche (auskunftsfähige Personen, die in den vergangenen fünf Jahren seit 2017 Kontakt zum
jeweiligen Bereich haben/hatten) liegen konkret bei: Freund*innenkreis N = 1.109; Familie N = 1.044; Öffentlichkeit N =
993; Dienstleistungen N = 944; Gesundheitsbereich N = 872; Freizeitbereich / Sport / Kultur / Ehrenamt N = 864;
Arbeitswelt N = 802; Berufs- / (Fach-)Hochschule / Universität N = 667; Ämter und Behörden N = 553; Polizei und Justiz
N = 480; Schule N = 462; Kindertagesbetreuung N = 177; Pflegebereich N = 113.

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88
Weitgehend positive Erfahrungen werden zudem in Freizeit, Sport, Kultur und Ehrenamt gemacht (83 % der
Befragten) sowie bei Dienstleistungen beispielsweise im Restaurant oder an der Supermarktkasse (82 %).
Für die meisten dieser Bereiche werden die folgenden Unterkapitel konkret aufschlüsseln, welche
Erfahrungen und durch welche Teilgruppen diese gemacht werden.
7.1. Erfahrungen in der Familie
Das Kapitel 6.2 hat gezeigt, dass ein unterstützendes familiäres und freundschaftliches Umfeld einer der
wichtigsten Faktoren für lsbtiq* Personen in Sachsen ist, ihren Lebensentwurf umsetzen zu können. Erste
Unterschiede im Unterstützungsniveau hat das vorherige Schaubild angedeutet:
80 % aller Befragten berichten, dass sie in den vergangenen fünf Jahren ganz überwiegend positive
Erfahrungen in ihrem freundschaftlichen Umfeld machen – in der Familie hingegen sind dies mit 39 % nur
halb so viele. Weitere 41 % machen in ihrer Familie eher positive Erfahrungen (18 % im Freundschaftskreis).
Dieser Unterschied lässt sich mitunter dadurch erklären, dass der Freund*innenkreis ein weitgehend
selbstgewähltes Umfeld ist, und damit in die in Kapitel 6 herausgearbeitete Kategorie „sich ein positives
Umfeld schaffen“ fällt. Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig diese freundschaftlichen Unterstützungssysteme
sind.
Die Herkunftsfamilie können sich lsbtiq* Personen dagegen nicht aussuchen. Gut jede*r Fünfte (21 %)
berichtet, dass die eigenen Erfahrungen in der Familie eher oder überwiegend negativ geprägt sind.
Diese rund 130 Befragten mit negativen Familienerfahrungen wurden gebeten, ihre Situationen konkreter zu
beschreiben.
Von diesen 130 Teilnehmenden mit weitgehend negativen Erfahrungen in der Familie sagen die meisten
(89 % bzw. 115 Antwortende), dass sie sich aufgrund abwertender Äußerungen über lsbtiq* Personen
nicht gegenüber allen Familienmitgliedern outen konnten. Auch sagen 80 % von ihnen, dass ihre
sexuelle oder geschlechtliche Identität nicht ernst genommen wurde. Dies trifft am häufigsten nicht-
binäre Befragte (91 % mit negativen Erfahrungen schildern dies), deren geschlechtliche Identität seltener
ernst genommen wird.
Rund die Hälfte derjenigen mit weitgehend negativen Erfahrungen in ihrer Familie wurde beschimpft,
beleidigt oder lächerlich gemacht.
Abbildung 28: Negative Erfahrungen in der Familie
Fragewortlaut: „Wenn Sie einmal an die Situation innerhalb Ihrer eigenen Familie denken, welche negativen Erfahrung
haben Sie hier aufgrund Ihrer sexuellen Orientierung bzw. Ihrer geschlechtlichen Identität oder Intergeschlechtlichkeit
gemacht? N = 115 – 129.

 
89
Ebenfalls fast die Hälfte (42 % bzw. 48 Antwortende) wurden von Familienmitgliedern ausgegrenzt. Ein
Beispiel dazu aus den offenen Antworten: „Mit mir wurde jeglicher Kontakt abgebrochen seitens meines
Großvaters. Ich musste ausziehen […] weil meine Mutter meinen Anblick nicht ertragen konnte.“
Jeder vierten antwortenden lsbtiq* Person mit negativen Familienerfahrungen wurde ein Zwangs-Outing
angedroht oder sie wurde tatsächlich gegen den eigenen Willen geoutet.
18 Befragten wurde Gewalt in ihrer Familie angedroht. Acht dieser 18 bedrohten lsbtiq* Personen waren
zum Zeitpunkt der Gewaltdrohung vermutlich noch minderjährig
59
und damit in erhöhter Abhängigkeit
von ihrer Herkunftsfamilie. Eine Person berichtet beispielsweise von ihrem „Rauswurf aus dem Haus als
Minderjähriger“.
Zwölf Befragte berichten von erlittener Gewalt durch Familienmitglieder. Eine Person war zum Zeitpunkt
der Tat minderjährig, zwei weitere vermutlich ebenfalls minderjährig oder erst kurz volljährig (siehe
vorangegangene Fußnote). In einem Fall wurde in den offenen Antworten „Kindesmissbrauch,
Konversionstherapie“ angegeben.
Weitere in den offenen Antworten genannte negative Erfahrungen sind
Verbot eines selbstbestimmten Coming-outs sowie Ausübung von psychischem Druck:: „Ich durfte mich
jahrelang nicht outen, weil meine sexuelle Orientierung meinen Eltern peinlich gegenüber anderen
Familienmitgliedern war“; oder: „Mir wurde gesagt, dass ich so nie glücklich werde/einen Partner
finde/gesellschaftlich akzeptiert werde; Verbot über Identität mit anderen Familienmitgliedern zu
sprechen -> psychische Gewalt?“ sowie „massiver psychischer Druck, dass ich meine Zukunft zerstöre
und besser alleine statt homosexuell leben soll“;
in mindestens fünf Fällen die explizite Androhung von Konversionstherapien: „Meine Familie hat mich wie
eine Schande gesehen und wollte, dass ich zur Konversionstherapie gehe“, in anderen Fällen geschah
dies implizit: „Vorschlag, ich solle mich "behandeln/heilen" lassen“ oder „als krank und heilbar
angesehen“;
das Verbot, keine Partner*innen nach Hause einladen zu dürfen, so wie in diesem exemplarischen Fall:
„Als ich mich das erste Mal als bi vor meinen Eltern geouted habe, haben sie (und v.a. meine Mutter) mir
verboten, eine*n gleichgeschlechtliche*n Partner*in mit nach Hause zu bringen.“
Sorge um Familiengründung, wie zum Beispiel: „Bekommen wir jetzt Enkelkinder?“
Häufig genannt wird belastendes Misgendern, beispielsweise: „Meine Mutter schafft es bisher nicht, mich
mit meinem neuen Namen anzusprechen, weil sie scheinbar sehr an meinem alten Namen hängt. Das
macht die Kommunikation manchmal schwierig, da sich mich damit ohne Absicht immer wieder verletzt“.
Oder: „dauerhaft Deadnaming und Misgendern durch die Elternteile (komplett ohne Versuch zu
unternehmen, dies zu ändern)“. Und: „Meiner Familie ist es sehr schwergefallen, keine Pronomen und
meinen neuen Namen für mich zu benutzen und viele bekommen es immer noch nicht hin. Teilweise
fühle ich mich gedrängt meinen Geburtsnamen weiter zu verwenden, ‚weil die Großeltern zu alt für
sowas‘ wären und es gibt ständig Diskussionen darüber.“
Positive Erfahrungen in der Familie und ihr Stellenwert für einen gelingenden Lebensentwurf wurden in
Kapitel 6.2 geschildert.
7.2. Erfahrungen in der Kindertagesbetreuung
Mit dem Bereich der Kindertagesbetreuung, hier konkret Krippen, Kindergärten und Horte in Sachsen, wird
ein Lebensbereich untersucht, in dem lsbtiq* Personen in Sachsen in verschiedener Weise auftreten:
einmal in der Rolle als Eltern, beispielsweise gleichgeschlechtliche oder queere Paare mit Kind,
transgeschlechtliche Elternteile mit Kind oder als Verantwortung übernehmende Co-Eltern, -Pat*innen
und Bezugspersonen. Oftmals werden diese Familienformen als Regenbogenfamilien bezeichnet.
59
Dies lässt sich für drei Betroffene mit Sicherheit aussagen, da sie zum Zeitpunkt der Befragung 16 bzw. 17 Jahre alt
waren. Fünf weitere Betroffene geben ein Befragungsalter unter 24 Jahren an und können im erfragten Zeitraum der
vergangenen fünf Jahre seit 2017 minderjährig gewesen sein – in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Gewaltandrohung, der
nicht jahresgenau erfragt wurde.

90
Zweitens haben Kinder selbst eine sexuelle Orientierung und eine geschlechtliche Identität, wobei im
frühen vorpubertären Alter der Kindertagesbetreuung die geschlechtliche Identität bewusster ist.
Drittens gibt es lsbtiq* Erzieher*innen ebenso wie cisgeschlechtliche und heterosexuelle Fachkräfte – die
Ebene der Erzieher*innen wird in diesem Kapitel aber nicht vorrangig berücksichtigt, sondern in Kapitel
10.3 dargelegt.
Viertens vermitteln nicht nur Fachkräfte, sondern auch das eingesetzte pädagogische Spielmaterial
gesellschaftliche Bilder von Familie, Rollenmodellen, Beziehungsformen und geschlechtlichen
Identitäten.
In der Online-Erhebung wurden Erfahrungen von lsbtiq* Personen in der Kindertagesbetreuung erfragt. Für
diesen Bereich sind 178 Befragte auskunftsfähig. Weitere 951 Befragte haben / hatten in den vergangenen
fünf Jahren seit 2017 keinen Kontakt zu Kindertagesbetreuungen und werden daher im Folgenden nicht
betrachtet.
Unter den 178 Antwortenden mit Kindertagesbetreuungskontakt seit 2017 sagt eine Mehrheit von ungefähr
zwei Dritteln, überwiegend oder eher positive Erfahrungen gemacht zu haben.
Demgegenüber steht ein Viertel der Antwortenden, die eher negative Erfahrungen im Kontakt mit
Kindertagesbetreuung angeben. Und eine Minderheit von 5 % (entspricht 9 Antwortenden) hat überwiegend
Negatives erlebt.
Weitgehend positive Erfahrungen werden etwas häufiger von lesbischen (36 von 45) und schwulen (28 von
34) Antwortenden berichtet. Von gleichgeschlechtlichen Lebensweisen gegebenenfalls abweichende,
insbesondere pansexuelle Personen (15 von 27), Befragte geben seltener positive Erfahrungen an. Dies trifft
auch auf transgeschlechtliche (12 von 19 Antwortenden mit positiven Erfahrungen) und nicht-binäre (9 von
17) Antwortende zu. Zudem geben nur zwei von zehn lsbtiq* Antwortenden mit
Behinderung/Beeinträchtigung sowie sieben von zwölf mit Migrationshintergrund positive Erfahrungen in der
Kindertagesbetreuung an.
Eltern und Bezugspersonen, die über ihre sexuelle Orientierung hinaus durch weitere Merkmale wie ihre
geschlechtliche Identität, eine Behinderung / Beeinträchtigung oder einen Migrationshintergrund vom
scheinbar mehrheitsgesellschaftlichen Familienbild abweichen, machen überdurchschnittlich häufig negative
Erfahrungen in der Kindertagesbetreuung.
Negative Erfahrungen in der Kinderbetreuung
Welche negativen Erfahrungen machen lsbtiq* Personen im Bereich der Kindertagesbetreuung? Hierüber
haben 31 Befragte näher Auskunft gegeben, sechs Befragte haben darüber hinaus von der offenen
Antwortmöglichkeit Gebrauch gemacht:
Fast alle unter ihnen (28 von 31 bzw. 90 %) sagen, dass Erzieher*innen wenig oder kein Wissen über
Familien und Kinder wie ihre hätten und unsicher im Umgang mit ihnen seien. So berichtet eine Person,
dass sie als Familie Unterstellungen und Fragen ausgesetzt waren: „Wir wurden immer falsch in unseren
Familienrollen angesprochen. […] Es gab Unterstellungen und Täuschungsversuche und fragwürdige
Gespräche. Wir mussten immer neugierige Fragen aushalten.“ Auch eine Erzieherin berichtet, sie „muss
über vor allem die älteren Kollegen sagen, dass diese gar keine Ahnung von der LGBTQI+ Community
haben und entsprechend wenig dazu aufklären. Aber auch bei den Jüngeren sind es sehr, sehr wenige“.
Im Spielmaterial und in Büchern seien Familien wie ihre nicht sichtbar – auch das sagen nahezu
sämtliche (30 von 31) Befragte, die negative Kita-Erfahrungen gemacht haben. Eine Person berichtet,
dass es „Erziehungsmodelle gibt, die auf ‚typisch‘ männliche oder weibliche Tätigkeiten abzielen“,
folglich eine sozialisationsbedingte geschlechtsspezifische binäre Aufteilung der Kinderinteressen weiter
fördern, statt dieser entgegenzuwirken.
Ebenso berichten alle neun antwortenden trans-, inter- divers-geschlechtlichen und nicht-binären
Befragten, nicht im richtigen Geschlecht angesprochen zu werden.
21 von 26 Antwortende (80 %) sehen ihr Familienmodell nicht anerkannt und wertgeschätzt. Auch eine
allgemein diskriminierende Atmosphäre wird in einem Fall berichtet: „Es war ein sehr konservativer
Kindergarten, der im Allgemeinen diskriminierende und rassistische Äußerungen akzeptiert und
unterstützt hat. Hier fand wenig Reflexion in den eigenen Reihen statt und konstruktive Kritik konnte
nicht angenommen werden“.

 
91
Dass sich Erzieher*innen explizit abwertend über sie, ihr Kind oder ihre Familie äußern, berichtet die
Hälfte der hierauf Antwortenden mit negativen Erfahrungen (11 von 22). Eine antwortende Person gibt
die Aussage eines Erziehers folgendermaßen wieder: „Ich würde keine schwulen Kinder akzeptieren“.
Ein schwuler cismännlicher Vater berichtet, dass er keine Gleichbehandlung mit anderen Eltern zum
Start der Kita-Betreuung erhalten hat: „Mir wurde eine richtige Eingewöhnung verwehrt“. Auch wurde ihm
vermittelt, dass andere Kinder angeblich vor ihm geschützt werden müssten: „Mir wurde gesagt, dass ich
zum Schutz der Kinder nicht beim Essen anwesend sein darf“.
Dass diese Erlebnisse deutliche Auswirkungen auf einige Familien haben, zeigen auch die Antworten auf die
Frage, ob sie aufgrund negativer Erfahrungen die Kita, den Hort oder die Vorschule abgebrochen oder
gewechselt hätten: Das bejahen fünf der 23 antwortenden lsbtiq* Familien mit schlechten
Betreuungserfahrungen.
Positive Erfahrungen in der Kinderbetreuung
Die zehn in der Erhebung berichteten positiven Erfahrungen zeigen aber, dass es unter bestimmten
Umständen anders aussehen kann:
Formale Kriterien, die diverse Familienmodelle mitdenken, können erfüllt werden: „Die Kita meines
Kindes hatte ein Formular, das wir wahrheitsgemäß ausfüllen konnten, ohne irgendeinen Kasten
durchstreichen oder umbenennen zu müssen“.
Ein offenerer, nicht an Geschlechterstereotypen ausgerichteter Umgang mit Kindern wird in zwei Fällen
hervorgehoben. Einmal von der Erzieherin gegenüber den Eltern bzw. Bezugspersonen, indem sie „eher
positiv bemerkt hat, dass es uns wichtig ist, dass unser Kind sich frei entfalten kann, ohne von
Geschlechterstereotypen eingeengt zu werden (...)“. Und einmal von einem Elternteil bzw. einer
Bezugsperson. Hier wurde er*sie „echt gut aufgenommen und (die Kita) ist komplett tolerant, bei den
Mitarbeitern selbst sind manche queer und die Kinder werden vor Ort nicht in irgendwelche
Geschlechterrollen gesteckt“.
Offenheit gegenüber Regenbogenfamilien: Eine Person sagt über eine Kita, sie „ist ein buntes Haus, in
dem alle Menschen willkommen sind“ und auch von einer „breiten Akzeptanz des Lebensmodells“ in
einer Kita wird berichtet; ein Erleben, das eine weitere Mutter teilt: „alle Betreuerinnen meines
Kindes“ haben „immer vermittelt (…), dass es total normal ist, zwei Mütter zu haben“. In einem anderen
Bericht war die Kita „wohlwollend zum Kind und zu uns“. Eine weitere Person berichtet „Offenheit von
Erzieher*innen bezüglich unserer Regenbogenfamilie" sowohl in Krippe als auch Kita. In einer
Kitagruppe wurde das „Thema verschiedene Familienformen“ bewusst eingebracht und hierzu „der
Erzeuger der Kinder zu einer Vorstellungsrunde eingeladen“.
7.3. Erfahrungen in der Schule
Einer der frühen prägenden Bereiche im Leben aller Menschen ist die Schule. Erfahrungen, die Kinder und
Jugendliche dort machen, untereinander wie mit ihren Lehrkräften, sind für ihre Entwicklung maßgeblich. So
auch für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Kinder und
Jugendliche in Sachsen. Erleben sie früh einen selbstverständlichen Umgang mit ihrer sexuellen
Orientierung oder geschlechtlichen Identität in sächsischen Schulen, oder erfahren sie allgemeine
Abwertungen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt? Werden sie von Gleichaltrigen und Aufsichtspflichtigen
in diesem Zusammenhang respektvoll oder eher diskriminierend behandelt?
Auf Basis der 462 Antworten (weitere 666 Befragte hatten in den vergangenen fünf Jahren keinen Kontakt
zum Bereich Schule) zeigt sich ein ambivalentes Bild: Eine knappe Mehrheit von 58 % der Antwortenden
macht positive Erfahrungen an sächsischen Schulen: davon berichten 41% von eher positiven, weitere 17 %
von überwiegend positiven Erfahrungen. Dagegen sagt knapp jede*r dritte lsbtiq* Befragte (30 %), die
eigenen Erfahrungen seien eher negativ gewesen. Bei weiteren 12 % - das ist rund jede*r Achte – waren die
Erfahrungen in der Schule überwiegend negativ.
Damit gehört der Bereich Schule zu den drei Bereichen, in denen lsbtiq* Personen am häufigsten von
negativen Erfahrungen berichten (siehe Abbildung 27).
Unterschiede zwischen Schulerfahrungen in der Stadt oder auf dem Land sind in den Daten nicht zu
erkennen. Betrachtet man die Erfahrungen für lsbtiq* Teilgruppen, zeigen sich zudem nur wenige
Unterschiede in der Häufigkeit positiver bzw. negativer Erlebnisse. Dies trifft – bis auf zwei Aufnahmen –
stets zu: Nicht-binäre sowie anders-geschlechtlich Antwortende geben überdurchschnittlich häufig an,

92
negative Schulerfahrungen zu machen – jeweils eine Mehrheit von 57 % bzw. 59 % unter ihnen berichtet
davon.
Dagegen zeichnen transgeschlechtliche Antwortende ein umgekehrtes Bild: Hier berichtet eine Mehrheit von
61 % von überwiegend und eher positiven Erfahrungen in der Schule. Dies könnte darauf hindeuten, dass
der Umgang mit nicht-binären und diversen Geschlechtsidentitäten an Schulen schwieriger ist als der
Umgang mit sich ggf. binär verortenden, oder/und eindeutiger männlich oder weiblich gelesenen
transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen. Dass geschlechtliche Identitäten jenseits des Binären
besondere Verunsicherungen bei Gegenübern hervorrufen, zeigt sich auch an vielen anderen Stellen im
Datenmaterial.
Welche positiven und negativen Schulerfahrungen werden konkret von den Befragten berichtet?
Negative Schulerfahrungen
Zunächst zu den negativen Formen, die von den rund 170 lsbtiq* Antwortenden mit negativen Erlebnissen
beantwortet wurden, darunter von 48 Antwortenden mit konkret beschriebenen Beispielen aus ihrer Schule:
Zunächst fällt das mangelnde Vertrauensklima verbunden mit fehlenden organisatorischen Maßnahmen
an Schulen auf.
Prozentual am häufigsten sagen Schüler*innen mit negativen Erfahrungen, dass ihnen an ihrer Schule
keine Ansprechperson oder Vertrauensstelle bekannt ist/war, an die sie sich wenden können (85 % aller
mit mehrheitlich negativen Schulerfahrungen). Ein Beispiel: „Ich war in meiner Schulzeit noch bei
niemanden geoutet. Alle, inklusive mir, wussten, dass ich anders bin irgendwie, und es war für mich eine
sehr anstrengende, unangenehme und unsichere Zeit, weil ich alles hinterfragt habe. An dieser Stelle
hätte ich mir Unterstützung wie die Schulsozialarbeit gewünscht.“ Dass fehlende Unterstützung durch
Lehrkräfte und das Fehlen einer Ansprechpartner*in bis zu vorzeitigen Beendigungen von Schulkarrieren
führen kann, wird durch den folgenden Fall deutlich: „Ich habe meine Gymnasialausbildung in der elften
Klasse aufgrund von Mobbingerfahrungen abgebrochen. Oft habe ich Beleidigungen bekommen,
teilweise wurden auch meine Partner*innen belästigt. Ich hatte keine Ansprechpartner*innen, die mich
ernst genommen hätten. Von Lehrern wurde ich nur komisch angeschaut.“
Ein mangelndes Coming-out-Klima wird auch dadurch vermittelt, dass sich Lehrkräfte von drei Viertel der
Antwortenden mit negativen Erfahrungen (121 Fälle) selbst allgemein abwertend gegenüber bestimmten
Menschengruppen und lsbtiq* Gruppen im Speziellen geäußert hätten, sodass sich die Schüler*innen
nicht oder selten outen konnten. In den offenen Schilderungen berichten diese Befragten von
sexistischen, homo- und transfeindlichen Kommentaren, sowie faschistischen und rassistischen
Äußerungen durch die Lehrkräfte: „Einige Lehrer […] äußerten […] lobende Aussagen zu faschistischen
Regimen, die die Verfolgung von Lgbtq+ Personen durchsetzten oder durchsetzen [… wie:] ‚Ich finde es
so schön in Polen, da werden Männer noch gezwungen, Männer zu sein und keine Krankheiten und
Irrsinn wie Transen‘, (oder) ‚Damals zur NS-Zeit gab es solchen Unsinn auch nicht, das war zwar eine
schreckliche Zeit, aber da ging es denen wenigstens nicht so gut, sich aus Langweile Transe zu
nennen‘ […]“. Ein anderes Beispiel: Ein „Lehrer [hat] die Jungs, die kein Fußball spielen wollten, als
Schwuchteln bezeichnet […]. Ein Religionslehrer, der Petitionen gegen die Legalität von Homosexualität
gestartet hat und seinen Klassen erklärt hat, Schwule kämen in die Hölle.“ Als Problem wird mehrfach
ausbleibendes Handeln seitens der jeweiligen Schule berichtet: „[…] stört aber an der Schule
niemanden. Ist normal, wenn im Kunstunterricht die Lehrerin darüber redet, wie schlimm die Ausländer
sind.“

93
Abbildung 29: Negative Erfahrungen in der Schule
Fragewortlaut: „Welche negativen Erfahrung machten Sie in Bezug auf Ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche
Identität oder Intergeschlechtlichkeit in Ihrer Schulzeit? Bitte geben Sie an, inwiefern die folgenden Aussagen für Sie
zutreffen.“ N = 144 – 171 lsbtiq* Befragte, die weitgehend negative Erfahrungen gemacht haben. Bei dem mit **
gekennzeichneten Item wird der Anteil aller trans-, anders-geschlechtlichen und nicht-binären Befragten mit weitgehend
negativen Erfahrungen wiedergegeben.
Weiterhin wird die Unsichtbarkeit des Themas, die ausbleibende Thematisierung, sowie die
Unsichtbarkeit von lsbtiq* Personen als Problem benannt. Wenn schulische Aufklärung über
geschlechtliche und sexuelle Vielfalt ausbleibt, sind die Befragten mit ihrem eigenen Empfinden unter
Umständen gänzlich allein, was zu psychischen Problemlagen führen kann: „Queere Themen wurden in
der Schule nicht behandelt, was dazu geführt hat, dass ich mich wertlos/ausgeschlossen/falsch/einsam
gefühlt habe.“ Als Folge berichtet eine andere Person, dass „daher keine Modelle“ vorhanden waren,
„und nur das Gefühl, dass irgendwas mit mir nicht ‚stimmt*, blieb.“ Zwei weitere Personen berichten:
„Während meiner Schulzeit war es unmöglich, sich zu outen. Da gab es niemanden, der offen schwul
oder lesbisch aufgetreten ist.“ Und: „Ich habe mich während der Schulzeit nur bei sehr wenigen
Menschen geoutet (aus Angst vor Abweisung).“
In prozentual weniger Fällen (38 % derjenigen mit mehrheitlich negativen Erlebnissen, bzw. 57
Antwortende) wird von konkret abwertenden Äußerungen der Lehrkräfte gegenüber dem*der betroffenen
Schüler*in berichtet. In den offenen Antworten werden weitere personenbezogene Diskriminierungen
durch Lehrpersonal geschildert. Beispielhaft wurde „eine transgeschlechtliche Schülerin in meiner
Klasse von Lehrkräften diskriminiert, ausgelacht und trotz Gefahr weiterhin in die Jungsumkleide
gesteckt“.
Bei einem Großteil (79 %) derjenigen mit überwiegend negativen Schulerfahrungen bezieht sich dies
auch auf Erlebnisse mit Mitschüler*innen. Dazu zählen allgemein abwertende Äußerungen: „Mitschüler
äußern sich mehrheitlich gegen Homosexualität und Andersdenkende im Allgemeinen“. Solche
Kommentare können zur Verunsicherung von lsbtiq* Personen beitragen und die Vermeidung eines
Coming-outs begünstigen: „[…] dementsprechend oute ich mich nicht.“ Geoutete Schüler*innen
berichten zum einen von Beleidigungen wie „Schwuchtelvieh“ oder „Mannweib“ und zum anderen auch
von „ständige(n) Fragen“ und „Stigmatisierung“. Auch „Mobbing“, von einer befragten Person definiert
als „systematische verbale und nonverbale Angriffe und Ausgrenzungen“, wird mehrfach genannt.
Mitunter erfolgen Spekulationen über die eigene lsbtiq* Zugehörigkeit: „Ich wurde gemobbt in der Schule
wegen meiner Sexualität. Ich wurde stigmatisiert als Schwuler, ohne mich selbst schon so weit zu
sehen, dass ich klar wusste, wer ich bin.“
15%
36%
38%
64%
75%
79%
81%
85%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Ich habe aufgrund negativer Reaktionen meine Schule
abgebrochen oder die Schule gewechselt.
Ich werde / wurde bedroht oder körperlich angegriffen.
Meine Lehrkräfte äußern / äußerten sich abwertend über
mich.
Ich fühle / fühlte mich aufgrund meiner sex. Orientierung /
geschl. Identität ungerecht behandelt.
Meine Lehrkräfte äußern / äußerten sich abwertend über
lsbtiq* Personen, sodass ich mich nicht (immer) geoutet…
Mitschüler*innen äußern / äußerten sich abwertend über
mich.
Ich werde / wurde nicht in meinem Geschlecht
angesprochen.**
Ich wusste keine Vertrauensstelle oder Ansprechperson an
der Schule, an die ich mich hätte wenden können.
Negative Schulerfahrungen: fehlende Kenntnis von Vertrauenspersonen,
Abwertung und mangelndes Klima für Coming-out
Anteil unter lsbtiq* Befragten mit negativen Erfahrungen

94
Als besonders gravierend empfunden wird in diesem Kontext der ausbleibende Schutz vor
Mitschüler*innen, wenn diese sich folgenlos in der Anwesenheit von Lehrkräften diskriminierend
verhalten. Die ausbleibenden Reaktionen der Lehrkräfte werden auch beim Mithören sehr gewaltvoller
Kommentare berichtet.
„Es wird sich einfach nicht gekümmert, mir kann von anderen Schülern vor einer Lehrerin im Unterricht
gesagt werden, dass es besser wäre, wenn alle als gleichgeschlechtlich betrachtete Pärchen, welche
auch so in der Öffentlichkeit auftreten, in den Knast gehörten und es gibt keine Konsequenzen für den,
der das gesagt hat. Gar nichts, es wird einfach so getan, als wäre es nie passiert.“ Dass das Ausbleiben
von Reaktionen eine unmittelbare Ermutigung zu, wie auch Legitimation dieses Verhaltens darstellt, wird
auch von einer*m Befragten thematisiert: „Wenn es Lehrkräften nicht gelingt, diversitätsfördernd und
offen aufzutreten, wird dies durch Schüler:innen implizit übernommen. Viele fühlen sich dann auch noch
in ihrem Denken und Handeln bestätigt.“
81 % der trans-, anders-geschlechtlichen und nicht-binären Antwortenden mit weitgehend negativen
Erfahrungen geben an, in der Schule nicht im richtigen Geschlecht angesprochen zu werden. Dass sich
Mitschüler*innen durch Entscheidungen der jeweiligen Schulleitung in ihrem beleidigenden und
angreifenden Verhalten auch gegenüber nicht-cisgeschlechtlichen Schüler*innen legitimiert sehen
können, legt dieses Beispiel nahe: „Schikanen durch Schüler und Schulleitung, Verbot aufs Mädchenklo
zu gehen unter Drohungen seitens Schulleitung, wegsehen der Schulleitung bei Angriffen auf mich“.
Fast zwei Drittel (64 %) derjenigen mit weitgehend negativen Schulerfahrungen sagen, dass sie sich
aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität ungerecht behandelt fühlen.
So berichtet beispielhaft eine antwortende Person, dass „queeren Kindern mit grundlos schlechten
Noten fast der Abschluss versaut“ wurde.
Mehr als jede*r Dritte mit weitgehend negativen Schulerfahrungen wurde zudem bedroht oder körperlich
angegriffen. 59 Antwortende berichten von derartigen Übergriffen.
Solche berichteten Übergriffe in sächsischen Schulen sind ggf. nicht nur justiziabel, sondern stellen
durchaus auch eine Verletzung des Kindes- und Jugendwohls dar. Die erlebten Situationen in der Schule
können Ursache massiver Verunsicherungen und Ängste sein. Unwissenheit über sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt kann zu der diffusen und mitunter als sehr belastend erlebten Annahme führen, dass
„mit einem selbst etwas nicht stimme“. Diese Ängste führen zudem in vielen berichteten Fällen zur
Beeinträchtigung der Schul- (und damit ggf. der Lebens-)laufbahnen. So schildert eine Person, wie diese
Erfahrung die Schullaufbahn störte: „Ich fühlte mich ausgeschlossen und konnte nicht über meine Gefühle
sprechen. Ich musste eine Klasse wiederholen, da ich über 6 Monate in der Psychiatrie war. Ich war völlig
orientierungslos und überfordert in dieser Zeit. Ich hatte sehr große Angst, keiner hat mich verstanden.“ Eine
andere Person berichtet, „auf 4 verschiedenen Oberschulen in 6 verschiedenen Klassen auf Grund
dessen“ gewesen zu sein.
Insgesamt waren bei 15 % derjenigen mit negativen Erfahrungen diese Erfahrungen ebenfalls derart
belastend, dass sie die Schule abgebrochen oder gewechselt haben – insgesamt 23 lsbtiq* Personen haben
dies im Rahmen dieser Befragung angegeben.
Auch zeigt sich am Beispiel eines Falls, dass in der Schule gemachte Erfahrungen die Verhaltensweisen in
den folgenden Lebensphasen prägen. Hier hat die mangelnde Sanktionierung in der Schulzeit dazu geführt,
dass die Person als Opfer eines Übergriffs keine Anzeige bei der Polizei erstattet hat: „Angst, Jahre langes
Mobbing in der Schule, Lehrern war es egal, Schulleiter auch, also warum sollte die Polizei mehr
unternehmen?“
Positive Schulerfahrungen
In verschiedenen Rollen – als Schüler*in, Elternteil, Lehrkraft – geben einige Befragte auch positive
Beispiele, wie inklusiv Schule gestaltet werden kann:
Einige Schüler*innen berichten von der Schulzeit als einem besonders positiven Lebensbereich, in dem
sie auf Unterstützung stießen, sowie von einer Atmosphäre, die es zuließ, sich zu outen: „Meine
früheren Klassenkameraden […] haben problemlos und positiv auf mein Outing als Lesbe und dann als
Transmann reagiert“, berichtet eine Person, oder: „Nachdem ich mich vor meinen Freunden und in der
Schule als nichtbinär geoutet habe, habe ich ausschließlich positives Feedback bekommen. Das hat
mich sehr in mir selbst bestärkt."

 
95
Die Veränderung nach einem Schulwechsel war im folgenden Fall sehr positiv: „Ich bin dieses Schuljahr
in eine neue Klasse gekommen. Die Leute um mich herum waren sehr unterstützend in Bezug auf meine
Geschlechtsidentität und Sexualität, das hat mich sehr gefreut, da ich durch meine alte Klasse Angst
hatte mich anderen anzuvertrauen. Ein Beispiel ist, dass wir im Kunstunterricht uns Regenbogenflaggen
auf unsere Arme gemalt haben.“
Dieser und der folgende Bericht zeigen, dass es aus Sicht vieler derzeit noch von Glück und Zufall
abhängt, nicht oder wenig in der Schule diskriminiert zu werden: „Ich hatte auch das Glück, einige sehr
aufgeschlossene und unterstützende Lehrer*innen zu haben, die meine Identität akzeptiert haben, ohne
mich wie andere in Frage zu stellen.“ Eine andere Person, die kürzlich ihr Abitur gemacht hat, berichtet
davon, sich in der Prüfungssituation geoutet zu haben, was die Lehrkräfte überrascht, aber auch sehr
positiv aufgenommen hätten.
Auch Familien berichten, dass es möglich ist, im Schulkontext Offenheit zu erfahren und respektvoll
behandelt zu werden - ohne überhöhte Aufmerksamkeit zu erfahren
„In der Schule geht man (nicht nur) bei der Anmeldung sehr souverän mit der Familienkonstellation um."
Ein Elternteil eines offiziell gleichgeschlechtlichen Paares berichtet: „Bei der Einschulung […] hat die
Schulperson zum Kind gesagt: ‚Sei jetzt still, ich rede mit deinen Eltern‘. Das hat mich sehr positiv für
diese Schule gestimmt. Seither hat dieses Kind [in der Schule] über uns gleichgeschlechtliche Personen
immer ‚Eltern‘ gesagt. […] Das zeigt Normalität“.
Dass es möglich ist, mit Kindern im Zusammenhang mit dem Abbau von Diskriminierung über lsbtiq*
Themen und Personen zu reden, zeigt der folgende Bericht aus Mitarbeiter*innen-Perspektive: „Als
Fsj'ler*in [freiwilliges soziales Jahr] in einer Oberschule habe ich mitbekommen, dass es durchaus
möglich ist, Kindern Themen wie LGBTQ und Transidentitäten näher zu bringen und Homophobie zu
hinterfragen.“
Eine große Herausforderung scheint jedoch – auch in einer überwiegend positiven Atmosphäre – die
Verwendung der entsprechenden Namen und Pronomen zu sein, wenn diese nicht den amtlichen
Dokumenten entsprechen: „In Schulen habe ich auf der einen Seite sehr positive Erfahrungen gemacht,
mein Outing wurde dort sehr unterstützt, nichtsdestotrotz wurden, auch nach mehrmaligen Bitten, meine
Pronomen falsch verwendet oder mein Geburtsname benutzt.“. Oder: „Ich wurde auf der […] Oberschule
und […] Fachoberschule relativ gut aufgenommen, jedoch werde ich manchmal trotzdem mit dem alten
Namen genannt, weil es immer noch nicht in den Listen geändert ist.“
7.4. Erfahrungen in der Berufs-, Hochschule und
Universität
Der tertiäre Bildungsbereich, hier konkret die Berufs- und Hochschulen in Sachsen, ist derjenige öffentliche
Bereich, in denen am wenigsten lsbtiq* Befragte negative Erfahrungen berichten.
Die Antworten basieren auf den Erfahrungen von 668 lsbtiq* Personen, die in den vergangenen fünf Jahren
seit 2017 Kontakt mit diesen Bildungseinrichtungen hatten. Weitere 461 Befragte hatten keinen Kontakt und
werden hier nicht betrachtet.
Ein gutes Drittel (35 %) aller Antwortenden mit Berufs-/Hochschulkontakt sagen, sie hätten in den
vergangenen fünf Jahren seit 2017 überwiegend positive Erfahrungen an ihrer Berufs-, Hochschule bzw.
Universität gemacht. Rund die Hälfte (49 %) berichten von eher positiven Erfahrungen. Am häufigsten geben
lesbische (90 %), schwule (87 %) sowie männlich sozialisierte bisexuelle Befragte (94 %) positive
Erfahrungen an.
Für knapp jede achte antwortende lsbtiq* Person (13 % bzw. 87 Antwortende) waren/sind die eigenen
Erfahrungen eher negativ. Für weitere 17 Antwortende (3 %) war/ist ihre Berufs- oder Hochschulzeit seit
2017 überwiegend negativ. Unter denjenigen mit eher negativen Erfahrungen finden sich knapp viermal
häufiger trans- und anders-geschlechtliche Befragte (je 27 % mit eher negativen Erfahrungen) als
cisgeschlechtliche (7 % mit eher negativen Erfahrungen). Auch queere und pansexuelle Befragte geben
doppelt so häufig negative Erfahrungen an wie der Durchschnitt aller lsbtiq* Befragten.

96
Zu den besonders diskriminierungsgefährdeten Personenkreisen gehören lsbtiq* Personen mit Behinderung
/ Beeinträchtigung. Sie geben ebenfalls häufiger an, dass bei ihnen negativen Erfahrungen an der Berufs-
oder Hochschule überwiegen (13 von 34 Befragten). Dagegen sind die Berichte der sieben antwortenden
lsbtiq* mit Fluchterfahrung ausschließlich positiv. Die Erfahrungen von Befragten mit Migrationshintergrund
weichen statistisch nicht vom Durchschnitt ab und sind damit mehrheitlich positiv.
Negative Berufs- und Hochschulerfahrungen
Betrachtet man nun genauer die negativen Erfahrungen – Basis sind hier die knapp 90 Personen, darunter
52 nicht-cisgeschlechtliche, mit negativen Erfahrungen – die aus dem Berufs- und Hochschulkontext
genannt werden, so sticht vor allem die Ansprache von trans-, inter- und anders-geschlechtlichen sowie
nicht-binären Personen vor: Hier sagen beinahe alle (94 % bzw. 49 der 52 Personen aus dieser Gruppe mit
negativen Erfahrungen), dass sie im falschen Geschlecht angesprochen werden/wurden.
Für drei Viertel aller Befragten mit schlechten Erfahrungen fehlt(e) eine Vertrauensstelle oder
Ansprechperson an ihrer Berufs- oder Hochschule.
Mit diesen beiden Punkten sind Vorgänge angesprochen, die auch organisatorisch und durch berufs-
/hochschulverwaltungstechnische Vorgaben geregelt werden können.
Abbildung 30: Negative Erfahrungen in der Berufs- oder Hochschule
Fragewortlaut: „Welche negativen Erfahrung machten Sie in Bezug auf Ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche
Identität oder Intergeschlechtlichkeit in Ihrer Berufsschul-/Hochschulzeit bzw. Zeit an der Universität? Bitte geben Sie an,
inwiefern die folgenden Aussagen für Sie zutreffen.“ N = 73 – 88 lsbtiq* Befragte, die negative Erfahrungen gemacht
haben. Das mit ** gekennzeichnete Item „ich werde/wurde nicht in meinem Geschlecht angesprochen“ wird hier nur für
nicht-cisgeschlechtliche Befragte (N = 52) ausgewiesen.
Für die differenzierten negativen Erfahrungen werden im Folgenden, falls vorhanden, Beispiele aus den 23
offenen Antworten zitiert. Bezüglich der Ansprache heißt es hier zum Beispiel, dass „Misgendern“ und ein
„erschwerter Weg, um Name in Unidokumenten zu ändern“ zur Erfahrung gehören.
Weitere negative Erfahrungen beziehen sich auf
abwertende Äußerungen gegenüber lsbtiq* Personen im Allgemeinen, sodass kein offenes Klima für
Coming-outs besteht/bestand (diese Erfahrung machen 61 % derjenigen mit negativen Erfahrungen),
unter anderem wird berichtet: „Homo- und Transphobie sind auch unter Studierenden immer noch
13%
15%
25%
30%
37%
60%
61%
76%
94%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Ich werde / wurde bedroht oder körperlich angegriffen.
Ich habe aufgrund negativer Reaktionen meine (Hoch-
)Schule abgebrochen oder die (Hoch-)Schule gewechselt.
Meine Lehrkräfte / Dozent*innen äußern / äußerten sich
abwertend über mich.
Die (Hoch-)Schulverwaltung (bspw. das Prüfungsamt)
äußerte sich abwertend über mich bzw. hat meine Situation
nicht ernst genommen.
Meine Kommiliton*innen / Mitschüler*innen äußern /
äußerten sich abwertend über mich.
Ich fühle / fühlte mich aufgrund meiner sex. Orientierung /
geschl. Identität ungerecht behandelt.
Meine Lehrkräfte äußern / äußerten sich abwertend über
lsbtiq* Personen, sodass ich mich nicht (immer) geoutet
habe.
Ich wusste keine Vertrauensstelle oder Ansprechperson an
der (Hoch-)Schule, an die ich mich hätte wenden können.
Ich werde / wurde nicht in meinem Geschlecht
angesprochen.**
Ansprache von nicht-cisgeschlechtlichen Personen größter Mangel,
mehrheitlich keine Vertrauensstellen an Hoch-/Berufsschulen bekannt
Anteil unter lsbtiq* Befragten mit negativen Erfahrungen

97
salonfähig. Kommentare und Reaktionen gehören dann zum Alltag dazu. Wohl auch ein Grund, wieso
viele Freund:innen von mir es tunlichst meiden, sich im Uni-Kontext zu outen“. Aufgrund allgemeiner
Kommentare oder auch aufgrund der Reaktionen, die Geoutete erleben, vermeiden andere, sich zu
outen. Dies wird auch im Folgenden berichtet: „[…] es gibt an Unis dermaßen heteronormative Umfelder,
dass ich der verbreiteten Einschätzung, es gäbe keine Asexualität […] nicht als Gegenbeispiel
widersprechen wollte“. Vom Coming-out abgeschreckt ist diese Person auch deshalb, weil eine andere
Person sich bereits als asexuell geoutet hatte und dieser ihre Empfindungen abgesprochen wurden.
Eine andere Person berichtet von „Nichtsichtbarkeit“ und „empfundene(m) Anpassungsdruck“ als
Problem. Auch geschlechterstereotype Äußerungen, die lediglich zwei Geschlechter implizieren und
geschlechtsbezogene Unterschiede verallgemeinern, werden problematisiert: „Sehr oft werden in
Vorlesungen etc. geschlechtliche Verallgemeinerungen gebracht, viel in Männer und Frauen getrennt.
Das ist extrem unangenehm.“ Auch dies lässt den Schluss auf kein optimales Klima für Coming-outs
hinsichtlich anderer Geschlechtsidentitäten zu.
Abwertende Äußerungen seitens Kommiliton*innen oder Mitberufsschüler*innen berichtet gut jede*r Dritte
(37 %) derjenigen mit negativen Erfahrungen. Seitens der Lehrkräfte und Dozent*innen berichtet dies
wiederum ein Viertel derjenigen mit negativen Erfahrungen. Im Folgenden Beispiel findet beides
gleichzeitig statt: „Als ein Lehrer sich über homosexuelle Menschen lächerlich machte und diese als
abartig usw. betitelte, hat ein eigentlich guter Kumpel in der Klasse von mir mitgemacht (wussten beide
das ich homosexuell bin), das tat weh“. Auch Geschlechterstereotype werden als Problem benannt.
Weiblich gelesene Personen werden abwertend behandelt: „Der [Berufs-]Schulleiter hat generell alle
Frauen in seinem Unterricht durch Sprüche und unpassende Vergleiche abgewertet. Vom Sportlehrer
wurde ich sehr unpassend sexualisiert“. Dies kann auch strukturell zum Ausdruck kommen: „Die
Geringschätzung von Frauen in meinem Studiengang und die extrem hohe Anzahl männlicher
Professoren/Dozenten/Entscheidungsträger empfinde ich als untragbar.“
Auch sagen 60 % (49 Antwortende) derjenigen mit negativen Erfahrungen, dass sie sich aufgrund ihrer
sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität ungerecht behandelt fühlen. Einer Person
wurde wegen eines Fremdoutings der Praktikumsplatz verwehrt: „Ein Freund wurde von einem Lehrer
ohne seine Zustimmung bei einer Praktikumsstelle geoutet, woraufhin diese ihn nicht mehr nehmen
wollten, weil es ihnen zu ‚kompliziert‘ sei“.
Eine andere Person berichtet, dass öffentliche Sanitäranlagen zu einer alltäglichen Herausforderung
werden können: „Die Tatsache, dass es keine Toiletten für nichtbinäre Menschen gibt, hat mir jeden Tag
auf dem Campus zu schaffen gemacht und ich wurde auf der Toilette auch schon entsetzt angeschaut,
da ich der Ansicht anderer Personen nach auf der ‚falschen‘ Toilette war.“
Elf Befragte berichten gar von Drohungen oder körperlichen Angriffen, die sie in der Berufs- oder
Hochschule aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität erlebt haben
Dass diese Erfahrungen mitunter gravierende Auswirkungen auf einige Berufsschüler*innen und
Studierende haben, zeigen folgende Daten: 13 Antwortende in dieser Studie berichten davon, ihre Berufs-
oder Hochschule gewechselt oder abgebrochen zu haben. Dies zeigt beispielweise der folgende Bericht:
„Ich war bis vor kurzem in einem BVJ (Berufsvorbereitungsjahr), da waren auch noch 3 Personen, die ich
kannte […]. Schon am ersten Tag kamen schwulenfeindliche und allgemein Anti-LGBTQ Ausdrücke bzw.
Beleidigungen. Nach ca. 3 Tagen hat einer mich dort als schwul geoutet und ich wurde täglich bedroht und
beleidigt. Das ging dann so lange, bis ich abgebrochen habe.“
Positive Erfahrungen in Hoch- und Berufsschulen
Bericht der Befragten zeigen auch positiv auf, welches allgemeine Klima, welche Handlungen und
Unterstützungsangebote es lsbtiq* Personen an Berufs- und Hochschulen bzw. Universitäten in Sachsen
erlauben, sich repräsentiert, wohl und sicher zu fühlen:
Aktiver Einsatz seitens der Hochschulleitung: „An der Universität wurde in den vergangenen Jahren viel
für die Sichtbarkeit von Vielfalt getan“, berichtet eine Person. Hier wird ein aktives und gezieltes
Engagement angesprochen, wie auch im Folgenden: „Man hat das Gefühl, dass im Uni-Umfeld eine
aktive Anstrengung besteht, möglichst viele Stimmen einzubinden und offen zu sein.“ Wie diese aktive
Unterstützung aussehen kann, zeigt der folgende Beitrag: „Ein wichtiger Punkt ist für mich auch die
Unterstützung seitens der Uni, welche queeres Leben offiziell befürwortet und beispielsweise an der
Pride teilnimmt oder queere Hochschulgruppen unterstützt.“ Die offizielle Anerkennung von lsbtiq*
Lebensweisen, die Teilnahme am CSD und die Existenz spezieller Hochschulgruppen sind drei konkrete
Maßnahmen, die an dieser Universität zur lsbtiq*freundlichen Stimmung beitragen.

 
98
Sichtbarkeit innerhalb der Hochschule: Der Aspekt der Sichtbarkeit durch geoutete Studierende und
Dozierende trägt zu einem guten Klima für lsbtiq* Personen bei, und begünstigt vermutlich auch die
Offenheit anderer Studierender, so einige Hinweise wie dieser: „An meiner Universität habe ich das
Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, anstatt mich abgesondert zu fühlen. Kommiliton*innen und
Dozierende sind zu nicht kleinen Teilen selbst queer und gehen offen damit um, oder aber sind dem
Thema gegenüber offen und zeigen Solidarität“.
Maßnahmen zu inklusiver Ansprache und Regelungen für Namensänderungen: „In der Uni sind queere
Menschen ausdrücklich genannt und es wird möglichst drauf geachtet, dass z. B. die Rundmails korrekt
geschrieben sind.“ Die Verwendung der richtigen Namen und Pronomen, auch in Berufs-/Hochschul-
Dokumenten, wird sehr positiv hervorgehoben: „An meiner derzeitigen Hochschule funktioniert alles
ausgezeichnet. Die Anpassung des Namens, der Anrede und der Geschlechtszugehörigkeit war
problemlos möglich und wird von allen weitergeführt“.“. Dass es auch möglich ist, an Hochschulen
andere Namen als die amtlichen zu verwenden, wird hier berichtet: „Die Uni Leipzig erlaubt
Namensänderung schon vor dem offiziellen Gerichtsbeschluss.“ Und dies wird nach Angaben der
Befragten auch im Lernalltag umgesetzt: „Dozierende an der Universität haben (z.T.) ohne Nachfragen
meinen selbstgewählten Namen akzeptiert“; „Weiterhin wurde ich an meiner Universität mehrere Male
nach meinen Pronomen gefragt und alle, die ich dort kennen gelernt habe, geben sich stark Mühe, diese
zu respektieren.“ Oder: „Im Universitätsbereich wurde mein Name problemlos akzeptiert und alle Leute,
die ein Problem damit hatten, haben sich selbst und ohne Anfeindungen von mir ferngehalten, sodass es
nun ein sehr angenehmes Umfeld dort ist.“ Das letzte Beispiel legt auch den Schluss nahe, dass ein
akzeptierendes Umfeld keinen Platz für Feindseligkeiten bietet.
Die Berichte zeigen, dass eindeutige Regelungen (wie z.B. Namensänderung auf dem Ausweis ermöglichen,
Dozierende zur Verwendung der entsprechenden Namen verpflichten) zusammen mit Aufklärung und aktiver
Sichtbarmachung ein diskriminierungsärmeres Umfeld in sächsischen Hochschulen schaffen können.
Dass dies auch im Berufsschulbereich im Einzelfall möglich ist, zeigt der folgende Erfahrungsbericht: „Bevor
ich an meiner Berufsschule anfing, outete ich mich bei der Schulleitung als trans* und bat darum, meinen
Namen im Klassenbuch zu ändern. Noch am selben Tag wurde alles schulintern auf meinen neuen Namen
und das männliche Geschlecht umgestellt, [es …] erfuhr auch keine dritte Person davon. Mein (damals noch
amtlicher) Deadname tauchte niemals irgendwo auf, es wurden keine unangenehmen Fragen gestellt und
ich konnte an dieser Schule ganz normal als Junge leben.“ Hier hat die Berufsschulleitung eine
Entscheidung getroffen, für die es keine allgemeine Regelung gibt. Daran wird auch sichtbar, dass es aktuell
von den individuellen Entscheidungen einzelner Fachkräfte abhängt, inwiefern Berufsschüler*innen ihre
Geschlechtsidentität selbstverständlich leben und sich auf den Lernalltag konzentrieren können.
7.5. Erfahrungen in der Arbeitswelt
Die Erfahrungen von lsbtiq* Personen in der sächsischen Arbeitswelt sind für eine Mehrheit der Befragten
positiv: für 29 % überwiegend, für 46 % eher positiv. Für knapp 19 % (bzw. 152) Antwortende sind ihre
Erfahrungen am Arbeits- und Ausbildungsplatz eher negativ, für 5 % (bzw. 43 Antwortende) überwiegend
negativ. Die Antworten basieren auf den Erfahrungen von 803 lsbtiq* Personen, die in den vergangenen fünf
Jahren seit 2017 in der Arbeitswelt tätig waren. Weitere 326 (überwiegend junge) Befragte hatten
diesbezüglich keinen Kontakt und werden hier nicht betrachtet.
Wie auch bereits das Kapitel zur finanziellen Lage (Kapitel 5.8) aufgezeigt hat, sind nicht-cisgeschlechtliche
Personen häufiger ökonomisch benachteiligt.
Auch im Bereich der Arbeitswelt zeigen sich entsprechende Nachteile: Unter den befragten
transgeschlechtlichen (36 %) und nicht-binären Personen (39 %) macht jeweils mehr als jede*r Dritte mehr
negative als positive Erfahrungen in der Arbeitswelt (Durchschnitt aller lsbtiq* Befragten: 24 %). Ähnlich hoch
sind die Werte (vor allem weiblich sozialisierter) queerer sowie pansexueller Befragter. Knapp jede fünfte
schwule Person berichtet, dass ihre Arbeitserfahrungen negativ geprägt sind, unter lesbischen Befragten
sind es 15 %.
Zu den besonders diskriminierungsgefährdeten Personenkreisen, auch in der Arbeitswelt, gehören lsbtiq*
Personen mit Behinderung / Beeinträchtigung.
Sie geben häufiger an, dass ihre negativen Erfahrungen am Arbeits- oder Ausbildungsplatz überwiegen (18
von 43 Befragten bzw. 41 %). Ebenso geben 41 % der lsbtiq* mit chronischen Erkrankungen dies an.

99
Negative Erfahrungen von Befragten mit Migrationshintergrund liegen ebenfalls über dem Durchschnitt aller
lsbtiq* Personen – für jede dritte befragte lsbtiq* Person mit Migrationshintergrund überwiegen negative
Erfahrungen am Arbeitsplatz.
Wie konkrete positive und negative Erfahrungen in der Berufswelt und am Arbeitsplatz aussehen, wurde bei
den Befragten offen abgefragt. Ihre Antworten wurden in folgenden Kategorien zusammengefasst, die
teilweise in ihrer negativen und positiven Ausprägung zusammen dargestellt und analysiert werden:
a) Akzeptanz und Selbstverständlichkeit bzw. Ablehnung und Benachteiligung
b) Vermeidung von Coming-out oder dem Erwähnen der Beziehung, Anpassung
c) Namensänderung wird akzeptiert bzw. nicht akzeptiert, geforderte Binarität, erzwungenes Coming-
out zum Beispiel bei Bewerbungen
d) Aktive Förderung von Vielfalt und Notwendigkeit von Aufklärung
Unter die Kategorie a) wurden die Antworten gefasst, welche von Akzeptanz und Selbstverständlichkeit oder
aber von deren Mangel bis hin zu offenen Beleidigungen und Benachteiligungen am Arbeitsplatz berichten.
Zum Teil wird geschildert, dass lange mit einem Coming-out gezögert wurde, oder, dass Mitarbeitende eine
Gewöhnungsphase benötigten, dann aber die Akzeptanz überwog. Als besonders positives Erlebnis wird
beispielweise berichtet: „Mein Team bei meiner letzten Arbeitsstelle reagierte sehr positiv und ganz normal
darauf, dass ich lesbisch bin. Ich hatte mit jeder Kollegin erst nach Monaten und teilweise Jahren einzeln
darüber gesprochen und jede hat sehr interessiert und unterstützend reagiert". Hierbei ist zu erkennen, wie
sich die berichtende Person vorsichtig und sukzessive outet, wodurch auf die empfundene Notwendigkeit
der Vorsicht und der schrittweisen Gewöhnung schließen lässt.
Dementsprechend ist für es einige lsbtiq* Befragte überraschend, wenn auf das Coming-out mit
Selbstverständlichkeit reagiert wird: „Ich arbeite bei einem katholischen Träger und kann auch dort offen mit
meinem Lebensmodell umgehen. Das hat mich sehr positiv überrascht." In einem Fall wird auch
beschrieben, dass das Erwähnen einer Beziehungsperson sich nicht mehr wie ein Coming-out anfühlen
muss: „Außerdem muss ich mich nicht mehr als schwul outen, wenn Kolleg*innen bei der Arbeit von
ihrem*ihrer heterosexuellen Partner*in sprechen, spreche ich einfach von meinem Partner oder Ex-Partner,
ohne dass es zu komischen Bemerkungen oder Blicken kommt."
Dass all diese Erfahrungen positiv hervorgehoben werden, verdeutlicht, dass sie vielfach noch nicht als
selbstverständlich zu erwarten sind. Von Beleidigungen und Kommentaren oder genereller lsbtiq*-feindlicher
Stimmung am Arbeitsplatz wird ebenso berichtet. In verschiedener Hinsicht angegriffen und benachteiligt
wird eine Person in folgendem Bericht: „Meine lesbische Partnerin, die im [Lebensmitteldiscounter]
gearbeitet hat, wurde beleidigt, schlechter behandelt und es wurde über den Geschlechtsverkehr von mir
und meiner Freundin öffentlich gelästert durch die anderen Mitarbeiter, und ihre Chance auf eine
Festanstellung nach der Ausbildung wurde ihr aufgrund ihrer Sexualität verwehrt.“
Unter Kategorie b) wurden diejenigen Schilderungen gefasst, die von der Vermeidung berichten, die eigene
sexuelle Orientierung, die geschlechtliche Identität oder das eigene Beziehungsmodell am Arbeitsplatz zu
erwähnen. Der Grund dafür sind befürchtete negative Konsequenzen auf Basis eines wahrgenommenen
lsbtiq*-feindlichen Klimas. Dieses kann sich auf eine Region bzw. den Wohnort beziehen: „Eine berufliche
Karriere im LK GR ist nicht unmöglich, aber bestimmte Problemstrukturen existieren. In meiner
Berufsschulklasse sind bis auf eine junge Frau nur junge Männer vertreten, die in der AfD-Hochburg
natürlich auch dementsprechende Kommentare an den Tag legen. Ein Outing meinerseits wäre unweigerlich
mit Konflikten verbunden. Nein…. Nicht jeder hat die gleichen Karrierechancen. Viele müssen mit
Diskriminierung rechnen.“ Auch aus sächsischen Großstädten, in diesem Fall von einer befragten lesbischen
Person aus Leipzig, wird die Unmöglichkeit berichtet, sich am Arbeitsplatz zu outen: „Ich kann meine
Sexualität nicht offen leben. Meinen Job würde ich verlieren.“
Auch kann sich das mangelnde Coming-out-Klima auf verschiedene Branchen und Berufsbilder beziehen:
„Ich möchte in der Geburtshilfe arbeiten. Am Arbeitsplatz (Krankenhaus) würde ich nicht über meine sexuelle
Orientierung sprechen, weil ich schon zu viel Abwertendes gegenüber lesbischen Familien gehört
habe.“ Von Anpassung des Verhaltens und der Kleidung am Arbeitsplatz, und Einschränkung des Privaten
zugunsten der Arbeit wird ebenso berichtet. „Wenn ich mich genderfluid kleide, mal maskulin, mal feminin,
wird man verurteilt, abwertend angesehen, Sexualität und Identifikation kann auf Arbeit nicht ausgelebt
werden. Auftreten in der Öffentlichkeit kann folgen für die Arbeit haben.“
Das Beobachten der Diskriminierung anderer Personen kann ebenso ein Hinderungsgrund für ein Coming-
out sein: „Als nichtbinäre Person wird man oft nicht für voll genommen. Nachdem ich erlebt habe, wie eine
andere nichtbinäre Person bei mir auf Arbeit konstant misgendert wurde, habe ich beschlossen, mich dort

 
100
nicht zu outen. Denn ‚unabsichtlich‘ misgendert werden tut zwar weh, doch nicht so sehr wie absichtlich“.
Eine nicht-binäre Geschlechtsidentität offen zu leben, ist auch im Arbeitskontext eine besondere, sich
wiederholende, und von den Reaktionen anderer abhängige, bzw. durch diese Abhängigkeit verunmöglichte
Herausforderung: „Als nicht-binäre Person habe ich selten die Möglichkeit, mich offen dazu zu bekennen
oder meine richtigen Pronomen mitzuteilen […] Bei jedem Vorstellungsgespräch, neuem Kennenlernen von
Personen oder Anmeldung müsste ich darüber völlig fremde Personen informieren, von denen ich keine
Ahnung über deren Reaktion habe und was mich womöglich einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz kosten
kann“. Das hängt auch damit zusammen, dass es für Geschlechtsidentitäten jenseits von Mann oder Frau,
sowie divers für intergeschlechtliche Personen, keinen offiziellen Status gibt.
Die Kategorie c) umfasst das Phänomen, dass in der Arbeitswelt ein spürbarer Druck zu einer möglichst
binären Verortung und einer amtlich anerkannten Namensänderung herrscht. Dass ohne Herstellung von
Binarität unter Umständen keine Akzeptanz vorhanden ist und eine vollständige Transition eine
Voraussetzung für weniger Diskriminierung darstellt, welche gleichzeitig große Ressourcen und Eingriffe
erfordert, zeigt stellvertretend folgender Bericht: „Hoher psychischer und finanzieller Druck in Bezug auf
Namens- und Personenstandsänderung und OPs, ohne die man hier nicht ernstgenommen oder akzeptiert
wird. Ich möchte beides zwar selbst, aber kann es mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht leisten. Außerdem werde
ich offen auf der Straße und auf dem Arbeitsplatz (von Kundschaft, nicht dem Team) diskriminiert, beleidigt
oder angestarrt“. In einem anderen Bericht heißt es, dass „keine passende Arbeitskleidung zur Verfügung
steht“.
Ohne offizielle Namens- und/oder Personenstandsänderung (bzw. fehlendem offiziellen Eintrag „nicht-
binär“ und anderen) sind Coming-outs in einigen Situationen unvermeidbar: „Ich habe als trans Person
schon ein paar Bewerbungen geschrieben und erwähnt, dass ich trans bin (weil mein Geburtsname in
meinem Zeugnis steht). Viele haben damit ein Problem, glaube ich.“ Da hierbei die Geschlechtszuordnung
ohne offizielle Bestätigung oftmals nicht ernst genommen wird, kommt es zu Benachteiligungen.
Diesen Problematiken wird gegenüber gestellt, dass es durchaus möglich ist und von einigen
Arbeitgeber*innen umgesetzt wird, auch im Arbeitsbereich die gewählten, (noch) nicht amtlichen Namen zu
akzeptieren und zu verwenden:„ (Die) Arbeitgeberin hat den Arbeitsvertrag selbstverständlich auf meinen
(nicht amtlichen) Namen ausgestellt und ich werde unter dem Namen geführt“, und: „Auf meinem
Arbeitsplatz wurde meine Outing gut angenommen und mein Name und meine Pronomen werden
respektiert und überwiegend richtig genutzt“.
Unter Kategorie d) werden die Berichte zu einer aktiven Förderung von Vielfalt thematisiert: „An meinen
letzten beiden Arbeitsplätzen wurde Diversität gefeiert. Jeglicher Lebensentwurf war willkommen und mir
wurde nie das Gefühl gegeben, ‚anders‘ zu sein. Ich hatte das Gefühl, einfach dazu zu gehören.“ In diesem
Fall ist es positiv, dass mehr als nur das Ausbleiben von Diskriminierung erfahren wird. Die
Arbeitgeber*innen haben den aktiven Einsatz für Vielfalt als wichtig erkannt. Hierdurch entstehen Gefühle
der Zugehörigkeit. Unter anderem können dadurch vergangene negative Erlebnisse kompensiert werden:
„Die volle Unterstützung von einem Vorgesetzten für die Belange von LSBTI in meiner Arbeitswelt zu
erhalten, hat mich nach vielen Jahren abwertender Behandlung sehr beeindruckt.“
In solchen Fällen muss ein offenes und wissendes Umfeld nicht durch eine Person, die sich dort outet, erst
selbst geschaffen werden – denn Vielfalt ist in solchen Umfeldern bereits ein Thema: „Mein Arbeitgeber legt
relativ viel Wert auf Diversität und Chancengleichheit am Arbeitsplatz.“ Auch Arbeitsumfelder, die direkt an
lsbtiq* Personen gerichtet sind oder die Lebenswirklichkeiten mitdenken, werden geschaffen: „Ich konnte in
einem kulturellen Zentrum ein queeres Projekt starten und mich in diesem Arbeitsumfeld auch öffentlich
outen, ohne Diskriminierung von meinen Kolleginnen zu erfahren."
7.6. Erfahrungen im Gesundheitswesen
Hinweis: In diesem Kapitel wird übergriffiges Verhalten durch Ärzt*innen / Therapeut*innen gegenüber ihren
Patient*innen thematisiert.
Bereits das vorherige Kapitel zur Chancengerechtigkeit hat Hinweise darauf gegeben, dass lsbtiq* Personen
in Sachsen seltener eine kompetente ärztliche Versorgung und einen gleichberechtigten Zugang zu
Krankenkassenleistungen erhalten, wenn sie sich mit anderen Sächs*innen vergleichen. Insbesondere nicht-

101
cisgeschlechtliche Befragte sehen sich damit häufig (rund jede zweite antwortende Person) konfrontiert.
Zudem sieht knapp jede dritte lesbische und bisexuelle befragte Person, dass sie schlechtere Chancen im
Zugang zu Krankenkassenleistungen hat. Rund jede fünfte lesbische und jede vierte bisexuelle Person sieht
die Chancen auf eine adäquate gesundheitliche Versorgung in Sachsen als schlechter an.
Welche allgemeinen und welche spezifischen Erfahrungen lsbtiq* Personen in Sachsen im
Gesundheitswesen machen, soll dieses Unterkapitel klären. Von 872 lsbtiq* Befragten, die in den
vergangenen fünf Jahren Kontakt zum Gesundheitsbereich (z.B. Arztpraxen, Krankenhäuser) hatten, gibt ein
Viertel der Antwortenden überwiegend positive und knapp die Hälfte (45 %) eher positive Erfahrungen an.
Ein Viertel hat dagegen eher negative, und 5 % haben überwiegend negative Erfahrungen gemacht.
Dieses Gesamtbild muss allerdings differenzierter betrachtet werden. Denn es zeigen sich mitunter
erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Erfahrungen einzelner Gruppen: So machen fast doppelt so viele
(22 %) cisweibliche Antwortende schlechte Erfahrungen im Gesundheitswesen wie cismännliche (12 %).
Unter trans- (45 %) und anders-geschlechtlichen (46 %) Befragten ist es knapp jede*r Zweite. Die
Wahrscheinlichkeit, negative Erfahrungen im Gesundheitssektor zu machen, ist für nicht-binäre Personen
am größten (54 % in dieser Gruppe mit negativen Erlebnissen).
Schwule Befragte machen in großer Mehrheit positive Erfahrungen im Gesundheitswesen: 86 % der
Antwortenden geben dies an. Auch unter lesbischen Befragten sind die Positiv-Werte sehr hoch (79 %).
Bisexuelle Personen liegen mit 70 % genau im Durchschnitt aller Befragten und machen somit mehrheitlich
auch gute Erfahrungen – wobei weiblich sozialisierte bisexuelle Personen etwas seltener positive
Erfahrungen machen als männlich sozialisierte. Mit 54 % sind unter queeren Antwortenden, 59 % unter
pansexuellen und 61 % unter asexuellen Antwortenden am wenigsten Positiv-Erfahrungen.
Deutliche altersbedingte Effekte sind nicht festzustellen. Hingegen machen lsbtiq* Befragte mit Behinderung
/ Beeinträchtigung sowie Befragte mit chronischen Erkrankungen häufiger negative Erfahrungen im
Gesundheitswesen (jede*r Zweite) (siehe unten).
Die Chance und der Zeitpunkt, die eigene geschlechtliche Identität selbstbestimmt leben zu können, hängt
vom individuellen Zufall ab, eine*n der wenige*n Ärzt*innen erreichen zu können, die bspw. Hormon-
Rezepte verschreiben. Es besteht ein großer Bedarf an Psychotherapeut*innen, um bei der derzeitigen
gesetzlichen Lage eine Transition beginnen zu können. Die Ressourcen (Fahrtwege, Wissen, Unterstützung
der Familie), die insbesondere auf dem Land lebende trans-, divers- und intergeschlechtliche sowie nicht-
binäre Personen in Sachsen aufbringen müssen, um kompetente Ärzt*innen aufzusuchen, sind sehr
umfangreich.
Diejenigen Antwortenden, die von eher oder überwiegend negativen Erfahrungen berichten, wurden
weitergehend nach konkreten Erlebnissen gefragt. Im Folgenden haben dazu 175 bis 235 lsbtiq* Personen
geantwortet:

image
102
Abbildung 31: Negative Erfahrungen im Gesundheitswesen
Fragewortlaut: „Nun geht es noch um den Bereich Gesundheit. Welche negativen Erfahrungen haben Sie in den letzten
5 Jahren im Zusammenhang mit Ihrer sexuellen Orientierung oder Ihrer geschlechtlichen Identität oder
Intergeschlechtlichkeit im medizinischen oder therapeutischen Bereich gemacht, zum Beispiel gegenüber Ärzt*innen (in
Arztpraxen, Krankenhäusern)? Bitte geben Sie an, inwiefern die folgenden Aussagen für Sie zutreffen.“ N = 175 – 235
lsbtiq* Antwortende mit negativen Erfahrungen.
Obgleich die Antworten nicht nach ärztlichen Fachrichtungen differenziert werden können, erscheint es
überraschend, dass insbesondere bei medizinischen und therapeutischen Fachkräften Unsicherheit im
Umgang mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität von 81 % der befragten lsbtiq*
Patient*innen als negative Erfahrung angeben wird.
So sagen auch drei Viertel aller Antwortenden mit negativen Erfahrungen, dass das medizinische /
therapeutische Personal sie bei einem spezifischen Bedarf nicht kompetent und informieren und beraten
konnte. Dies trifft auf alle lsbtiq* Teilgruppen gleichermaßen zu – mit einer Ausnahme: lesbische
Befragte liegen über dem Durchschnitt. 85 % unter ihnen mit negativen Erfahrungen im
Gesundheitsbereich sagen, dass Ärzt*innen ihnen bei Fragen nicht kompetent helfen konnten.
Diese Kategorie zeigte sich auch in der Strukturierung der offenen Antworten: Gerade Gynäkolog*innen
sind laut der geschilderten Erfahrungen nur für Lebensverläufe cisgeschlechtlicher, heterosexueller
Frauen mit Kinderwunsch und normativem sexuellen Begehren ausgebildet. So wurde „Unverständnis
beim Frauenarzt zum Thema Asexualität“ erlebt, oder „immer per se angenommen, dass ich eine
heterosexuelle Frau bin und mit Männern Sex habe, weswegen mir Frauenärzt*innen die Pille als
Verhütungsmittel verschreiben wollen.“ Dementsprechend wird auch eine mangelhafte Aufklärung zu
sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) berichtet, andere Verhütungsmittel werden offenbar nicht in
Erwägung gezogen: „Frauenärztin: zieht nicht mal in Betracht, dass es eine andere Orientierung neben
der heterosexuellen gibt und kann dann auf Fragen nach STI nicht antworten. Zieht auch nicht in
Betracht, dass eine 'Frau' keinen Kinderwunsch hegt.“ Mangelnde Fachkompetenz legt auch der Bericht
nahe, „das Gefühl zu bekommen, aufgrund von persönlichen Entscheidungen nun gesundheitliche
Probleme zu haben“, wobei „trans sein als persönliche Entscheidung“ betrachtet wird, was eine
Schuldzuweisung hinsichtlich der Symptome impliziert.
Die auch häufig in den offenen Antworten genannte Erfahrung, sich wiederkehrend erklären und auch
medizinisches Personal über sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Vielfalt aufklären zu
müssen, geben 71 % der Befragten mit negativen Erfahrungen wieder. Auch in den offenen Antworten
wird dies thematisiert, wie in diesem Beispiel: „Als ich meinem Hausarzt (ca. 40-50 Jahre alt) gegenüber
erwähnte, dass ich schwul bin, hatte ich den Eindruck, als wäre ich der erste Schwule, den er sieht.“
Unangenehme Fragen zu ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität haben am
häufigsten bisexuelle (81 %), transgeschlechtliche (83 %) sowie Befragte mit Behinderung /
Beeinträchtigung (94 %) gestellt bekommen.

103
Dass es zu pathologisierenden Äußerungen kommt, sexuelle Orientierungen und geschlechtliche
Identitäten von medizinischen Fachkräften weiterhin als krankhafte Störungen gewertet und gegenüber
ihren Patient*innen so bezeichnet werden, geben 41 % (bzw. 78) Antwortende an. In den offenen
Antworten wird Entsprechendes berichtet: „Als ich mein Beziehungsleben erwähnte, begann meine
Therapeutin sofort, selbiges zu pathologisieren. Ich hatte regelrecht den Eindruck, dass ich ab diesem
Moment in eine bestimmte Schublade einsortiert wurde, aus der es dann auch kein Entrinnen mehr gab.“
Insbesondere bei lsbtiq* Personen mit Behinderung / Beeinträchtigung sowie mit chronischen
Erkrankungen wird ihre sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität von Ärzt*innen und
Therapeut*innen in Verbindung mit einer krankhaften Störung gebracht.
Dies zeigen die Erfahrungen von 15 der 19 Befragten mit Beeinträchtigung sowie 21 von 33 Befragten mit
chronischen Erkrankungen. Auch in der Fokusgruppendiskussion wird thematisiert, dass bei
diagnostizierten psychischen Erkrankungen oftmals ein Zusammenhang zwischen diesen und zum
Beispiel der geschlechtlichen Identität hergestellt wird: „Bei mir wird mit dem Kostenübernahmeantrag
wegen Traumafolgestörungen gehadert. Oft hören Menschen, ‚nein, du bist nicht trans, es ist
das!‘ Schizophrenie, Autismus und anderes gelten dann als Ausschlusskriterium, ein kausaler
Zusammenhang wird angenommen. Das muss anders rechtlich geregelt werden“.
Ein anderer Erfahrungsbericht zeigt auf, wie stark Patient*innen unter teils widersprüchlichen
Anforderungen an eine Autismusdiagnostik und eine Transition leiden und die Entscheidungen des*der
behandelnden Ärzt*in über viele Jahre ihren Lebensweg, inklusive Erwerbstätigkeit, negativ beeinflussen
können. So schildert eine befragte Person, dass sie um eine Medikation gebeten habe, die ihr erst nach
einer Autismusdiagnostik mit einer Wartezeit von einem Jahr vom behandelnden Psychotherapeuten
gewährt werden sollte. Die Person traute sich zunächst nicht, sich vor dem Psychotherapeuten als
transgeschlechtlich zu outen, da „meine Geschlechtlichkeit für mich sehr privat ist.“ Desweiteren
befürchtete der*die Berichtende, „durch das Outing von ihm [dem Arzt] schlechter behandelt oder nur
noch darauf reduziert und pathologisiert zu werden“ und dass die Autismusdiagnostik die Transition
erschweren würde. Diese Sorge wurde dann in ihr Gegenteil verkehrt: „Dann bestand er darauf, ich solle
zuerst die komplette medizinische Transition absolvieren (die Jahre dauert und über deren genauen
gewünschten Umfang ich mir damals noch nicht im Klaren war), um dann die Autismusdiagnostik zu
machen und dann vielleicht mit Medikamenten beginnen zu dürfen“. Insgesamt müsste die*der Befragte
etwa fünf Jahre aufbringen, um die Medikamente zu bekommen, die er*sie akut benötigte, um im Alltag
zu bestehen, „weil sich meine berufliche und private Situation verändert hatte und ich mit der
gesteigerten Belastung ohne Unterstützung nicht mehr fertig wurde. Ich brauchte dringend Hilfe und
sagte das auch.“ Dabei blieb „die Frage, wie ich aber in der Zwischenzeit oder während dieses
jahrelangen Prozesses in Arbeit bleiben solle“ unbeantwortet. „Insgesamt schien ihm [dem Arzt] nicht
klar zu sein, in welche verzweifelte Situation er mich gebracht hatte, wie privat und sorgebehaftet ein
Outing als trans sein kann - und auch nicht, wie aufwendig und lang ein offizieller Transitionsprozess ist.“
Insgesamt gibt mehr als jede zweite befragte transgeschlechtliche und nicht-binäre Person mit negativen
Erfahrungen im Gesundheitswesen eine Pathologisierung durch Ärzt*innen an. Auch hierzu gibt es
ausführliche Berichte in den offenen Antworten: „Ich habe mich mal an einen Psychologen gewandt, weil
ich überlegt habe, ob ich trans bin und er meinte, mich davon heilen zu wollen mit Antidepressiva“, oder:
„Mir wurde während einer stationären Behandlung eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, weil ich
nicht akzeptieren konnte, dass ich weiblich bin. (So die Aussage des Psychologen)“. In beiden Fällen
wird Transgeschlechtlichkeit wie eine psychische Störung behandelt. Eine andere befragte Person
schildert dazu die Verwehrung von Medikation: „Ärzte verbreiten ihre eigenen unqualifizierten Theorien
zum Trans-Sein, verwehren mir Medikamente, die ich berechtigt benötigt habe und pathologisieren
mich“.
Beinahe alle (92 %) der befragten transgeschlechtlichen und nicht-binären Personen, die negative
Erfahrungen im Kontakt mit Mediziner*innen gemacht haben, erfahren Misgendern durch Fachpersonal.
Ein Bericht aus den offenen Antworten veranschaulicht dies: „Ich wurde in Wartezimmern oft mit dem
falschen Namen oder Anrede angesprochen, auch nachdem ich oft darauf hingewiesen habe, dass ich
nicht mehr mit diesem bezeichnet werden möchte, und ich wegen meiner Transition dort war“. Eine
Fokusgruppenteilnehmerin schildert dies wie folgt: „…trotz Ausweis, trotz Behandlung, immer weiter mit
falschen Namen aufgerufen. Selbst der Scheidungsrichter hat das richtig hinbekommen, nur das
ärztliche Personal nicht“.
Eine Mehrheit (57 %) aller Befragten mit negativen Erfahrungen im medizinisch-therapeutischen Bereich
sagt in der Folge, dass sie sich bei ihren allgemeinmedizinischen, haus-, frauenärztlichen oder
urologischen Ärzt*innen nicht geoutet haben. Besonders häufig verschweigen dies nicht-binäre (zwei

104
Drittel) und anders-geschlechtliche (drei Viertel) Befragte. In den offenen Antworten zeigt sich, dass viele
sich auch dann nicht outen können, wenn es für die Behandlung relevant ist, oder die Angst vor
negativen Konsequenzen eine starke Hürde zur Inanspruchnahme einer Behandlung darstellt: „Aufgrund
der Aussagen der behandelnden Person habe ich mich nicht geoutet, auch wenn das meinerseits ein
Grund für die Behandlung war“; oder: „Therapieplatz/Psychologie: Bisher nicht 'getraut', da Angst vor
Ablehnung bzw. Unverständnis meines Lebensmodels/meiner Identität“. Es ist fraglich, welchen Nutzen
eine Therapie zeigen kann, wenn ein wesentlicher Lebensbereich nicht angstfrei thematisiert werden
kann.
Neben den bereits genannten Kategorien konnten in mehr als 60 offenen Antworten weitere Kategorien
negativer Erfahrungen im Gesundheitswesen identifiziert werden. Sie weisen auf die Komplexität, Schwere
und Relevanz der Erfahrungen im medizinischen Bereich hin. Weitere hier festgestellte Kategorien sind:
Behandlungsverweigerungen oder schlechtere Behandlungen erhalten: „Worte eines Gynäkologen am
Telefon: ‚Nein, sowas wie Sie nehmen wir nicht‘"; oder „Eine Physiotherapeutin weigerte sich, mich zu
behandeln ("Solche wie Sie nehmen wir nicht"), nachdem ich gebeten hatte, mich geschlechtsneutral
aufzurufen“ sowie „Ich habe Rezepte nur auf Selbstzahlung bekommen, obwohl es Sachen waren, die
die Kasse übernimmt“; „Ich war bei den damaligen behandelnden Ärzten nicht mehr willkommen und
wurde von fast allen Ärzten abgelehnt, bei denen ich mich vorgestellt habe“; „Ein anderer Allgemeinarzt
sagte zu mir – als ich mit Gürtelrose zu ihm kam – ‚Ich könne mich auch als Tisch identifizieren‘, es sei
ihm egal und weigerte sich, mich näher zu untersuchen“.
Nicht mitgedacht werden, keine passenden Angaben in medizinischen Frage-/Anamnesebögen machen
können, beispielsweise: „Bei Gynäkologinnen wird automatisch davon ausgegangen, dass alle hetero
sind. Vor allem in den Patieninnenaufnahmebögen“, und: „Die Anamnesebögen in der Therapie waren
nur auf heterosexuelle cisgender Personen ausgelegt.“
Berichte von als nicht vorschriftsgemäß, nicht zielführend oder erniedrigend empfundenen
Vorgehensweisen; Berichte über unprofessionelles bis mutmaßlich strafbares Verhalten. Damit
verbunden sind neben den emotionalen Folgen auch behandlungsspezifische Nachteile, wie
ausbleibende Behandlung oder nicht ausgestellte Überweisungen:
In einem Fall wird eine spezifische Form von Geschlechtsverkehr als Voraussetzung für die Behandlung
gefordert, die Behandlung bleibt entsprechend aus: „Ich wollte vor einem Jahr ungefähr eine
frauenärztliche Untersuchung haben, da meine Periode ausblieb über mehrere Monate. Meine neue
Frauenärztin wollte mich jedoch nicht untersuchen, da sie das erst machen würde, wenn ich
penetrativen Geschlechtsverkehr gehabt hätte“.
Im Folgenden wird ein offensichtlicher Mangel medizinischen Wissens und rechtlicher Regelungen
berichtet. Zunächst kann Transgeschlechtlichkeit, zumindest vor medizinischer Transition, nicht
körperlich nachgewiesen werden, rechtlich ist ein solcher Nachweis auch nicht gefordert. In einem
Bericht verlangt ein Gynäkologe dies aber als Voraussetzung für eine Überweisung: „Für meine
Endokrinologie bräuchte ich entweder eine Überweisung vom Urologen oder Gynäkologen. […] Ich
erklärte meine Situation und mein Anliegen, daraufhin wollte man mich zu einer körperlichen
Untersuchung zwingen, mit der Begründung, erst wenn er eine körperliche Transidentität diagnostizieren
kann, könne er mir eine Überweisung ausstellen.“
Auch Fälle von Demütigungen durch Personen, die eine Entscheidungsmacht über das individuelle
Schicksal haben, werden berichtet. Die Betroffenen sind aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses in
diesen Fällen ausgeliefert: „Die Gutachterin für die Krankenkasse ließ mich komplett nackt ausziehen
und auf einem Bein durch den Raum hüpfen, sagte mir ‚Aus Ihnen wird niemals ein schöner Mann‘ und
erklärte, dass Transidentität ein Trend sei und ob ich das jetzt sein will, weil das jetzt trendy ist,
beleidigte mich mehrmals als ‚fett‘ und ‚unattraktiv‘ (obwohl ich schlank bin, aber so oder so ist das ein
No-go)“. Hier wird durch ebendiese Person, die rechtlich dazu verpflichtet ist, Transgeschlechtlichkeit zu
prüfen, Abwertung und Unkenntnis über Transgeschlechtlichkeit (Trendphänomen statt Legitimität
kommuniziert, sowie unangemessenes und demütigendes Verhalten gefordert. Sollte der
Erfahrungsbericht zutreffen, wie geschildert, begeht die Gutachterin, wie viele andere geschilderte
Beispiele auch, mit ihrer Beleidigung eine zivilrechtlich verfolgbare Straftat, die hier aufgrund der
Abhängigkeit von der Ausstellung eines Gutachtens kaum angezeigt werden kann.
Berichtete Vorurteile gegenüber schwulen Personen bei Blutspende, Annahme wechselnder
Sexualpartner*innen, Annahme von HIV-Infektion: „Beim Blutspenden wurde ich äußerst misstrauisch
beäugt, als ich meinte, dass ich schon seit längerem in einer monogamen Beziehung lebe. Ich glaube

105
nicht, dass mir der behandelnde Arzt glaubte“, oder: „fehlende HIV-Aufklärung bei Ärzt*innen. Nur weil
man schwul ist, heißt das nicht, dass man HIV hat.“
Der Versuch eines Therapeuten, eine Person zu möglichst vielfachen sexuellen Aktivitäten mit Männern
zu überreden, mit negativen psychischen Folgen für die Patient*in: „Mir wurde mitgeteilt, dass ich eine
schöne junge Frau sei und die Angebote von Männern einfach mal annehmen soll. Ich solle alles
annehmen an Angeboten, die mir gemacht werden. Dies meinte ein männlicher Therapeut zu mir. Das
war schrecklich!!!“
Die geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung wird mitgeteilt und in der Folge ignoriert,
abgesprochen, nicht ernst genommen oder beleidigt: „Die Gynäkologin, obwohl sie eigentlich als
queerfreundlich bekannt ist und auch trans* Frauen behandelt, liest mich immer wieder als weiblich/cis-
hetero und legt mir nahe, mir einen Freund zu suchen und ein Kind zu bekommen. Hinweise zum
Agender-Sein und meiner sexuellen Orientierung (die cis-Männer ausschließt) ignoriert sie konsequent“,
oder: „Ein Psychiater im Landkreis […] hat mir meine Geschlechtsidentität abgesprochen, mich beleidigt
und mich daraufhin nicht ausreichend beraten. Während eines stationären Aufenthalts in einer
psychiatrischen Kinder-/Jugendeinrichtung wurde auch anderen Mitpatient*innen verboten, meinen
neuen Namen zu verwenden. Im Landkreis […] hatte ich weniger Probleme, wurde aber auch mehrfach
nicht von medizinischem Personal ernst genommen.“ Sowie: „Im Uniklinikum […] wurde ich auch nach
mehrmaligem Korrigieren und Richtigstellen misgendert. Bei einem […] Orthopäden wurde ich
transfeindlich beleidigt, nachdem ich seine Frage, ob ich die Pille nehme, mit ‚Ich nehme
Testosteron‘ beantwortet habe (mein Geschlechtseintrag ist meinen medizinischen Unterlagen
eingetragen). Meine Allgemeinärztin bezeichnete meine geschlechtsangleichende OP als Schönheits-
OP.“
Positive Erfahrungen im Gesundheitswesen
Dass auch andere, positive Erfahrungen gemacht werden können, und was dazu beiträgt bzw. diese
bedingt, zeigen die folgenden Berichte zum Bereich Gesundheitswesen.
In Bezug auf sexuelle Orientierungen wird berichtet: „Ich spreche selbstverständlich über meinen Partner,
meine Partnerschaft und dies wird weder hinterfragt, noch gibt es unangenehme Reaktionen, sondern
wird selbstverständlich aufgenommen“; „Ärzte/Psychotherapeuten, vor denen ich mich geoutet habe,
haben mich ebenfalls nicht verurteilt und waren interessiert, ihr geringes Wissen über meine sexuelle
Orientierung zu erweitern.“ Allerdings zeigt der Zusatz, dass der*die Patient*in hier Aufklärung leisten
muss, dass diese wiederrum in der medizinischen Ausbildung offenbar ausgeblieben ist.
Auch im Zusammenhang mit geschlechtlichen Identitäten können positive Erfahrungen gemacht werden.
In einigen Berichten zeigt die Betonung der Besonderheit (entsprechende Ärzt*innen sind schwer zu
finden, viel Negatives wurde erlebt) allerdings, wie wenig selbstverständlich dies von den Befragten
wahrgenommen wird: „Nach langem Suchen fand ich eine sehr kompetente Ärztin, bei der ich mich in
Behandlung befinde (Gyn. und Endokrinologie). Sie war und ist mir ein Lichtblick. Keine Extraarbeit ist
ihr zu viel […]. Ihr Team eingeschlossen. Kein diskriminierendes Verhalten, kein ‚Misgendern‘“.
Diesbezüglich gibt es vermutlich ortsspezifische oder auch situationsspezifische Unterschiede, das zeigt
ein Erfahrungsbericht einer nicht-binären Person: „Generell hatte ich im medizinischen Bereich in
Dresden viel bessere Erfahrungen als im Landkreis Bautzen“.
Einige Berichte weisen darauf hin, dass es durchaus möglich ist, mehrere kompetente und
unterstützende Ärzt*innen zu finden: „Alle Ärzte, also von der Hausärztin, Zahnarzt, bis zu
Endokrinologen oder Gynäkologen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, waren sehr nett, haben mein
Geschlecht respektiert und mich aktiv beruhigt, dass ich dort ernst genommen werde. Der Gynäkologe
hat mir gesagt, dass ich nicht alleine bin, dass es normal ist (Trans zu sein), und dass er stolz sei“; oder:
„Es gibt Arzt*innen, die mich ernst nehmen und mich auch jenseits von Transition endlich respektvoll
versorgen. Ich sehe viel Bereitschaft, sich weiterzubilden“. Weiterhin gibt es „freundliche und
empathische Gutachter“. Allerdings zeigt auch der folgende Bericht, dass Ärzt*innen gezielt ausgesucht
werden müssen, und zwar nicht entsprechend der Kompetenz ihrer Fachrichtungen, sondern ihrer lsbtiq*
Offenheit: „Meine queerfreundlichen Ärzt*innen suche ich mir nach Empfehlungen aus. Dort fühle ich
mich so sicher, offen über mein Privatleben zu sprechen. Positiv heißt dabei, dass es einfach so
hingenommen wird und valide ist“.
Auch als minderjährige Person ist es möglich, auf Unterstützung und Beratung zu treffen, was für die
Unabhängigkeit von den Eltern äußerst wichtig ist. „Mein Kinderarzt hatte bei meinem Outing als
Transjunge kein Problem und war sehr offen und hat mir sehr geholfen auf dem Weg“. Bezüglich der
Familienkonstellation berichtet eine Person von einer „breite[n] Akzeptanz des Lebensmodells […] bei

 
106
Kinderärzt*innen“, eine andere wurde von der Therapeutin in ihrem*seinem „Beziehungsmodell
gestärkt“.
7.7. Erfahrungen in der Pflege und Vorstellungen für ein
selbstbestimmtes Leben im Alter
Im Bereich der Pflege kommen lsbtiq* Personen in unterschiedlichen Rollen vor:
einmal als Pflegefachkräfte;
zweitens als altersbedingt / hochaltrige zu pflegende Senior*innen;
drittens auch als jüngere pflege- oder assistenzbedürftige Personen, bspw. aufgrund einer Behinderung /
Beeinträchtigung oder einer chronischen schweren Erkrankung;
viertens als pflegende Angehörige, die selbst die (Teil-)Pflege einer verwandten oder engen
Bezugsperson übernehmen;
oder fünftens als Angehörige, deren pflegebedürftige enge Personen von Fachpersonal ambulant oder in
Pflegeeinrichtungen gepflegt werden.
Dies sind sehr unterschiedliche Berührungspunkte mit dem System der Pflege. So besteht beispielsweise
ein sehr enger, täglicher Bezug (als Fachkraft, als Pflegebedürftiger*r) oder ein seltenerer Kontakt (bspw. als
nicht täglich besuchende Angehörige). Auch die Abhängigkeitsverhältnisse und damit die Chancen, sexuelle
Orientierung und geschlechtliche Identität selbstbestimmt und ohne Nachteile zu leben, sind je nach Rolle
unterschiedlich.
Dieser Unterschiedlichkeit kann die vorliegende Studie nur eingeschränkt Rechnung tragen. In der
quantitativen Befragung kann je nach Fragestellung diesbezüglich nicht immer differenziert werden, unter
anderem auch nicht zwischen ambulanter und stationärer Pflege. Die Fallzahlen für die Rollen fallen zudem
sehr gering aus: So hat keine Person im Ruhestand oder im Senior*innenalter ab 65 Jahren mit Kontakt zum
Pflegebereich teilgenommen. Unter pflegenden Angehörigen haben zehn Personen ihre Erfahrungen im
Pflegebereich berichtet. Ein größerer Teil der Antworten (18) stammt von lsbtiq* Befragten mit chronischen
Erkrankungen (davon 14 unter 40 Jahren) oder mit Behinderung / Beeinträchtigung (8 Antwortende, davon 7
im Alter von 18 bis 27 Jahren).
Von der Mehrheit der 113 Personen, die in den vergangenen fünf Jahren Kontakt zum Pflegebereich
berichten (1.115 Befragte hatten keine Berührungspunkte), ist ihre Rolle nicht identifizierbar. Hier können
daher nur pauschal Erfahrungen mit der Pflege wiedergegeben werden:
In der Summe fallen die Erfahrungen knapp eines Drittels (31 % bzw. 35 Antwortende) mit dem
Pflegebereich in Sachsen überwiegend positiv aus; für 43 % (49 Antwortende) eher positiv.
Eher negative Erfahrungen geben 15 % (17 Antwortende) wieder. Für 12 Antwortende (11 %) sind ihre
Pflegeerfahrungen überwiegend negativ.
Häufiger negative Erfahrungen mit der Pflege berichten sechs von acht Personen mit Behinderung /
Beeinträchtigung sowie jede*r Zweite mit chronischer Erkrankung. Von den zehn antwortenden pflegenden
Angehörigen sagt ebenfalls jede*r Zweite, eher oder überwiegend negative Erfahrungen erlebt zu haben,
jede*r Zweite eher positive.
Negative Erfahrungen in der Pflege
Zu den abgefragten und berichteten negativen Erfahrungen zählen:
am häufigsten die Situation, gegenüber dem Fachpersonal nicht offen vom eigenen Leben und den
Beziehungen erzählen zu können (17 von 19 Antwortenden, die negative Erfahrungen gemacht haben),
unsichere Reaktionen der Pflegefachkräfte auf die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität
der Antwortenden sowie unangenehme Fragen dazu (jeweils 14 von 15 der Antwortenden mit negativen
Erfahrungen),
das Totschweigen oder Ignorieren der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität der
Antwortenden (13 von 14 Antwortenden mit negativen Erfahrungen),

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abwertende Äußerungen des Pflegepersonals (12 von 15 der Antwortenden mit negativen Erfahrungen),
die Ansprache im falschen Geschlecht (neun Befragte, darunter je zwei trans- und anders-
geschlechtliche sowie 4 nicht-binäre und eine intergeschlechtliche Person berichten dies), sowie
die Pathologisierung der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität als Krankheit oder
Störung (sechs Befragte schildern dies).
Zwei Befragte berichten zudem von körperlicher Gewalt oder körperlichen Drohungen gegen sie.
Lediglich zwei Antwortende haben darüber hinaus ihre Eindrücke aus dem Pflegebereich in offenen
Antworten geschildert: „Ich habe in der Krankenpflege gearbeitet. Wo man denken möchte, dass da alle sehr
tolerant sind. Genau das Gegenteil war der Fall. Ich hatte eine[n] Frau-Mann Transsexuelle[n] im Team,
diese[r] musste auf Grund des Mobbings die Arbeitsstelle wechseln. Und zu meiner Person wurden immer
wieder dumme Sprüche gemacht. A la ein Kerl der Frauensachen trägt, kann nicht normal sei. Und ähnliche
Sprüche.“ Und: „Trans* Diskriminierung ist halt ein echt großes Thema. Gerade in dem Bereich...“
Vorstellungen für Wohn- und Pflegeprojekte im Alter
Hinweis: In den folgenden Abschnitten werden die Themen Sterbehilfe und der Wunsch, das eigene Leben
zu beenden, angesprochen.
Über ihre aktuellen Erfahrungen hinaus wurden alle Teilnehmenden der quantitativen Erhebung, ungeachtet
ihres Alters, nach ihren Vorstellungen zur Wohnsituation im Alter bei Pflegebedürftigkeit gefragt. Die
Antworten der über 1.000 überwiegend jungen Befragten zeigen einen großen Bedarf an spezialisierten
Einrichtungen auf:
Nur 144 Befragte bzw. 14 % dieser jüngeren Generationen können sich vorstellen, in einem aktuell üblichen,
auf heterosexuelle Personen ausgerichteten Pflegeheim zu wohnen.
Jede*r Fünfte hat hierzu noch keine Vorstellungen. Die zwei Drittel-Mehrheit jedoch sieht sich in einem
mindestens auf lsbtiq* Bedarfe ausgerichteten Pflege- oder Altenwohnheim (676 Antwortende bzw. 65 %).
Unter diesen 676 Antwortenden präferieren 505 (48 % aller Befragten) ein gemischtes Regenbogen-
Wohnprojekt, in dem lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche und queere Personen
zusammenleben. Nur eine Minderheit von 25 Antwortenden (2 %) möchte in einem Pflege-/Altenwohnheim
leben, in dem nur ihre lsbtiq* Teilgruppe wohnt, also bspw. als schwule Person nur unter schwulen Personen
(14 der 25 Antwortenden). 146 Antwortende (14 %) wünschen sich zumindest ein Pflegeheim, das auf die
Bedürfnisse von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen und queeren Personen
spezialisiert ist.
Dass hier ggf. Generationeneffekte erkennbar werden, lässt sich auf Basis der Querschnittsbefragung und
der niedrigen Fallzahlen bei den über 55-jährigen Befragten (25 Antwortende) nicht zuverlässig sagen:
Jedoch ist dies die einzige Gruppe, in der eine knappe Mehrheit der Antwortenden entweder in einem
üblichen weitgehend auf Heterosexuelle ausgerichtetem Pflegewohnheim (8 Antwortende) oder in einem auf
lsbtiq* Bedarfe spezialisierten Pflegeheim (6 Antwortende) wohnen möchte.

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Abbildung 32: Vorstellung zu betreuten Wohnformen im Alter
Fragewortlaut: „Was wünschen Sie sich für Ihre Wohnsituation als Schwuler / Lesbe / Bisexuelle*r / trans- /
intergeschlechtliche / queere Person im Alter für den Fall, dass Sie nicht mehr selbstständig in Ihrer eigenen Wohnung
leben können?“ N = 1.036
In den 87 offenen Antworten lassen sich verschiedene Kategorien feststellen, die einen konkreten
Aufschluss über Wünsche für die etwaige pflegebedürftige Zeit geben.
a) Offenes Wohnprojekt / Einrichtung mit vielfältigen Menschen
Es zeigt sich zum einen, dass auch hier der Großteil (37 Personen) inklusive Wohnformen wünscht, die u.a.
für lsbtiq* offen sind. Hier sollen auch heterosexuelle und cisgeschlechtliche Menschen willkommen sein. Es
werden aber zum Teil auch andere Dimensionen von Vielfalt erwähnt. Den Befragten geht es darum, sich
sicher und willkommen zu fühlen in einer generell offenen Atmosphäre für die individuellen Bedürfnisse
vielfältiger Menschen. Der Wunsch, Separationen zu vermeiden, wird hier sehr stark betont. Die folgenden
Beispiele geben einen Einblick: „Jede Einrichtung sollte wissen, dass es unterschiedliche Lebensmodelle
gibt und diese berücksichtigen.“ Oder: „Eine Einrichtung, in der alle Menschen willkommen sind, egal welche
sexuelle Identität oder Orientierung. Jede Spezialisierung führt zu Ausgrenzung.“ Als eine Strategie für einen
derartigen inklusiven Raum geben drei Personen an, sie wünschen, dass sexuelle Orientierung, in einem
Fall auch geschlechtliche Identität, (dann) keine Rolle mehr spielen.