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Verfassungsschutzbericht 2010
STAATSMINISTERIUM
DES INNERN

Hinweis
Der vorliegende Sächsische Verfassungsschutzbericht 2010 stellt kurz und prägnant die wesent-
lichen quantitativen wie qualitativen jahresaktuellen Entwicklungstendenzen und Veränderungen in
den Beobachtungsfeldern des LfV Sachsen dar.
Darüber hinaus ist auch das „Sächsische Handbuch zum Extremismus und zu sicherheitsgefähr-
denden Bestrebungen“ verfügbar. Es ist im Vergleich zum Verfassungsschutzbericht inhaltlich um-
fangreicher. Es stellt extremistische und sicherheitsgefährdende Gruppen, Personen etc. in ihren
Charakteristika (z.B. Ideologie) und ihren längerfristigen Entwicklungen dar. Dementsprechend ent-
hält es im Vergleich zum Verfassungsschutzbericht zahlreiche weiterführende Angaben bzw. zusätz-
liche Informationen aus den Beobachtungsfeldern des LfV Sachsen.
Das Handbuch kann ebenso wie der Verfassungsschutzbericht kostenfrei beim LfV Sachsen bestellt
werden.

Inhaltsverzeichnis
I. Extremistische Bestrebungen
1. Rechtsextremismus
1.1 Überblick in Zahlen
_____________________________________________________________________________________________________________
1.2 Entwicklungstendenzen im Rechtsextremismus
______________________________________________________________
1.3 Rechtsextremistische Parteien
1.3.1 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und
___________________________________________
JUNGE NATIONALDEMOKRATEN (JN)
_________________________________________________________________________________
1.3.2 DEUTSCHE VOLKSUNION (DVU)
_______________________________________________________________________________________
1.4 Rechtsextremistische Kameradschaftsszene, insbesondere die
neonationalsozialistischen K
AMERADSCHAFTEN und die FREIEN KRÄFTE
_________________________________
1.5 Rechtsextremistische Musik- und Vertriebsszene
___________________________________________________________
1.6 Sonstige rechtsextremistische Gruppierungen
1.6.1 JUNGE LANDSMANNSCHAFT OSTDEUTSCHLAND e. V. (JLO)
__________________________________________________
1.6.2
HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE POLITISCHE GEFANGENE UND
DEREN
ANGEHÖRIGE e. V. (HNG)
___________________________________________________________________________________
2. Linksextremismus
2.1 Überblick in Zahlen
____________________________________________________________________________________________________________
2.2 Entwicklungstendenzen im Linksextremismus
________________________________________________________________
2.3 Linksextremistische Parteien und innerparteiliche Zusammenschlüsse
2.3.1 DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP)
______________________________________________________________________
2.3.2 MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD)
____________________________________________
2.3.3 Linksextremistische Strömungen innerhalb der Partei „DIE LINKE.“
__________________
2.4 AUTONOME
______________________________________________________________________________________________________________________________
2.5 Sonstige linksextremistische Gruppierungen
2.5.1 R
OTE HILFE e. V. (RH)
__________________________________________________________________________________________________
2.5.2 Trotzkismus / SOZIALISTISCHE ALTERNATIVE (SAV)
________________________________________________________
2.5.3
GEGENSTANDPUNKT
________________________________________________________________________________________________________
3. Islamismus bzw. islamistischer Terrorismus und sonstiger Ausländerextremismus
3.1 Überblick in Zahlen
____________________________________________________________________________________________________________
3.2 Internationaler islamistischer Terrorismus
______________________________________________________________________
3.3 Islamismus
__________________________________________________________________________________________________________________________
3.4 Kurdischer Extremismus
____________________________________________________________________________________________________
II. Spionageabwehr im Freistaat Sachsen
__________________________________________________________________
III. Politisch motivierte Kriminalität –
Straftaten mit extremistischem Hintergrund
____________________________________________________
IV. Glossar des Verfassungsschutzes
________________________________________________________________________________
Inhaltsverzeichnis | 1
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4
9
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20
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55
56
58
62
66
68
73

1.
Rechtsextremismus
1.1
Überblick in Zahlen
1
Im Jahr 2010 waren im Freistaat ca. 2.670
Rechtsextremisten aktiv gegenüber ca. 2.700 im
Vorjahr. Damit setzt sich – allerdings deutlich
schwächer als in den früheren Jahren – der
Trend fort, nach dem sich das Potenzial der
Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen stetig
verringert. Seit 2006 ist es um ca. 16% von
ca. 3.180 auf ca. 2.670 gesunken.
Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen
Der leichte Verlust im Jahr 2010 resultiert vor
allem aus dem Rückgang bei der rechtsextremis-
tischen D
EUTSCHEN VOLKSUNION (DVU). Die Partei hat
im Berichtsjahr in Sachsen – wie schon 2009 –
wiederum ungefähr die Hälfte ihrer Mitglieder
verloren. Ihr gehörten nur noch etwa 20 Perso-
nen an. Dagegen blieb die Mitgliederzahl des
sächsischen Landesverbandes der N
ATIONALDEMO-
KRATISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) mit ca. 800
konstant. Das Personenpotenzial der neonatio-
nalsozialistischen K
AMERADSCHAFTEN ist geringfügig
angestiegen.
2
Mit den aktuellen Entwicklungen setzt sich der
bereits seit mehreren Jahren beobachtete Rück-
gang der Mitgliederzahlen im rechtsextremisti-
schen Parteienbereich im Freistaat Sachsen fort.
Während den rechtsextremistischen Parteien im
Jahr 2001 noch ca. 1.850 Mitglieder angehörten,
waren es 2010 lediglich ca. 820. Das sind nur
noch etwas mehr als 30% des gesamten rechts-
extremistischen Personenpotenzials in Sachsen.
Im Jahr 2001 hatte es noch 57% betragen. Aus-
schlaggebend für diese Entwicklung waren im
Wesentlichen folgende Faktoren:
1. die dramatisch gesunkene Bedeutung der
DVU, die in Sachsen seit 2001 96% ihrer Mit-
glieder verloren hat,
2. ein Attraktivitätsverlust der NPD in Teilen
der übrigen rechtsextremistischen Szene
nach dem Einzug der Partei in den Sächsi-
schen Landtag 2004, in dessen Folge sie be-
sonders von Teilen der neonationalsozia-
listischen F
REIEN KRÄFTE als „Systempartei“ ge-
sehen wurde,
3.
der Umstand, dass parteiungebundene Struk-
turen im Vergleich zu den J
UNGEN NATIONALDE-
MOKRATEN (JN, Jugendorganisation der NPD)
eher in der Lage waren, Jugendliche und Jun-
gerwachsene an sich zu binden und
2 | Extremistische Bestrebungen
I. Extremistische Bestrebungen
1
Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in den Zahlenangaben er-
fassten Personen Einzelerkenntnisse vor. Grund hierfür ist der Auftrag der Strukturbeobachtung; umfassende personenbezogene Erkenntnisse
zur gesamten Mitgliedschaft der beobachteten Organisationen sind dafür nicht immer zwingend erforderlich.
2
Das ändert nichts an der gesunkenen Gesamtzahl sächsischer Rechtsextremisten. Die Zahl wurde um Doppelmitgliedschaften von Personen
insbesondere in den Bereichen der J
UNGEN NATIONALDEMOKRATEN (JN) und der FREIEN KRÄFTE bereinigt.
4.000
3.000
2.000
1.000
0
2006
2007
2008
2009
2010
3.180
3.000
2.800
2.700
2.670

4. die fehlende Bereitschaft der Skinhead- und
Kameradschaftsszene, sich einer Parteidis-
ziplin zu unterwerfen.
Die Zahl der Rechtsextremisten im parteiunge-
bundenen Spektrum ist 2010 leicht auf ca. 1.860
Personen angestiegen (2009: ca.1.840). Der An-
stieg resultiert aus einem Mitgliederzuwachs
bei den neonationalsozialistischen K
AMERADSCHAF-
TEN auf ca. 240 Personen (2009: ca. 190).
Das Gesamtpotenzial der neonationalsozialisti-
schen Szene
3
, die sich noch Mitte der 2000er
Jahre rasant entwickelt hatte (von 2004 mit
ca. 170 bis 2008 auf ca. 910 Personen), ist wie im
Vorjahr erneut nur marginal um etwa 2 %, auf
ca. 970 Personen angestiegen (2009: ca. 950). In-
nerhalb dieser Bestrebungen ist der im Vorjahr
sichtbar gewordene Trend hin zu fester struktu-
rierten K
AMERADSCHAFTEN weiter zu beobachten
gewesen. Dies wird auch durch die anhaltende
Zunahme der Anzahl neonationalsozialistischer
K
AMERADSCHAFTEN unterstrichen. Dagegen sta-
gnierte die Mitgliederentwicklung bei den lose
strukturierten F
REIEN KRÄFTEN. Hintergrund ist,
dass Neonationalsozialisten zunehmend anstre-
ben, Teil einer konkret bezeichneten Grup-
pierung mit klaren Hierarchiestrukturen zu sein.
Damit wird eine Zunahme der eigenen Aktions-
fähigkeiten erwartet. Auch wendet man sich mit
der Bildung fester Strukturen gegen die Bemü-
hungen der JN, parteiungebundene Rechtsextre-
misten zu vereinnahmen.
Die subkulturelle rechtsextremistische Szene
4
wies im Berichtsjahr mit ca. 890 Personen ein
konstantes Potenzial auf. Hier stagniert offenbar
der rückläufige Trend der Vorjahre.
Den sonstigen rechtsextremistischen Organisa-
tionen gehörten wie in den zurückliegenden Jah-
ren nur wenige Personen an.
Das gewaltbereite rechtsextremistische Perso-
nenpotenzial
5
wird im Berichtsjahr auf ca. 830
Personen geschätzt.
Extremistische Bestrebungen | 3
Rechtsextremismus
3
Personen, die ein politisches System nach dem Vorbild der NS-Diktatur anstreben und ideologisierter sind, als das übrige parteiungebundene
rechtsextremistische Potenzial. Zur neonationalsozialistischen Szene gehören Angehörige neonationalsozialistischer K
AMERADSCHAFTEN sowie
Angehörige der F
REIEN KRÄFTE.
4
Bestrebungen, die kein festgefügtes rechtsextremistisches Weltbild und somit keine starke Ideologisierung aufweisen. Hierzu zählen rechts-
extremistische Skinheads, sonstige unorganisierte Rechtsextremisten sowie Angehörige subkultureller K
AMERADSCHAFTEN.
5
Hierzu zählen Tatverdächtige rechtsextremistischer Gewaltstraftaten und Personen, bei denen Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft
vorliegen. Diese Zahl setzt sich aus Angehörigen der rechtsextremistischen Parteien, der neonationalsozialistischen und der subkulturellen
Szenen zusammen.

1.2
Entwicklungstendenzen im
Rechtsextremismus
Personenpotenzial der Rechtsextremisten im
Freistaat Sachsen stagniert
Der seit Jahren zu beobachtende Rückgang des
rechtsextremistischen Personenpotenzials im
Freistaat Sachsen setzte sich auch im Berichts-
jahr fort. Allerdings fiel er deutlich geringer als
im Jahr 2009 aus. Betroffen waren insbesondere
rechtsextremistische Parteien. Deshalb suchte
die einzige bedeutende rechtsextremistische Par-
tei in Sachsen, die N
ATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI
DEUTSCHLANDS (NPD), nach erfolgreichen Strate-
gien zur Mitgliedergewinnung und zur Vermei-
dung weiterer Mitgliederverluste.
Die Anzahl der Personen in anderen rechtsextre-
mistischen Bestrebungen ist 2010 leicht gestie-
gen. Der seit 2003 zu verzeichnende Trend einer
zunehmenden Ideologisierung der subkulturellen
Szene und der seit 2005 verstärkte Anschluss des
parteiungebundenen Personenpotenzials an die
F
REIEN KRÄFTE ist nicht weiter vorangeschritten. Es
mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich in-
nerhalb der neonationalsozialistischen Szene zu-
nehmend wieder feste Strukturen in Form von
Kameradschaften bilden. Das ist bereits seit 2009
zu beobachten.
4 | Extremistische Bestrebungen
6
Die angegebenen Werte sind teilweise geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in den Zahlenangaben
erfassten Personen Einzelerkenntnisse vor. Die Gesamtzahl ergibt sich rechnerisch unter Abzug von hier bekannten Doppelmitgliedschaften
insbesondere im Bereich der NPD-Jugendorganisation J
UNGE NATIONALDEMOKRATEN – deren Mitgliederzahl in der der NPD enthalten ist – sowie
bei den F
REIEN KRÄFTEN.
7
Bestrebungen, die kein festgefügtes rechtsextremistisches Weltbild und somit keine starke Ideologisierung aufweisen sowie Rechtsextremisten,
die durch politisch motivierte Gewalttaten aufgefallen sind, ohne einer rechtsextremistischen Struktur anzugehören.
8
Rechtsextremisten, die auch als so genannte FREIE KRÄFTE, FREIER WIDERSTAND, FREIE NATIONALISTEN oder AUTONOME NATIONALISTEN in Sachsen auftreten
und ideologisch der neonationalsozialistischen Szene zuzurechnen sind.
Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen
(insgesamt: ca. 2.670 [2009: ca. 2.700 / bundesweit 2009: ca. 26.600]
6
)
feste Strukturen
lose Strukturen
Rechtsextremistische
Parteien
2010: ca. 820
2009: ca. 840
K
AMERADSCHAFTEN
2010: ca. 510
2009: ca. 460
Sonstige
Organisationen
2010: ca. 30
2009: ca. 30
Subkulturelle Szene
sowie sonstige
unorganisierte
Rechtsextremisten
7
2010: ca. 620
2009: ca. 620
davon u. a.:
F
REIE KRÄFTE
8
außerhalb erkenn-
barer Organisations-
strukturen
2010: ca. 730
2009: ca. 760
2010: ca. 1.350
2009: ca. 1.380
N
ATIONALDEMOKRATISCHE
PARTEI DEUTSCHLANDS
(NPD)
2010: ca. 800
2009: ca. 800
DEUTSCHE VOLKSUNION
(DVU)
2010: ca. 20
2009: ca. 40
Angehörige
neonational-
sozialistischer
K
AMERADSCHAFTEN
2010: ca. 240
2009: ca. 190
Mitglieder
subkultureller
K
AMERADSCHAFTEN
2010: ca. 270
2009: ca. 270
J
UNGE
LANDSMANNSCHAFT
OSTDEUTSCHLAND
e. V. (JLO)
2010: ca. 20
2009: ca. 20
Angehörige
sonstiger rechts-
extremistischer
Organisationen
2010: ca. 10
2009: ca. 10

Extremistische Bestrebungen | 5
NPD vereinnahmt rechtsextremistische
Konkurrenz in Parteienlandschaft
Im Dezember gab die NPD die Fusion mit der
D
EUTSCHEN VOLKSUNION (DVU) zur NPD – DIE VOLKS-
UNION bekannt. Vor allem die NPD hatte diese
Strategie der Kräftekonzentration intensiv be-
trieben, um so vermeintlich strukturell gestärkt
bei der Landtagswahl 2011 in Sachsen-Anhalt
antreten zu können. Die Partei erhoffte sich hier
den Einzug in den Landtag.
Für die sächsische NPD ist die Fusion weder ein
personeller noch organisatorischer Gewinn. Die
DVU spielte hier mit ihren wenigen und kaum
aktiven Mitgliedern bereits in der Vergangenheit
nur noch eine marginale Rolle.
NPD will Mitgliederzahlen stabilisieren
Stand für die sächsische NPD im Wahljahr 2009
der „Kampf um die Parlamente“ im Mittelpunkt
ihrer Strategie, fokussierte sie sich im Berichts-
jahr wieder mehr auf den „Kampf um die Straße“
und den „Kampf um die Köpfe“.
Die NPD verfolgt dabei zwei Zielrichtungen: zum
einen die Gewinnung bisher nicht rechtsextre-
mistischer Personen als Mitglied oder als Wähler,
zum anderen die Rekrutierung vor allem junger
Rechtsextremisten, die sich bereits im Milieu be-
wegen, aber eher losen Strukturen angehören.
Wirkliche Erfolge konnte sie bislang allerdings
nicht verbuchen.
Die Partei versucht, größere Bevölkerungsteile
anzusprechen, ohne dabei den extremistischen
Kern ihrer Parteiideologie offen erkennen zu las-
sen. Sie ist deshalb stärker denn je bemüht, den
öffentlichen Raum zu besetzen und ringt um
Anerkennung.
Zum Beispiel war der Partei die Flutkatastrophe
in Ostsachsen ein willkommener Anlass, gemäß
dieser Strategie zu agieren. Während der lokalen
Verwaltung und der Landesregierung Versagen
vorgeworfen wurde, präsentierte sie sich selbst
als helfende Kraft. In anderen Regionen thema-
tisierte die Partei geplante Schulschließungen
und bediente sich dabei u. a. solcher Aktionen
wie dem Verteilen von Zuckertüten.
Szeneintern bemühten sich die NPD und ihre Ju-
gendorganisation J
UNGE NATIONALDEMOKRATEN (JN),
ihre Anhängerschaft durch Veranstaltungen mit
Event-Charakter zu binden und zu motivieren.
Mit der Organisation eines „JN-Sachsentages“
und des Pressefestes der NPD-nahen D
EUTSCHE
STIMME VERLAGSGESELLSCHAFT mbH wollte man an
Erfolge vergangener Veranstaltungen anknüp-
fen. Dies gelang angesichts der geringen Betei-
ligung nicht in dem erwarteten Maße.
Verluste in der Jungwählerschaft bei der Landtags-
wahl 2009 sollten durch gezielte Jugendarbeit auf-
gefangen werden. In diesem Zusammenhang fällt
der JN als Jugendorganisation der NPD eine spe-
zielle Rolle zu. Ihr Auftrag ist es, die F
REIEN KRÄFTE an
die Partei heranzuführen. Um dieses Vorhaben um-
zusetzen, wurden Ende 2009 im Landesdirektions-
bezirk Leipzig Stützpunkte gegründet. Diese hatten
aber keinen Einfluss auf die Entwicklung der Mit-
gliederzahl bei den JN. Die logistischen und orga-
nisatorischen Rahmenbedingungen der JN werden
allerdings von den losen rechtsextremistischen
Strukturen gern für eigene Aktivitäten genutzt.
Im Berichtsjahr hatte die NPD im Internet die
Eröffnung von Schulungszentren in Eilenburg
und Delitzsch (beide Landkreis Nordsachsen)
angekündigt, die vor allem der Schulung junger
Kader dienen sollten. Die Existenz dieser Zentren
ist jedoch fraglich. Unabhängig von den angeb-
lichen Schulungszentren verfolgt die JN schwer-
punktmäßig das Ziel, Schulungen für Mitglieder
und Interessenten durchzuführen, was jedoch
nur selten realisiert wird.
Rechtsextremismus

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FREIE KRÄFTE
Die in losen Strukturen agierenden FREIEN KRÄFTE
verfügten auch im Berichtsjahr über die Aktions-
hoheit in der rechtsextremistischen Szene in
Sachsen. Mit einem im Verhältnis zur NPD na-
hezu gleich starken Personenpotenzial und bei
einer ähnlichen regionalen Verteilung gelingt es
den F
REIEN KRÄFTEN im Gegensatz zur NPD häufi-
ger, mit Aktionen öffentlichkeitswirksam in Er-
scheinung zu treten.
Zusammen mit den Mitgliedern neonationalso-
zialistischer K
AMERADSCHAFTEN organisieren sie die
immer zahlreicher werdenden unangemeldeten
Demonstrationen. Die Szene verfolgt diese Stra-
tegie – Durchführung „spontaner“ Demonstra-
tionen – nachdem am 17. Oktober 2009 ein
Demonstrationsversuch in Leipzig gescheitert
war. In Folge dessen überstieg 2010 der Anteil
der Spontandemonstrationen deutlich den der
angemeldeten. Diese Aktionen zielen darauf ab,
die Medien zu einer Berichterstattung zu veran-
lassen und damit die rechtsextremistische Ideo-
logie in die Öffentlichkeit zu transportieren. Aber
auch die Förderung des Zusammengehörigkeits-
gefühls innerhalb der lose strukturierten rechts-
extremistischen Szene ist Intention dieser
Strategie.
Wurden früher nur Linksextremisten als A
UTO-
NOME bezeichnet, so traten in den letzten Jahren
auch in Sachsen Rechtsextremisten zuneh-
mend als so genannte A
UTONOME NATIONALISTEN
(AN) in Erscheinung. Die Zahl der AN in Sachsen
ist 2010 auf ca. 50 angestiegen (2009: ca. 20).
Bei den AN handelt es sich in erster Linie um
F
REIE KRÄFTE, die sich bei verschiedenen öffent-
lichkeitswirksamen Aktionen als AN bezeichnen,
ohne jedoch einer gleichnamigen Organisation
anzugehören.
Nach wie vor ist das Verhältnis zwischen den
F
REIEN KRÄFTEN und der NPD von Spannungen ge-
prägt. Dem steht nicht entgegen, dass auch 2010
anlassbezogen eine Zusammenarbeit beobachtet
werden konnte. Beispielsweise wurden die bei-
den Demonstrationen am 1. Mai 2010 in Zwickau
und in Hoyerswerda (Landkreis Bautzen) von bei-
den Lagern besucht. Offensichtlich ist das Be-
wusstsein dafür gestiegen, dass man im Zusam-
menhang mit Aktivitäten in der Öffentlichkeit
aufeinander angewiesen ist. Die NPD kann auf
eine gut ausgebaute Logistik zurückgreifen, be-
nötigt aber die F
REIEN KRÄFTE als Mobilisierungs-
potenzial, da die eigenen Mitglieder nicht über
die gleiche Aktionsbereitschaft verfügen.
Die Differenzen zwischen beiden Lagern zeigen
sich auch in den Bemühungen der sächsischen
JN, die losen Strukturen der F
REIEN KRÄFTE 2010
auf Veranlassung der NPD verstärkt in ihre Or-
ganisation einzubinden. Einzelne führende An-
gehörige der F
REIEN KRÄFTE sind seit längerer Zeit
in der NPD/JN integriert und sind dort u. a. auch
Funktionsträger oder nehmen Kommunalman-
date für die NPD wahr. Allerdings wollen die
F
REIEN KRÄFTE überwiegend eine parteiliche Bin-
dung vermeiden. Erschwert werden die Integra-
tionsbemühungen zudem von Teilen der JN
selbst, die sich als elitäre Struktur sehen und die
6 | Extremistische Bestrebungen
Demonstration am 1. Mai 2010 in Zwickau
Foto: Internetseite AKTIONSBÜNDNIS ERZGEBIRGE

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die FREIEN KRÄFTE nicht um jeden Preis an sich
binden wollen. So ist der im Jahr 2010 zu beob-
achtende Trend hin zur vermehrten Bildung fes-
ter neonationalsozialistischer Strukturen als
Versuch zu werten, den Rekrutierungsbemühun-
gen der JN zu entgehen.
Neue Medien
Moderne Kommunikationsmittel wie das Inter-
net oder internetfähige Mobiltelefone werden
von Rechtsextremisten zunehmend genutzt.
Neben eigenen Onlinestrukturen mit Homepages
und Diskussionsforen greift die rechtsextremis-
tische Szene zwecks Selbstdarstellung, Vernet-
zung und Propaganda verstärkt auf unpolitische
Communities wie Myspace, Facebook und You-
tube zurück. Mittels des Kurznachrichtenportals
Twitter mobilisieren Rechtsextremisten ihre An-
hänger kurzfristig für die immer zahlreicher
stattfindenden Spontanaktionen.
Im Internet finden sich zudem zunehmend Ra-
dioangebote, deren Programme rechtsextremis-
tische Inhalte einschließlich Musik verbreiten.
Die relative Anonymität des World Wide Web
und das unkomplizierte Betreiben eines solchen
Radios machen dieses Medium zur idealen Platt-
form für die Verbreitung rechtsextremistischen
Gedankenguts. Dabei sind die gesendeten Bei-
träge häufig straf- oder jugendschutzrechtlich
relevant, so dass u. a. die Strafverfolgungsbehör-
den einschreiten.
Zu beobachten war auch, dass die Betreiber von
Internetradios ihre Projekte immer häufiger mit
gleichnamigen Online-Vertrieben koppeln, deren
Angebote auf die rechtsextremistische Szene
ausgerichtet sind. Mit dieser Verbindung wird ein
gegenseitiger Nutzen angestrebt: vom Radio die
Werbung für den Vertrieb, vom Vertrieb die fi-
nanziellen Mittel für den Betrieb des Radios. Da
es zwischen den Radioprojekten eine Zusam-
menarbeit gibt, hat sich ein regelrechtes Netz-
werk etabliert. Durch dieses wird eine größere
Zuhörerschaft angestrebt.
Rechtsextremismus im Umfeld des Sports
Rechtsextremisten nutzten Großveranstaltungen
des Sports weiterhin für ihre Zwecke. Sie ver-
suchten anlässlich der Fußballweltmeisterschaft
2010 unter Fußballfans Szenenachwuchs zu re-
krutieren. Die NPD verbreitete dabei Propa-
ganda-Material: z. B. einen Aufkleber „DEUTSCH-
LAND WELTMEISTER DER HERZEN“.
Nach wie vor kann der Erfolg solcher Kampa-
gnen nicht belegt werden.
Erfolgreich sind offenbar Bemühungen, Jugend-
liche mittels szeneinterner Sportveranstaltungen
an die rechtsextremistische Szene zu binden. Ver-
schiedene rechtsextremistische Gruppierungen
und Organisationen veranstalten z. B. Fußballtur-
niere, um den Zusammenhalt der Szene zu stärken
und sich ggf. gegenüber ausgewähltem potenziel-
lem Nachwuchs als attraktiv zu präsentieren.
Neben dem Fußball gewinnt aber auch das Be-
tätigungsfeld „Kampfsport“ an Bedeutung.
Kampfsport ist in der rechtsextremistischen
Szene populär und hat eine integrierende Funk-
tion. Entsprechende Veranstaltungen können für
Extremistische Bestrebungen | 7
Rechtsextremismus

Szeneangehörige Ansporn sein, Techniken zu er-
lernen, um diese bei gewalttätigen Auseinander-
setzungen mit dem politischen Gegner
anzuwenden. Ende November fand unter dem
Motto „LEBEN HEISST KAMPF“ eine von der JN
Sachsen und von brandenburgischen Rechtsex-
tremisten organisierte überregionale Kampf-
sportveranstaltung im Großraum Dresden statt.
Dabei wurde deutlich, dass es den Veranstaltern
um mehr geht als nur ein sportliches Kräftemes-
sen und Körperertüchtigung. Vielmehr geht es
um den Transport rechtsextremistischer Ideolo-
gie und um die Demonstration von Einigkeit im
Kampf um eine neue Gesellschaftsordnung.
Diese wird in der so genannten „Volksgemein-
schaft“ gesehen, in der Schwäche und Krankheit
keinen Platz haben. In elitärem Selbstverständnis
betrachtet man sich selbst als „immun gegen
körperliche Degeneration“
9
und „immun gegen
genetische Zersetzung“. Stattdessen will man
selbst „das Gesunde, das Starke, das Wehrhafte“
verkörpern und sieht sich als „die letzte Anhäu-
fung gesunden deutschen Lebens.“
Wie bereits in den zurückliegenden Jahren kam
es auch 2010 anlässlich von Fußballspielen zu
rechtsextremistischen Parolen und zur Verwen-
dung von Symbolen mit rechtsextremistischem
Hintergrund. Zudem ist eine beachtliche Anzahl
von Personen, die als Rechtsextremisten bekannt
sind, durch ihre Gewaltbereitschaft im Zusam-
menhang mit Sportereignissen aufgefallen. Der
Anteil von Rechtsextremisten am gewaltbereiten
Fußballfanpotenzial betrug 2010 im Freistaat
Sachsen etwa 13%.
Straftaten mit rechtsextremistischem Hinter-
grund gesunken – Gewalttaten gestiegen
Der rückläufige Trend des Vorjahres bei der An-
zahl der Straftaten mit rechtsextremistischem
Hintergrund setzte sich im Jahr 2010 fort. Dem-
gegenüber stieg die Anzahl der Gewaltdelikte mit
rechtsextremistischem Hintergrund an.
Die zunehmende Gewaltausübung war nicht nur
quantitativ zu beobachten; auch die Intensität
der Delikte nahm zu und es gab häufiger
schwere Straftaten. Zudem war eine erhebliche
Zunahme der von Rechtsextremisten ausgehen-
den konfrontativen Gewalt gegen den politi-
schen Gegner zu verzeichnen. Dabei wurden
sachsenweit brutale körperliche Angriffe verübt
und – etwa bei Brandstiftungen – unkontrollier-
bare, gemeingefährliche Mittel eingesetzt.
8 | Extremistische Bestrebungen
9
Eröffnungsrede der Veranstaltung. Abgerufen von der Internetseite SPREELICHTER.

image
Extremistische Bestrebungen | 9
Demonstration am 13. Februar 2010
in Dresden
Der Trauermarsch anlässlich der Bombardierung
Dresdens im Zweiten Weltkrieg hat sich zur
größten bundesweiten Aktion von Rechtsextre-
misten etabliert. Ungefähr 6.400 Rechtsextre-
misten nahmen im Jahr 2010 teil. Die Demons-
tration am 13. Februar besitzt eine hohe identi-
tätsstiftende Wirkung, da an ihr seit Jahren strö-
mungsübergreifend Rechtsextremisten sowohl
aus allen Gruppierungen als auch aus dem eu-
ropäischen Ausland teilnehmen.
Teilnehmer an den Demonstrationen der
JLO anlässlich der Bombardierung Dresdens
im Zweiten Weltkrieg
Die Ereignisse im Berichtsjahr bildeten insoweit
eine Zäsur, als den Rechtsextremisten erstmals
kein Aufzug durch die Innenstadt von Dresden
möglich war. Auf Grund von massiven Blockaden
der Demonstrationsgegner direkt am Sammel-
platz der rechtsextremistischen Demonstration
war die Durchführung einer Versammlung nur
noch als Standkundgebung möglich. Lediglich
eine Kundgebung an Ort und Stelle durchführen
zu können, konnte von den Rechtsextremisten
nur als Niederlage empfunden werden. Vermut-
lich war dies auch ursächlich dafür, dass es zu
mehreren Gewalttaten kam, an denen insgesamt
mehr Personen beteiligt waren als in den Jahren
zuvor.
Durch die Ereignisse am 13. Februar 2010 wurde
eine Strategiediskussion zur Planung von de-
monstrativen Veranstaltungen ausgelöst.
1.3
Rechtsextremistische Parteien
1.3.1
NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI
DEUTSCHLANDS (NPD)
Charakterisierung und Bedeutung
Neben der NPD gibt es im Freistaat Sachsen keine
andere rechtsextremistische Partei von Bedeutung.
Der sächsische NPD-Landesverband ist zudem
bundesweit nach wie vor einer der bedeutendsten.
Im Vergleich zu anderen Bundesländern hat er eine
sich aus der Anzahl der Kreis- und Ortsverbände
ergebende hohe Organisationsdichte, ist in Frakti-
onsstärke im Landtag und auf kommunalpoliti-
scher Ebene mit über 90 Mandatsträgern in
Kreistagen sowie in Stadt- und Gemeinderäten
vertreten. Im Gefüge der rechtsextremistischen
Szene im Freistaat Sachsen besitzt die Partei als
„parlamentarischer Arm der Bewegung“ durch ihre
organisatorischen, logistischen und finanziellen
Ressourcen eine Schlüsselstellung.
Die verfassungsfeindliche NPD tritt in der Öf-
fentlichkeit gern hinter der Maske einer „Küm-
mererpartei“ auf. Sie greift unter Verschleierung
ihrer extremistischen Positionen Themen der Ar-
beits-, Familien-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik
Rechtsextremismus
8.000
6.000
4.000
2.000
0
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
6.500
6.400
3.800
1.750
4.200
5.000
2.500
750
1.000
1.100
450
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 800
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 800
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 6.800
Kennzeichen:
Publikation
DEUTSCHE STIMME

10 | Extremistische Bestrebungen
auf. Insbesondere bei unzufriedenen Bürgern
versucht sie damit den Eindruck zu erwecken, sie
wäre die einzige „echte Opposition“, welche sich
um die Belange der Bürger sorge.
Zur Umsetzung ihrer Ziele ist die sächsische NPD
vor allem auf die Unterstützung der neonational-
sozialistischen F
REIEN KRÄFTE angewiesen. Die Par-
tei hat deshalb, ungeachtet vorhandener Span-
nungen, die Zusammenarbeit mit den F
REIEN KRÄF-
TEN intensiviert, was u. a. durch das Wirken von
Aktivisten der F
REIEN KRÄFTE als Führungsfunktio-
näre in der NPD und die gemeinsame Durchfüh-
rung von Demonstrationen zum Ausdruck kam.
Ideologie
Ziel der NPD ist die Abschaffung der freiheitli-
chen demokratischen Grundordnung und der im
Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.
Stattdessen will sie eine nach „immerwirkenden
Naturgesetzen“ bestimmte „neue Ordnung“ in
Form einer ethnisch homogenen „Volksgemein-
schaft“ errichten. Diese sei die „einzige Schutz-
und Solidargemeinschaft im Zeitalter eines global
entfesselten Kapitalismus“.
10
Entgegen der Wert-
orientierung des Grundgesetzes, in dem der ein-
zelne Mensch mit seiner bedingungslosen,
unantastbaren Menschenwürde im Mittelpunkt
steht, soll sich nach dem auf dem NPD-Parteitag
vom 4./5. Juni 2010 in Bamberg (Bayern) be-
schlossenen neuen Parteiprogramm die Würde
des Menschen als soziales Wesen vor allem in der
Volksgemeinschaft verwirklichen können. Nur
diese würde die persönliche Freiheit garantieren.
Dieses völkische Menschenbild beinhaltet den
Vorrang der Gemeinschaft gegenüber dem Indi-
viduum. Es begrenzt die Freiheitsrechte des Ein-
zelnen, betont die Unterschiede der Menschen
und grenzt Menschengruppen aus. Teil der Volks-
gemeinschaft kann nur der sein, in dessen Adern
„deutsches Blut“ fließt. Aus diesem Verständnis
resultiert die rassistisch geprägte Fremdenfeind-
lichkeit, mit der ein übersteigerter Nationalismus
der NPD einhergeht. Alles, was „fremden Blutes“
ist, wird als Bedrohung der „deutschen Volkssub-
stanz“ angesehen und darf nicht Bestandteil der
„Volksgemeinschaft“ sein. Damit lehnt sich die
NPD stark an der Ideologie der Nationalsozialis-
ten an, welche in der ebenfalls propagierten
„Volksgemeinschaft“ eine „Blut- und Schicksals-
gemeinschaft“ sahen. Die Bestrebungen der Par-
tei Ausländer auszugrenzen, sind im neuen
NPD-Parteiprogramm verankert. Dort finden sich
neben der bekannten Forderung nach einer „Aus-
länder-Rückführung“ eine Reihe weiterer Positio-
nen, mit denen die Partei die konsequente
Ausgrenzung von Ausländern anstrebt. Dazu
zählt die Forderung, diese aus dem Sozialversi-
cherungswesen auszuschließen, die Ablehnung
des gemeinsamen Unterrichts von deutschen und
ausländischen Schülern und die Forderung nach
Streichung des Grundrechts auf Asyl.
Auf der Basis dieser fremdenfeindlichen Haltung
konstruiert die NPD ein für Rechtsextremisten
typisches Bedrohungs- und Verschwörungssze-
nario. Die Ausländerpolitik der Bundesregierung
wird als Vernichtungsfeldzug „interessierter
Kreise“ angesehen. Diese Politik sei darauf aus-
gerichtet, das deutsche Volk durch die Förderung
des Zuzugs von Ausländern – laut NPD eine
„massive Landnahme durch kultur- und rasse-
fremde Menschen“ – „zu vernichten“
11
. Die Bun-
desregierung handle dabei im Interesse fremder
Mächte, welche bestrebt seien, Deutschland
10
Internetseite des NPD-Bundesvorstandes, Artikel „Der Abschied der Linken von der sozialen Frage“ vom 20. Oktober 2006.
11
Internetseite des NPD-Landesverbandes Sachsen, Artikel „Zu Wesen und Wollen der Dresdner Schule“, Auszug vom 4. Mai 2005.

Extremistische Bestrebungen | 11
Rechtsextremismus
wirtschaftlich und politisch schwach zu halten.
Ihr extremistisches politisches Selbstverständnis
wird auch durch die positive Bezugnahme auf
die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zwi-
schen 1933 und 1945 deutlich. Dies zeigt sich
nicht nur in der positiven Bewertung führender
Repräsentanten des NS-Systems, sondern auch
in der engen Anlehnung an deren Sprache und
Ideologie. Nach dem Vorbild des Dritten Reiches
strebt die NPD die Wiederherstellung des deut-
schen Reiches als „Schutz- und Trutzbündnis des
Deutschen Volkes“
12
an.
Ziel der NPD ist auch die Abschaffung des Mehr-
parteiensystems und der parlamentarischen De-
mokratie. Sie will „das liberale Parteienregime –
ganz demokratisch ! - durch ein neues Gemein-
wesen mit volksgewählten Präsidenten und
Volksabstimmungen“ ablösen. Ein solches „ple-
biszitäres Präsidialsystem“ würde „die deutsche
Politik aus dem Würgegriff der Blockparteien“
befreien. Es entstünde eine „wirkliche Volks-
herrschaft“ mit einer „Identität von Regierten
und Regierenden“.
13
Strukturen
Die Mitgliederzahl des sächsischen Landesver-
bandes der NPD war in den vorangegangen Jah-
ren rückläufig. Seit 2009 stagnierte die Anzahl
bei ca. 800 Mitgliedern. Der sächsischen NPD ist
es trotz zahlreicher öffentlichkeitswirksamer Ak-
tivitäten nicht gelungen, ihre Strukturen nen-
nenswert zu stärken. Die Parteimitglieder sind im
Freistaat Sachsen in insgesamt 13 Kreisverbän-
den sowie in vereinzelten Ortsgruppen aktiv.
Entwicklung der Anzahl der Kreisverbände
und der Mitgliederzahlen der NPD im Frei-
staat Sachsen
Große und aktive Verbände sind in Leipzig und in den
Regionen Erzgebirgskreis, Dresden und Meißen zu
finden. Der ebenfalls große Kreisverband Sächsische
Schweiz-Osterzgebirge hat in Folge geringer Aktivi-
täten in den letzten Jahren an Bedeutung verloren.
Ihre kommunalpolitische Präsenz konnte die Par-
tei nach der Kommunalwahl 2009 auf mehr als
90 kommunale Mandatsträger weiter ausbauen.
Sie ist derzeit in neun Kreistagen
14
und 63 Stadt-
und Gemeinderäten vertreten.
Das politische Zentrum der NPD im Freistaat
Sachsen liegt durch den Sitz des Landesverban-
des und der Landtagsfraktion im Raum Dresden.
Im unweit von Dresden gelegenen Riesa (Land-
kreis Meißen) ist der NPD-Verlag D
EUTSCHE STIMME
VERLAGSGESELLSCHAFT mbH angesiedelt. Er ist He-
rausgeber des monatlich erscheinenden Partei-
organs DEUTSCHE STIMME und bundesweit eines
Die Reduzierung der Kreisverbände zwischen 2006 und
2008 erfolgte auf Grund der Anpassung der Parteistruk-
turen an die neuen Landkreise nach der Kreisreform.
12
Internetseite der NPD, Meldung über den „Präsidiumsbeschluß zur V-Mann-Hysterie – Jetzt erst recht!“ vom 17. Juli 2002.
13
Aus ARGUMENTE FÜR KANDIDATEN & FUNKTIONSTRÄGER, 2. Auflage Juni 2006, S. 32.
14
Nach Parteiaustritten ist die NPD im Kreistag des Vogtlandkreises nicht mehr vertreten.
1.200
900
600
300
0
2006
2007
2008
2009
2010
1.000
850
850
800
800
50
40
30
20
10
0
27
20
13
13
13
Mitglieder
Anzahl der Kreisverbände

image
12 | Extremistische Bestrebungen
der größten Versandunternehmen der rechtsex-
tremistischen Szene.
Die NPD-Frauenorganisation RING NATIONALER
FRAUEN (RNF) verfügt in Sachsen über einen Lan-
desverband sowie über Regionalgruppen in den
Regionen Chemnitz-Erzgebirge, Meißen sowie
Bautzen. Die Mitglieder sind bei verschiedenen
rechtsextremistischen Veranstaltungen präsent
und treten vereinzelt mit Verteilaktionen öffentlich
in Erscheinung.
Unterstützung und Anleitung für die kommunal-
politische Arbeit erhalten Mandatsträger der NPD
von der K
OMMUNALPOLITISCHEN VEREINIGUNG (KPV), zu
deren Führungsspitze auch sächsische NPD-Mit-
glieder gehören. Die Vereinigung versucht, mit Schu-
lungen diejenigen NPD-Mitglieder zu unterstützen,
die in Kommunalparlamenten vertreten sind. Ziel
der KPV ist auch, neue Kader heranzuziehen.
Der 2005 gegründete NPD-nahe Verein B
ILDUNGS-
WERK FÜR HEIMAT UND NATIONALE IDENTITÄT e. V. erhebt
den Anspruch, politische Bildungsarbeit zu leisten
und dabei in seiner Wertorientierung dem Grund-
konsens der NPD zu folgen. Der Verein organisierte
im Berichtsjahr zwei so genannte „Jugendseminare“
und gab darüber hinaus zwei Exemplare der rechts-
extremistischen Publikation HIER & JETZT heraus.
Aktivitäten
Eine neue Strategie
Wie bereits Ende 2009 durch den Bundesvorsit-
zenden angekündigt, waren die Aktivitäten der
NPD am Anfang des Berichtsjahres geprägt von
einer Diskussion um neue strategische und tak-
tische Überlegungen. Nach dem schlechten Ab-
schneiden bei der Bundestagswahl und den
deutlichen Stimmenverlusten der NPD bei der
Sächsischen Landtagswahl 2009 suchte man
nach neuen Konzepten. Mit dem Ziel, Ideen und
Impulse für die künftige politische Arbeit zu ent-
wickeln, tagte Anfang 2010 eine Strategiekom-
mission, der neben einfachen Parteimitgliedern
und NPD-Funktionären auch „parteilose Exper-
ten“
15
angehörten. Im Ergebnis einer ersten Ta-
gung sprach die Kommission dem Parteivorstand
Empfehlungen über die zukünftige strategische
Ausrichtung aus. Danach soll die Partei ihre stra-
tegische Ausrichtung hin zum so genannten
„Sächsischen Weg“ verlagern. Im Vordergrund
müsse der Ausbau des Stammwählerpotenzials
stehen. Protestwähler seien keine verlässliche
Größe und sollten deshalb künftig eher vernach-
lässigt werden.
Auch wenn sich die Partei „weiterhin als System
alternative zum kapitalistischen System der
BRD“ verstehe, müsse sie allerdings „in gewisser
Weise eine seriöse Radikalität entwickeln“ und
die „Sacharbeit in den Parlamenten“ verstärkt „in
die Partei und Öffentlichkeit“
16
tragen. Vergan-
genheitsbezogene Themen sollen zurückge-
drängt werden. „Für den Wähler unverständliche
Thematiken“ wie zum Beispiel „Das Grundgesetz
– die Verfassung der Alliierten“ sollte man zwar
den Funktionären bei Schulungen vermitteln, je-
doch nicht in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit
15
Internetseite der Bundes-NPD, Artikel „Strategische Neuaufstellung“, Auszug vom 18. Januar 2010.
16
DEUTSCHE STIMME, Ausgabe April 2010, S. 17.
Demonstration am 17. Juni 2010 in Dresden
Foto: Internetseite NETZWERKMITTE

Extremistische Bestrebungen | 13
Rechtsextremismus
stellen, da der „weiterhin umerzogene Bundes-
bürger dies als unverständliches ,Parteichine-
sisch’“ abtun würde. Eine Weltanschauung soll
für den Wähler nicht in den Vordergrund ge-
stellt werden, da dieser nur nach „persönlicher
Absicherung, eigenem Nutzen“ sowie „persönli-
chen Vorteilen für sich und seine Familie“ stre-
ben würde. Statt Weltanschauung solle man
lieber „einfache und klare Ziele“ formulieren –
der Wähler wähle die NPD nicht wegen der
Weltanschauung, sondern weil man „eine wirk-
liche Alternative zum bestehenden System“ ent-
wickle.
Darüber hinaus will die Partei auch ihr Erschei-
nungsbild ändern. Die Mitglieder sollen selbst-
bewusst auftreten, gegebenenfalls wolle man
über „Vorfeldorganisationen“ und „nationale
oder kulturelle Gesprächskreise“ Kontakte zu
„rechtskonservativen Kreisen“ finden. Von der
Kleidung bis zur Wortwahl ist man um ein öf-
fentlich „seriöses Auftreten“ bemüht.
17
Innerhalb der gesamten rechtsextremistischen
Szene strebt die Partei eine führende Rolle an.
Im Unterschied zur früheren Bündnispolitik, bei
der sie mit anderen Organisationen wie z. B. der
D
EUTSCHEN VOLKSUNION (DVU) Wahlbündnisse
schloss, arbeitet die Partei offenbar nunmehr
daran, andere Organisationen an sich zu binden.
So hat die Strategiekommission dem Parteivor-
stand empfohlen, „die vereinigte Rechte weit-
gehend in der NPD stattfinden zu lassen“, um
sich in der Öffentlichkeit als die „vereinte starke
Rechtspartei“
18
zu präsentieren. Dieser Strategie
folgend setzte die NPD im Berichtsjahr zielge-
richtet die Vereinnahmung der DVU um.
Bundesparteitag – ein neues Programm
und eine Fusion mit der DVU
Auf einem seit 2007 mehrfach verschobenen Pro-
grammparteitag beschlossen die Delegierten der
NPD am 4./5. Juni in Bamberg (Bayern) ein neues
Parteiprogramm
19
. Es löste das bis dahin beste-
hende Programm aus dem Jahr 1996 ab.
Dem sächsischen NPD-Landesvorsitzenden Hol-
ger APFEL zufolge haben sächsische Parteifunk-
tionäre maßgeblich an der Gestaltung des neuen
Parteiprogramms mitgewirkt. In einem Fazit be-
dauert er allerdings, dass die von der parteieige-
nen Strategiekommission vorgeschlagene Ergän-
zung des Parteinamens mit dem Zusatz „Die so-
ziale Heimatpartei“ – einer bereits zuvor vom säch-
sischen Landesverband verwendeten Losung –
auf dem Bundesparteitag keine Mehrheit fand.
Gleichwohl sieht APFEL die NPD mit ihrem neuen
Parteiprogramm auf dem Weg zu einer „sozialre-
volutionären Schutzmacht der kleinen Leute“. Im
Unterschied zu anderen Parteien fordere die NPD
eine „strikte volksgemeinschaftliche Bindung“.
Das bedeutet, dass es soziale Leistungen nach
Vorstellungen der NPD nur für „deutsche Volks-
angehörige“ geben dürfe.
20
Die Bundesvorsitzenden von NPD und DVU, Udo
VOIGT und Matthias FAUST nutzten das mediale
Interesse an dem Programmparteitag der NPD,
um ihre Überlegungen zur Verschmelzung der
beiden Parteien zu verkünden. VOIGT betonte, die
„nationalen Wähler“ wollten „keine Wahlabspra-
chen oder Bündnisse, sondern endlich die starke
‚Rechtspartei’ in Deutschland!“
21
Von einer Ver-
schmelzung mit der DVU erhofft sich VOIGT
einen Synergieeffekt, d. h. neue Wählerschichten
17
Ebenda.
18
Ebenda.
19
„Arbeit. Familie. Vaterland. Das Parteiprogramm der NATIONALDEMOKRATISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD)“.
20
Internetseite des NPD-Landesverbandes Sachsen vom 7. Juni 2010.
21
Internetseite der NPD vom 2. Juni 2010, Rechenschaftsbericht und Bericht zur politischen Lage (…) von Udo VOIGT. Gehalten auf dem NPD-
Bundesparteitag 2010 in Bamberg (Bayern).

14 | Extremistische Bestrebungen
für die NPD und eine Stärkung der Parteistruktur.
Er sprach sogar von Mitgliederzahlen im „fünf-
stelligen Bereich“.
22
Angesichts der inaktiven Mit-
gliedschaft und der desolaten Zustände in der
DVU war dies allerdings schon damals nicht rea-
listisch. Auf die NPD im Freistaat Sachsen hat die
Fusion kaum Auswirkungen, da hier nur wenige
DVU-Mitglieder existieren (2010: ca. 20) und
diese zudem kaum aktiv sind.
Den Fusionsankündigungen der Parteivorsitzen-
den folgten im Juli 2010 Mitgliederbefragungen
bei NPD und DVU. In beiden Parteien sollen über
90 % der beteiligten Mitglieder einer Fusion zu-
gestimmt haben.
23
Auf einem anschließenden NPD-Bundesparteitag
am 6. November 2010 in Hohenmölsen (Sach-
sen-Anhalt) sprachen sich die Delegierten der
Partei für die Fusion und den Verschmelzungs-
vertrag aus
24
. Gemäß dem Vertrag sollte die
Übernahme der DVU durch die NPD im Innen-
und im Außenverhältnis mit Wirkung zum 1. Ja-
nuar 2011 erfolgen. Das setzte jedoch eine vor-
herige Auflösung der DVU voraus. Die DVU-
Mitglieder sollten der NPD aktiv beitreten und so
genannte nicht zahlende „DVU-Ehrenmitglieder“
nur übernommen werden, wenn sie während
einer Übergangszeit einen ermäßigten Mitglieds-
beitrag in Höhe des parteieigenen Sozialbeitra-
ges zahlen.
Im Verlaufe des NPD-Bundesparteitages wählten
die Delegierten außerdem den DVU-Vorsitzenden
Matthias FAUST zum dritten stellvertretenden
NPD-Bundesvorsitzenden und zwei weitere
DVU-Funktionäre als Beisitzer in den NPD-Bun-
desvorstand.
Auf einem außerordentlichen Bundesparteitag
der DVU am 12. Dezember in Kirchheim (Thürin-
gen) wurde mehrheitlich für die Auflösung der
DVU und das Zusammengehen mit der NPD ge-
stimmt.
Nach Angaben der NPD stimmten bei einer par-
teieigenen Urabstimmung rund 95% ihrer Mit-
glieder (bei 2.375 abgegebenen Stimmen) für die
Fusion mit der DVU. Dort hatten sich laut dem
DVU-Bundesvorsitzenden Matthias FAUST zuvor
rund 88 % bei einer Urabstimmung für eine Fu-
sion ausgesprochen.
Am 29. Dezember 2010 verkündete die NPD, dass
die beiden Parteivorsitzenden von NPD und DVU
den so genannten Verschmelzungsvertrag unter-
zeichnet haben.
Nach einer Klage von Fusionsgegnern innerhalb
der DVU gegen die Vertragsunterzeichnung er-
klärte das Landgericht München (Bayern) am
25. Januar 2011 im vorläufigen Rechtschutzver-
fahren die Fusion für ungültig.
Landesverband Sachsen –
Strategie der Partei nach außen
Die Aktivitäten des sächsischen NPD-Landesver-
bandes waren im Berichtsjahr von der Suche
nach Strategien geprägt, um ein größeres Wäh-
lerpotenzial und Sympathisanten anzusprechen.
Zugleich galt es aber auch, die vorhandene Wäh-
lerschaft und die gesamte rechtsextremistische
Szene stärker an die Partei zu binden. Vor allem
die Verluste bei der Wahl zum Sächsischen Land-
tag 2009 in der Jungwählerschaft sollen durch
gezielte Jugendarbeit aufgefangen werden.
Stand im Wahljahr 2009 strategisch der „Kampf
22
Ebenda.
23
Nach Angaben der NPD beteiligten sich an dieser Befragung 2.000 von bundesweit ca. 6.800 Mitgliedern.
24
Nach Parteiangaben stimmten 193 Delegierte für den Verschmelzungsvertrag, 13 stimmten dagegen und ein Delegierter enthielt sich seiner
Stimme. Für die Fusion stimmten 194 Delegierte, 11 stimmten dagegen und zwei Delegierte enthielten sich ihrer Stimmen.

image
Extremistische Bestrebungen | 15
Rechtsextremismus
um die Parlamente“ im Mittelpunkt, so waren es
im Berichtsjahr wieder mehr der „Kampf um die
Straße“ und der „Kampf um die Köpfe“. Die säch-
sische NPD hält dabei an ihrer bisherigen Stra-
tegie, dem „Sächsischen Weg“ fest, dem nun im
Wesentlichen auch der Bundesverband mit sei-
nen Vorstellungen folgt.
Zugleich bemühte sich die NPD um eine engere
Anbindung der rechtsextremistischen Kamerad-
schaftsszene und vor allem der F
REIEN KRÄFTE,
welche sich als „außerparlamentarischer Arm der
Bewegung“ verstehen. Die Aktivitäten der Partei
waren im Jahr 2010 darauf ausgerichtet, diese
Bindung zu intensivieren. So hat die NPD Objekte
für Treffen zur Verfügung gestellt, versuchte die
Szene für Großveranstaltungen zu mobilisieren
und verkündete den Aufbau von „Schulungs-
zentren“.
Im März appellierte der sächsische Landesvorsit-
zende Holger APFEL mit einem Rundschreiben an
die sächsischen Parteimitglieder, sich stärker an
der Parteiarbeit zu beteiligen. Die Partei dürfe
sich nun nicht mehr auf das oftmals „parlamen-
tarische Klein-Kleinspiel“ beschränken. Sie müsse
auch 2010 für alle Sachsen sichtbar sein und in
der Öffentlichkeit „Gesicht und Flagge“ zeigen.
Der öffentliche Raum – „die Straße“ – sei ein
wichtiger Platz für die Partei, weil „der nationa-
len Opposition jegliche argumentative Debatte
von den pseudodemokratischen Heuchlern“ ver-
weigert werde und die „abgestandenen rhetori-
schen Scheingefechte in der ‚Quasselbude’“ die
Probleme des Freistaates weder lösen würde,
noch „irgendeinen Menschen“ interessieren
würde. APFEL kündigte zugleich eine Reihe ge-
planter Aktivitäten der sächsischen NPD an.
25
Dabei wird deutlich, dass die NPD in ihren Be-
mühungen um die eigene Wählerschaft vor
allem auf die enge Zusammenarbeit mit den ak-
tionsorientierten F
REIEN KRÄFTE setzt, mit denen
sie in der Folge auch öffentlichkeitswirksame
Veranstaltungen durchgeführt hat.
Aktivitäten mit den F
REIEN KRÄFTEN
Für den 5. März 2010 hatte die NPD einen Trau-
ermarsch in Chemnitz organisiert, der anlässlich
des Jahrestages der Zerstörung der Stadt im
Zweiten Weltkrieg stattfand. An dem Marsch
unter dem Motto: „Die Opfer waren unsere Fa-
milien – 5. März Wider das Vergessen!“ nahmen
etwa 800 Rechtsextremisten teil, darunter eine
Vielzahl von F
REIEN KRÄFTEN.
Zahlreiche Angehörige der FREIEN KRÄFTE beteilig-
ten sich auch an der von der NPD anlässlich des
1. Mai 2010 in Zwickau organisierten Demonstra-
tion unter dem Motto „Arbeit für Deutsche –
Fremdarbeiter-Invasion stoppen“. Die Veranstal-
tung stand damit im Gegensatz zum Vorjahr, als
die sächsische NPD in Dresden und die F
REIEN
KRÄFTE in Freiberg (Landkreis Mittelsachsen) noch
getrennte Demonstrationen zum 1. Mai durchge-
führt hatten. Zu dem Aufmarsch in Zwickau reis-
ten insgesamt ca. 400 Teilnehmer
aus ganz Sach-
sen und anderen Bundesländern an.
25
Rundschreiben des NPD-Landesverbandes Sachsen vom 30. März 2010.
Demonstration am 5. März 2010 in Chemnitz
Foto: picture alliance

image
image
16 | Extremistische Bestrebungen
Einen weiteren Aufmarsch von Rechtsextremis-
ten am 17. Juni 2010 in Dresden hatte die NPD
in enger Kooperation mit den F
REIEN KRÄFTEN
DRESDEN organisiert. An der anlässlich des Arbei-
teraufstandes 1953 in der DDR durchgeführten
Veranstaltung blieb die Teilnehmerzahl jedoch
mit ca. 120 Rechtsextremisten deutlich unter
den Erwartungen der Organisatoren.
Die Partei setzte außerdem auf die Durchfüh-
rung von Musikveranstaltungen mit rechtsex-
tremistischen Bands
und Liedermachern. Z. B.
wurde nach einer Pause von vier Jahren wieder
ein Pressefest des D
EUTSCHEN STIMME VERLAGES ver-
anstaltet, bei dem mehrere rechtsextremistische
Liedermacher und Bands auftraten. Obwohl
bundesweit für die Veranstaltung am 7. August
2010 in Waldhufen (Landkreis Görlitz) geworben
worden war, konnte man mit diesem Pressefest
jedoch nicht an die Erfolge der Vergangenheit
anknüpfen. Im Gegensatz zur Veranstaltung im
Jahr 2006 mit mehr als 7.000
Teilnehmern nah-
men nur ca. 2.000 Personen am Pressefest teil,
das vor allem eine Musikveranstaltung war. Da-
rüber hinaus sprachen bekannte Rechtsextre-
misten zu den Teilnehmern. Verschiedene
rechtsextremistische Organisationen präsentier-
ten sich mit Info- und Verkaufsständen.
Wie schon zum Pressefest 2006 wurde inner-
halb der rechtsextremistischen Szene Kritik am
kommerziellen Charakter der Veranstaltung und
den überzogenen Preisen geübt. Besucher
be-
anstandeten insbesondere den übermäßigen Al-
koholkonsum einiger Teilnehmer.
Deutliche Worte fanden Aktivisten der F
REIEN
KRÄFTE und der sächsischen JN in einer Stellung-
nahme. Es dürfe nicht sein, dass „der maximale
finanzielle Gewinn eines Verlags- und Versand-
hauses an erster Stelle steht und es dabei hin-
genommen wird, primär die Zielgruppe szene-
typischer Klischeeerscheinungen zu bedienen“.
Die Aktivisten der F
REIEN KRÄFTE und der JN-
Sachsen wollen künftig nicht mehr als Ordner-
dienst für solche Szeneveranstaltungen zur
Verfügung stehen, falls sich die NPD und der
Verlag nicht von „Kommerz
und subkultureller
Entartung“ distanzieren.
26
Im Zusammenhang mit der Intensivierung der
Zusammenarbeit mit den F
REIEN KRÄFTEN und
ihren Bemühungen um die eigene Wählerschaft
setzte die Partei auch auf die Schaffung neuer
regionaler Anlaufpunkte. Im Herbst 2010 verkün-
dete die NPD im Internet, in Delitzsch und Eilen-
burg (beide Landkreis Nordsachsen) so genannte
nationale Schulungs- und Begegnungszentren
eröffnet zu haben und verbreitete zugleich, dass
diesen weitere folgen sollen. Da die Partei bei
26
Internetseite des so genannten AKTIONSBÜNDNIS AUS LEIPZIG vom 10. August 2010.
Demonstration am 17. Juni 2010 in Dresden
Foto: Internetseite NETZWERKMITTE
Demonstration am 1. Mai 2010 in Zwickau
Foto: picture alliance

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Extremistische Bestrebungen | 17
Rechtsextremismus
ihren Anhängern politischen Schulungsbedarf in
verschieden Regionen Sachsens sieht, gäbe es
Vorbereitungen für nationale Schulungszentren
im Leipziger Land, in Chemnitz und Ostsachsen,
so die NPD.
Die Berichterstattung der NPD in Nordsachsen
über diese Aktivitäten zeigte deutlich, dass so-
wohl in der Öffentlichkeit als auch in der rechts-
extremistischen Szene der Eindruck einer starken
und aktiven Organisation mit vermeintlich hoher
Akzeptanz und Wahrnehmung vermittelt werden
soll. So sei „das neue Objekt“ in Eilenburg, wel-
ches nach Darstellung der NPD angeblich das
räumlich größte sei, vor fast 120 Gästen eröffnet
worden. Tatsächlich fand die von der NPD be-
schriebene „Zentrumseröffnung“ jedoch nicht in
Eilenburg, sondern in einer öffentlichen Gast-
stätte in einem Ortsteil der benachbarten Ge-
meinde Doberschütz (Landkreis Nordsachsen)
statt und es nahmen auch nur etwa halb so viele
Szeneanhänger teil.
Über Flugblattverteilung, Infostände und andere
gezielte Aktionen versucht sie, möglichst breite
Bevölkerungsteile anzusprechen, ohne dabei ihre
extremistischen Zielsetzungen offen zu erkennen
zu geben. Dieser Strategie folgend versucht die
Partei auch weiterhin, sich als „Kümmerer“ zu
präsentieren und insbesondere bei unzufrie-
denen Bürgern den Eindruck zu erwecken, sie
wäre bürgernah und zugleich die einzige „echte
Opposition“. Folgt man den Darstellungen der
Partei, so will sie mit entsprechenden Propagan-
daaktionen angeblich nicht auf Stimmenfang
gehen, sondern „Politik zum Wohle unserer
Landsleute“ machen.
27
Wie das Beispiel „nationales Schulungszentrum“
zeigt, ist die NPD in der Öffentlichkeit oft be-
müht, mit übertriebenen Meldungen von sich
das Bild einer aktiven Organisation zu vermitteln.
Sie verfolgt mit solchen Mitteilungen auch dass
Ziel, in den Fokus des medialen Interesses zu ge-
langen. So war die Flutkatastrophe in Ostsachsen
der Partei ein willkommener Anlass, dementspre-
chend zu agieren. Während man der lokalen Ver-
waltung und der Landesregierung Versagen
vorwarf, präsentierte sich die NPD als helfende
Kraft und suggerierte in Videobeiträgen sogar,
dass die Partei eng mit einer staatlichen Hilfsor-
ganisation zusammengearbeitet habe.
In anderen Regionen thematisierte sie geplante
Schulschließungen und bediente sich dabei u. a.
vordergründig harmloser Aktionen wie dem Ver-
teilen von Zuckertüten.
J
UNGE NATIONALDEMOKRATEN (JN)
Charakterisierung und Bedeutung
Die rechtsextremistischen JN – Jugendorganisa-
tion der NPD – sind in Sachsen Bindeglied zwi-
schen der NPD und der parteiunabhängigen
rechtsextremistischen Szene. Sie sehen sich als
Teil einer Bewegung, die als große Gemeinschaft
mit nationaler und sozialistischer Weltanschau-
ung vernetzt und zusammengeführt werden soll.
27
Internetseite des NPD-Kreisverbandes Nordsachsen vom 13. Juli 2010.
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 50
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 50
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 430
Kennzeichen:
Publikation
keine

image
18 | Extremistische Bestrebungen
Der sächsische JN-Landesverband verfügt inner-
halb der rechtsextremistischen Szene in Sachsen
über vergleichsweise wenige Mitglieder. Er orga-
nisierte aber im Berichtsjahr mehrere öffentlich-
keitswirksame Veranstaltungen, für die er zahl-
reiche Mitglieder der rechtsextremistischen Skin-
head- und Kameradschaftsszene sowie der F
REIEN
KRÄFTE mobilisieren konnte. Dazu zählen zwei De-
monstrationen am 16. Oktober in Leipzig und am
14. November in Wurzen (Landkreis Leipzig).
Im Vergleich zu anderen Landesverbänden ver-
fügt der JN-Landesverband Sachsen über gut
ausgebaute Strukturen.
Ideologie
Die JN streben die „Überwindung“ der freiheitli-
chen demokratischen Grundordnung der Bun-
desrepublik Deutschland an. Wie die NPD haben
sie sich die Schaffung einer „Volksgemeinschaft“
in einer neuen nationalistischen Ordnung zum
Ziel gesetzt. Dabei sollen die im Grundgesetz
manifestierten Freiheits- und Gleichheitsrechte
außer Kraft gesetzt werden. Nach eigenen Aus-
sagen soll die Grundlage dieser nationalisti-
schen Weltanschauung „ein auf der Basis der
Verschiedenartigkeit der Menschen erstelltes,
realistisches und lebensrichtiges Welt- und Men-
schenbild“ sein.
28
Die JN propagieren den Nationalsozialismus of-
fensiver als ihre Mutterpartei. So werden Füh-
rungspersonen aus der NS-Zeit als Vorbilder
dargestellt und geehrt. In diesem Zusammenhang
wurde bedauert, dass „aus den Reihen der heuti-
gen nationalen Bewegung der(n) Aufstieg eines
neuen unübertroffenen Genies“
29
nicht zu erwar-
ten sei. Dementsprechend sehen die JN ihre Auf-
gabe in der Ausbildung von Aktivisten zu ganz-
heitlichen Trägern dieser nationalistischen Idee
sowie in der Formung und Herausbildung von
Charakteren, die andere Menschen für diese Idee
begeistern können. Die nationale Jugendarbeit
soll zur „Kaderschmiede unseres Volkes“ werden,
um gemeinsam das System zu überwinden.
30
Nach Aussage des JN-Landesvorsitzenden soll-
ten die Schwerpunkte nationaler Jugendarbeit
„in der Formung und Herausbildung von Charak-
teren liegen.“ Damit sind Personen gemeint, „die
fähig sind, andere Menschen für unsere Idee zu
begeistern, die in der Lage sind, von sich aus
etwas auf die Beine zu stellen, die körperlich und
geistig belastbar sind und nur so Vorbild für an-
dere sein können.“
31
Daraus wird deutlich, dass
sich die JN Sachsen derzeit weniger als breite
Massenorganisation verstehen, sondern vielmehr
eine ideologische Vorreiterrolle, einer nach eige-
nen Angaben „führerlosen, zersplitterten und
uneinigen ‚Bewegung’“
32
einnehmen wollen.
Demonstration am 16. Oktober 2010 in Leipzig
Foto: picture alliance
28
Internetseite der JN Chemnitz, Auszug vom 30. Juli 2010.
29
Internetseite des AKTIONSBÜNDNIS AUS LEIPZIG, Auszug vom 23. April 2010.
30
Rede des sächsischen JN-Vorsitzenden am 5. Juni 2010 auf dem 3. JN-Sachsentag in Niesky (Landkreis Görlitz).
31
Rede des sächsischen JN-Vorsitzenden am 5. Juni 2010 auf dem 3. JN-Sachsentag in Niesky (Landkreis Görlitz).
32
Internetseite des AKTIONSBÜNDNIS AUS LEIPZIG, Auszug vom 23. April 2010.

Extremistische Bestrebungen | 19
Rechtsextremismus
33
Internetseite des AKTIONSBÜNDNIS AUS LEIPZIG, Auszug vom 6. September 2010.
34
Internetseite des JN-Bundesverbandes, Auszug vom 17. Dezember 2010.
Anlassbezogen grenzte sich die JN Sachsen so-
wohl von der NPD als auch von der subkulturellen
rechtsextremistischen Szene ab. In einer Stellung-
nahme der F
REIEN KRÄFTE und der JN-Sachsen zum
Pressefest der DEUTSCHEN STIMME 2010 wurde
die Distanzierung der NPD von der Kommerziali-
sierung und subkulturellen Entartung der Veran-
staltung mit folgender Begründung gefordert:
„Der subkulturelle und erlebnisorientierte Boden-
satz der Szene ist schon seit Jahren eine Plage für
jede konstruktiv arbeitende politische Gruppie-
rung unserer Weltanschauung.“
33
Strukturen
Den JN Sachsen gehören ca. 50 Personen (2009:
ca. 50) an, die in verschiedenen Stützpunkten or-
ganisiert sind.
Im Berichtsjahr waren mindestens sechs JN-Struk-
turen im Freistaat Sachsen aktiv. Dazu gehören die
JN in Leipzig, Wurzen (Landkreis Leipzig), Landkreis
Nordsachsen, Chemnitz, Kamenz (Landkreis Baut-
zen) und Riesa (Landkreis Meißen). Nach eigenen
Angaben verfügen die JN im Landkreis Nordsach-
sen über die im November 2009 gegründeten
Stützpunkte Delitzsch-Eilenburg, Torgau und
Oschatz. Da zwischen diesen drei Stützpunkten
enge Verbindungen bestehen, wurde in der sze-
neeigenen Berichterstattung mehrfach von der JN
Nordsachsen gesprochen. Darüber hinaus sind in
Sachsen weitere JN-Strukturen bekannt, bei denen
2010 aber keine Aktivitäten beobachtet wurden.
Zum Bundesverband der JN gehören die Unter-
organisationen:
I
NTERESSENGEMEINSCHAFT FAMILIENKREIS. Deren
Aufgabe ist es, Familien und deren Kindern
als „Keimzelle für die Volksgemeinschaft“
34
die Ziele der JN näherzubringen.
INTERESSENGEMEINSCHAFT FAHRT & LAGER (IG FAHRT
UND LAGER). Primäre Aufgabe der IG FAHRT UND
LAGER ist die bundesweite Ausrichtung von La-
gern, Ausflügen und Wanderungen. Am
21. Dezember 2010 wurden in Baden-Würt-
themberg, Brandenburg, Niedersachsen und
Rheinland-Pfalz mehrere Hausdurchsuchun-
gen bei Mitgliedern der JN durchgeführt. An-
lass war der Verdacht, dass es sich bei der I
G
FAHRT UND LAGER um eine Nachfolgeorganisa-
tion der im März 2009 vom Bundesminister
des Innern verbotenen H
EIMATTREUEN DEUTSCHEN
JUGEND (HDJ) handelt.
Aktivitäten
Im Berichtsjahr stagnierte der im Vorjahr propa-
gierte Strukturausbau der JN Sachsen. Das traf
auf die Entwicklung der Mitgliederzahl und auch
auf die Anzahl der JN-Stützpunkte zu. Noch im
Zusammenhang mit vier Stützpunktgründungen
in Nordsachsen und Wurzen (Landkreis Leipzig)
im Vorjahr war verkündet worden, dass es
80 Mitgliedsinteressenten gäbe. Diese an sich zu
binden, ist den JN allerdings nicht gelungen.
Gründe dafür können das nach wie vor vorhan-
dene Desinteresse von organisationsungebunde-
nen Rechtsextremisten sein, die sich nicht
parteinah binden wollen sowie das elitäre
Selbstverständnis einiger JN-Aktivisten.
Gleichwohl traten vor allem die JN im Landkreis
Nordsachsen seit Beginn 2010 verstärkt öffent-
lichkeitswirksam in Erscheinung. Dabei nahm
man thematisch u. a. die geplanten Kürzungen
der Staatsregierung im Bereich der Jugendarbeit
zum Anlass für überwiegend „spontane“ Aktio-
nen. Obwohl die JN anlässlich ihrer Versammlun-
gen intensiv mobilisierten, blieb die tatsächliche
Teilnehmerzahl meist hinter den Erwartungen

image
20 | Extremistische Bestrebungen
35
Internetseite des AKTIONSBÜNDNIS AUS LEIPZIG, Auszug vom 24. März 2010.
36
Internetseite des JN-Bundesverbandes, Artikel vom 31. Dezember 2010.
zurück. So z. B. bei einer Demonstration am
24. April 2010 in Torgau (Landkreis Nordsachsen)
gegen die Feierlichkeiten zum „Elbe-Day“, mit
dem an das historische Aufeinandertreffen rus-
sischer und amerikanischer Truppen am Ende des
Zweiten Weltkrieges erinnert wird. Statt der er-
warteten 200 Teilnehmer waren nur 120 zu dem
Aufzug der Rechtsextremisten erschienen.
Auch zu dem unter dem Motto „Jugend will Zu-
kunft!“ stehenden „JN-Sachsentag“ am 5. Juni 2010
in Niesky (Landkreis Görlitz) waren statt der erwar-
teten 1.000 Teilnehmer nur ca. 400 angereist. Nicht
alle der angekündigten Redner traten auf, so dass
der Schwerpunkt der Veranstaltung schließlich auf
dem Auftritt von rechtsextremistischen Bands lag.
Ungeachtet der Spannungen zwischen F
REIEN KRÄF-
TEN und der NPD bestehen zwischen deren Jugend-
organisation JN und den F
REIEN KRÄFTEN personelle
Überschneidungen auf Führungsebene. Es gibt da-
durch insbesondere regional enge Verbindungen,
die es den JN ermöglichen, die parteilose rechts-
extremistische Szene für eigene Aktivitäten zu mo-
bilisieren. Dazu gehörten die Demonstrationen am
16. Oktober 2010 in Leipzig sowie ein Trauer-
marsch am 14. November 2010 in Wurzen (Land-
kreis Leipzig). An beiden Ereignissen waren
zahlreiche parteiungebundene Rechtsextremisten
beteiligt. Im Gegenzug nahmen JN-Mitglieder an
Aktivitäten der F
REIEN KRÄFTE teil.
Zwischen den aktiven JN-Strukturen und den je-
weiligen regionalen NPD-Kreisverbänden beste-
hen meist gute Verbindungen. Teilweise werden
gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt bzw.
Objekte gemeinsam genutzt wie beispielsweise
ein Treffobjekt der rechtsextremistischen Szene
in Leipzig. Dort ist auch die so genannte K
AMPF-
SPORT UND SELBSTVERTEIDIGUNG AG der lokalen JN
aktiv. Deren Ziel ist es nach eigener Angabe,
„Kampfgeist, körperliche Leistungsfähigkeit,
Kraft, Ausdauer und Selbstbewusstsein“
35
zu
schulen. Die JN Sachsen schreibt sich auch die
Organisation und Durchführung des „2. Nationa-
listischen Kampfsportturniers in Sachsen“ zu, an
dem nach einer Eigenangabe mehr als 350 Per-
sonen teilgenommen und über 30 Teilnehmer
Kämpfe bestritten haben sollen.
36
Die JN stellen
zudem Mitglieder für Ordnerdienste bei verschie-
denen Veranstaltungen zur Verfügung.
1.3.2
D
EUTSCHE VOLKSUNION (DVU)
Charakterisierung und Bedeutung
Die DVU ist eine bundesweit organisierte rechts-
extremistische Partei. Sie wurde 1987 auf Initia-
tive des Münchner Verlegers Dr. Gerhard FREY
gegründet.
Ihre Bedeutung in der rechtsextremistischen
Parteienlandschaft ist seit Jahren stark rückläu-
fig. In Sachsen spielte die DVU mit ihren wenigen
und kaum aktiven Mitgliedern bereits in der Ver-
gangenheit nur eine marginale Rolle.
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 20
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 40
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 4.500
Kennzeichen:
Publikation:
NATIONAL-ZEITUNG/
DEUTSCHE WOCHEN-
ZEITUNG

Rechtsextremismus
Extremistische Bestrebungen | 21
Ende 2010 wurden DVU und die N
ATIONALDEMO-
KRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) zur neuen
Partei NPD – D
IE VOLKSUNION fusioniert. Nach
einer Klage von Gegnern der Fusion erklärte das
Landgericht München (Bayern) Anfang 2011 die
Fusion jedoch für ungültig.
Ideologie
In ihrem Parteiprogramm gibt die DVU vor, der frei-
heitlichen demokratischen Grundordnung und
dem Grundgesetz verbunden zu sein. Tatsächlich
werden jedoch von ihren Vertretern und in ihren
Publikationen typische rechtsextremistische Posi-
tionen vertreten und Argumentationen verwendet.
So nehmen fremdenfeindliche und antisemiti-
sche Artikel und Agitationen in der parteinahen
NATIONAL-ZEITUNG einen breiten Raum ein. Die
direkte (strafbare) Leugnung des Holocausts wird
von offizieller Seite der DVU zwar vermieden. Es
wird jedoch behauptet, dass zeitgeschichtliche
Dokumente und Zeugenaussagen von offizieller
Seite gefälscht seien, um damit den Juden eine
vorteilhafte Opferrolle zu verschaffen. Relativie-
rende und bagatellisierende Äußerungen über
den Völkermord der Nationalsozialisten an den
Juden sind weitere Belege für eine antisemiti-
sche Grundhaltung der Partei. Die Zeit des Na-
tionalsozialismus wird beschönigend und ver-
harmlosend dargestellt. Die Gräuel des national-
sozialistischen Regimes finden – wie bei Rechts-
extremisten typisch – keine Erwähnung.
Strukturen
Die Mitgliederzahl des sächsischen Landesver-
bandes der DVU ging im Berichtsjahr weiter zu-
rück. Viele Mitglieder beziehen lediglich die
NATIONAL-ZEITUNG oder gelten als so genannte
Ehrenmitglieder. Die Anzahl der Beitragszahler
und aktiven Parteimitglieder sinkt seit Jahren
kontinuierlich. Funktionierende Strukturen sind
in Sachsen nicht erkennbar.
Aktivitäten
Im Berichtsjahr wurden von den sächsischen
DVU-Strukturen keine öffentlichkeitswirksamen
Aktionen festgestellt.
Bundesweit hatte die DVU im Berichtsjahr – wie
schon in den Vorjahren – einen konstanten Be-
deutungsverlust zu verzeichnen. Dem Ende 2009
ernannten „Strukturbeauftragten“ gelang es
weder, Parteistrukturen auf- bzw. auszubauen,
noch konnte der Mitgliederschwund der letzten
Jahre aufgehalten werden. Nach den minimalen
Stimmenanteilen im Wahljahr 2009 befand sich
die Partei in einer anhaltenden Krise, gezeichnet
von innerparteilichen Konkurrenzkämpfen in der
Führungsebene. So wurden zwischen dem Partei-
vorsitzenden FAUST und seinen internen Gegnern
Gerichtsprozesse angestrengt, welche die Macht-
verhältnisse innerhalb der DVU regeln sollten.
Die innerparteilichen Spannungen verschärften
sich Mitte des Jahres 2010. Auslöser war die so-
wohl von Seiten der NPD als auch dem DVU-Vor-
sitzenden FAUST vorangetriebene Fusion beider
Parteien. Fusionshindernisse – wie die Schulden-
last der DVU – wurden durch den von Dr. FREY
ausgesprochenen Erlass des Rückforderungsan-
spruchs in Höhe von 1.000.000 Euro aus dem
Weg geräumt.
Den Fusionsankündigungen der Parteivorsitzen-
den folgten im Juli 2010 Mitgliederbefragungen
bei DVU und NPD. In beiden Parteien sollen über
90% der beteiligten Mitglieder einer Fusion zu-
gestimmt haben.
37
37
Vgl. Angaben im Beitrag „1.3.1 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD)“, Seite 14

22 | Extremistische Bestrebungen
Fusionsgegner innerhalb der DVU kündigten je-
doch innerparteilichen Widerstand gegen die
Verschmelzung an. Sie konnten allerdings nicht
verhindern, dass auf dem außerordentlichen
Bundesparteitag am 12. Dezember in Kirchheim
(Thüringen) mehrheitlich für die Auflösung der
DVU und das Zusammengehen mit der NPD ge-
stimmt wurde.
Laut dem DVU-Bundesvorsitzenden FAUST sollen
sich bei einer Urabstimmung rund 88% für eine
Fusion mit der NPD ausgesprochen haben. Nach
Angaben der NPD stimmten dort rund 95% ihrer
Mitglieder für die Fusion mit der DVU.
Am 29. Dezember unterzeichneten die beiden
Parteivorsitzenden der DVU und der NPD den
Verschmelzungsvertrag zur neuen Partei NPD –
D
IE VOLKSUNION.
Nach einer Klage von Gegnern der Fusion gegen
die Vertragsunterzeichnung erklärte das Landge-
richt München (Bayern) am 25. Januar 2011 im
vorläufigen Rechtschutzverfahren die Fusion für
ungültig.
Die tatsächlichen Beweggründe für die Ver-
schmelzung sind darin zusehen, dass die NPD
einen angeschlagenen und unliebsamen Konkur-
renten im Kampf um Wählerstimmen aus dem
Weg räumt. Sie will sich so als „stärkste nationale
Kraft“ präsentieren. Der Bundesvorsitzende der
DVU FAUST wurde folgerichtig Ende 2010 in den
Parteivorstand der NPD aufgenommen.
1.4
Rechtsextremistische Kamerad-
schaftsszene, insbesondere
die neonationalsozialistischen
KAMERADSCHAFTEN und
die FREIEN KRÄFTE
1.4.1
Erscheinungsformen der
Kameradschaftsszene
Zur rechtsextremistischen Kameradschaftsszene
im Freistaat Sachsen gehören
Subkulturelle K
AMERADSCHAFTEN,
Neonationalsozialistische
K
AMERADSCHAFTEN und die
F
REIEN KRÄFTE.
Subkulturelle KAMERADSCHAFTEN
Subkulturelle KAMERADSCHAFTEN besitzen keine fes-
ten hierarchischen Führungsstrukturen und sind
von Spontaneität und Aktionismus geprägt. Ihre
Aktivitäten sind hauptsächlich auf regionale Be-
reiche begrenzt. Darüber hinaus beteiligen sie
sich an rechtsextremistischen Konzerten und
teilweise an rechtsextremistischen Demonstra-
tionen.
Mitglieder der subkulturellen rechtsextremisti-
schen Kameradschaften haben – wie die übrigen
unorganisierten rechtsextremistischen Skin-
heads, deren Anteil inzwischen stark zurück ge-
gangen ist – ein eher diffuses Weltbild, das von
fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemi-
tischen Versatzstücken bestimmt wird.
Neonationalsozialistische KAMERADSCHAFTEN
Neonationalsozialistische KAMERADSCHAFTEN besit-
zen im Gegensatz zu den subkulturellen deutlich
erkennbare Führungsstrukturen. Ihre Aktivitäten
sind stark politisch ausgerichtet.

Rechtsextremismus
Extremistische Bestrebungen | 23
Neonationalsozialisten streben ein politisches
System nach dem Vorbild der NS-Diktatur an,
also eine Volksgemeinschaft auf rassistischer
Grundlage mit einer starken Führerpersönlichkeit
an der Spitze. Sie propagieren eine notwendige
„Rehabilitierung des Massenmenschen zum
deutschen Menschentypus“
38
. Dieser „demokra-
tische Massenmensch“ sei der Deutsche (durch
Staatsbürgerschaft), der „nicht mehr an das Er-
be unserer Geschichte anknüpft“.
39
Der „Massen-
mensch“ kenne weder Führer noch Gefolgschaft
sondern lediglich unpersönliche Mehrheiten, er
unterliege dem körperlichen Verfall, sei kulturlos
und materialistisch. Erst in einer Volksgemein-
schaft unter nationaler und sozialistischer Regie
werde der „deutsche Mensch“ wieder seinen
Platz in der natürlichen Ordnung einnehmen.
F
REIE KRÄFTE
Neonationalsozialisten treten infolge der Auflö-
sung von formalen Kameradschaftsstrukturen
seit etwa 2004 bevorzugt unter der Bezeichnung
F
REIE KRÄFTE in Erscheinung. Man wollte nicht
mehr als Mitglied einer konkreten K
AMERADSCHAFT
erkennbar sein, um dem Staat weniger Angriffs-
fläche zu bieten und agiert seitdem vorzugs-
weise nicht nur unter der Bezeichnung F
REIE
KRÄFTE sondern auch unter solchen wie NATIONALE
SOZIALISTEN, FREIER WIDERSTAND und NATIONALER WI-
DERSTAND.
Die F
REIEN KRÄFTE stellen ideologisch eine Einheit
mit den neonationalsozialistischen K
AMERAD-
SCHAFTEN dar, mit denen sie wie im Vorjahr das
Demonstrationsgeschehen der rechtsextremisti-
schen Szene im Freistaat Sachsen maßgeblich
mitbestimmt haben.
Sie bilden in Sachsen nach wie vor die bedeu-
tendste Struktur unter den parteiungebundenen
sächsischen Rechtsextremisten und sind vor
allem in den Großstädten Leipzig, Dresden und
Chemnitz sowie in den Regionen Nordwest- und
Südwestsachsen angesiedelt. In Ostsachsen ist
ihr Potenzial geringer.
F
REIE KRÄFTE unterhalten das Internetportal FREIES
NETZ, in dem Webpräsenzen für die Regionen
Nordsachsen, Leipzig, Chemnitz, Borna-Geithain
(Landkreis Leipzig), Zwickau sowie aus dem Erz-
gebirge betrieben werden. Dort werden Aktions-
berichte aber auch weltanschauliche Aufsätze
veröffentlicht. Außer angemeldete Demonstra-
tionen werden auf diesen Seiten in der Regel je-
doch keine anderen Veranstaltungstermine (z. B.
für Vorträge oder Schulungen) bekannt gegeben.
Das F
REIE NETZ fungiert im Wesentlichen als
Schaufenster in die Szene, die aktionsbezogene
Vernetzung der F
REIEN KRÄFTE fußt vor allem auf
den persönlichen Kontakten der Führungsperso-
nen.
Als Sonderform der F
REIEN KRÄFTE haben sich die
A
UTONOMEN NATIONALISTEN (AN) etabliert. Bei diesen
handelt es sich vorwiegend um eine Strömung,
die im Freistaat Sachsen hauptsächlich als Akti-
onsform von lokalen Strukturen der F
REIEN KRÄFTE
in Erscheinung tritt. Nur vereinzelt bilden sie ei-
gene Strukturen. Die Anzahl der AN ist 2010 in
Sachsen gegenüber dem Vorjahr deutlich von
ca. 20 auf ca. 50 Personen angestiegen (bundes-
weit 2009: ca. 800). Sie favorisieren bei ihren Ak-
tivitäten vor allem solche, die als aktionsorien-
tierte Gemeinschaftserlebnisse wahrgenommen
werden (z. B. die Teilnahme an Demonstratio-
nen). Sie zeichnet zudem ein hohes Maß an Ge-
waltbereitschaft aus.
38
Internetseite des AKTIONSBÜNDNIS AUS LEIPZIG vom 19. Februar 2010: „Der Volkstod der Deutschen: Gesellschaftliche Ursachen und Auswege
(Teil 1): Das deutsche Volk in seiner Wandlung zum demokratischen Massenmenschen“.
39
Ebenda.

24 | Extremistische Bestrebungen
In der Aktions- und Erscheinungsform als A
UTO-
NOME NATIONALISTEN öffnen sie sich neuen Zeit-
geistformen und werden so für Jugendliche
attraktiv und bieten diesen einen unkomplizier-
ten Einstieg in das neonationalsozialistische Ge-
dankengut.
Das Erscheinungsbild der AN ist stark an das der
linksextremistischen A
UTONOMEN angelehnt. Für
Außenstehende sind die AN nicht mehr ohne
Weiteres von linksextremistischen A
UTONOMEN zu
unterscheiden. Es werden schwarze Kapuzenpul-
lover, Sonnenbrillen, Baseball-Mützen aber auch
„Palästinensertücher“ getragen. Diese Art des
Auftretens wird mittlerweile von weiten Teilen
der Szene adaptiert.
Exemplarisch für die K
AMERADSCHAFTEN sind zu
nennen:
1.4.2
Stagnation des Personenpotenzials
der Neonationalsozialisten
Die Anzahl der parteiungebundenen Rechtsex-
tremisten ist gegenüber 2009 marginal um etwa
1% angestiegen
Die neonationalsozialistische Szene hat nicht an
Bedeutung verloren. Ihr Personenpotenzial hat
sich im Berichtsjahr geringfügig erhöht (um
ca. 2%). Der Anteil der F
REIEN KRÄFTE ging jedoch
leicht zurück. Bei diesen gibt es eine hohe Fluk-
tuation. Öffentlich treten sie häufig unter wech-
selnden Bezeichnungen auf.
Personenpotenzial der Neonationalsozialisten
im Freistaat Sachsen
Personenpotenzial der rechtsextremistischen
Kameradschaftsszene
40
und der FREIEN KRÄFTE
sowie die Anzahl der KAMERADSCHAFTEN
40
Die für Kameradschaftsmitglieder ausgewiesene Zahl umfasst das Potenzial neonationalsozialistischer und anderer rechtsextremistischer
K
AMERADSCHAFTEN.
BOOT BOYS GÖRLITZ
Görlitz/Landkreis Görlitz
N
ATIONALE SOZIALISTEN
CHEMNITZ (NSC)
Chemnitz
N
ATIONALE SOZIALISTEN
Döbeln
D
ÖBELN
(Landkreis Mittelsachsen)
N
ATIONALER JUGENDBLOCK
ZITTAU e. V (NJB ZITTAU)
Zittau (Landkreis Görlitz)
T
ERRORCREW MULDENTAL
Bennewitz
(Landkreis Leipzig)
1.200
800
400
0
2006
2007
2008
2009
2010
550
720
910
950
970
1.600
1.200
800
400
0
2006
2007
2008
2009
2010
150
100
50
0
1.000
850
500
460
510
500
750
760
730
41
28
22
24
28
Kameradschaftsmitglieder
F
REIE KRÄFTE
Anzahl der KAMERADSCHAFTEN
250

Rechtsextremismus
Extremistische Bestrebungen | 25
1.4.3
Entwicklungen in der neonational-
sozialistischen Kameradschafts-
szene/bei den F
REIEN KRÄFTEN
Bildung neonationalsozialistischer
K
AMERADSCHAFTEN hält an
Etwa seit 2004 war in der rechtsextremistischen
Kameradschaftsszene eine Auflösung fester
Strukturen zu beobachten. Dagegen wuchs das
Potenzial der lose strukturierten F
REIEN KRÄFTE
stark an. 2009 stagnierte dieser Prozess. Im Be-
richtsjahr ist wieder ein Zuwachs an neonatio-
nalsozialistischen K
AMERADSCHAFTEN erkennbar.
Hintergrund dafür ist, dass für einen Teil der Neo-
nationalsozialisten die Mitgliedschaft in einer
Gruppe mit einer konkreten Bezeichnung und
einer klaren Hierarchie wieder attraktiver gewor-
den ist. Obwohl damit möglicherweise ein Mo-
bilitätsverlust und eine Verringerung des
Aktionsradius verbunden ist, ist einem Teil der
Neonationalsozialisten die diffuse Zugehörigkeit
zu einer regionalen F
REIE KRÄFTE-Struktur zu
wenig identitätsstiftend.
Die Szene begegnet mit der Bildung von neuen
K
AMERADSCHAFTEN auch den Rekrutierungsbemü-
hungen der JN, die seit Jahren eine Anbindung
der losen Strukturen an ihre Organisation an-
strebt.
Aktivitäten – Strategiesuche
Neonationalsozialisten diskutieren seit der Ver-
hinderung einer Demonstration am 17. Oktober
2009 in Leipzig über die Strategie und Taktik bei
öffentlichen Aktionen. Es werden seitdem vor
allem dezentrale Aktionen oder unangemeldete
„Spontandemonstrationen“ favorisiert und um-
gesetzt. Solche Aktionen richteten sich haupt-
sächlich gegen eine vermeintliche staatliche
Repression. Daran beteiligten sich bis zu 100
Personen. Mit diesen Demonstrationen erzielt die
Szene allerdings nicht die von ihr angestrebte
Öffentlichkeitswirksamkeit. Deshalb mobilisiert
sie auch weiterhin zu Großveranstaltungen, wie
z. B. der jährlichen Großdemonstration anlässlich
des Jahrestages der Bombardierung Dresdens am
13. Februar 1945.
Die Strategiediskussion wurde noch intensiver
geführt, nachdem auf Grund massiver Gegenak-
tivitäten die Demonstration am 13. Februar 2010
verhindert wurde und nur eine Standkundge-
bung möglich war. Der bekannte Rechtsextremist
Christian WORCH propagierte im Internet für
künftige Großdemonstrationen das Konzept so
genannter Sternmärsche. Doch auch dieses Kon-
zept hatte nicht den gewünschten Erfolg. Dies
zeigt die am 16. Oktober 2010 in Leipzig verhin-
derte Veranstaltung, die die Rechtsextremisten
in Form von vier Demonstrationen als Stern-
marsch geplant hatten. Nachdem das Ordnungs-
amt Leipzig einen der vier angemeldeten
Aufzüge verboten und die übrigen drei zusam-
mengefasst nur als eine Standkundgebung ge-
nehmigt hatte, verlor diese Veranstaltung für die
Teilnehmer erheblich an Attraktivität. Lediglich
ca. 380 der etwa 1.000 bis 1.500 potenziellen
Teilnehmer beteiligten sich daran. Die anderen
Rechtsextremisten führten in Leipzig und im
Umland der Stadt mehrere „Spontandemonstra-
tionen“ durch, so z. B. ca. 150 Personen in un-
mittelbarer Nähe der in Leipzig genehmigten
Standkundgebung.
Dieser Strategiewechsel ließ im Berichtsjahr die
Anzahl der „Spontandemonstrationen“ im Frei-
staat Sachsen sprunghaft ansteigen. Betrug der
Anteil der „Spontandemonstrationen“ 2009 ca.
56 % am gesamten rechtsextremistischen De-
monstrationsaufkommen, so lag er im Berichts-
jahr bei ca. 72%.

image
26 | Extremistische Bestrebungen
Zu einer Häufung solcher Veranstaltungen
kommt es regelmäßig im Umfeld von angemel-
deten und nur als Standkundgebungen geneh-
migten Demonstrationen, wie beispielsweise am
6. November 2010 in Döbeln.
In „Spontandemonstrationen“ sieht die Szene eine
Möglichkeit zu beweisen, dass man trotz behörd-
licher Einschränkungen selbstbestimmt handele.
Auch wenn die ursprünglich geplante Demons-
tration nicht stattfinden konnte, wird das Auswei-
chen auf Spontandemonstrationen von der Szene
als „kreative und flexible“ Reaktion dargestellt.
Außerdem werden Demonstrationen als „spon-
tane“ Kundgebungen durchgeführt, gerade um of-
fizielle Anmeldungen zu umgehen. Anmeldungen
fehlen häufig bei in den Abendstunden stattfin-
denden Veranstaltungen, deren Teilnehmerkreis
sich in der Regel auf Rechtsextremisten aus der
Region beschränkt. Um trotz der fehlenden öffent-
lichen Mobilisierung und Werbung eine bessere
Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu erreichen,
behilft man sich mit Fackeln und pyrotechnischen
Erzeugnissen. Diese Aktionen werden auch in Form
von Videoclips ins Internet eingestellt.
Darüber hinaus missbrauchten Rechtsextremis-
ten 2010 zwei mal unpolitische Veranstaltungen,
um ihre Ideologie öffentlichkeitswirksam zu ver-
breiten. Am 14. Februar 2010 reihten sich bei-
spielsweise in Leipzig Rechtsextremisten im
Rahmen ihrer „Volkstodkampagne“
41
in den jähr-
lichen Faschingsumzug ein. Sie hatten sich als
„Verkünder des Todes“ in schwarze Kapuzenmän-
tel gekleidet, trugen Masken und entrollten ein
Transparent mit der Aufschrift: „Die Demokraten
bringen uns den Volkstod“.
In Radeberg (Landkreis Bautzen) wurde am 8. Au-
gust 2010 der Festumzug anlässlich des Stadt-
festes gestört. Ca. zehn Rechtsextremisten in
schwarzen Kapuzenmänteln mischten sich unter
die Teilnehmer. Sie führten ebenfalls ein Transpa-
rent mit der Aufschrift „Die Demokraten bringen
uns den Volkstod!“ mit. Weitere vier Personen
trugen einen Sarg mit der Aufschrift „VOLKSTOD“.
Entwicklung des Verhältnisses
zur NPD und zu den JN
Wie in den vergangenen Jahren ist das Verhältnis
zwischen den F
REIEN KRÄFTEN und der NPD nicht
einheitlich. Einflussreiche Personen der F
REIEN
KRÄFTE sind auch Funktionsträger in der NPD/JN.
Dennoch wollen sich Teile der Basis der F
REIEN
KRÄFTE nicht von der NPD/JN vereinnahmen zu
lassen. So äußerten Vertreter der F
REIEN KRÄFTE im
Zusammenhang mit den vier geplanten De-
monstrationen am 16. Oktober in Leipzig im In-
ternet auf die Frage „Wer veranstaltet die
Demonstrationen?“: „Zwar sind alle Anmelder
Mitglieder der NPD und/oder der JN, dennoch
sind alle Demonstrationen ohne parteipoliti-
schen Hintergrund anzusehen. Das Mitbringen
sämtlicher Parteifahnen wird also nicht gestattet
sein, einer begrenzten Anzahl von JN-Fahnen
stimmen wir jedoch gerne zu.“
42
41
Der drohende „Volkstod der Deutschen“ wird innerhalb der Neonationalsozialisten in der Bundesrepublik Deutschland und auch im Freistaat
Sachsen bereits seit mehreren Jahren thematisiert.
42
Internetseite der Kampagne RECHT AUF ZUKUNFT, Beitrag vom 11. Oktober 2010.
Demonstration am 6. November 2010 in Leisnig
(Landkreis Mittelsachsen) Foto: Internetseite FREIES DÖBELN

image
Rechtsextremismus
Extremistische Bestrebungen | 27
Die NPD kündigte an, nationale Schulungs- und
Begegnungszentren zu gründen und stellte den
F
REIEN KRÄFTEN auch Objekte für Treffen zur Verfü-
gung, um sie näher zu integrieren. Dies führte je-
doch – zumindest bisher – nicht zu dem gewün-
schten Erfolg. Die Distanz eines großen Teils der
F
REIEN KRÄFTE zu einer Parteiorganisation ist dafür
zu groß. Auch der elitäre Anspruch der JN wirkt
einer solchen Integration entgegen.
Die F
REIEN KRÄFTE agieren insbesondere anlassbezo-
gen gemeinsam mit den JN. Für solche, in enger
Kooperation geplante und durchgeführte Aktio-
nen, ist offensichtlich keine strukturelle Anbin-
dung notwendig. Hier zeigt sich auch, dass die
Zusammenarbeit der F
REIEN KRÄFTE mit der Jugend-
organisation der NPD wesentlich unkomplizierter
erfolgt als mit der Mutterpartei.
Das Bild ist jedoch nicht einheitlich: Ungeachtet der
Differenzen waren auch Anzeichen für eine Annä-
herung der F
REIEN KRÄFTE an die NPD zu beobachten.
Beispielsweise nutzen die F
REIEN KRÄFTE gern die or-
ganisatorischen Möglichkeiten der JN (und der
NPD). So gab es zahlreiche Aktionen der NPD/JN, an
denen sich die F
REIEN KRÄFTE beteiligt haben. Das ver-
deutlichen u. a. zwei Veranstaltungen am 1. Mai in
Zwickau (NPD) und in Hoyerswerda (F
REIE KRÄFTE),
bei denen Vertreter beider Szenen gemeinsam de-
monstrierten. Anlässlich des 1. Mai 2009 hatten
beide Lager noch getrennte Veranstaltungen in
Dresden und Freiberg durchgeführt.
Auch am 17. Juni 2010 nutzten Anhänger der NPD
und der F
REIEN KRÄFTE DRESDEN den Gedenktag an
den Arbeiteraufstand in der DDR 1953 für eine
weitere gemeinsame Aktion in Dresden.
1.5
Rechtsextremistische Musik-
und Vertriebsszene
1.5.1
Rechtsextremistische
Musikgruppen/Bandprojekte
Im Jahr 2010 waren mindestens 29
43
(2009: 30)
sächsische rechtsextremistische Musikgruppen/
Bandprojekte aktiv
44
. Einige Gruppen, wie bei-
spielsweise B
LITZKRIEG, SELBSTSTELLER, SACHSONIA und
W
HITE RESISTANCE, spielen schon seit vielen Jahren
eine wichtige Rolle in der sächsischen rechtsex-
tremistischen Musikszene. Andere Bands errei-
chen nur regionale Bedeutung oder lösen sich
relativ schnell wieder auf.
Anzahl der rechtsextremistischen Bands/
Bandprojekte im Freistaat Sachsen
43
Einschließlich der thüringisch-sächsischen Bands BRAINWASH und MOSHPIT.
44
Diese Bands traten bei rechtsextremistischen Konzerten auf und/oder veröffentlichten Tonträger mit rechtsextremistischen Inhalten.
Demonstration am 1. Mai 2010 in Hoyerswerda (Landkreis
Bautzen), Foto: Internetseite ND-B
40
30
20
10
0
2006
2007
2008
2009
2010
20
16
19
30
29

28 | Extremistische Bestrebungen
Für das Jahr 2010 werden exemplarisch die fol-
genden sächsischen rechtsextremistischen Mu-
sikgruppen benannt:
Das musikalische Spektrum der rechtsextremisti-
schen Musikgruppen in Sachsen umfasst im We-
sentlichen die Stilarten R.A.C.
45
und Hardcore
46
einschließlich verschiedener Mischformen. Ein-
zelne rechtsextremistische sächsische Bands, so
zum Beispiel L
EICHENZUG, rechnen sich selbst dem
so genannten NS Black Metal
47
zu.
Die rechtsextremistische Einstellung der Musik-
gruppen zeigt sich zum Teil schon in ihrer Na-
mensgebung. Die Bands A
RYAN HOPE (Arische
Hoffnung), R
ACIAL PURITY (Rassische Reinheit) und
W
HITE RESISTANCE (Weißer Widerstand) bekennen
bereits mit ihren Namen die in der rechtsextre-
mistischen Szene vielbeschworene Zugehörigkeit
zur „Weißen/Arischen Rasse“ und machen damit
kein Hehl aus ihrer rassistischen Grundeinstel-
lung.
Die rechtsextremistische Ideologie tritt auch in
den Texten der Tonträger zutage – mehr oder
weniger deutlich formuliert. So drückt die Band
S
ARIN ihre neonationalsozialistisch geprägte Ein-
stellung wie folgt aus:
„Wir sind wieder da und haben Rache geschworen.
Großdeutsches Reich du wirst neu geboren.
Die alten Zeiten werden neu entstehen
und euer System wird endlich untergehen.“
48
LEICHENZUG hingegen beschränkt sich im „Toten-
kopflied“ auf Andeutungen wie „schwarz ge-
wandt – der Ritterorden im Feindesland“ sowie
„Treue, Stolz, Ehre und Blut“. Diese zeigen jedoch
deutlich, dass sie als Hommage an die SS ge-
meint sind.
45
Rock against Communism“ – Rock gegen Kommunismus. Szeneeigene Bezeichnung für Rockmusik mit rechtsextremistischen Texten.
46
US-amerikanische Weiterentwicklung der Punk-Musik. Schnell und hart. Zu beachten: Die große Mehrheit der Hardcore-Bands ist nicht
rechtsextremistisch eingestellt.
47
NS steht hierbei für National Socialist.
Black Metal ist gekennzeichnet durch: eine inhaltliche Befassung mit zum Teil okkulten Themen, eine heidnische Ausrichtung und eine
positive Haltung zur Gewalt. Der typische Kreisch- und Grunz-„Gesang“ ist nur schwer zu verstehen.
48
SARIN, Demo-CD „Goldener Thron“ 2010, Titel 4 „Woh Who Who“.
ARYAN HOPE
Wurzen/Landkreis Leipzig
D
ONARS GROLL
Oberlausitz/Landkreis Bautzen
I
NKUBATION
Region Döbeln/Landkreis Mittelsachsen
LEICHENZUG
Landkreis Zwickau
R
ACIAL PURITY
Dresden
S
ARIN
Landkreis Leipzig
S
TORM OF MIND
Landkreis Leipzig
W
HITE RESISTANCE
Erzgebirgskreis/Landkreis Zwickau
B
LITZKRIEG
Chemnitz
I
F WE DIE TOMORROW
Ostsachsen
L
AST PRIDE
Erzgebirgskreis
P
RIORITÄT 18
Dresden
S
ACHSONIA
Dresden
S
ELBSTSTELLER
Riesa / Landkreis Meißen
S
TURMKRIEGER
Chemnitz

Rechtsextremismus
Extremistische Bestrebungen | 29
„Stolz marschieren sie in schwarz gewandt –
der Ritterorden im Feindesland
Todbringend für den ewigen Feind,
dessen Wesen Lügen und Neid vereint
(…)
Sie haben nur ein Ziel vor Augen,
Ausrottung des unreinen Glauben
Der ihrer Art widerstrebt,
da er von Angst und Schwäche lebt
(…)
Der Sturm bricht los, die Erde bebt
wenn sich der Totenkopf erhebt
So kämpfen sie fürs höchste Gut –
Treue, Stolz, Ehre und Blut“
49
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Me-
dien (BPjM) hat beide Tonträger im Berichtsjahr
als jugendgefährdend eingestuft und indiziert.
Die wichtigste Aktionsform der Musikgruppen
bilden die Auftritte bei rechtsextremistischen
Konzerten. Hier spielen ausschließlich rechtsex-
tremistische Bands vor entsprechendem Szene-
Publikum. Nicht selten kommt es bei diesen
Konzerten zu strafrechtlich relevanten Handlun-
gen durch Besucher und Interpreten. So wurde
beim Konzert am 29. Mai 2010 in Rothenburg
(Landkreis Görlitz) durch das Publikum der „Hit-
lergruß“ gezeigt, „Sieg Heil!“-Rufe skandiert und
das strafbare „Hakenkreuzlied“ („Hängt dem Adolf
Hitler den Nobelpreis um, hisst die rote Fahne mit
dem Hakenkreuz“) angestimmt. Bei der Veranstal-
tung traten unter anderem die sächsischen Grup-
pen P
RIORITÄT 18 und SACHSONIA auf.
1.5.2
Rechtsextremistische Konzerte
Die Anzahl rechtsextremistischer Konzerte be-
wegt sich im Freistaat Sachsen weiterhin auf
einem hohen Niveau. Im Berichtsjahr wurde mit
48 geplanten und bekannt gewordenen rechts-
extremistischen Konzerten der höchste Stand der
letzten fünf Jahre verzeichnet. Von diesen 48
wurden 41 Veranstaltungen durchgeführt. Ein
Konzert wurde nach Beginn von der Polizei auf-
gelöst, sechs weitere geplante Konzerte wurden
verhindert. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl
lag bei ca. 150 Personen pro Konzert.
Rechtsextremistische Konzerte im
Freistaat Sachsen
Durchschnittliche Teilnehmerzahl pro Konzert
49
LEICHENZUG, CD „Das letzte Gebet“ 2010, Titel 8 „Totenkopflied“. Schreibweise wie im Original.
200
150
100
50
0
2006
2007
2008
2009
2010
130
160
185
140
150
60
40
20
0
2006
2007
2008
2009
2010
geplante Konzerte insgesamt
davon durchgeführt
bzw. aufgelöst/verhindert
7
3
4
10
7
40
42
43
34
41
47
45
47
44
48

30 | Extremistische Bestrebungen
Wie bereits in den vergangenen Jahren ist der
Zugang zu so genannten Szene-Objekten ent-
scheidend für die Durchführbarkeit rechtsextre-
mistischer Konzerte im Freistaat Sachsen. So
wurden 2010 erneut die Mehrzahl der Veranstal-
tungen (77%) in Szene-Objekten geplant. Das
bereits im Vorjahr entsprechend genutzte Szene-
Lokal in Rothenburg (Landkreis Görlitz) nimmt
dabei mit 15 geplanten rechtsextremistischen
Konzerten (eine vorzeitig aufgelöste und 14
durchgeführte Veranstaltungen) eine zentrale
Position ein.
1.5.3
Von Rechtsextremisten
betriebene Internetradios
Der bereits in den vergangenen Jahren zu beob-
achtende Trend der Zunahme der von sächsi-
schen Rechtsextremisten betriebenen und
genutzten Internetradios hat sich im Berichts-
jahr noch einmal erheblich verstärkt. So hat sich
die Anzahl der Internetradios, die von Rechtsex-
tremisten aus Sachsen betrieben werden, mehr
als verdoppelt: auf nunmehr zwölf gegenüber
fünf im Jahr 2009. Darüber hinaus beteiligten
sich sächsische Administratoren und Moderato-
ren zunehmend an einer Vielzahl von bundesweit
betriebenen Internetradios.
Die Internetradios haben wichtige Funktionen.
Zum einen wird durch sie die Vernetzung der
rechtsextremistischen Szene gestärkt und die
Kontaktaufnahme zu Gleichgesinnten z. B. über
Foren erheblich vereinfacht. Zum anderen soll
durch die Nutzung dieser zeitgemäßen Techno-
logie vorwiegend jungen Menschen rechtsextre-
mistisches Gedankengut vermittelt werden.
Ziel der Betreiber ist es, die Zuhörerzahlen zu
steigern. Hierzu sollen die verbesserten Präsen-
tationen der Radios beitragen. Aber auch die im
Berichtsjahr zu beobachtende Zusammenarbeit
einzelner rechtsextremistischer Internetradios
verfolgt das Ziel, den Bekanntheitsgrad zu erhö-
hen und damit eine Steigerung der Zuhörerzahl
zu erreichen. Der Zuhörerkreis jedes einzelnen
Internetradios ist aus technischen Gründen je-
doch auf wenige hundert Nutzer beschränkt. Die
tatsächliche Zuhörerzahl der Radios bewegt sich
im zweistelligen Bereich.
Über die Internetradios werden vielfach straf-
und jugendschutzrechtlich relevante Musiktitel
und Moderationsbeiträge verbreitet. So ermit-
telte im Berichtjahr beispielsweise die Staatsan-
waltschaft Koblenz (Rheinland-Pfalz) gegen die
Betreiber des rechtsextremistischen WIDER-
STAND RADIO wegen des Verdachts der Bildung
einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung
und weiterer Straftaten. In diesem Zusammen-
hang erfolgten bundesweite Durchsuchungs-
maßnahmen.
Erkenntnisse des LfV Sachsen über Verstöße der
Internetradios gegen straf- oder jugendschutz-
rechtliche Bestimmungen werden regelmäßig
den Strafverfolgungsbehörden übermittelt.
1.5.4
Rechtsextremistische
Vertriebsszene
Subkulturell geprägte und andere Rechtsextre-
misten sind bestrebt, ihren Lebensstil auszuleben
und nach außen zu dokumentieren. Daher erzeu-
gen sie eine starke Nachfrage nach einschlägi-
gen Tonträgern, Bekleidung, Druckerzeugnissen,
Schmuck und weiterem Material. Speziell Texti-
lien mit szenetypischen Aufdrucken und ent-
sprechender Gestaltung sollen die eigene Welt-
anschauung nach außen kommunizieren.
Diese Nachfrage wird durch rechtsextremistische
Vertriebsunternehmen bedient, die ihr stetig
wachsendes Sortiment einseitig auf die Bedürf-
nisse der rechtsextremistischen Szene ausgerich-
tet haben.

Rechtsextremismus
Extremistische Bestrebungen | 31
Die rechtsextremistische Vertriebsszene hat sich im
Freistaat Sachsen weiter etablieren können. Nach
wie vor ist die hiesige Vertriebsszene im Bundes-
vergleich überdurchschnittlich stark ausgeprägt.
Zwar ging die Zahl der hier ansässigen rechtsex-
tremistischen Vertriebsunternehmen im Jahr 2010
leicht zurück: Auf nunmehr 17 gegenüber 21 im
Jahr 2009. Jedoch gründeten zumeist bestehende
Vertriebe neue Online-Versandgeschäfte, so dass
sich die Angebotsvielfalt insgesamt erhöht hat.
Neben wenig bekannten Online-Vertrieben und
Szene-Läden mit nur regionalem Einzugskreis exis-
tieren in Sachsen auch mehrere bundesweit bedeu-
tende Vertriebsunternehmen. Diese verfügen über
einen großen Kundenkreis im In- und Ausland
sowie sechsstellige Umsätze und hohe Gewinne.
Teile der Gewinne fließen in die rechtsextremis-
tische Szene zurück und werden zur Finanzie-
rung verschiedener Aktivitäten verwandt.
Dadurch entwickeln sich die rechtsextremisti-
schen Vertriebe zu einem der wichtigsten Kno-
tenpunkte szeneinterner Geldströme. Nahezu
jede größere Aktion, Initiative oder Veranstal-
tung der rechtsextremistischen Szene – etwa die
„Aktionswoche 13. Februar“ oder der „Sachsen-
tag“ der J
UNGEN NATIONALDEMOKRATEN (JN) – findet
mit Unterstützung durch die Vertriebe statt.
Auch die H
ILFSORGANISATION FÜR NATIONALE UND PO-
LITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE e. V.
(HNG) wird von mehreren Vertrieben unterstützt.
Steigende Gewinne der Vertriebe ermöglichen
darüber hinaus auch den Kauf von Immobilien,
die der rechtsextremistischen Szene zur Verfü-
gung gestellt werden. Diese kann dadurch ihre
Strukturen festigen und ihre Aktivitäten auswei-
ten. So erwarb im Berichtsjahr der Inhaber eines
bedeutenden rechtsextremistischen Vertriebs ein
Objekt in Chemnitz, das offenbar zum Treff- und
Veranstaltungsobjekt der rechtsextremistischen
Szene ausgebaut werden soll.
Die bereits in den vergangenen Jahren zu beob-
achtende starke Fluktuation bei der sächsischen
rechtsextremistischen Vertriebsszene hat sich
auch im Jahr 2010 fortgesetzt. So wurden zwei
hiesige Unternehmen von bayerischen Betrei-
bern übernommen. Im Gegenzug wurde ein
bayerischer Online-Handel in ein sächsisches
Vertriebsgewerbe eingegliedert. Die Neugrün-
dungen von fünf Online-Vertrieben und einem
Ladengeschäft erfolgten zumeist durch beste-
hende Vertriebsunternehmen.
Drei rechtsextremistische Vertriebe aus Sachsen
treten zugleich als Produzenten von rechtsextre-
mistischer Szene-Musik auf. Diese sächsischen
Labels zählen zu den bundesweit bedeutendsten.
So veröffentlichten sie im Jahr 2010 – wie schon
im Vorjahr – knapp 40 Tonträger. Die Tonträger
enthielten Beiträge von zumeist rechtsextremis-
tischen Bands und Liedermachern. Die einzelnen
Auflagen schwankten zwischen mehreren hun-
dert bis wenigen tausend Stück.
Mehrere Inhaber rechtsextremistischer Vertriebs-
unternehmen gründeten weitere Gewerbebetriebe
ohne Extremismusbezug. Mit diesen erschließen
sie sich entweder ein ähnliches Geschäftsfeld –
etwa den Textildruck – oder auch neue Branchen,
etwa bei der Eröffnung eines Tattoo-Studios.
Neben der wirtschaftlichen Absicherung des
rechtsextremistischen Vertriebs werden durch
unverfängliche Werbeauftritte oder Homepages
neue Kundenpotenziale außerhalb der subkultu-
rell geprägten rechtsextremistischen Szene er-
schlossen. Ferner bietet man Szeneangehörigen
die Möglichkeit zum „ideologisch korrekten Ein-
kauf“. Als zusätzlicher Nebeneffekt können Be-
schäftigungsverhältnisse speziell für Rechts-
extremisten entstehen. So verfügt allein die hie-
sige rechtsextremistische Vertriebsszene über
etwa drei bis vier Dutzend Mitarbeiter, die sie be-

image
32 | Extremistische Bestrebungen
vorzugt aus der rechtsextremistischen Szene re-
krutiert hat.
Auch im Jahr 2010 fielen wieder Hinweise auf
konspirative Vertriebsstrukturen an. Diese handeln
erfahrungsgemäß mit Tonträgern in kleinerer
Stückzahl und offerieren ihr Material im persön-
lichen Kontakt, so etwa bei Veranstaltungen der
rechtsextremistischen Szene wie Konzerten oder
über Internet-Tauschbörsen. Die dabei angebo-
tene Produktpalette erfüllt hinsichtlich ihrer Ge-
staltung und der Textinhalte vielfach Straftatbe-
stände. Unverhohlen werden verbotene Symbole
wie Hakenkreuze auf Covers und in Booklets dar-
gestellt, die Texte enthalten häufig rassistische
und volksverhetzende Aussagen.
Darüber hinaus nutzen sächsische Rechtsextre-
misten auch Angebote ausländischer Vertriebs-
unternehmen. Deren teilweise gezielt auf den
deutschen Markt ausgerichteten Sortimente
können über das Internet erworben werden.
Häufig finden sich darin auch Artikel, die nach
deutschem Recht verboten sind, aber im Ausland
hergestellt und angeboten werden dürfen. Da-
rüber hinaus können Tonträger und weiteres sze-
nerelevantes Material auch im benachbarten
Ausland vor Ort erworben werden.
1.5.5
Fanzines der
rechtsextremistischen Szene
Fanzines sind Printmedien der subkulturell gepräg-
ten rechtsextremistischen Szene. Vor allem in der
Skinheadszene waren sie in der Vergangenheit ein
wichtiges Kommunikationsmittel. Mit der verstärk-
ten Nutzung des Internets nahm die Bedeutung
der Fanzines in den letzten Jahren jedoch ab. Ehe-
mals etablierte Publikationen wurden eingestellt,
neuere erschienen nur über einen begrenzten Zeit-
raum und mit wenigen Ausgaben. Trotzdem sind
die Fanzines auch heute noch ein Medium, das
auch rechtsextremistische Inhalte transportiert.
Nachdem im Jahr 2008 erstmals kein einziges
Fanzine sächsischer Rechtsextremisten veröf-
fentlicht worden war, kamen 2009 erste Ausga-
ben der neuen Publikationen FÜR IMMER UND
EWIG
UND FREIES CHEMNITZ heraus. Auch im Be-
richtsjahr wurde je eine weitere Ausgabe dieser
Fanzines herausgegeben.
Die inhaltlichen Schwerpunkte beider Publikatio-
nen liegen in der Berichterstattung zur rechts-
extremistischen Musikszene. Dabei werden auch
Versatzstücke rechtsextremistischer Ideologie
transportiert. So erklärt die rechtsextremistische
Band S
ACHSONIA aus Dresden im Fanzine FÜR
IMMER UND EWIG: „Sicherlich bezeichnen wir
uns in gewisser Weise als Skinheads, sind in aller
erster Linie aber freiheitsliebende, für nationalen

image
Rechtsextremismus
Extremistische Bestrebungen | 33
Sozialismus einstehende Deutsche.“
50
In der ak-
tuellen Ausgabe des Fanzines Das FREIE CHEM-
NITZ heißt es z. B. „Und wenn es unbequem ist,
wir müssen treu und konsequent zum Nationa-
len Sozialismus stehen“
51
.
1.6
Sonstige rechtsextremistische
Gruppierungen
1.6.1
JUNGE LANDSMANNSCHAFT OST-
D
EUTSCHLAND e. V. (JLO) Landes-
verband Sachsen/Niederschlesien
Charakterisierung und Bedeutung
Der rechtsextremistische Landesverband Sach-
sen/Niederschlesien der J
UNGEN LANDSMANNSCHAFT
OSTDEUTSCHLAND e. V. (JLO) hat unverändert nur
wenige Mitglieder.
Allerdings fungiert er seit Jahren als Anmelder
und Mitorganisator des jährlichen „Trauermar-
sches“ von Rechtsextremisten anlässlich des Jah-
restages der Bombardierung der Stadt Dresden
am 13. Februar 1945. Die Veranstaltung hat sich
mittlerweile zur größten öffentlichkeitswirksamen
Demonstration von Rechtsextremisten in Deutsch-
land entwickelt. Sie besitzt innerhalb der rechts-
extremistischen Szene einen hohen Stellenwert.
Im Jahr 2009 erreichte sie mit etwa 6.500 Teilneh-
mern die bislang höchste Beteiligung.
Darüber hinaus führt der Landesverband ein-
zelne Vortragsveranstaltungen durch. Weiterhin
zählt er Reisen ins „besetzte Ostpreußen“, Son-
nenwendfeiern, Wanderungen, Grill- und Volks-
liedabende zu seinen Aktivitäten.
Die Organisation will insbesondere jüngere Men-
schen zwischen 14 und 35 Jahren erreichen.
Ideologie
Programmatisch gibt der Landesverband der JLO
seine extremistische Zielsetzung nicht offen-
sichtlich zu erkennen, deutet allerdings revisio-
nistische Gebietsansprüche an. Seinen Grund-
sätzen zufolge will er die „nationale Einheit aller
Deutschen wahren und vollenden“. Er sieht sich
dabei zu besonderer Solidarität gegenüber der
„deutschen Volksgruppe östlich von Oder und
Neiße“ verpflichtet.
Im politischen Verhalten des JLO-Landesverban-
des ist jedoch eine enge und mit deutlichen
Übereinstimmungen verbundene Zusammenar-
beit mit rechtsextremistischen Organisationen
und Parteien erkennbar. Dies zeigt sich insbeson-
dere bei der Organisation des jährlichen „Trau-
ermarsches“. Daran sind u. a. auch Mitglieder der
N
ATIONALDEMOKRATISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD),
deren Jugendorganisation J
UNGE NATIONALDEMO-
KRATEN (JN) und Angehörige der FREIEN KRÄFTE be-
teiligt.
Die enge Verflechtung und Verbundenheit mit
der rechtsextremistischen Szene wird auch bei
anderen Aktivitäten deutlich. So wurde bei einer
Vortragsveranstaltung der JLO im August 2010
u. a. über die politischen und wirtschaftlichen
Voraussetzungen für eine „neue deutsche Volks-
gemeinschaft" referiert.
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 20
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 20
Kennzeichen
Publikation
keine
50
FÜR IMMER UND EWIG, Ausgabe 3 / Juni 2010, Seite 32. Schreibweise wie im Original.
51
FREIES CHEMNITZ, Ausgabe Nr. 3 / Februar 2010, Seite 22. Schreibweise wie im Original.

image
34 | Extremistische Bestrebungen
Strukturen
Kontaktadresse des Landesverbandes Sachsen/
Niederschlesien der JLO ist ein Postfach in Dresden.
Aktivitäten
Der JLO Landesverband Sachsen/Niederschlesien
meldete auch zum 65. Jahrestag der Bombardie-
rung der Stadt am 13. Februar seinen alljährlichen
„Trauermarsch“ an. Erstmals konnte die Veranstal-
tung allerdings nur als Kundgebung durchgeführt
werden. Ursache waren zahlreiche Blockaden von
Gegnern des Aufmarsches. Dennoch beteiligten
sich mit ca. 6.400 Rechtsextremisten etwa so viele
Personen wie im vergangenen Jahr an der Veran-
staltung.
Unter den Teilnehmern befanden sich – wie in den
Vorjahren – Rechtsextremisten aus dem gesamten
Bundesgebiet sowie aus dem europäischen Aus-
land. Darunter waren zahlreiche bekannte Funk-
tionäre wie der Bundesvorsitzende der NPD Udo
VOIGT und der Neonationalsozialist Thomas
WULFF.
Während die Veranstaltung in den vergangenen
Jahren sowohl von den Organisatoren als auch
den Teilnehmern überwiegend als Erfolg bewertet
wurde, überwog im Berichtsjahr die Enttäuschung
darüber, dass der Marsch nicht durchgeführt wer-
den konnte. Veranstalter und Teilnehmer gaben
sich mit der Durchführung nur einer stationären
Kundgebung größtenteils nicht zufrieden. Die Re-
aktionen reichten von Resignation bis zur Gewalt-
anwendung. Bereits im Verlauf der Kundgebung
wurden von einzelnen Teilnehmern Flaschen und
Feuerwerkskörper geworfen und Reizgas gegen die
polizeilichen Einsatzkräfte gesprüht. Im Anschluss
an die Veranstaltung in Dresden führten zurück-
reisende Rechtsextremisten in einigen Städten
spontane Kundgebungen durch. Bei einer De-
monstration in Pirna (Landkreis Sächsische
Schweiz-Osterzgebirge) kam es zu Ausschreitun-
gen. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts des
Landfriedensbruchs gem. § 125 Strafgesetzbuch.
Nach dieser empfundenen „Niederlage“ sucht der
Landesverband der JLO gemeinsam mit anderen
Rechtsextremisten nach einer neuen Strategie, um
den „Trauermarsch“ wieder – aus Sicht der Rechts-
extremisten – erfolgreich durchführen zu können.
Auch bei einer weiteren im Berichtszeitraum be-
kannt gewordenen Veranstaltung der JLO wurde
der „13. Februar“ thematisiert. Sie führte am 3. De-
zember in Dresden eine Vortragsveranstaltung
unter dem Motto „Dresden 1945-Daten-Fakten-
Opfer“ durch. Dabei wurden u. a. die Recherche-
ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zu
den Ereignissen um den 13. Februar 1945 in Frage
gestellt.
1.6.2
H
ILFSORGANISATION FÜR NATIONALE
POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN
ANGEHÖRIGE e. V. (HNG)
Charakterisierung und Bedeutung
Die 1979 gegründete H
ILFSORGANISATION FÜR NATIO-
NALE POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE
e. V. (HNG) ist eine der deutschlandweit größten
neonationalsozialistischen Vereinigungen.
Mitglieder 2010 in Sachsen
einzelne
Mitglieder 2009 in Sachsen
einzelne
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 600
Kennzeichen
Publikation
NACHRICHTEN DER
HNG (monatlich)

Zweck der HNG ist die Unterstützung von inhaf-
tierten Rechtsextremisten, unter denen sich
auch zahlreiche Gewalttäter befinden. Dies ge-
schieht, um die Bindung der inhaftierten Rechts-
extremisten an die Szene aufrechtzuerhalten, sie
in ihrer extremistischen Ideologie zu bestärken
und um sie nach Haftentlassung wieder nahtlos
in die eigenen Reihen integrieren zu können. Den
Inhaftierten soll vermittelt werden, eine Märty-
rerrolle auszufüllen, die innerhalb des gesamten
rechtsextremistischen Spektrums Beachtung
fände.
Ideologie
Ideologisch orientiert sich die HNG – wie das bun-
desweite neonationalsozialistische Spektrum –
am Nationalsozialismus in der Zeit des Dritten
Reiches. HNG-Mitglieder lehnen dementspre-
chend die freiheitliche demokratische Grundord-
nung ab und streben einen ethnisch homogenen
und autoritären „Führerstaat“ an.
Auch gebietsrevisionistische und sozialdarwinis-
tische Auffassungen spielen innerhalb der HNG
eine bedeutsame Rolle.
Strukturen
Mit ca. 600 Mitgliedern (2009) verfügt die HNG
bundesweit über ein seit Jahren stabiles Poten-
zial, dem Angehörige aus allen rechtsextremisti-
schen Lagern zuzurechnen sind. Dazu zählen
auch vereinzelte Rechtsextremisten aus dem
Freistaat Sachsen.
Aktivitäten
Schwerpunkt der Vereinstätigkeit ist die monat-
liche Herausgabe der Publikation NACHRICHTEN
DER HNG. Darin wird u. a. über bedeutsame Sze-
neereignisse und Veranstaltungen berichtet, Le-
serbriefe werden veröffentlicht und Rechtsbera-
tungen vorgenommen. Die HNG führt jährlich
eine Jahreshauptversammlung durch.
Auf Grund eines vereinsrechtlichen Ermittlungs-
verfahrens gegen die HNG führte das Bundesmi-
nisterium des Innern (BMI) im Jahr 2010 in meh-
reren Bundesländern Durchsuchungsmaßnah-
men durch. Im Freistaat Sachsen kam es in die-
sem Zusammenhang zu keinen Durchsuchungen.
Extremistische Bestrebungen | 35
Rechtsextremismus

36 | Extremistische Bestrebungen
2. Linksextremismus
2.1
Überblick in Zahlen
52
Die Anzahl der Personen, die im Freistaat Sach-
sen linksextremistischen Bestrebungen zuge-
rechnet werden, ist von ca. 740 im Jahr 2009 auf
ca. 750 Personen im Berichtsjahr nur leicht ge-
stiegen. Der Aufwärtstrend der vergangenen
Jahre setzte sich damit auch im Berichtsjahr fort.
Er verlangsamte sich jedoch im Vergleich zu den
Vorjahren weiter.
Linksextremisten im Freistaat Sachsen
Das größte Potenzial innerhalb der linksextre-
mistischen Bestrebungen im Freistaat Sachsen
bilden unverändert die A
UTONOMEN. Bei der auto-
nomen Szene ist seit 2004 ein stetiger Anstieg
des Potenzials zu verzeichnen. Im Berichtsjahr
konnten der sächsischen autonomen Szene ca.
370 Personen zugerechnet werden (2009: ca.
360). Der aktuelle Zuwachs resultiert aus einer
leichten Zunahme des Personenpotenzials in
Dresden. Im Gegensatz dazu verlor die autonome
Szene in Leipzig an Anhängerschaft. Grund dafür
dürften insbesondere das Fehlen mobilisierungs-
starker Gruppierungen sowie die im Berichtsjahr
weitgehend ausgebliebenen größeren öffent-
lichkeitswirksamen Aktivitäten sein. Anders als
im Jahr 2009 konnte ein weiteres Anwachsen der
autonomen Szene außerhalb der Großstädte
2010 nicht festgestellt werden.
Die Gesamtzahl der Mitglieder bei den linksex-
tremistischen Parteien und innerparteilichen Zu-
sammenschlüssen sank im Berichtsjahr erneut
um ca. 4% auf 250 Personen (2009: ca. 260). Ur-
sache ist ein weiterer Mitgliederrückgang bei der
K
OMMUNISTISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (KPD-Ost).
Diese verliert in Sachsen weiter an Bedeutung.
Die zahlenmäßig stärkste Gruppierung in diesem
Bereich, die K
OMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI
DIE LINKE (KPF), konnte ihr Mitgliederpotenzial
dagegen stabil halten.
Die den „Sonstigen linksextremistischen Grup-
pierungen“ zuzurechnende Anhängerschaft stieg
um ca. 8% auf ca. 130 Personen
53
(2009: ca.
120).
52
Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in den Zahlenangaben er-
fassten Personen Einzelerkenntnisse vor. Grund hierfür ist der Auftrag der Strukturbeobachtung; umfassende personenbezogene Erkenntnisse
zur gesamten Mitgliedschaft der beobachteten Organisationen sind dafür nicht immer zwingend erforderlich.
53
Die Gesamtsumme berücksichtigt die vor allem beim ROTEN HILFE e. V. anzutreffenden Mehrfachmitgliedschaften.
1.200
900
600
300
0
2006
2007
2008
2009
2010
550
640
710
740
750

Extremistische Bestrebungen | 37
Linksextremismus
Anzahl der Linksextremisten im Freistaat Sachsen
(insgesamt: ca. 750
54
[2009: ca. 740/bundesweit 2009: ca. 31.600])
2.2
Entwicklungstendenzen im
Linksextremismus
Die AUTONOMEN prägten auch im Jahr 2010 das
Erscheinungsbild des Linksextremismus im Frei-
staat Sachsen.
Anstieg von Gewalttaten durch die
autonome Szene
Die auffälligste Entwicklung zeigte sich bei den
der autonomen Szene zuzurechnenden Gewalt-
taten. 2010 wurden im Freistaat Sachsen deutlich
mehr linksextremistische Gewaltstraftaten fest-
gestellt als 2009. Bereits im August des Jahres
wurde der Vorjahresstand eingeholt. Insgesamt
beläuft sich die Zahl der polizeilich registrierten
diesbezüglichen Gewaltstraftaten auf 128. Dies
ist der höchste Stand seit 2005. Die Zunahme der
Gewalttaten ist Folge einer immer schärfer ge-
führten Auseinandersetzung mit dem politischen
Gegner und einer stärkeren Mobilisierung ge-
waltbereiter Linksextremisten zu Ereignissen, die
Gelegenheit zu solchen Taten geben.
54
Ohne Mehrfachmitgliedschaften.
55
Ohne Mehrfachmitgliedschaften.
56
Dabei handelt es sich zum großen Teil um Mehrfachmitgliedschaften in verschiedenen linksextremistischen Bereichen.
Linksextremistische Parteien
und innerparteiliche
Zusammenschlüsse
2010: ca. 250
2009: ca. 260
KOMMUNISTISCHE PLATTFORM
DER PARTEI
DIE LINKE (KPF)
2010: ca. 160
2009: ca. 160
davon u. a.:
MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI
DEUTSCHLANDS (MLPD)
2010: ca. 30
2009: ca. 30
KOMMUNISTISCHE PARTEI
DEUTSCHLANDS
(KPD-OST)
2010: ca. 20
2009: ca. 30
DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE
PARTEI (DKP)
2010: ca. 40
2009: ca. 40
Gewaltbereite
Linksextremisten/
A
UTONOME
2010: ca. 370
2009: ca. 360
Sonstige linksextremistische
Gruppierungen
2010: ca. 130
55
2009: ca. 120
Andere trotzkistische,
marxistische und
anarchistische Gruppierungen
2010: ca. 60
2009: ca. 50
ROTE HILFE e. V.
2010: ca. 140
56
2009: ca. 140
56
davon u. a.:

image
38 | Extremistische Bestrebungen
Damit unterscheidet sich die Entwicklung im Be-
richtszeitraum von der in den Vorjahren. Bei den
Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund
war eine kontinuierliche Steigerung in den vergan-
genen Jahren zu verzeichnen, wohingegen es bei
den Gewalttaten keine signifikanten Veränderun-
gen gab. 2010 ging die Anzahl der polizeilich regis-
trierten Straftaten zurück auf 480, während die der
linksextremistisch motivierten Gewalttaten auf 128
angestiegen ist. Der Anteil der linksextremistischen
Gewalttaten an den linksextremistischen Straftaten
lag im Jahr 2010 bei ca. 27 % und damit höher als
in den Vorjahren (2008 und 2009 jeweils 17%).
Die Gewalt richtet sich in erster Linie gegen den
politischen Gegner und – im geringeren Maße –
gegen Polizeibeamte. Im Jahr 2010 wurden für
den Freistaat Sachsen 68 gegen den politischen
Gegner gerichtete Gewalttaten mit linksextre-
mistischem Hintergrund registriert.
Tatumfeld für die Gewalttaten sind in der Regel
Demonstrationen. In erster Linie handelt es sich
bei den festgestellten Gewalttaten, um Körper-
verletzungsdelikte und Widerstandshandlungen.
Allein bei den Aktivitäten gegen den Aufmarsch
der rechtsextremistischen J
UNGEN LANDSMANN-
SCHAFT OSTDEUTSCHLAND e. V. (JLO) am 13. Februar
2010 in Dresden wurden 55 Gewalttaten mit
linksextremistischem Hintergrund festgestellt
(2009: 39 Gewalttaten).
Aber auch abseits vom Demonstrationsgesche-
hen wurde Gewalt eingesetzt. So beispielsweise
bei einer Brandstiftung am 2. Juli 2010 in Dö-
beln, als ein Pkw einer der rechtsextremistischen
Szene zugerechneten Person in Brand gesetzt
wurde. Auf einem daneben geparkten Pkw war
dabei der Schriftzug „Wer Nazi ist, kriegt Pro-
bleme. Viele Grüße Antifa“ aufgebracht worden.
Parallel zu dem Anstieg der Gewaltstraftaten
sind in den autonomen Szeneblättern INTERIM
und RADIKAL militante Aktionen thematisiert
worden. So wurden Herstellungsanleitungen für
Brandsätze etc. veröffentlicht und Aktionsfor-
men unter Einsatz von Gewalt diskutiert. Im Mit-
telpunkt dieser Debatte, an der sich in den
Vorjahren auch sächsische A
UTONOME in der Zeit-
schrift PHASE 2 beteiligt hatten, steht nicht die
Frage nach der grundsätzlichen Rechtfertigung
des Einsatzes von Gewalt zur Erreichung radika-
ler politischer Ziele – diese wird in der autono-
men Szene vorausgesetzt –, sondern die Begrün-
dung konkreter Aktionen, deren Vermittelbarkeit
und Einbindung in politische Kampagnen.
Diese Entwicklung belegt sowohl ein gesteiger-
tes Aggressionsniveau gegenüber dem politi-
schen Gegner und der Polizei als auch eine
Nichtanerkennung des staatlichen Gewaltmono-
pols seitens der Linksextremisten.

Extremistische Bestrebungen | 39
Linksextremismus
Charakteristische Entwicklungen
der autonomen Szene
Die autonomen Zentren in Leipzig und Dresden
haben sich weiter stabilisiert.
In der Dresdner Szene dominieren nicht mehr die
antideutsch
57
ausgerichteten AUTONOMEN. Durch
die erfolgreiche Blockade des Trauermarsches
der JLO konnten sich andere Akteure der auto-
nomen Szene profilieren. Dieser Wechsel hat sich
als entscheidende Bedingung für das Eingehen
eines Bündnisses mit Nichtextremisten erwiesen,
das auf einen gemeinsamen Aktionskonsens ge-
stützt ist.
Die stärker antideutsch orientierte autonome
Szene in Leipzig ist auf Grund ihrer ideologischen
Festlegung und der Aufsplitterung in Kleingrup-
pen weniger bereit, Bündnisse mit nicht anti-
deutschen A
UTONOMEN oder Nichtextremisten
einzugehen, was deren Aktions- und Mobilisie-
rungspotenzial der Szene 2010 begrenzt hat.
Eine deutlich kleinere autonome Szene besteht in
Chemnitz. In Mittel- und Kleinstädten sowie dem
ländlichen Raum existieren einzelne autonome
Szenen. Während sich im Vorjahr die Aktionen
dieser autonomen Szenen vorwiegend auf die
Mobilisierung zu Ereignissen in den Großstädten
beschränkte, hat es im Berichtszeitraum verein-
zelte eigenständige Aktionen in Klein- und Mit-
telstädten gegeben. Zwischen den lokalen Szenen
bestehen zwar vielfältige Kontakte und Verbin-
dungen, aber auch im Jahr 2010 hat sich kein or-
ganisatorischer Rahmen entwickelt, der sie
verbinden könnte. Ein Anstoß zu einer stärkeren
Vernetzung ist offensichtlich auch nicht von dem
„Antifa-Kongress“ am 28./29. November 2010 in
Chemnitz ausgegangen, an dem unter anderem
A
UTONOME teilgenommen haben.
Aktionsfelder
Wie bereits in den vergangenen Jahren stand
auch im Berichtszeitraum wieder das Aktionsfeld
„Antifaschismus“ im Mittelpunkt der Aktivitäten
der sächsischen A
UTONOMEN. In Dresden hat der
Bedeutungsverlust der vormals Ton angebenden
„Antideutschen“ dazu geführt, dass 2010 bei den
Protestaktionen am 13. Februar die Verhinde-
rung des Aufzuges der Rechtsextremisten im
Vordergrund stand und nicht das traditionelle
Anliegen der „Antideutschen“ – der Protest
gegen das Opfergedenken.
Der Kampf gegen „Rechts“ erschöpft das Akti-
onspotenzial der autonomen Szene in Sachsen
weitgehend. Andere Themen nehmen einen
deutlich geringeren Stellenwert ein.
Im Rahmen des Bemühens um autonome „Frei-
räume“ ereigneten sich im Berichtszeitraum
mehreren Hausbesetzungen, die jedoch nur von
kurzer Dauer waren. In diesem Zusammenhang
ist es vereinzelt auch zu Solidaritätsaktionen ge-
kommen, wie z. B. am 28. Januar 2011 im Leipzi-
ger Stadtteil Connewitz. Dort hatten ca. 80
Personen, darunter Vermummte, eine unange-
meldete Demonstration durchgeführt, die sich
gegen die angekündigte Räumung eines Objek-
tes in Berlin gerichtet hatte.
Auf den Aktionsfeldern „Antirepression“ und
„Antimilitarismus“ waren kaum nennenswerte
Aktivitäten feststellbar. So konnte zur Bundes-
wehrtagung im November in Dresden nicht zu
wirksamen Gegenaktionen mobilisiert werden.
Für Ereignisse außerhalb Sachsens, an denen A
U-
TONOME beteiligt waren, wie etwa die Proteste
gegen die Innenministerkonferenz im November
in Hamburg oder die Teilnahme an den Protesten
57
Näheres zu den „Antideutschen“ und antiimperialistischen AUTONOMEN siehe Broschüre des LfV Sachsen: „Autonome im Freistaat Sachsen“,
Dresden 2010, S. 6 f. Abrufbar unter
http://www.verfassungsschutz.sachsen.de.

image
image
40 | Extremistische Bestrebungen
gegen Castor-Transporte, konnte nur eine geringe
Mobilisierung in Sachsen festgestellt werden.
Aktionsformen
Die Verhinderung des Aufmarsches der JLO am
13. Februar bewertete die Szene als spektakulä-
ren Erfolg und zugleich als beispielhaftes takti-
sches Vorgehen der beteiligten A
UTONOMEN. Der
Erfolg gründete sich insbesondere auf zwei Fak-
toren: das auf einen spektrenübergreifenden Ak-
tionskonsens gestützte Bündnis mit Nichtextre-
misten und das Konzept der (rechtswidrigen)
Massenblockade von Verkehrsknotenpunkten.
Dieses Vorgehen erwies sich im Vergleich zu den
Gegendemonstrationen der Vorjahre als ungleich
wirkungsvolleres Mittel. Während die Blockaden
wie beabsichtigt gewaltfrei verliefen, hatten A
U-
TONOME im Unterschied zu dem Großteil der fried-
lichen Demonstranten auf Gewalt als Mittel der
politischen Auseinandersetzung gesetzt. So wur-
de im Umfeld der Blockaden und auf den An-
marschwegen der Rechtsextremisten gezielt die
Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner
gesucht. Ein wesentlicher Anstieg der Gewalttaten
im Berichtszeitraum ist darauf zurückzuführen.
Auch wenn in Dresden Bündnisse über das extre-
mistische Spektrum hinaus erfolgreich waren, war
diese Taktik noch kein Vorbild für andere A
UTONOME
in Sachsen. So agierten Leipziger AUTONOME bei De-
monstrationen weiterhin unabhängig von Bünd-
nissen mit Nichtextremisten. Anlässlich einer
Kundgebung von Rechtsextremisten am 16. Ok-
tober in Leipzig haben autonome Gruppen ein
szeneinternes Bündnis gebildet, sich aber einer
Zusammenarbeit mit einem nicht extremistischen
Bündnis verweigert. A
UTONOME waren auch hier an
einzelnen gewalttätigen Auseinandersetzungen
mit Rechtsextremisten außerhalb des eigentlichen
Demonstrationsgeschehens beteiligt.
2.3
Linksextremistische Parteien
und innerparteiliche
Zusammenschlüsse
2.3.1
DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP)
Charakterisierung und Bedeutung
Die DKP ist eine linksextremistische Partei. Sie
verfügt im Freistaat Sachsen nur über wenige
Mitglieder. Zudem entfaltet sie hier kaum Au-
ßenwirkung.
Sitzblockade am 13. Februar 2010 in Dresden
Foto: action press
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 40
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 40
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 4.000
Kennzeichen
Publikationen
UNSERE ZEIT (UZ)
(Zentralorgan,
wöchentlich),
LICHTBLICK-MIT-
TEILUNGSBLATT DER
DKP LEIPZIG
(unregelmäßig)

image
Extremistische Bestrebungen | 41
Linksextremismus
Ideologie
Die DKP versteht sich selbst als „revolutionäre Par-
tei der Arbeiterklasse“. Sie hält unverändert an
ihrem Ziel „Sozialismus/Kommunismus“ als grund-
legende Alternative zum Kapitalismus fest und be-
kennt sich zu den Theorien von Marx, Engels und
Lenin als Anleitung für ihr Handeln.
58
Sie sieht die „kapitalistischen Macht- und Eigen-
tumsverhältnisse“ als Ursache von „Ausbeutung
und Entfremdung, Krieg, Verelendung und Zerstö-
rung unserer natürlichen Umwelt“ an. Sie will die
bestehenden Verhältnisse in einem revolutionären
Umbruch „für eine neue Gesellschaftsordnung,
den Sozialismus“ überwinden. Dabei wird der So-
zialismus als Zwischenschritt zum Kommunismus
betrachtet. Im Programm heißt es dazu: „Als erste
Phase der Gesellschaftsformation ist der Sozialis-
mus zugleich eine Etappe auf dem Weg zum Kom-
munismus.“
59
Die Vorstufe Sozialismus kann ihrem
Verständnis nach nicht über Reformen, sondern
nur durch tief greifende Umgestaltungen und die
„revolutionäre Überwindung“
60
der Gesellschafts-
ordnung erreicht werden, die von der DKP als ka-
pitalistische(n) Eigentums- und Machtverhält-
nisse“
61
wahrgenommen wird.
Strukturen
Auf Grund ihrer dauerhaft geringen Mitgliederzahl
ist die DKP im Freistaat Sachsen nicht als Landes-
verband organisiert. Zwar kam im Berichtsjahr zu
den bereits bestehenden DKP-Gruppen Leipzig,
Dresden, Zwickau und Erzgebirge/Vogtland die
neue Gruppe Kreis Leipzig hinzu. Auf Grund der
Fluktuation von Mitgliedern konnte dennoch kein
Mitgliederzuwachs erreicht werden.
Aktivitäten
Auf ihrem 19. Parteitag wählte die DKP am 9./10.
Oktober 2010 in Frankfurt am Main (Hessen) einen
neuen Vorstand und erstmals eine Frau als Vorsit-
zende. Diese ging in ihrem Parteitagsreferat auf
die zentrale Frage ein, bei der die Partei aktuell in
zwei Fraktionen geteilt ist: Das Verhältnis der DKP
zu gesellschaftlichen Bewegungen. Während sich
ein Parteiflügel für gewerkschaftliche Allianzen
und die Bildung breiter Bündnisse ausspricht,
lehnt der andere eine solche Öffnung ab und for-
dert stattdessen eine Rückbesinnung auf eine tra-
dierte, vermeintlich unverfälschte Lehre des
Marxismus-Leninismus. Für 2011 strebt die DKP
eine Klärung der inhaltlichen Debatte an. Im neuen
Parteivorstand sind beide Strömungen vertreten.
Im Freistaat Sachsen war die DKP lediglich anläss-
lich der Blockade des Aufmarsches von Rechtsex-
tremisten am 13. Februar in Dresden aktiv. Hier
waren neben sächsischen Parteianhängern auch
DKP-Mitglieder und Funktionäre aus anderen Bun-
desländern vertreten.
2.3.2
M
ARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI
DEUTSCHLANDS (MLPD)
58
Programm der DKP, 2006, Seiten 1 ff.
59
Ebenda, Seite 7.
60
Ebenda, Seite 7.
61
Ebenda, Seite 7.
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 30
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 30
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 2.000
Kennzeichen
Publikationen
ROTE FAHNE (RF)
(Zentralorgan, wö-
chentlich), STIMME
VON UND FÜR ELBE-
SAALE-ZEITUNG DER
MLPD FÜR SACHSEN,
SACHSEN-ANHALT
UND THÜRINGEN
(unregelmäßig)

image
42 | Extremistische Bestrebungen
Charakterisierung und Bedeutung
Die maoistisch-stalinistisch geprägte MLPD ist
eine linksextremistische Partei. Ihre Mitglieder-
zahl stagniert im Freistaat Sachsen auf niedri-
gem Niveau. Der politische Einfluss der Partei ist
hier gering.
Ideologie
Die MLPD hält unverändert an ihrer politisch-
ideologischen Linie und an der Notwendigkeit
des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse
fest. Ihr Ziel „ist der revolutionäre Sturz der Dik-
tatur des Monopolkapitals und die Errichtung
der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des
Sozialismus als Übergangsstadium zur klassen-
losen kommunistischen Gesellschaft“.
62
Strukturen
Die MLPD ist in den Städten Dresden und Leipzig
vertreten. Der Sitz der Geschäftsstelle des Lan-
desverbandes Elbe-Saale befindet sich in Leipzig.
Die erklärte Absicht, verstärkt Betriebsgruppen
in Großunternehmen aufzubauen, konnte sie
bisher nicht umsetzen.
Aktivitäten
Nachdem die MLPD im Vorjahr im Rahmen der
Bundestagswahl verstärkt in die Öffentlichkeit
trat, war sie im Berichtsjahr im Freistaat Sachsen
kaum wahrnehmbar. Sie trat einzig im Rahmen
der Aktivitäten gegen den Aufmarsch von
Rechtsextremisten am 13. Februar in Dresden in
Erscheinung und beteiligte sich aktiv an den Blo-
ckaden. Dazu hatte sie selbst unter der Losung
„Keinen Fußbreit den Faschisten“ aufgerufen.
2.3.3
Linksextremistische Strömungen
innerhalb der Partei DIE LINKE.
Die Partei DIE LINKE. ist in Sachsen in ihrer Ge-
samtheit nicht extremistisch. Es gibt allerdings
in der Partei DIE LINKE. extremistische Personen-
zusammenschlüsse, deren Ziel eine sozialistisch-
kommunistische Staats- und Gesellschaftsord-
nung ist. Das sind in Sachsen die K
OMMUNISTISCHE
PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE (KPF) und das
M
ARXISTISCHE FORUM
63
(MF). Nur diese beiden
Gruppen werden durch das Landesamt für Ver-
fassungsschutz beobachtet. Gemessen an der
Gesamtmitgliederzahl der Partei ist die Anzahl
derer, die diesen Zusammenschlüssen angehö-
ren, allerdings gering. Die KPF ist die mitglie-
derstärkere und zugleich einflussreichere Strö-
mung von beiden.
K
OMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI
DIE LINKE (KPF)
62
Präambel zum Statut der MLPD, Internetseite der MLPD, abgerufen am 10. November 2010.
63
OVG Münster, Urteil vom 13. Februar 2009 (Az. 16 A 845/08), S. 55 sowie BverwG, Urteil vom 21. Juli 2010 (Az: 6C22.09), S. 23.
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 160
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 160
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 1.100
Kennzeichen
Publikation
MITTEILUNGEN DER
KOMMUNISTISCHEN
PLATTFORM DER
PARTEI DIE LINKE
(monatlich)

Extremistische Bestrebungen | 43
Linksextremismus
Charakterisierung und Bedeutung
Die linksextremistische KPF ist gemäß ihrer Sat-
zung ein offen tätiger Zusammenschluss von Kom-
munistinnen und Kommunisten in der Partei DIE
LINKE. Die sächsische KPF zählt bundesweit zu den
mitgliederstärksten Landesorganisationen und be-
sitzt dementsprechenden Einfluss innerhalb der KPF.
Ideologie
Die KPF ist eine marxistisch-leninistische Organisa-
tion und bekennt sich zum Kommunismus. In einer
Selbstdarstellung auf ihrer Internetseite heißt es:
„Die Bewahrung und Weiterentwicklung marxisti-
schen Gedankenguts ist wesentliches Anliegen der
K
OMMUNISTISCHEN PLATTFORM. Die Plattform tritt (…) für
den Sozialismus als Ziel der Veränderungen ein.“
In einem sächsischen Positionspapier der KPF vom
April 2010 mit dem Namen „Sozialismus oder Bar-
barei!“ wird der Weg zum Ziel des Kommunismus
wie folgt beschrieben: „Als erste Phase der kom-
munistischen Gesellschaftsformation ist der So-
zialismus zugleich eine Etappe auf dem Weg zum
Kommunismus (…). Die Frage nach dem Weg der
Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsord-
nung, also dem scheinbaren Widerspruch von Re-
form und Revolution, ist für uns eine strategische.
Wir treten deshalb für kurz- und mittelfristige Ver-
änderungen im Interesse aller Nichtbesitzenden als
auch für die langfristige revolutionäre Überwin-
dung des Kapitalismus ein. Der Übergang zum
Kommunismus wird in einem langen Prozess
durch den Aufbau des Sozialismus vorbereitet“.
64
Die KPF befürwortet demnach den Aufbau einer mit
dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden kom-
munistischen Staats- und Gesellschaftsordnung.
Die Bewertung durch die Verfassungsschutzbe-
hörden hat auch das Oberverwaltungsgericht
(OVG) Münster bestätigt. Das Gericht kam zu
dem Ergebnis, dass die KPF (ebenso wie das MF)
verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die KPF
strebe eine sozialistische Revolution und die Dik-
tatur des Proletariats im klassisch marxistisch-
leninistischen Sinne an. Nach marxistisch-leni-
nistischer Lehre ist die Diktatur des Proletariats
eine notwendige Vorstufe zur Erreichung des
Kommunismus.
65
Die im Grundgesetz garantier-
ten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und
Ausübung der parlamentarischen Opposition, die
Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwort-
lichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie das
Recht des Volkes, die Volksvertretung in allge-
meiner und gleicher Wahl zu wählen sind mit der
Diktatur des Proletariats nicht zu vereinbaren.
66
Strukturen
Die KPF ist in Sachsen als landesweiter Zusam-
menschluss organisiert. Sie unterteilt sich in die
regionalen Gruppen Chemnitz, Dresden, Leipzig
sowie Ostsachsen. Die Treffen der Regionalgrup-
pen finden größtenteils nicht öffentlich statt.
Aktivitäten
Die sächsische KPF führte im Berichtsjahr zwei
Landeskonferenzen durch. Sie begleitete die Pro-
grammdebatte in der Partei DIE LINKE. aktiv und
sieht in der Beteiligung an der Programmdiskus-
sion auch 2011 die Schwerpunkte ihrer politi-
scher Aktivitäten
67
.
64
Veröffentlicht auf der Internetseite der KPF-Sachsen, Auszug vom 15. April 2010.
65
OVG Münster a.a.O., S. 52.
66
Ebenda.
67
Beschluss der KPF-Landeskonferenz Sachsen vom 11. Dezember 2010. Veröffentlicht auf der Internetseite der KPF Sachsen.

Bundesweit öffentlichkeitswirksam wurde die
KPF-interne Auseinandersetzung über den „Um-
gang mit Aussteigern aus der Naziszene“, an der
sich zum Teil auch die sächsische KPF beteiligte.
Hintergrund war der im Mai erfolgte Ausschluss
eines Mitgliedes mit rechtsextremistischer Ver-
gangenheit aus der KPF-Sachsen durch den Bun-
deskoordinierungsrat der KPF.
Seit 2010 präsentiert sich der sächsische Landes-
verband in der Öffentlichkeit mit einer eigenen
Internetseite. Wesentliches Informationsmedium
für Mitglieder bleiben weiterhin die vom Bun-
deskoordinierungsrat monatlich herausgegebe-
nen Hefte MITTEILUNGEN DER KOMMUNISTI-
SCHEN PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE.
Die KPF hält an der Zusammenarbeit mit dem
ebenfalls linksextremistischen MF fest und warb
auf ihrer Bundeskonferenz im November für eine
gemeinsame Podiumsdebatte 2011.
2.4
AUTONOME
2.4.1
Charakterisierung und Bedeutung
Die meisten Linksextremisten im Freistaat Sach-
sen gehören der autonomen Szene an. Diesem
Spektrum sind etwa 370 Personen zuzurechnen.
Auch bundesweit stellen A
UTONOME den weitaus
größten Teil des gewaltbereiten linksextremisti-
schen Potenzials.
Öffentlichkeitswirksam tritt die sächsische auto-
nome Szene vor allem mit Aktionen gegen rechts-
extremistische Demonstrationen in Erscheinung.
Die gegen den alljährlichen Aufzug von Rechts-
extremisten im Zusammenhang mit dem Jahres-
tag der alliierten Luftangriffe auf Dresden am
13. Februar 1945 gerichteten Proteste haben sich
für die Szene zwischenzeitlich zu einem Großereig-
nis von bundesweiter Bedeutung entwickelt. Dabei
bestimmen zunehmend bundesweite Aktions-
bündnisse auch mit Nichtextremisten die Mobili-
sierung nach Dresden. Die „Massenblockaden“ am
13. Februar 2010 in Dresden waren von der links-
extremistischen Szene als Erfolg gewertet worden.
Auch Linksextremisten in anderen Bundesländern
versuchen verstärkt, durch eine bundesweite Mo-
bilisierung ein größeres Protestpotenzial für Ak-
tionen gegen den politischen Gegner zu gewin-
nen. Entgegen diesem Trend setzt die autonome
Szene in Leipzig weiter auf eigene, nur innerhalb
ihres Kernpotenzials abgestimmte Aktionen und
nutzt die Gegenveranstaltungen nichtextremisti-
scher Organisationen und Bündnisse nur als An-
laufpunkte. Dadurch können sich Leipziger A
UTO-
NOME gegenüber der Dresdner Szene in ihren Auf-
rufen deutlich radikaler äußern und den Einsatz
von Gewalt offen als legitimes Mittel zur Durch-
setzung ihrer Ziele propagieren.
2.4.2
Ideologie
A
UTONOME verfolgen kein geschlossenes ideologi-
sches oder strategisches Konzept. Ihr Selbstver-
ständnis ist vielmehr von Anti-Haltungen ge-
prägt („antifaschistisch“, „antikapitalistisch“,
„antisexistisch“ etc.). Dabei orientieren sie sich
oftmals an diffusen anarchistischen oder kom-
munistischen Ideologiefragmenten. Sie sehen
sich als Opposition zum „System“ und streben
nach einem hierarchiefreien, selbstbestimmten
Leben innerhalb „herrschaftsfreier Räume“ („Au-
tonomie“). Zur Umsetzung ihrer Vorstellungen
nutzen sie insbesondere die „Freiräume“, die
ihnen besetzte Häuser oder selbst verwaltete
Projekte bieten.
Das Gewaltmonopol des Staates wird von A
UTO-
NOMEN abgelehnt. Die Propagierung und Anwen-
dung von Gewalt, insbesondere in ihrem „Kampf
gegen Rechts“, sind für die Szene identitätsstif-
tend. „Militanz ist in unseren Augen notwendiger
Bestandteil linksradikaler Politik, sowohl im all-
44 | Extremistische Bestrebungen

image
Extremistische Bestrebungen | 45
Linksextremismus
gemeinen Sinn der konsequenten, kämpferi-
schen Haltung an sich, als auch im engeren Sinn
von politischer Gewalt.“
68
AUTONOME zielen – wie alle Linksextremisten – im
Kern auf die Überwindung des „herrschenden
Systems“. Der Antifaschismus ist für sie lediglich
eines ihrer Aktionsfelder, mit dem sie ihr eigent-
liches Ziel erreichen wollen. Wenn der Faschis-
mus zwangsläufig die Begleiterscheinung des
bestehenden Staatswesens sei, könne erst die
Überwindung dieser Staatsform den Faschismus
endgültig auslöschen. Der Antifaschismuskampf
kann deshalb nicht bei der Bekämpfung von
Rechtsextremisten als den unmittelbaren politi-
schen Gegnern Halt machen, sondern erfordert
darüber hinaus – wenn er erfolgreich sein soll –
den Kampf gegen das System.
In der bundesweit vertriebenen Szenezeitschrift
INTERIM heißt es entsprechend: „Radikaler Anti-
faschismus bedeutet für uns mehr als nur gegen
Nazis zu sein. Er bedeutet auch eine unvereinbare
Haltung zu diesem System einzunehmen und die
gesellschaftlichen Bedingungen radikal zu be-
kämpfen, welche immer wieder Rassismus, Sozial-
darwinismus und letztendlich die Existenz von
Neonazis reproduzieren. Daher akzeptieren wir
keine gesetzlich vorgeschriebenen Regeln im
Kampf gegen Neonazis und für eine herrschafts-
freie Welt.“
69
DIE ANTIFASCHISTISCHE LINKE BERLIN (ALB) drückt dies so
aus: „Die autonome Antifa unterscheidet von den
Akteuren der demokratischen Zivilgesellschaft die
Analyse, dass Faschismus und faschistische Bewe-
gungen nicht als Äußeres der parlamentarischen
Demokratie Wesensfremdes zu verstehen sind,
sondern als daraus hervorgehend.“
70
AUTONOME werden als gewaltbereit eingeschätzt.
Gewalt als Mittel der politischen Auseinander-
setzung wird von A
UTONOMEN allgemein akzep-
tiert, insbesondere wenn sie sich gegen den
politischen Gegner, die Polizei oder Sachen rich-
tet. Das Gewaltmonopol des Staates gilt A
UTONO-
MEN nicht als unabdingbare zivilisatorische
Grundlage des demokratischen Rechtsstaates,
sondern als Mechanismus zum Schutz der be-
stehenden Ordnung und zur Kriminalisierung
anderer politischer Vorstellungen.
In Sachsen – und dieser Umstand stellt im Bun-
desvergleich eine Besonderheit dar – sind nach wie
vor – vor allem in Leipzig – die so genannten „anti-
deutschen“ A
UTONOMEN aktiv. Die „Antideutschen“
71
lehnen die deutsche Nation entschieden ab. Sie
unterstellen ihr ein latentes Großmachtstreben,
das letztlich zu einem Vierten Reich und zu einer
Wiederholung des Dritten Reiches führen würde.
Von den anderen A
UTONOMEN unterscheidet sie ihre
kompromisslose Unterstützung des Staates Israel.
Allein dem Staat Israel wird bis zur weltweiten
68
„A.G. Grauwacke, Autonome in Bewegung. Aus den ersten 23 Jahren“, Berlin 2003, S. 380.
69
INTERIM vom 11. Juni 2009, Beitrag „Einige Gedanken zu militantem Antifaschismus“.
70
ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT 77 4/2007, Beitrag „… Angriff!“.
71
Siehe auch entsprechender Absatz im Abschnitt „IV. Glossar des Verfassungsschutzes“, S. 73 und Broschüre des LfV Sachsen „Autonome
Szene im Freistaat Sachsen“, Oktober 2010, S. 6.

46 | Extremistische Bestrebungen
Überwindung des Antisemitismus ein Existenz-
recht zugesprochen. Damit grenzen sie sich be-
wusst von der Mehrheit der A
UTONOMEN ab, die eher
pro-palästinensisch und israelkritisch eingestellt
sind. Diese Unterschiede haben zur Folge, dass eine
Vernetzung mit nicht „antideutsch“ eingestellten
A
UTONOMEN erschwert wird und das Mobilisierungs-
potenzial der „Antideutschen“ begrenzt bleibt.
2.4.3
Strukturen und Aktivitäten
Seit 2004 steigt die Zahl der AUTONOMEN in Sachsen
stetig an. Entscheidend dafür waren u. a. die Wahl-
ergebnisse der N
ATIONALDEMOKRATISCHEN PARTEI DEUTSCH-
LANDS (NPD) bei den Kommunal- und Landtags-
wahlen in Sachsen, die zu einer verstärkten The-
matisierung des „Antifaschismuskampfes“ führten.
Dadurch gewannen autonome Bestrebungen auch
außerhalb der beiden autonomen Zentren Leipzig
und Dresden wieder an Bedeutung.
Anzahl der Personen in der sächsischen
autonomen Szene
Die Strukturen der autonomen Szene haben sich
im Berichtsjahr verändert. Während ehemals die
Szene dominierende Gruppen an Bedeutung ver-
loren oder sich aufgelöst haben, sind gleichzeitig
neue Gruppen entstanden. Die einzelnen auto-
nomen Gruppierungen sind überwiegend in den
örtlichen Szenen aktiv. Sie agieren weitgehend
unabhängig voneinander.
Autonome Bestrebungen in Dresden –
13. Februar 2010
In Dresden war im Berichtsjahr ein leichter An-
stieg des Personenpotenzials der autonomen
Szene zu verzeichnen. Mit dem AK A
NTIFA IM LI-
BERTÄREN NETZWERK DRESDEN (kurz: AK ANTIFA, frü-
herer Gruppenname N
O PASARÁN! DRESDEN) prägt
seit 2010 eine relativ neue Gruppe das Erschei-
nungsbild der Dresdner autonomen Szene. Diese
distanziert sich von den „antideutschen“
72
Posi-
tionen der A
NTIFA DRESDEN
73
, die in der Vergangen-
heit den Ton angab. In bewusster Abgrenzung zu
ihr definiert sie sich selbst als „antinational“ und
„antimilitaristisch“. Gleichzeitig verzichtet sie auf
„antideutsche“ Positionen und Slogans, die sich
im Kontext des 13. Februar sowohl gegen den
Trauermarsch der Rechtsextremisten als auch
gegen das Kriegsopfergedenken bürgerlicher
Kreise richten. Durch diesen Verzicht schuf der
AK A
NTIFA wesentlich bessere Voraussetzungen
für Bündnisse auch mit nichtextremistischen
Partnern und ein „spektrenübergreifendes Enga-
gement“ im „Antifaschismuskampf“.
72
Vgl. Broschüre des LfV Sachsen „Autonome Szene im Freistaat Sachsen“, Oktober 2010, S. 6.
73
Vgl. Broschüre des LfV Sachsen „Autonome Szene im Freistaat Sachsen“, Oktober 2004, S. 20 sowie Sächsische Verfassungsschutzberichte
2009 und 2008.
500
400
300
200
100
0
2006
2007
2008
2009
2010
280
300
340
360
370

Extremistische Bestrebungen | 47
Linksextremismus
Aber auch der AK ANTIFA lehnt die freiheitliche
demokratische Grundordnung ab und fordert in-
direkt deren Bekämpfung „mit allen Mitteln“
74
.
Gewalt ist für die Gruppe taktisches Mittel zur
Durchsetzung ihrer Ziele. In diesem Sinne äu-
ßerte sie sich zur geplanten Verhinderung eines
Aufzuges von Rechtsextremisten am 13. Februar
2010 in Dresden: „Ein Protest, der sich allein auf
militante Aktionsformen reduziert, verkennt den
Umstand, dass dem Großaufgebot an Polizei und
der hohen Anzahl an Neonazis mit rein takti-
schen Mitteln nicht beizukommen ist.“
75
Als Dresdner vor-Ort-Gruppe eines Bündnisses
„no pasarán!“ hatte der AK A
NTIFA eine Schlüssel-
rolle bei der Mobilisierung A
UTONOMER zur Verhin-
derung des Aufzugs.
Neben dem AK ANTIFA gehörten zum Bündnis „no
pasarán!“ auch die bereits 2009 anlässlich des
13. Februar in Dresden aktiv gewordene I
NTERVEN-
TIONISTISCHE LINKE (IL)
76
und die ihr angeschlosse-
nen mobilisierungsstarken linksextremistischen
Gruppierungen A
NTIFASCHISTISCHE LINKE BERLIN (ALB),
F
ÜR EINE LINKE STRÖMUNG (F.e.l.S. Berlin) und AVANTI
– P
ROJEKT UNDOGMATISCHE LINKE
77
. Dieses Bündnis
konnte nahtlos an seine im Jahr 2009 durchge-
führten Aktionen anknüpfen. Ein Ziel war es,
über die bloße Verhinderung des „Naziaufmar-
sches“ hinaus, „gesellschaftliche Relevanz, Inter-
ventionsfähigkeit und politische Erfolge zu
erlangen, um ihrem „Anspruch auf radikale Ver-
änderungen“ Nachdruck zu verleihen.
Als Konsequenz aus den erfolglosen Blockade-
versuchen am 14. Februar 2009 legte das Bünd-
nis für 2010 bereits frühzeitig strategische
Richtlinien fest. Diese sahen u. a. die Etablierung
eines belastbaren Bündnisses mit der „Zivilge-
sellschaft“ vor. Den organisatorischen Rahmen
hierfür lieferte ein Bündnis „Dresden nazifrei!“
78
,
dessen Gründung im Herbst 2009 von A
UTONOMEN
geplant und organisiert worden war. Diesem Ak-
tionsbündnis lag folgende, als „Aktionskonsens“
bezeichnete Absichtserklärung zu Grunde, die
allen Beteiligten gleichermaßen gerecht wurde:
„Wir leisten zivilen Ungehorsam gegen den Na-
ziaufmarsch. Von uns geht dabei keine Eskalation
aus. Unsere Massenblockaden sind Menschen-
blockaden. Wir sind solidarisch mit allen, die mit
uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu ver-
hindern.“ Aus der Sicht gewaltbereiter A
UTONOMER
bedeutete dies, dass alles, was nicht den Charak-
ter einer Menschenblockade hatte – also auch
Straf- und Gewalttaten – nicht im direkten Zu-
sammenhang mit den gemeinsamen Blockaden,
sondern außerhalb derselben stattfinden sollte,
und dass derartige Aktivitäten bündniskonform
seien. Auch dürfe es bei den Aktionen keine Tren-
nung „in politischer Hinsicht“ geben. So konnten
A
UTONOME den „Aktionskonsens“ als Solidaritäts-
erklärung an potenzielle Straf- und Gewalttäter
interpretieren. Sie schlossen daher auch Gewalt
von vornherein nicht aus: „Wenn sich einige Tau-
send Faschisten in der Stadt tummeln, kann die
Notwendigkeit individueller und massenhafter
Selbstverteidigung nicht realistisch ausgeschlos-
sen werden.“
79
Der AK ANTIFA erklärte hierzu, die
74
Internetseite INDYMEDIA, Beitrag „DD Antifaktion gegen Islamrassismus“ des AK ANTIFA DD: „Dieser Staat und sein System fördern und
schüt-
zen Rassist_innen. Diesem werden wir uns entgegenstellen. Mit allen Mitteln! Kampf dem Rassismus!“. Abgerufen am 26. Juli 2010.
75
Internetseite des AK ANTIFA, Beitrag „Es geht weiter (…) Dresden 2010“ des Bündnisses „no pasarán!“. Abgerufen am 8. September 2009.
76
Die IL ist ein Zusammenschluss von Gruppierungen des militanten autonomen/antiimperialistischen Spektrums, revolutionär-marxistischer
Organisationen sowie zum Teil langjährig aktiver, nicht ausschließlich linksextremistischer Einzelpersonen.
77
AVANTI entstand 1989 als Zusammenschluss zweier autonomer Gruppierungen aus Schleswig-Holstein. Ziel der Gruppe ist die revolutionäre
Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Vgl. Verfassungsschutzberichte des LfV Hamburg.
78
Der offizielle Name lautet „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“.
79
Internetseite des AK ANTIFA, Beitrag „Taktik-Kassiber: In Dresden siegen“. Abgerufen am 25. Januar 2010.

image
48 | Extremistische Bestrebungen
„Antifa“ habe für den 13. Februar eine „direkte
Verteidigung gegen anreisende Nazis“ propa-
giert, und führte dazu beispielhaft das „Bepöbeln
und Bewerfen“ von „Nazis“ an.
80
Aufbauend auf ihrem Bündniskonzept setzte die
Szene nun nicht mehr auf eine zentrale Demons-
tration als Ausgangspunkt für Blockadeversuche,
sondern auf dezentrale Massenblockaden. „Wir
spielen Defensive. Die Faschisten wollen sich be-
wegen (…). Unsere Aufgabe besteht darin, Stra-
ßen und Plätze zu halten, die Feindbewegung zu
verlangsamen, zu chaotisieren, zu stoppen und
zurückzuwerfen.“
81
Dabei spielten auch Überle-
gungen eine Rolle, dass es politisch schwer ver-
mittelbar sei, Blockaden mit Tausenden
Teilnehmern zu räumen, zu denen zahlreiche
nicht extremistische Gegner der Rechtsextremis-
ten gehören.
Am 13. Februar 2010 besetzten in der Dresdner
Neustadt tausende Menschen, darunter zahlrei-
che Linksextremisten, an mehreren Stellen die
vermutliche Demonstrationsstrecke der Rechts-
extremisten. Gleichzeitig trug das „massenhaft
militante Agieren von autonomen Antifaschis-
tInnen“ – wie es später im ANTIFASCHISTISCHEN
INFOBLATT hieß
82
– im Umfeld der Menschenblo-
ckaden zu einer Verschärfung der Lage bei. Es
kam zu Angriffen auf anreisende Rechtsextre-
misten und deren Busse sowie zu Auseinander-
setzungen zwischen Anhängern beider Lager.
Etwa 300 Personen griffen zudem die Polizei mit
Holzlatten und Steinen an.
An anderer Stelle überrannten mehrere hundert
A
UTONOME eine Polizeikette und verletzten drei
Beamte. Außerdem wurden die Scheiben einer
Bankfiliale und eines Autohauses zerstört.
Mehrfach war der Bahnverkehr durch Gleisbe-
setzungen behindert worden. Bereits am Morgen
des 13. Februars hatten Unbekannte kurzzeitig
den Zugverkehr im Stadtgebiet unterbrochen,
indem sie am Rande der Bahnstrecke den Dach-
stuhl eines leer stehenden Hauses in Brand ge-
setzt hatten.
Nach Einschätzung der Polizei beteiligten sich
am 13. Februar insgesamt etwa 3.000 gewaltbe-
reite Linksextremisten an den Aktionen, darunter
ca. 1.000 unmittelbar gewalttätige Personen.
Im Vergleich zu den Protesten im Jahr 2009 be-
gingen Linksextremisten deutlich mehr Gewalt-
taten, die sich eher gegen politische Gegner als
gegen die Polizei richteten. Bei den Tätern dürfte
es sich mehrheitlich um sächsische Szeneanhän-
ger gehandelt haben. Zumindest haben etwa
60% der ermittelten Tatverdächtigen ihren
Wohnsitz in Sachsen, davon knapp die Hälfte in
Dresden und Umgebung.
80
Interview der Zeitschrift „TERZ autonome Stattzeitung für Politik und Kultur in Düsseldorf und Umgebung“, Ausgabe 04/10. Veröffentlicht
auf der Internetseite der Zeitschrift am 8. April 2010.
81
Internetseite des AK ANTIFA, Beitrag „Taktik-Kassiber: In Dresden siegen“. Abgerufen am 25. Januar 2010.
82
ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT, Ausgabe 1/2010, S. 27, Beitrag „Dresden stellt sich quer“ des ANTIFA RECHERCHETEAM DRESDEN.
Sitzblockade am 13. Februar 2010 in Dresden
Foto: action press

Extremistische Bestrebungen | 49
Linksextremismus
Nach Einschätzung der AUTONOMEN hat das Kon-
zept der „Massenblockaden“ maßgeblich zur Ver-
hinderung des rechtsextremistischen Aufzuges
beigetragen. „Der hier vereinbarte Aktionskonsens
und die gleichzeitige Solidaritätserklärung an die-
jenigen, welche außerhalb von Massenblockaden
agieren“ sei „für alle Seiten die Basis einer spek-
trenübergreifenden Zusammenarbeit auf gleicher
Augenhöhe“ gewesen.
83
Durch „direkte Aktionen“
gegen Nazis hätten andernorts die Blockaden erst
erfolgreich durchgeführt werden können. Das A
N-
TIFARECHERCHETEAM DRESDEN (ART DRESDEN)
84
hob her-
vor, dass „viele, die in der umliegenden Gegend
auf unterschiedlichste Art und Weise aktiv
waren“, zur Verhinderung des Aufzugs der rechts-
extremistischen Szene beigetragen hätten.
85
Unter dem Dach des Aktionsbündnisses „Dresden
nazifrei!“, begann auch „no pasarán!“ im Herbst
2010 mit seinen Vorbereitungen für den 13. Fe-
bruar 2011. Die hierzu auf einer „Aktionskonfe-
renz“ in Dresden vereinbarte Absichtserklärung
entspricht weitgehend der als „Aktionskonsens“
bezeichneten Erklärung zum 13. Februar 2010.
Während sich der AK A
NTIFA seit seiner Gründung
im Jahr 2008 zur derzeit aktivsten autonomen
Gruppierung in Dresden entwickelte, spielt die frü-
her dominante A
NTIFA DRESDEN, deren Anhänger re-
gelmäßig „antideutschen“ Mobilisierungsansätzen
folgen, nun nur noch eine untergeordnete Rolle.
Am 13. Februar mobilisierten ihre Anhänger erst-
mals nicht mehr zu eigenen Aktivitäten, sondern
verwiesen lediglich auf die von „no pasarán!“. Al-
lerdings beteiligten sich am Vortag noch etwa 900
Personen an einem Aufzug dieses Spektrums unter
dem Motto „Keine Versöhnung mit Deutschland“.
Darunter befanden sich auch zahlreiche A
UTONOME.
Im Veranstaltungsaufruf „Keine Versöhnung mit
Deutschland! Deutsche Täterinnen sind keine
Opfer! Gegen jeden Geschichtsrevisionismus!“ hieß
es, dass sich das „bürgerliche Gedenken“ in seiner
Grundaussage nicht von dem der Nazis unter-
scheide und sich der „Fokus linksradikaler Aktivi-
täten“ auch dagegen richten müsse.
Nach eigener Darstellung übernahm der AK A
N-
TIFA in Dresden „immer mehr auch die kontinu-
ierliche Antifaarbeit“. Bestätigt wird das durch
seine Aktivitäten:
Am 17. Juni 2010 versuchten Linksextremis-
ten erfolglos, einen rechtsextremistischen
Aufzug zu verhindern. Die Polizei musste
dabei Auseinandersetzungen zwischen An-
hängern beider Lager unterbinden. Zuvor
hatte der AK A
NTIFA zu „entschlossenem Han-
deln“ aufgefordert.
Am 17. August 2010 griff eine Gruppe ver-
mummter Personen mehrere vermeintliche
Rechtsextremisten mit Holzknüppeln an und
verletzte sie. An der Kleidung der Angreifer
sollen sich Abzeichen mit der Aufschrift „An-
tifa“ befunden haben.
Als Reaktion auf die Brandanschläge auf
zwei alternative Wohnprojekte im August
2010 mobilisierte der AK A
NTIFA zu einer De-
monstration am 18. September 2010. Im An-
schluss an diese Veranstaltung verhinderte
die Polizei das gewalttätige Vorgehen einer
Personengruppe gegen einen Laden, in dem
Kleidung einer bei Rechtsextremisten belieb-
ten Marke angeboten wird. Das Geschehen
stand im Zusammenhang mit der zeitweili-
gen Zunahme von Auseinandersetzungen
zwischen Rechts- und Linksextremisten in
Dresden.
83
Internetseite der ALB, Beitrag „Auswertung vom AK ANTIFA zu Dresden 2010“.
84
Hintergründe zum ART DRESDEN: siehe u. a. Broschüre des LfV Sachsen „Autonome Szene im Freistaat Sachsen“, Oktober 2004, Seite 20.
85
GAMMA, Ausgabe 186, S. 4, Beitrag „Sie standen! Dresdner JLO-Großaufmarsch erfolgreich blockiert“.

image
image
50 | Extremistische Bestrebungen
Daneben setzten A
UTONOME in Dresden ihre Aktivi-
täten zur Schaffung „selbstbestimmter Freiräume“
fort. Ein herausragendes Ereignis in diesem Zu-
sammenhang waren die so genannten „Libertären
Tage“ vom 1. bis 9. Mai 2010. In diesem Rahmen
war auch eine Vortragsveranstaltung zum Thema
„Hausbesetzung – wie geht das?“ angekündigt, in
der praktische Aspekte des „Freiraumkampfes“ er-
läutert werden sollten. Am 7. Mai 2010 kam es zu
einer Hausbesetzung, die von der Polizei beendet
wurde. Dabei wurden sechs Beamte verletzt. Eine
weitere Hausbesetzung fand am 8. Mai statt.
Autonome Bestrebungen in Leipzig
Die autonome Szene Leipzig entfaltete im Be-
richtsjahr deutlich weniger öffentlichkeitswirk-
same Aktivitäten als im Vorjahr.Ursachen dafür
waren sowohl das Fehlen eigener Aktionsthemen
als auch geringere öffentlichkeitswirksame Ak-
tivitäten des politischen Gegners. Die einzige
größere rechtsextremistische Kundgebung am
16. Oktober 2010 war daher für sie das wich-
tigste Ereignis. Eigene Akzente, etwa in Form des
Aufgreifens anderer Themenfelder, vermochten
die Leipziger A
UTONOMEN nicht zu setzen.
Für die Aktionen gegen die Kundgebung der
rechtsextremistischen Szene am 16. Oktober 2010
hatte die Szene deutlich intensiver mobilisiert als
zu einer ähnlichen Veranstaltung von Rechtsex-
tremisten im Vorjahr.
86
In zahlreichen Bundeslän-
dern fanden Vorbereitungsveranstaltungen statt.
Mobilisierungsvideos und Äußerungen im Inter-
net ließen bereits im Vorfeld eine deutliche Ge-
waltbereitschaft erkennen. Öffentlich wurde
aufgefordert, den Aufzug der Rechtsextremisten
mit „allen Mitteln“ zu verhindern.
Trotz der Erfahrungen aus Dresden strebte die Leip-
ziger autonome Szene erneut kein Zusammenwir-
ken mit den nicht extremistischen Gegnern der
rechtsextremistischen Veranstaltung an. A
UTONOME
beteiligten sich lediglich punktuell an deren Blocka-
deaktionen. Im Vergleich mit der Demonstration von
Rechtsextremisten im Oktober 2009 kam es zu
deutlich weniger gewalttätigen Auseinandersetzun-
gen mit der Polizei und dem politischen Gegner.
Ihre „antideutsche“ Ausrichtung untermauerte
die Leipziger autonome Szene im Berichtsjahr mit
vereinzelten Aktivitäten. Diese stießen allerdings
auf wenig Resonanz. So wurden beispielsweise
am 9. Januar 2010 Besucher einer Veranstaltung
86
An den Protesten gegen die Demonstration der JUNGEN NATIONALDEMOKRATEN beteiligten sich am 17. Oktober 2009 Polizeiangaben zufolge 2.500-
3.000 Personen. Dabei reichte das politische Spektrum der Protestierenden wie bei den Protesten im Februar in Dresden von demokratischen Parteien
über Bündnisse bis hin zu A
UTONOMEN. Die AUTONOMEN nutzten die friedlichen Gegenveranstaltungen, um sich zusammenzuschließen und in Klein-
gruppen zu agieren. Es wurden Verkehrseinrichtungen beschädigt, Müllcontainer in Brand gesetzt und Polizeibeamte mit Steinen beworfen.
Demonstration am 18. September 2010 in Dresden
Foto: Internetseite Left Press
Aufruf zum 16. Oktober in Leipzig

image
Extremistische Bestrebungen | 51
Linksextremismus
zu militärischen Aktivitäten Israels gegen den
Iran am Besuch der Veranstaltung gehindert. Da-
rüber hinaus mobilisierte die L
EIPZIGER ANTIFA
(LEA)
87
mit einer Veranstaltung am 25. August
2010 zum Thema „Solidarität mit Israel – Gegen
Islamismus und Antisemitismus“ zur Teilnahme
an einer bundesweiten Demonstration. Die unter
dem gleichen Motto am 4. September 2010 in
Berlin durchgeführte Veranstaltung richtete sich
gegen die jährliche „al-Quds“-Demonstration
88
in
Berlin. Neben LeA war auch von Gruppierungen
der autonomen Szene Berlins für diese Demons-
tration geworben worden.
Autonome Bestrebungen außerhalb von
Dresden und Leipzig
Die Aktivitäten der autonomen Szene in anderen
Regionen des Freistaates Sachsen sind unter-
schiedlich ausgeprägt und deutlich geringer als in
den autonomen Zentren Dresden und Leipzig. Be-
dingt durch das autonome Hauptaktionsfeld „An-
tifaschismus“ liegen die regionalen Schwerpunkte
vor allem in Gegenden mit einer ausgeprägten
rechtsextremistischen Szene. Die regionale auto-
nome Szene versucht in der Regel, mit eigenen
Aktivitäten auf Veranstaltungen von Rechtsextre-
misten zu reagieren. Auf Grund des geringen ört-
lichen Personenpotenzials ist sie allerdings auf die
Unterstützung von A
UTONOMEN aus Dresden und
Leipzig angewiesen. Fehlt diese, beteiligt man sich
im Einzelfall lediglich an den Gegenaktivitäten
nicht extremistischer Initiativen vor Ort.
Im Berichtsjahr waren u. a. folgende Veranstal-
tungen der rechtsextremistischen Szene Anlass
für Gegenaktionen der autonomen Szene:
Am 24. April 2010 führten Rechtsextremisten
in Torgau (Landkreis Nordsachsen) eine De-
monstration durch. Im Verlauf der Veranstal-
tung kam es zu tätlichen Angriffen auf die
Demonstrationsteilnehmer und die Polizei.
Die Gewalttäter kamen zum größten Teil aus
dem Landkreis Nordsachsen, insbesondere
aus Torgau. Einige wenige der Gewalttäter
waren aus Leipzig angereist. Das Beispiel
zeigt, dass sich trotz einer fehlenden aktiven
und strukturierten autonome Szene vor Ort
Einzelpersonen aus der Region durchaus an
gewalttätigen Gegenaktionen beteiligen.
Am 1. Mai 2010 fand in Hoyerswerda (Landkreis
Bautzen) eine Versammlung der rechtsextre-
mistischen F
REIEN KRÄFTE statt. Die autonome
Szene ging bereits im Vorfeld selbst davon aus,
die rechtsextremistische Demonstration nicht
verhindern zu können. Deshalb war auf einer
der Dresdner autonomen Szene zuzurechnen-
den Internetseite zu Aktionen im Vorfeld, wäh-
rend und nach dem rechtsextremistischen Auf-
marsch aufgerufen worden. Diesem Aufruf fol-
gend errichteten unbekannte Täter zwischen
Hosena (Brandenburg) und Lauta (Sachsen)
eine Barrikade auf dem Gleiskörper und verzö-
gerten damit die Anreise der Rechtsextremisten.
87
Die LeA gehört dem „antideutschen“ Meinungsspektrum innerhalb der autonomen Szene an. Sie beteiligte sich 2008 als einzige sächsische Gruppierung
an der in der bundesweiten autonomen Szene geführten Debatte „Antifa heißt (…)“. Dabei vertrat sie den Standpunkt, dass „Anti-Nazi-Aktionen“
allein noch keine radikale Gesellschaftskritik ist. Diese sei aber die Grundbedingung „linksradikaler Politik“. Es gelte vor allem, auch den bürgerlichen
Staat und die „kapitalistische Gesellschaft“ zu bekämpfen, die von LeA als Verursacher der von ihr kritisierten politischen und gesellschaftlichen Ent-
wicklungen verantwortlich gemacht werden. Als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung befürwortet LeA auch den Einsatz von Gewalt.
88
Der iranische „Revolutionsführer“ Ayatollah Khomeini hatte 1979 den „al-Quds“-Tag initiiert, um die „Befreiung“ der auch für Muslime hei-
ligen Stadt al-Quds (arabische Bezeichnung für Jerusalem) zu propagieren.

image
52 | Extremistische Bestrebungen
Auch in Döbeln (Landkreis Mittelsachsen) kam es
im Berichtszeitraum zu einer Vielzahl von Gewalt-
taten mit linksextremistischem Hintergrund gegen
den politischen Gegner. Bisher unbekannte Täter
besprühten beispielsweise am 2. Juli 2010 einen
Kleinwagen mit der Aufschrift „Wer Rechts ist
kriegt Probleme – schöne Grüße Antifa“. Ein dane-
ben geparktes Fahrzeug wurde in Brand gesetzt.
Das Feuer griff auf diesen Kleinwagen über. An bei-
den Pkw entstand wirtschaftlicher Totalschaden.
Die Halter der Fahrzeuge gehören zum Umfeld
eines bekannten Rechtsextremisten aus der Region.
Zu Aktivitäten gegen eine rechtsextremistische
Demonstration am 6. November 2010 ebenfalls
in Döbeln hieß es zudem auf einer nur für dieses
Ereignis eingerichteten Internetseite
89
unter der
Überschrift „ES GIBT KEIN RECHT FÜR NAZIS –
AUCH NICHT IM HINTERLAND“: „Den Nazis ent-
gegenzutreten – MIT ALLEN MITTELN“.
90
2.5
Sonstige linksextremistische
Gruppierungen
2.5.1
ROTE HILFE e. V. (RH)
Charakterisierung und Bedeutung
Die RH ist ein von Linksextremisten getragener
Verein, der sich als eine „parteiunabhängige,
strömungsübergreifende linke Schutz- und So-
lidaritätsorganisation“
91
versteht. Sie ist bundes-
weit tätig.
92
Die RH gewährt u. a. Linksextre-
misten Rechtshilfe, vermittelt Anwälte und leis-
tet finanzielle Unterstützung bei Anwalts- und
Prozesskosten. Die dadurch entstehenden Auf-
wendungen werden durch Einnahmen gedeckt,
die überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und
Spendengeldern erzielt werden.
Ideologie
Die RH wird von Linksextremisten unterschied-
licher ideologisch-politischer Ausrichtung getra-
gen. Sie unterstützt Angehörige des gesamten
linksextremistischen Spektrums politisch und fi-
nanziell, wenn sie im Zusammenhang mit ihren
politischen Aktivitäten mit dem Gesetz in Kon-
flikt geraten sind. Die RH versteht ihr Engage-
ment als „Kampf gegen die staatliche Repres-
sion“ und „politische Justiz“. Darüber hinaus be-
treut der Verein die so genannten „politischen
Gefangenen“ im Falle einer Haftstrafe, um so
den Zusammenhalt der Häftlinge mit der links-
extremistischen Szene zu bewahren. Die Schaf-
fung von Öffentlichkeit für den individuellen Fall
und die moralische Unterstützung im Kreis
Gleichgesinnter vermag Inhaftierte in ihrer Auf-
fassung zu bestärken, dass sie Opfer einer „poli-
tischen“ Justiz geworden sind.
89
Abgerufen am 5. November 2010.
90
Weitere Bespiele für Gewalttaten: vgl. Abschnitt „III. Politisch motivierte Kriminalität, darunter Straftaten mit extremistischem Hintergrund“,
Beitrag „Politisch motivierte Kriminalität links “, S. 70 ff.
91
Vgl. § 2 der Satzung des RH e. V.
92
Zur Geschichte der RH siehe auch Broschüre des LfV Sachsen „Sächsisches Handbuch zum Extremismus und zu sicherheitsgefährdenden Be-
strebungen“, S. 71 f.
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 140
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 140
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 5.300
Kennzeichen
Publikation
DIE ROTE HILFE
(vierteljährlich)

image
Extremistische Bestrebungen | 53
Linksextremismus
Strukturen
Das höchste Gremium der RH ist die Bundesde-
legiertenversammlung. Gegliedert ist die RH in
einen Bundesvorstand, in selbstständige Orts-
gruppen sowie Kontaktstellen.
Im Freistaat Sachsen gehört die RH zu den mit-
gliederstärksten linksextremistischen Gruppierun-
gen. Die Anzahl ihrer Mitglieder stieg hier seit
dem Jahr 2004 von etwa 50 auf ca. 140 Mitglieder
im Berichtsjahr an. Diese Zunahme ist auf den
kontinuierlichen Ausbau der Strukturen zurück-
zuführen. Anlaufstellen der RH gibt es zwischen-
zeitlich in Chemnitz, Dresden und Leipzig. Die
RH-Ortsgruppen unterhalten gute Kontakte in die
gesamte sächsische linksextremistische Szene.
Aktivitäten
Das Aktionsniveau der RH wird stark von den Ak-
tivitäten des autonomen Spektrums bestimmt.
Im Vordergrund der Tätigkeit der RH steht nach
wie vor die „Antirepressionsarbeit“.
Wie schon in den Vorjahren engagierte sich die
RH in Sachsen auch im Berichtsjahr im Vorfeld
größerer Protestveranstaltungen, an denen sich
Linksextremisten beteiligen, so z. B. anlässlich des
13. Februar in Dresden bzw. des 16. Oktober in
Leipzig. Sie war an der Vorbereitung und Durch-
führung aktiv, indem u. a. „Rechtshilfe“-Veran-
staltungen zum Verhalten bei Festnahmen im
Verlauf von Demonstrationen angeboten wurden.
Ferner stellt die RH für Veranstaltungen, bei denen
Konflikte mit der Polizei zu erwarten sind, so ge-
nannte Ermittlungsausschüsse als zentrale Sam-
mel- und Koordinationsstellen für Informationen
über „repressive“ Maßnahmen zur Verfügung.
Zudem führte die RH Veranstaltungen durch, um
ihrer Forderung nach Freilassung aller „politischen
Gefangenen“ mehr Bedeutung beizumessen. So
fanden im März in Dresden und Leipzig anlässlich
des alljährlich in der linksextremistischen Szene
begangenen „Kampftages für die Freilassung aller
politischen Gefangenen“ Veranstaltungen zum
Thema „drinnen und draußen ein kampf? – zur
kommunikation mit gefangenen“ statt.
2.5.2
Trotzkismus/S
OZIALISTISCHE
ALTERNATIVE e. V. (SAV)
93
Charakterisierung und Bedeutung
Die trotzkistische SAV bezeichnet sich selbst als
„revolutionäre, sozialistische Organisation“
94
. Die
linksextremistische Gruppierung verfügt im Frei-
staat Sachsen nach wie vor über nur wenige
Mitglieder. Im Berichtsjahr trat sie nur vereinzelt
mit Aktionen in Erscheinung.
93
Die ehem. Bezeichnung lautete SOZIALISTISCHE ALTERNATIVE VORAN (SAV). Obwohl der Zusatz VORAN mittlerweile nicht mehr verwendet wird, lautet
die Abkürzung nach wie vor SAV. Der eingetragene Verein hat seinen Sitz in Berlin.
94
Statut der SAV in der Beschlussfassung der 12. Bundeskonferenz im Januar 2010, III. Ziele. Internetseite der SAV.
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 20
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 20
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 400
Kennzeichen
Publikation
SOLIDARITÄT-SOZIA-
LISTISCHE ZEITUNG
(monatlich)

54 | Extremistische Bestrebungen
Ideologie
Die SAV beruft sich auf die Lehren Leo Trotzkis.
Wesentliche Elemente des Trotzkismus sind die
Theorie der „permanenten Revolution“ und das
Festhalten am „proletarischen Internationalis-
mus“. Die SAV „will eine revolutionär-sozialisti-
sche Massenorganisation aufbauen. Sie strebt die
Einheit aller revolutionär-marxistischen Kräfte in
einer Internationale an.“
95
Trotzkisten verfolgen
zudem die Strategie, andere Parteien und Grup-
pierungen zu unterwandern, um diese für ihre
Zwecke zu instrumentalisieren (Entrismus).
Strukturen
Im Freistaat Sachsen ist die SAV mit Ortsgruppen
in Dresden und Leipzig vertreten.
Aktivitäten
In einem Beitrag in der Zeitschrift SOLIDARITÄT wur-
de unter dem Titel „Dresden: Nazis gestoppt! SAV
bei Blockaden aktiv dabei“
96
über die Teilnahme von
Mitgliedern der SAV an den gegen einen rechtsex-
tremistischen Aufmarsch gerichteten Blockadeak-
tionen am 13. Februar in Dresden berichtet.
2.5.3
G
EGENSTANDPUNKT (GSp)
Charakterisierung und Bedeutung
Die linksextremistische Gruppe G
EGENSTANDPUNKT
trat bis zum Jahr 1991 als MARXISTISCHE GRUPPE
(MG) öffentlich in Erscheinung. Im Mai 1991
teilte die MG ihren Angehörigen die bundesweite
Auflösung mit. Personell existiert die Gruppie-
rung jedoch bundesweit unter verschiedenen
Namen weiter.
Ideologie
Die Gruppierung vertritt einen modifizierten und
elitären Marxismus. Ihr politisches Ziel ist die Be-
seitigung der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung auf revolutionärem Weg. Durch
eine radikal destruktive Kritik an den gegenwär-
tigen gesellschaftlichen Verhältnissen versucht
sie, einer Revolution den Boden zu bereiten.
Grundlage ihrer Ideologie sind die Erkenntnisse
von Marx zu der „Kritik der politischen Ökonomie“.
Aktivitäten
Unter der Bezeichnung G
EGENSTANDPUNKT, die auf
die seit 1992 von führenden MG-Funktionären
herausgegebene gleichnamige Zeitschrift zu-
rückgeht, finden regelmäßig öffentliche Diskus-
sionsveranstaltungen statt. Laut der Internetprä-
senz der Zeitschrift tritt in Leipzig eine „AG Po-
litische Diskussion“ als Veranstalter von
politischen Vorträgen der GEGENSTANDPUNKT-
Redaktion auf. Sie entfaltet damit jedoch in
Sachsen nur geringe Außenwirkung.
95
Ebenda.
96
SOLIDARITÄT, Nummer 88, Ausgabe März 2010, Seite 10.
Publikation
GEGENSTANDPUNKT (vierteljährlich)

Extremistische Bestrebungen | 55
Ausländerextremismus
3.
Islamismus bzw. isla-
mistischer Terrorismus
und sonstiger
Ausländerextremismus
3.1
Überblick in Zahlen
97
Ausländerextremisten im Freistaat Sachsen
Anzahl der Ausländerextremisten im
Freistaat Sachsen
(insgesamt: ca. 380 [2009: ca. 360 / bundesweit
2009: ca. 60.980])
Im Freistaat Sachsen gehörten 2010 ca. 380 Per-
sonen ausländerextremistischen Organisationen
an. Ihre Zahl ist gegenüber dem Vorjahr (2009: ca.
360) leicht angestiegen. Damit sind insgesamt
weniger als 1% der in Sachsen lebenden Migran-
ten bzw. Deutschen mit Migrationshintergrund in
ausländerextremistischen Gruppierungen aktiv.
Die Zahl der bekannten Personen, die islamisti-
schen Bestrebungen zuzurechnen sind, stieg auf
ca. 170 (2009: 120) an. Damit setzt sich der auch
bundesweit seit Jahren zu beobachtende Trend
eines stetigen Anstiegs dieses Personenpotenzials
auch in Sachsen fort. Mittlerweile sind hier ca.
45% aller Ausländerextremisten Anhänger isla-
mistischer Strömungen und Gruppierungen.
Mit ca. 200 Personen (2009: 230) gehörten die meis-
ten Ausländerextremisten im Freistaat Sachsen nach
wie vor dem linksextremistischen Spektrum an.
Dazu gehören die Nachfolge- und Nebenorganisa-
tionen der A
RBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) sowie ira-
nische Organisationen. Ihr Anteil sank allerdings auf
rund 53% gegenüber 64% im Jahr 2009. Das ist ins-
besondere auf einen zunehmenden Mitglieder-
schwund bei der PKK zurückzuführen.
Einzelne Personen in Sachsen, rund 2% der Per-
sonen in ausländerextremisti-
schen Organisationen, werden
zudem nationalextremisti-
schen Organisationen zuge-
rechnet. Das Mobilisierungs-
potenzial einiger ausländerex-
tremistischer Organisationen
wie z. B. der PKK kann das
ihrer Mitglieder teilweise um
ein Vielfaches überschreiten.
Hier sind auch Anhänger und
Sympathisanten aus angren-
zenden Bundesländern einzu-
beziehen.
97
Die Zahlenangaben sind z. T. geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in den Zahlenangaben erfassten
Personen Einzelerkenntnisse vor. Grund hierfür ist der Auftrag der Strukturbeobachtung; umfassende personenbezogene Erkenntnisse zur
gesamten Mitgliedschaft der beobachteten Organisationen sind dafür nicht immer zwingend erforderlich.
600
400
200
0
2006
2007
2008
2009
2010
430
410
360
360
380
Linksextremistische
bzw. linksextremistisch
geprägte
Bestrebungen
2010: ca. 200
2009: ca. 230
davon u. a.:
ARBEITERPARTEI KURDISTANS
(Pkk) bzw. Nachfolge-
organisationen
2010: ca. 150
2009: ca. 170
Sonstige Gruppen
2010: ca. 50
2009: ca. 60
Nationalistische bzw.
nationalistisch ge-
prägte Bestrebungen
2010: ca. 10
2009: ca. 10
Islamistische
Bestrebungen
2010: ca. 170
2009: ca. 120

56 | Extremistische Bestrebungen
3.2
Internationaler islamistischer
Terrorismus
3.2.1
Zur allgemeinen Lage in der
Bundesrepublik Deutschland
Der internationale islamistische Terrorismus ist
seit mehreren Jahren die größte Bedrohung für
die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
und darüber hinaus der gesamten internationa-
len Staatengemeinschaft. Davon zeugen zahlrei-
che Ermittlungsverfahren und Exekutivmaßnah-
men der Sicherheitsbehörden, gewonnene Er-
kenntnisse über Anschlagsplanungen und die re-
gelmäßig über verschiedene Medien verbreiteten
Veröffentlichungen aus dem islamistisch-terro-
ristischen Spektrum. Angehörige dieses Perso-
nenkreises in Deutschland reisten auch 2010 in
das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, um
sich einer terroristischen Ausbildung zu unter-
ziehen oder an Kampfhandlungen in diesem Ge-
biet teilzunehmen. Auf Grund ihrer Radikalisie-
rung bilden diese Personen ein hohes Sicher-
heitsrisiko für Deutschland und seine Interessen
im Ausland.
In der zweiten Jahreshälfte 2010 verschärfte sich
die Bedrohungslage auf Grund einiger den Si-
cherheitsbehörden bekanntgewordener Hinweise
auf Anschlagsplanungen von A
L-QAIDA. Im Ziel-
spektrum standen dabei insbesondere Orte mit
hoher Symbolkraft und Infrastrukturbereiche.
Ende Oktober wurden in Großbritannien und
Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) in Fracht-
flugzeugen vom Jemen aus versandte Pakete mit
Sprengsätzen aufgefunden, die an Ziele in den
USA adressiert waren. Einer der Sprengsätze war
zuvor auf dem Flughafen Köln-Bonn umgeladen
worden. Zu den Anschlagsversuchen bekannte
sich im Internet die Gruppe A
L-QAIDA AUF DER
ARABISCHEN HALBINSEL (AQAH), die eigenen Verlaut-
barungen zufolge dem Westen damit symbolhaft
größtmöglichen wirtschaftlichen Schaden zufü-
gen wollte. Die Vorfälle sind ein deutlicher Beleg
für die gestiegene Anschlagsgefahr, selbst wenn
Deutschland nicht das Zielland für die Sendun-
gen war.
3.2.2
Bedeutung des Internets
Sowohl für Islamisten als auch für islamistische
Terroristen ist das Internet nach wie vor das
wichtigste Kommunikations- und Propaganda-
medium. Nicht gewaltbereiten Islamisten dient
es zur Verbreitung ihrer Ideologien, gewaltberei-
ten Islamisten auch zum Aufruf zum Jihad. On-
line-Magazine, Gewalt verherrlichende Audios
und Videos sowie Texte in jihadistischen Inter-
netportalen haben entscheidenden Einfluss auf
individuelle (Selbst-) Radikalisierungsprozesse.
Hierdurch wurde die globale Entfaltung des in-
ternationalen islamistischen Terrorismus in den
letzten Jahren erheblich gefördert.
Entsprechende Verlautbarungen wurden 2010
zunehmend auch in deutscher Sprache im In-
ternet veröffentlicht. So riefen beispielsweise
die I
SLAMISCHE BEWEGUNG USBEKISTANS (IBU) und die
I
SLAMISCHE JIHAD UNION (IJU) zur Teilnahme am be-
waffneten Jihad auf. Die D
EUTSCHEN TALIBAN MU-
JAHIDIN (DTM) drohten, den bewaffneten Kampf
in Afghanistan solange fortzusetzen, bis alle Be-
satzer das Land sowie alle anderen ehemals is-
lamischen Länder verlassen hätten. Solche
Veröffentlichungen zielen letztlich darauf ab,
verstärkt Deutsch sprechende Muslime, d. h.
Konvertiten und re-islamisierte Personen vor
allem der zweiten und dritten Einwandererge-
neration, zum Kampf an der Seite der Mujahidin
in Afghanistan/Pakistan zu motivieren. Neben
der weiterhin persönlichen Ansprache innerhalb
von Islamistengruppen ist das Internet zusätz-
lich eine wichtige Plattform für Radikalisie-

Extremistische Bestrebungen | 57
Ausländerextremismus
rungsprozesse und die Rekrutierung von neu-
en Kämpfern „für die Sache Allahs“ geworden.
Gängige Beispiele jihadistischer Propaganda
sind:
„Kreuzzug“ des Westens bzw. der Ungläubi-
gen gegen den Islam,
Darstellung der Muslime als Opfer,
Darstellung des gewalttätigen Jihad als reli-
giöse Pflicht,
Ankündigung von Strafen für Nichterfüllung
religiöser Pflichten,
Paradies-Versprechen für potenzielle Selbst-
mordattentäter.
Zentrale Bedeutung hat das Internet auch für die
Entwicklung der A
L-QAIDA-Bewegung von einer
Organisation zu einer weltweit agierenden Be-
wegung. Mit Hilfe des Internets kann A
L-QAIDA
ihre Funktion als geistige Inspirationsquelle für
den globalen Jihad durch ständigen Kontakt mit
ihren Anhängern aufrechterhalten. Professi-
onelle Internetseiten bieten zudem ideologische
Schulung aber auch konkrete Anleitungen zur
Vorbereitung von Anschlagsplanungen.
3.2.3
„Homegrown“-Terrorismus und
Reisebewegungen
Die Bildung eigenständiger terroristischer Grup-
pen in europäischen und anderen nicht islami-
schen Staaten durch Muslime der zweiten und
dritten Einwanderergeneration und durch Kon-
vertiten wird als „Homegrown“-Terrorismus be-
zeichnet. Die Gefahr, die von diesem hier
sozialisierten und vermeintlich in die deutsche
Gesellschaft integrierten Personenpotenzial aus-
geht, ist in den letzten Jahren gestiegen.
Den Bundessicherheitsbehörden lagen Ende
2010 Informationen zu rund 220 Personen mit
Deutschland-Bezug
98
und islamistisch-terroris-
tischem Hintergrund vor, die seit Beginn der
1990er Jahre im afghanisch-pakistanischen
Grenzgebiet eine paramilitärische Ausbildung
absolviert haben sollen bzw. eine solche beab-
sichtigten. Ca. die Hälfte davon hält sich zwi-
schenzeitlich wieder in Deutschland auf, einige
von ihnen sind inhaftiert. Etwa 40 der 220 Per-
sonen haben sich mutmaßlich seit Beginn des
Jahres 2001 an Kampfhandlungen in Krisenre-
gionen beteiligt. Auch im Verlauf des Jahres 2010
hielten sich Personen mit Deutschland-Bezug in
Regionen wie z. B. dem afghanisch-pakistani-
schen Grenzgebiet auf, in denen sich Ausbil-
dungslager islamistisch-terroristischer Organisa-
tionen befinden.
Einige Personen, die Deutschland in Richtung
Afghanistan und Pakistan verlassen hatten, star-
ben 2010 bei Auseinandersetzungen mit Sicher-
heitskräften. Unter ihnen war auch der deutsche
Staatsbürger und Konvertit Eric BREININGER, der
sich über Jahre hinweg in verschiedenen jihadis-
tisch-propagandistischen Verlautbarungen im
Internet sowohl mit Bezügen zur IJU als auch zur
DTM zu Wort gemeldet hatte. Kurz nach seinem
Tod Ende April tauchte im Internet seine angeb-
liche Autobiographie auf. Darin wurde seine stu-
fenweise Radikalisierung zum jihadistischen
Kämpfer nachgezeichnet. BREININGERS Weg in
den Jihad begann demnach mit einer Sinn- und
Identitätskrise und beruflichen Kontakten zu
einem „praktizierenden Muslim“. Er identifizierte
sich zunehmend mit dem neuen Glauben isla-
mistisch-salafistischer Prägung und konvertierte
zum Islam. Im Rahmen seiner Integration in eine
islamistische Gruppe kam es zu einer zunehmen-
den Radikalisierung zum „Jihadisten“. Auf Initia-
tive eines Mitglieds der so genannten Sauerland-
98
Dazu zählen deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund bzw. Konvertiten sowie in Deutschland aufhältig gewesene Personen an-
derer Staatsangehörigkeit.

image
58 | Extremistische Bestrebungen
gruppe
99
beschloss BREININGER, Deutschland zu
verlassen und ein Arabisch-Sprachstudium in
Ägypten aufzunehmen. Anschließend begab er
sich in ein Trainingslager der IJU in Afghanistan.
Bei einem Gefecht mit Sicherheitskräften im af-
ghanisch-pakistanischen Grenzgebiet wurde er
schließlich Ende April 2010 getötet.
Verschiedene Studien zu Radikalisierungsprozes-
sen zeigen vergleichbare Verläufe wie bei Eric
BREININGER auf. Sie verdeutlichen, dass neben
dem jeweiligen Lebensumfeld das Internet zu-
nehmend eine entscheidende Rolle bei der Radi-
kalisierung vom Islamisten zum islamistischen
Terroristen, und auch bei der Entstehung von
„Homegrown“–Terrorismus, bildet.
Ein Zentrum der „Homegrown“–Terroristen in
Deutschland, die Hamburger T
AIBA-MOSCHEE,
wurde im August 2010 geschlossen und ihr Trä-
gerverein T
AIBA, ARABISCH-DEUTSCHER KULTURVEREIN
e. V. verboten. Durch diesen Trägerverein wurde
„salafistisch-jihadistische“ Ideologie verbreitet.
Die führenden Akteure des Vereins hatten zudem
enge Verbindungen zur globalen jihadistischen
Szene. Dessen Anhängern diente die Moschee in
den letzten zehn Jahren als zentrale Anlaufstelle.
So beispielsweise auch einigen der Todespiloten
vom 11. September 2001, die hier zu Gast waren.
3.2.4
Lage im Freistaat Sachsen
Obwohl im Freistaat Sachsen bisher keine Struk-
turen islamistischer Terrororganisationen be-
kannt sind, gilt die abstrakte Gefährdungslage
für die Bundesrepublik Deutschland auch hier.
Anschläge konspirativ agierender Terrorzellen
oder fanatisierter Einzeltäter – ob zentral ge-
steuert oder autonom agierend – können daher
nicht ausgeschlossen werden. Konkrete Hinweise
liegen trotz intensiver Aufklärungsmaßnahmen
der Sicherheitsbehörden für den Freistaat Sach-
sen nicht vor.
3.3
Islamismus
Islamismus ist ein Sammelbegriff für verschie-
dene extremistische politische Ideologien, die
auf islamisch-religiösen Überzeugungen basie-
ren. Durch seine politische Ausrichtung lässt sich
der Islamismus deutlich von der Religion des
Islam abgrenzen. Islamistische Organisationen
zielen mittels legalistischer Strategien darauf ab,
die bestehende Gesellschaftsordnung durch ein
auf islamischen Quellen basierendes Gesell-
schaftssystem zu ersetzen.
Im Freistaat Sachsen sind bislang einzelne isla-
mistische Bestrebungen bekannt geworden.
Eric BREINIGER (†)
Foto: Internet
99
Anfang März wurden gegen die Mitglieder der so genannten Sauerlandgruppe hohe Haftstrafen verhängt. Als IJU-Mitglieder hatten sie 2007
in Deutschland Sprengstoffanschläge, insbesondere gegen Amerikaner und US-amerikanische Einrichtungen, geplant. Mitte Oktober 2010
wurde eine weitere Person wegen Unterstützung und Mitgliedschaft in der IJU zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Extremistische Bestrebungen | 59
Ausländerextremismus
3.3.1
Salafismus
Der Salafismus heutiger Prägung ist eine Vari-
ante des Islamismus und die gegenwärtig ver-
mutlich am schnellsten wachsende islamistische
Strömung. Er bezeichnet eine politische Ideolo-
gie, die sich in Glaube und Lebenspraxis am
Frühislam des 7. Jahrhunderts orientiert. Dabei
gelten der Koran, das Leben des Propheten Mu-
hammad (Sunna) sowie das Vorbild der ersten
drei Generationen der Muslime, der so genann-
ten „lauteren Vorfahren“ (al-salaf al-salih), als
einzig gültiger Maßstab für eine islamisch-kor-
rekte Lebensweise. Sämtliche Abweichungen von
diesen gesetzten Normen gelten als unerlaubte
Neuerungen und Verfälschungen des Islam und
werden kategorisch abgelehnt.
In einer islamischen Herrschafts- und Gesell-
schaftsordnung salafistischer Prägung haben
von Menschen erdachte Demokratieprinzipien
keinen Platz. Die Herrschaft gebührt allein Allah.
Das salafistische Spektrum in Deutschland wird
in eine politische und eine jihadistische Strö-
mung unterteilt. Die Strömungen unterscheiden
sich weniger in ihrer Zielsetzung als in der Wahl
der Mittel. Die Übergänge sind oftmals fließend,
wie an dem oben beschriebenen Radikalisie-
rungsverlauf Eric BREININGERS deutlich wird.
Beide Strömungen speisen sich aus denselben
religiösen Glaubensfundamenten und den
Schriften ihrer Vordenker und Wegbereiter. Auch
ihre jeweiligen Ziele, insbesondere eine umfas-
sende Islamisierung der Gesellschaft, sind gleich.
Während jihadistisch-salafistische Gruppen je-
doch versuchen, dieses Ziel mit Gewalt durchzu-
setzen, setzen die dem politischen Salafismus
zuzurechnenden Bestrebungen auf Missionsar-
beit (Dawa).
3.3.1.1 Verbreitung und Aktivitäten
Die salafistische Szene in Deutschland wächst
seit Jahren beständig. Deutschlandweit gibt es
zahlreiche salafistische Einrichtungen. Träger der
Einrichtungen sind Moscheen, Vereine oder Ein-
zelpersonen. Diese sind jedoch nicht in hierar-
chisch gegliederte Organisationsstrukturen ein-
gebunden wie dies bei anderen islamistischen
Organisationen üblich ist. Formale Strukturen
sind (bisher) kein Wesensmerkmal des Salafis-
mus. Die Zugehörigkeit von Personen und Per-
sonenstrukturen zu einer salafistischen Bestre-
bung erfolgt vor allem über die gemeinsame sa-
lafistische Ideologie und deren gemeinschaftli-
che Verbreitung durch zahlreiche Aktivitäten.
Entscheidende Bedeutung für die zunehmende
Verbreitung des Salafismus in Deutschland hat
wiederum das Internet. Die Zahl salafistischer Sei-
ten und Veröffentlichungen in deutscher Sprache,
z. B. auf dem Internetportal YouTube nimmt stetig
zu. Verschiedene Internetseiten bieten eine um-
fangreiche Palette von Ratgebern für eine salafis-
tisch-korrekte Lebensweise und Prospekte sowie
Publikationen zur salafistischen Ideologie. Auffäl-
lig ist, dass auch entsprechende Publikationen zu-
nehmend in deutscher Übersetzung vorliegen.
Große Bedeutung für die Verbreitung der salafis-
tischen Ideologie kommt auch den so genannten
Islamseminaren zu, die deutschlandweit durch sa-
lafistische Prediger mit oder ohne Migrationshin-
tergrund durchgeführt werden. Die Veranstaltun-
gen dienen neben der Kontaktpflege insbesondere
der Gewinnung neuer junger Anhänger. Unter die-
sen Anhängern sind neben jungen Muslimen, die
sich im Rahmen der Identitätssuche verstärkt dem
Islam zuwenden, auch zunehmend deutsche Kon-
vertiten. Das einfache und strenge Regelwerk des
Salafismus, sein einfaches dualistisches Weltbild
und die Aussicht auf die Heilsgewissheit der Gläu-

60 | Extremistische Bestrebungen
bigen nach ihrem Tod scheint geeignet, Halt und
Struktur im Alltag zu vermitteln und übt hierdurch
eine erhebliche Anziehungskraft aus.
Dass Salafismus den geistigen Nährboden für
eine Radikalisierung hin zum Terrorismus bilden
kann, zeigt der oben dargestellte Radikalisie-
rungsverlauf von Eric BREININGER. Das religiöse
ideologische Fundament von Jihad befürworten-
den Gruppen wie der A
L-QAIDA und ihre angeglie-
derten Organisationen sind letztlich dem sala-
fistischer Bestrebungen sehr ähnlich.
Im Freistaat Sachsen wurden im Berichtsjahr die
meisten öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten sa-
lafistischer Bestrebungen im Raum Leipzig regis-
triert.

Extremistische Bestrebungen | 61
Ausländerextremismus

image
62 | Extremistische Bestrebungen
3.4
Kurdischer Extremismus
A
RBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK)
Charakterisierung und Bedeutung
Die extremistisch-terroristische PKK ist eine
streng hierarchisch gegliederte Kaderorganisa-
tion. Sie wurde 1978 in der Türkei mit der Ab-
sicht gegründet, einen selbständigen kurdischen
Staat zu errichten. Seit 1984 verfolgte sie dieses
Ziel auch mit militärischen Mitteln. Die PKK und
ihre Nebenorganisationen benannten sich – ins-
besondere nach der Verurteilung ihres Führers
Abdullah ÖCALAN – mehrfach um. Seit Mai 2007
trägt sie die Bezeichnung V
EREINIGTE GEMEINSCHAF-
TEN KURDISTANS (KCK). In Europa vertritt die KOOR-
DINATION DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELL-
SCHAFT IN EUROPA (CDK) die Interessen der PKK. Alle
vorgenannten Organisationen sind in der Bun-
desrepublik Deutschland von einem vereins-
rechtlichen Betätigungsverbot gegen die PKK
betroffen. Dieses Verbot wurde vom Bundesmi-
nisterium des Innern im Jahr 1993 verfügt.
Im Vergleich mit anderen nicht islamistischen
ausländerextremistischen Organisationen in
Deutschland hat die PKK die meisten Anhänger.
Mitglieder 2010 in Sachsen
ca. 150
Mitglieder 2009 in Sachsen
ca. 170
Mitglieder 2009 bundesweit
ca. 11.500
Kennzeichen
Publikationen
SERXWEBUN
(Unabhängigkeit),
STERKA CIWAN
(Stern der Jugend),
(jeweils monatlich)

Extremistische Bestrebungen | 63
Ausländerextremismus
Sie führt regelmäßig Großveranstaltungen
durch, zu denen bis zu mehrere zehntausend
Personen mobilisiert werden. Darüber hinaus
reagiert sie mit kleineren dezentralen Demons-
trationen auf Ereignisse in der Türkei. Auch Er-
eignisse im Iran und Irak sowie in Syrien können
Anlass sein.
Ideologie
Die PKK sieht sich selbst als führende Kraft und
Interessenvertreterin aller Kurden. Ihr Programm
war anfangs kategorisch von marxistisch-leni-
nistischen und nationalen Grundsätzen geprägt
und favorisierte den aktiven „revolutionären
Kampf“. Ziel war die Errichtung eines sozialisti-
schen Kurdenstaates. Den Einsatz von Gewalt
zur Durchsetzung ihrer Ziele beschränkte sie
nicht nur auf ihr Herkunftsland. Anfang der
1990er Jahre verübten ihre Anhänger in
Deutschland u. a. Brandanschläge auf türkische
Einrichtungen. Dabei wurde auch die Schädi-
gung von Personen billigend in Kauf genommen.
Seit Ende der 1990er Jahre richtet die Organisa-
tion ihre Strategie darauf aus, sich als politischer
Gesprächspartner zu präsentieren. Einerseits
proklamieren ihre Funktionäre eine gewaltfreie
Form des Widerstandes. Andererseits wird der
Bestand der Guerilla nicht in Frage gestellt. Sie
hat die „legale Verteidigung“ zu sichern.
Seit März 2010 fordert Abdullah ÖCALAN eine
„Demokratische Autonomie“ für das kurdische
Volk. Diese habe eine politische, juristische, wirt-
schaftliche und kulturelle Dimension. Außerdem
müsse dafür gesorgt werden, dass sich das kur-
dische Volk weiterhin selbst verteidigen könne.
104
Vorschläge der türkischen Regierung zu einer
Verfassungsänderung wurden als nicht ausrei-
chend abgelehnt. Für das diesbezügliche Refe-
rendum am 12. September 2010 hatten die Kader
der KCK und die ihnen nahestehende P
ARTEI FÜR
FRIEDEN UND DEMOKRATIE (BDP) ihre Anhänger zum
Boykott der Abstimmung aufgerufen. Wenn sich
die türkische Regierung nicht auf den Dialog für
ein gemeinsames Leben mit gleichberechtigten
Kurden einlassen wolle, werde man über die nö-
tigen Konsequenzen nachdenken müssen, die
gegebenenfalls bis hin zur Abspaltung vom tür-
kischen Staat reichen könnten.
105
Strukturen
Die zentrale Führung der Organisation hat ihren
Sitz im Nordirak. Deren Beschlüsse werden in
Europa durch die CDK umgesetzt. Die Bundesre-
publik Deutschland ist in die CDK-Bereiche Nord,
Mitte und Süd aufgeteilt. Diese wiederum glie-
dern sich in insgesamt 28 Gebiete. In Deutsch-
land hat die PKK seit Jahren etwa 11.500
Anhänger. Diese sind meist in örtlichen Vereinen
organisiert. Der Dachverband der örtlichen Ver-
eine ist die F
ÖDERATION KURDISCHER VEREINE IN
DEUTSCHLAND e. V. (YEK-KOM). Daneben existieren
zahlreiche Massenorganisationen der PKK, z.B.
ihre Jugendorganisation KOMALEN CIWAN
106
.
Im Freistaat Sachsen ist die Anhängerzahl der
PKK seit Jahren rückläufig. Sie wird gegenwärtig
auf etwa 150 Personen geschätzt. Seit 1995
wurden hier YEK-KOM-Vereine in Dresden, Leip-
zig und Zwickau gegründet. Derzeit existiert nur
noch der Verein K
URDISCHES HAUS LEIPZIG e. V.
104
YENI ÖZGÜR POLITIKA vom 21. August 2010, Seite 1/3.
105
Interview des Vorsitzenden des Exekutivrates der KCK mit der Nachrichtenagentur „Firat“ (ANF). Veröffentlicht in der Nachrichtensendung
des ROJ TV am 18. August 2010.
106
Sinngemäße Übersetzung: Gemeinschaft der Jugendlichen.

image
64 | Extremistische Bestrebungen
Mitglieder bzw. Anhänger der PKK
im Freistaat Sachsen
Aktivitäten
Die CDK agiert in Europa sowohl konspirativ als
auch offiziell mit Hilfe ihr verbundener Vereini-
gungen. Ein großer Teil ihrer konspirativen Tä-
tigkeit besteht in der Beschaffung der finan-
ziellen Mittel zur Unterhaltung des Organisati-
onsapparates und zur Unterstützung des be-
waffneten Kampfes in der Türkei. Haupteinnah-
mequelle sind die jährlichen Spendenkampa-
gnen. Die PKK erzielt dabei allein in der Bundes-
republik Deutschland Summen von mehreren
Millionen Euro. Im Zusammenhang mit dem mi-
litärischen Konflikt im Grenzgebiet der Türkei
zum Nordirak oder den Haftbedingungen und
dem Gesundheitszustand Abdullah ÖCALANs
kommt es vereinzelt zu Brandanschlägen. Diese
Aktionen sind mutmaßlich den KOMALEN CIWAN
zuzuschreiben.
Der Freistaat Sachsen war von derartigen Vor-
kommnissen im Berichtszeitraum nicht betroffen.
Zu den offiziellen Aktivitäten gehören traditio-
nelle Großveranstaltungen, wie die zentrale Feier
anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes New-
roz. 2010 fand diese Großkundgebung am 20.
März in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) statt.
Daran beteiligten sich etwa 20.000 Kurden aus
ganz Deutschland.
Ein weiteres herausragendes Ereignis ist das In-
ternationale kurdische Kulturfestival. Es fand am
18. September 2010 zum 18. Mal statt. An der
Veranstaltung in Köln (Nordrhein-Westfalen)
nahmen zehntausende Kurden aus Deutschland
und den angrenzenden Staaten teil.
Derartige Großveranstaltungen werden in
Deutschland von der YEK-KOM organisiert und
dienen der PKK u. a. als Plattform für die Ver-
breitung ihrer Ideologie. Traditionell werden
Grußbotschaften Abdullah ÖCALANs und füh-
render PKK-Kader verlesen oder per Videowand
übertragen. Das Kurdistanfestival 2010 zeigte
besonders deutlich, dass sich die Organisatoren
und zahlreiche Veranstaltungsteilnehmer über
das hier geltende Betätigungsverbot gegen die
PKK hinwegsetzen. Das veranschaulichen ein
400
300
200
100
0
2006
2007
2008
2009
2010
270
250
200
170
150

Extremistische Bestrebungen | 65
Ausländerextremismus
entsprechender Schriftzug auf dem Einladungs-
plakat und die Vielzahl der von den Teilnehmern
gezeigten verbotenen Symbole und Fahnen der
PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen. Außer
solchen Großdemonstrationen finden bundes-
weit zu aktuellen Anlässen auch dezentrale
Kundgebungen oder Saalveranstaltungen statt.
Im Freistaat Sachsen sind die Aktivitäten der
PKK-Anhänger in den letzten Jahren stark rück-
läufig. Dies ist nicht zuletzt auf den restriktiven
Umgang der Sicherheits- und Ordnungsbehör-
den mit entsprechenden Veranstaltungen zu-
rückzuführen. Öffentliche Aktionen fanden hier
letztmalig im Oktober 2008 statt. Seitdem betei-
ligten sich PKK-Anhänger aus dem Freistaat le-
diglich an Veranstaltungen in anderen Bundes-
ländern.
Im Dezember 2010 verurteilte die 14. Strafkam-
mer des Landgerichts Dresden den PKK-Verant-
wortlichen für den Raum Dresden zu einer
Freiheitsstrafe von neun Monaten. Im Rahmen
des gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahrens
der Staatsanwaltschaft Dresden hatte die Polizei
festgestellt, dass er Propagandamaterial der PKK
verkaufte. Bei einer anschließenden Durchsu-
chung wurden neben diversen Zeitschriften mit
PKK-Bezug auch Spendengeldquittungen der
laufenden Jahresspendenkampagne der PKK ge-
funden. Außerdem hatte er Eintrittskarten für
verschiedene Veranstaltungen bei sich, u. a. auch
für eine Großdemonstration in Straßburg (Frank-
reich) am 13. Februar 2010. Diese Veranstaltung
findet in jedem Jahr im Februar statt, um gegen
die Verbringung Abdullah ÖCALANs am 15. Feb-
ruar 1999 aus Kenia in die Türkei und seine an-
schließende Verurteilung zu protestieren.
Die kurdische Tageszeitung YENI ÖZGÜR POLI-
TIKA berichtet gelegentlich über die Ausrichtung
von einzelnen internen Versammlungen im Frei-
staat Sachsen. So berichtete sie im März 2010
über eine „Volksversammlung“
107
in Dresden, an
der mehrere hundert Personen teilgenommen
haben sollen.
108
Außerdem sei im Juli 2010 in
Chemnitz eine Gedenkveranstaltung für die Mär-
tyrer der PKK durchgeführt worden.
109
Im August 2010 wurde auf einer kurdischen In-
ternetseite ein Beitrag mit dem Titel „Kurdische
Vereinigungen in Europa unterstützen die Demo-
kratische Autonomie“ veröffentlicht. Darin wird
u. a. erklärt, dass die Demokratische Autonomie
die einzige Möglichkeit zur friedlichen Lösung des
Kurdenproblems darstelle.
110
Es folgt eine Auflis-
tung von 228 Organisationen, die die BDP-Kam-
pagne zum Boykott der Vorschläge der türkischen
Regierung zur Verfassungsänderung unterstützen
und die Vereinten Nationen sowie die Europäi-
sche Union aufrufen, an diesem Friedensprozess
mitzuwirken. Darin werden auch der Verein L
EIPZIG
KURDISTAN VOLKSHAUS e. V. und der ZWICKAU KURDISTAN
VOLKSHAUS e. V. genannt.
107
Unter „Volksversammlung“ ist die Zusammenkunft der Vereinsmitglieder im örtlichen YEK-KOM-Verein zu verstehen.
108
YENI ÖZGÜR POLITIKA, 31. März 2010, S.1/5.
109
YENI ÖZGÜR POLITIKA, 20. Juli 2010, S.1/12.
110
Vergleiche Abschnitt „Ideologie“.

66 | Spionageabwehr
Ausländische Nachrichtendienste sind in der
Bundesrepublik Deutschland weiterhin aktiv. An
ihren Zielrichtungen hat sich gegenüber dem
Vorjahr nichts geändert. Im Fokus fremder Nach-
richtendienste stehen weiterhin die Ausspähung
hiesiger politischer Entscheidungsträger sowie
die Beobachtung in Deutschland lebender Oppo-
sitioneller aus den jeweiligen Ländern. Daneben
sind die Bereiche Wirtschaftsspionage, illegaler
Wissenstransfer und Proliferation von besonde-
rem Interesse. Eine wichtige Aufgabe des Verfas-
sungsschutzes ist deshalb der Schutz einheimi-
scher Wirtschaftsunternehmen und wissen-
schaftlicher Institutionen vor Spionage.
Chinesische Nachrichtendienste
In der Bundesrepublik Deutschland sind mehrere
Nachrichtendienste der Volksrepublik China
aktiv. Für diese Dienste sind nicht nur klassische
Aufklärungsziele in der Politik, Wirtschaft und im
Militär von Interesse. Ihre Aktivitäten richten
sich auch gegen oppositionelle Gruppierungen,
die von der Kommunistischen Partei Chinas dif-
famierend als „Fünf Gifte“
111
bezeichnet und als
Bedrohung angesehen werden.
Um über die Ziele und Arbeitsweisen chinesi-
scher Nachrichtendienste aufzuklären, nahm das
LfV Sachsen Kontakt zu Behörden, Wirtschafts-
unternehmen, Forschungseinrichtungen und Pri-
vatpersonen auf.
Russische Nachrichtendienste
Einen Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungs-
schutzes ist die Abwehr von Aktivitäten russi-
scher Nachrichtendienste. Es gibt Anhaltspunkte
dafür, dass diese nach wie vor Informationen aus
den Bereichen Politik und Wirtschaft abschöpfen.
Aktivitäten fremder Nachrichtendienste
aus dem arabischen Raum
Diese Nachrichtendienste überwachen und for-
schen überwiegend in Deutschland lebende Op-
positionelle sowie Angehörige der islamistischen
Szene ihrer jeweiligen Heimatländer aus. In der
Bundesrepublik Deutschland verfügen sie über
gut besetzte Residenturen, insbesondere an den
Botschaften.
Internetattacken
Spionage mittels Internet ist effizient, kosten-
günstig und birgt nur ein geringes Entdeckungs-
risiko. Die Bedrohung durch solche so genannte
„electronic attacks“ ist nach wie vor hoch. Dabei
werden mit Viren infizierte Dokumente zu ver-
schiedenen Themen versandt oder Trojaner in
firmeninterne Netzwerke geschleust. Oftmals
werden diese Attacken von einem „social engi-
neering“ begleitet. Darunter versteht man eine
gezielte zwischenmenschliche Beeinflussung,
durch die das Opfer veranlasst wird, vertrauliche
II. Spionageabwehr
111
Dazu zählen neben den Anhängern der Demokratiebewegung und Befürwortern einer Eigenstaatlichkeit Taiwans auch die nach einer tat-
sächlichen Autonomie strebenden Angehörigen ethnischer Minderheiten wie Tibeter und Uiguren sowie Mitglieder der Meditationsbewegung
„Falun Gong“.

Informationen preiszugeben – im Zusammen-
hang mit elektronischen Attacken auch „social
hacking“ genannt.
Wirtschaftsschutz / Prävention
Um über die Ziele und Arbeitsweisen fremder
Nachrichtendienste aufzuklären, hat das LfV
Sachsen 2010 Kontakt zu Behörden, Wirtschafts-
unternehmen, Forschungseinrichtungen und Pri-
vatpersonen aufgenommen. Die Sensibilisierung
und Aufklärung über Gefahren und Methoden
fremder Nachrichtendienste sowie die Informa-
tion über mögliche Gegenmaßnahmen sind das
effektivste Mittel zur Abwehr von Wirtschafts-
spionage. Der Fokus ist dabei auf kleine und mit-
telständische innovative Unternehmen gerichtet.
Spionageabwehr | 67
Spionageabwehr

68 | Politisch motivierte Kriminalität – Straftaten mit extremistischem Hintergrund
Politisch motivierte Kriminalität „rechts“ –
Straftaten mit rechtsextremistischem
Hintergrund
Der rückläufige Trend des Vorjahres setzte sich im
Jahr 2010 bei der Anzahl aller Straftaten mit
rechtsextremistischem Hintergrund fort. Diese
sanken um ca. 8% auf 1.808 Delikte (2009: 1.969).
Allerdings stieg demgegenüber die Anzahl der Ge-
waltdelikte mit rechtsextremistischem
Hinter-
grund um ca. 17% auf 98 an (2009: 84). Damit
stieg der Anteil der Gewalttaten an den Gesamt-
straftaten auf ca. 5% an (2009: etwa 4%).
Straftaten mit rechtsextremistischem
Hintergrund
Die zunehmende Gewaltausübung bei rechtsex-
tremistischen Straftaten war nicht nur quanti-
tativ zu beobachten; auch die Qualität der Delik-
te entwickelte sich zunehmend hin zur Verübung
von schwereren Straftaten. So stieg im Jahr 2010
die Zahl der rechtsextremistisch motivierten
Brandstiftungen erheblich auf 13 an (2009: 1).
Außerdem wurden zwei Gewaltdelikte als ver-
suchte Tötungsdelikte eingeordnet.
Zudem war eine erhebliche Zunahme der von
Rechtsextremisten ausgehenden konfrontativen
Gewalt zu verzeichnen. Waren 2006 noch 39 %
der rechtsextremistischen Gewalttaten gegen
den politischen Gegner gerichtet, betrug dieser
Anteil 2010 mit 58% deutlich mehr als die Hälfte
aller Gewaltdelikte.
Die Anzahl der fremdenfeindlichen Gewaltdelikte
ist im Berichtsjahr auf 27 gestiegen (2009: 25).
Ihr Anteil an der Gesamtzahl der rechtsextremis-
tisch motivierten Gewalttaten ist allerdings auf
ca. 28% (2009: ca. 30%) gesunken.
Gewalttaten mit rechtsextremistischem
Hintergrund
III. Politisch motivierte Kriminalität –
Straftaten mit extremistischem
Hintergrund
150
100
50
0
2006
2007
2008
2009
2010
Gewalttaten insgesamt
davon gegen den politischen Gegner
77
90
126
84
98
30
43
52
42
57
3000
2000
1000
0
2006
2007
2008
2009
2010
Straftaten insgesamt
davon Gewalttaten
77
90
126
84
98
2.063
2.144
2.421
1.969
1.808

Politisch motivierte Kriminalität – Straftaten mit extremistischem Hintergrund | 69
Politisch motivierte Kriminalität
Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit
dem politischen Gegner war zu beobachten, dass
die Schwere der Straftaten zugenommen hat. So
wurden sachsenweit vermehrt brutale körperliche
Angriffe durch Rechtsextremisten verübt und ge-
meingefährliche Mittel wie Brandbeschleuniger
eingesetzt.
Z. B. wurde am frühen Morgen des 24. August ein
Molotow-Cocktail in die bewohnten Räume eines
der linksorientierten Szene zuzuordnenden
Wohnprojektes in Dresden geworfen. Der Tat ver-
dächtigt wird ein Angehöriger der rechtsextremis-
tischen Szene. Bereits am 19. August war im
Erdgeschoss eines dem linksorientierten Spektrum
zuzuordnenden Mehrfamilienhauses in Dresden
ein Brand gelegt worden. Am 22. August soll eine
Gruppe der rechtsextremistischen Szene mit acht
bis zehn Personen eine Party von linksorientierten
Personen in Meerane (Landkreis Zwickau) gestört
und eine Schlägerei angezettelt haben. Ein wei-
terer Gewaltausbruch fand am 13. November in
Limbach-Oberfrohna (Landkreis Zwickau) statt.
Ein Rechtsextremist drang durch die eingeschla-
gene Fensterscheibe in die Räume eines Vereins
ein und legte Feuer. Ausgangspunkt dieser Brand-
stiftung soll eine unmittelbar zuvor stattgefun-
dene Auseinandersetzung zwischen Angehörigen
der rechtsextremistischen und der linksorientier-
ten Szene gewesen sein.
Die Verschärfung der Auseinandersetzungen der
politisch verfeindeten Szenen im Berichtsjahr wird
auch durch eine so genannte „Outing-Aktion“ un-
terstrichen. Nach Auseinandersetzungen zwischen
den politischen Gegnern im Landkreis Leipzig
wurde von Rechtsextremisten – in Anlehnung an
entsprechende Projekte der linken Szene – eine so
genannte „Anti-Antifa-Plattform“ im Internet er-
stellt. Nach „zahlreichen linkskriminellen und ge-
walttätigen Übergriffen auf nationale Aktivisten in
Geithain“
112
hätten die Initiatoren beschlossen, eine
Bilderserie über die „linksextreme Szene“ in Geit-
hain zu veröffentlichen. Nach jedem Überfall oder
Angriff auf Nationalisten oder deren Eigentum
werde ein weiterer Geithainer Antifaschist „aus der
Anonymität gerissen“. „Rote haben Namen und
Adressen – Kein Fußbreit den Antideutschen!“
113
.
Auf der „Anti-Antifa-Plattform“ wurde am 4. April
Bild und Adresse eines 15-jährigen vermeintlichen
Linksextremisten mit weiteren Angaben veröffent-
licht. Diese Person wurde einen Monat später von
einem Rechtsextremisten an einer Tankstelle ange-
griffen und dabei lebensgefährlich verletzt.
Die konfrontative Gewalt wird durch Rechtsextre-
misten mehrheitlich bewusst und geplant gesucht
und verübt. Gewalttaten, die sich spontan bei Tat-
gelegenheiten ereignen, wie beispielsweise am
Rande von Demonstrationen, machen nur einen
geringeren Anteil aus. Im Zusammenhang mit De-
monstrationen wurden im Jahr 2010 16 Delikte
bzw. 16% der Gewalttaten begangen (2009: 9 De-
likte bzw. 11%).
Als ein Erklärungsversuch für den Anstieg der
konfrontativen Gewalt kann die Studie einer For-
schungsgruppe des Hannah-Arendt-Instituts für
Totalitarismusforschung an der TU Dresden
114
he-
rangezogen werden. Ergebnis dieser Studie war,
dass der Einzug der NPD in den Sächsischen
Landtag bei der Landtagswahl 2004 ein erklären-
der Faktor für den Anstieg der konfrontativen Ge-
walt ist
115
. Dies führte zu einer gesteigerten
Präsenz des Themas „Rechtsextremismus“ in der
Öffentlichkeit. Damit ging eine erhöhte Mobilisie-
rung linksextremistischer Gewalttäter einher. Es
112
Auszug der Internetseite vom 4. April 2010.
113
Ebenda.
114
Backes, Mletzko, Stoye: NPD-Wahlmobilisierung und politisch motivierte Gewalt; 2010.
115
Ebenda. S. 51.

70 | Politisch motivierte Kriminalität – Straftaten mit extremistischem Hintergrund
kam zu einem Anstieg der von Linksextremisten
ausgehenden Konfrontationsdelikte, insbesondere
im Umfeld von rechtsextremistischen Demonstra-
tionen. Laut der Studie folgte daraus wiederum
eine unmittelbare Zunahme der von Rechtsextre-
misten ausgehenden Konfrontationsgewalt.
Nach der für die NPD im Ergebnis ähnlich verlau-
fenden sächsischen Landtagswahl 2009 könnte
sich nun die damals zu beobachtende Entwick-
lung wiederholt haben.
Eine Auswertung der politisch motivierten Ge-
walttaten aus den Jahren 2007-2009 hat ergeben,
dass nur ein geringer Teil der ermittelten Gewalt-
täter so genannte Mehrfachtäter – d. h. an meh-
reren Gewalttaten beteiligt – waren. Allerdings
wurden allein durch die Mehrfachtäter durch-
schnittlich rund ein Drittel aller Gewalttaten be-
gangen, im Jahr 2009 sogar fast die Hälfte. Bei
zwei Dritteln der untersuchten Mehrfachtäter war
eine strukturelle Anbindung an Gruppierungen
der rechtsextremistischen Szene bekannt. Dies be-
deutet allerdings nicht, dass die rechtextremisti-
schen Gruppierungen organisierte Gewalttäter-
gruppierungen waren. Für solche Gruppierungen
haben sich – abgesehen von den bereits bekann-
ten Fällen – in der Untersuchung keine konkreten
zusätzlichen Anhaltspunkte ergeben.
Die Verteilung sowohl der rechtsextremistischen
Straftaten als auch der Gewalttaten auf die einzel-
nen Landesdirektionsbezirke gestaltet sich ähnlich
wie im Vorjahr. Der Anteil war im Landesdirekti-
onsbezirk Dresden mit 44% aller Straftaten und
49% aller Gewalttaten am höchsten (2009: ca.
44% bzw. ca. 45%). Im Landesdirektionsbezirk Leip-
zig ereigneten sich 25% aller Straftaten und 29%
aller Gewalttaten (2009: ca. 25% bzw. ca.
32%), während im Landesdirektionsbezirk Chem-
nitz 31% aller Straftaten und 22 % aller Gewalt-
taten begangen wurden (2009: ca. 31% bzw. 23%).
Regionale Schwerpunkte der rechtsextremisti-
schen Straftaten waren 2010 die Stadt Dresden
(250) und der Landkreis Görlitz (175). Rechtsex-
tremistische Gewalttaten wurden schwerpunkt-
mäßig ebenfalls in der Stadt Dresden (20) und im
Landkreis Görlitz (14) begangen. Während der
Schwerpunkt in der Landeshauptstadt nicht über-
rascht, ist der Anstieg der Gewalttaten im Land-
kreis Görlitz (2009: sechs) beachtenswert. Die
dortigen Straftaten ereigneten sich über das ge-
samte Jahr und waren über den ganzen Landkreis
verteilt, ohne dass sich Häufungen abzeichnen.
Politisch motivierte Kriminalität „links“ –
Straftaten mit linksextremistischem
Hintergrund
Die Anzahl der Straftaten mit linksextremisti-
schem Hintergrund ging im Jahr 2010 leicht um
ca. 6% auf 480 Delikte zurück (2009: 511). Die An-
zahl der Gewaltdelikte mit linksextremistischem
Hintergrund erhöhte sich hingegen deutlich um
ca. 44% auf 128 Fälle (2009: 89). Damit stieg der
Anteil der Gewalttaten an den Gesamtstraftaten
auf ca. 27% an (2009: ca. 17%).
Straftaten mit linksextremistischem
Hintergrund
Die linksextremistischen Straf- und Gewalttaten
verteilten sich folgendermaßen auf die Landesdi-
rektionsbezirke: ca. 51% aller Straf- und ca. 57%
600
400
200
0
2006
2007
2008
2009
2010
Straftaten insgesamt
davon Gewalttaten
275
331
476
511
480
93
84
80
89
128

Politisch motivierte Kriminalität – Straftaten mit extremistischem Hintergrund | 71
Politisch motivierte Kriminalität
aller Gewalttaten wurden im Landesdirektionsbe-
zirk Dresden begangen (2009: ca. 50% bzw. ca.
62%), ca. 29% aller Straf- und ca. 32% aller Ge-
walttaten im Landesdirektionsbezirk Leipzig (2009:
ca. 27% bzw. ca. 23%) sowie ca. 19% aller Straf-
und ca. 11% aller Gewalttaten im Landesdirekti-
onsbezirk Chemnitz (2009: ca. 23% bzw. ca. 15%).
Der regionale Schwerpunkt der Straf- und Gewalt-
taten mit linksextremistischem Hintergrund lag
damit – wie schon im Vorjahr – im Landesdirekti-
onsbezirk Dresden. Die meisten dieser Straf- und
Gewalttaten wurden in der Stadt Dresden anläss-
lich der Aktivitäten von Extremisten zum Jahrestag
der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg
verübt. Im deutlichen Abstand folgte die Stadt
Leipzig. In Chemnitz und in den anderen Regionen
des Freistaates war eine deutlich geringere Anzahl
von Straf- und Gewalttaten zu verzeichnen.
Die Straftatenverteilung spiegelt damit die räum-
liche Verteilung der autonomen Szenen sowie die
der rechtsextremistischen Demonstrationen wie-
der. Diese sind mehrheitlich dort begangen wor-
den, wo es fest etablierte autonome Strukturen
gibt. Anlass war zumeist die Auseinandersetzung
mit dem politischen Gegner bei dessen öffentlich-
keitswirksamen Aktivitäten.
Ein Großteil der Straftaten wurde im Zusammen-
hang mit linksextremistischen Aktivitäten gegen
Demonstrationen von Rechtsextremisten verübt.
Von den 480 Straftaten standen 228 im Zusam-
menhang mit Demonstrationen (2009: 134). Der
Anteil dieser Straftaten lag im Berichtsjahr damit
bei ca. 48% (2009: ca. 26%). Bei 88 dieser Strafta-
ten handelte es sich um Gewaltdelikte (2009: 59).
Damit stieg der Anteil der im Zusammenhang mit
Demonstrationen verübten Gewaltdelikte an der
Gesamtzahl der linksextremistisch motivierten Ge-
waltstraftaten auf ca. 69% (2009: ca. 66%).
Von den bei Demonstrationen begangenen Straf-
taten wurden ca. 62% im Bereich der Landesdi-
rektion Dresden verübt. Allein 105 Straftaten
wurden anlässlich des 13. Februar 2010 registriert
(2009: 68). Damit wurden ca. 46% aller im Zusam-
menhang mit Demonstrationen stehenden links-
extremistischen Straftaten im Rahmen der Aktivi-
täten der linksextremistischen Szene anlässlich
des Gedenkens an die Bombardierung Dresdens
am 13. Februar und des rechtsextremistischen Auf-
marsches begangen. Die Gewalttaten richteten
sich vorrangig gegen den politischen Gegner, we-
niger gegen die Polizei. Dies war eine Folge der
von gewaltbereiten Linksextremisten gewählten
Taktik, Rechtsextremisten außerhalb der Blocka-
den und der Versammlungsorte anzugreifen. Au-
ßerdem erfolgten Angriffe gegen Sachwerte,
wobei insbesondere eine Bankfiliale und ein Au-
tohaus für Luxusfahrzeuge angegriffen wurden.
Für das Jahr 2011 zeichnet sich hingegen ein An-
stieg der gegen Polizeibeamte verübten Straftaten
im Zusammenhang mit dem 13. und 19. Februar
ab. Es kam zu zahlreichen Auseinandersetzungen
zwischen der Polizei und gewaltbereiten Linksex-
tremisten, die Polizeisperren überwanden, um an
die Blockadepunkte zu gelangen.
Auch im Bereich der Landesdirektion Leipzig war
ein deutlicher Anstieg linksextremistischer Straf-
taten, die im Zusammenhang mit Demonstratio-
nen begangen wurden, zu verzeichnen. Fast die
Hälfte der hiesigen diesbezüglichen Straftaten
wurde im Rahmen der Gegenaktivitäten anlässlich
einer rechtsextremistischen Demonstration am 16.
Oktober in Leipzig verübt. Unter anderem ereignete
sich ein schwerer Landfriedensbruch im Stadtteil
Leipzig-Grünau als eine größere – mutmaßlich
linksextremistische – Personengruppe in einen Su-
permarkt eindrang, Waren entwendete und pyro-
technische Erzeugnisse zündete. Möglicherweise
galt der Übergriff einer Gruppe von Rechtsextre-
misten, die sich im Markt aufgehalten hatte.
Aber auch im Landkreis Nordsachsen kam es zu
einer Reihe von Straftaten. Diese standen zumeist
im Zusammenhang mit den Gegenaktivitäten an-

72 | Politisch motivierte Kriminalität – Straftaten mit extremistischem Hintergrund
lässlich der von Rechtsextremisten durchgeführten
Demonstration am 24. April in Torgau. Die Angrif-
fe richteten sich sowohl gegen eingesetzte Polizei-
beamte als auch gegen Demonstrationsteilnehmer.
Der deutliche Anstieg der Gewalttaten mit linksex-
tremistischem Hintergrund belegt die zunehmende
Gewaltbereitschaft innerhalb der linksextremisti-
schen Szene. Die Deliktsart Körperverletzung nahm
2010 dabei einen Anteil von ca. 51 % ein und damit
deutlich mehr als im Vorjahr (2009: ca. 36 %). Die
Gewalttaten richteten sich mit einem Anteil von ca.
53 % (2009: ca. 45 %) in erster Linie gegen den po-
litischen Gegner. Auch bei den Körperverletzungs-
delikten richtete sich die Mehrzahl (ca. 65 %, 2009:
ca. 62 %) gegen den politischen Gegner.
Der starke Anstieg der linksextremistischen Ge-
walttaten kann ein Anzeichen dafür sein, dass in-
nerhalb der linksextremistischen Szene die
Hemmschwelle für das Begehen von Straftaten
gesunken ist und vermehrt tätliche Angriffe er-
folgen. In Bezug auf die konfrontative Gewalt
gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsex-
tremisten liegt die Hemmschwelle ohnehin nied-
rig. In linksextremistischen Kreisen wird diese
Gewalt weitgehend akzeptiert. Auf Grund der kla-
ren Gegnerschaft bedarf es hier keiner weiteren
Begründung. Es ist davon auszugehen, dass auch
künftig öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen
von Rechtsextremisten Anlass zu linksextremisti-
schen Straf- und Gewalttaten geben werden.
Der bereits im Vorjahr festgestellte Anstieg der
linksextremistisch motivierten Brandanschläge
setzte sich im Jahr 2010 fort (von 7 im Jahr 2009
auf 9 im Jahr 2010).
Während sich im Jahr 2009 eine Reihe von Brand-
anschlägen gegen Reviere und Einsatzfahrzeuge
der Polizei richteten, geriet im Berichtsjahr zumeist
der politische Gegner in den Fokus. Beispielsweise
wurde am 2. Juli in Döbeln (Landkreis Mittelsach-
sen) das Fahrzeug eines Rechtsextremisten mit der
Aufschrift „Wer Rechts ist kriegt Probleme –
schöne Grüße Antifa“ besprüht und angezündet.
Weitere Brandanschläge erfolgten am 12. März in
Geithain (Landkreis Leipzig) auf einen vermeintli-
chen Treffpunkt von Rechtsextremisten und am
22./23. September in Zwickau auf den Sitz einer
Firma, der unterstellt wird, vorwiegend rechtsex-
tremistische Bekleidung zu vertreiben.
Aber auch die Bundeswehr wurde nach 2009 er-
neut Ziel eines Brandanschlages, als am 22. Okto-
ber versucht wurde, eines ihrer Fahrzeuge in
Brand zu setzen.
Politisch motivierte Ausländerkriminalität –
Straftaten mit ausländerextremistischem
Hintergrund
Im Jahr 2010 wurden drei Straftaten (2009: 10)
festgestellt, die als extremistisch bewertet wur-
den, darunter ein Gewaltdelikt (2009: 3). Mit die-
sem Rückgang wurde wieder das niedrige Niveau
aus dem Jahr 2008 erreicht.
Straftaten mit ausländerextremistischem
Hintergrund
Alle drei Delikte wurden von Einzelpersonen ver-
übt, die dem islamistischen Spektrum zugeord-
net werden. Mit den Aktionen brachten die Täter
ihren Hass gegen den Staat Israel zum Ausdruck.
Konkrete Bezüge zu extremistischen Organisa-
tionen konnten nicht festgestellt werden.
15
10
5
0
2006
2007
2008
2009
2010
Straftaten insgesamt
davon Gewalttaten
7
5
10
4
0
0
3
1
3
3

Glossar | 73
Glossar
Anti-Antifa
Unter dem Begriff „Anti-Antifa“ verfolgen Neo-
nazis in Anlehnung an Terminologie und Vorge-
hensweise von Linksextremisten ein Konzept zur
Erfassung und Veröffentlichung von Daten über
politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie
verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf
linksextremistische Aktivitäten darstellt und als
solche auch militante Aktionsformen umfassen
kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel
einen propagandistischen Charakter auf und zie-
len vornehmlich auf die Verunsicherung des Geg-
ners ab. Als Gegner werden dabei auch Angehö-
rige der Sicherheitsbehörden angesehen.
Antideutsche
Anhänger einer antideutschen Ideologie bilden
eine Besonderheit innerhalb der gewaltbereiten
linksextremistischen Szene und tragen zu einer
deutlichen Polarisierung im linksextremistischen
Gefüge bei. Hauptbestandteil antideutscher Ideo-
logie ist die bedingungslose Solidarität mit der
Politik des Staates Israels und dem jüdischen Volk.
Antideutsche sprechen sich – in Befürchtung
eines neuerlichen, von Deutschland ausgehenden
Holocaust – für eine massive Unterstützung des
Staates Israels und des Judentums aus und stehen
oft positiv zu den USA als deren Schutzmacht.
Antideutsche befürchten ein Erstarken des deut-
schen Nationalismus und ein großdeutsches
„Viertes Reich“, sie lehnen daher einen deutschen
Nationalstaat insgesamt ab. Im linksextremisti-
schen Umfeld treten Antideutsche verstärkt durch
Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende
linksextremistische Gruppierungen hervor.
Antifa, autonome
Der „antifaschistische Kampf“ ist ein Hauptagi-
tationsfeld von A
UTONOMEN. Aus ihrer Sicht ist es
geboten, den Kampf gegen Faschisten und Ras-
sisten in die eigenen Hände zu nehmen. In au-
tonomen Publikationen und Stellungnahmen
wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextre-
mistischen Kundgebungen geworben. Die Agita-
tion richtet sich auch gegen bestimmte staat-
liche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten.
Darüber hinaus werden Adressen und „Steck-
briefe“ von politischen Gegnern veröffentlicht,
die nicht selten mit der Aufforderung verbunden
sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rah-
men der „antifaschistischen Selbsthilfe“ werden
auch militante Aktionen befürwortet, die sich in
erster Linie gegen den politischen Gegner, ins-
besondere tatsächliche oder vermeintliche
„Nazis“ richten. Dadurch kommt es regelmäßig
zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu
Personenschäden.
Antifaschismus
„Antifaschismus“ als Begriff wird auch von De-
mokraten verwendet, um ihre Ablehnung des
Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen.
Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten
diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaup-
ten, dass der kapitalistische Staat den Faschis-
mus hervorbringe, zumindest aber toleriere.
Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur
gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechts-
extremisten, sondern immer auch gegen den
Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehö-
rige der Sicherheitsbehörden.
IV. Glossar des Verfassungsschutzes

74 | Glossar des Verfassungsschutzes
Ausländerextremismus
Extremistische Ausländerorganisationen verfol-
gen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktu-
elle Ereignisse und politische Entwicklungen in
ihren Heimatländern bestimmt sind.
Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung han-
delt es sich dabei zum Beispiel um linksextremis-
tische Organisationen (z. B. die türkische R
EVOLU-
TIONÄRE VOLKSBEFREIUNGSPARTEI-FRONT (DHKP-C)), so-
weit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches
bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstre-
ben oder um nationalistische Organisationen, die
ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen
Nation haben und die Rechte anderer Völker miss-
achten. Daneben gibt es separatistische Organi-
sationen, die eine Loslösung ihres Herkunfts-
gebietes aus einem bereits bestehenden Staats-
gebilde und die Schaffung eines eigenen Staates
verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutz-
behörden beobachtete ausländerextremistische
Organisation in Deutschland ist nach wie vor die
unter der Bezeichnung PKK bekannte A
RBEITERPAR-
TEI KURDISTANS.
Derartige Organisationen unterliegen der Beob-
achtung durch die Verfassungsschutzbehörden,
wenn:
sie sich gegen die freiheitliche demokrati-
sche Grundordnung der Bundesrepublik
Deutschland richten, indem sie hier z. B. ver-
suchen, eine ihren Grundsätzen entspre-
chende Parallelgesellschaft zu errichten,
sie ihre politischen Auseinandersetzungen
mit Gewalt auf deutschem Boden austragen
und dadurch die Sicherheit des Bundes oder
eines Landes gefährden,
sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in
anderen Staaten durchführen oder unter-
stützen und dadurch auswärtige Beziehun-
gen der Bundesrepublik Deutschland zu
diesen Staaten gefährden,
sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der
Völkerverständigung, insbesondere das fried-
liche Zusammenleben der Völker, richten.
A
UTONOME
Kennzeichnend für die Bewegung der AUTONOMEN,
die über kein einheitliches ideologisches Konzept
verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesell-
schaftlicher Normen und Zwänge, die Suche
nach einem freien, selbstbestimmten Leben in
herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand
gegen den demokratischen Staat und seine In-
stitutionen, wobei Gewalt von A
UTONOMEN grund-
sätzlich als Aktionsmittel („militante Politik“)
akzeptiert ist. A
UTONOME bilden den weitaus größ-
ten Anteil des gewaltbereiten linksextremisti-
schen Personenpotenzials.
Das Selbstverständnis der heterogenen autono-
men Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellun-
gen („antikapitalistisch“, „antifaschistisch“,
„antipatriarchal“). Diffuse anarchistische und
kommunistische Ideologiefragmente („Klassen-
kampf“, „Revolution“ oder „Imperialismus“) bil-
den den Rahmen ihrer oftmals spontanen
Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Ge-
walt ist die so genannte Massenmilitanz. Das
sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von
Demonstrationen oder im Anschluss daran ent-
wickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu
Gewaltexzessen.
A
UTONOME NATIONALISTEN
Mit den AUTONOMEN NATIONALISTEN tritt eine Strö-
mung innerhalb des deutschen Neonationalso-
zialismus öffentlichkeitswirksam in Erscheinung,
die sich in lokalen Gruppierungen organisiert.
Angehörige der A
UTONOMEN NATIONALISTEN treten
oft mit einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft

Glossar des Verfassungsschutzes | 75
Glossar
gegen Polizeibeamte und politische Gegner auf,
dies insbesondere bei öffentlichen Veranstaltun-
gen, wo sich A
UTONOME NATIONALISTEN bisweilen
vermummt zu so genannten „Schwarzen Blö-
cken“ zusammenschließen. Zudem übernehmen
sie in Teilen Stilelemente anderer Jugendsubkul-
turen und treten ähnlich gekleidet auf wie mili-
tante Linksextremisten (A
UTONOME). Innerhalb der
Neonazi-Szene sind A
UTONOME NATIONALISTEN vor
allem wegen ihres öffentlichen Erscheinungsbil-
des und ihrer Gewaltbereitschaft umstritten.
Dessen ungeachtet beteiligen sich zunehmend
auch F
REIE NATIONALISTEN anlassbezogen an der Ak-
tionsform des „Schwarzen Blockes“ der A
UTONO-
MEN NATIONALISTEN.
Bestrebungen, extremistische
Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Bestre-
bungen alle auf ein Ziel gerichteten Aktivitäten.
Extremistische Bestrebungen im Sinne des Ver-
fassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der
Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen
Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbe-
reitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte.
Es ist zu unterscheiden zwischen
Bestrebungen gegen den Bestand des Bun-
des oder eines Landes,
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bun-
des oder eines Landes,
Bestrebungen gegen die freiheitliche demo-
kratische Grundordnung.
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes
oder eines Landes sind solche politisch bestimm-
ten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltenswei-
sen in einem oder für einen Personenzusammen-
schluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des
Bundes oder eines Landes von fremder Herr-
schaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu be-
seitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet ab-
zutrennen.
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes
oder eines Landes sind solche politisch bestimm-
ten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltenswei-
sen in einem oder für einen Personenzusammen-
schluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Län-
der oder deren Einrichtungen in ihrer Funktions-
fähigkeit erheblich zu beeinträchtigen.
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokrati-
sche Grundordnung sind solche politisch be-
stimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltens-
weisen in einem oder für einen Personenzusam-
menschluss, der darauf gerichtet ist, einen der
zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung
zu zählenden Verfassungsgrundsätze zu beseiti-
gen oder außer Geltung zu setzen.
Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht
in einem oder für einen Personenzusammen-
schluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie
auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder
auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind,
ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzge-
setzes oder eines Landesverfassungsschutzge-
setzes erheblich zu beschädigen.
Extremismus/Radikalismus
Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden
zwischen „Extremismus“ und „Radikalismus“, ob-
wohl beide Begriffe oft synonym gebraucht wer-
den. Bei „Radikalismus“ handelt es sich zwar auch
um eine überspitzte, zum Extremen neigende
Denk- und Handlungsweise, die gesellschaftliche
Probleme und Konflikte bereits „von der Wurzel
(lat. radix) her“ anpacken will. Im Unterschied
zum „Extremismus“ sollen jedoch weder der de-
mokratische Verfassungsstaat noch die damit

76 | Glossar des Verfassungsschutzes
verbundenen Grundprinzipien unserer Verfas-
sungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Ka-
pitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an
der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesell-
schaftsordnung äußern und sie von Grund auf
verändern wollen, noch keine Extremisten. Radi-
kale politische Auffassungen haben in unserer
pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legi-
timen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstel-
lungen realisieren will, muss nicht befürchten,
dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird,
jedenfalls nicht, so lange er die Grundprinzipien
unserer Verfassungsordnung nicht bekämpft. Als
extremistisch werden dagegen die Aktivitäten be-
zeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der
freiheitlichen Demokratie zu beseitigen.
Fanzine
Der Begriff setzt sich aus den Worten „Fan“ und
„Magazine“ zusammen und bezeichnet in der
Regel subkulturelle Publikationen. In der rechts-
extremistischen Szene informieren diese Publika-
tionen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte
sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Aktivisten
und rechtsextremistische Gruppierungen erhal-
ten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstel-
lung und zur Verbreitung ihres Gedankengutes.
F
REIE NATIONALISTEN / FREIE KRÄFTE
Das Konzept der FREIEN NATIONALISTEN (auch FREIE
KRÄFTE genannt) wurde Mitte der 1990er Jahre
von Neonazis als Reaktion auf die zahlreichen
Vereinsverbote entwickelt. Ziel war es, die zer-
splitterte neonazistische Szene unter Verzicht
auf vereinsmäßige Strukturen („Organisierung
ohne Organisation“) zu bündeln, ihre Aktionsfä-
higkeit zu erhöhen und gleichzeitig Verbotsmaß-
nahmen zu verhindern. Ein Großteil der F
REIEN
NATIONALISTEN sammelte sich in rechtsextremisti-
schen Kameradschaften. Ab Mitte der 2000er
Jahre setzte ein erneuter Strukturwandel in der
Kameradschaftsszene ein, der von einer weiteren
Lockerung der Organisationsstrukturen gekenn-
zeichnet war. Damit wurde das Ziel verfolgt, dem
Staat noch weniger Angriffsfläche zu bieten.
Freiheitliche demokratische Grundordnung
Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grund-
gesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die
unabänderlichen obersten Wertprinzipien als
Kernbestand der Demokratie. Diese fundamen-
talen Wertprinzipien bestimmen die Gesetzge-
bung des Bundes und der Länder, so auch die
Verfassungsschutzgesetze.
Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfas-
sungsprinzipien:
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in
Wahlen und Abstimmungen und durch Or-
gane der Gesetzgebung und der Rechtspre-
chung auszuüben und die Volksvertretung in
allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher
und geheimer Wahl zu wählen,
die Bindung der Gesetzgebung an die ver-
fassungsmäßige Ordnung und die Bindung
der vollziehenden Gewalt und der Recht-
sprechung an Gesetz und Recht,
das Recht auf Bildung und Ausübung einer
parlamentarischen Opposition,
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Ver-
antwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
die Unabhängigkeit der Gerichte,
der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkür-
herrschaft,
die im Grundgesetz konkretisierten Men-
schenrechte.

Fremdenfeindlichkeit
Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Men-
schen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Re-
ligion oder Hautfarbe von der als „normal“
erachteten Umwelt unterscheiden.
Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbun-
denen vermeintlich minderwertigen Eigenschaf-
ten werden als Rechtfertigung für einschlägige
Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechts-
extremistische Weltbild ist geprägt von einer
Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der
u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert.
Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum
(GTAZ)
Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terroris-
musabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow
mit einer "Nachrichtendienstlichen Informati-
ons- und Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Po-
lizeilichen Informations- und Analysestelle"
(PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismus-
abwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an
einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutz-
behörden des Bundes und der Länder, das Bun-
deskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter
und der Bundesnachrichtendienst (BND) einge-
bunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei,
Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst
(MAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwalt-
schaft. Die Abstimmung von Bewertungen und
von Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sach-
verhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert
und beschleunigt.
Gemeinsames Internetzentrum (GIZ)
Das GIZ führt seit 2007 die offene Beobachtung
des Internets nach islamistischen Inhalten durch.
Dort sind sprachkundige Experten der Sicher-
heitsbehörden des Bundes und der Länder tätig.
Islamismus
Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine reli-
giös motivierte Form des politischen Extremis-
mus. Islamisten sehen in den Schriften und
Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Aus-
übung der Religion, sondern auch Handlungsan-
weisungen für eine islamistische Staats- und
Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser
islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle
Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott
(Allah) ausgehen. Damit richten sich islamisti-
sche Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen
des GG, insbesondere gegen die freiheitliche de-
mokratische Grundordnung. Islamisten halten
die Etablierung einer islamischen Gesellschafts-
ordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen
letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Mus-
lime unterworfen werden.
Islamistische Organisationen – mit Ausnahme is-
lamistisch-terroristischer Organisationen – las-
sen sich grob in zwei Kategorien einteilen:
Organisationen, die in ihren Herkunftslän-
dern die konsequente Umgestaltung der be-
stehenden Staats- und Gesellschaftsordnun-
gen nach ihrem Verständnis der islamischen
Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In
Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf pro-
pagandistischen Aktivitäten sowie der
Sammlung von Spendengeldern, um die
Mutterorganisationen in den Herkunftslän-
dern zu unterstützen.
Glossar
Glossar des Verfassungsschutzes | 77

78 | Glossar des Verfassungsschutzes
Andere islamistische Gruppierungen in
Deutschland verfolgen eine umfassendere,
auch politisch motivierte Strategie. Auch sie
streben eine Änderung der Staats- und Ge-
sellschaftsordnung in ihren Herkunftslän-
dern zugunsten eines islamischen Staatswe-
sens an. Sie bemühen sich jedoch im Rah-
men einer legalistischen Strategie, ihren An-
hängern in Deutschland größere Freiräume
für ein schariakonformes Leben zu schaffen.
Islamistischer Terrorismus
Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig ge-
führte Kampf für islamistische Ziele, die mit Hilfe
von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum
anderer Menschen durchgesetzt werden sollen,
insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie
in § 129 a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) genannt
sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vor-
bereitung solcher Straftaten dienen.
Unter „Homegrown“-Terrorismus sind islamisti-
sche Strukturen oder Strukturansätze zu verste-
hen, die sich aus radikalisierten Personen ab der
zweiten Einwanderergeneration sowie radikalisier-
ten Konvertiten zusammensetzen. Die Personen
sind zumeist in europäischen Ländern geboren
und/oder aufgewachsen, stehen jedoch aufgrund
religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psy-
chologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem
ablehnend gegenüber und erachten die Errichtung
einer islamistischen Gesellschaftsordnung für er-
strebenswert. Gemeinsames Kennzeichen dieses
Personenkreises ist, dass er von der panislamischen
„al-Qaida“-Ideologie beeinflusst wird.
Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam konver-
tierter Personen macht sich islamistisches Ge-
dankengut zu eigen und engagiert sich für
islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in
islamistischen/islamistisch-terroristischen Struk-
turen erklärt sich u. a. aus der Motivation, sich
gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute
Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie
weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der west-
lichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf.
Jihad
Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist
„Anstrengung“ oder „Bemühung“. Es gibt zwei
Formen des Jihad: die geistig spirituelle Bemü-
hung des Gläubigen um das richtige religiöse
und moralische Verhalten gegenüber Gott und
den Mitmenschen (so genannter großer Jihad)
oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung
oder Ausdehnung des islamischen Herrschafts-
gebiets (so genannter kleiner Jihad). Von mili-
tanten Gruppen wird der Jihad häufig als reli-
giöse Legitimation für Terroranschläge verwen-
det. Islamistische Terroristen führen unter dem
Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen
Kampf/„heiligen Krieg“ gegen die angeblichen
Feinde des Islam.
K
AMERADSCHAFTEN, rechtsextremistische
(im Freistaat Sachsen)
Bei KAMERADSCHAFTEN handelt es sich um Gruppie-
rungen, die
einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit
beabsichtigter geringer Fluktuation besitzen,
eine lediglich lokale oder maximal regionale
Ausdehnung aufweisen,
eine zumindest rudimentäre Struktur besit-
zen und
die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer
Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen,
insbesondere neonationalsozialistischen
Grundorientierung haben.

Die KAMERADSCHAFTEN sind im Wesentlichen von
zwei Formen bestimmt:
Skinhead-K
AMERADSCHAFTEN
Diese besitzen keine festen Führungsstruk-
turen und sind von Spontaneität und Aktio-
nismus geprägt. Dementsprechend be-
schränken sich ihre Aktivitäten hauptsäch-
lich auf den regionalen Bereich und auf die
Teilnahme an rechtsextremistischen Kon-
zerten.
Neonationalsozialistische K
AMERADSCHAFTEN
Diese weisen klar erkennbare Führungsstruk-
turen auf und sind stark politisch ausgerich-
tet. In ihren weltanschaulichen Grund-
positionen werden zunehmend antikapita-
listische Elemente sichtbar. Gefordert wer-
den ein Nationaler Sozialismus und die
Volksgemeinschaft. In letzter Zeit favorisie-
ren neonationalsozialistische Kameradschaf-
ten die Auflösung ihrer Strukturen unter der
Bezeichnung F
REIE KRÄFTE.
Linksextremismus
Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von
Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die
alle oder einige der folgenden Merkmale charak-
teristisch sind:
Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als
„wissenschaftliche“ Anleitung zum Handeln;
daneben, je nach Ausprägung der Partei oder
Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien
weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao
Zedong und andere,
Bekenntnis zur sozialistischen oder kommu-
nistischen Transformation der Gesellschaft
mittels eines revolutionären Umsturzes oder
langfristiger revolutionärer Veränderungen,
Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder
zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen)
Gesellschaft,
Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als
bevorzugte oder – je nach den konkreten Be-
dingungen – taktisch einzusetzende Kampf-
form.
Linksextremistische Parteien und Gruppierungen
lassen sich grob in zwei Hauptströmungen ein-
teilen:
Dogmatische Marxisten-Leninisten und
sonstige revolutionäre Marxisten: In Par-
teien oder anderen festgefügten Vereinigun-
gen organisiert, verfolgen sie die erklärte
Absicht, eine sozialistische bzw. kommunis-
tische Gesellschaftsordnung zu errichten,
A
UTONOME, Anarchisten und sonstige Sozial-
revolutionäre: In losen Zusammenhängen,
seltener in Parteien oder formalen Vereini-
gungen agierend, streben sie ein herr-
schaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei
von jeglicher staatlicher Autorität an.
Mujahid
Als Mujahidin (wörtlich: Plural für „Kämpfer im
Jihad“) werden Islamisten bezeichnet, bei denen
tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass
sie sich
am „gewaltsamen Jihad“ selbst beteiligen
oder beteiligt haben oder
für die Teilnahme am „gewaltsamen Jihad“
ausbilden lassen oder bereits haben ausbil-
den lassen oder
am „gewaltsamen Jihad“ beteiligen werden,
z. B. auf Grund entsprechender Äußerungen.
Arabische Muslime verschiedener Nationalität
stellen einen überproportional großen Teil der
Mujahidin.
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Glossar

80 | Glossar des Verfassungsschutzes
Neonazismus / Neonationalsozialismus
Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die
Weltanschauung des „Dritten Reiches” und
macht diese zur Grundlage seiner politischen
Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der
neonationalsozialistischen Weltanschauung sind
Nationalismus und Rassismus sowie die Forde-
rung nach einem autoritären „Führerstaat“ unter
Ausschaltung wesentlicher Elemente demokra-
tischer Gewaltenteilung. Abgrenzungskriterien
zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus
sind der bei Neonazi-Aktivisten stärker ausge-
prägte Wille zur politischen Arbeit sowie eine in-
tensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen
Aspekten des Weltbildes.
Politisch motivierte Kriminalität (PMK)
Das Definitionssystem „Politisch motivierte Kri-
minalität“ wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt.
Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder
mehrere Straftatbestände der sog. klassischen
Staatsschutzdelikte erfüllen sowie Straftaten, bei
denen Anhaltspunkte für eine politische Motiva-
tion gegeben sind. Die Daten werden im Polizei-
bereich erhoben und zentral durch das Bundes-
kriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunk-
ten differenziert dargestellt.
Die Straftaten werden folgenden Phänomenbe-
reichen zugeordnet:
Politisch motivierte Kriminalität – rechts,
Politisch motivierte Kriminalität – links,
Politisch motivierte Ausländerkriminalität,
Sonstige politisch motivierte Straftaten mit
extremistischem Hintergrund.
Proliferation
Als Proliferation bezeichnet man die Weiterver-
breitung von atomaren, biologischen oder che-
mischen Massenvernichtungswaffen und ent-
sprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu
deren Herstellung verwendeten Produkte, ein-
schließlich des dazu erforderlichen Know-how.
Rechtsextremismus
Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen
verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz
konkretisierte fundamentale Gleichheit der Men-
schen richten und die universelle Geltung der
Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten
sind Feinde des demokratischen Verfassungs-
staates, sie haben ein autoritäres Staatsver-
ständnis, das bis hin zur Forderung nach einem
nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswe-
sen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische
Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung
ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremden-
feindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auf-
fassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie,
Nation oder „Rasse“ bestimme den Wert eines
Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil
aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist
zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte
und gesellschaftliche Interessenvertretungen
treten zugunsten kollektivistischer „volksge-
meinschaftlicher“ Konstrukte zurück (Antiplura-
lismus).
s. a. S
KINHEADS, AUTONOME NATIONALISTEN, Neonazis-
mus, K
AMERADSCHAFTEN, FREIE NATI-ONALISTEN/FREIE
KRÄFTE, Fanzine

Salafismus
Die salafistische Bewegung strebt eine Rückkehr
zum Vorbild der „lauteren Vorfahren" (as-salaf
as-salih) und damit zu einem fiktiven „Urislam"
an. Zentrale Merkmale dieser Religionsinterpre-
tation sind die strikte Konzentration auf Koran
und Prophetentradition (Sunna) als handlungs-
weisende Texte, die Ablehnung aller Neuerungen,
die als unvereinbar mit dem „wahren islamischen
Geist" gelten, das unbedingte Bekenntnis zur