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Christoph Gantefort, Hans-Joachim Roth (Universität zu Köln)
Natalia Migai, Ingrid Gogolin (Universität Hamburg)
SORBISCH-DEUTSCHE SCHULEN IN SACHSEN
SPRACHENTWICKLUNG
IN DER SEKUNDARSTUFE I

1
Christoph Gantefort, Hans-Joachim Roth, Natalia Migai, Ingrid Gogolin: Sorbisch- deutsche Schulen in Sachsen. Ergebnisse zur Sprachent-
wicklung in der Sekundarstufe I. Hamburg und Köln (Universität Hamburg, Universität zu Köln) 2010. Titelseite: sternklar.com
Impressum:
Christoph Gantefort, Hans-Joachim Roth, Natalia Migai, Ingrid Gogolin: Sorbisch- deutsche
Schulen in Sachsen. Ergebnisse zur Sprachentwicklung in der Sekundarstufe I. Hamburg und
Köln (Universität Hamburg, Universität zu Köln) 2010.
Gestaltung Umschlag: sternklar.com
Alle Rechte, auch für die auszugsweise Wiedergabe, liegen bei:
Christoph Gantefort, Hans-Joachim Roth, Universität zu Köln
Natalia Migai, Ingrid Gogolin, Universität Hamburg

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wicklung in der Sekundarstufe I. Hamburg und Köln (Universität Hamburg, Universität zu Köln) 2010. Titelseite: sternklar.com
Vorbemerkung und Dank:
Das Forschungsteam der Evaluation der Sorbisch- deutschen Schulen
in Sachsen blickt auf eine lange Zeit der guten Zusammenarbeit mit
dem Sächsischen Bildungsinstitut zurück.
Wir möchten für die gute Kooperation vielmals danken; sie bot Gele-
genheit zu vielfältigen – nicht nur wissenschaftlichen – Begegnungen
und neuen Eindrücken. Unser besonderer Dank gilt den Schulen:
Schulleitungen, Lehrkräften, Kinder und Eltern, die unsere geduldi-
gen und zuverlässigen Partner waren. Wir haben viel von ihnen ge-
lernt.
Es versteht sich von selbst, dass alle Namen von Personen und
Schulen in diesem Bericht zum Schutz der Persönlichkeit frei er-
funden sind.
Hamburg und Köln, im September 2011
Christoph Gantefort und Hans-Joachim Roth, Universität zu Köln
Nataila Migai und Ingrid Gogolin, Universität Hamburg

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wicklung in der Sekundarstufe I. Hamburg und Köln (Universität Hamburg, Universität zu Köln) 2010. Titelseite: sternklar.com
0. Einleitung ............................................................................................................................... 6
1. Untersuchungspopulation und Erhebungsmethodik ............................................................... 7
2. Ergebnisse der Lehrerbefragung im sechsten Schuljahr ...................................................... 10
Bewertung des bilingualen Konzeptes und Entwicklung der Arbeitszufriedenheit ..... 11
Ausstattung der Schulen ............................................................................................... 13
Unterrichtsorganisation und –durchführung ................................................................ 15
Kooperation mit den Eltern .......................................................................................... 20
Zusammenfassung ........................................................................................................ 22
3. Zur Entwicklung der mündlichen Sprachkompetenz: Die Sprachhandlung ‚Erklären’ ....... 23
3.1 Zum Instrument „Sprachhandlungstypen: Erklären“ ........................................................ 23
Warum wurde das Instrument „Sprachhandlung“ bei der Auswertung in der 6. Klasse
eingesetzt? .................................................................................................................... 24
3.1.1 Kodierung der Transkripte .............................................................................................. 27
3.1.2 Zu den Ebenen Lexik, Syntax, Text, Kognition .............................................................. 29
3.2 Ergebnisse .......................................................................................................................... 30
3.2.1 Längsschnittanalysen ...................................................................................................... 30
3.2.1.1 Im Deutschen ................................................................................................................ 30
Lexik (Qualität des Wortschatzes) .............................................................................. 30
Syntax ........................................................................................................................... 32
Text ............................................................................................................................... 33
Kognition ...................................................................................................................... 35
3.2.1.2 Im Sorbischen ............................................................................................................... 36
Lexik : Qualität des Wortschatzes ................................................................................ 37
Syntax ........................................................................................................................... 38
Text ............................................................................................................................... 39
Kognition ...................................................................................................................... 40
3.2.1.3 Zusammenfassung ........................................................................................................ 40

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3.2.2 Querschnittsanalyse ......................................................................................................... 41
3.2.2.1 Sprachvergleich ............................................................................................................ 42
Lexik ............................................................................................................................. 42
Syntax ........................................................................................................................... 43
Textkohärenz ................................................................................................................ 44
Kognition ...................................................................................................................... 45
Zusammenfassung ........................................................................................................ 45
3.2.3.2 Lerngruppenvergleich .................................................................................................. 46
3.2.3.3 Vergleich der 2-Plus SchülerInnen mit der Kontrollgruppe ........................................ 52
3.2.4 Zusammenfassung ........................................................................................................... 53
4. Schreibkompetenz und Schreibentwicklung: Erhebungen mit dem Diagnoseintrument „Der
Sturz ins Tulpenbeet“ ............................................................................................................... 54
4.1 Indikatoren und Maße ........................................................................................................ 56
4.1.2 Theoretischer Rahmen ..................................................................................................... 56
4.1.3 Bildung der aggregierten Werte ...................................................................................... 58
4.2 Ergebnisse .......................................................................................................................... 60
4.2.1 Längsschnittanalysen ...................................................................................................... 60
4.2.1.1 Im Deutschen ................................................................................................................ 60
4.2.1.2 Im Sorbischen ............................................................................................................... 62
4.2.1.3 Zusammenfassung ........................................................................................................ 65
4.2.2 Querschnittsanalyse ......................................................................................................... 66
4.2.2.1 Sprachvergleich ............................................................................................................ 66
4.2.2.2 Lerngruppenvergleich .................................................................................................. 68
4.2.2.3 Effekte der Schulform .................................................................................................. 74
4.2.2.4 Vergleich der 2-Plus Schülerinnen mit der Kontrollgruppe ......................................... 77
4.3.3 Resümee .......................................................................................................................... 79
5. Entwicklung der Lesekompetenz: Erhebungen mit Testheften aus der IGLU-Studie ......... 83

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5.1 Was ist Lesekompetenz? .................................................................................................... 83
5.2 Datenerhebung und -aufbereitung ...................................................................................... 86
5.3 Ergebnisse .......................................................................................................................... 87
5.3.1 Längschnittanalyse .......................................................................................................... 87
5.3.1.1. Im Deutschen ............................................................................................................... 87
5.3.1.2 Im Sorbischen ............................................................................................................... 89
5.3.2 Querschnittsanalysen ....................................................................................................... 92
5.3.2.1 Sprachvergleich ............................................................................................................ 92
5.3.2.2 Lerngruppenvergleich .................................................................................................. 94
5.3.2.3 Effekte der Schulform .................................................................................................. 97
5.3.2.4 Vergleich der 2Plus-SchülerInnen mit der Kontrollgruppe ....................................... 100
5.3.2.5 Resümee ..................................................................................................................... 101
6. Abschließende Betrachtung ................................................................................................ 102
Literaturverzeichnis…………………………………………………………………………107

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0. Einleitung
Der vorliegende Text stellt den Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung der bilin-
gualen sorbisch-deutschen Schulen dar. Die Ergebnisse der Sprachstandserhebungen im vier-
ten und sechsten Schuljahr bilden den zentralen Gegenstand des Berichtes, wobei die Sprach-
entwicklung derjenigen Schülerinnen und Schüler, die bereits am 2-Plus Konzept orientierte
Grundschulen besucht hatten, im Vordergrund steht. Es geht also in den folgenden Abschnit-
ten um diese Fragestellungen:
Wie verläuft die Entwicklung der sprachlichen Ausdrucks- und Dekodierfähigkeit bei
Kindern mit unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen im Deutschen und Sor-
bischen im Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I?
Wie stellen sich die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder im Deutschen und Sorbi-
schen nach 6 Jahren bilingualen Unterrichts im Querschnitt dar?
Wie wirkt sich die Zugehörigkeit zu einer Lerngruppe auf den Sprachstand im sech-
sten Schuljahr und auf die Sprachentwicklung aus?
Welche Einschätzungen haben Lehrkräfte vom Modell?
Der Bericht insgesamt gliedert sich in die folgenden inhaltlichen Abschnitte: Zunächst werden
Ergebnisse der im sechsten Schuljahr durchgeführten Befragung der Lehrerinnen und Lehrer
dargestellt (Kap. 1). Diese sollen in den Abschnitten zu den Ergebnissen der Evaluation zur
Interpretation derselben ergänzend herangezogen werden. Kapitel 2 dient dazu, die Erhe-
bungsmethodik und die Merkmale der Untersuchungspopulation zu kennzeichnen. In den Ka-
piteln 3-5 schließlich werden die Ergebnisse der Untersuchungen dargestellt, wobei zwischen
mündlichem Sprachgebrauch (Kap. 3), schriftlichem Sprachgebrauch (Kap. 4) und der eben-
falls erhobenen Lesekompetenz (Kap. 5) unterschieden wird. Diese Kapitel sind ihrerseits in
jeweils einen Teil zur Längsschnitt- und Querschnittsanalysen aufgeteilt. Die Längsschnitt-
analysen dienen dazu, die Entwicklung der jeweils fokussierten Fähigkeiten nach Sprach-
gruppen differenziert zu betrachten. Die Querschnittsanalysen haben dagegen die Fähigkeiten
im sechsten Schuljahr zum Gegenstand; dabei wird die Balance der Zweisprachigkeit unter-
sucht und ein Vergleich der Lerngruppen vorgenommen. Darüber hinaus werden die Ergeb-
nisse der Kinder, die eine der am Projekt beteiligten Grundschulen besucht hatten, mit denen
einer Kontrollgruppe verglichen, um mögliche Effekte des bilingualen Unterrichts aufdecken
zu können. Die Kontrollgruppe besteht aus den Schülerinnen und Schülern, die in der Sekun-

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darstufe I neu hinzugekommen sind, also aus den Mitschülerinnen und Mitschülern der ‚2-
Plus-Kinder’, die keine Grundschulerfahrung aus dem bilingualen Modell mitbringen.
Als Ausgangspunkt sollen kurz einige Ergebnisse der bisherigen Zwischenberichte aufgegrif-
fen werden:
Einerseits deuteten die Ergebnisse der Entwicklung im ersten Schuljahr und vom ersten zum
vierten Schuljahr darauf hin, dass der Erwerb und die Entwicklung der Minderheitensprache
Sorbisch durch Kinder aus deutschsprachigen Elternhäusern sich recht erfolgreich gestaltet.
Wir hatten seinerzeit angenommen, dass sich bestehende Unterschiede zwischen den Sprach-
gruppen, die auch außerhalb des Unterrichts mit Sorbisch in Kontakt kommen (Sprachgrup-
pen 1 und 2) im weiteren Verlauf weitgehend auflösen, dass also diese Kinder eine einheitli-
che Kompetenz im Sorbischen erreichen. Für die Kinder der Sprachgruppe 3, die nur im Un-
terricht Kontakt mit dem Sorbischen haben, wurde auch eine kräftige Entwicklung im Sorbi-
schen prognostiziert, allerdings erschien es als unwahrscheinlich, dass sie – aufgrund des ge-
ringeren lebensweltlichen Bezuges - eine vergleichbar hohe Kompetenz in der Minderheiten-
sprache erreichen würden wie die Kinder der Sprachgruppen 1 und 2. Diese Annahmen haben
sich in der Evaluation weitgehend bestätigen lassen.
Ein weiteres Ergebnis des letzten Zwischenberichtes ist darin zu erblicken, dass wir hinsich-
tlich wichtiger bildungssprachlicher Fähigkeiten ein unausgewogenes Verhältnis zwischen
der Kompetenz in beiden Sprachen – auch bei den Kindern der Sprachgruppen 1 und 2 – fest-
stellen konnten. Jedoch blieb dazu eine Reihe von Fragen offen:
Ungeklärt blieb, ob im Sorbischen überhaupt die richtigen, bildungssprachliche Kompetenzen
indizierenden morphosyntaktischen Phänomene erhoben wurden. Weiterhin war – auch be-
züglich des Deutschen – noch zu klären, ob die Analysen morphosyntaktischer Phänomene
die Entwicklungsdynamik bildungssprachlicher Kompetenzen im Übergang von der Grund-
schule zur Sekundarstufe I abbilden können. Aus diesem Gründen wurde die Auswertungsme-
thodik bezüglich der mündlichen Sprachproben stark modifiziert: Es standen nicht morpho-
syntaktische Einzelphänomene im Vordergrund, sondern vielmehr die sprachliche Handlungs-
fähigkeit in einem wichtigen schulischen Genre, dem mündlichen Erklären. Durch diese Vor-
gehensweise werden zum einen die Werte im Sorbischen und Deutschen besser miteinander
vergleichbar, zum anderen sind die Kategorien wesentlich näher am eigentlichen Phänomen
angesiedelt: der schulischen Bildungssprache. Damit Aussagen über die sprachliche Entwick-
lung im Längsschnitt möglich sind, wurden die aus der vierten Klasse vorliegenden Sprach-
daten erneut, unter Anwendung desselben Analysesystems, ausgewertet.

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1. Untersuchungspopulation und Erhebungsmethodik
Die Untersuchungspopulation, die in diesem Bericht betrachtet wird, besteht aus insgesamt
132 Schülerinnen und Schülern, die im sechsten Schuljahr an den Erhebungen teilgenommen
haben. Davon haben 91 bereits in der Primarstufe eine nach dem 2-Plus Konzept arbeitende
Schule besucht, während die 41 verbleibenden Schülerinnen und Schüler die ‚Kontrollgruppe’
konstituieren. Diese Schülerinnen und Schüler beginnen erst in der fünften Klasse mit dem
Sorbischunterricht (Sorbisch als Fremdsprache). Sie haben nicht an der Erhebung der sorbi-
schen Sprachproben im sechsten Schuljahr teilgenommen, weil dies aus pädagogischer Sicht
eine starke Überforderung bedeutet hätte. Die Funktion der Kontrollgruppe besitzen sie im
Hinblick auf die Fähigkeiten im Deutschen.
Von den 91 2-Plus Kindern entfallen 41 auf die Sprachgruppe 1 (dominant sorbischer Sprach-
gebrauch in der Familie), 15 auf die Sprachgruppe 2 (Verwendung von Sorbisch und Deutsch
in der Familie), und 35 auf die Sprachgruppe 3 (dominant deutscher Sprachgebrauch in der
Familie). Jedoch liegen nicht von allen Schülerinnen und Schülern sämtliche durchgeführte
Sprachproben vor. Tabelle 1 zeigt daher zunächst, von wie vielen Kindern aus den jeweiligen
Gruppen die Sprachproben vorliegen.
Tabelle 1: Übersicht über die Untersuchungspopulation
Gruppe
Sprachgruppe 1
Sprachgruppe 2
Sprachgruppe 3
‚Neue Schüler’
Anzahl
Anzahl
Anzahl
Anzahl
Mündlich Deutsch Klasse 4
39
14
41
0
Mündlich Sorbisch Klasse 4
40
17
50
0
Mündlich Deutsch Klasse 6
30
10
27
35
Mündlich Sorbisch Klasse 6
37
12
35
0
Schriftlich Deutsch Klasse 4
41
16
48
0
Schriftlich Sorbisch Klasse 4
41
16
45
0
Schriftlich Deutsch Klasse 6
41
15
32
40
Schriftlich Sorbisch Klasse 6
40
13
32
0
Iglu Deutsch Klasse 4
39
18
50
0
Iglu Sorbisch Klasse 4
41
18
50
0
Iglu Deutsch Klasse 6
40
15
33
39
Iglu Sorbisch Klasse 6
41
14
33
0
Je nachdem, ob es sich um Längsschnitt- oder Querschnittanalysen mit oder ohne Sprachver-
gleich handelt, können nur die Daten von den Schülerinnen und Schülern in die Analysen ein-
gehen, die an beiden Erhebungszeitpunkten teilgenommen haben bzw. von denen die Sprach-
proben jeweils in beiden Sprachen vorliegen. Abb. 1 zeigt daher die Anzahl derjenigen Schü-
lerinnen und Schüler, von denen die Sprachproben aus dem vierten
und
dem sechsten Schul-
jahr
in beiden Sprachen
vorliegen.

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Abbildung 1: Anzahl derjenigen Schülerinnen und Schüler (nach Sprachgruppen), von denen die Sprach-
proben jeweils komplett vorliegen
Auffällig ist dabei, dass vor allem mündliche Sprachproben vergleichsweise häufig fehlen.
Abb. 2 gibt Auskunft darüber, wie sich die Lerngruppen in der Sekundarstufe I bezüglich des
Anteils der Sprachgruppen und der neuen Schülerinnen und Schüler zusammensetzen.

image
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Abbildung 2: Lerngruppengröße und -zusammensetzung
Es wird deutlich, dass weiterhin eine große Heterogenität bezüglich der sprachlichen Voraus-
setzungen der Schülerinnen und Schüler vorliegt. Weiterhin ist ersichtlich, dass die Schule in
Sabitzen mit nur zwei Fällen einen sehr geringen Anteil an 2-Plus Schüler(innen) aufweist.
Die Charakteristika von Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung wird jeweils am Be-
ginn der Abschnitte vorgestellt.
2. Ergebnisse der Lehrerbefragung im sechsten Schuljahr
Im März 2008 hat die wissenschaftliche Begleitung des Projekts „Die zweisprachige sorbisch-
deutsche Schule“ sechs bilinguale Schulen (fünf sorbische Mittelschulen und ein sorbisches
Gymnasium) in Sachsen besucht, um zusätzliche Informationen für die Interpretation der
Sprachdaten zu gewinnen. Es wurden folgende Methoden angewandt: Hospitation im Unter-
richt der Projektklassen, anschließend eine leitfadengestützte Lehrerbefragung. In diesem Ka-
pitel werden die Ergebnisse der Interviewauswertung vorgestellt.
Es wurden neun Lehrerinnen und Lehrer (darunter drei Schulleiter) befragt. Ihnen wurden
Fragen zu den folgenden Themen gestellt:
Persönliche Einschätzung des bilingualen Schulmodells

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Beurteilung der Ausstattung der Schulen
Didaktik des bilingualen Unterrichts (Unterrichtsmethoden und- formen)
Kooperation im Team
Kooperation mit den Eltern
Die nachfolgend vorgestellte Auswertung folgt der Themenstellung in den Interviews. Zu be-
denken ist bei der Interpretation, dass die Auswertung auf einer sehr geringen Fallzahl beruht.
Graphische Darstellungen und Zahlenangaben haben daher einen rein illustrativen Charakter.
Bewertung des bilingualen Konzeptes und Entwicklung der Arbeitszufriedenheit
Die Lehrerinnen und Lehrer wurden am Anfang des Interviews gebeten, die Entwicklung ih-
rer persönlichen Zufriedenheit mit dem zweisprachigen Modell während der zwei Jahre (5.
und 6. Klassen) als „Verlaufskurve“ auf einer Skala von 0 bis 100 Prozent in ein Koordina-
tensystem einzutragen. Die Ergebnisse der Arbeitszufriedenheit sind in der folgenden Grafik
abgebildet:
Abbildung 3: Entwicklung der Arbeitszufriedenheit

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Den Antworten der Befragten ist also zu entnehmen, dass die Arbeitszufriedenheit im bilin-
gualen Schulmodell an den Schulen unterschiedlich ausgeprägt scheint. Weniger zufrieden
scheinen die Lehrkräfte in Kemwitz und Padozen. Sehr zufrieden scheinen sie in Bodwitz,
Radowitz und Manwitz. Nach der Erinnerung der Befragten ist die Zufriedenheit im Laufe der
zwei Jahre entweder konstant geblieben (Bodwitz, Radowitz, Padozen) oder gestiegen (Kem-
witz, Manwitz, Sabitzen).
Die befragten Lehrerinnen und Lehrer gaben an, dass sie am Anfang ihrer Tätigkeit mit vielen
Schwierigkeiten konfrontiert waren: Sie empfanden einen Mangel an zweisprachigen Unter-
richtsmaterialien; sie schätzten ihre eigene Erfahrung mit den erwarteten neuen Unterrichts-
formen (z.B. Teamteaching) als gering ein. Die heterogenen sprachlichen Voraussetzungen
der Kinder wurden als belastend empfunden. Zudem sei mit dem Modell eine deutliche Stei-
gerung des Arbeitsaufwandes verbunden gewesen.
Beim Vergleich der Angaben zur Arbeitszufriedenheit der Lehrkräfte der Grundschule und
der Sekundarschule wird schulbezogen die gleiche Tendenz erkennbar: deutliche Steigerung
scheint es in Bodwitz, Radowitz und Manwitz gegeben zu haben; kaum Veränderung
1
in
Kemwitz und Padozen.
1
Als Grund für das Absinken ihrer Zufriedenheit haben Lehrkräfte mangelndes Interesse und geringe Unterstüt-
zung der Eltern sowie fehlende Motivation der Kinder genannt. Es kann von der wissenschaftlichen Begleitung
nicht beurteilt werden, ob hier z.B. Außenattribuierungen vorliegen.

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Abbildung 4: Arbeitszufriedenheit im 4. und im 6. Schuljahr
Trotz der genannten Schwierigkeiten gaben die interviewten Lehrkräfte an, dass sie keine
Rückkehr zum alten Schulmodell (A/B-Klassen
2
) wünschen. Sie vergaben hohe Werte bei der
Gesamtbeurteilung des zweisprachigen Schulmodells (Abb. 5). Als Antwort auf die Frage
„Wie bewerten Sie Ihre Erfahrungen im bilingualen Unterricht im Vergleich zur vorherigen
Situation?“ sollten die Lehrkräfte einen Wert auf einer Skala von 0 (A/B-Klassen waren ef-
fektiver) bis 10 (Bilinguales Modell ist effektiver) ankreuzen. Wie die Grafik zeigt, liegen die
Werte zwischen 8 und 10; sie sprechen für das bilinguale Unterrichtsmodell.
Abbildung 5: Gesamtbewertung des bilingualen Unterrichtskonzepts nach Schulen
Ausstattung der Schulen
Die Lehrerinnen und die Lehrer wurden ferner gebeten, sowohl die räumliche Ausstattung der
Schulen als auch die Verfügbarkeit von Unterrichtsmaterialien für den bilingualen Unterricht
2
Bis zur Einführung des bilingualen Schulmodells wurden die Klassen in den sorbischen Schulen geteilt: In den
A-Klassen für sorbische Kinder wurde der Unterricht auf Sorbisch gehalten; in den B-Klassen für deutschspra-
chige Kinder auf Deutsch.

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einzuschätzen. Die Interviewten haben ihre Bewertung auf einer Skala von 0 bis 10 angege-
ben, die Ergebnisse werden in Abbildung 6 veranschaulicht:
Abbildung 6: Bewertung der Ausstattung der Schulen durch die Lehrkräfte
Wie die Grafik zeigt, scheinen nur die Lehrerkräfte aus Bodwitz und Sabitzen mit der räumli-
chen Ausstattung vollkommen zufrieden. Die Lehrerinnen aus Kemwitz und aus Manwitz
bemängeln die räumliche Ausstattung ihrer Schulen.
Erstaunlich ist die unterschiedliche Einschätzung der vorhandenen Unterrichtsmaterialien. Die
meisten befragten Lehrkräfte beklagten in den Interviews einen Mangel an Materialien so-
wohl für den Sorbischunterricht als auch für den bilingualen Sachunterricht. Da der Zugang
zu Unterrichtsmaterial prinzipiell für alle Schulen gleich ist, wäre dennoch hier eine weniger
unterschiedliche Sicht der Lehrkräfte zu erwarten gewesen. Die Lehrkräfte gaben an, dass die
Schulen über Schulbücher für den Sachunterricht auf Sorbisch verfügen; aber dennoch habe
sich ihr Arbeitsaufwand in den bilingualen Klassen verdreifacht oder sogar vervierfacht. Als
Gründe dafür sahen sie, dass das Sprachniveau der Schülerinnen und Schüler sehr unter-
schiedlich sei. Es müsse deshalb oft im Sachunterricht eine vorbereitende Wortschatz- und

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Textarbeit durchgeführt werden, bevor man „mit dem Unterrichtsthema anfangen“ könne.
3
Dafür müssten z.B. zweisprachige Arbeitsblätter zusätzlich erstellt werden, was sehr zeitauf-
wendig sei. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer versuchen einander zu helfen, indem sie die
erstellten bilingualen Arbeitsmaterialien untereinander austauschen.
Ein weiteres Anliegen der Befragung war es, eine Einschätzung der Veränderungen zu erhal-
ten, die sich im Laufe des Projekts in der Unterrichtspraxis ergeben haben. Hierzu wurden die
folgenden Auskünfte gegeben.
Unterrichtsorganisation und –durchführung
Die Frage, welche Unterrichtsfächer auf Sorbisch oder bilingual unterrichtet werden, beant-
worteten die Lehrkräfte wie folgt:
Tabelle 2: Unterrichtsfächer, die auf Sorbisch oder bilingual unterrichtet werden
Schule
Fächer
Bodwitz
Mathematik, Erdkunde, Biologie, Religion, Kunst, Sport, Musik
Sabitzen
Erdkunde, Musik, Sorbisch
Padozen
Mathematik, Englisch, Erdkunde, Biologie, Religion, Kunst-
erziehung, Musik, Sport, Sorbisch. Fakultativ sind verschiedene
AGs angeboten: Technik, Computer, Förderunterricht
Manwitz
Mathematik, Erdkunde, Kunst, Musik, Sport, Geschichte, Sor-
bisch, Religion, Biologie
Kemwitz
4
Erdkunde, Biologie, Religion, Musik, Geschichte
Radowitz
Erdkunde, Biologie, Kunst, Musik, Mathematik
5
3
Aus der Sicht der wissenschaftlichen Begleitung deutet diese Auskunft auf einen erheblichen Qualifikationsbe-
darf mit Blick auf Vorgehensweisen der inneren Differenzierung und der Unterstützung bilingualer Lernender
mit Texterschließungsstrategien. Es stellt sich die Frage, ob hier nicht Synergien erzeugt werden könnten durch
gemeinsame Qualifizierungsaktivitäten mit dem FÖRMIG-Transferprojekt Sachsen.
4
Hierzu heißt es, dass in den Fächern „Physik und Mathematik“ nur Fachbegriffe auf Sorbisch eingeführt wer-
den. Im Fach „Religion“ werde die Klasse oft geteilt: die Sorbisch sprechenden Kinder bekommen Extra-
Unterricht auf Sorbisch.
5
Im Fach „Mathematik“ werden nur Fachbegriffe auf Sorbisch eingeführt. Der Unterricht wird aber auf Deutsch
gehalten.

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Die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit der Fächer, die für sorbischsprachigen oder bilingua-
len Unterricht ausgewählt wurden, sind bemerkenswert. Die Lehrkräfte gaben an, dass es bei
der Entscheidung, welches Fach auf Sorbisch bzw. bilingual unterrichtet wird, eine große Rol-
le spiele, ob genügend sorbischsprachige Lehrkräfte für die Fächer in der jeweiligen Schule
tätig sind. Ein anderer Auswahlgesichtspunkt ist die Einschätzung des vorhandenen Lehrma-
terials. Die dritte genannte Begründung betrifft die Einschätzung der Sprachkompetenz der
Schülerinnen und Schüler im Sorbischen. Nur, wenn diese als ausreichend für ein Fach gilt,
wird Unterricht auf Sorbisch oder bilingual angeboten. – Obzwar die Angaben der Lehrkräfte
für die wissenschaftliche Begleitung nicht unmittelbar in klare Hinweise auf Intensität und
Dauer des Kontakts mit dem Sorbischen transferiert werden können, ergibt sich aus den Hin-
weisen die Vermutung, dass Schulen wie Bodwitz, Padozen und Manwitz bessere Ergebnisse
im Sorbischen erzielen müssten, weil die Gelegenheit zu Erwerb und Anwendung dieser
Sprache höher sein sollte.
Den Lehrkräften wurden ferner Fragen zur Gestaltung des Unterrichts gestellt. Ihre Antworten
zur Frage, welche Sozialformen und Methoden von ihnen am häufigsten verwendet werden,
sind in der Tabelle 3 zusammengefasst:
Tabelle 3: Übersicht über Unterrichtsformen (Nennungen von 9 Lehrkräften)
Häufig-
keit
Bodwitz
(im Fach Biolo-
gie)
Sabitzen
(im Fach
Musik)
Padozen
(im Fach Eng-
lisch)
Manwitz
(im Fach Biologie)
Kemwitz
(im Fach Biolo-
gie)
Radowitz
(in den Fächern
Biologie und
Geographie)
täglich
6
Klassenunterricht
Partnerarbeit
Partnerarbeit
Gruppenarbeit
mindes-
tens 1x
wöchent-
lich
Klassenunter-
richt
Gruppenarbeit
Partnerarbeit
Fächerübergrei-
fender Unterricht
Klassenunterricht
Partnerarbeit
Gruppenarbeit
Klassenunterricht
Fächerübergrei-
fender Unterricht
Klassenunterricht
Partnerarbeit
Gruppenarbeit
Projektunterricht
Außerschulische
Lernorte
Klassenunterricht
Partnerarbeit
Gruppenarbeit
Außerschulische
Lernorte
mindes-
tens 1x
monat-
lich
Partnerarbeit
Gruppenarbeit
Stationenlernen
Projektunter-
richt
Fächerüber-
greifender Un-
terricht
Außerschu-
lische Lernorte
Gruppenarbeit
Projektunterricht
Außerschulische
Lernorte
Klassenunterricht
Freiarbeit
Partnerarbeit
Gruppenarbeit
Gruppenarbeit
Projektunterricht
Außerschulische
Lernorte
Projektunterricht
Fächerübergrei-
fender Unterricht
Außerschulische
Lernorte
Selten
(z.B.
einmal
Wochenplanar-
beit
Stationenlernen
Außerschulische
Lernorte
Stationenlernen
Fächerübergrei-
fender Unter-
Stationenlernen
6
Die Lehrkräfte haben zum Teil nicht täglich Unterricht in den Klassen, sondern nur ein- bis zweimal wöchent-
lich

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im Jahr)
Projektunterricht
Fächerübergrei-
fender Unter-
richt
richt
nie
Freiarbeit
Wochenplan-
arbeit
Freiarbeit
Wochenplanarbeit
Stationenlernen
Außerschulische
Lernorte
Freiarbeit
Wochenplanarbeit
Stationenlernen
Projektunterricht
Freiarbeit
Wochenplanarbeit
Freiarbeit
Wochenplanarbeit
Eher traditionelle Unterrichtsformen (Klassenunterricht, Partnerarbeit und Gruppenarbeit)
werden demnach von den Lehrerinnen und Lehrern am häufigsten verwendet. Der Klassenun-
terricht wird von den meisten befragten Lehrerinnen und Lehrern aus Bodwitz, Sabitzen, Pa-
dozen, Manwitz favorisiert. Nach den Angaben der Lehrkräfte wird Klassenunterricht insbe-
sondere in Phasen des Teamteachings bevorzugt. Wenn dies nicht auf ein Missverständnis der
Fragestellung zurückzuführen ist, ist es ein erstaunliches Ergebnis. Zu erwarten wäre ja, dass
die Anwesenheit einer zweiten Lehrkraft es erlaubt, Methoden der inneren Differenzierung
einzusetzen.
Lediglich die Lehrkräfte aus Radowitz und Kemwitz gaben an, dass sie mehr Wert auf Part-
nerarbeit und Gruppenarbeit legen. Projektunterricht oder fächerübergreifender Unterricht, in
den auch außerschulische Lernorte eingebunden sind, werden seltener in den Schulen angebo-
ten. Am häufigsten wird nach den Auskünften der Lehrkräfte fächerübergreifender Unterricht
dem Thema „sorbische Sprache, Kultur, Geschichte“ gewidmet. Im Rahmen der Projekte
werden oft Ausflüge – z.B. in verschiedene Museen, ins sorbische Theater, in die Kirche, zu
sorbischen Musikveranstaltungen – organisiert. Als Grund für die recht geringe Hinwendung
zu Methoden wie Stationenlernen, Wochenplanarbeit oder Freiarbeit wird von einigen Lehr-
kräften Zeitmangel genannt; aus ihrer Sicht verlangen diese Unterrichtsformen mehr Organi-
sation.
Team-Teaching wird von den befragen Lehrkräften als eine der effektivsten Unterrichtsfor-
men im zweisprachigen Schulkonzept eingeschätzt. Folgendes haben die Befragten über ihre
Erfahrungen mit Team-Teaching – einer für die meisten neue Praxis – berichtet:
Durch Team-Teaching seien bessere Konzentration und Motivation der Schülerinnen und
Schüler gewährleistet. Durch die Abwechslung der Lehrer(innen) und durch den Wechsel von
einer Sprache in die andere werde die Aufmerksamkeit besser angesprochen. Auch sei die
Anwesenheit von zwei Lehrkräften vorteilhaft für die Kinder, wenn sie Schwierigkeiten ha-
ben; eine Lehrkraft könne immer helfen, wenn es Fragen gebe. Die befragten Lehrkräfte hal-

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ten für wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler beide Team-Partner als eine Einheit wahr-
nehmen, obwohl jeder einen eigenen Unterrichtsstil hat.
Team-Teaching fordere hohe Konzentration, so die Lehrkräfte, um das Ungeplante bewälti-
gen zu können. Beobachten, was die Partnerin oder der Partner gerade macht, und ihn oder sie
im Team-Teaching gewähren zu lassen, seien wichtige Voraussetzungen für einen erfolgrei-
chen bilingualen Unterricht im Team. Auch habe sich die Zusammenarbeit mit den Schülerin-
nen und Schülern im Unterricht deutlich verbessert.
Die befragten Lehrerinnen und Lehrer äußerten sich als mit ihrer Teamsituation zufrieden,
obwohl es von der Schulleitung festgelegt wird, wer mit wem Unterricht im Team durchführt.
Die Koordination der Arbeit im Team werde wöchentlich abgesprochen. Da zu wenige bilin-
guale Unterrichtsmaterialien existierten, würden sie Woche für Woche von den Teams ent-
worfen und bewertet. Dabei werde auch gründlich überlegt, welche Unterrichtsabschnitte auf
Deutsch und welche auf Sorbisch gehalten werden. Sogar im bilingualen Unterricht versuchen
die Lehrkräfte, die Handlungsanweisungen nur auf Sorbisch zu geben. Wenn sie nicht von
allen Kindern verstanden werden, werden zuerst die dominant sorbischsprachigen Kinder um
Hilfe gebeten, erst danach greife die Lehrkraft ein.
Als eine große Umstellung in ihrer Unterrichtspraxis haben die Lehrkräfte die Verbindung des
Fachunterrichts mit dem Sprachunterricht empfunden. Vor der Vermittlung der Sachinhalte
werde nun an neuem Wortschatz und an syntaktischen Strukturen gearbeitet. Die meisten
Fachlehrerinnen und Fachlehrer berichteten, dass sie wenig Erfahrung mit Methoden für die
Wortschatz- und Textarbeit besitzen.
Die Einführung des Team-Teachings in Verbindung mit dem bilingualen Schulmodell, so
wurde berichtet, hat viele deutschsprachige Lehrerinnen und Lehrer bewegt, die sorbische
Sprache zu erlernen. Das fand einen guten Anklang bei den Schülerinnen und Schülern.
Um ein besseres Bild von der bilingualen Praxis in den Modellschulen zu bekommen, wurde
auch gefragt, welche Fächer im Team-Teaching unterrichtet werden und wie die Unterrichts-
materialien gestaltet sind (Tab. 4):
Tabelle 4: Fächer, die im Team-Teaching unterrichtet werden
Fächer, die
2008
im Team-Teaching
Methode „1 Per-
son - 1 Sprache“
Gestaltung der Unter-
richtsmaterialien

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unterrichtet
wer-
den
Bodwitz
Biologie, Erdkunde,
Mathematik
nein
Meistens einsprachig
Sorbisch
Sabitzen
Musik
ja
7
Meistens einsprachig
Sorbisch
Padozen
Sorbisch, Erdkunde
nein
Einsprachig Sorbisch
Manwitz
Geschichte,
Er-
dkunde, Kunst, Bio-
logie
nein
Zweisprachig
Sorbisch- Deutsch
Kemwitz
Biologie, Erdkunde,
Geschichte, Musik
nein
Zweisprachig
Sorbisch- Deutsch
Radowitz
Zum Zeitpunkt des
Interviews
noch
nicht praktiziert, ein
Jahr später (2009)
eingeführt
Zweisprachig,
manchmal einsprachig
Sorbisch
Die Lehrerinnen und Lehrer versuchen demnach, die meisten Lerninhalte auf Sorbisch zu
vermitteln, wenn die Kinder die sorbische Sprache ausreichend beherrschen. Fachbegriffe
werden in beiden Sprachen eingeführt. Die Schulen verfügen über deutsch- und sorbischspra-
chige
8
Lehrbücher, über Terminologiewörterbücher und über Videos, die im Unterricht einge-
setzt werden. Es wird erwartet, dass die Schülerinnen und Schüler im Fachunterricht auf Leh-
rerfragen sorbisch antworten und Aufgaben auf Sorbisch bewältigen. Es werden aber auch
Antworten auf Deutsch akzeptiert. Die Lehrkräfte bekunden einhellig, dass sprachliche Fehler
der Schüler(innen), die das Verständnis nicht gravierend beeinträchtigen, im Mündlichen
nicht korrigiert werden und sowohl im Mündlichen als auch im Schriftlichen keine Auswir-
kungen auf die Sachfachzensuren haben.
Wie schon angeführt, war eine der Quellen für geringere Zufriedenheit der Lehrkräfte mit
dem bilingualen Modell ihre Wahrnehmung der sprachlichen Heterogenität in der Schüler-
schaft. Sie gaben Einschätzungen darüber ab, ob sich die wahrgenommene Dominanz der von
ihren Schülerinnen und Schülern außerhalb der Schule gesprochenen Sprache(n) in den letz-
7
Im Musikunterricht, so die Auskunft, wird meistens nach dem Prinzip ‚eine Person- eine Sprache‘ gearbeitet.
Mit der Zeit werde das sich ändern, weil die deutschsprachige Lehrerin intensiv Sorbisch lerne und manchmal
auf ihre Sorbischkenntnisse im Unterricht zugreife (so gebe sie Arbeitsanweisungen auf Sorbisch: „Macht eure
Bücher auf!“).
8
Die deutschsprachigen Lehrwerke wurden eins zu eins ins Sorbische übersetzt.

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ten beiden Jahren verändert habe. Die einhellige Annahme ist, dass es keine Veränderungen
gibt:
Tabelle 5: Dominante Sprache der Kinder außerhalb des Unterrichts
Schule
Sprachdominanz
Veränderungen
in
der
Sprachdominanz im Laufe
der zwei Jahre
Bodwitz
Sorbisch
konstant
Sabitzen
Deutsch
konstant
Padozen
Sorbisch
konstant
Manwitz
Sorbisch
konstant
Kemwitz
Deutsch
konstant
Radowitz
Deutsch
konstant
Die Lehrerinnen und Lehrer berichten, dass die Kinder ihr Sprachverhalten ändern, je nach-
dem, mit wem sie sprechen. So komme es oft vor, dass sie in der Anwesenheit der sor-
bischsprachigen Lehrerin bzw. des sorbischsprachigen Lehrers auch außerhalb des Unterrichts
untereinander Sorbisch sprechen.
Kooperation mit den Eltern
Ein weiterer Fragebereich galt der Kooperation mit den Eltern (Abb. 7). Auch hier wurden die
Lehrerinnen und Lehrer gebeten, das elterliche Interesse am bilingualen Unterricht auf einer
Skala von 0 bis 10 zu bewerten.

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Abbildung 7: Das elterliche Interesse am bilingualen Unterricht
9
Die Graphik zeigt, dass die Einschätzung des elterlichen Interesses variiert. Lehrkräfte aus der
Schule Bodwitz bewerten das elterliche Interesse sehr positiv und verweisen darauf, dass so-
wohl die deutschen als auch die sorbischen Eltern sehr offen und an der bilingualen Erziehung
interessiert seien und am Schulleben aktiv teilnehmen. Die Lehrkräfte aus den Schulen Man-
witz und Radowitz sind mit der Kooperation mit den Eltern ebenfalls zufrieden. Sie berichten
über positives Feedback der Eltern in den Elternversammlungen, in den Elternsprechstunden
oder bei den Schulfesten und Projekten, in die die Eltern involviert sind. In beiden Schulen
nehmen die Lehrkräfte die Unterschiede zwischen eher sorbischen und eher deutschen Eltern
wahr. Die sorbischen Eltern seien an der Erhaltung der sorbischen Traditionen und Sprache
stärker interessiert als die ‚deutschen‘. Aus der Schule Padozen dagegen wird berichtet, dass
eher die deutschen Eltern Vorteile der bilingualen Erziehung sehen und offen gegenüber dem
neuen Schulmodell sind. Die sorbischen Eltern unterschätzten oft, was Kinder in einer bilin-
gualen Schule lernen können; sie seien der Meinung, dass es für die Aufrechterhaltung der
sorbischen Sprache und Kultur ausreichend ist, wenn zu Hause Sorbisch gesprochen wird. Die
Lehrkräfte aus Kemwitz wünschen sich mehr Unterstützung von Eltern und deuteten an, dass
nicht alle Eltern am zweisprachigen Unterricht interessiert seien; örtliche Nähe der Schule sei
9
Die Befragten aus der Schule Sabitzen haben sich bei der Beantwortung dieser Frage enthalten, weil sie keine
Klassenlehrerinnen in der Projektklasse waren.

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oft der einzige Grund für die Anmeldung der Kinder in einer bilingualen Schule. Dies wirke
sich auch negativ auf die Motivation der Kinder aus.
Alle befragten Lehrkräfte äußerten, dass sie über die häusliche Sprachpraxis und über die fa-
miliäre Situation ihrer Schülerinnen und Schüler sehr gut informiert sind.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Lehrerinnen und Lehrer die Einführung des bilin-
gualen Schulkonzeptes generell als positiv empfinden und große Fortschritte in der Sprach-
entwicklung der Kinder wahrnehmen. Die Kinder hätten einen besseren Zugang und positive-
re Einstellungen zur sorbischen Sprache, als dies vor Einführung des Modells der Fall gewe-
sen sei. Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler werden als gut wahrgenommen. Eine
der interviewten Lehrkräfte äußerte folgende Meinung: „Das effektivste Unterrichtsmodell,
um die sorbische Sprache zu erhalten, ist das bilinguale Modell.“ Auch die Eltern, die am An-
fang skeptisch gewesen seien, hätten großenteils bei den Elternsitzungen positives Feedback
zum zweisprachigen Schulmodell artikuliert. Es wurde betont, dass im bilingualen Modell ein
quasi natürliches Sprachmilieu geschaffen werde, was die Anforderungen an die Kinder er-
leichtere. Die Lehrkräfte betonen, dass sich auch die Kinder aus deutschen Elternhäusern nach
vier Jahren auf Sorbisch gut verständigen könnten. Vorteile der zweisprachigen Kinder wer-
den beim Fremdsprachenlernen
10
(besonders in Bezug auf slawische Sprachen) gesehen. Das
Projekt habe auch zur besseren Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen beigetragen:
„Man ist mehr zusammengewachsen“, sagte eine der befragten Lehrkräfte.
Eher negative Wahrnehmungen äußerten einige der Befragten mit Blick auf die materielle
Ausstattung des Modells – von der räumlichen Lage über zeitliche Ressourcen bis zur Aus-
stattung mit Material.
In Bezug auf organisatorische und methodisch-didaktische Aspekte des Unterrichts zeigt sich
eine große Heterogenität einerseits – vor allem mit Blick auf das Angebot des Sorbischen in
verschiedenen Unterrichtsbereichen und Fächern –, aber andererseits auch deutliche Homo-
genität, was etwa bevorzugte Unterrichtsmethoden anbelangt. In Hinsicht auf die Auskünfte
zum letzteren Aspekt ist zu vermuten, dass ein erheblicher Qualifikationsbedarf besteht, der
sich insbesondere auf die Aufgabe richtet, mit der Heterogenität der sprachlichen Bildungs-
voraussetzungen bei den Schülerinnen und Schülern optimal umzugehen.
10
In den sorbischen Schulen werden Englisch und slawische Sprachen (Polnisch, Tschechisch, Russisch) ange-
boten. Die slawischen Sprachen haben in den letzten Jahren in den sorbischen Schulen aufgrund der geographi-
schen Nähe und der Verwandtschaft zum Sorbischen an Bedeutung gewonnen.

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In den folgenden Kapiteln wenden wir uns den Ergebnissen zu, die wir über die sprachliche
Entwicklung der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I ermittelt haben. Wo dies
nach der Datenlage möglich ist, berücksichtigen wir für die Interpretation die Informationen
aus den Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern.
3. Zur Entwicklung der mündlichen Sprachkompetenz: Die Sprachhandlung
‚Erklären’
Im sechsten Schuljahr wurden mündliche Sprachproben erhoben und von der wissenschaftli-
chen Begleitung des Projekts statistisch ausgewertet. Die Kinder äußerten sich im Rahmen
eines Interviews zu sechs Bildimpulsen aus sozialen, naturwissenschaftlichen und medizini-
schen Kontexten. Es handelt sich um die gleichen Bildimpulse, die auch in der vierten Klasse
für die Analyse der Entwicklung mündlicher Sprachkompetenz eingesetzt wurden:
11
. Die Ge-
spräche mit den Kindern wurden aufgezeichnet und von den Lehrkräften transkribiert. An den
Universitäten Hamburg und Köln wurden die Texte analysiert. Nachfolgend werden die Er-
gebnisse dieser Analysen vorgestellt.
3.1 Zum Instrument „Sprachhandlungstypen: Erklären“
Für die Analyse der mündlichen Sprachproben im Sorbischen und im Deutschen wurde ein im
Modellprogramm ‚Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund’
FÖRMIG
12
entwickeltes und erprobtes Instrument für eine prozessorientierte Förderdiagnostik
eingesetzt. Das Instrument soll den Lehrkräften ermöglichen, die Sprachkompetenz im Deut-
schen differenziert einzuschätzen. Es handelt sich dabei um Sprachhandlungen (Beschreiben,
Erklären, Berichten, Argumentieren), die im Unterricht der natur- und sozialwissenschaftli-
chen Fächer gefordert sind. Um Aufgabestellungen im Unterricht bewältigen zu können ist es
notwendig, dass Schüler(innen) die spezifischen sprachlichen Mittel (Sprachhandlungen) be-
herrschen, die unterschiedliche Aufgabenformate verlangen. Für jeden Sprachhandlungstyp
liegen Auswertungsbögen in Form mehrdimensionaler Raster zur Erfassung der sprachlichen
Kompetenz und Entwicklung vor. Bei den zu analysierenden Sprachhandlungen werden fol-
gende Ebenen unterschieden:
1. Lexik/ Semantik
2.
Syntax (Satzbau und Satzverbindungen)
11
Die Bildimpulse trugen die folgenden Themen: „Bettlerin“, „Ultraschall“, „Labor“, „Müllkippe“, „Topfszene“.
12
http://www.foermig.uni-hamburg.de/

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3.
Text
4.
Kognition
Jede Ebene wird in Form von stufenförmig aufgebauten Kompetenzrastern (von Stufe 1 bis
Stufe 6) dargestellt.
13
Die Stufen 1 bis 3 beschreiben einen eher alltäglichen bzw. um-
gangssprachlichen Sprachgebrauch. Ab Stufe 4 werden die für die Bildungssprache typischen
Aspekte des Sprachgebrauchs erfasst. Von den Autoren des Verfahrens wird aber angemerkt,
dass die höchste Stufe 6 erst von den Schülern der 10. Klasse erreicht werden kann. Die Ska-
len sind also an einer curricularen Norm orientiert. Die höchste Stufe, die die Schüler(innen)
aus den Projektklassen erreicht haben, ist die Stufe fünf.
Warum wurde das Instrument „Sprachhandlung“ bei der Auswertung in der 6. Klasse einge-
setzt?
Dieses Instrument wurde zum einen eingesetzt, um den Deckeneffekt zu vermeiden, der be-
reits in der vierten Klasse bei der Analyse morphosyntaktischer Phänomene in den Sprach-
proben festgestellt wurde. Mit Hilfe der Sprachhandlungsanalyse werden die bildungssprach-
lichen, diskursorientierten Fähigkeiten der Schüler(innen) in den Fokus gerückt, weil das
grammatische System des Sorbischen und des Deutschen schon während der Grundschulzeit
angeeignet wurde und somit nicht als Indikator für Entwicklungen in der frühen Sekundarstu-
fe I dienen kann. Ein weiterer Grund für den Einsatz des Instrumentes liegt darin, dass bei der
Untersuchung der bildungssprachlichen Elemente im vierten Schuljahr anhand von grammati-
schen Phänomenen ein unausgewogenes Verhältnis zwischen der Verwendung der bildungs-
sprachlichen Elemente im Sorbischen und im Deutschen festgestellt wurde (Abb. 8). Mit an-
deren Worten: Die Analyse rein morphosyntaktischer Phänomene scheint zu wenig zu Aussa-
gen über die Entwicklung der bildungssprachlichen Fähigkeiten am Anfang der Sekundarstufe
beitragen zu können. Für das Sorbische galt darüber hinaus, dass die Indikatorfunktion der
Phänomene nicht im selben Maße abgesichert ist wie für das Deutsche. Dies illustriert die fol-
gende Graphik, in der sich die Unterschiede im Gebrauch bildungssprachlicher Redemittel in
beiden Sprachen abbilden.
13
Siehe Tabelle 6 im Abschnitt 3.3.1: Auswertungsraster für die Sprachhandlung Erklären

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Abbildung 8: Der Gebrauch der bildungssprachlichen Elemente im Sorbischen und im Deutschen in der
4. Klasse im Vergleich
Dieses Ergebnis hat folgende Fragen hervorgerufen: Wurden im Sorbischen überhaupt die
richtigen grammatischen Phänomene erfasst? Oder hält das Sorbische weniger bildungs-
sprachliche Elemente als das Deutsche vor?
Zur Klärung dieser Fragen wurde die Sprachhandlungsanalyse durchgeführt, die es einerseits
ermöglicht, die Werte in beiden Sprachen direkter miteinander zu vergleichen. Zum anderen
steht das sprachliche Handeln selbst stärker im Vordergrund, also der Einsatz grammatischer
und lexikalischer Werkzeuge zu einem bestimmten Zweck, statt eine funktionsentbundene
Analyse der sprachlichen Mittel.
Für die Auswertung der sprachlichen Entwicklung im Sorbischen und im Deutschen in der
Sekundarstufe wurde die Sprachhandlung „Erklären“ ausgewählt, weil sie für alle Unterrichts-
fächer von großer Bedeutung ist und zudem bei der Beschreibung der Bildimpulse zu erwar-
ten ist. „Für die hier vorgenommene Analyse ist aus linguistischer und somit sprachförder-
diagnostischer Sicht nicht der Inhalt, d.h. die fachliche Richtigkeit, interessant, sondern die
thematische Entfaltung der Erklärung, also die innere Logik und Struktur des thematischen
Zusammenhangs im Text. Die sprachliche Kompetenz, erklären zu können, zeigt sich darin,
wie ein Erklärungsgegenstand dargestellt und in Zusammenhänge gerückt wird. Auf sprachli-

image
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cher Ebene ist es entscheidend, dass die Fragen des
wie, warum, wozu etc.
überzeugend und
verständlich erläutert werden. Im schulischen Kontext kommt die Sprachhandlung
Erklären
in
der Regel als Teil einer komplexen Aufgabenkette vor, die sich oftmals in der Ablaufform
„Beschreibung-Erklärung, Erläuterung, Interpretation- Bewertung, Einschätzung“ vollzieht.
Im mündlichen Unterricht werden Schüler(innen) in allen Fächern häufig aufgefordert zu er-
klären, um das tatsächliche Verständnis eines Sachverhalts abzufragen. Nach dem bloßen Be-
nennen von Dingen zeigt nämlich erst die Fähigkeit zum Erklären, ob die inneren Zusammen-
hänge eines Phänomens oder Geschehens verstanden wurden und die einzelnen Elemente
sinnvoll strukturiert aufeinander bezogen werden können“ (Reich/ Roth/ Lengyel, 2009: 7).
Für die Analyse des Erklärens wurde nur der Impuls „Eine Müllkippe unter Palmen“ zum
Thema „Umwelt“ herangezogen (vgl. Abb. 9):
Abbildung 9: Der Bildimpuls
Die Sprachproben zu diesem Bild haben sich als die am besten geeignete für die Sprachhand-
lungsanalyse erwiesen, weil sie sowohl allgemeinen als auch bildungssprachlichen Sprachge-
brauch voraussetzen.

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3.1.1 Kodierung der Transkripte
Auf jeder Ebene (Lexik, Syntax, Text, Kognition, siehe unten) wurden die mündlich produ-
zierten Texte auf einer Skala von 1 bis 6 kodiert: 1 ist die niedrigste Stufe und 6 ist die höch-
ste (Tabelle 5):

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Tabelle 6: Auswertungsraster ‚Erklären’:

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Für die Kategorien ‚Lexik/ Semantik’ und ‚Syntax’ wurden bei allen Schüler(innen) sowohl
die niedrigste als auch die höchste Stufen bestimmt, so dass ein „Spektrum“ der Performanz
entsteht Ein Beispiel: Wenn ein Schüler bei der Bildbeschreibung sowohl verbales Zeigen
oder Joker als auch Fachbegriffe der schulischen Unterrichtsfächer verwendet, so bedeutet
dies, dass auf der Ebene ‚Lexik/ Semantik’ seine niedrigste Stufe 1 und seine höchste Stufe 5
ist; das Spektrum der sprachlichen Handlungsfähigkeit streut in dieser Kategorie über 4 Stu-
fen. Nach diesem Prinzip wurden die mündlichen Sprachproben aus dem 4. und 6. Schuljahr
im Deutschen und im Sorbischen vergleichend ausgewertet.
3.1.2 Zu den Ebenen Lexik, Syntax, Text, Kognition
Reich, Roth und Lengyel (2009) beschreiben die Analyseebenen wie folgt:
Die Ebene
Lexik
erfasst den Wortschatz sowie die Fähigkeit, diesen im Unterricht angemes-
sen anzuwenden; hier reicht das Spektrum von sehr rudimentären Vorläuferfähigkeiten bis hin
zum durchgeformten Fachwortschatz.
Die Ebene
Syntax
bezieht sich auf Kenntnis und Einsatz syntaktischer Strukturen, die zur
Formulierung von zusammenhängenden Aussagen notwendig sind; auch hier reicht das
Spektrum von nur erahnbaren Verbindungen bis hin zu aufwändigen und ökonomischen Bil-
dungen.
Die Ebene
Text
erfasst die konzeptionelle Fähigkeit, einen thematisch zusammenhängenden,
dem Zweck entsprechenden und fachangemessenen Text zu verfassen. Auf dieser Ebene wird
der Text als Ganzer eingeschätzt. Es besteht in der Regel kein Spektrum von weniger und
mehr durchgeformten Textteilen, sondern einen Gesamteindruck von der Kohärenz des Textes
(vgl. Reich/ Roth/ Lengyel, 2009:5-6).
Die Ebene
Kognition
bezieht sich auf die gedankliche Strukturierung der Zusammenhänge,
die im Text dargestellt werden. Erkennbar wird die kognitive Konzeptualisierung der Erklä-
rung in der Anknüpfung an (Vor-)Wissen oder allgemeines Weltwissen und in der Heranzie-
hung externer Kontexte. Im Mittelpunkt der Analyse steht auf dieser Ebene weniger die
sprachliche Gestaltung der Erklärung, die auf den anderen Ebenen entscheidend ist, sondern
die aufscheinende oder ausformulierte kognitive Struktur des Zusammenhangs im Text, fest-
gemacht am herangezogenen Wissen (vgl. Reich/ Roth/ Lengyel, 2009:18-19).

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3.2 Ergebnisse
Nachfolgend werden zunächst die Ergebnisse der Auswertung nach Sprachgruppen im Längs-
schnitt und im Querschnitt geschildert. Die in der 6. Klasse erreichten Werte werden in der
Längsschnittanalyse nach Sprachgruppen mit denen aus der 4. Klasse verglichen. Danach
wird in der Querschnittsanalyse ermittelt, ob die Schulzugehörigkeit die Entwicklung der
Sprachkompetenz im Deutschen und Sorbischen beeinflusst bzw. welche Unterschiede sich
zwischen den einzelnen Lerngruppen nachweisen lassen. Abschließend werden die Ergebnis-
se der 2Plus- Schüler(innen) im Deutschen mit den Werten der neu aufgenommenen Schü-
ler(innen) als Kontrollgruppe verglichen.
3.2.1 Längsschnittanalysen
An der mündlichen Sprachprobe im Sorbischen und im Deutschen haben 88 Schüler(innen)
teilgenommen.
3.2.1.1 Im Deutschen
Lexik (Qualität des Wortschatzes)
Grafik 10 stellt die von den 2Plus-Schüler(innen) erreichten Stufen auf der Ebene ‚Lexik/
Semantik’ im Deutschen vergleichend in der 4. und in der 6. Klassen dar:

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Abbildung 10: Wert ‚Lexik’ im Deutschen in der 4. und in der 6. Klassen nach Sprachgruppen
Sowohl in der 4. Klasse als auch in der 6. Klasse bestehen im Deutschen keine signifikanten
Unterschiede zwischen
den Sprachgruppen.
Nur die Kinder aus den dominant
sorbischsprachigen Familien weisen in der 6. Klasse signifikant bessere Ergebnisse als in der
4. Klasse auf (p = .001). Die Kenntnisse der Sprachgruppen 2 und 3 im Bereich ‚Lexik/
Semantik’ bleiben konstant. Dieses Ergebnis lässt sich durch den Deckeneffekt interpretieren:
schon in der 4. Klasse haben die 2Plus-Schüler(innen) hohe Werte auf dieser Ebene erreicht,
die in der 6. Klasse (beim gegebenen Bildimpuls) nicht überschritten werden können.
Neben der höchsten erreichten Stufe ist auch das oben erläuterte Spektrum von Interesse. Die
niedrigste erreichte Stufe in der Kategorie ‚Lexik/Semantik’ ist die zweite Stufe
(Näherungsbegriffe und umgangssprachliche Ausdrücke); die höchste Stufe ist Stufe fünf. In
der 4. Klasse weisen 22 Schüler(innen) (18%) Wortschatzkompetenz auf diesem Niveau auf.
In der 6. Klasse sind das schon 35 Schüler(innen) (28,7%). Dies lässt sich dahingehend
interpretieren, dass sich trotz der stagniereden Gesamtwerte eine Entwicklung hin zu einem
präzisen Fachwortschatz einstellt.

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Syntax
Wie die Entwicklung auf der Ebene ‚Satzbau und Satzverbindungen’ verlaufen ist, zeigt die
folgende Grafik 11:
Abbildung 11: Wert ‚Syntax’ im Deutschen in der 4. und in 6. Klasse nach Sprachgruppen
Obwohl die Balken auf der Abbildung in der 6. Klasse höher sind, also auf einen Zuwachs an
syntaktischen Mitteln deuten, bestehen statistisch gesehen keine signifikanten Unterschiede
zwischen den Sprachproben bei allen Sprachgruppen. Auch zwischen den Sprachgruppen in
beiden Schuljahren sind keine Differenzen festzustellen. Im Bereich ‚Syntax’ ist die gleiche
Tendenz wie beim Wortschatzgebrauch zu beobachten: Im Deutschen bestehen keine
Unterschiede zwischen den Kindern unterschiedlicher Sprachgruppen. Alle erreichen das
erwartbare Niveau.
Das Spektrum auf der Ebene ‚Syntax’ reicht von Stufe 1 (verblose Äußerungen) bis 4
(Verbindungen von Sätzen durch Verwendung angemessener Konjunktionen und Adverbien
(wenn… dann); Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen). Nur eine Schülerin hat im

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Deutschen die Stufe 5 (Verdichtung durch Nominalisierungen und Markierung einer
strukturellen Ordnung
14
) erreicht.
Beispiel:
Bildimpuls „Müllkippe“
Lehrerin: Was könnte man sonst mit demMüll machen?
Schülerin: Man könnte es zum Beispiel in eine Müll- in eine richtige
dafür
angefertigte Müllgrube
bringen, wo sie dann wiederverwendet wird.
Verwendet wird also eine Verdichtung als Ersatz für einen Relativsatz.
Vergleicht man die Spektren in der 4. und in der 6. Klasse, so stellt sich heraus, dass es kaum
Unterschiede in der syntaktischen Komplexität der Aussagen zwischen den Schuljahren gibt.
Die Stufe 4 wurde schon am Ende der Grundschule von 76 (62%) Schüler(innen) im
Deutschen erreicht.
Richtet man den Blick auf die niedrigsten Stufen auf dieser Ebene, so bemerkt man, dass
verblose Äußerungen (Stufe 1) bei jedem zweiten Kind bei der Bilderbeschreibung
vorkommen. Das war auch zu erwarten: Die Kinder zählen oft die Gegenstände auf, die sie
auf dem Bild sehen, oder geben eine kurze, aber funktional angemessene Antwort auf Fragen,
in denen eine syntaktische Struktur durch die Lehrkräfte bzw. Interviewer(innen)
vorweggenommen wird – die Kinder müssen sie also nicht mehr äußern.
Der nächste Analyseschritt betrifft die Entwicklung in der Strukturierung des Textes und in
der Kohärenz der Sprachhandlung.
Text
Die Grafik 12 bildet die Ergebnisse auf der Ebene ‚Text’ ab:
14
Diese syntaktischen Konstruktionen (Verdichtungen) kennzeichnen die Schriftlichkeit und kommen selten in
mündlichen Textsorten vor.

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Abbildung 12: Wert ‚Text’ im Deutschen in der 4. und in der 6. Klasse nach Sprachgruppen
Auch auf der Textebene bestehen im Deutschen keine Unterschiede zwischen den Sprach-
gruppen sowohl in der 4. Klasse als auch in der 6. Klasse, jedoch zeigt sich hier eine stärkere
Entwicklungsdynamik als in den vorherigen beiden Kategorien. In der 6. Klasse weisen die
Kinder der Sprachgruppen 1 und 3 signifikant höhere Mittelwerte auf als in der 4. Klasse. In
der Textkompetenz der Sprachgruppe 2 ist kein Zuwachs zu beobachten. Dieses Ergebnis
kann auch folgende Gründe haben: die Sprachgruppe 2 ist in der 6. Klasse nur durch acht
Schüler(innen) vertreten
15
und ist damit kleinste Gruppe in der Untersuchung.
Die Stufe 4 (Formulierung funktional gekennzeichneter Zusammenhänge, noch ohne tieferge-
hende Begründung) ist die höchste beobachtete auf der Ebene „Text“. Diese Stufe haben in
der 6. Klasse im Deutschen 28 Kinder (23%) erreicht. Es ist zu bemerken, dass in der 4. Klas-
se die Zahl der Schüler(innen) mit 16 (13%), deren Textkompetenz der Stufe 4 entsprach,
deutlich kleiner war. In der 6. Klasse sind die Werte gestiegen. Die niedrigste Stufe im Deut-
schen ist die Stufe 2; es handelt sich dabei um eine lückenhafte Beschreibung des Bildes.
Während in der 4. Klasse die Textkompetenz von 41 Schüler(innen) (33%) der Stufe 2 ent-
sprach, sank die Zahl auf 14 (11%) in der 6. Klasse. Die Stufe 3 (Aufscheinen eines Gesamt-
15
Ursprünglich haben an den Erhebungen in der Grundschule 20 Kinder aus sorbisch-deutschen Familien teilge-
nommen.

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zusammenhanges, einfache und eindeutige, aber noch nicht unbedingt vollständige Formulie-
rung) haben in der 6. Klasse 40% der Kinder erreicht. Hier ist also eine deutliche positive
Entwicklung über die zwei Schuljahre zu verzeichnen.
Kognition
Auf der Ebene ‚Kognition’ ist die gleiche Entwicklung wie auf der Ebene ‚Text’ zu bemerken
(Abb. 13):
Abbildung 13: Wert ‚Kognition’ im Deutschen in der 4. und in der 6. Klasse nach Sprachgruppen
Im Deutschen erzielen die Kinder unabhängig von der Sprachgruppenzugehörigkeit gleich
gute Ergebnisse. Die Werte der Sprachgruppen 1 und 3 haben sich in der 6. Klasse erhöht. Bei
der Sprachgruppe 2 ist keine signifikante Zunahme auf der Ebene ‚Kognition’ festzustellen,
was wiederum der geringen Gruppengröße geschuldet sein dürfte.
Auch auf der Ebene ‚Kognition’ sind die Stufen 1 (Kenntnis von Gegenständen und
Vorgängen: Gebrauch von einzelnen Nomen und Verben) bis 4 (Formulierung
eindimensionaler Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge oder Handlungsfolgen) vorzufinden. In
dieser Kategorie wiederholen sich die oben beschriebenen Ergebnisse auf der Textebene: die
niedrigste Stufe im Deutschen ist die zweite (Qualifizierung und Spezifizierung von

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Gegenständen und Vorgängen: Detaillierung mit Attributen); die höchste Stufe ist die vierte.
Die Zahl der Schüler(innen), die diese Stufe erreicht haben, ist im Deutschen von 21% auf
40% gestiegen. Die Stufe 3 (Verknüpfung von Einzelheiten zu einem Zusammenhang) ist bei
47% der Schüler in der 6. Klasse festzustellen.
Insgesamt ergibt sich demnach ein differenziertes Gesamtbild für die Entwicklung der
mündlichen Sprachkompetenz im Deutschen: Während die eher sprachsystematisch bedingten
Anteile für die Realisierung der Sprachhandlung (Kategorien Lexik und Syntax) keine
Entwicklungssprünge für die Gesamtgruppe offenbaren, ist dies für die Kategorien ‚Text’ und
‚Kognition’ durchaus der Fall. Ein Erklärungssansatz könnte folgendermaßen lauten:
Während die Kinder den (impulsabhängigen) Wortschatz, also Ausdrücke aus dem Wortfeld
‚Umweltverschnutzung’ sowie die wichtigsten syntaktischen Konstruktionen als Formen
schon während er Grundschulzeit erwerben, ist der diskurspragmatische Einsatz der Formen
für die Sprachhandlung Erklären (Kategorien Text und Kognition) etwas, was sich während
der Sekundarstufe I entscheidend weiterentwickelt. Der signifikante Zuwachs in den beiden
genannten Kategorien ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Kinder in den Interviews über
längere Passagen in der Lage waren, eine „textuelle Durchformung“ (vgl. Portmann-
Tselikas/Schmölzer-Eibinger 2008) ihrer Redeanteile zu erzielen.
3.2.1.2 Im Sorbischen
Im Sorbischen verläuft die Entwicklung innerhalb der Sprachgruppen nicht so homogen wie
im Deutschen.

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Lexik : Qualität des Wortschatzes
Abbildung 14: Wert ‚Lexik’ im Sorbischen in der 4. und in der 6. Klasse nach Sprachgruppen
In der 4. Klasse waren die Kinder der Sprachgruppe 1 im Sorbischen signifikant besser als die
Kinder der Sprachgruppen 2 und 3. In der 6. Klasse erreichen die Kinder der Sprachgruppe 2
das Niveau der Kinder aus den sorbischsprachigen Elternhäusern. Die Kinder der
Sprachgruppe 3 folgen weiterhin mit signifikantem Abstand. Vergleicht man die beiden
Sprachproben, so sind für die Sprachgruppen 2 (p = .02) und 3 (p = .033) signifikante
Zuwächse festzustellen. Die Sprachgruppe 1 hatte schon in der 4. Klasse altersgemäß hohe
Werte erreicht, die in der 6. Klasse konstant bleiben.
In der 4. Klasse war im Sorbischen Stufe 4 die höchste Stufe; nur 30% der Kinder (37
Schüler[innen]) lagen auf diesem Niveau. In der 6. Klasse ist die Zahl der Schüler(innen) auf
40 (33%) gestiegen; 5 Kinder besitzen Wortschatzkompetenz auf der Stufe 5. Die niedrigste
Stufe im Sorbischen ist die erste, die durch den Gebrauch von verbal begleiteten Zeigegesten
und von Jokern gekennzeichnet ist.

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Syntax
Abbildung 15: Wert ‚Syntax’ im Sorbischen in der 4. und in der 6. Klassen nach Sprachgruppen
In allen drei Sprachgruppen zeigt sich kein signifikanter Zuwachs im Gebrauch der
syntaktischen Konstruktionen von der 4. zur 6. Klasse. Betrachtet man die Sprachgruppen
einzeln, kommt man zum folgenden Ergebnis: In der 4. Klasse gab es einen statistisch
signifikanten Unterschied zwischen den Sprachgruppen 1 und 2 (p = .001), in der 6. Klasse
verbessert sich gering der Mittelwert der Sprachgruppe 2 und nähert sich dem Wert der
Sprachgruppe 1 an. Statistisch unterscheiden sich die Kinder der Sprachgruppen 1 und 2 auf
dieser Ebene nun nicht mehr (p = .213; nicht signifikant). Die Ergebnisse der Sprachgruppe 3
bleiben in der 6. Klasse auf der Ebene ‚Syntax’ trotz leichter Zuwächse auf dem gleichen
Niveau wie in der 4. Klasse und liegen signifikant unter denen der Sprachgruppen 1 und 2 (p
= .009).
Auch auf dieser Ebene liegt das Stufenspektrum zwischen 1 und 4. Schon in der 4. Klasse
hatten 43% der Schüler(innen) die Stufe 4 erreicht. Diese Stufe „beschreibt die Fähigkeit,
Sätze durch die Verwendung (…) der Konjunktionen und Adverbien zu verbinden“ (Reich/
Roth/ Lengyel, 2009: 14).

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Text
Abbildung 16: Wert ‚Text’ im Sorbischen in der 4. und in der 6. Klasse nach Sprachgruppen
Auch auf der Ebene ‚Text’ sind im Sorbischen weiterhin die schon bekannten Differenzen
zwischen den Sprachgruppen zu erkennen. In der 4. Klasse zeigte die Sprachgruppe 1 signifi-
kant bessere Werte als die Sprachgruppen 2 und 3. In der 6. Klasse bleibt die Sprachgruppe 1
in dieser Kategorie auf demselben Niveau und unterscheidet sich nicht mehr von der Sprach-
gruppe 2 (p = .239). Obwohl die Werte der Kinder aus deutschen Elternhäusern im Sorbi-
schen signifikant gestiegen sind (p = .012), erreichen sie – erwartungsgemäß – doch nicht das
Niveau der Sprachgruppen 1 und 2.
Aus der Stufenanalyse ergibt sich, dass die Mehrheit der Kinder die Stufe 3 im mündlichen
Sprachgebrauch erreicht hat. Nur 15 Schüler(innen) (12%) haben bei der Bilderbeschreibung
zusammengesetzte Sätze verwendet, die der Stufe 4 entsprechen. Das häufige Vorkommen
unvollständiger Sätze (Stufe 1) bei der Bilderbeschreibung kann auch hier darauf zurückzu-
führen sein, dass die Gesprächsführung entsprechend verkürzte Äußerungen hervorlockte.

40
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Kognition
Auf der Ebene ‚Kognition’ ist erneut das Bild erkennbar, das bereits aus der Untersuchung der
Ebenen ‚Lexik/ Semantik’, ‚Syntax’ und ‚Textkohärenz’ bekannt ist:
Abbildung 17: Wert ‚Kognition’ im Sorbischen in der 4. und in der 6. Klasse nach Sprachgruppen
Die Kinder aus den sorbischen und sorbisch-deutschen Familien bewegen sich auf derselben
Stufe im Bereich „Kognition“ und weisen in der 6. Klasse keine signifikanten Unterschiede
auf (p = .117). Ein signifikanter Zuwachs in der 6. Klasse ist nur bei den deutschen Kindern
zu verzeichnen (p = . 002). Die Kompetenz der Schüler(innen) auf dieser Ebene umfasst die
Stufen von 1 bis 4. 25% der Schüler(innen) erreichen die Stufe 4, für die monokausale
Erklärungen kennzeichnend sind. 40% der Kinder liegen auf der Stufe 3. Diese Stufe markiert
die Fähigkeit, Einzelheiten sprachlich zu einem Zusammenhang zu verknüpfen.
3.2.1.3 Zusammenfassung
Die Auswertung der mündlichen Sprachproben nach Sprachgruppen lässt folgende
Schlussfolgerungen zu:

41
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Im Deutschen bestehen in der 6. Klasse keine Unterschiede zwischen den
Sprachgruppen. Auf der Ebene ‚Lexik’ hat sich nur der Mittelwert der Sprachgruppe 1
gesteigert. Bei der Sprachgruppe 2 ist im Deutschen mit statistischen Mitteln kein
Fortschritt zu beobachten, was jedoch der geringen Größe der Gruppe geschuldet ist.
In der 4. Klasse erreicht die Sprachgruppe 1 im Sorbischen meist signifikant höhere
Werte im Vergleich mit den anderen Sprachgruppen. In der 6. Klasse hat sich die
Sprachgruppe
2
den
Schüler(innen)
aus
den
dominant
sorbschsprachigen
Elternhäusern angenähert und weist auf allen Ebenen ‚Lexik/ Semantik’, ‚Syntax’,
‚Textkohärenz’ und ‚Kognition’ ähnliche Kompetenzen auf. Für die Sprachgruppe 1
sollte aufgrund der stagnierenden Werte im Sorbischen jedoch anhand der weiteren
Untersuchungskategorien überprüft werden, inwiefern sich dort Entwicklungen
verfolgen lassen.
Die Sprachgruppe 3 zeigt im Sorbischen sowohl in der 4. Klasse als auch in der 6.
Klasse einen signifikanten Abstand zu den Sprachgruppen 1 und 2. Auf der Ebene
‚Syntax‘ ist eine Stagnation zu beobachten. Die Werte in den Kategorien ‚Lexik‘,
‚Text‘ und ‚Kognition‘ haben sich jedoch gesteigert. Es wäre insgesamt zu erwarten
gewesen, dass bei der Sprachgruppe 3 Zuwächse vor allem in den beiden
sprachsystematischen Kategorien Lexik und Syntax vorzufinden sind. Angesichts der
Stagnation im Bereich Syntax ist – auch vor dem Hintergrund von Auskünften aus der
Lehrerbefragung – eine naheliegende Erklärung, dass der Schwerpunkt der
Unterrichtsarbeit auf der Wortschatzförderung gelegen hat. Hier wäre dann eine
Verlagerung des unterrichtlichen Fokus ratsam.
Das Erreichen der Stufe 4 im Sorbischen und im Deutschen markiert den Schritt vom
einfachen, alltäglichen Sprachgebrauch zur Bildungssprache, die sich aus Alltags-, Schul-,
Fach-
und
Wissenschaftssprache
ergibt
und
für
den
institutionenspezfischen
Sprachgebrauch in der Schule typisch ist. Eine Analyse des Vorgehens im Unterricht, die
in den Schulen selbst vorgenommen werden müsste, wäre hier ratsam: Wird den
Schülerinnen und Schülern das sprachliche Angebot hinreichend gemacht, das sie instand
setzen würde, den Weg von alltäglichem zu bildungssprachlichem Sprachgebrauch zu
gehen?
3.2.2 Querschnittsanalyse
Nachfolgend werden die Ergebnisse der sorbischen und der deutschen Sprachproben aus dem
6. Schuljahr im Querschnitt miteinander verglichen. Diese Analyse ist – zumindest in der Ka-

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tegorie ’Sprachvergleich’ – mit Vorsicht zu betrachten, weil die Sprachsysteme des Sorbi-
schen und des Deutschen sehr verschieden sind; ein direkter Vergleich ist also eigentlich un-
zulässig. Die folgende Auswertung hat also rein illustrativen Charakter und kann Hinweise
darauf geben, wo sich möglicherweise unterschiedliche Akzentuierungen des Sprachangebots
bemerkbar machen, das die Lernenden (nicht nur im Unterricht) erhalten. Dieser Abschnitt
weist teilweise die gleiche Struktur wie das vorherige Kapitel „Längsschnittanalyse“ auf: Für
die Untersuchung der Balance der Zweisprachigkeit wird weiterhin nach den 4 Kategorien
‚Lexik’, ‚Syntax’, ‚Textkohärenz’, ‚Kognition’ unterschieden. Für den Lerngruppen- und
Kontrollgruppenvergleich werden jedoch Gesamtwerte herangezogen.
3.2.2.1 Sprachvergleich
Beim folgenden Vergleich konnten wiederum nur die 2-Plus-Kinder berücksichtigt werden,
da von den im fünften Schuljahr neu aufgenommenen Schülerinnen und Schüler keine sorbi-
schen Sprachproben vorliegen.
Lexik
Abbildung 18: Sprachvergleich ‚Lexik’

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Vergleicht man die Sprachen untereinander, so sieht man, dass die Kinder aller
Sprachgruppen in der 6. Klasse bessere Ergebnisse
16
im Deutschen erzielen als im
Sorbischen. Es lässt sich hinsichtlich der Qualität des Wortschatzes im Sinne fachsprachlicher
Auswahl von Lexemen also eine Dominanz des Deutschen konstatieren.
Syntax
Abbildung 19: Sprachvergleich ‚Syntax’
Im Bereich ‚Syntax’ findet sich ein ähnliches Ergebnis wie im vorigen Abschnitt berichtet:
Die Kinder aus den sorbischen und sorbisch-deutschen Familien haben in der 6. Klasse auf
der Ebene ‚Syntax’ die gleiche Kompetenz in beiden Sprachen entwickelt und unterscheiden
sich nicht voneinander. Bei der Sprachgruppe 3 bleibt der Abstand zwischen den Sprachen im
6. Schuljahr erhalten (p = .000). Wie die Abbildung 11 veranschaulicht, ist der Mittelwert die-
ser Kinder im Sorbischen niedriger als bei den Sprachgruppen 1(p = .000) und 2 (p = .009).
Diese Illustration deutet auf eine balancierte Zweisprachigkeit in dieser Kategorie bei den
Kindern der Sprachgruppen 1 und 2.
16
Sprachgruppe 1 (p = .000), Sprachgruppe 2 (p = .034), Sprachgruppe 3 (p = .001).

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Textkohärenz
Abbildung 20: Sprachvergleich ‚Text’
Die Auswertungen zur Textkompetenz zeigen, dass die Kinder aus den sorbischen Elternhäu-
sern in beiden Sprachen etwa gleich abschneiden. Die Schüler(innen) aus den sorbisch-
deutschen und den deutschen Familien weisen hingegen im Deutschen eine stärker ausgepräg-
te Textkompetenz als im Sorbischen auf.
17
17
Bei der Sprachgruppe 2 liegt der Signifikanzwert bei (p = .046), bei der Sprachgruppe 3 bei (p = .000).

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Kognition
Abbildung 21: Sprachvergleich Kognition
Mit Blick auf den Bereich Kognition ist ebenfalls festzustellen, dass die Sprachgruppe 1 im
Deutschen und im Sorbischen die gleiche Stufe erreicht, die Sprachgruppen 2 und 3 hingegen
höhere Werte im Deutschen erzielen.
18
Zusammenfassung
Die Querschnittanalyse bestätigt, dass es im Deutschen keine Differenzen zwischen den
Sprachgruppen gibt. Das Ergebnis im Sorbischen überrascht auch nicht: Die Sprachgruppen 1
und 2 erzielen auf allen vier Ebenen bessere Ergebnisse als die Sprachgruppe 3. Vergleicht
man die Sprachen untereinander, so sieht man folgendes (ebenfalls erwartungskonforme)
Bild: Die Sprachgruppe 3 erzielt auf allen Ebenen signifikant bessere Ergebnisse im Deut-
schen. Die Sprachgruppe 2 hat sich im Sorbischen der Sprachgruppe 1 angenähert, erreicht
aber nur auf der Ebene ‚Syntax, Satzbau’ die gleichen Werte in beiden Sprachen. Auf den an-
deren Ebenen ist auch diese Sprachgruppe stärker im Deutschen. Die Sprachgruppe 1 verfügt
auf den Ebenen ‚Syntax’, ‚Text’, ‚Kognition’ über ungefähr ausgewogene Kompetenz in den
beiden Sprachen, also über eine balancierte Zweisprachigkeit. Dies ist vor dem Hintergrund
18
Signifikanzwert der Sprachgruppe 2:( p = .046), Signifikanzwert der Sprachgruppe 3: (p = .000)

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einiger Ergebnisse aus der vierten Klasse ein immens wichtiges Resultat: Insbesondere die
bildungssprachlich relevanten Ebenen ‚Text’ und ‚Kognition’, zeigen, dass die Kinder auch
im Medium des Sorbischen einen ‚bildungssprachlichen Modus’ realisieren können. Die Ana-
lyse morphosyntaktischer Einzelphänomene griff also zu kurz, um die Performanz der Kinder
im Deutschen und Sorbischen adäquat miteinander zu vergleichen. Die Kinder der Sprach-
gruppe 1 zeigten einzig in der Kategorie ’Lexik’ eine nicht balancierte Zweisprachigkeit. Dies
lässt sich mit der größeren kommunikativen Reichweite des Deutschen erklären: Es bietet als
dominante Sprache in Wissenschaft, Arbeitswelt und Medien einfach den stärker ausgebauten
Fachwortschatz. Die Balance der Sprachgruppe 1 (und teilweise auch der Sprachgruppe 2) in
den anderen Kategorien zeigt dagegen, dass die Kinder die kognitiven Strategien in der
Sprachhandlung ‚Erklären’ – also den Kern bildungssprachlicher Kompetenz – auch im Sor-
bischen realisieren können.
Im Weiteren wird analysiert, ob sich in der 6. Klasse Unterschiede zwischen den einzelnen
Lerngruppen manifestieren.
3.2.3.2 Lerngruppenvergleich
In diesem Kapitel wird mittels einfaktorieller Varianzanalysen überprüft, wie sich die Lern-
gruppen im sechsten Schuljahr zueinander verhalten. Aus Gründen der Darstellungsökonomie
und weil im Folgenden keine sprachenübergreifenden Vergleiche mehr vorgenommen wer-
den, wird im Weiteren die mündliche Sprachkompetenz im Erklären anhand eines Gesamt-
wertes berichtet, der sich aus dem Quotienten der Summe der Einzelkategorien und vier er-
gibt. Es ist also auf einen Blick erkennbar, auf welcher globalen Stufe sich die Kinder in den
jeweiligen Gruppen bewegen. Abbildung 22 zeigt, welche Gesamtwerte im Erklären die ein-
zelnen Lerngruppen erreichen. Es ist ersichtlich, dass sich durchaus Unterschiede zwischen
den Lerngruppen manifestieren, die Kinder aus Kemwitz und Sabitzen offenbaren eine Ten-
denz zur dritten Stufe, während die anderen Lerngruppen der Stufe 4 näher liegen.

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Abbildung 22: Lerngruppenvergleich Gesamtwert ‚Erklären’
Die mit der Abbildung korrespondierende einfaktorielle Varianzanalyse zeigt, dass sich die
Lerngruppen in 4 homogene Untergruppen aufteilen:
Tabelle 7: Homogene Untergruppen im Deutschen (Lerngruppen) ‚Wert Erklären’
Wert Erklären Deutsch 6
19
Duncan
a,,b
SchuleSekI
N
Subset for alpha = 0.05
1
2
3
4
Sabitzen
15
3,1667
Kemwitz
24
3,2396
3,2396
Padozen
8
3,5625
3,5625
Manwitz
22
3,6477
3,6477
Radowitz
9
3,8333
3,8333
19
Tabellen mit homogenen Untergruppen sind folgendermaßen zu lesen: Gruppen innerhalb einer Spalte unter-
scheiden sich nicht signifikant voneinander. Der Signifikanzwert in der letzten Zeile kann als Maß für die Ho-
mogenität der Untergruppe gelesen werde: Je weiter dieser Wert über dem Konventionalwert von 0.05 liegt, des-
to einheitlicher die Gruppe.

image
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Bodwitz
20
3,9750
Sig.
,673
,064
,141
,075
Neben Bodwitz lassen sich demnach die Schulen in Manwitz und Radowitz der stärksten
Gruppe zuordnen. Den Gegenpol dazu bilden die Schulen in Kemwitz und Sabitzen. Wie auf
Seite 9 erwähnt wurde, gehören die in die Untersuchung involvierten Schulen zu zwei Typen:
Mittelschule und Gymnasium. Auf dem Gymnasium sind die hohen Absolutwerte aufgrund
des Selektionseffektes zu erwarten; es liegt ja in der Logik des Systems, dass die stärksten
Kinder eines Jahrganges ein Gymnasium besuchen. Daher lohnt es sich, bei dem Vergleich
zwischen den Lerngruppen die unterschiedliche Ausgangslage der Schülerinnen und Schüler
zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck wurde für jedes Kind ein Erwartungswert gebildet, der
sich aus dem mittleren Zuwachs für die Gesamtgruppe nach der folgenden Formel errechnet:
Erwartungswert = Ausgangswert 4. Schuljahr + Mittelwert(6. Schuljahr - 4. Schuljahr)
Aus dem Vergleich zwischen Erwartungswert und tatsächlichem Mittelwert für jede Lern-
gruppe geht also die Entwicklungsdynamik hervor, aus der vorsichtig auf die Qualität des Un-
terrichts zurückgeschlossen werden kann. Abb. 23 zeigt die Mittelwerte im sechsten Schuljahr
im Vergleich mit den Erwartungswerten.

image
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Abbildung 23: Entwicklung im Gesamtwert Erklären nach Lerngruppen
Es zeigt sich, dass zwei Lerngruppen größere Unterscheide zwischen Erwartungswert und be-
obachtetem Wert aufweisen: Das sind Bodwitz und Padozen. Während also in Bodwitz die
Kinder (statistisch signifikant (p = .002)) bessere Ergebnisse erzielen als erwartet, liegen die
Kinder in Padozen im Deutschen unterhalb der Erwartungswerte. Somit resultiert der hohe
Absolutwert der Schule Bodwitz aus einer vergleichsweise intensiven Förderung der Kinder
im Deutschen.
Wie sieht nun ein Vergleich der Lerngruppen im Sorbischen aus? Es ist zu erwarten, dass sich
die unterschiedliche Zusammensetzung der Lerngruppen hinsichtlich der Sprachgruppen be-
merkbar macht. Abb. 24 zeigt zunächst die erreichten Absolutwerte.
Abbildung 24: Gesamtwert ‚Erklären’ im Sorbischen nach Lerngruppen
Die Ergebnisse fallen heterogener aus als im Deutschen, und erwartungsgemäß sind es die
Lerngruppen mit vielen Schülerinnen und Schülern der Sprachgruppe 1 (Bodwitz und Pado-
zen), die die höchsten Werte erreichen. Der Hinweis aus den Lehrergesprächen, dass in den
Schulen mit den besten Ergebnissen im Sorbischen eine größere Auswahl an Lernbereichen

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und Fächern für den Unterricht dieser Sprache zur Verfügung steht, geht mit diesem Ergebnis
konform.
Wie Tab. 8 zeigt, teilen sich die Lerngruppen auch im Sorbischen in vier homogene Unterg-
ruppen auf, die sich allerdings trennschärfer als im Deutschen gegeneinander absetzen. Den
Gegenpol zu den oben genannten starken Lerngruppen bilden hier die Schulen in Kemwitz
und Radowitz
20
, wobei Radowitz mit ausschließlich Kindern der Sprachgruppe 3 einen höhe-
ren Mittelwert erzielt als die heterogene Lerngruppe in Kemwitz.
Tabelle 8: Homogene Untergruppen im Sorbischen (Lerngruppen) Wert Erklären
Wert Erklären Sorbisch 6
Duncan
a,,b
SchuleSekI
N
Subset for alpha = 0.05
1
2
3
4
Kemwitz
12
1,4792
Radowitz
5
1,9000
1,9000
Sabitzen
2
2,2500
Manwitz
21
2,8690
Bodwitz
28
3,5000
Padozen
16
3,5313
Sig.
,157
,238
1,000
,916
Abb. 25 zeigt nun, korrespondierend zur Analyse im Deutschen, die beobachteten Werte und
die Erwartungswerte für das mündliche Erklären im Sorbischen. Im Gegensatz zum Deut-
schen stechen hier keine Lerngruppen mit größeren Unterschieden zwischen den beiden Wer-
ten heraus. Dies kann so interpretiert werden, dass die Heterogenität hinsichtlich der Abso-
lutwerte sich nicht aus den didaktischen Bedingungen in den Lerngruppen erklären lassen,
sondern tatsächlich von äußeren Faktoren abhängen. Auffällig ist allenfalls, dass sich eine
gewisse Umkehr beobachten lässt: Während die Schule in Padozen im Sorbischen (im Gegen-
satz zum Deutschen) eine höhere Entwicklungsdynamik als die Gesamtgruppe aufweist, liegt
20
Die Lehrerbefragung hat ergeben, dass in Kemwitz und Radowitz nur vier bis fünf Fächer auf Sorbisch bzw.
bilingual gehalten werden. In Bodwitz, Manwitz und Padozen sind das sieben bis neun Fächer.

image
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sie für die Kinder aus Bodwitz leicht darunter. Diese Unterschiede sind allerdings nicht signi-
fikant.
Abbildung 25: Entwicklung im Gesamtwert Erklären im Sorbischen nach Lerngruppen
Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Absolutwerte im Deutschen tendenziell
einheitlicher ausfallen als im Sorbischen, was durch das bekannte Phänomen der Bedeutung
der Sprachgruppenzugehörigkeit im Sorbischen erklärt werden kann: Die Sprachgruppenzu-
sammensetzung in den Lerngruppen ist ja sehr unterschiedlich. Im Deutschen fallen zwei
Lerngruppen auf, deren in der sechsten Klasse zu beobachtende Mittelwerte auffällig von den
Erwartungswerten abweichen: Eine Beschleunigung der Entwicklungsdynamik war bei den
Kindern aus Bodwitz zu beobachten, während für die Kinder aus Padozen höhere Werte zu
erwarten gewesen wären. Im Sorbischen kehrt sich dieser Trend um, wenngleich nicht signi-
fikant: Während Erwartungswert und tatsächlicher Mittelwert für die meisten Lerngruppen
auf einem Niveau liegen, ist die Entwicklungsdynamik in Padozen hier etwas höher als in den
anderen Schulen, in Bodwitz etwas niedriger.

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3.2.3.3 Vergleich der 2-Plus SchülerInnen mit der Kontrollgruppe
Um mögliche Effekte des bilingualen Unterrichts auf die Sprachentwicklung im Deutschen
abschätzen zu können, wurden im Rahmen der Erhebungen im sechsten Schuljahr nicht nur
Sprachproben bei den Kindern durchgeführt, die während der Grundschulzeit eine 2-Plus
Schule besucht hatten, sondern auch bei ihren Mitschülerinnen in der Sekundarstufe I, die bis-
lang monolingual beschult wurden. Die Sprachproben der letztgenannten Kinder wurden nur
auf Deutsch erhoben, so dass der Vergleich vor allem Aussagen darüber erlaubt, ob der bilin-
guale Unterricht einen Effekt auf die Sprachentwicklung im Deutschen ausübt.
Abb. 26 zeigt zunächst den direkten Vergleich der globalen Werte zum Erklären zwischen
den beiden oben erläuterten Gruppen.
Abbildung 26: Vergleich mit der Kontrollgruppe
Es ist zu erkennen, dass die 2-Plus Kinder höhere Werte erzielen als die Kontrollgruppe, wel-
che sich auch als statistisch signifikant herausstellen (p = .006). Dies gibt einen klaren Hin-
weis darauf, dass der zweisprachige Unterricht während der Grundschule nicht zu Lasten der
Sprachentwicklung im Deutschen geht. Dieser Annahme soll nun genauer auf den Grund ge-
gangen werden, indem der Vergleich mit der Kontrollgruppe nach Sprachgruppen differen-
ziert wird. Insbesondere die Sprachgruppe 3 ist hier von Interesse, da diese meist ohne Sor-
bischkenntnisse eingeschult wurde; es kann also angenommen werden, dass diese Kinder viel

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‚Energie’ in den Sorbischerwerb investieren mussten, die aus einem alltäglichen Verständnis
heraus als für die Sprachentwicklung im Deutschen fehlend interpretiert werden kann („Time
on Task Hypothese“).
Abbildung 27: Vergleich der Sprachgruppen mit der Kontrollgruppe
Abb. 27 zeigt jedoch, dass auch die Kinder der Sprachgruppe 3 einen höheren Mittelwert er-
zielen als die der Kontrollgruppe. Wenn dieser Unterschied auch nicht statistisch signifikant
ausfällt, so ergibt sich mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p = .093 dennoch ein klarer
Trend. Somit erzielen also auch Kinder, die ohne oder mit sehr geringen Sorbischkenntnissen
eingeschult werden, nach 6 Jahren bilingualem Unterricht im Deutschen eine tendenziell hö-
here bildungssprachliche Kompetenz als einsprachig Deutsch beschulte Kinder. Dieses Er-
gebnis gilt es natürlich anhand der Ergebnisse zu den weiteren Sprachproben zu überprüfen.
3.2.4 Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich folgendes festhalten:
Die Sprachgruppe 1 zeigt im Deutschen eine stärkere Entwicklungsdynamik als im Sorbi-
schen, jedoch weist sie weiterhin in den meisten Kategorien eine balancierte Zweisprachigkeit

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auf. Für die Sprachgruppe 2 scheint sich in etwa das zu verwirklichen, was im Bericht zum
ersten Schuljahr antizipiert worden war: Eine Angleichung an die Kompetenzen der Sprach-
gruppe 1. Für die Sprachgruppe 3 war seinerzeit angenommen worden, dass sie trotz einer
starken Entwicklung nicht das gleiche Niveau wie die Kinder mit sorbischer Sprachpraxis in
den Familien erreichen würden. Auch dies trifft zu: Die Sprachgruppe 3 weist im Sorbischen
eine starke Entwicklung auf, dennoch sind die Kinder weiterhin dominant im Deutschen und
zeigen im Sorbischen signifikante Abstände zu den Sprachgruppen 1 und 2. Dennoch haben
sie eine grundlegende sprachliche Handlungsfähigkeit im Sorbischen erworben.
Die Analyse mit den Sprachhandlungsrastern konnte zeigen, dass die Schüler(innen) im Me-
dium der sorbischen Sprache in ähnlicher Weise einen bildungssprachlichen Modus realisie-
ren können wie im Deutschen. Die im Bericht zum vierten Schuljahr festgestellten Diskrepan-
zen zwischen den beiden Systemen konnten nicht bestätigt werden. Einzig im Bereich Wort-
schatz scheint das Deutsche die umfangreicheren Ressourcen zu bieten.
Auf der Ebene der Lerngruppen zeigen sich im Deutschen naturgemäß geringere Unterschiede
als im Sorbischen. Die Entwicklungsdynamik war im Deutschen in Bodwitz besonders hoch,
im Sorbischen dagegen ging besonders in der Schule Padozen der Trend zu einer starken
Entwicklung.
Als bemerkenswert erweist sich der Vergleich der Projektschülerinnen mit der Kontrollgrup-
pe. Die zuerst genannten erzielen – auch nach Sprachgruppen differenziert – durch die Bank
bessere Ergebnisse als die monolingual beschulten Kinder. Dies ist ein klarerer Hinweis auf
die Effektivität des bilingualen Modells, in dem in derselben Lernzeit wie im einsprachigen
Modell Fähigkeiten in zwei Sprachen vermittelt werden.
4.
Schreibkompetenz
und
Schreibentwicklung:
Erhebungen
mit
dem
Diagnoseintrument „Der Sturz ins Tulpenbeet“
In diesem Kapitel wird untersucht, wie sich die schriftsprachlichen Kompetenzen aller Schü-
lerinnen und Schüler im sechsten Schuljahr darstellen und – nur für die 2Plus Schüler(innen)
– wie sich diese Kompetenzen seit dem vierten Schuljahr im Sorbischen und Deutschen wei-
terentwickelt haben. Zur Erhebung der Schreibkompetenz im sechsten Schuljahr wurde – wie
schon in der vierten Klasse, das Instrument ‚Tulpenbeet’ als Erhebungsinstrument eingesetzt
(vgl. Bericht 2009); die Kinder sind hier aufgefordert, einen Erzähltext zu einer Bilderge-

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schichte als visuellem Impuls zu verfassen. Die Schülerinnen und Schüler befinden sich zu
Beginn der Sekundarstufe I hinsichtlich der Entwicklung ihrer Literalität im Umbruch. In der
Schule spielen narrative Texte zwar immer noch eine wichtige Rolle; im Zusammenhang mit
den zunehmend komplexen Inhalten des Sach- und Fachunterrichts werden aber auch solche
Textsorten relevant, in denen anspruchsvolle Inhalte kognitiv verarbeitet und sprachlich trans-
formiert werden müssen, wie etwa im anleitenden oder argumentierenden Schreiben. Die Fä-
higkeit, Geschichten zu verfassen, stellt jedoch eine wichtige Vorläuferkompetenz zu solchen
– im engeren Sinne bildungssprachlichen – Fähigkeiten dar. Die zentrale Fragestellung der
folgenden Abschnitte lautet daher, inwiefern es im bilingualen Unterricht gelungen ist, diese
Kompetenz der Schülerinnen und Schüler in den beiden Sprachen auszubauen.
Das Design der Evaluation bietet in diesem Zusammenhang einen geeigneten Beobachter-
standpunkt: Neben der Erzählkompetenz werden die literalen bildungssprachlichen Fähigkei-
ten der Schülerinnen und Schüler auf der rezeptiven Seite vor allem durch die Erhebung der
Lesekompetenz mit den Testheften der IGLU-Studie zugänglich (vgl. Kap. 5.). Somit lässt
sich insgesamt ein Eindruck über die Entwicklung wichtiger Schlüsselkompetenzen ermitteln
– einerseits über die Fähigkeit, schriftliche Texte für andere herzustellen und andererseits über
die Fähigkeit, Informationen aus Texten zu entnehmen und diese gedanklich zu verarbeiten.
Dieses Kapitel gliedert sich in zwei Hauptabschnitte. Zunächst wird der Längsschnitt betrach-
tet, indem die Schreibentwicklung derjenigen Schülerinnen und Schüler nachvollzogen wird,
die in der Grundschule mit unterschiedlichen Vorkenntnissen im Sorbischen am Modellver-
such teilgenommen haben. In einem zweiten Schritt werden die Schülerinnen und Schüler, die
in der Sekundarstufe I neu hinzugekommen sind, in eine Querschnittsbetrachtung einbezogen
– zum einen, um gegebenenfalls Unterschiede zwischen den Lerngruppen festzustellen, zum
anderen aber auch, um die Leistungen der ‚neuen’ und ‚alten’ Schülerinnen und Schüler di-
rekt miteinander in Beziehung zu setzen und somit zusätzlichen Aufschluss über die Wirkung
des zweisprachigen Modells zu erhalten.
Im Gegensatz zum Abschlussbericht der Grundschule, in dem viele unterschiedliche Maße
zum Tulpenbeet berichtet wurden, erfordert die Komplexität der oben skizzierten Quer-
schnitts- und Längsschnittbetrachtungen eine kompaktere Darstellung. Wie explorative Ana-
lysen mit den aus dem vierten Schuljahr vorliegenden Daten zeigen, kann die Vielzahl der mit
dem Tulpenbeet erhobenen Daten auf zwei aggregierte Werte je Sprache zusammengefasst
werden, die dennoch differenzierten Aufschluss über zwei zentrale Aspekte der Sprachkom-
petenz bieten. Diese Skalierung des Instrumentes soll im Folgenden zunächst dargestellt wer-
den, bevor die eigentlichen Ergebnisse berichtet werden.

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4.1 Indikatoren und Maße
Nachfolgend werden sowohl der theoretische Rahmen als auch die rechnerischen Prozeduren
für die Aggregierung der Variablen auf zwei Werte für jede Sprache erläutert. Es handelt sich
bei den zwei Werten im Prinzip um die Summe von Variablen, denen auf statistische Art und
Weise nachgewiesen wurde, dass sie ‚dasselbe messen’, also Ausdruck der gleichen sprachli-
chen Kompetenzdimension sind. Im vorliegenden Fall können die aggregierten Werte als
Ausdruck von einzelsprachlicher Kompetenz und Erzählfähigkeit interpretiert werden.
4.1.2 Theoretischer Rahmen
Aus der Spracherwerbsforschung ist das Konzept eines modularen Aufbaus der Sprachkom-
petenz bekannt. Die menschliche Fähigkeit zu mündlicher und schriftlicher Kommunikation
ergibt sich nicht aus einem „globalen Faktor“, sondern ist durch eine Reihe miteinander inter-
agierender Kompetenzdimensionen bestimmt. Im mehrsprachigen Kontext ist dies leicht ein-
sichtig, da es ‚normal‘ ist (je nach funktionalem Einsatz der beteiligten Sprachen), dass Wort-
schatz oder Grammatik in der einen Sprache stärker ausgebaut sind als in der anderen. Neben
einer sprachlichen Kompetenz, die sich auf die Beherrschung einer bestimmten Sprache wie
des Deutschen oder des Sorbischen bezieht, muss es aber auch Fähigkeitskomplexe geben, die
sich auf einer anderen Ebene auf die Realisierung bestimmter Textsorten oder Diskursmuster
bezieht: So muss jemand, der in der Lage ist, im Sorbischen in grammatischer und orthografi-
scher Hinsicht ‚korrekt’ zu schreiben, nicht zwangsläufig in der Lage sein, auch besonders
spannende Geschichten zu verfassen. Umgekehrt mag es Schülerinnen und Schüler geben, die
das Sorbische als Zweit- bzw. als Fremdsprache lernen und bereits im Medium des Deutschen
eine hohe Erzählkompetenz erreicht haben. In einer solchen Konstellation ist es denkbar, dass
diese Kinder im Sorbischen zwar viele Grammatik- und Rechtschreibfehler machen, die von
ihnen geschriebenen Geschichten jedoch trotzdem in qualitativer Hinsicht gelungen sein kön-
nen.
Das bis hierhin Dargelegte lässt sich mit Überlegungen zur bildungssprachlichen Kompetenz
in Einklang bringen (vgl. Cummins 1980). Ein einflussreiches Konzept des kanadischen Er-
ziehungswissenschaftlers Jim Cummins besagt, dass die Fähigkeit, in einer bestimmten Spra-
che über alltägliche Dinge zu reden, im Zweitspracherwerb relativ schnell erworben wird,
während die für den Schulerfolg besonders relevante bildungssprachliche Kompetenz mit bis
zu sechs Jahren einen längeren Zeitraum benötigt. Welche Kompetenzen sind nun für die all-

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tägliche und für die bildungssprachliche Kommunikation notwendig? Grundlegende Voraus-
setzung für beide Bereiche der Sprachverwendung sind zunächst die Fähigkeiten in Wort-
schatz und Grammatik einer bestimmten Sprache. Für die Bewältigung alltagssprachlicher
Kommunikationssituationen ist zudem „Gesprächskompetenz“ in dem Sinne notwendig, dass
übliche Konventionen zu Sprecherwechsel etc. beachtet werden müssen. In bildungssprachli-
chen Kommunikationssituationen ist dagegen einerseits das, worüber gesprochen bzw. ge-
schrieben wird, komplex (Bildungsinhalte). Zum anderen muss – besonders im Schriftlichen –
eine gewisse Monologizität etabliert werden, d. h. der Text an sich muss durch seinen Inhalt
und durch seine Struktur das gewährleisten, was in einem mündlichen Gespräch leicht auch
durch zusätzliches Nachfragen oder den gegebenen Kontext gesichert werden kann. Jim
Cummins geht in seiner Theorie davon aus, dass solche bildungssprachlichen Kompetenzen
einen universellen Charakter besitzen, sie also in beiden Sprachen eines zweisprachigen Indi-
viduums zum Tragen kommen können; sie stellen also sprachenübergreifende Kompetenzen
dar.
In diesem Kapitel wird nicht zwischen alltagssprachlicher und bildungssprachlicher Kompe-
tenz im Sorbischen und Deutschen unterschieden – dafür wären verschiedene Aufgabenkon-
texte notwendig –, sondern zwischen der allgemeinen sprachlichen Fähigkeit der Schülerin-
nen und Schüler im Sorbischen bzw. im Deutschen und ihrer spezifischen Fähigkeit, schrift-
lich Geschichten verfassen zu können. Das zum Einsatz gekommene sprachstandsdiagnosti-
sche Instrument erlaubt eine Unterscheidung dieser beiden Fähigkeiten: Während der Ge-
samtwert für die einzelsprachliche Kompetenz – der ‚Sprachwert’ – vor allem auf dem Indika-
tor Wortschatz beruht, ergibt sich der Gesamtwert für die narrative Kompetenz – der ‚Erzähl-
wert’ – daraus, inwiefern die Kinder ein bestimmtes ‚Geschichtenschema’, textsortentypische
Gestaltungsmittel sowie einen textsortentypischen Wortschatz verwenden. Wie oben erläutert,
gerät so eine wichtige Vorläuferfähigkeit für die bildungssprachliche Kompetenz in den
Blick, die Aufschluss über den alterstypischen Sprachaneignungsstand geben kann.
Bevor die Aggregierung der Werte im Detail dargestellt wird, sollen abschließend die typi-
schen Merkmale von Erzähltexten dargestellt werden, von denen einige als Indikatoren für die
Erzählkompetenz dienen. Nach Boueke et al. (1995) weisen Erzähltexte von kompetenten
Schreibern zunächst eine typische Makrostruktur, also einen inneren Aufbau, auf: Kinder sind
ab einem gewissen Alter in der Lage, die Ungewöhnlichkeit als zentrales Element einer Er-
zählung zu markieren. Der Kontrast zwischen dem Vorher und Nachher eines auslösenden
Ereignisses (wie z. B. ein Sturz in ein Blumenbeet) wird erkannt und durch spezifische
sprachliche Mittel, wie z. B. adversative Konnektoren (‚
aber
dann’), markiert. Der Aufbau
der Erzählungen erfolgt also nicht – wie in einem früheren Entwicklungsalter – rein sequenti-

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ell mittels ‚und dann’-Verknüpfungen. Damit wird das realisiert, was in der Erzählforschung
als ‚Komplikation’ bezeichnet wird und als Minimalbedingung dafür gelten kann, überhaupt
von einem Erzähltext reden zu können.
Neben der Komplikation weist die Makrostruktur von Erzählungen weitere Elemente auf: Die
Exposition steht am Anfang einer Geschichte und macht den Leser mit dem Rahmen der dar-
gestellten Handlung vertraut, indem Personen, Ort, Zeit und laufende Handlungen eingeführt
werden. Nach der Komplikation wird häufig auch eine Auflösung geliefert – z. B. dadurch,
dass dem verunglückten Mann aus dem Blumenbeet herausgeholfen wird. Am Ende schriftli-
cher Erzählungen finden sich oft Markierungen des Schlusses – z. B. indem die Kinder einen
weiteren Kontext für die Geschichte liefern, etwa indem die Familie nach Hause geht und zu
Abend isst. Die dargestellten Geschehnisse werden darüber mit Bezug auf die Leserperspek-
tive in einen temporalen Rahmen eingebettet. Die Fähigkeit, Texte nach diesem Muster zu
strukturieren, kann als eine erzählspezifische ‚Textmusterkompetenz’ bezeichnet werden (vgl.
Weidacher 2008). Damit ist eine wichtige Komponente der Erzählfähigkeit allerdings noch
nicht erfasst: Nach Boueke et al. erreichen Kinder erst die höchste Stufe der Erzählkompe-
tenz, wenn sie in der Lage sind, Leser ihrer Geschichte auch emotional zu beeinflussen, also
die Geschichte möglichst spannend zu gestalten. Dazu werden solche Mittel verwendet, die
mit dem Verfahren Tulpenbeet als ‚narrative Gestaltungselemente’ zugänglich sind: Es han-
delt sich dabei z. B. um wörtliche Rede, die Verbalisierung von Wünschen, Absichten oder
inneren Zuständen von handelnden Personen oder den Ausdruck von Plötzlichkeit. Die Fä-
higkeit, mittels der Verwendung solcher Mittel den Effekt des Leseprozesses zu beeinflussen,
kann auch als eine erzählspezifische ‚kommunikative Kompetenz’ bezeichnet werden (vgl.
Weidacher 2008). Kommunikative Kompetenz und Textmusterkompetenz sind also die Kom-
ponenten der Erzählfähigkeit, die mit dem Verfahren Tulpenbeet zugänglich sind.
4.1.3 Bildung der aggregierten Werte
Um die Vielzahl der Variablen auf zwei Werte je Sprache – jeweils einen für die einzel-
sprachliche Kompetenz und einen für die Erzählkompetenz – zu reduzieren, wurden aus der
oben erläuterten theoretischen Perspektive die einzelnen Variablen zunächst einer dieser
Kompetenzdimensionen zugeordnet. In einem nächsten Schritt wurde dann empirisch geprüft,
ob die Variablen tatsächlich dasselbe Konstrukt messen. Variablen, die sich in einer solchen
‚Faktorenanalyse’ nicht als aussagekräftig erwiesen, wurden entfernt, so dass schließlich nur
solche Variablen übrig blieben, die sich in beiden Sprachen und zu beiden Erhebungszeit-

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punkt als aussagekräftig erwiesen. Tabelle 9 zeigt die Faktorladungen
21
der einzelnen Variab-
len für den ‚Sprachwert’ im Sorbischen und Deutschen sowie die Realiabilitätskoeffizienten
22
für die jeweilige Skala
23
an.
Tabelle 9: Faktorenanalysen zur Bildung der ‚Sprachwerte’
Gesamtwerte
Einzelvariabeln
a
Sprachwert
Deutsch 4. Schul-
jahr
Sprachwert
Deutsch 6. Schul-
jahr
Sprachwert Sor-
bisch 4. Schul-
jahr
Sprachwert Sor-
bisch 6. Schul-
jahr
Aufgabenbewältigung
.638
.586
.890
.694
Types Verben
.907
.881
.909
.809
Types Nomen
.761
.806
.822
.772
Types Adjektive
.702
.763
.677
.492
Types Satzverbindungen
.609
.608
.785
.627
Reliabilität
(Cronbach´s
Alpha)
.749
.755
.808
.836
a
Aufgabenbewältigung: Ein Maß zur Vollständigkeit in der sprachlichen Umsetzung der Bildergeschichte. Jede Szene wird mit einem
Punktwert zwischen 1 und 4 bewertet. Types Verben: Anzahl verschiedene Verben. Types Nomen: Anzahl der verschiedenen Nomen. Types
Adjektive: Anzahl der verschiedenen Adjektive. Types Satzverbindungen: Anzahl der verschiedenen satzverbindenden Mittel (Konjunktio-
nen und Adverbien)
Tabelle 10 zeigt an, aus welchen Variablen sich der „Erzählwert“ zusammensetzt und wie
stark diese auf dem gemeinsamen Faktor ‚Erzählkompetenz’ laden:
Tabelle 10: Faktorenanalysen zur Bildung der ‚Erzählwerte’
Gesamtwerte
Einzelvariabeln
a
Erzählwert
Deutsch 4.
Schuljahr
Erzählwert
Deutsch 6.
Schuljahr
Erzählwert
Sorbisch 4.
Schuljahr
Erzählwert
Sorbisch 6.
Schuljahr
Gestaltung des Schlusses
.516
.439
.639
.647
Wünsche und Absichten
.452
.608
.673
.628
Innere Zustände
.683
.697
.470
.410
21
Unter einer Faktorladung wird die Korrelation verstanden, die sich zwischen einer Ausgangsvariable und den
in der Faktorenanalyse ermittelten Faktoren ergibt. Beträgt die Faktorladung 0, so sind die beiden Variablen vo-
neinander unabhängig.
22
Der Koeffizient ist hier Cronbachs Alpha, der als Maß dafür dient, inwiefern die Items eines psychometrischen
Texts dasselbe Konstrukt messen. Liegt dieser oberhalb von 0,7, gilt die Skala als brauchbar.
23
Unter einer Skala wird die Rangreihe messbarer Werte verstanden.

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Plötzlichkeit
.415
.512
.468
.565
Types expressive Verben
.786
.530
.762
.822
Types expressive Nomen
.671
.729
.482
.781
Types evaluative Adjektive
.646
.740
.553
.808
Types erzählspezifische Satzverbin-
dungen
.753
.760
.561
.818
Reliabilität (Cronbach´s Alpha)
.771
.777
.711
.823
a
Gestaltung des Schlusses: 1 Punkt für ‚Ende’, 1 Punkt für ein formelhaftes Ende, 2 Punkte für die Etablierung eines weiteren Kontextes.
Wünsche und Absichten: Verbalisierung solcher durch Modalverben, direkte Rede oder ‚um zu’. Innere Zustände: Verbalisierung meist
durch prädikative Adjektive (‚Er war fröhlich’). Plötzlichkeit: Ausdruck durch Temporaladverbien. Types expressive Verben: Summe der
verschiedenen erzählspezifischen Verben. Types expressive Nomen: Summe der verschiedenen erzählspezifischen Nomen. Types evaluative
Adjektive: Summe der verschiedenen erzählspezifischen Adjektive. Types erzählspezifische Satzverbindungen: Summe der verschiedenen
erzählspezifischen Konjunktionen und Adverbien (Adversativität, Kausalität, Temporalität)
Mit den so gewonnen Gesamtwerten lassen sich zum einen die Kompetenzen in beiden unter-
suchten Sprachen direkt miteinander vergleichen (dies betrifft den ‚Sprachwert’), zum Ande-
ren lässt sich innerhalb einer Sprache das Verhältnis zwischen einzelsprachlicher Kompetenz
und Erzählkompetenz bestimmen und – im vorliegenden Fall besonders wichtig – die Ent-
wicklung innerhalb der Kompetenzdimensionen nachvollziehen.
4.2 Ergebnisse
Wie eingangs angekündigt, teilt sich dieses Kapitel in einen Längsschnitts- und einen Quer-
schnittsteil auf. Im Längsschnitt wird auf die Sprachentwicklung der Schülerinnen und Schü-
ler fokussiert, die bereits in der Grundschule am 2Plus-Programm teilgenommen haben – da-
bei wird nach den sprachlichen Vorrausetzungen bei Schuleintritt bzw. nach dem familiären
Sprachgebrauch differenziert. Im Querschnittsteil werden die Ergebnisse im sechsten Schul-
jahr schwerpunktmäßig daraufhin untersucht, ob sich Unterschiede zwischen den Lerngrup-
pen ergeben und wie sich die Balance der Zweisprachigkeit in den Sprachgruppen darstellt.
4.2.1 Längsschnittanalysen
4.2.1.1 Im Deutschen
Abb. 28 zeigt die erreichten Mittelwerte bezüglich des Sprachwertes Deutsch für alle drei
Sprachgruppen. Augenfällig offenbart sich in allen drei Gruppen ein Zuwachs, dieser ist für
die Sprachgruppe 1 hochsignifikant (p < .00), für die Sprachgruppe drei knapp oberhalb des

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Signifikanzniveaus (p = .052) und für die Sprachgruppe 2 nicht signifikant. Zu beachten ist
an dieser Stelle die im Vergleich zu früheren Berichten geringere Fallzahl, welche die Wahr-
scheinlichkeit signifikanter Mittelwertunterschiede herabsetzt. In der Sprachgruppe 2 befin-
den sich nur noch 12 Schülerinnen und Schüler, von denen Sprachproben aus der vierten und
der sechsten Klasse vorliegen; zudem lag diese Gruppe im vierten Schuljahr auf einem recht
hohen Niveau. Vergleicht man die im sechsten Schuljahr erreichten Werte der Sprachgruppen
miteinander, so zeigt sich, dass sich die drei Gruppen hinsichtlich ihrer einzelsprachlichen
Kompetenz im Deutschen nicht unterscheiden; der familiäre Sprachgebrauch wirkt sich also
auch an dieser Stelle – wie schon in früheren Berichten festgestellt – nicht nachdrücklich auf
die grundlegende Sprachkompetenz im Deutschen aus.
Abbildung 28: Entwicklung ‚Sprachwert Deutsch’ nach Sprachgruppen
Ein anderes Ergebnis zeigt eine Betrachtung der Sprachentwicklung unter textsortenspezifi-
schen Gesichtspunkten (vgl. Abb. 29): Die Entwicklung fällt augenfällig deutlich kräftiger aus
und auch die Unterschiede zwischen den Sprachgruppen im sechsten Schuljahr erscheinen
deutlicher. Die Entwicklung ist den Sprachgruppen 1 und 3 signifikant (p < .00 bzw. p =

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.039), in der kleinen Sprachgruppe 2 wiederum nicht. Trotz der deutlicher hervortretenden
Unterschiede zwischen den Gruppen sind diese nicht signifikant
24
.
Abbildung 29: Entwicklung ‚Erzählwert Deutsch’ nach Sprachgruppen
Wie lässt sich dieses Ergebnis interpretieren? Die unterschiedliche Entwicklungsdynamik,
wie sie durch die beiden verschiedenen Werte wiedergegeben wird, erscheint durchaus plau-
sibel: Der vor allem durch den Wortschatz zustande kommende Sprachwert hängt nicht unwe-
sentlich von der Textlänge ab. Hinsichtlich letzterer wiederum ist vom vierten zum sechsten
Schuljahr keine drastische Steigerung zu erwarten: Durch den visuellen Impuls entsteht eine
gewisse Engführung hinsichtlich dessen,
was
verbalisiert werden kann. Die starken Zuwächse
in der Erzählkompetenz indizieren jedoch klar, dass sich die
Art und Weise
der Verbalisierung
geändert hat: und zwar in Richtung auf eine höhere Textqualität.
4.2.1.2 Im Sorbischen
Wie in früheren Berichten ist es an dieser Stelle wiederum zu erwarten, dass die Sprachgrup-
penzugehörigkeit Vorhersagekraft für die im Sorbischen erreichten Werte besitzt. Abb. 30
zeigt die Entwicklung des Sprachwertes im Sorbischen von der vierten zur sechsten Klasse:
24
Für den Unterschied zwischen den Sprachgruppen 1 und 3 besteht allerdings ein deutlicher Trend: Das Signi-
fikanzniveau liegt mit .053 nur ganz knapp über der konventionalisierten Grenze.

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Abbildung 30: Entwicklung ‚Sprachwert Sorbisch’ nach Sprachgruppen
Wie aus dem Balkendiagramm hervorgeht, stellt sich die Sprachkompetenz im Sorbischen im
sechsten Schuljahr nach dem aus der Grundschule bekannten Muster dar; es bildet sich ein
Kontinuum zwischen den Sprachgruppen 1 und 3 ab. Eine einfaktorielle Varianzanalyse zeig-
te zudem, dass sich die Sprachgruppen 1 und 2 nicht signifikant voneinander unterscheiden,
während die Sprachgruppe 3 aussagekräftig hinter den beiden erstgenannten bleibt. Während
die Entwicklung unter Einbezug sämtlicher Schülerinnen und Schüler signifikant positiv aus-
fällt (p = .007), lässt sich dies auf einzelne Sprachgruppen bezogen nur für die dominant sor-
bischsprachigen Kinder als signifikant feststellen. Gegebenenfalls lässt sich hier ein Einfluss
der weiterführenden Schule entdecken: In den Grundschulen sind die Kinder mit starker Be-
rücksichtigung ihrer unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen gefördert worden; in
den weiterführenden Schulen könnten diese Unterschiede weniger stark beachtet worden
sein, so dass insbesondere diejenigen Kinder hinsichtlich ihrer allgemeinen Sprachfähigkeit
im Sorbischen profitierten, die bereits mit besonders gut entwickelten Fähigkeiten in die 5.
Klasse eintraten. Dieser Befund sollte mit den Schulen besprochen werden – er wird aber zu-
nächst noch unter Hinzuziehung einer weiteren Perspektive ergänzt und differenziert.
Zur Interpretation dieses Ergebnisses wurden die Ergebnisse zum Erzählwert miteinbezogen;
Abb. 31 zeigt die Entwicklung der Sprachgruppen in erzählspezifischer Hinsicht: Im Gegen-
satz zum Sprachwert ist nun in allen drei Gruppen eine klare Entwicklung erkennbar, welche
jeweils auch signifikant ausfällt. Der Vergleich der von den Sprachgruppen im sechsten

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Schuljahr erreichten Werte mittels einer einfaktoriellen Varianzanalyse zeigt hier eine noch
größere Trennschärfe: Alle drei Gruppen unterscheiden sich signifikant voneinander. Wie las-
sen sich die – was die Entwicklung anbetrifft –unterschiedlichen Ergebnisse zum Sprachwert
und zum Erzählwert miteinander in Einklang bringen?
Abbildung 31: Entwicklung ‚Erzählwert Sorbisch’ nach Sprachgruppen
Die hohe Entwicklungsdynamik der Sprachgruppen 2 und 3 in der Erzählkompetenz bei einer
gleichzeitigen Stagnation in der einzelsprachlichen Kompetenz lässt sich mit dem Konzept
sprachenübergreifender textueller Fähigkeiten erklären. Demnach können die oben erläuterten
Komplexe Textmusterkompetenz und kommunikative Kompetenz als unabhängig von der Fä-
higkeit betrachtet werden, eine Sprache als System zu beherrschen. Wenn die Entwicklung
dieser Kompetenzbereiche auch vor allem im Medium der Erstsprache Deutsch erfolgt, so
können diese Ressourcen dennoch auch im Medium der Zweitsprache Sorbisch zur Entfaltung
gelangen. Das heißt im Prinzip nichts anderes, als dass die Kinder der Sprachgruppen 2 und 3
eine hinreichend hohe sprachsystematische Kompetenz im Sorbischen aus der Grundschule
mitbringen, um ihrer bildungssprachlichen Kompetenz auch im Sorbischen Ausdruck zu ver-
leihen. Was hier wahrscheinlich. erkennbar wird, ist die Konzentration auf die spezifischen
bildungssprachlichen Erzählkompetenzen in der weiterführenden Schule, wobei allgemein-
sprachliche Kompetenzen vorausgesetzt werden. Vermutet werden kann, dass der Unterricht
in den Bereichen ‚ankommt‘, die spezifisch sind, und weniger in den allgemeinen Grundla-
gen, die vielleicht stillschweigend vorausgesetzt werden. Eine Folgerung daraus wäre eine

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verstärkte, nach den jeweiligen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler differenzie-
rende Förderung
auch
der allgemeinen Sprachkompetenz im Sorbischen in den Klassen 5 und
6. Aus diesen Beobachtungen lässt sich eine Empfehlung zu kontinuierlicher, kontexteinge-
bundener Wortschatz- und Grammatikarbeit zumindest für die Kinder der Sprachgruppe 3 in
der Sekundarstufe 1 ableiten. Da diese Kinder außerhalb der Schule einen wesentlich geringe-
ren Kontakt zur sorbischen Sprache haben als die Kinder der Sprachgruppen 1 und 2, sind sie
stärker auf die schulische Unterstützung angewiesen als die zuletzt genannten. Insgesamt er-
gibt sich durch die Entwicklungsdynamik in der Erzählkompetenz jedoch ein ermutigendes
Bild: Wesentlich bedenklicher wäre eine Konstellation, in der die Kinder der Sprachgruppe 3
ihre Erzählkompetenz im Deutschen weiterentwickeln, nicht aber im Sorbischen. Dies würde
bedeuten, dass der ‚Kanal’ ihrer einzelsprachlichen Kompetenz im Sorbischen zu schmal wä-
re, als dass die gestiegene Erzählkompetenz ‚hindurchpassen’ würde.
4.2.1.3 Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sowohl im Deutschen als auch im Sorbischen die
Entwicklungen in der Erzählkompetenz deutlicher hervortreten als in der einzelsprachlichen
Kompetenz. Diese Beobachtungen stehen im Einklang mit einer altersgemäßen Entwicklungs-
logik: Die Schülerinnen und Schüler haben das grammatische System der (Erst-)Sprache so-
wie den Grundwortschatz zu Beginn der Sekundarstufe I weitgehend erworben. Wo sich in
dieser Altersstufe die entscheidenden Entwicklungsprozesse abspielen, ist im Bereich der
schriftlichen Textualität – wie es hier am Beispiel schriftlicher Erzählungen deutlich gewor-
den ist.
Die Unterscheidung nach Sprachgruppen erbrachte im Deutschen erwartungsgemäß keine
signifikanten Unterschiede; die Kinder der Sprachgruppen 1 und 2 liegen mit den Kindern, in
deren Familien nur Deutsch gesprochen wird, auf einem Niveau. Dies stellt sich im Sorbi-
schen – ebenfalls erwartungsgemäß – anders dar: Hier liegt die Sprachgruppe 3 (bzw. auch
die Sprachgruppe 2) weiterhin hinter der Sprachgruppe 1 zurück. Damit die Kinder der
Sprachgruppe 3 auch im weiteren Verlauf der Sekundarstufe I – also auch im Kontext komp-
lexer Bildungsinhalte im Fachunterricht – im Sorbischen sprachlich handlungsfähig bleiben,
empfehlen sich angesichts der stagnierenden Sprachwerte differenzierte Fördermaßnahmen,
die unter Einbezug einer aktuellen Unterrichtsthematik auch auf Wortschatz und Grammatik
zielen.

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4.2.2 Querschnittsanalyse
In diesem Kapitel wird zunächst untersucht, wie sich die Balance der Zweisprachigkeit in den
Sprachgruppen im sechsten Schuljahr darstellt. Daran anschließend werden die Ergebnisse der
einzelnen Lerngruppen gegenübergestellt. Schließlich folgen vertiefende Analysen, in denen
zum Einen die Sprachentwicklung im Deutschen und Sorbischen auf mögliche Effekte der
Schulform geprüft wird, zum anderen werden die von den 2Plus-Schülerinnen und Schülern
im sechsten Schuljahr im Deutschen erreichten Werte mit denen der Kontrollgruppe der neu
hinzugekommen Schülerinnen und Schüler verglichen.
4.2.2.1 Sprachvergleich
Da – wie oben erläutert – die Erzählkompetenz einerseits nicht direkt mit der Kompetenz in
einer Sprache im engeren Sinne zusammenfällt und andererseits mögliche Besonderheiten in
der sorbischen Erzähltradition in diesem Wert nicht abgebildet werden können, werden zum
Sprachvergleich im Folgenden nur die Sprachwerte herangezogen. Die Ausgangslage im vier-
ten Schuljahr stellt sich so dar, dass bei den Sprachgruppen 1 und 2 keine signifikanten Unter-
schiede zwischen den im Deutschen und Sorbischen erreichten Werten festgestellt werden
konnten.
In Abb. 32 werden die von den Sprachgruppen im sechsten Schuljahr im Deutschen und Sor-
bischen erreichten Werte gegenübergestellt, worüber auf die Balance der Zweisprachigkeit
zurückgeschlossen werden kann.

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wicklung in der Sekundarstufe I. Hamburg und Köln (Universität Hamburg, Universität zu Köln) 2010. Titelseite: sternklar.com
Abbildung 32: Sprachvergleich ‚Sprachwert’ nach Sprachgruppen
Es zeigt sich, dass in allen drei Gruppen im Mittel im Deutschen höhere Werte erzielt werden
als im Sorbischen. Eine Prüfung auf Signifikanz ergibt für die Sprachgruppen 2 und 3 einen
aussagekräftigen Unterschied zwischen der Kompetenz in beiden Sprachen (Sprachgruppe 2:
p = .018; Sprachgruppe 3: p < .01), während sich für die Sprachgruppe 1 kein signifikanter
Unterschied feststellen lässt. Allerdings liegen die Werte nur knapp unter der Signifikanz-
grenze (p = .58), so dass sich lediglich von einem Trend hin zu einer Dominanz des Deut-
schen sprechen lässt. Für diese Gruppe besteht also weiterhin auch im Bereich der Produktion
erzählender Texte eine balancierte Zweisprachigkeit.
Dennoch scheint die Entwicklung insgesamt im Laufe der Sekundarstufe hin zu einer Domi-
nanz des Deutschen zu gehen. Dies wäre im Anschluss an soziolinguistische Untersuchungen
durchaus ein erwartungskonformes Ergebnis: So konnte in der Euromosaic-Studie gezeigt
werden, dass das Sorbische vor allem im Bereich der Familie eine wichtige Rolle spielt, wäh-
rend das Deutsche insofern einen höheren Verwendungsradius besitzt, als es das primäre
Kommunikationsmedium in den Bereichen Arbeit und Wissenschaft darstellt (vgl. Euromo-
saic o.J.). Die letztgenannten Bereiche werden im Laufe der Bildungsbiografie – insbesondere
in der Sekundarstufe I –wichtiger, so dass diese Verschiebung auch in der Konstellation der
individuellen Mehrsprachigkeit ihren Niederschlag finden kann. Die Institution Schule trägt
mit Sicherheit einen wichtigen Anteil daran, die Bedeutung einer Minderheitensprache wie
des Sorbischen zu erhalten und zu festigen – für eine domänenübergreifend balancierte
Zweisprachigkeit im Erwachsenenalter sind jedoch eine Reihe von weiteren Faktoren von Be-
deutung, die sich unter dem Stichwort des ‚Ausbaustatus’ zusammenfassen lassen. Diese

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wicklung in der Sekundarstufe I. Hamburg und Köln (Universität Hamburg, Universität zu Köln) 2010. Titelseite: sternklar.com
Überlegungen sollen unter Einbezug der Ergebnisse zur Lesekompetenz und zur Sprachkom-
petenz im Mündlichen an späterer Stelle weiterverfolgt werden.
Unter Einbezug der Ergebnisse der Sprachgruppe 3 im Deutschen wird allerdings deutlich,
dass die Tendenz zur Dominanz des Deutschen nicht etwa aus einer Schwäche der Sprach-
gruppe 1 im Sorbischen, sondern vielmehr aus deren Stärke im Deutschen resultiert, sprich
der nach wie vor ungebrochenen Entwicklung: Der Wert der Sprachgruppe 1 im Sorbischen
liegt immerhin höher als der Wert der Sprachgruppe 3 im Deutschen, womit deutlich wird,
dass ein altersgemäßer Sprachentwicklungsstand im Sorbischen vorliegt. Methodisch ist auch
immer zu berücksichtigen, dass die Werte in den beiden Sprachen nicht vollständig identisch
sind, da die Sprachen verschiedene Strukturen, Formen und Lexeme aufweisen.
4.2.2.2 Lerngruppenvergleich
Wie stellt sich nun die Sprachkompetenz in den einzelnen am Projekt beteiligten Lerngruppen
dar? Aus einer alltagstheoretischen Perspektive erscheint es erwartungsgemäß, dass die Schü-
lerinnen und Schüler, welche das Gymnasium besuchen, höhere Werte erreichen als diejeni-
gen der Mittelschule. Abb. 33 zeigt die Werte zur Sprach- und Erzählkompetenz im Deut-
schen.

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Abbildung 33: Lerngruppenvergleich Sprach- und Erzählwert im Deutschen
Es zeigt sich, dass die Schulen hinsichtlich des Sprachwerts im Deutschen eine recht homo-
gene Gruppe bilden, wobei nur die Lerngruppe in Manwitz deutlich geringere Werte erreicht
als die anderen Gruppen. Diese Beobachtung wird durch eine einfaktorielle Varianzanalyse
bestätigt: Tabelle 11 zeigt zwei homogene Untergruppen an, d. h. die Lerngruppen, die sich
innerhalb einer homogenen Untergruppe befinden, unterscheiden sich nicht signifikant vonei-
nander. Somit werden in Manwitz und in Sabitzen ähnlich niedrige Werte erreicht, allerdings
liegt Sabitzen auch mit den restlichen Schulen auf einem Niveau. Insgesamt zeigt sich also
eine große Homogenität zwischen den Lerngruppen, in welcher insbesondere der Schulform-
unterschied Mittelschule – Gymnasium nicht hervortritt.
Tabelle 11: Homogene Untergruppen (Lerngruppen) ‚Sprachwert Deutsch’
Sprachwert Deutsch 6. Schuljahr
SchuleSekI
N
Subset for alpha = 0.05
1
2
Manwitz
23
36,4783
Sabitzen
16
44,3125
44,3125
Radowitz
10
47,9000
Padozen
16
49,6875

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Bodwitz
37
51,2973
Kemwitz
23
52,1739
Sig.
,056
,086
Etwas differenziertere Ergebnisse treten unter Berücksichtigung des Erzählwertes zu Tage:
Mit den Schulen in Bodwitz, Radowitz und Padozen sind es drei Lerngruppen, in denen den
schriftlichen Erzählungen eine besonders hohe Qualität nachgewiesen werden kann. Neben
Manwitz und Sabitzen sind nun auch die Werte in Kemwitz vergleichsweise niedrig. Tabelle
12 zeigt die homogenen Untergruppen für den Erzählwert:
Tabelle 12: Homogene Untergruppen (Lerngruppen) ‚Erzählwert Deutsch’
Erzählwert Deutsch 6. Schuljahr
SchuleSekI
N
Subset for alpha = 0.05
1
2
Manwitz
23
10,5217
Sabitzen
16
14,3750
Kemwitz
23
14,9130
Padozen
16
20,0625
Radowitz
10
21,1000
Bodwitz
37
22,9730
Sig.
,110
,292
In der Tat erweist sich der Unterschied zwischen den jeweils drei Lerngruppen als trenn-
scharf: Keine der Lerngruppen gehört beiden homogenen Untergruppen an. Somit liegen
mindesten zwei Mittelschulen auf demselben Niveau wie das Gymnasium. Unter Einbezug
der Ergebnisse in der Lesekompetenz und der mündlichen Sprachkompetenz sowie der durch-
geführten Lehrer(innen)befragung soll im Gesamtresümee nach möglichen Erklärungen für
die Unterschiede zwischen den Lerngruppen gesucht werden.
Was den Lerngruppenvergleich im Sorbischen anbetrifft, so ist angesichts der Ergebnisse in
der Längsschnittanalyse zu erwarten, dass sich vor allem die Sprachgruppenzugehörigkeit der
Schülerinnen und Schüler bemerkbar macht. Abb. 34 zeigt die im Sorbischen erreichten Mit-
telwerte:
25
25
Die Schule Sabitzen wurde an dieser Stelle nicht einbezogen, da nur von zwei Kindern Sprachproben im Sorbi-
schen vorliegen.

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Abbildung 34: Lerngruppenvergleich Sprach- und Erzählwert im Sorbischen
In der Tat sind es die Lerngruppen an den Schulen in Bodwitz, Padozen und Manwitz, in de-
nen viele Schülerinnen und Schüler der Sprachgruppe 1 sind, wo die höchsten Mittelwerte zu
verzeichnen sind. Darüber hinaus hängen Sprach- und Erzählkompetenz im Sorbischen an-
scheinend stärker zusammen als im Deutschen. Es ergibt sich also erwartungskonform ein he-
terogenes Bild. Auffällig ist auch an dieser Stelle der vergleichsweise niedrige Erzählwert in
Manwitz, der – anders als der Sprachwert – unterhalb desjenigen der Schule Kemwitz liegt.
Die Heterogenität wird durch die anhand von einfaktoriellen Varianzanalysen errechneten
homogenen Untergruppen bestätigt (vgl. Tabellen 13 und 14)
Tabelle 13: Homogene Untergruppen (Lerngruppen) ‚Sprachwert Sorbisch’
Sprachwert Sorbisch 6. Schuljahr
SchuleSekI
N
Subset for alpha = 0.05
1
2
3
Radowitz
5
22,6000
Kemwitz
14
24,5000
Manwitz
23
33,3043
33,3043
Padozen
15
43,2000
43,2000
Bodwitz
28
48,5714
Sig.
,061
,067
,317

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Tabelle 14: Homogene Untergruppen (Lerngruppen) ‚Erzählwert Sorbisch’
Erzählwert Sorbisch 6. Schuljahr
Schule Sek I
N
Subset for alpha = 0.05
1
2
3
Radowitz
5
6,4000
Manwitz
23
9,5217
9,5217
Kemwitz
14
10,2857
10,2857
Padozen
15
13,8000
13,8000
Bodwitz
28
18,6071
Sig.
,251
,206
,132
Welche Schule bzw. welcher Lerngruppe ist es nun am besten gelungen, mit den unterschied-
lichen sprachlichen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler umzugehen? Soweit dies
gelungen ist, sollten alle drei Sprachgruppen einen Kompetenzzuwachs seit dem vierten
Schuljahr erfahren haben. Die Abbildungen 35 und 36, in denen die Entwicklung in den
Lerngruppen nach Sprachgruppen differenziert dargestellt wird, vermitteln dazu einen Ein-
druck. Es wird deutlich, dass es hinsichtlich des Sprachwertes keine Lerngruppe gibt, in der
alle drei Sprachgruppen Zuwächse erfahren. Beinahe umgekehrt verhält es sich mit dem Er-
zählwert: Hier sind, mit Ausnahme von Manwitz, überall deutliche Zuwächse zu erkennen.
Diese Werte sind angesichts der teilweise sehr geringen Fallzahlen der Sprachgruppen in den
Lerngruppen jedoch mit großer Vorsicht zu interpretieren.

image
image
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Abbildung 35: Entwicklung ‚Sprachwert Sorbisch’ nach Lern- und Sprachgruppe
Abbildung 36: Entwicklung ‚Erzählwert Sorbisch’ nach Lern- und Sprachgruppe

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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich insgesamt ein aus der Grundschule bekann-
tes Muster fortsetzt: Während es im Deutschen nur geringfügige Unterschiede zwischen den
Lerngruppen gibt, bewirkt die unterschiedliche Sprachgruppenzugehörigkeit im Sorbisch
mehr oder weniger starke Unterschiede. Insbesondere der Faktor Heterogenität innerhalb der
Lerngruppen scheint eine große Herausforderung darzustellen. Auch dies lässt eine Weiter-
qualifizierung der Lehrkräfte der Sekundarstufe I im Bereich individualisiertes Lernen als
sinnvoll erscheinen.
Im Einzelnen lässt sich feststellen, dass es an den Schulen Padozen und Bodwitz in besonde-
rer Weise zu gelingen scheint, auch die Schülerinnen und Schüler der Sprachgruppe 3 so gut
zu fördern, dass kaum Unterschiede zu den anderen Gruppen festzustellen sind. Die beiden
Schulen also, in denen das Gesamtniveau besonders hoch liegt, schaffen es, die im Sorbischen
über die Grundschulzeit hinweg ‚schwächeren‘ Kinder in der Textproduktion an das Niveau
der bilingualen Sprachgruppen heranzuführen, also eine gewisse Balance in diesem schulisch
wichtigen Segment der Entwicklung der Schriftsprachlichkeit herzustellen. Die Gründe dafür
müssen im Unterricht liegen. Es wäre sinnvoll, dass sich die Lehrkräfte darüber austauschen,
um herauszufinden, welche Maßnahmen in Padozen und Bodwitz besonders gut gewirkt ha-
ben und ob diese auf die anderen Standorte übertragbar sind.
In Radowitz gelingt es, den Trend aus der Grundschulzeit fortzusetzen, d.h. auch ohne bilin-
guale Modelle die allein aus Schülerinnen und Schülern der Gruppe 3 bestehende Lerngruppe
so zu fördern, dass Ergebnisse erreicht werden, die auch in Schulen vorzufinden sind, die
Schülerinnen und Schüler aus allen Sprachgruppen aufweisen. Insbesondere für Kemwitz,
aber auch für Manwitz ist eine gute Förderung der Schülerinnen und Schüler mit guten Sor-
bischkenntnissen erkennbar. In Manwitz scheint der Unterricht für die Sprachentwicklung der
Kinder der Sprachgruppe 1 im Sorbischen in stärkerem Maße förderlich gewesen zu sein als
für diejenigen der Sprachgruppe 3.
4.2.2.3 Effekte der Schulform
Nun soll einer interessanten vertiefenden Fragestellung nachgegangen werden: Angesichts des
Schulformwechsels, den die Kinder durchlaufen haben, soll anhand der vorliegenden Daten
überprüft werden, inwiefern die Entwicklungslinien der Schülerinnen und Schüler des Gym-
nasiums und die der Mittelschule aufgrund der mit den Schulformen verknüpften curricularen
Ansprüche auseinanderdriften, konstant bleiben bzw. sogar konvergieren. Aus der Bildungs-
forschung ist bekannt, dass die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe
I zunehmend divergieren. Um einem möglichen Zusammenhang auf die Spur zu kommen,

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werden die 2-Plus-Schülerinnen und Schüler im Folgenden in zwei Gruppen aufgeteilt: Gym-
nasiast(inn)en und Mittelschüler(inn)en. Durch die Analyse des Leistungsunterschiedes dieser
Kinder in der vierten und in der sechsten Klasse lassen sich ggf. Effekte der jeweiligen Schul-
form identifizieren.
Abb. 37 zeigt die im Deutschen erreichten Werte der Mittelschüler(innen) und der Gymna-
siast(innen) zu den beiden Erhebungszeitpunkten. Es wird deutlich, dass die späteren Schüle-
rinnen und Schüler des Gymnasiums bereits in der vierten Klasse in beiden Werten einen ge-
wissen Vorsprung gegenüber den späteren Mittelschüler(inne)n besitzen.
Abbildung 37: Entwicklung im Deutschen nach Schulform
Ein T-Test bestätigt allerdings nur den Unterschied im Erzählwert als statistisch signifikant (p
= .013). Anhand der obigen Abbildung wird zudem deutlich, dass die Schülerinnen und Schü-
ler des Gymnasiums einen stärkeren Lernzuwachs erfahren haben als die Mittelschü-
ler(innen). Vergleicht man nun die von den beiden Gruppen im sechsten Schuljahr erreichten
Werte, so wird deutlich, dass sich die zur Grundschulzeit noch relativ moderaten Unterschie-
de zwischen den Gruppen nun vertiefen. Der Unterschied zwischen den Gruppen erweist sich
hinsichtlich beider Werte als höchst aussagekräftig (Sprachwert Deutsch: p = .001; Erzählwert
Deutsch: p = .000). Mit anderen Worten: Die Aufteilung der Kinder in verschiedene Schul-
formen bewirkt eine stark unterschiedliche Weiterentwicklung der Schülerinnen und Schüler
im Deutschen, obwohl sie im vierten Schuljahr von einem ähnlichen Niveau aus gestartet
sind. Wohlgemerkt: Auch die Kinder der Mittelschule haben sich in beiden Kompetenzdi-
mensionen signifikant weiterentwickelt.

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Die Interpretation dieses Ergebnisses indes ist recht schwierig: Die recht einheitlichen Ergeb-
nisse im vierten Schuljahr lassen die Vermutung zu, dass in den Mittelschulen nicht alle För-
dermöglichkeiten ausgeschöpft werden. Das gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Er-
gebnisse in Padozen. Auch das soll auf dem Hintergrund der Ergebnisse der anderen Teilun-
tersuchungen vertieft werden, insbesondere der Entwicklung der Lesekompetenz.
Abb. 38 zeigt die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler unterteilt nach Schulformen nun
für das Sorbische.
Abbildung 38: Entwicklung im Sorbischen nach Schulform
Hier sind bereits zur Grundschulzeit starke Unterschiede zwischen den Gruppen zu erkennen,
die in ihrem Ausmaß in der Sekundarstufe I in etwa erhalten bleiben. Dies wird auch durch T-
Tests bestätigt, die für beide Erhebungszeitpunkte und für beide Werte ein hohes Signifikanz-
niveau (p = .000) ausweisen. Es gilt an dieser Stelle allerdings zu bedenken, dass im Sorbi-
schen – im Gegensatz zum Deutschen – die Sprachgruppenzugehörigkeit einen massiven Ein-
fluss auf die Ergebnisse ausübt. Um zu überprüfen, wie stark Schulform- und Sprachgruppen-
zugehörigkeit interagieren, bietet sich eine multifaktorielle Varianzanalyse an, die den Ein-
fluss der jeweiligen Faktoren auf eine abhängige Variable, in diesem Falle die im sechsten
Schuljahr erreichten Werte, berechnet.
Die Ergebnisse zeigen sowohl für den Sprachwert als auch für den Erzählwert im sechsten
Schuljahr einen signifikanten Einfluss sowohl der Sprachgruppe als auch der Schulformzuge-

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hörigkeit an.
26
Aufschlussreich ist schließlich der Vergleich der Einflussgrößen der Schulform
auf die Werte im vierten und sechsten Schuljahr. Diese Einflussgrößen (‚partielles eta-
Quadrat’) können als Prozentwerte des Einflusses eines Faktors auf die Ausprägung einer Va-
riablen gelesen werden. Demnach erklärt der Faktor Schulformzugehörigkeit (6. Schuljahr)
im vierten Schuljahr 15,5% der Varianz des Sprachwertes und 16,3% des Erzählwertes. Diese
Werte erhöhen sich auf 18,3% hinsichtlich des Sprachwerts und sinken auf 12,3% für den Er-
zählwert. Eine äquivalente Berechnung für das Deutsche verdeutlicht abschließend den ge-
genläufigen Effekt: Hier steigt der durch die Schulform bedingte Anteil der erklärten Varianz
von 8% auf 15,6% für den Sprachwert und von 7,8% auf 27,2% für den Erzählwert. Während
sich also die Leistungsschere für das Deutsche klar öffnet, verbleibt der (dennoch gegebene)
schulformbedingte Unterschied im Sorbischen auf dem gleichen Niveau.
4.2.2.4 Vergleich der 2-Plus Schülerinnen mit der Kontrollgruppe
Zum Abschluss der Darstellung der Ergebnisse zur schriftlichen Ausdrucksfähigkeit der
Schülerinnen und Schüler sollen die Daten daraufhin befragt werden, welche Rückschlüsse
sie auf einen möglichen Effekt des 2Plus-Modells der Grundschule auf die schriftsprachlichen
Kompetenzen erlauben. Dies ist auch in diesem Bereich insofern möglich, als die von den 2-
Plus-Kindern im sechsten Schuljahr erreichten Werte mit denen der neu hinzugekommenen
verglichen werden. Die neu hinzugekommenen Schülerinnen und Schüler fungieren erneut als
Kontrollgruppe. Die Interpretation der Ergebnisse unterliegt jedoch einigen Einschränkungen:
Die Eltern der ‚neuen’ Kinder wurden nicht befragt, so dass der Einfluss von Hintergrundva-
riablen wie dem sozioökonomischen Status nicht kontrolliert werden kann. Weiterhin lässt
sich der Vergleich nur für das Deutsche ziehen, da keine sorbischen Sprachproben der neu
hinzugekommenen Schülerinnen und Schüler vorliegen.
Abb. 39 zeigt zunächst einen Vergleich des Erzählwertes und des Sprachwertes im Deutschen
zwischen den neuen Schüler(inne)n und den 2-Plus-Schüler(inne)n.
Wie sich zeigt, erreichen die Schülerinnen und Schüler, die am 2Plus-Programm teilgenom-
men haben, in beiden Kategorien wesentlich höhere Werte als die Kontrollgruppe. Dies wird
durch t-Tests bestätigt (Sprachwert: p = .03; Erzählwert p = .002). Somit unterscheiden sich
die beiden Gruppen in der Erzählkompetenz stärker als in der allgemeinsprachlichen Kompe-
tenz.
26
Einfluss der Sprachgruppe auf den Sprachwert: p = .004; Einfluss der Sprachgruppe auf den Erzählwert: p =
.027; Einfluss der Schulform auf den Sprachwert: p = .000; Einfluss der Schulform auf den Erzählwert: p = .003

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Abbildung 39: Vergleich mit der Kontrollgruppe
Nun kommen die Schülerinnen und Schüler ja bekanntermaßen mit unterschiedlichen sprach-
lichen Voraussetzungen in die Schule. Eine mögliche Befürchtung von Eltern der Kinder der
Sprachgruppe 3 könnte lauten, dass sie so stark mit dem Sorbischerwerb ‚beschäftigt’ seien,
dass die Sprachentwicklung im Deutschen darunter Schaden nimmt. Abb. 40 zeigt den Ver-
gleich zwischen 2-Plus Kindern und ‚neuen Kindern‘ nach Sprachgruppen differenziert.
Abbildung 40: Vergleich der Sprachgruppen mit der Kontrollgruppe

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Es wird erneut deutlich, dass auch die Kinder der Sprachgruppe 3, die während der Grund-
schulzeit in beträchtlichem Umfang mit dem Sorbischerwerb zu tun hatten bzw. in dieser
Sprache unterrichtet wurden, in beiden Kompetenzdimensionen vor der Kontrollgruppe lie-
gen. Zwar ist dieser Abstand nicht statistisch signifikant, jedoch bedeutet dieses Ergebnis
nichts anderes, als dass mögliche Befürchtungen über Entwicklungsverzögerungen im Deut-
schen aufgrund der langen Kontaktzeit zur sorbischen Sprache unbegründet sind.
Die Kinder der Sprachgruppe 3 liegen im Deutschen in jedem Fall auf einem Niveau mit Kin-
dern, die eine einsprachige Grundschule besucht haben; tendenziell fällt die Sprachkompetenz
sogar höher aus – und das in Absehung ihrer feststellbaren Kompetenzen in der sorbischen
Sprache. Eine mögliche Interpretation von Abb. 40 könnte folgendermaßen lauten: Je
‚zweisprachiger‘ die Kinder sind, desto höher sind auch die im Deutschen erreichten Kompe-
tenzwerte. Über die Ursachen dieses Phänomens können nur Vermutungen angestellt werden:
Es könnte der mehrsprachige Unterricht generell das sprachliche Bewusstsein der Kinder ge-
stärkt haben, und dies – da sich der Vorsprung gegenüber den ‚neuen‘ Schülerinnen und
Schülern auf beiden Kompetenzebenen manifestiert – auf einer allgemeinsprachlichen und auf
einer eher ‚textgrammatischen’ Ebene: Indem im Unterricht über Sprache reflektiert wird,
werden den Kindern unter Umständen auch Textsortenkonventionen transparenter, so dass sie
auf diese bewusst und intentional zugreifen können.
4.3.3 Resümee
Zusammenfassend ergibt sich ein Bild, das die Fortführung des zweisprachigen Unterrichts in
der Sekundarstufe I in einem positiven Licht erscheinen lässt:
Was die Entwicklung anbelangt, so konnte für die bildungssprachlich relevante textsortenspe-
zifische schriftsprachliche Kompetenz eine starke Entwicklung in beiden Sprachen und je-
weils in allen Sprachgruppen festgestellt werden, hier sind die Ergebnisse ganz im Einklang
mit den oben berichteten zur gesprochenen Sprache. Dabei setzen sich einige aus der Grund-
schule bekannte Muster fort: Während die drei Sprachgruppen sich im Deutschen statistisch
nicht unterscheiden – lediglich ein Trend geht, wie in der Grundschulzeit, zu höheren Werten
der Sprachgruppen 1 und 2 –, erweisen sich die Sprachgruppen im Sorbischen weiterhin als
trennscharf: Je mehr Sorbisch in der Familie gesprochen wird, desto besser zeigen sich die
Werte in der schulischen Sprachkompetenz. Die Sprachgruppe 2 liegt dabei weiterhin dicht an
Sprachgruppe 1 – im Sprachwert unterscheiden sich diese beiden Gruppen nicht voneinander,
die Sprachgruppe 3 liegt weiterhin deutlicher dahinter, allerdings durchaus erwartungsgemäß.

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Im Sprachvergleich zeigte sich, dass die Sprachgruppe 1 weiterhin eine balancierte Zweispra-
chigkeit aufweist. Ein Trend geht allerdings in Richtung einer Dominanz des Deutschen, was
mit soziolinguistischen Faktoren erklärbar ist. Die Sprachgruppen 2 und 3 erreichen weiterhin
im Deutschen signifikant höhere Werte als im Sorbischen.
Der Lerngruppenvergleich offenbart ebenfalls ein bekanntes Muster: Im Deutschen gibt es
relative geringe Unterscheide zwischen den Lerngruppen. Als besonders stark erwiesen sich
die Schulen Bodwitz, Padozen und Radowitz. Im Sorbischen wirkt sich dagegen die unter-
schiedliche Komposition der Lerngruppen hinsichtlich des familiären Sprachhintergrundes
stärker aus: Hier erwiesen sich Bodwitz und Padozen mit vielen Kindern der Sprachgruppe 1
als stärkste Lerngruppen, während in Radowitz auch in der Sekundarstufe I nur Kinder der
Sprachgruppe 3 lernen und somit naturgemäß schwächere Ergebnisse im Sorbischen erzielen.
Auffälligerweise sind es gerade die Schulen in Padozen und in Bodwitz, die auch in der
Sprachgruppe 3 im Sorbischen eine sehr positive Entwicklung verzeichnen können – das wird
zu einem Teil an der Zusammensetzung der Gruppen liegen, muss aber wohl auch auf sprach-
didaktische und organisatorische Maßnahmen des Unterrichts zurückgeführt werden.
Interessante Effekte konnten durch die vertiefenden Analysen identifiziert werden:
Es zeigte sich zum einen, dass die Schulform sich im Deutschen stark auf die Leistungsent-
wicklung der Schülerinnen und Schüler auswirkt; die Schere zwischen starken und schwachen
Schülern wird durch die Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schulformen geöffnet – und
zwar durch schnellere Entwicklung der Gymnasialkinder. Dies konnte im Sorbischen jedoch
nicht nachgewiesen werden. Der Schulformeffekt sollte nicht überbetont werden. Da das Bei-
spiel Padozen zeigt, dass eine Mittelschule ebenfalls in beiden Sprachen vergleichbare Ergeb-
nisse produzieren kann; auch die Ergebnisse in Radowitz weisen auf dem Hintergrund der re-
gionalen sprachlichen Ausgangslage in diese Richtung, dass der Standortfaktor stärker ins
Gewicht fällt als die Schulform.
27
Diese Hinweise lassen sich jedoch aufgrund der Tatsache,
dass im vorliegenden Datensatz die Schulform ‚Gymnasium’ nur durch einen Standort vertre-
ten wird, nicht abschließend klären.
Mit multiplen Regressionsanalysen soll nun eine weitere statistische Auswertungsmethode
zum Einsatz kommen, die es erlaubt, den Einfluss von Faktoren wie den oben genannten auf
eine abhängige Variable zu beziffern. Zu diesem Zweck müssen die kategorialen Variablen
mit mehr als zwei Merkmalsausprägungen in so genannte ‚Dummy-Variablen’ umkodiert
werden, so dass aus jeder Ausprägungskategorie eine neue dichotome, also zweiwertige Va-
27
Das entspricht im Übrigen Ergebnissen zu mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern in der Schweiz (vgl.
Kronig u.a. 2007).

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riable entsteht. Aus der Variable ‚Sprachgruppe’ entstehen so drei Variablen: a) Sprachgruppe
1 (1 = zutreffend, 0 = nicht zutreffend) etc.
Auf diese Weise wurde der Einfluss der Faktoren Sprachgruppe, Lerngruppe und Schulform
auf die abhängige Variable ‚Zuwachs im Sprachwert’, welche sich aus der Differenz der im
sechsten und im vierten Schuljahr erreichten Werte errechnet, bestimmt. Eingeschlossen in
das Regressionsmodell werden nur solche Variablen, die einen statistisch signifikanten Ein-
fluss auf die Ausprägung der abhängigen Variablen besitzen. Tabelle 15 zeigt die Modellzu-
sammenfassung für das Sorbische:
Tabelle 15: Variablen mit signifikanter Vorhersagekraft für den Lernzuwachs ‚Sprachwert Sorbisch’
Variable
B
SE B
β
Schritt 1
Sprachgruppe 1 = zutreffend
3,919 1,739
0,253*
Schritt 2
Sprachgruppe 1 = zutreffend
4,913 1,724 0,318**
Kemwitz = zutreffend
5,978 2,363
.282*
Abhängige Variable: Lernzuwachs Sprachwert Sorbisch.
* p < .05 ** p < .01; ∆ R² = .064 von Schritt 1 zu Schritt 2
Es zeigt sich, dass sich lediglich zwei Variablen als aussagekräftig erweisen: Der Faktor
Sprachgruppe wirkt sich insofern auf den Lernzuwachs im Sorbischen aus, als es die Kinder
der Sprachgruppe 1 sind, die hier eine besonders hohe Entwicklungsdynamik zeigen (Va-
rianzaufklärung: 6,4%). Der zweite Faktor bestätigt eine frühere Feststellung: Die Lerngruppe
erweist sich nur für die Kinder aus Kemwitz relevant, die – wie oben schon erwähnt – hohe
Werte erreichen. Die Varianzaufklärung für den Lernzuwachs erhöht sich unter Einbeziehung
des Faktors ‚Kemwitz = zutreffend’ auf immerhin 14%.
Eine äquivalente Analyse für das Deutsche zeigt, dass lediglich der Faktor Lerngruppe be-
deutsam ist: Hier ist es der Faktor ‚Manwitz = zutreffend’, der sich signifikant auf den Lern-
zuwachs auswirkt, an dieser Stelle allerdings negativ, da der Lernzuwachs in dieser Kategorie

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in Manwitz besonders gering ausfällt. Dies wird durch die negativen Koeffizienten in Tabelle
16 verdeutlicht.
Tabelle 16: Variablen mit signifikanter Vorhersagekraft für den Lernzuwachs ‚Sprachwert Deutsch’
Variable
B
SE B
β
Schritt 1
Manwitz = zutreffend
-7,413 2,444 -0,332**
Schritt 2
-
Abhängige Variable: Lernzuwachs Sprachwert Deutsch.
** p < .01; R² = .111 für Schritt 1
Somit erweist sich der Faktor Lerngruppe letztlich in beiden Sprachen als aussagekräftigerer
Prädiktor für den Lernzuwachs als die Schulform, die sich in diesem multivariaten Verfahren
in keinem Fall als aussagekräftig erwies.
Schließlich legt der Vergleich zwischen den 2-Plus Kindern und den neu hinzugekommenen
den Schluss nahe, dass sich der zweisprachige Unterricht – unabhängig von den sprachlichen
Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler – günstig auf die Sprachentwicklung im Deut-
schen auswirkt, da sämtliche Sprachgruppen in beiden Kategorien höhere Werte erzielten als
die Kontrollgruppe der neuen Schülerinnen und Schüler.

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5. Entwicklung der Lesekompetenz: Erhebungen mit Testheften aus der IGLU-
Studie
Die Erhebung der Lesekompetenz anhand von IGLU-Testheften wurde parallel zu den
Schreibproben durchgeführt, d. h. es wurde nach der Erhebung im vierten Schuljahr eine
Wiederholungsmessung im sechsten Schuljahr durchgeführt. Die Ergebnisse sollen ähnlich
wie in Kapitel 3 dargestellt werden, so dass zunächst Längsschnittanalysen, dann Querschnitt-
sanalysen und schließlich vertiefende Beobachtungen berichtet werden. Zunächst soll jedoch
Theoretisches und Methodisches thematisiert werden, indem das hinter der IGLU-Studie ste-
hende Konzept der Lesekompetenz und die Datenerhebung und -aufbereitung erläutert wer-
den.
5.1 Was ist Lesekompetenz?
In globaler Hinsicht kann das Lesen eines Textes als Informationsentnahme gekennzeichnet
werden. Es hat in den letzten Jahren ein Wandel bezüglich des Leseverständnisses stattgefun-
den: Während man früher davon ausging, dass es sich beim Lesen um ein sukzessives Entzif-
fern von grafisch kodierten Informationseinheiten hin zu gesprochenen Wörtern als phonisch
kodierten Informationseinheiten handelt, wird in der neueren Forschung insbesondere die Be-
deutung von speziellen Strategien im Leseprozess betont, mit welchen der oder die Lesende
das im Text enthaltene Wissen mit seinem oder ihrem bereits vorhandenem Weltwissen ver-
knüpft und systematisch in Beziehung setzt.
„Der Leser ist in der Lage, auf Grundlage von kontextgesteuerten Hypothesen die he-
rausragendsten visuellen Hinweise auszunutzen, um die Bedeutung von Wörtern un-
mittelbar zu erfassen. Dieses Modell impliziert vorwissensgesteuerte
top-down-
Prozesse. Der Leser generiert dabei auf Basis seines Wissens Annahmen, aufgrund de-
rer er bestimmte Inhalte und Textstellen selektiert, die für den Verständnisaufbau
wichtig sind. Ein guter Leser ist hiernach ein Leser, der über ein ausreichendes Merk-
malswissen zum Aufstellen von Hypothesen verfügt und somit Erwartungen im Hinb-
lick auf das zu Lesende aufbauen kann“ (Voss et al. 2005, 3).
Wie kann nun dieses immer noch recht unspezifische Verständnis der mentalen Vorgänge im
Leseprozess genauer charakterisiert werden? Zu diesem Zweck kann auf das Modell von Ir-
win zurückgegriffen werden (vgl. Irwin 1986, zitiert nach Voss et al. 2005). Irwin unter-
scheidet fünf während des Leseprozesses parallel ablaufende Basisprozesse, welche dazu füh-
ren, dass der Leser eine mentale Repräsentation der im Text enthaltenen Informationen auf-

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baut. Im Folgenden sollen diese fünf zentralen Prozesse in Anlehnung an Voss et al. kurz cha-
rakterisiert werden.
Die erste Ebene der
Mikroprozesse
betrifft insofern vor allem einzelsprachliche Parameter, als
Lesende auf der Satzebene über genügend grammatisches und lexikalisches Wissen verfügen
müssen, um überhaupt in der Lage zu sein, in den Sätzen enthaltene Information als wichtig
oder weniger wichtig einzuschätzen. Mit anderen Worten: Ist bei einem dominant deutsch-
sprachigen Kind nicht genügend grammatisches und lexikalisches Wissen im Sorbischen vor-
handen, um einschätzen zu können, welches die Propositionen als einzelne Informationsein-
heiten eines Satzes sind und wie diese verknüpft sind, so wird es nicht zu einem differenzier-
ten Textverständnis gelangen können.
Die nächste Ebene der
integrativen Prozesse
betrifft nicht mehr nur die Verknüpfung einzel-
ner Satzteile, sondern die der Sätze eines Textes untereinander. Damit Lesende der themati-
schen Progression eines Textes folgen können, müssen sie Pronomina und Ersetzungen als
Stellvertreter von in vorangegangenen Sätzen genannten Lexemen erkennen können. Weiter-
hin muss auf semantischer Ebene die Bedeutung und Funktion von Satzverbindungsmitteln
bekannt sein, um die semantischen Relationen, wie beispielsweise adversative Bezüge, zwi-
schen einzelnen Teilsätzen dekodieren zu können.
Auf der nächsthöheren Hierarchieebene der
Makroprozesse
kommt das Wissen über verschie-
dene Textgattung und deren generelle Strukturen zum Tragen. So weisen Texte, die unter-
schiedliche kommunikative Funktionen erfüllen, oftmals charakteristische globale Strukturen
auf, welche als Schemata im Gehirn des kompetenten Lesenden verankert sind. Im Kontext
der Auswertung der schriftsprachlichen Ausdrucksfähigkeit wurde bereits auf den typischen
globalstrukturellen Aufbau von narrativen Texten hingewiesen. Im Leseprozess übernehmen
solche mentalen Schemata wichtige Steuerungs- und Entlastungsprozesse für den Aufbau ei-
ner mentalen Repräsentation des Textes.
Während die im Kontext der Makroprozesse genannten mentalen Schemata häufig ein unbe-
wusstes Wissen darstellen, geht es bei den
elaborativen Prozessen
auf der vierten Ebene dar-
um, die aufgenommenen Informationseinheiten mit dem Bewusstsein zugänglichen Beständen
des Langzeitgedächtnisses in Beziehung zu setzen. Lesende ziehen also zur Interpretation des
Gelesenen ihr Weltwissen heran. Dazu gehören Kategorien wie Vorhersagen machen, ein
Einbinden der Information in das vorhandene Wissen, die Bildung von mentalen Modellen,
eine gefühlsbetonte Reaktion und schließlich eine Reaktion auf Basis von Abstraktion und
Analyse.

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Die letzte Ebene des Modells bilden die so genannten
metakognitiven Prozesse.
Diese Ebene
zeigt im Prinzip bestimmte Strategien an, die Lernende erworben haben, um das Gelesene zu
verstehen und zu memorieren. Lesende also die Verarbeitungsprozesse auf den ersten drei
Ebenen des Modells ständig bewusst überwachen. Dies findet seinen Ausdruck in bestimmten
Arbeitstechniken wie einer Änderung der Lesegeschwindigkeit, vorwärts und rückwärts
springen im Text um Widersprüche zu klären, Unterstreichen von Textstellen, Erstellung von
Notizen und anderes mehr.
Wie wurde nun im Rahmen der IGLU-Erhebung verfahren, um ein so komplexes Verständnis
des Leseprozesses zu operationalisieren, d. h. die Lesekompetenz im Rahmen eines Fragebo-
gens zu einem Lesetext messbar werden zu lassen? Dazu wurden vier Kategorien gebildet,
denen jeweils eine bestimmte Zahl von Items im Testheft zugeordnet ist. Diese Kategorien
entsprechen bestimmten Lesekompetenzniveaus und sollen im Folgenden als Abschluss die-
ses einführenden Teils vorgestellt werden:
Erkennen und Wiedergeben explizit angegebener Information
Zu diesem elementaren Niveau der Lesekompetenz wurden Aufgaben entwickelt, bei denen
die Schülerinnen und Schüler gehalten sind, im Text genannte Sachverhalte und Informatio-
nen wiederzufinden und zu nennen. Um dies zu leisten, sind vor allem Mikroprozesse sowie
integrative Prozesse der Textverarbeitung notwendig.
Einfache Schlussfolgerungen ziehen
An dieser Stelle geht es darum, im Text vorhandene Informationen zueinander in Beziehung
zu setzen und daraus neue Schlussfolgerungen zu ziehen, die nicht wörtlich im Text genannt
sind. Dazu reicht jedoch die im Text enthaltene Information aus, zusätzliches Weltwissen
wird zur Lösung dieser Art von Aufgaben noch nicht benötigt.
Komplexe Schlussfolgerungen ziehen und Begründen; Interpretieren des Gelesenen
Im Kontrast zu den ersten beiden Kategorien sind die Aufgaben dieser Ebene des Lesever-
ständnisses schon wesentlich schwerer zu lösen: Die Information, welche zur Lösung der
Items benötigt wird, findet sich nicht mehr in einzelnen Sätzen, sondern ist aus größeren Ab-
schnitten des Textes zu extrahieren. Die Schülerinnen und Schüler müssen also makrostruktu-

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relle Prozesse der Textverarbeitung beherrschen. Darüber hinaus ist zur Lösung dieser Aufga-
ben die Verfügbarkeit von über den Text hinausgehendem Weltwissen notwendig.
Prüfen und Bewerten von Sprache und Inhalt
Mit den dieser Ebene zugeordneten Aufgaben wird überprüft, inwiefern die Schülerinnen und
Schüler metakognitive Prozesse der Textverarbeitung beherrschen. Es sollen die Absicht des
Autors beziehungsweise die Funktion eines Textes erkannt und bewertet, Gestaltungsmerk-
male erkannt, Wahrheitsgehalt und Glaubwürdigkeit eines Textes geprüft sowie die zentrale
Aussage eines Textes identifiziert werden.
5.2 Datenerhebung und -aufbereitung
Den Schülerinnen und Schülern wurde – äquivalent zur Vorgehensweise im vierten Schuljahr
– auf Sorbisch und Deutsch je ein literarischer Text und ein Sachtext vorgelegt, zu denen sie
die im Rahmen der IGLU-Studie entwickelten Aufgaben beantworten sollten. Bei dem litera-
rischen Text handelt es sich um die fiktive Geschichte „Der Hase kündigt das Erdbeben an“.
In diesem narrativen Text wird erzählt, wie ein Hase die Auswirkungen einer heruntergefalle-
nen Kokosnuss für ein Erdbeben hält und dadurch veranlasst panisch Reißaus nimmt. Schließ-
lich trifft er auf einen Löwen, der ihm in einem Gespräch sein überstürztes Verhalten darlegt.
Im Sachtext dagegen wird der Leser darüber informiert, wie die Kinder eines Dorfes auf Is-
land neugeborene Papageientaucher retten, welche sich auf dem Flug von ihren Nestern ins
Meer in die menschliche Siedlung verirrt haben.
Die Auswertung der so erhobenen Daten beruht auf dem Modell der probabilistischen Test-
theorie. Dies bedeutet, dass der von einem Individuum erreichte Kompetenzwert nicht auf ei-
ner Addition richtig beantworteter Fragen beruht, sondern auf einer komplexen Rechenopera-
tion, in welcher anhand der Daten beider Erhebungszeitpunkte sowohl die Schwierigkeit der
Aufgaben als auch die Fähigkeit der Individuen als Ausprägung des zu messenden Persön-
lichkeitsmerkmals berechnet werden. So lassen sich Schülerfertigkeiten und Aufgabenschwie-
rigkeiten auf einer Skala abbilden (vgl. Voss et al. 2004, 18). Aus diesem Vorgang, welcher
für beide Sprachen, beide Testhefte und beide Erhebungszeitpunkte mit dem Programm
„Conquest“ durchgeführt wurde, resultiert also für das Sorbische und das Deutsche je ein
Wert, welcher die Lesekompetenz – verstanden als latentes Persönlichkeitsmerkmal der Schü-
lerinnen und Schüler – bezüglich beider untersuchter Teilfähigkeiten als Globalwert zum

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Ausdruck bringt. Diese sogenannten Personenparameter wurden auf einen Mittelwert von 100
und eine Standardabweichung von 15 standardisiert, so dass aus der Abweichung der im Fol-
genden berichteten Werte vom Wert 100 hervorgeht, wie sich die Werte der jeweiligen Grup-
pe zum sprachenübergreifenden Mittelwert der gesamten Untersuchungspopulation verhalten.
Mit anderen Worten: Liegt der Mittelwert einer Lern- oder Sprachgruppe oberhalb von 100,
so ist von einer überdurchschnittlichen Lesekompetenz auszugehen. Darüber hinaus können
die im Deutschen und Sorbischen erreichten Werte direkt miteinander verglichen werden.
5.3 Ergebnisse
5.3.1 Längschnittanalyse
5.3.1.1. Im Deutschen
Abb. 41 zeigt, wie sich die Lesekompetenz in den Sprachgruppen seit dem vierten Schuljahr
entwickelt hat.
Abbildung 41: Entwicklung der Lesekompetenz im Deutschen nach Sprachgruppen
Die Sprachgruppen liegen im sechsten Schuljahr – wie bereits in der Grundschule – auf einem
Niveau; gleichzeitig sind im sechsten Schuljahr wesentlich höhere Werte zu beobachten. Es
hat also ein gleichmäßiger Kompetenzzuwachs stattgefunden, der sich auch mit statistischen

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Berechnungsmethoden abbilden lässt: In allen Sprachgruppen fällt der Zuwachs signifikant
aus.
28
Einfaktorielle Varianzanalysen zeigen darüber hinaus, dass weder zum ersten noch zum zwei-
ten Erhebungszeitpunkt signifikante Unterschiede zwischen den Sprachgruppen zu verzeich-
nen sind. Die Tabellen 17 und 18 weisen jeweils nur eine homogene Untergruppe aus und
zeigen zudem die von den Gruppen erreichten Mittelwerte.
Tabelle 17: Homogene Untergruppen (Sprachgruppen) ‚Wert Lesekompetenz Deutsch 4. Schuljahr’
Wert Lesekompetenz Deutsch 4. Schuljahr
Duncan
Sprachgruppe
N
Subset for alpha
= 0.05
1
Sorbisch-Deutsch
18
98,1039
Deutsch
50
100,8500
Sorbisch
39
102,9892
Sig.
,104
Tabelle 18: Homogene Untergruppen (Sprachgruppen) ‚Wert Lesekompetenz Deutsch 6. Schuljahr
Wert Lesekompetenz Deutsch 6. Schuljahr
Duncan
a,,b
Sprachgruppe
N
Subset for alpha
= 0.05
1
Deutsch
33
108,1609
Sorbisch-Deutsch
15
108,6667
Sorbisch
40
112,2750
Sig.
,308
28
So liegt die Irrtumswahrscheinlichkeit anhand eines t-Tests bei verbundenen Stichproben für die Sprachgruppe
1 bei p = .000, für die Sprachgruppe 2 bei p = .032 und für die Sprachgruppe 3 bei p = .000.

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Insgesamt bestätigt sich hier einmal mehr, dass im Deutschen kaum Unterschiede zwischen
den Sprachgruppen auszumachen sind und die Kinder ihre bildungssprachlichen Kompeten-
zen stark ausbauen konnten.
5.3.1.2 Im Sorbischen
Wie Abb. 42 veranschaulicht, fallen die Zuwächse im Sorbischen tendenziell geringer aus als
im Deutschen. Weiterhin bildet sich wiederum die Sprachgruppenzugehörigkeit der Schüle-
rinnen und Schüler in den erreichten Werten ab.
Abbildung 42: Entwicklung der Lesekompetenz im Sorbischen nach Sprachgruppen
Die t-Tests bei verbundenen Stichproben belegen, dass sich die Lesekompetenz im Sorbi-
schen nicht so gleichmäßig wie im Deutschen entwickelt hat. Der Zuwachs für die Sprach-
gruppe 1 liegt mit p = .068 knapp über der Signifikanzschwelle. Damit ist ein deutlicher
Trend hin zu einem Kompetenzzuwachs angezeigt. Die Entwicklung in der Sprachgruppe 2 ist
nicht signifikant, allerdings handelt es sich hier, wie bereits erwähnt, um eine zahlenmäßig
kleine Gruppe. Die Sprachgruppe 3 dagegen erfährt einen hochsignifikanten Zuwachs (p =
.000). Bei Betrachtung des Verhältnisses der Sprachgruppen zueinander wird deutlich, dass
sich im vierten Schuljahr noch alle Gruppen signifikant voneinander unterschieden, im sech-
sten Schuljahr jedoch die Sprachgruppen 1 und 2 auf einem Niveau liegen und die Sprach-
gruppe 3 trotz des starken Zuwachses hinter den beiden erstgenannten zurückbleibt. Die Ta-
bellen 19 und 20 zeigen die erreichten Mittelwerte und die homogenen Untergruppen.

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Tabelle 19: Homogene Untergruppen (Sprachgruppen) ‚Wert Lesekompetenz Sorbisch 4. Schuljahr’
Wert Lesekompetenz Sorbisch 4. Schuljahr
Duncan
Sprachgruppe
N
Subset for alpha = 0.05
1
2
3
Deutsch
50
81,6442
Sorbisch-Deutsch
18
92,6789
Sorbisch
41
100,2702
Sig.
1,000
1,000
1,000
Tabelle 20: Homogene Untergruppen (Sprachgruppen) ‚Wert Lesekompetenz Sorbisch 6. Schuljahr’
Wert Lesekompetenz Sorbisch 6. Schuljahr
Duncan
Sprachgruppe
N
Subset for alpha = 0.05
1
2
Deutsch
33
85,4470
Sorbisch-Deutsch
14
97,7029
Sorbisch
41
104,0659
Sig.
1,000
,059
Angesichts der etwas erwartungswidrigen Zuwachsraten für die Sprachgruppen 1 und 2 soll
im Folgenden kurz genauer untersucht werden, wie dieses Phänomen zustande kommt. Dazu
bietet es sich an, die beiden Gruppen zusammenzufassen und den Einfluss der Lerngruppen
zu untersuchen. Eine solche Untersuchung des Zuwachses der Sprachgruppen 1 und 2 in Ab-
hängigkeit von der Lerngruppe in der Sekundarstufe I zeigt, dass es in nahezu allen Lerngrup-
pen eine Stagnation gibt; einzig in der Schule Kemwitz sind enorme Kompetenzzuwächse zu
verzeichnen. Dies betrifft vor allem Kinder, die in der Grundschule häufig hinter den anderen
Lerngruppen zurücklagen und nun kräftig aufholen konnten. Somit kann als Ergebnis dieser
vertiefenden Betrachtung festgehalten werden, dass der Unterricht in Kemwitz offenbar hin-
sichtlich der Lesekompetenz besonders effektiv war. Dies soll im Rahmen der Querschnittsa-
nalysen genauer untersucht werden.

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Zuvor soll jedoch eine weitere Möglichkeit der vertiefenden Betrachtung genutzt werden: Die
Kinder der Sprachgruppen 1 und 2 wurden in diesem Zuge nach ihrer Lesekompetenz im vier-
ten Schuljahr in vier Untergruppen aufgeteilt und der jeweilige Kompetenzzuwachs beobach-
tet, was durch Abb. 43 veranschaulicht wird. Die Gruppen wurden anhand von Trennwerten
gebildet, welche die Gesamtgruppe in vier gleich große Untergruppen mit steigender Lese-
kompetenz im 4. Schuljahr aufteilt. Die folgende Tabelle gibt Auskunft über die ‚Spannweite’
der Gruppen in Bezug auf die Lesekompetenz im Sorbischen im vierten Schuljahr.
Tabelle 21: Trennwerte (Wert Lesekompetenz 4. Schuljahr) der Kinder der Sprachgruppen 1 und 2 zur
Bildung vier gleich großer Gruppen
Untergruppe der Sprachgruppen 1
und 2
Spannweite Wert Lesekompetenz Sor-
bisch 4. Schuljahr
1
2
3
4
< 93
94-99
100-106
> 106
Abbildung 43: Entwicklung der Lesekompetenz im Sorbischen nach Lesekompetenz im vierten Schuljahr
Es deutet sich an, dass es vor allem im unteren Bereich (Kompetenzgruppen 1 und 2) Ent-
wicklungen gegeben hat. In diesen beiden Gruppen fällt die Entwicklung signifikant aus (p =

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.001 bzw. p = .032) während die Kinder, die schon in der Grundschule ein hohes Maß an Le-
sekompetenz zeigten, eher stagnieren. Dies kann als ein Hinweis darauf gedeutet werden, dass
die Förderung für die im Sorbischen starken Kinder nicht überall in vollem Umfang gelungen
ist. Methodisch ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Lesetest nicht für die Fortschritts-
messung konzipiert wurde, so dass ggf. bei Schülerinnen mit im 4. Schuljahr bereits hohen
Werten ein Deckeneffekt eintritt. Eine Betrachtung der Entwicklung der vier Gruppen im
Deutschen zeigt jedoch, dass sich dort alle Gruppen gleichmäßig weiterentwickeln. Letztlich
kann der heterogene Leistungszuwachs im Sorbischen aber nur dann bestätigt werden, wenn
sich dieses Phänomen auch in den anderen Sprachstandsindikatoren manifestiert; daher soll
diese Untersuchung in Kap. 6. noch einmal für die Lesekompetenz, die schriftliche Aus-
drucksfähigkeit und die mündliche Ausdrucksfähigkeit in der Zusammenschau durchgeführt
werden.
5.3.2 Querschnittsanalysen
5.3.2.1 Sprachvergleich
Die Ergebnisse der Untersuchungen mit dem Impuls Tulpenbeet sowie die vertiefenden Ana-
lysen zur Lesekompetenz im Längsschnitt lassen eine gewisse Dominanz des Deutschen er-
warten. Abb. 44 zeigt, wie sich die Lesekompetenzwerte im Deutschen und Sorbischen in den
drei Sprachgruppen zueinander verhalten.

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Abbildung 44: Sprachvergleich Lesekompetenz
Der optische Eindruck einer Dominanz des Deutschen in allen drei Sprachgruppen bestätigt
sich anhand von t-Tests bei gepaarten Stichproben: In allen drei Gruppen erweist sich der Un-
terschied als hochsignifikant (Sprachgruppe 1: p = .000; Sprachgruppe 2: p = .003; Sprach-
gruppe 3: p = .000). Es zeigt sich also auch an dieser Stelle, dass insbesondere die Kinder der
Sprachgruppen 1 und 2 im Verlauf der Sekundarstufe I eine Dominanz des Deutschen entwi-
ckeln. Diese Entwicklung deutete sich schon in der vierten Klasse an, jedoch lagen die Kont-
raste zwischen dem Sorbischen und dem Deutschen für die Sprachgruppe 1 in der Grundschu-
le noch knapp oberhalb des Signifikanzniveaus von 0,05; für die Sprachgruppe 2 lag bereits
ein signifikanter Unterschied vor. Allerdings wäre es ein falscher Schluss, bei den Kindern
der Sprachgruppe 1 nun eine nicht balancierte Zweisprachigkeit anzunehmen. An dieser Stelle
greift erneut die Hypothese einer zunehmend domänenspezifischen Zweisprachigkeit: Mit
wachsender Fachwissenschaftlichkeit der Unterrichtsinhalte in der Sekundarstufe I verlagert
sich in dieser Sprachgebrauchsdomäne die Dominanz der Zweisprachigkeit in Richtung des in
dieser Beziehung weiterreichenden Kommunikationsmediums Deutsch, während in anderen
Kontexten die Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit im Sorbischen weiterhin stärker
ausgeprägt sein kann. Gerade für die Lesekompetenz dürfte die Umgebung eine große Rolle
spielen, da z.B. in der Freizeit von den Kindern rezipierte Medien überwiegend in deutscher
Sprache zur Verfügung stehen.

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5.3.2.2 Lerngruppenvergleich
Ähnlich wie bereits zu den schriftsprachlichen Kompetenzen beobachtet ist es auch hier zu
erwarten, dass es im Deutschen wenige, im Sorbischen dagegen stärkere Unterschiede zwi-
schen den Lerngruppen gibt. Diese Erwartung bestätigt sich anhand von Abb. 45 und einer
einfaktoriellen Varianzanalyse (Tab. 22).
Abbildung 45: Lerngruppenvergleich Lesekompetenz im Deutschen
Tabelle 22: Homogene Untergruppen (Lerngruppen) ‚Wert Lesekompetenz Deutsch’
Wert Lesekompetenz Deutsch 6. Schuljahr
Duncan
a,,b
SchuleSekI
N
Subset for alpha
= 0.05
1
Manwitz
23
103,9870
Radowitz
10
104,1610
Sabitzen
15
108,4307
Kemwitz
23
110,0000
Padozen
16
111,8750

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Bodwitz
37
112,6216
Sig.
,070
Es wird in der Tat nur eine homogene Untergruppe berechnet; im Deutschen liegen also alle
Schülerinnen und Schüler, egal welche Schulform oder welche konkrete Schule sie besuchen,
auf einem Leistungsniveau, und zwar – wie in Kap. 5.3.1.1. gezeigt wurde – bei einer generell
signifikanten Entwicklung.
Im Sorbischen dagegen macht sich insofern das bekannte Phänomen der Sprachgruppenzuge-
hörigkeit bemerkbar, als vor allem die Lerngruppen aus den Schulen in Bodwitz und in Pado-
zen hohe Werte erreichen (vgl. Abb. 46).
Abbildung 46: Lerngruppenvergleich Lesekompetenz im Sorbischen
Tabelle 23: Homogene Untergruppen (Lerngruppen) , Wert Lesekompetenz Sorbisch`
Wert Lesekompetenz Sorbisch 6. Schuljahr
Duncan
a,b
SchuleSekI
N
Subset for alpha = 0.05.
1
2
Radowitz
5
79,3320
Kemwitz
16
85,2256
Sabitzen
2
89,7300
89,7300

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Manwitz
22
92,9032
92,9032
Padozen
16
101,6369
Bodwitz
30
101,7683
Signifikanz
,074
,113
Wie Tabelle 23 als Ergebnis einer einfaktoriellen Varianzanalyse verdeutlicht, bilden die
Lerngruppen der Schulen in Manwitz und Sabitzen eine Übergangsgruppe, die sowohl mit
den Lerngruppen aus Radowitz und Kemwitz als auch mit den Schulen in Bodwitz und Pado-
zen gleichauf liegen.
Angesichts der Ergebnisse der Sprachgruppen 1 und 2 im Längsschnitt zeigt Abb. 47 noch
einmal die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler dieser zusammengefassten Gruppen,
nach Lerngruppenzugehörigkeit aufgeschlüsselt. Es geht um die Frage, in welchen Lerngrup-
pen die Förderung dieser Kinder besonders gelungen ist.
Wie sich zeigt und wie im vorigen Kapitel schon angedeutet wurde, sind es die Kinder der
Sprachgruppen 1 und 2 aus Kemwitz, die im vierten Schuljahr noch die schlechtesten Ergeb-
nisse erzielten und deren Kompetenzwerte nun sogar oberhalb der der Schülerinnen und
Schüler aus Bodwitz liegen. Damit bestätigen sich die Ergebnisse aus Kapitel 3, in dem die
schriftsprachliche Kompetenz der dominant sorbischsprachigen Kinder aus Kemwitz als
sprunghaft anwachsend gekennzeichnet wurde. Hingegen konnte dieser Effekt für die Kinder
der Gruppe 3 nicht beobachtet werden. Gegebenenfalls lässt sich dieses Phänomen unter Ein-
bezug der Lehrer(innen)interviews genauer aufklären.

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Abbildung 47: Entwicklung der Lesekompetenz nach Lerngruppen (Sprachgruppen 1 und 2)
Aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung lässt sich auch anhand der Ergebnisse zur Lese-
kompetenz die Empfehlung formulieren, dass sich die heterogenen sprachlichen Lernvoraus-
setzungen der Schülerinnen und Schüler in der Anlage des Unterrichts widerspiegeln sollten,
damit alle Kinder sowohl im Deutschen als auch im Sorbischen Fortschritte erzielen können.
5.3.2.3 Effekte der Schulform
In Kap 4.2.2.2 wurde festgestellt, dass sich die Leistungsschere zwischen Schülerinnen und
Schülern des Gymnasiums und der Mittelschule für das Deutsche öffnet, für das Sorbische in
etwa gleich bleibt. Dies soll nun anhand der Werte für die Lesekompetenz überprüft werden.
Abb. 48 zeigt das Verhältnis dieser Gruppen zueinander zu beiden Erhebungszeitpunkten für
das Deutsche. Es ist erkennbar, dass sich der zur Grundschulzeit gegebene Unterschied zwi-
schen den beiden Gruppen in der Sek. I glättet, womit ein gegenläufiger Trend zur schriftli-
chen Ausdrucksfähigkeit deutlich wird. Dies wird durch t-Tests für unabhängige Stichproben
bestätigt: Lag das Signifikanzniveau in der Grundschule noch bei p = .001, so wird im sech-
sten Schuljahr gerade noch das Schwellenniveau von .05 erreicht. Mit anderen Worten: Die

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Schülerinnen und Schüler der Mittelschulen könnten stärker hinzugelernt haben als die Kinder
des Gymnasiums.
29
Für das Sorbische gilt wiederum, dass der Vergleich der beiden Gruppen durch die unter-
schiedliche Sprachgruppenzusammensetzung verzerrt ist. Daher wird erneut auf eine multi-
faktorielle Varianzanalyse zurückgegriffen, um den Effekt der Schulform auf die im vierten
und sechsten Schuljahr erreichten Werte zu bestimmen.
Abbildung 48: Entwicklung der Lesekompetenz nach Schulform
Es zeigt sich, dass im vierten Schuljahr beide Faktoren einen signifikanten Einfluss auf die
Lesekompetenz im Sorbischen besitzen (Sprachgruppe: p = .000, 31% Varianzaufklärung;
Schulform: p = .011, 8% Varianzaufklärung). Im sechsten Schuljahr löst sich der Einfluss des
nun – in der Wirklichkeit ja bestehenden – Schulformunterschiedes auf und nur der Faktor
Sprachgruppenzugehörigkeit wirkt sich weiterhin signifikant aus (Sprachgruppe: p = .000,
23% Varianzaufklärung; Schulform: p = .127, 3% Varianzaufklärung). Damit bestätigen sich
die Ergebnisse zur Lesekompetenz im Deutschen. In Kap. 3 wurde für die Textproduktion der
Befund einer Öffnung der Leistungsschere festgestellt; für das Lesen sieht das anders aus. Das
bedeutet, dass der für das schriftliche Erzählen festgestellte Befund keine generelle Tendenz
einer schulformspezifischen Leistungsspreizung bedeutet, sondern dass sich domänenspezi-
29
Dies muss mit aller Vorsicht formuliert werden, da, wie gesagt, ein Deckeneffekt des für die 4. Klasse entwi-
ckelten Instruments nicht auszuschließen ist.

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fisch – anscheinend standortbezogen – Schwerpunktsetzungen im Hinblick auf die durchge-
führte Förderung abbilden.
Um der Verflechtung der Faktoren Standort und Schulform auf die Spur zu kommen, bietet
sich wiederum eine multiple, schrittweise Regressionsanalyse mit den generierten ‚Dummy-
Variablen’ an. Als abhängige Variable dient jeweils der Lernzuwachs in der Lesekompetenz
im Deutschen und Sorbischen (vgl. Tab. 24 und 25)
Tabelle 24: Variablen mit signifikanter Vorhersagekraft für den Lernzuwachs in der Lesekompetenz im
Deutschen
Variable
B
SE B
β
Schritt 1
Kemwitz = zutreffend
7,763 1,360 0,258*
Schritt 2
-
abhängige Variable: Lernzuwachs Iglu Deutsch
* p > .05; R² = .067 für Schritt 1
Tabelle 25: Variablen mit signifikanter Vorhersagekraft für den Lernzuwachs in der Lesekompetenz Sor-
bisch
Variable
B
SE B
β
Schritt 1
Kemwitz = zutreffend
10,153 2,770 0,397**
Schritt 2
-
abhängige Variable: Lernzuwachs Iglu Sorbisch

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** p > .05; R² = .157 für Schritt 1
Es zeigt sich, dass allein der Faktor Lerngruppe – genauer: der Faktor ‚Lerngruppe = Kem-
witz’ einen signifikanten Einfluss auf den Lernzuwachs ausübt, und das in beiden Sprachen.
Damit wird nochmals speziell auf den anscheinend besonders erfolgreichen Unterricht in der
Schule in Kemwitz hingewiesen, zum anderen wird wieder deutlich, dass der Faktor Lern-
gruppe – und damit die didaktische Umsetzung vor Ort – wahrscheinlich einen größeren Ein-
fluss auf den Lernerfolg bzw. -zuwachs ausübt als die Schulformspezifik.
5.3.2.4 Vergleich der 2Plus-SchülerInnen mit der Kontrollgruppe
Abschließend soll untersucht werden, ob sich auch anhand der Daten zur Lesekompetenz
nachweisen lässt, dass die Kinder, die am bilingualen Unterricht teilgenommen haben, bessere
Ergebnisse im Deutschen erzielen als die in der fünften Klasse neu hinzugekommenen Kin-
der. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass beim IGLU-Test allem Anschein nach für Schü-
ler und Schülerinnen, die bereits im vierten Schuljahr zu den starken Lesern gezählt werden
konnten, Deckeneffekte nicht auszuschließen sind. Abb. 49 legt dementsprechend nahe, dass
sich der Unterschied in diesem Fall nicht so klar herauskonturiert wie zur Schriftsprachlich-
keit beobachtet – dennoch liegt der Mittelwert der 2Plus-SchülerInnen höher als jener der
Kontrollgruppe. Die Prüfung auf Signifikanz ergibt in diesem Fall keinen aussagekräftigen
Unterschied. Eine Betrachtung nach Sprachgruppen zeigt, dass auch an dieser Stelle mit stei-
genden Sorbischkenntnissen der Schülerinnen und Schüler deren bildungssprachliche Kompe-
tenz im Deutschen zunimmt (vgl. Kap. 3.2.3.3 und 4.2.2.4). Da jedoch in diesem Fall keine
statistische Aussagekraft vorliegt, erscheint die umgekehrte Formulierung angemessener: Der
bilinguale sorbisch-deutsche Unterricht führt – und dies ist statistisch abgesichert – zu keiner-
lei Nachteilen in den bildungsrelevanten sprachlichen Kompetenzen, und dies sogar unabhän-
gig von den jeweils bei Schuleintritt individuell gegebenen sprachlichen Voraussetzungen.

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Abbildung 49: Vergleich mit der Kontrollgruppe
Abbildung 50: Vergleich der Sprachgruppen mit der Kontrollgruppe
5.3.2.5 Resümee
Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich der Untersuchung der Lesekompetenz im vierten und
sechsten Schuljahr folgendes festhalten: Im Deutschen konnte für alle drei Sprachgruppen ei-
ne gleichmäßig signifikante Entwicklung der Lesekompetenz festgestellt werden. Im Sorbi-
schen ist die Entwicklung für die Gesamtgruppe zwar ebenfalls hochsignifikant, eine Aufglie-
derung nach Sprachgruppen zeigte jedoch für die Sprachgruppen 1 und 2 eine Tendenz zu ei-

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ner im Vergleich zum Deutschen schwächeren Entwicklung, während die Sprachgruppe 3
kräftig zulegen konnte.
Im Deutschen konnten im sechsten Schuljahr keine Leistungsunterschiede zwischen den
Lerngruppen festgestellt werden, während im Sorbischen – wie schon zur schriftsprachlichen
Kompetenz beobachtet – die Sprachgruppenzusammensetzung in den Lerngruppen einen
deutlichen Einfluss ausübt: die Schulen in Bodwitz und Padozen schneiden am besten ab. Im
Hinblick auf die Entwicklung in den Lerngruppen war es jedoch die Schule Kemwitz, in wel-
cher insbesondere die im Sorbischen starken Kinder die stärksten Lernfortschritte erzielten –
dies ist keine Einzelbeobachtung sondern bestätigt sich auch in den Ergebnissen zum Instru-
ment Tulpenbeet; in der Förderung der Kinder der Sprachgruppe 3 waren dagegen andere
Lerngruppen erfolgreicher.
Der Sprachvergleich zeigt eine Tendenz hin zu einer Dominanz des Deutschen. Dieses Ergeb-
nis lässt sich einerseits wohl mit der zwischen den Lerngruppen divergierenden Entwick-
lungsdynamik im Sorbischen der Kinder der Sprachgruppen 1 und 2 in Verbindung bringen,
andererseits können sich hier auch Unterschiede im fachsprachlichen Verwendungsradius der
beiden Sprachen niederschlagen.
Während die in Kapitel 3 festgestellten positiven Auswirkungen des bilingualen Unterrichts
mit den Daten zur Lesekompetenz nicht widerlegt wurden, konnte die dort konstatierte Öff-
nung der Leistungsschere zwischen den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums und de-
nen der Mittelschule als genereller Befund nicht bestätigt werden. Insgesamt gesehen scheint
die wichtige Frage, auf welche Faktoren der Lernerfolg letztlich zurückzuführen ist, vor allem
mit der Lerngruppenzugehörigkeit zusammenzuhängen. Die Regressionsanalysen zeigten,
dass vor allem die Lerngruppe in Kemwitz gute Erfolge erzielen konnte. Während der Lern-
zuwachs in der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit im Sorbischen auch signifikant von der
Sprachgruppe abhing, konnte dies für die Lesekompetenz nicht bestätigt werden, so dass auch
durch die Regressionsanalysen der obige Befund einer vergleichsweise geringen Entwick-
lungsdynamik der Sprachgruppen 1 und 2 bestätigt wird.
6. Abschließende Betrachtung
Welche Ergebnisse erweisen sich nun in der Zusammenschau aller drei Untersuchungskatego-
rien als weitgehend stabil?

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Dazu gehört sicherlich ein Trend, der schon aus den bisherigen Berichten bekannt ist und die
sprachlichen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler betrifft: Im Deutschen lassen
sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Sprachgruppen nachweisen. Somit er-
weist sich diese Erkenntnis als stabil über die gesamte Beobachtungszeit von nunmehr sechs
Jahren. An manchen Stellen zeigt sich ein Trend hin zu höheren sprachlichen Fähigkeiten der
Sprachgruppe 1 im Deutschen – möglicherweise wirken bei diesen balanciert bilingual-
bilateralen Kindern Mechanismen, die mit dem Begriff ‚additiver Bilingualismus’ beschrie-
ben werden können. Dieses Konzept besagt, dass aus solchen Formen individueller Mehrspra-
chigkeit nicht nur sprachliche, sondern auch kognitive Vorteile für die Kinder resultieren
können.
Im Sorbischen dagegen macht sich auch nach sechs Jahren bilingualen Unterrichts die
Sprachgruppenzugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler bemerkbar: Hier liegen die
Sprachgruppen 1 und 2 zwar nun meist auf einem Niveau (dieses Ergebnis war bereits im Be-
richt zu den Sprachproben des ersten Schuljahres erwartet worden), die Sprachgruppe 3 liegt
jedoch in allen drei Untersuchungskategorien signifikant hinter den beiden erstgenannten
Gruppen. Dieses Resultat ist angesichts der Entwicklung, die die Kinder aus dominant
deutschsprachigen Elternhäusern durchlaufen haben, jedoch keineswegs als negativ zu beur-
teilen: Die über die gesamte Zeit von sechs Jahren kontinuierlich starken Zuwachsraten ver-
deutlichen, dass diese Kinder eine grundlegende sprachliche Handlungsfähigkeit auch im
Sorbischen erworben haben – damit zeigt sich eine der Zielperspektiven des 2-Plus-
Programms als verwirklicht. Die konvergierenden Ergebnisse der Kinder der Sprachgruppen 1
und 2 betreffen dagegen eine andere wichtige Zielebene: Die sorbische Sprache wird von die-
sen Kindern, die außer dem schulischen auch alltäglichen Sprachkontakt mit dem Sorbischen
haben, auf einem bildungssprachlich relevanten Niveau beherrscht. Entgegen einem Hinweis
aus den Daten zum vierten Schuljahr konnte in diesem Bericht anhand der Auswertung zur
Sprachhandlung ‚Erklären’ – ein bildungssprachlich hochgradig relevantes Genre – gezeigt
werden, dass die Leistungen der Kinder der Sprachgruppe 1 sich in beiden Sprachen in etwa
auf einem Niveau befinden. Dies gilt auch für das schriftliche Erzählen. In der Lesekompe-
tenz dagegen wurden Vorteile des Deutschen festgestellt. Diese – trotz einer im Prinzip weit-
gehend balancierten individuellen Zweisprachigkeit – festgestellte Tendenz zu einer Domi-
nanz des Deutschen im ‚bildungssprachlichen’ Sprachgebrauch erscheint vor allem durch
Faktoren erklärbar, die außerhalb der Institution Schule liegen: Trotz des vergleichsweise ho-
hen Ausbaustatus der Minderheitensprache liegt im Einzugsgebiet der bilingualen Schulen
eine Diglossie vor, in welcher das Sorbische vor allem als Kommunikationsmedium im Be-
reich der Familie fungiert – also als ‚Sprache der Nähe’ bezeichnet werden kann, während die

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Verwendung des Deutschen (als ‚Sprache der Distanz’ im institutionellen Sprachgebrauch) in
den Bereichen Arbeitswelt und Wissenschaft dominant ist (vgl. Euromosaic o.J.). Hinzu
kommt die Präsenz des Deutschen in den Massenmedien.
Angesichts dieser Bedingungen ist es zu erwarten, dass sich das äußere Ungleichgewicht zwi-
schen den Sprachen – je mehr sich die Kinder in anderen kommunikativen Sphären bewegen
als der Familie – auch in der Balance der individuellen Mehrsprachigkeit der Schülerinnen
und Schüler niederschlägt. Umso ermutigender sind die vorliegenden Ergebnisse: Die Ver-
mittlung bildungssprachlicher Fähigkeiten an die Schülerinnen und Schüler stellt eine wichti-
ge Voraussetzung zu einem Erhalt des Sorbischen als umfassendes Kommunikationsmedium
dar. Damit sind auch didaktische Fragen verknüpft: Zum einen ist es notwendig, dass die
Lehrkräfte selbst eine hohe bildungssprachliche Kompetenz im Sorbischen besitzen. Weiter-
hin fungieren die Lehrkräfte aber auch als sprachliche Vorbilder und Vermittler: Nur wenn sie
das Sorbische auch in einem fach- bzw. bildungssprachlichen Register im Unterricht anwen-
den, können die Kinder entsprechende Kompetenzen im Medium der Minderheitensprache
erwerben. Daher lässt sich aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung die Empfehlung for-
mulieren, die Lehrkräfte für diesen Zusammenhang zu sensibilisieren und dementsprechend
zu qualifizieren.
Was den Vergleich der einzelnen Lerngruppen anbetrifft, so fallen die Ergebnisse wesentlich
heterogener aus als hinsichtlich der Sprachgruppen. Es offenbaren sich zunächst Unterschiede
zwischen den Lerngruppen bei den Absolutwerten, die sich mit der allgemeinen Leistungshe-
terogenität der Schülerinnen und Schüler erklären lassen, sprich: die Kinder bringen in unter-
schiedlichem Maß während der Grundschulzeit erworbene Fähigkeiten mit in die Sekundars-
tufe I. Diese Unterschiede zwischen den Absolutwerten sind im Sorbischen deutlicher zu er-
kennen als im Deutschen. Dies ist leicht erklärlich: zu der allgemeinen Leistungsheterogenität
der Schülerinnen und Schüler treten im Medium des Sorbischen ihre unterschiedlichen
sprachlichen Voraussetzungen hinzu. Mit anderen Worten: Die Lerngruppen unterscheiden
sich stark hinsichtlich ihrer Sprachgruppenzusammensetzung. Weiterhin unterscheiden sich
die Lerngruppen stark hinsichtlich der Gruppengröße, was im Zusammenhang mit individuel-
ler Diagnostik und Förderung als limitierender Faktor aufgefasst werden kann. Vertiefende
Analysen unter Einbezug der unterschiedlichen Ausgangswerte konnten aber zeigen, dass die
Unterschiede zwischen den Lerngruppen weniger deutlich ausfallen, wenn die tatsächlichen
Werte mit einem ‚Erwartungswert’ in Beziehung gesetzt werden. Jedoch traten auch an dieser
Stelle – insbesondere im sprachenübergreifenden Kontext – bestimmte Lerngruppen durch
besonders starke oder auch weniger starke Entwicklungen vom vierten zum sechsten Schul-
jahr hervor. Die unterschiedlichen didaktischen Bedingungen erweisen sich als wirksam.

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Aus dieser Einsicht heraus lässt sich eine weitere didaktische Empfehlung der wissenschaftli-
chen Begleitung formulieren: Angesichts der Bedingungen der Arbeit im 2-Plus-Konzept
empfiehlt sich die konsequente Qualifizierung der Lehrkräfte der Sekundarstufe I im produk-
tiven Umgang mit Heterogenität. Dies betrifft zum einen Leistungsheterogenität und das da-
mit verknüpfte zieldifferente Lernen. Die andere im sorbisch-deutschen Kontext besonders
relevante Heterogenitätsdimension betrifft den Faktor Sprache: Hier sollten Fachlehrkräfte in
der Sekundarstufe I sowohl dazu in der Lage sein, die erforderliche grundlegende Wortschatz-
und Grammatikarbeit mit Kindern der Sprachgruppe 3 durchzuführen, als auch gleichzeitig
die Entwicklung der bildungssprachlichen Kompetenzen der Kinder der Sprachgruppen 1 und
2 zu unterstützen. Eine solche Professionalität zeichnet sich neben didaktischen und methodi-
schen Fähigkeiten auch durch diagnostisches Wissen bzw. einen ‚diagnostischen Blick’ aus.
Angesichts der genannten Herausforderungen in Bezug auf den Faktor ‚Individualisierung’
erscheint das Team-Teaching als angemessene Unterrichtsmethodik, die Ressourcen für den
produktiven Umgang mit der Heterogenität bereitstellt. Jedoch könnte, berücksichtigt man die
Aussagen aus den Gesprächen mit Lehrkräften, auch hier ein Qualifizierungsbedarf bestehen,
damit die Chancen, die in diesem Unterrichtsarrangement liegen, besser genutzt werden kön-
nen.
Auch die Lehrerbefragung hat ergeben, dass das bilinguale Schulmodell für den Spracherwerb
und für den Erhalt des Sorbischen am effektivsten sei. Trotz des größeren Arbeitsaufwandes
wird die Rückkehr zur monolingualen Unterrichtsform nicht gewünscht. In drei von fünf
Schulen geben die Lehrkräfte an, dass die Arbeitszufriedenheit im Laufe des Projekts gestie-
gen sei. In den restlichen zwei Schulen sei sie auf demselben Niveau geblieben. Die Gesamt-
beurteilung des bilingualen Unterrichtskonzepts bewegt sich bei den besten ‚Noten‘. Die Aus-
sagen der Lehrer(innen) bestätigen unsere Vermutung, dass bei der Wahl von didaktischen
Konzepten und Unterrichtsmethoden klare Unterschiede zwischen den Schulen bestehen.
Auch die Zeit und Anzahl der Fächer, die auf Sorbisch oder bilingual angeboten werden, va-
riieren von Schule zu Schule. Unsere Untersuchung kann nur die Vermutung untermauern,
dass hier Gründe für das unterschiedliche Abschneiden der Lerngruppen liegen – eine Über-
prüfung dieser Vermutung bedürfte einer weiteren Studie. Dennoch sollte es lohnend sein, die
Lehrkräfte selbst zu einer Analyse dieser Hinweise zu veranlassen. In besonderem Maße ha-
ben sich die Ergebnisse des Vergleichs mit der Kontrollgruppe als stabil erwiesen. Diese
Perspektive ermöglichte es in diesem Bericht zum ersten Mal, eventuelle Effekte des bilingua-
len Unterrichts in der Grundschule durch den Vergleich zu ermitteln. Es zeigte sich, dass die
Kinder, die nach dem 2-Plus-Konzept arbeitende Grundschulen besucht hatten, im Deutschen
durchweg besser abschnitten als Kinder aus einer ‚konventionellen’ Grundschule. Dieses Er-

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wicklung in der Sekundarstufe I. Hamburg und Köln (Universität Hamburg, Universität zu Köln) 2010. Titelseite: sternklar.com
gebnis resultiert nicht etwa nur aus den sprachlichen Fähigkeiten der Sprachgruppen 1 und 2.
Auch die Kinder der Sprachgruppe 3 zeigten diese Tendenz. Damit wird deutlich, dass eine
teilweise Beschulung im Medium des Sorbischen auch bei Kindern mit geringen sprachlichen
Vorkenntnissen in der Minderheitensprache nicht auf Kosten der Qualität der Sprachentwick-
lung im Deutschen geht.
Somit bestätigen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung in der Tendenz den mit
dem 2-Plus Konzept eingeschlagenen Weg anhand der folgenden drei zentralen Feststellun-
gen:
Kinder aus deutschsprachigen Elternhäusern erwerben eine grundlegende
sprachliche Handlungsfähigkeit im Sorbischen und können somit mittel- und
langfristig zu einer Stabilisierung des Kommunikationsmediums ‚Sorbisch’
beitragen.
Kinder aus sorbischsprachigen Elternhäusern erwerben bildungssprachliche
Fähigkeiten im Sorbischen und können damit zum Erhalt des Ausbaustatus des
Sorbischen beitragen.
Alle Kinder erwerben hohe bildungssprachliche Fähigkeiten im Deutschen und
eignen sich damit die zentrale Schlüsselqualifikation für Bildungserfolg und
soziale Aufwärtsmobilität an.

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wicklung in der Sekundarstufe I. Hamburg und Köln (Universität Hamburg, Universität zu Köln) 2010. Titelseite: sternklar.com
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